Der Russische Fürst - Sandra Ervik - E-Book

Der Russische Fürst E-Book

Sandra Ervik

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Beschreibung

Ein fesselnder Liebesroman in kriegerischen Zeiten des 19. Jahrhunderts. Preußen 1813, nach Napoleons Niederlage in Russland hat sich Preußen mit dem russischen Kaiserreich verbündet und Frankreich den Krieg erklärt. Anna von Bülow, eine aufgeschlossene preußische Adlige, folgt ihrer Schwester nach St. Petersburg, als diese einen russischen Grafen heiraten soll. Noch vor ihrer Abreise begegnet sie einem Mann, in den sie sich unsterblich verliebt. Aber ausgerechnet dieser Mann hat der Liebe abgeschworen und weist sie zurück. Gregori Obolensky, Oberst der russischen Kavallerie und Erbe eines Fürstentums, sieht der Heirat mit der von seiner Mutter auserwählten Braut gelassen entgegen. Romantisches Werben und Liebesschwüre sind nichts für ihn, und ungestüme Frauen wie Anna von Bülow schon gar nicht. Auch, wenn er den Schmerz und die Scham über seine Zurückweisung überdeutlich in ihrem schönen Gesicht sehen konnte. Es war das einzig Richtige, die aufkommenden Gefühle sofort im Keim zu ersticken. Sowohl seine, als auch ihre. Gregori kann sich jedoch bald den immer stärker werdenden Gefühlen nicht länger verwehren – und dem Zauber des russischen Sommers. Doch in Europa tobt immer noch ein Befreiungskrieg. Die alliierten Truppen haben sich zur Aufgabe gemacht, Napoleon für immer aus Europa zu vertreiben. Wird es eine gemeinsame Zukunft für Gregori und Anna geben...

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Kapitel 1 – Der russische Fürst
Kapitel 2 – Das preußische Mädchen
Kapitel 3 – Der Reisetross
Kapitel 4 – St. Petersburg
Kapitel 5 – Russischer Sommer
Kapitel 6 – Die Schlacht
Kapitel 7 – Tante Augusta
Kapitel 8 – Der russische Erbe

 

 

 

 

 

 

Der Russische Fürst

 

 

Sandra Ervik

 

 

 

Buchbeschreibung

 

Ein fesselnder Liebesroman in kriegerischen Zeiten des 19. Jahrhunderts.

 

Preußen 1813, nach Napoleons Niederlage in Russland hat sich Preußen mit dem russischen Kaiserreich verbündet und Frankreich den Krieg erklärt. Anna von Bülow, eine aufgeschlossene preußische Adlige, folgt ihrer Schwester nach St. Petersburg, als diese einen russischen Grafen heiraten soll. Noch vor ihrer Abreise begegnet sie einem Mann, in den sie sich unsterblich verliebt. Aber ausgerechnet dieser Mann hat der Liebe abgeschworen und weist sie zurück.

 

Gregori Obolensky, Oberst der russischen Kavallerie und Erbe eines Fürstentums, sieht der Heirat mit der von seiner Mutter auserwählten Braut gelassen entgegen. Romantisches Werben und Liebesschwüre sind nichts für ihn, und ungestüme Frauen wie Anna von Bülow schon gar nicht. Auch, wenn er den Schmerz und die Scham über seine Zurückweisung überdeutlich in ihrem schönen Gesicht sehen konnte. So war es das einzig Richtige, die aufkommenden Gefühle sofort im Keim zu ersticken. Sowohl seine, als auch ihre.

 

Gregori kann sich jedoch bald den immer stärker werdenden Gefühlen nicht länger verwehren – und dem Zauber des russischen Sommers.

 

Doch in Europa tobt immer noch ein Befreiungskrieg. Die alliierten Truppen haben sich zur Aufgabe gemacht, Napoleon für immer aus Europa zu vertreiben.

 

Wird es eine gemeinsame Zukunft für Gregori und Anna geben...

 

 

 

 

 

Über den Autor

 

Eine Liebesgeschichte zu schreiben, wie unsere Autorin ihn sich selbst wünschte zu lesen, war die Motivation hinter ihrem Debütroman „Der sture Monarch“. Die wunderbare Welt des Schreibens, die sich ihr damit eröffnete, hält sie seitdem gefangen. Freuen Sie sich auf viele weitere neue historische Liebesromane, die Sie in verschiedene Epochen unserer Geschichte entführen werden.

 

Was gibt es sonst über unsere Autorin zu wissen? Geboren ist sie im Sommer 1977 und aufgewachsen in einer Hansestadt an der schönen Ostseeküste. Nach einigen Umzügen und einem Auslandsaufenthalt in Australien verschlug es unsere Autorin nach Norwegen. Dort lebt sie bis heute mit ihrer Familie und einem schwarzen Goldendoodle.

 

 

 

 

 

 

Der Russische Fürst

 

Ein historischer Liebesroman

 

Sandra Ervik

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Auflage, veröffentlicht 2025.

© Sandra Ervik – alle Rechte vorbehalten.

 

 

Adresse:

Sjarkveien 9, 4374 Egersund, Norwegen

E-Mail: [email protected]

Telefon: +47 413 52 924

 

 

Anmerkungen:

Dies ist eine frei erfundene Geschichte. Diverse Namen und Personen sind das Produkt der Fantasie der Autorin und werden entsprechend verwendet. Einige historische Fakten sind nicht belegt oder passen zeitlich nicht genau.

