7,99 €
Freuen Sie sich auf einen nervenaufreibenden U-Boot-Spionage-Thriller, angesiedelt im 2. Weltkrieg!
Frühjahr 1943: Im Schatten der pulsierenden Metropole New York steigen drei unscheinbare Männer in einen heruntergekommenen Trawler und schippern mit ihm aufs Meer. Kurz darauf ist der Trawler verschwunden, dafür ortet die amerikanische Küstenwache ein deutsches U-Boot. Als den Amerikanern klar wird, dass deutsche U-Boot-Männer an Land gegangen sind und kriegsentscheidende Dokumente gestohlen haben, schlagen sie Alarm.
Die Jagd auf das U-Boot beginnt. Dessen Kommandant, Kaleun Lindt, setzt alles daran, die Verfolger abzuschütteln und seine Mannschaft heil nach Hause zu bringen. Der Atlantik wird zum Schauplatz für ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel …
Währenddessen zieht ein rätselhafter Mann im Hintergrund die Fäden und hat das Schicksal der U-Bootfahrer in seiner Hand.
Autor Stefan Bursche legt mit seinem U-Boot-Thriller ein sprachlich raffiniertes und hochspannendes Debüt vor. Er entsendet die Protagonisten seiner Geschichte auf eine lebensgefährliche Mission, um kriegsentscheidende Dokumente zu stehlen. Herzstück des Romans sind die Charaktere – wettergegerbte Seemänner, entschlossen und mit einer gehörigen Portion Galgenhumor ausgestattet. Mit seinen Dialogen beweist der Autor Witz und Feingefühl, wodurch er seinen Charakteren fühlbares Leben einhaucht.
„Nach dem Endsieg geht es vors Kriegsgericht.“
„Endsieg … “, sagte Krebsdorf. „Noch ein weiter Weg dahin. Für uns ist jeden Tag Kriegsgericht.“
Wird es Kaleun Lindt gelingen, sein Boot und dessen Mannschaft heil heimzubringen? Finden Sie es jetzt heraus!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Stefan Bursche
Der Ruf des Zaunkönigs
Spionagethriller über ein deutsches U-Boot im 2. Weltkrieg
EK-2 Militär
Tragen Sie sich in den Newsletter von EK-2 Militär ein, um über aktuelle Angebote und Neuerscheinungen informiert zu werden und an exklusiven Leser-Aktionen teilzunehmen.
Als besonderes Dankeschön erhalten Sie kostenlos das E-Book »Die Weltenkrieg Saga« von Tom Zola. Enthalten sind alle drei Teile der Trilogie.
Klappentext: Der deutsche UN-Soldat Rick Marten kämpft in dieser rasant geschriebenen Fortsetzung zu H.G. Wells »Krieg der Welten« an vorderster Front gegen die Marsianer, als diese rund 120 Jahre nach ihrer gescheiterten Invasion erneut nach der Erde greifen.
Deutsche Panzertechnik trifft marsianischen Zorn in diesem fulminanten Action-Spektakel!
Band 1 der Trilogie wurde im Jahr 2017 von André Skora aus mehr als 200 Titeln für die Midlist des Skoutz Awards im Bereich Science-Fiction ausgewählt und schließlich von den Lesern unter die letzten 3 Bücher auf die Shortlist gewählt.
»Die Miliz-Szenen lassen einen den Wüstensand zwischen den Zähnen und die Sonne auf der Stirn spüren, wobei der Waffengeruch nicht zu kurz kommt.«
André Skora über Band 1 der Weltenkrieg Saga.
Link zum Newsletter:
https://ek2-publishing.aweb.page
Über unsere Homepage:
www.ek2-publishing.com
Klick auf Newsletter rechts oben
Via Google-Suche: EK-2 Verlag
Liebe Leser, liebe Leserinnen,
zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein kleines Familienunternehmen aus Duisburg und freuen uns riesig über jeden einzelnen Verkauf!
Mit unserem Label EK-2 Militär möchten wir militärische und militärgeschichtliche Themen sichtbarer machen und Leserinnen und Leser begeistern.
Vor allem aber möchten wir, dass jedes unserer Bücher Ihnen ein einzigartiges und erfreuliches Leseerlebnis bietet. Daher liegt uns Ihre Meinung ganz besonders am Herzen!
Wir freuen uns über Ihr Feedback zu unserem Buch. Haben Sie Anmerkungen? Kritik? Bitte lassen Sie es uns wissen. Ihre Rückmeldung ist wertvoll für uns, damit wir in Zukunft noch bessere Bücher für Sie machen können.
Schreiben Sie uns: [email protected]
Nun wünschen wir Ihnen ein angenehmes Leseerlebnis!
Heiko, Jill & Moni
von
EK-2 Publishing
Einst beschlossen die Vögel,
denjenigen von ihnen zum König zu machen, der am höchsten flöge.
Dies gelang dem Adler, aber als er wieder niedergehen musste,
erhob sich der kleine Zaunkönig, der sich in seinem Gefieder versteckt hatte,
flog noch höher und rief:
„König bin ich!“
– Äsop
Er kommt wohl heute nicht mehr zurück, dachte in seiner Zelle eingekerkert deren Insasse, und dachte weiter: Wenn er heute nicht zurückkehrt, dann kann das nur bedeuten, dass er überhaupt nie wieder zurückkehren wird. Denn ihre ganze Katastrophe hatte er ihnen prophezeit, ihnen ihre Aussichten an die Tafel geschrieben, mit fataler Richtigkeit und seiner unheimlichen Präzision, die ihnen auch heute noch, da sie geschlagen sind, eine solche Angst vor ihm einjagen, dass sie auf seinen Tod nicht verzichten können.
Über dunklen Gedanken dieser Art und erschöpft von der eigenen Angst und Beklemmung war der Insasse eingeschlafen, als ihn spät in der Nacht ein Klopfen an der Zellenwand aus seinen verfinsterten Träumen aufschreckte. Es war das bekannte Signal und jetzt folgte die Botschaft und der Insasse hörte sie mit dem Ohr an der Wand:
Bei letzter Vernehmung Nase gebrochen. – Meine Zeit ist um. – War kein Landesverräter. – Habe als Deutscher meine Pflicht getan. – Sollten Sie weiterleben, grüßen Sie meine Frau.
Wenig später hatten sie ihn nackt aufgehängt – an einem Haken draußen im Hof – und ihn dann, beim ersten Anzeichen der in Kürze eintretenden Gnade seines Todes, wieder von diesem Haken heruntergenommen: einmal, zweimal, dreimal, immer wieder, bis sie genug hatten und von der Leiche weggingen.
„Bei dem kleinen Admiral hat es sehr lange gedauert“, hatte später die SS über die Hinrichtung berichtet.
Der Mann, den die Sowjets als den gefährlichsten Spion der Welt bezeichneten, hatte eine sehr bewegte Lebensgeschichte. Schon vor Kriegsbeginn, am 2. Januar 1935, bezog der sechssprachige Kika seinen Posten, hofiert und empfohlen von allen entscheidenden Stimmen. Der rechte Mann war gefunden. Nun trat er seinen Dienst an, wobei ihn sein Vorgänger Patzig bereits vor der SS gewarnt haben soll. Seine Antwort ist uns überliefert: „Seien Sie ganz beruhigt, mit diesen Jungens werde ich schon fertig.“
***
Im Frühjahr 1943 war New York eine Stadt des Lebens, pulsierend von den Rändern bis in ihr berühmtes, überlaufenes Zentrum. Die halbe Welt war hier zuhause und die Stadt war auf dem Weg, die Hauptstadt des Universums zu werden. Am Tage schienen sich ihre schwarzen, oft schattigen Straßenschluchten in Weiten von unermesslicher Größe zu strecken und die Autos, die Taxis, die Straßenbahnen und die Untergrundbahnen fuhren in endloser Folge bei Tag und bei Nacht und zwischen ihnen bewegten sich Millionen von Menschen, welche von überall herkamen und hier ihr Zuhause gefunden hatten. New York war eine laute Stadt, durchdrungen von einem einzigen ununterbrochenen Geräusch, dem New York-Geräusch, das niemals abriss oder verstummte.
Der April war schon beinah vorüber, der Mai stand vor der Tür und der Frühling hielt Einzug in die große, lärmende Metropole. Das erste Grün, noch mild und dünn, schmückte die Bäume an den Rändern der Straßen, und in den weiten Gärten und Parkanlagen der Stadt liefen die Leute bereits in sommerlicher Kleidung umher. New York, die werdende Hauptstadt des Universums, war eine Stadt im Frieden und auf den Straßen boten Händler Obst, Gemüse, Kleidung, Souvenirartikel, Limonade und Eiscreme an.
Neben der Verdunklung bei Nacht, der sichtbar gewachsenen Anzahl von Rekrutierungsbüros für die Streitkräfte und der öffentlichen Werbung für den Kauf von Kriegsanleihen deutete wenig in New York darauf hin, dass sich die Vereinigten Staaten in einem großen, den Erdball umgreifenden Krieg befanden, der noch gewonnen werden musste, und dass Millionen amerikanischer Familien nicht wussten, welches Opfer von ihnen verlangt werden würde, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Gebrüder Walsh, zwei Knaben im Alter von acht und zehn Jahren, alt genug, um zur Schule zu gehen, aber zu freisinnig, um dieser Verpflichtung regelmäßig nachzukommen, schoben ihr Fahrrad – sie hatten nur das eine, mit dessen Gepäckträger meist der jüngere Tom Vorlieb nehmen musste – durch die mit Sandhalm lose bewachsenen Dünen am Point Breeze, dem südöstlichsten Punkt der kleinen Insel-Halbinsel Plumb Island am Gerritsen Creek, zwischen Coney Island und der Jamaica Bay in New York City.
Es war Mittagszeit und die Sonne schien. Der ältere Adam schob das Rad, während Tom nebenher trottete.
„Ich will wieder fahren“, sagte Tom.
„Sei still“, antwortete sein Bruder und hob das Vorderrad aus dem Sand, in dem es sich immer wieder festfuhr.
„Wann können wir wieder fahren?“, fragte Tom.
„Sei endlich still.“
Hier draußen hielt sich um diese Zeit kein anderer Mensch auf und auch die beiden Brüder hätten nicht hier sein dürfen, denn es war Schulzeit und sie schwänzten den Unterricht. Die Schule langweilte sie und sie waren auch nicht gut im Rechnen und Lesen und wurden dafür oft von den Lehrern getadelt und von den Mitschülern als Dummköpfe, als Schwachköpfe, als die dummen Brüder Walsh bezeichnet, aus denen nie etwas werden würde und die dazu bestimmt waren, als Bettler auf der Straße zu leben, oder in einer der Fischfabriken in Brooklyn zu landen, wenn sie Glück hatten.
„Darf ich das Fahrrad schieben?“, fragte Tom.
„Wenn du nicht still bist, dann bringe ich dich zu Miss Hill“, antwortete Adam.
Miss Hill war Toms Klassenlehrerin und Tom hasste sie und hatte Angst vor ihr. Auch wenn Adam diese Drohung, obschon oft ausgesprochen, noch nie wahr gemacht hatte, zeigte sie doch ihre Wirkung auf den kleinen Tom und er stellte sich vor, wie viel schlimmer es wäre, in der Schulstube zu sitzen und sich von Miss Hill anzuhören, dass er sich mehr Mühe geben müsse, sonst werde er auch in der nächsten Englischkontrolle wieder so schlecht abschneiden wie schon in der letzten und überhaupt, wenn er so weitermache, sei er auf dem besten Wege, ein so nutzloser und schlechter Schüler wie sein Bruder Adam zu werden.
Daran denkend besann sich Tom und nahm sich vor, Adam nicht weiter zur Last zu fallen, denn er liebte es, mit seinem Bruder durch die Stadt zu ziehen. Für zwei Knaben in ihrem Alter war New York ein einziges Abenteuer und Abenteuer war alles, was die beiden vom Leben wollten und erwarteten.
Adam blieb stehen und nahm eine Hand vom Fahrradlenker, um seine Augen gegen die Sonne abzuschirmen, während er den Blick auf eine dem Strand vorgelagerte Sandbank richtete. Dann schniefte er und schob das Rad weiter.
An der Küste gegenüber, nur wenige hundert Meter entfernt, in Deep Creek in der Dead Horse Bay, lagen die Yachten und Boote wohlhabender Leute aus Brooklyn und Queens und Adam schaute hinüber.
Gern wäre er auf einem dieser Boote raus in die Bucht gefahren, die ganze Long Island-Küste rauf und darüber hinaus bis Nantucket, wo die Walfänger lebten. Manchmal spürte er in sich die Sehnsucht nach dem großen weiten Meer, den tosenden Wellen und der unerbittlichen See, wo es nichts zählte, ob man reiche oder arme Eltern hatte oder ob man gut oder schlecht in Mathematik oder Englisch war und wo es nur darauf ankam, ob man ein echter Kerl war, und das war er. Das wusste er.
Irgendetwas regte sich dort draußen am Rande der Sandbank, schaukelte in der schwachen Dünung auf und ab, trieb auf die Sandbank und wurde von den zurückgehenden Wellen wieder ein Stück hinausgetragen.
„Tom“, sagte Adam und zeigte in Richtung der Sandbank. „Da ist irgendetwas. Da im Wasser. Da treibt irgendetwas.“
Tom beschirmte mit der Hand seine Augen wie sein Bruder und blickte in die angegebene Richtung.
„Siehst du?“, fragte Adam.
„Ja“, sagte Tom.
„Was ist das?“
„Ich weiß nicht. Ein Müllsack vielleicht“, sagte Tom.
„Du bist ein Müllsack. Das ist viel zu groß für einen Müllsack.“
„Vielleicht ein Netz.“
Adam griff den Lenker und schob das Rad weiter. Das Ding nicht aus den Augen lassend, führte er das Fahrrad durch den Sand, immer weiter – bis er es einfach fallen ließ, sich die Schuhe auszog und Tom aufforderte, es ihm gleichzutun. Dann liefen die beiden Jungen durch das flache Wasser und über mehrere Sandbänke hinweg zu dem träge schaukelnden Ding hinüber.
„Mensch, das ist ein Boot, Tom!“, rief Adam und hastete durch das Wasser hinüber, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass seine Kleider und auch die seines Bruders völlig durchnässt wurden.
Adam lief mehrmals um das kleine Boot herum. Es war ein grünes Schlauchboot aus grobem Gummi; die beiden Ruder lagen im Inneren. Adam schaute sich um, aber es war niemand zu sehen, nur weit entfernt eine Gruppe von Männern drüben in Deep Creek, und das kümmerte ihn nicht.
„Ist das zu glauben? Sogar die Ruder sind noch da“, sagte Adam und zeigte mit dem Arm in das kleine Bootsinnere.
Tom, der noch nicht recht begriff, was der Fund bedeuten mochte, setzte sich in das Boot, das sogleich ein Stück mit ihm aufs Wasser hinaustrieb.
„Sag Vater nichts davon! Versprich es mir“, sagte Adam, während er Tom durchs Wasser nachstieg und das Boot samt Tom mit dem Fuß zurück auf die Sandbank schob. Nachdem er seinen Bruder verscheucht hatte, untersuchte Adam das Boot rasch auf Schäden und legte Tom schließlich den Arm um den Hals.
„Versprich es mir. Das ist jetzt unser Boot, hörst du? Niemand darf davon wissen. Das bleibt unser Geheimnis. Verstehst du das?“
Er verstand es nicht; nickte trotzdem.
Auch wenn Adam Walsh ein besserer Leser gewesen wäre, hätte er mit der ausgewaschenen und kaum noch lesbaren Schrift auf dem ledernen Schild an der Innenseite des Schlauchbootes wenig anfangen können, denn sie war in deutscher Sprache verfasst, von der er kein Wort verstand.
„Ich verspreche es, Adam“, sagte Tom.
Dann trugen sie unter großer Mühe das Boot mit sich davon, um es an einem besseren Ort zu verstecken.
Als der Abend anbrach und die Sonne unterging, liefen drei Männer durch die Parkanlagen am South Beach auf Staten Island. Keiner von ihnen war über siebenundzwanzig Jahre alt. Erich Lindt, Wilhelm Krebsdorf und Otto Blaschke. Alle drei trugen eine dunkle Hose aus derbem Material und darüber einen Pullover in grauen und dunkelblauen Farben.
„3:30 Uhr“, sagte Lindt und blickte auf die Uhr an seinem linken Handgelenk. „Das schaffen wir.“ Er hatte ein rundes Gesicht mit klugen, beweglichen Augen und unter seinem Pullover wölbte sich ein freundlicher Bauchansatz, der über Lindts Agilität hinwegzutäuschen wusste. In seiner Hand trug er den wasserfesten Beutel mit den Listen.
„Großes Dorf ist das“, sagte Blaschke.
Sie waren seit fünf Stunden ununterbrochen durch die Stadt gelaufen.
„Ich hatte es mir größer vorgestellt“, antwortete Krebsdorf und schnippte seine Zigarette gegen einen Baum am Wegrand. „Ist ja wie Wattenscheid.“
Sie bogen um eine Ecke und vor ihnen erstreckte sich ein endloser Weg, gesäumt von Bäumen und Wiesen. Auf den Wiesen standen Spielgeräte, Klettergerüste, ein Karussell, zwei große, lange Kinderrutschen und dazwischen vereinzelt Pavillons und Bänke. Überall waren Menschen.
„Ich mag den T-2 nicht“, sagte Krebsdorf. „Der läuft zu langsam. Jetzt kriegen wir nichts anderes mehr. Früher bei Wohlmann mit den Gastorpedos, das war noch was anderes. Das ging Zack-Zack-Zack.“
Er schlug dreimal mit der Faust in die offene Hand. „Als würde man mit 'ner Pak schießen.“
„Und die Blasenspur?“, fragte Lindt.
„Hat uns nie gestört“, antwortete Krebsdorf und zuckte mit den Schultern. „Wohlmann ist immer ganz nah ran. Direkt an die Grenze. Auf dreihundert Meter. Sie sollen es ruhig kommen sehen, hat er immer gesagt.“
Blaschke warf einen Seitenblick auf Lindt. Wohlmanns Kampfboot war vier Wochen zuvor im irischen Küstenvorfeld versenkt worden. Überlebt hatte das keiner.
„Dann das ewige Rumgemeckere der Leute. Aal raus, Aal rein, Aal raus. Ist doch wie im Puff.“ Krebsdorf entzündete eine weitere Zigarette.
„Hält die Leute beschäftigt. Das ist doch schön“, antwortete ihm Lindt und fuhr fort: „Der T-1 war gut, wenn man nah genug rangekommen ist. Zumindest als die Pistolen noch zuverlässig waren. Der verfluchte Magnetzünder. Ich hab‘ dann irgendwann nur noch Kontakt geschossen. Hat mehr Aale gekostet, aber wenigstens sind die Dinger hochgegangen. Angeblich kann man auch wieder Magnet schießen, aber ich weiß nicht. Wenn es klappt, ist das natürlich prima.“
Er sah zu Krebsdorf hinüber und sprach weiter.
„Wir hatten vor Island mal einen Erzfrachter versenkt, ein Riesenbrocken. Fünfzehntausend Tonnen. Der Aal hat ihn perfekt unterlaufen und auseinander geknickt wie einen trockenen Zweig. Der war in Sekunden weg. Sowas hatte ich noch nie gesehen.“
„Das erspart einem dann auch das Gejammer hinterher“, sagte Krebsdorf.
„Der Vorteil beim T-2“, sagte Lindt, ohne auf Krebsdorf einzugehen, „ist, dass man nicht so nah ranmuss. Man braucht aber erstklassige Schussunterlagen.“
„Meine stimmen immer“, sagte Krebsdorf und blies den Rauch in die Abendluft. „Außerdem ist das gar nicht wahr. Man muss trotzdem nah ran, weil die E-Torpedos zu langsamsind und die lange Laufzeit Gegnerfaktoren wie Fahrt- und Kursänderung stärker ins Gewicht fallen lässt. Da reicht schon ein mäßiger Seegang und mit Pech bringt man den Aal auf zweitausend Meter nicht ins Ziel, auch mit den besten Schussunterlagen nicht. Was nützt es, wenn der Torpedo ungesehen bleibt, aber das Ziel nicht trifft? Es nützt nichts! Der E-Torpedo zwingt dich zum Fächerschuss. Auf Kontakt geschossen“, Krebsdorf unterbrach sich selbst, „seit Norwegen haben viele Kommandanten das Vertrauen in den Magnetzünder verloren und seitdem, vielleicht zu Unrecht, nicht wiedergewonnen. Auf Kontakt geschossen und es sitzt dann nur einer, braucht man manchmal noch den zweiten Fächer und am Ende fährt man wieder nach Hause und hat die Brüder nur angeschossen.“
„Halt die Klappe, Krebsdorf“, sagte Lindt müde.
Noch einmal vergewisserte er sich des Beutels mit den Listen, der an seiner Seite hing. Er strich mehrfach mit der Hand darüber hinweg.
„Ach, Erich“, antwortete ihm Krebsdorf gutmütig, „du solltest lieber froh sein, dass du diese Pfeife Petersen losgeworden bist und jetzt mich statt ihm an Bord hast. Schuld an allem sind sowieso nur diese Scheißtorpedos. Wenn wir zuverlässigere Torpedos hätten, wären die Versenkungszahlen der U-Waffe doppelt so hoch. Das sage ich dir so, wie es ist.“
Blaschke musterte Krebsdorf von der Seite.
„Und wenn Oma Krebsdorf nicht so triebhaft gewesen wäre, dann wärst du heute immer noch ein feuchtes Glitzern in den Augen deines Großvaters“, sagte er.
„Arschloch“, bemerkte Krebsdorf gleichgültig. „Meine Großmutter war sehr anständig. Aber da du noch nicht so viel Erfahrung mit Frauenzimmern hast, verzeihe ich dir, Blaschke.“
„Blödmann“, sagte Blaschke.
„Wir hatten bei Wohlmann mal auf dem Rückmarsch – Brennstoff runter, aber den Bugraum noch voller Torpedos – einen Fächerschuss Gasgetriebene auf einen Achttausend-Tonner, ein Einzelfahrer, ganz schnell, fast zwanzig Knoten. Der ist uns direkt in die Rohre gefahren. Viererfächer. Hat ihn glatt eingerahmt. Der Kahn ist genau zwischen den beiden inneren Aalen durchgezuckelt ohne Kurs- und Fahrtänderung. Der Streuwinkel war viel zu groß eingestellt für die Entfernung, aber meine Schussunterlagen waren das nicht. Das hatte der alte Wohlmann selbst verbockt. Auf dem Achttausend-Tonner wussten die gar nicht, was die für ein Schwein hatten an dem Tag. Die hatten überhaupt nicht begriffen, dass sie fällig waren, und sind wie die Blinde Kuh einfach durchgesteuert und immer weiter. Als wir nachgeladen hatten, waren sie außer Reichweite. Der liebe Gott hilft den Einfältigen. Die Blasenspuren hätte sogar ein kurzsichtiger Affe wie du gesehen, Blaschke.“
„Woher willst du denn wissen, dass die Torpedos nicht gesehen wurden?“, fragte Blaschke.
„Weil er nicht gefunkt hat.“
Die drei Männer kamen an eine Bahnunterführung und der darüber hinweg fahrende Zug schnitt mit seinem Lärm das Gespräch ab. Krebsdorf strich sich mit der Hand durch sein schwarzes Haar, dann blickte er nach oben in Richtung der Decke, über die der Zug hinweg polterte.
„Die Tommys haben eine Akte über mich“, sagte Lindt, als nach einer Ewigkeit das Rattern über ihren Köpfen verklang. Er zögerte fortzufahren, doch seine beiden Gefährten blieben stumm und die drei Männer gingen rasch weiter durch die lange Unterführung.
„Ja, nicht nur über mich“, setzte er nach einem Blick nach hinten wieder an. „Sie haben eine Akte über jeden Kommandanten samt Bootsnummer. Da soll allerhand drinnen stehen.“
„Was denn zum Beispiel?“, fragte Blaschke.
„Verhaltensmuster bei Verfolgung durch U-Jäger. Sie identifizieren uns oft genug.“
„Donnerwetter!“, sagte Krebsdorf. „Woher weißt du denn das?“
„Von Dönitz selber“, antwortete Lindt.
Ein langes Schweigen folgte.
„Du bist ein ‚Wanted Man‘, Erich“, sagte Blaschke nach einer Minute. „Aber in New York werden sie nicht nach dir suchen.“
„Würde ja gerne mal wissen“, sagte Lindt, „was unsere Abwehr tut, um unsere Kommandanten an Land zu schützen. Wenn ihr mich fragt, ist das der leichteste Weg, um die U-Waffe zu zerschlagen. An manchen Abenden ließen sich ganze Flottillen auf einen Schlag verkrüppeln.“
Er warf beiden einen Blick zu und lächelte.
„In Frankreich meine ich. Kein Mensch weiß, dass wir hier sind. Niemand außer dem BdU und unserer Besatzung.“
„Und dem Agenten“, ergänzte Krebsdorf. „Weißt du, wer das war?“
„Natürlich nicht.“
Sie verließen die Unterführung und gelangten auf die Edison Street.
„Der Befehl hat mich …“, sagte Krebsdorf.
„Das musste halt schnell gehen“, unterbrach ihn Lindt ungeduldig. „Hohe Priorität. Keine Agenten. Keine Transportkapazität. Keine Verschlüsselungsmöglichkeit. Will nur wissen, was der BdU machen würde, wenn wir die Woche zuvor angegriffen hätten. Immer alles mit der heißen Nadel stricken. Das kann er sehr gut.“
Die Sonne war im Westen hinter Staten Island versunken und mit ihr war ein großer Teil des Lichtes gewichen und durch nichts von dem ersetzt worden, das im Frieden die Stadt des Nachts hätte erstrahlen lassen.
Trotz ihres unangreifbaren Charakters war New York eine Stadt im Krieg und es herrschte eine Verdunklungsanordnung der Stadtverwaltung seit Januar 1942. Es war verboten, des Nachts nach außen hin sichtbares Licht oberhalb des Straßenniveaus zu entzünden und so schluckte die Dunkelheit am Abend New Yorks dritte Dimension einfach weg.
Sie beraubte die Stadt ihrer weltberühmten Skyline, hinterließ schwarze Stellen, wo in den Tagesstunden gigantische Bauwerke in den Himmel ragten und ihre Fassaden mit tausend glänzenden Fensteraugen das Bild der Stadt prägten. Die Insel Manhattan war von dem Punkt, an dem sich die drei Männer befanden, nur noch zu erahnen, ein schlafendes Monster in der Dunkelheit. Sie lag unsichtbar im Schutz der Nacht.
Lindt holte aus dem Beutel eine Stadtkarte hervor und die drei drängten sich unter das abgeschirmte Licht einer kleinen chinesischen Küche am Rande der Straße. Der Besitzer bediente eine Hand voll Gäste, die ihre Mahlzeit an Stehtischen zu sich nahmen. Stumm suchend bewegte Lindt einen Zeigefinger über die Karte, fuhr mit ihm mehrmals vor und zurück, einem gezackten Straßenverlauf folgend, ließ ihn dann an einem Punkt verharren und tippte zweimal darauf.
„Wir sind hier“, sagte er.
Dann hob er den Finger einen Zentimeter über die Karte und wanderte mit ihm auf einer geraden Linie in Richtung Küste, bevor er ihn langsam an einem zweiten Punkt wieder sinken ließ.
„Und dort liegt das Ziel unserer Reise. Oder der Startpunkt. Je nachdem, wie ihr das betrachten wollt.“
Great Kills Harbor stand inmitten eines von Land fast vollständig umschlossenen blauen Ovals geschrieben, als Lindt den Finger wieder von der Karte nahm.
„Wie spät?“, fragte Krebsdorf, einen entschuldigenden Blick aufsetzend: Er hatte seine Uhr vierundzwanzig Stunden zuvor in der Zentrale des U-Bootes vergessen. Dort war sie in eine der großen, eingerollten Seekarten gerutscht und später einfach übersehen worden. Lindt und Blaschke hatten ihre Uhren auf Ortszeit umgestellt, als sie von Bord gegangen waren.
„Halb neun durch“, sagte Blaschke.
„Wir sollten etwas essen“, sagte Lindt.
„Ja, aber nicht hier“, antwortete Krebsdorf. „Ich kann diesen Fraß nicht ausstehen. Ich will etwas Richtiges essen.“
Der Chinese in der kleinen Küche bewegte flink und geschickt seine Pfannen und ließ die Bratnudeln in ihnen auf und ab rutschten und knistern. Lindt lief zu ihm und kaufte eine Flasche Limonade, die er von den Dollars bezahlte, welche er von dem New Yorker Kontakt erhalten hatte. Danach gingen sie.
New York schlafe nie, sagt man, doch gab es in der Stadt Bereiche, die vielleicht weniger wach waren als andere, und einen solchen Stadtbezirk erreichten die drei Männer, als sie den Hylan Boulevard kreuzten und die Miller Road nach Süden nehmend in Oakwood ankamen.
Es handelte sich um eine Wohngegend mit verschlafenen Häuschen, Bars, einer kleinen Bowlinghalle, einem Friseur, drei Autowaschsalons und zwei Tankstellen, Läden für Angelzubehör, einigen Bäckereien, einer Apotheke und einer Wasseraufbereitungsanlage am Rande des Viertels nah der Küste.
Die Stadtluft war dem Geruch knospender Sträucher und dem Duft von Kiefern in den Gärten der Wohnhäuser gewichen. Vom Atlantik wehte das salzige Aroma des Meeres in die Straßen. Auf seinem Fahrrad überholte ein zwölfjähriger Junge die drei Männer, ohne sie zu beachten. Eine gelbe Straßenlaterne beleuchtete ihn eine Weile lang, eine Hand am Lenker, in der anderen etwas mit sich tragend, das wie ein Korb mit Lebensmitteln aussah. Geparkte Autos am Straßenrand zeugten von einigem Wohlstand. In den niedrig gebauten Häusern brannten die Lichter und von den Terrassen drangen Worte und Gelächter in den Abend. Oakwood Elementary School stand in weißen Lettern auf einem Schild an einem der Häuser geschrieben und vor dem Gebäude befand sich ein verwaister Spielplatz mit einer großen Eiche in seiner Mitte.
Der Blick in eine Nebenstraße zeigte ein Postbüro, vor dem auf einem Trailer ein Boot am Rande der Straße geparkt war. Blaschke teilte sich mit Krebsdorf den Rest der Limonadenflasche. Sie sprachen wenig miteinander. Es war besser, wenn ihre Stimmen hier draußen in dem dünner besiedelten Gebiet und so nah am Schlüsselpunkt ihrer Flucht aus der feindlichen Stadt von möglichst wenigen Menschen gehört wurden. Aber da war der Hunger und er trieb die drei Männer bald noch einmal unter die Leute.
Im mexikanischen Restaurant La Esperanza, einem schwankenden Tollhaus, das mit Lampions an Girlanden, die ständig von einem der Gäste in Bewegung versetzt wurden, ausgeschmückt und von Menschen überlaufen war, feierte in dieser Nacht eine offene Hochzeitsgesellschaft.
Das mexikanische Brautpaar tanzte zwischen den Tischen und zwei Dutzend weiterer Tanzpaare taten es ihm gleich und drehten sich zur Musik einer Mariachi-Band durch den Ballsaal im Erdgeschoss.
An der Bar kostete jedes Getränk nur 20 Cent und vom rosaroten Licht beschienen liefen unzählige Kinder im Restaurant durcheinander, rannten vom Ballsaal die Treppe nach oben zur Empore, zwischen den Tischen hindurch und auf der anderen Seite die Treppe wieder nach unten, rutschten auf dem dort verstreuten Konfetti aus, rappelten sich lachend wieder auf und rannten quer durch den Ballsaal und die Treppe wieder hinauf. Blumen wurden durch die Luft geworfen, prallten von Ballons ab und landeten auf den Tischen zwischen den Tellern, auf denen Servietten lagen, die sich langsam mit Bratensauce vollsogen. Quer durch den Raum waren Papel Picado-Scherenschnittbilder von grüner, gelber, blauer und roter Farbe aufgehängt, in denen sich Luftschlangen verfangen hatten, nach denen die Kinder sprangen. Die Bediensteten des Hauses in ihren schwarzweißen Kleidern hatten es an diesem Abend nicht leicht, die Speisen aus der Küche unbeschadet an die Tische zu bringen.
„Es ist doch schön hier?“, fragte Lindt.
„Ja, schön bunt und schön laut.“
„Mir gefällt es auch“, sagte Krebsdorf. „Nur das Bier ist scheiße. In Hamburg gibt es Kühe, die geschmackvoller pissen können als die Amerikaner Bier brauen. Allein um den Amis anständiges Bier zu bringen, ist es unsere heilige Pflicht, diesen Krieg zu gewinnen.“
Die drei Männer saßen an einem der Tische in der oberen Etage und blickten nach unten in den Saal. Auf dem weißen Stofftischtuch standen ihre leeren Teller, eine brennende Wachskerze und drei gefüllte Gläser mit Bier.
„Prost!“
„Auf einen unvergesslichen Abend in New York“, sagte Blaschke und hob sein Glas an.
„Sich beim Feind einnisten, heißt das wohl. Prost!“, antwortete Krebsdorf. „Das Bier ist wirklich entsetzlich.“
Blaschke sah auf seine Uhr.
„Besser noch ein wenig länger hierbleiben, als nachher ewig in der Bucht herumzuschippern. Mittlerweile ist die Küstenwache nämlich auf Zack“, sagte er mit einem Blick auf Lindt, der nicht antwortete.
Blaschke trank sein Glas in einem Zug zur Hälfte aus. Lindt drehte auf dem Tisch mit dem Finger eine kleine Untertasse im Kreis herum. Er hatte seine Entscheidung bereits im Sinne Blaschkes getroffen, ohne sie auszusprechen.
Vom anderen Ende der Empore kommend, bahnte sich ein Kellner den Weg zu ihnen und deutete an, die leeren Teller abtragen zu wollen. Lindt nickte und murmelte „Gracias“. An ihrem Tisch vorbei liefen immer wieder die Kinder. Drei Mädchen in weißen und gelben Kleidern und vier Jungen im blau und weiß gestreiften Matrosenanzug, alle Mexikaner, auf ihrem Weg zur Treppe in den unteren Ballsaal. Eine Minute später kehrten sie schon zurück.
„In Great Kills liegt ein Fischerboot für uns“, sagte Lindt, als sich der Kellner entfernt hatte. „Die Beegle. Soll leicht zu erkennen sein. Sie liegt auf der Südostseite des Hafens.“
Jeder der drei imaginierte für sich das blaue Kartenoval der Bucht.
„Was heißt denn Beegle?“, fragte Krebsdorf.
„Weiß ich nicht“, antwortete Lindt.
Enttäuscht nahm Krebsdorf einen Schluck von seinem Bier.
Jahre zuvor, im Roten Schloss in Flensburg-Mürwik, vor dem Krieg, als die drei Männer noch Offiziersanwärter der Marineschule gewesen waren, hatte Lindt zu jenen mit den besten Englischkenntnissen gehört.
„Der Hafen ist nicht groß bewacht“, fuhr Lindt fort. „Es ist ein ziviler Hafen für Segelboote, Yachten und Fischereikähne. Wir gehen dort einfach rein; drei gesunde, junge Amerikaner auf dem Weg zu ihrem Boot, suchen die Beegle, gehen an Bord, setzen artig unsere Positionslichter für die Hafenausfahrt und verschwinden.“
Blaschke und Krebsdorf sahen einander an, dann wieder auf Lindt, in Erwartung weiterer Anmerkungen. Lindt lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blickte auf sein Bierglas. Zwei Minuten verstrichen in Schweigen.
„So einfach ist das also“, sagte Krebsdorf schließlich.
„Ja, so einfach ist das“, antwortete Lindt und blickte ihm ins Gesicht. Die Kinder kamen erneut und Blaschke schaute ihnen einen Moment lang nach.
„Kennt ihr die Geschichte vom druckfesten Justav?“, fragte Krebsdorf unvermittelt.
„Von wem?“
Krebsdorf nahm einen Schluck Bier und rückte seinen Stuhl zurecht.
„Gustav Krieg aus der 7. Flottille, der druckfeste Justav eben. Ihr kennt die Geschichte nicht? Na, dann passt mal auf. Das ist eine wahre Geschichte. Der 1WO seines Bootes hat sie mir in Saint Nazaire selbst erzählt. Hört gut zu.“
„Was kommt jetzt?“, seufzte Lindt.
„Lass mich erzählen. Das wird dir gefallen. Also, der Gustav ist Obersteuermann auf U 269, schon eine ganze Weile, ein alter Hase noch aus den ersten Tagen der christlichen Seefahrt. Sein Kommandant heißt … “
Krebsdorf stockte, da ihm der Name entfallen war.
„Das ist eine prima Geschichte, Krebsdorf. Kennst du noch eine?“, maulte Blaschke.
Krebsdorf hob beschwichtigend die Hand.
„Wartet, wartet. Es wird mir gleich einfallen. Der Kommandant ist … “
„Uhl“, sagte Lindt.
„ Ja!“, rief Krebsdorf und sah Lindt erstaunt an. „Also kennst du die Geschichte ja doch schon?“
„Nein. Aber ich kenne den Kommandanten von U 269. Er ist ein ehemaliger Verwaltungsoffizier“, antwortete Lindt.
„Na schön, also Gustav ist Obersteuermann bei Uhl auf U 269 und sie stehen irgendwo im Nordatlantik bei stockdüsterer Nacht und ziemlich starkem Seegang. Gustav ist mit seiner Wache auf der Brücke und sie starren sich die Augen aus nach dem bösen Feind und der Seegang wird schließlich so heftig, dass sich alle auf der Brücke einhaken müssen, um nicht einfach weggespült zu werden.“
„Oh Gott, ich weiß, was jetzt kommt!“, rief Blaschke.
„Lässt du mich jetzt die Geschichte erzählen oder willst du vielleicht?“
„Mach weiter, Krebsdorf.“
„Das Wetter wird immer schlimmer, richtig nordatlantisch, und dann entdeckt einer von ihnen den Schatten querab: Zerstörer, wahrscheinlich. Sie geben Alarm, haken sich aus und verschwinden in den Turm. Alle … “ Krebsdorf machte eine Pause, sah die anderen Männer nacheinander an und fuhr fort: „… alle bis auf … richtig, alle bis auf Gustav, denn er kriegt sich einfach nicht ausgehakt, weil sein Karabiner klemmt, und jetzt hängt er mit dem Stahlseil an den Turm gekettet, während das Turmluk schon geschlossen ist und die Straße langsam abschüssig wird, wenn ihr wisst, was ich meine.“
Er lachte kurz, entzündete eine Zigarette, blies den ersten Zug aus und redete weiter: „Der Bug und das Vorderdeck verschwinden im Wasser und jetzt kriegt es Gustav verdammt nochmal mit der Angst zu tun. Der Karabiner sitzt fest wie geschweißt. Die von der hohen Fahrt am Brückenschanzkleid hochgehende Fontäne fällt über Gustav zusammen und durch den Wintergarten läuft schon Wasser in die Brücke und wenn er nicht längst nasse Füße gehabt hätte, dann wäre es jetzt so weit. Er reißt wie wahnsinnig an dem Haken, aber da ist nichts zu machen. Er kriegt sich nicht befreit und geht jetzt im steilen Winkel mit dem Boot auf Tiefe. Eine elementare Erfahrung – mitten in der Nacht.“
Lindt und Blaschke verzogen das Gesicht, als sie sich die Situation vorstellten.
„Was für ein Albtraum“, sagte Lindt.
„Und im Boot ist sein Fehlen nicht bemerkt worden?“, fragte Blaschke.
Wilhelm Krebsdorf trank von seinem Bier und erzählte weiter: „Dazu komme ich gleich. Ihr wisst, wie lange es dauert, ein alarmtauchendes Boot abzufangen. Schon halb bewusstlos versucht Gustav durch Klopfen gegen das Turmluk noch auf sich aufmerksam zu machen. Die Berichte sind sich uneins, ob das Klopfen im Boot gehört werden konnte oder nicht: Einige schwören, sie hätten das Klopfen gehört. Und als Uhl realisiert, dass sein Obersteuermann nicht im Boot ist und obwohl sie mit bloßen Ohren bereits die Schrauben des Zerstörers hören können, lässt er sofort anblasen, um das Boot abzufangen und wieder aufzutauchen. Sie erreichen den Umkehrpunkt erst in fünfundvierzig Meter Tiefe. Gustav bewusstlos in der Brückenwanne – kein Mensch kann das überleben. Die Sekunden strecken sich endlos und dann durchbrechen sie mit AK-Fahrt wieder die Oberfläche, reißen das Luk auf und finden Gustav, der immer noch angehakt in der Brücke liegt. Gemeinsam bekommen sie ihn befreit und verbringen ihn nach unten. Dann gehen sie sofort wieder vor dem Zerstörer in den Keller. Gustav kommt zwar später noch ins Lazarett, aber er soll den Tauchgang ohne bleibenden Schaden überstanden haben! Kaum zu glauben, was? Ein Mirakel, wie es nur die Marine bietet. Gustav müsse in direkter Linie von einem Fisch abstammen, sagt sein 1WO. Und seitdem wird er in der Flottille nur noch der druckfeste Justav genannt.“
„Glück gehabt“, sagte Lindt. „Da hätte leicht das ganze Boot draufgehen können.“
Krebsdorf schaute Blaschke an, dann an Lindt gerichtet: „Wärst du etwa nicht wieder aufgetaucht?“
„Nein, ich wäre nicht wieder aufgetaucht.“
„Wenn du genau gewusst hättest, ein Mitglied deiner Besatzung ersäuft gerade, wärst du nicht wieder aufgetaucht?“
„Mit dem Zerstörer nebenan? Auf keinen Fall.“
„Nicht einmal für mich?“, fragte Krebsdorf.
Die Kinder kamen wieder und stürzten am Tisch der drei Männer vorbei. Ein Junge im Matrosenanzug blieb bei ihnen stehen, direkt neben dem Tisch, und schaute sie neugierig an. Die drei Männer schauten zurück, niemand sagte ein Wort. Dann lachte der Junge und rannte weiter.
„Wir verschwinden jetzt“, sagte Lindt.
Im Jahr zuvor, im Januar 1942, begann der deutsche U-Bootangriff auf die Ostküste der Vereinigten Staaten und Kanadas, kurz darauf auch auf die Ölversorgungsrouten im Golf von Mexiko und in der Karibik.
Der Angriff traf eine unvorbereitete und arglose Zivilschifffahrt in den der Küste vorgelagerten Gewässern und in den Buchten der Großstädte. Einige U-Boote probierten das Eindringen in die Flussmündungen an der Atlantikküste, wo sie die Schifffahrtswege mit Minen zu belegen und Angst und Terror ins Landesinnere zu tragen suchten. Der Befehlshaber der Unterseeboote, Admiral Karl Dönitz, bereitete nach der am 11. Dezember 1941 erfolgten Kriegserklärung Deutschlands an die Vereinigten Staaten in aller Heimlichkeit einen überraschenden Schlag gegen die Feinde in Übersee vor, der ihnen im Laufe von sechs Monaten einen Gesamtverlust von über zwei Millionen Bruttoregistertonnen Handelsschiffsraum zufügen sollte. Fünftausend Menschen blieben mit ihren Schiffen auf See, so sagt man, weil es so friedlich klingt.
Als er von der Kriegserklärung erfuhr, brach der Kommandant von U 123, Kapitänleutnant Reinhard Hardegen, seinen Urlaub im verbündeten Italien ab und meldete sich zurück bei seinem Flottillenchef Viktor Schütze, der ihm zur Begrüßung mitteilte, auf ein Telegramm verzichtet zu haben, da er, so sagte er, gewusst habe, dass Hardegen von allein kommen werde.
Sechs Langstrecken-U-Boote des Typs IX der 2. U-Flottille sollten die erste Angriffswelle bilden. Hardegens U 123 war eines von ihnen. Die anderen fünf Boote waren U 66 unter Richard Zapp, U 109 unter Heinrich Bleichrodt, U 125 unter Heinrich Folkers, U 130 unter Ernst Kals und U 502 unter Jürgen von Rosenstiel. Zwischen dem 18. und dem 23. Dezember verließen sie in aller Stille den französischen Atlantikstützpunkt Lorient in Richtung Westen, mit dem Befehl jeden Feindkontakt zu vermeiden. Bald darauf zwang ein Ölleck U 502 zur Rückkehr und die ohnehin kleine Streitmacht schrumpfte auf fünf Kampfboote zusammen, die unbeirrt ihre Fahrt nach Nordamerika fortsetzten. Das Unternehmen Paukenschlag hatte begonnen.
Weihnachten kam und verging auf See und in der Nacht vom 13. auf den 14. Januar 1942 hatten alle fünf Boote ihre Bestimmungsorte erreicht: U 66 lag östlich von Kap Hatteras, U 125 vor New Jersey, U 130 und U 109 vor der kanadischen Küste und U 123 mit Hardegen vor Long Island in der Bucht von New York.
Als unmöglich wurde die Gefahr eines deutschen U-Bootangriffes eingeschätzt. Außerhalb der Seereichweite der gefürchteten und gehassten, der hinterhältigen und verschlagenen sogenannten Grey Wolves liege New York, sagten die amerikanischen Experten und die Entscheidungsträger teilten ihre Auffassung. Nichts war verdunkelt, im Westen zeichnete sich der Schein der Großstadt am Nachthimmel ab, an der Küste Long Islands waren die Leuchtfeuer gesetzt und entlang der Strandpromenade kroch der endlose Strom der zahllosen Kraftfahrzeuge; Lichter aufgeschnürt wie Perlenketten in gelb und rot.
Den New Yorker Hafen verlassend, steuerte der schwer beladene norwegische Motortanker Norness ostwärts Kurs Nantucket und offener Atlantik.
Der Torpedo, der den Tanker traf, wurde von dessen Besatzung als Minentreffer interpretiert. Die Masten knickten ein und stürzten in die See. In den Notruf hinein, den die Norweger eilig absetzten, traf der zweite Torpedo achtern die Maschinenanlage und besiegelte das Schicksal der Norness. Sie sank nun rasch über das Heck und blieb, den Bug noch über der Wasseroberfläche, im flachen Grund liegen. Die Norness sei wahrscheinlich auf eine eigene Mine gelaufen, spekulierte man im amerikanischen Rundfunk und gab eine Wrackwarnung für den Schiffsverkehr vor Long Island aus. Zwei norwegische Mitglieder der Besatzung verloren ihr Leben.
Die Nacht darauf lief U 123 südlich Long Island weiter nach Westen, Long Beach und die Rockaways passierend, den New Yorker Stadtbezirk Queens Steuerbord querab, in die Lower Bay ein.
Die Leuchttürme brannten, auf Coney Island drehte sich das Riesenrad in bunten Farben und die Bucht war voller Schiffe mit gesetzten Positionslaternen, rot für Backbord, grün für Steuerbord: Passagierdampfer aus aller Welt, große und kleine Tanker, Segelboote, Yachten und Jollen, Schleppkähne, Motorkähne, Walfänger und deren Mutterschiffe, Fischerboote, Fischerkutter, Fischfabrikschiffe, Ausflugsdampfer, Trawler, Tender, Schuten, Schoner und Barkassen, zwei Ozean-Liner, die Oberdecks hell erleuchtet, Postschiffe, Paketfrachter, Kohle- und Chemikalienfrachter, Erzfrachter, Stückgutfrachter, Partydampfer und ein Leichenfährschiff.
Manhattan erstrahlte in der mondlosen Nacht und über das Wasser, in dem sich all die Lichter tausendfach widerspiegelten, drang der Lärm der Straßenbahnen und Autohupen. Zwischen Newark und Long Island brannte jede Lampe, als das große U-Boot über Wasser und mit kleiner Fahrt durch die Bucht lief.
Auf der Brücke standen Hardegen und seine Leute auf der Suche nach Zielen und die gemessene Wassertiefe mit den eigenen Seekarten vergleichend. Für sie war nicht das geringste Anzeichen von Alarmbereitschaft erkennbar, von U-Bootabwehr keine Spur; die wenigen Zerstörer und Korvetten, die sich zeigten, lagen dunkel und verschlafen festgemacht an der Pier. Nach dem Erkunden setzte sich das Boot wieder seewärts ab und versenkte dort den britischen Öltanker Coimbra.
Der gut dreißig Meter hohe Feuerpilz konnte von etlichen Strandhäusern auf Long Island aus beobachtet werden. Erst jetzt wusste man auf amerikanischer Seite Bescheid. Rear Admiral Kalbreus, Befehlshaber der US-Marinebasis in Newport, erklärte der Presse: „Für die Versenkungen der Norness und der Coimbra kann nur ein feindliches U-Boot in Frage kommen“, und eröffnete damit die Jagd.
All das lag über ein Jahr zurück,als die drei Männer dem La Esperanza den Rücken kehrten, um sich auf den Weg zum Great Kills Harbor zu begeben. Es zog ein Nebel durch Oakwood, der das Licht der Straßenlaternen milchig eintrübte und den drei Männern gut gefiel, da er ihnen später auf See eine gute Tarnung verschaffen würde.
Vor ihnen lag die Straße und sie liefen auf ihr in südwestlicher Richtung los. Die Gärten ringsum standen still und leer. In der Ferne tönte das Signalhorn des Staten Island Railway, einer Bahn, die seit 1860 den Norden der Insel mit dem Süden verband.
Einige Menschen liefen noch auf der Straße oder kreuzten sie und verschwanden in Nebenstraßen, die rechtwinklig abzweigten. Am Rand der Tarrytown Avenue standen zwei New Yorker Taxis mit eingeschalteten Scheinwerfern und warteten auf Fahrgäste. Die beiden Fahrer waren ausgestiegen und unterhielten sich rauchend. Die Geschäfte waren längst geschlossen, die Angestellten nach Hause gefahren. Um einige der Bars sammelten sich nun die Menschen wie Schwärme von Motten, die der Quelle des Lichtes zuflogen. Das Bier war billig in diesen Gaststätten und die Amerikaner, besonders die New Yorker, tranken gerne in Gesellschaft und machten sich daraus eine Angewohnheit, die in allen Gesellschaftsschichten vorzufinden war. Zwischen den einzelnen Bars waren die Strecken kurz und der Durst groß und viele Trinker traten erst nach dem Besuch von drei, vier, fünf oder mehr Gaststätten den Heimweg an.
„Ich würde mir jetzt auch einen ansaufen“, sagte Krebsdorf und fügte schnell hinzu: „Aber wir sind hier ja wohl auf Dienstreise. Besoffen ist der Häuserkampf leichter zu ertragen, sagt mein Schwager. Der steht im Osten. Die Russen sind auch alle besoffen, sagt er. Ein Haufen Betrunkener, die aufeinander schießen: So sieht der Überlebenskampf unseres Volkes gegen Stalin aus, sagt zumindest mein Schwager.“
„Und der lebt noch?“, fragte Blaschke.
„Er hat meine Schwester geheiratet. Ein furchtloser Mann. Ob er noch am Leben ist, weiß ich nicht. Weiß denn irgendjemand, was momentan an der Ostfront geschieht?“
„Die Ostfront geht uns nichts an. Es ist jetzt nicht mehr weit“, sagte Lindt.
Die drei Männer durchliefen einige Hinterhöfe, in denen sich Geröll neben überfüllten Mülltonnen zu Schrottbergen angehäuft hatte, die einen kläglichen und finsteren Eindruck abgaben. Halb eingestürzte Wände aus roten Backsteinziegeln türmten sich kniehoch und waren bedeckt von Unrat aller Art. Zerbrochene Rohre, nur noch in Scherben, alte Lampenschirme, von Schimmel überzogen, Konservendosen, aus denen eine braune Flüssigkeit sickerte, lagen auf zerfetzten und aufgeplatzten Sofagarnituren, daneben Fahrräder und Fahrradteile: Felgen, deren Speichen in alle Richtungen abstanden, sternförmig und unwirklich. An ihrem Kabel hing eine Fahrradlampe von der Feuerleiter in luftiger Höhe. Einige Anwohner schauten hinab auf die drei Männer, die sich ihren Weg durch all den Schmutz bahnten. Hundegebell drang aus einer Wohnung im Erdgeschoss. Vereinzelte Rufe. Es roch nach Bier und Küchendunst. In der Dunkelheit stieß Blaschke gegen einen Kinderwagen aus schwarzem Samt.
„Scheiße“, fluchte er halblaut und schob ihn beiseite. Hinter der Ecke versperrte ein Zaun den Ausgang auf die Straße.
„Hier lang“, sagte Lindt und die drei Männer machten kehrt, durchkreuzten den Hof ein weiteres Mal und gelangten in einen Tunnel, der zur Hälfte durch übereinander gestapelte Paletten blockiert war. Nacheinander passierten sie den Durchgang und traten ins Freie. Lindt suchte an der Fassade nach einem Straßenschild und gab, als er fündig geworden war, die neue Richtung an.
Ein Autobus fuhr an den drei Männern vorbei und bog an der nächsten Kreuzung ab. Seine Innenbeleuchtung zeigte Arbeiter, die nach der Schicht in der Wasseraufbereitungsanlage nach Hause fuhren. Einige schauten aus dem Fenster. Das Rücklicht des Busses verschwand im Nebel, als er die Grayson Street nordwärts nehmend beschleunigte. Schon bald war er außer Hörweite.
Die drei Männer liefen in die entgegengesetzte Richtung, vorbei an geschlossenen Geschäften und abgestellten Fahrzeugen, die in langen Reihen unter den Laternen am Rand der Straße parkten. In der Ferne formten sich im Dunst gegen den helleren Nachthimmel die Konturen hoher Laubbäume, zunächst als breite Fläche, sich bald auflösend und schließlich einzeln unterscheidbar. Der Great Kills Park.
Ein grünes Schild mit dem Namenszug stand am Ende der Grayson Street. Daneben war ein weiteres Schild in den Boden gerammt. Under construction. Zu Füßen der Schilder lagen Bierdosen. Es wirkte wie die Einladung zu einem Gelage, das längst stattgefunden hatte. Die Dunkelheit empfing die drei Männer, als sie den Parkweg betraten, und nach kurzer Strecke schon wurden die vom Straßenlicht erzeugten Schatten der Eichen und Ahornbäume unregelmäßig, bevor sie schwanden und schließlich mit der Finsternis verschmolzen. Ihre eigenen Schatten sahen die drei Männer auf dieselbe Weise zerfallen. Zum ersten Mal an jenem Tage hörten sie das Geräusch der eigenen Schritte. Es schien ihnen unendlich laut zu sein. Die drei Männer sahen eine leere Bank, die am Wegrand aus dem Nebel auftauchte. Dahinter ragten dicht beieinander Bäume in die Höhe und wuchsen sich rasch aus zu einem Wald.
Blaschke starrte in die Düsternis auf der gegenüberliegenden Seite des Weges. Dort irgendwo war der Strand, dahinter der Ozean. Zu Füßen der Bäume wuchsen Farnpflanzen und verbargen einige Gesteinsbrocken, die von Moos bedeckt waren. Die Luft veränderte sich. Sie wurde spürbar feuchter. Im Gras jenseits des Weges musste es größere Pfützen und morastige Stellen geben. Pilzgeruch kroch den drei Männern in die Nase und verzog sich wieder wie ein lebendiges Wesen, dem man auf die Schliche gekommen war, und aus den Tiefen des Parks drangen die Schreie der Vögel.
Die Dunkelheit zwang die drei Männer zu einem langsamen Schritt. Manchmal kam der Pilzgeruch zurück, dann blieb er fort. Es erinnerte sie an die Nachtmärsche während der Marinegrundausbildung. Auch damals waren sie bei Dunkelheit durch die Wälder hinter den Dünen gelaufen, stundenlang, mit schwerem Gepäck beladen und oftmals viele Kilometer weit bis zum ersten Licht des Tages. Das war das Signal zur Umkehr, und nach einer zu kurzen Rast ging es die ganze Strecke zurück, bis der Zug völlig entkräftet gegen Mittag wieder das Kasernengelände erreichte und noch eine Stunde lang im Hof und bei voller Sonne die Ausrüstung instand zu setzen hatte. Einige Männer waren nicht mehr ansprechbar, als sie endlich schlafen gehen durften. Die Marineschleifsteine waren dafür bekannt, sich im Umgang mit den Rekruten selten von der mütterlichen Seite zu zeigen. Die weiten Märsche gehörten über Wochen zum Alltag für die jungen Männer. Bloß waren es Nachtmärsche zu Friedenszeiten und in der Heimat gewesen und das hier war anders.
„Stimmt das“, fragte Krebsdorf, „dass die uns hängen können, wenn sie uns damit erwischen?“
Er deutete auf den Beutel, der noch immer an seinem Platz an der Seite Erich Lindts hing.
„Ja“, antwortete Lindt.
Krebsdorf fischte eine Zigarette aus der Schachtel in seiner Brusttasche.
„Wären wir keine Kriegsgefangenen? Kriegsgefangene haben doch Rechte“, sagte er.
„Wir sind im Moment keine Soldaten, sondern Spione, Krebsdorf. Und Spione werden in aller Regel gehängt oder erschossen. Unsere machen es nicht anders.“
„Also dieses Mal besser nicht erwischen lassen.“
Lindt antwortete nicht. Der Nebel schien sich wieder aufzulösen oder ihre Augen gewöhnten sich an die im Park herrschende Dunkelheit. Durch die Baumkronen leuchteten fahl einige Sterne.
„Ich habe mit Gott eine Vereinbarung getroffen“, sagte Krebsdorf. „Ich tue alles, was er von mir verlangt, und dafür überlebe ich den Krieg.“
„Du wirst den Krieg überleben. Wer möchte schon sein Gewissen damit belasten, deine zarte Seele ausgelöscht zu haben“, sagte Lindt.
„Wir … “
„Seid mal still mit eurem Heldengequatsche“, unterbrach sie Blaschke. „Ich glaube, da vorne ist jemand.“
In einiger Ferne bewegte sich zwischen den Bäumen eine kleinwüchsige Gestalt. Leicht gebückt lief sie im dunklen Nebel abseits des Weges durch die Wiese, dabei war sie sehr langsam und änderte oft die Richtung ihres Laufweges. Beim Näherkommen sahen die drei Männer, dass es sich um eine alte Frau handelte. Ein grauer Umhang kleidete sie bis über die Knie und auch der Umhang schien wie die Frau selbst schon sehr alt zu sein. Ihr Gehen war vielmehr ein mühsames Hinken, bei dem sie mit einem Ruck das rechte Bein vorschnellte, um dann langsam und schwerfällig das andere nachzuziehen. Ihr Umhang war schmutzig und nass. Als die Männer näherkamen, blickte die alte Frau kurz auf und sah zu ihnen. Ihr Blick war ohne Ausdruck. Daraufhin lief sie, nach einer vorsichtigen Wende, ohne sich erkennbar durch die drei Männer gestört zu fühlen, in eine große Pfütze inmitten der Wiese hinein.
Die drei Männer standen am Weg und beobachteten ihr Treiben.
„Sie muss verrückt geworden sein“, sagte Blaschke.
Die Alte drehte sich über ihre Schulter und warf den drei Männern einen Blick zu, der nicht gleichgültiger hätte sein können. Sie hob einen Arm aus ihrem Mantel und winkte mit der Hand ab, so als wären die drei Männer nur ihre Einbildung gewesen und keiner weiteren Beachtung würdig. Als würde sie einen dummen Vorschlag abtun oder einen Witz, der auf ihre Kosten ging, aber ihr nicht weiter wehtat. Sie tat sie ab wie eine Erinnerung an eine Begebenheit, bei der man sich lächerlich gemacht hatte, die aber schon lange zurücklag und nun weder Scham noch Ängste hervorzurufen vermochte und längst überwunden war. Die alte Frau drehte sich, ohne ein Wort zu sagen, dem Ausgang des Parks zu und setzte dann, den rechten vorschnellend, den linken nachziehend, einen Fuß vor den anderen, bis sie aus der Pfütze heraustrat, ihren Kopf noch einmal nach den drei Männern wandte und schließlich gebückt und langsam weiterzog.
Krebsdorf schaute ihr nach.
„Nur ein Gespenst“, sagte Lindt, verdrehte die Augen und wollte weitergehen. Krebsdorf schüttelte den Kopf und schloss sich seinem Kommandanten an.
„New York, New York“, sagte Blaschke.
Der Name Great Kills stammte aus dem Niederländischen und hatte wenig mit der gewalttätigen Bedeutung zu tun, die das Wort Kills im Englischen innehatte. Er war stattdessen zurückzuführen auf die Zeiten der holländischen Stadtgründer New Yorks, als der Ort noch Nieuw Amsterdam hieß. Als Kills bezeichnete man die kleinen Flussläufe, die den Stadtteil durchzogen und dessen Charakter prägten. Die meisten dieser Flussläufe waren mittlerweile trockengelegt und statt Kähnen sorgten Autos für den Transport im Stadtteil. Gegen Mitternacht erreichten die drei Männer seinen Hafen.
Der Nebel hatte sich weiter aufgelöst und die Begrenzungen der Hafenbucht waren gegen die Wasseroberfläche deutlich zu erkennen und umschlossen ein Oval von etwa tausend Metern Durchmesser.
Das Wasser war nicht tief, elf Fuß in der Mitte der Bucht und nur sechs Fuß im Zugangskanal. Bei Niedrigwasser ging die Tiefe bis auf ein Drittel Fuß zurück.
Die drei Männer schauten auf das gegenüberliegende Nordufer mit seinen Steganlagen und den Gebäuden, die sich im Besitz der Marinas befanden: Bootshäuser, Lagerschuppen, der Yachtclub. Alle standen im Dunkeln. Auf der Nordseite des Hafenbeckens ankerten hunderte Boote und kleine Schiffe, deren Masten sich in der leichten Dünung bewegten. Die meisten Boote lagen festgemacht an der Pier, einige andere ankerten weiter draußen auf dem Wasser. Fast alle waren sie düster und verlassen und nur auf wenigen brannte zu dieser Stunde ein Licht.
Von einem kleinen Schoner in der Mitte der Bucht drangen die Rufe der auf dem Schiff noch arbeitenden Besatzung über das Wasser und im Scheinwerferlicht liefen Männer an Deck umher. Sie beluden das Beiboot, das an seinen beiden Fierhaken bereits neben dem Schoner über der Wasserfläche in der Luft hing. Im Beiboot stand ein Mann und streckte beide Arme nach Gegenständen aus, die ihm die anderen Besatzungsmitglieder herunter reichten. Von der Westseite legte still ein Fischerboot ab und steuerte die grüne Boje der Hafenausfahrt an.
Die drei Männer gingen schweigend auf der Straße, die sich zwischen dem Great Kills Harbor und der Lower Bay über eine schmale Landenge zwang. Der Strand zur linken Seite der Straße war kahl und menschenleer, ein leichter Seegang trieb die Wellen auf den Sand und ließ sie dort zwischen den Steinen verrinnen, und über das Wasser hinweg konnte man in der Ferne einige wenige Lichter New Jerseys ausmachen. Auch dort war die Küste verdunkelt worden.
Der Hafenteil, dem sie sich näherten, war kleiner als jener auf der Nordseite der Bucht. Die Gebäude standen eng am Wasser: eine Lagerhalle mit Wellblechdach und daneben das Büro des Hafenmeisters, das der offenen See zugewandt war und aus dem gelber Lichtschein drang. Vor der Tür war an einem weißen Mast das amerikanische Sternenbanner gehisst und daneben lagen in mehreren Reihen hintereinander die Boote. Über sie hinwegspringend hätte man leicht trockenen Fußes von einem Ende der Steganlage zum anderen gelangen können; so dicht beieinander waren sie vertäut.
Einige Schaluppen und Jollen lagen mit gestrichenen Segeln längs der hölzernen Pier. Die weißen Körper der Boote leuchteten fahl und wenn die leichten Wellen ihren Rumpf trafen, gaben sie glucksende Geräusche von sich. Am Ende des Stegs in der Dunkelheit waren mehrere große Kisten neben einem Frischwassertank aufgestapelt.
„Unser Boot muss weiter hinten liegen“, sagte Lindt.
Von den Schaluppen und Jollen ging eine seltsame Anziehungskraft und Verlockung aus. Wie sie da finster an der Mole lagen, boten sie Aussicht auf Rettung und waren eine Möglichkeit der Flucht aus der Stadt. Ihre umgelegten Masten schienen den drei Männern eine helfende Hand reichen zu wollen. Doch die Täuschung hielt nicht lange an. Mit lautem Schlag wurde auf einer Schaluppe das Fensterluk geschlossen.
„Und wenn wir sie nicht finden?“, fragte Krebsdorf leise.
„Wir finden sie schon“, sagte Lindt.
Es folgten zwei weitere Reihen mit Schaluppen und Barkassen; auf einigen von ihnen waren Seeleute zugange. Sie verluden Material und Proviant und ein Hafenarbeiter kam auf der Straße mit einer Schubkarre voller Salz in Säcken gelaufen. Er grüßte die drei Männer wortlos und sie nickten ihm zu. Im Weitergehen stiegen sie über ein Tau, das den Weg querte und sich dann zwischen einer niedrigen Mauer und dem Gesträuch verlor. Sie näherten sich jetzt dem Büro des Hafenmeisters in der Mitte der Anlage. Er saß in dem hölzernen Bau an seinem Schreibtisch, auf dem ein Telefon und eine Lampe standen. Durch die großen Fenster konnten die drei Männer ihn gut in dem hell erleuchteten Raum erkennen. Er beugte sich über einen Stapel Papiere und schien in eine Arbeit vertieft zu sein. Hinter ihm an der Wand hing eine Hafenkarte und darüber ein präparierter Marlin, der ein starres Auge auf den Hafenmeister warf.
In der Ecke hauste eine knochige Zimmerpflanze, die sich an die Wände schmiegte wie ein Bild auf der Flucht in das Erdreich des Topfes hinein. Daneben die Schrankkommode und ein Radiogerät. Die Tür zum Büro stand offen und die drei Männer konnten den Song hören, der im Radio lief. Der Hafenmeister schaute einmal kurz und nachlässig auf, als sie an seinem Büro vorüber gingen.
Die Straße führte sie weiter zu einem Parkplatz vor der Anlegestelle im hinteren Teil des Hafens, auf dem Autos, Lastwagen und einige Boote auf ihren Trailern abgestellt waren. Daneben ankerten die Fischereikähne und die Yachten. Die Mole war an dieser Stelle für die größeren Fahrzeuge verstärkt und erweitert. Ein Abschnitt des Ufers war mit Beton ausgebaut und mit dicken Pollern aus Stahl in regelmäßigen Abständen versehen worden. Irgendwo in der Dunkelheit sprang dröhnend der Diesel eines Kutters an und lief mit gleichmäßigem Rumpeln warm. Dazwischen der kurze Zuruf eines Seemanns an den anderen, Scharren und schlagende Kisten. In diesen Bereich des Hafens war auch zu später Nachtstunde noch keine Ruhe eingekehrt. Die drei Männer liefen eine lange Reihe von Tendern, Trawlern und Kuttern ab.
„Sie hat einen weißen Streifen unter der Reling“, sagte Lindt. „Und einen grün gepönten Aufbau.“
„Dort drüben ist sie“, sagte Krebsdorf, als hätte er nur darauf gewartet, es aussprechen zu dürfen. Er deutete mit dem Kopf zur benachbarten Stegreihe, an der eingeklemmt zwischen zwei Sport-Yachten ein kleiner Trawler festgemacht war. An Deck einer der Yachten rauchte ein Seemann eine Zigarette und den schwarzen Rumpf des Trawlers zierte ein weißer Streifen dicht unter der Reling über die gesamte Länge des Bootes hinweg.
Die drei Männer machten kehrt, ohne den Seemann zu beachten, der ihr Wendemanöver mit einigem Interesse von seiner Yacht aus verfolgt hatte. In der benachbarten Stegreihe war die Beegle nicht das einzige Boot ihrer Art. Hier lagen neben den beiden Yachten, die sie einfassten, auch etliche andere Fischereiboote. Ihre plumpen Formen ließen sie neben den Sportbooten wie Enten neben Schwänen aussehen. Als die drei Männer endlich vor ihr standen, lasen sie am Rumpf den Namenszug der Beegle ab. Das seltsame Wort war mit schwarzen Buchstaben auf den weißen Streifen unterhalb der Heckreling gepinselt worden.
Sie war kein neues Boot mehr. Die hinterlassenen Spuren zahlreicher atlantischer Stürme zeugten von einer langen Zeit als Trawler in den Hochseefangflotten und ihren Rumpf schmückten mehrere Schweißnähte und Unregelmäßigkeiten, die darauf hindeuteten, dass er schon oft hatte ausgebessert werden müssen, und die rostigen Bahnen, die aus dem Ankerlug hervor liefen, verrieten, dass dort eine Ausbesserung bald notwendig wurde. Die Schleppnetzvorrichtung war demontiert worden und so fristete nun das Boot ein Dasein, welches seiner ursprünglichen Aufgabe entledigt war. Das Augenscheinliche am Anblick der Beegle war jedoch der grüne Anstrich ihrer Brückenaufbauten, der sie im Halblicht noch mehr wie eine Ente zwischen Schwänen aussehen ließ.
„Grün ist die Farbe der Hoffnung“, sagte Blaschke.
„Sie sieht aus, als hätte sie jemand mit Fröschen beworfen“, antwortete Krebsdorf.
Erich Lindt war der Erste, der über das Heck den Trawler betrat. Blaschke und Krebsdorf kletterten ihm nach und sahen Lindt gerade noch in dem kleinen Brückenhäuschen am Bug verschwinden.
An Deck war es unaufgeräumt. Die Planken aus dunklem Holz waren alt und abgenutzt und darauf lagen zwei gelbe Rettungswesten unter den verrottenden Rückständen eines alten Fangnetzes begraben. Leinen lagen aufgeschossen in der Quere und über die gesamte Länge des Decks bis zur Brücke, in der Lindt verschwunden war, waren alte Kleidungsstücke verteilt. Schwarze und grüne Watthosen, gammlige Südwester, Fischermäntel mit ausgebreiteten Ärmeln und löchrigen Kapuzen. Herumliegende Stiefel, Mützen, Handschuhe. Die Ladeluke war abgedeckt und neben der Tür zur Brücke war ein Bootshaken in einem Ring befestigt. Die Tür flog auf und heraus kam Lindt, einen Trinkwasserkanister in der Hand.
„Der Schlüssel ist da“, sagte er und stellte den Kanister auf dem Boden ab.
„Ist die Luke offen?“, fragte er und überzeugte sich selbst davon, noch bevor die beiden anderen Männer antworten konnten. Mit schneller Hand entfernte er die Abdeckplane und probierte den Griff. Sie war offen. Nach einem Blick in die Finsternis des Laderaumes wandte er sich wieder an seine Begleiter: „Krebsdorf, du stellst fest, wie viel Treiböl an Bord ist, und räumst diesen Mist hier weg.“
Er deutete mit der Hand auf den an Deck verteilten Krempel.
„Wir müssen uns hier bewegen können. Bring alles unter Deck und sieh nach, ob Waffen an Bord sind.“
Dann wandte er sich an Blaschke: „Wir brauchen Wasser, Otto. Nimm den Kanister und geh zurück zum ersten Steg. Dort habe ich einen Wassertank gesehen. Spüle den Kanister einmal ordentlich aus, bevor du ihn auffüllst. Wir werden auch so schon die Scheißerei kriegen. Sprich mit niemandem und beeile dich. Los, geh!“
Blaschke griff sich, ohne weitere Fragen zu stellen, den Kanister und sprang aus der vor Blicken geschützten Enge des Trawlers zwischen den beiden Yachten zurück auf den Steg. Gleich darauf war er verschwunden. Krebsdorf und Lindt sahen einander an, dann begannen sie gemeinsam das Deck klarzumachen.
Zum Glück haben wir etwas gegessen, dachte Blaschke. Essen sei das Wichtigste, sagte er sich. Alles andere werde sich schon ergeben. Der helle Wahnsinn, dachte er und spürte die Müdigkeit in seinen Beinen und in seinem Kopf. Sie waren den ganzen Tag durch New York gelaufen. Mitten im Krieg. Sie waren umringt von Feinden und hatten gegessen, getrunken und gelacht. Der helle Wahnsinn. Er wechselte den Kanister von einer Hand in die andere und griff sich an die Stirn. Sie war kühl und trocken und sein Herz und sein Atem gingen gleichmäßig und ruhig. Er lief an den Hecks der Boote entlang den Weg zurück. Niemand begegnete ihm. Fast wäre er im Dunkeln mit dem Kanister gegen einen Poller geschlagen, als er plötzlich Stimmen hören konnte. Sie klangen warm und freundlich, auch wenn er kein Wort verstand.
Für einen Moment konnte er durch die Dunkelheit aufs offene Meer hinaussehen. Vielleicht war es Einbildung, aber er meinte, in der Ferne die Trennlinie der Kimm ausmachen zu können, den Bereich, wo eine Finsternis in die noch größere Finsternis überging. Welle auf Welle schob sich von dort aus gen Land und wurde auf den Strand gespült, wo sie zu Schaum verlief. Die See war sehr still in dieser Nacht.
Vor zwanzig Tagen noch war er Zeuge eines Luftangriffs auf Berlin geworden, war um sein Leben gerannt, panisch geflohen vor den spät gemeldeten Fliegern, hinab in den Keller, hatte dort einige schwere Stunden verbracht, eingepfercht mit hundert anderen Geflohenen, war mit dem ersten Tageslicht wieder über die Erde gekrochen und seiner Wege gegangen, war mit dem Zug durch das halbe Reich und ganz Frankreich gefahren, war dort in ein U-Boot gestiegen und war jetzt hier, an einem Strand in New York.
Der Luftangriff war schlimm gewesen. Es hatte Tote gegeben. Er hatte keinen gesehen, aber er hatte davon gehört. Am Mittagstisch mit den Eltern wurde nicht viel gesprochen. Es war die letzte gemeinsame Mahlzeit, bevor der Fronturlaub endete und er mit der Tram zum Bahnhof fuhr. Die Gleise führten bereits über weite Strecken an zerstörten Gebäuden, Schuttbergen und Fassadenresten entlang.
Seine Mutter hatte geweint, es war ein grauenhafter Abschied gewesen. Dann die ewig lange Zugfahrt im voll besetzten Abteil. Er hatte aus dem Fenster gesehen und an seine weinende Mutter gedacht, während der Zug das Land durchquert hatte, bis die Nacht einbrach und er unterm Rütteln und Holpern der Bahn einschlief. Als er am Abend des nächsten Tages in Brest eintraf, war der Zug nur noch halb gefüllt und die, die noch in den Waggons saßen, waren zurückkehrende U-Bootmänner wie er.
In dem Berliner Keller, als die Erde gebebt und die Wände gezittert hatten, hatte er neben einer Frau, die so alt war wie seine Mutter, auf das Ende gewartet.
„Ich habe noch nie einen Luftangriff mitgemacht“, hatte sie zu ihm gesagt, als die erste Welle abgeflogen war und sie gedacht hatte, es wäre vorbei.
„Ich auch nicht“, hatte er ihr geantwortet. Fünf Minuten später warf sie sich voll Angst an ihn und er hielt sie so gut es ging fest, während um sie die Hölle losbrach und alles drohte im Lärm zerfetzt zu werden und eine gewaltige Hand den Keller mit allen darin befindlichen Menschen durchschüttelte und Blaschke die Frau stärker fasste, nicht, um sie aus einem Instinkt heraus zu schützen, wie er sich später eingestehen musste, sondern um selbst an irgendetwas Halt zu finden. Vor seinem Auge wechselte das Licht zwischen schwarz und weiß und er sah, dass die Frau in seinem Arm schrie, aber er hörte es nicht und er war sich vollkommen sicher, dass er hier in der Heimat, in Berlin, mit einer fremden Frau im Arm würde sterben müssen. Doch es kam nicht so. Nach dem Angriff gaben sie sich die Hand und sie gingen wieder in ihr Leben zurück.