 

Kapitel 1 – Der russische Fürst

 

Russland, auf dem Weg nach Moskau,

September 1812

 

Fürst Gregori Petrowitsch Obolensky ritt auf seinem schwarzen Hengst, hinter sich seine Kavallerie, die aus hundert Soldaten bestand.

Gregori zog die kühle Luft ein. Der russische Herbst kam früh dieses Jahr. Und er war kalt. Der dichte Wald, den sie auf einem schmalen Weg durchquerten, stand in seiner vollsten Farbpracht vor ihnen.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie einer seiner Reiter zu ihm vorrückte.

„Was denkst Du, Gregori, werden Napoleon und seine Armee uns vor Borodino einholen?“

Er schaute zu Oberstleutnant Konstantin Gorlenkov, der einen Rang unter ihm war. Gorlenkov war nicht nur einer seiner besten Soldaten, sondern auch sein Freund.

„Ich denke nicht. Sie haben Polen verlassen und durchqueren jetzt erst Litauen. Napoleon wird schnell merken, dass er nicht in der Lage sein wird, seine große Armee im Feld zu ernähren. Das Land dort ist unfruchtbar und die Nahrungssuche wird schwierig werden. Wenn sie die Stadt Vilnius erreichen, werden sie zudem auf leere Vorratskammern stoßen. Denn dort haben unsere Truppen schon alles geplündert. Die Versorgungslage der französischen Armee wird sich auf ihrem Weitermarsch immer mehr verschlechtern und die Versorgungslinien werden mit den Gewaltmärschen seiner Korps nicht mithalten. Die Nachhutformationen werden die schlimmsten Entbehrungen erleiden. Unser Oberbefehlshaber General Michail Kutusow weiß, wie man die Franzosen zermürbt.“

Konstantin Gorlenkov schniefte: „Das hätte sich dieser Franzose vorher überlegen sollen. Bevor er die Memel überquerte und mit seiner Grande Armée in Russland einfiel.“

Gregori schaute zu Konstantin, der gelassen auf seinem braunen Hengst neben ihm ritt, die Zügel in nur einer Hand haltend.

„Ich muss zugeben, es war ein strategisch gut durchdachter Plan von Napoleon, den Fluss über Pontonbrücken zu überqueren. Wir dürfen ihn auf keinen Fall unterschätzen.“

Konstantin lachte bitter auf.

„Wie könnte ich? Bald werden 150.000 Russen einem französischen Heer von 450.000 Männern gegenüberstehen.“

Gregori schnalzte mit der Zunge.

„Nicht doch, das werden wir zu verhindern wissen. Napoleon wird niemals seine gesamte Armee an einem Ort versammeln können. Das lassen die Fußmärsche mit den Versorgungswagen gar nicht zu. Wenn wir ihm immer einen Schritt voraus sind und die kleinen Divisionen seiner Truppen angreifen, dann haben wir eine Chance gegen ihn. Zumal die russische Armee die besseren Ortskenntnisse hat. Väterchen Frost ist nicht mehr in weiter Ferne. Dem sind die Franzosen nicht gewachsen. Spätestens vor Wintereinbruch werden sie den Rückzug antreten.“

Gregori klopfte seinem Hengst auf den Hals, bevor er fortfuhr.

„Und außerdem hast Du vergessen, dass wir ebenfalls 15.000 Kosaken hinter uns haben. Die besten Reiter, die es in Russland gibt.“

„Die Kosaken sind wahrhaftig nicht zu unterschätzen. Sie sind nicht nur gute Reiter, sondern sie sind mutige und schlaue Kämpfer“, sagte Konstantin.

Gregori nickte zustimmend, dann fuhr er fort.

„In drei Tagen werden wir Borodino erreichen. Der letzte Ort vor Moskau. Dort werden wir uns mit den Truppen verschanzen. Unsere einzige Chance, diese Invasion noch vor Moskau abzuwenden, ist, sie in Borodino abzufangen.“

Gregori streckte sich und kratzte sich seine Bartstoppeln.

„Ich freue mich, mal wieder in einem warmen, sauberen Bett zu schlafen und eine Rasur wäre auch nicht schlecht“, bemerkte er.

„Ich kann kaum erwarten, mal wieder einen weichen Frauenkörper unter mir zu spüren“, erwiderte Konstantin mit einem Schmunzeln im Gesicht.

„Du solltest heiraten, dann hättest Du immer ein Weib an deiner Seite, das dir dein Bett wärmt“, erwiderte Gregori.

Er kannte Konstantin, seit sie gemeinsam als junge Kadetten die Militärschule in St. Petersburg besuchten. Gregori, der Sprössling eines Fürsten und Konstantin der eines alten russischen Grafengeschlechts. Die Ausbildung war hart und entbehrungsreich. Aber es sollte ihr Schaden nicht sein. Gregori hatte es weit gebracht, er war seit sieben Jahren Oberst, hatte sein eigenes Regiment.

Er musterte seinen Freund von der Seite. Konstantin war zu einem stattlichen Russen herangewachsen, der nur so vor Kraft strotzte. Sein kantiges Gesicht und seine bernsteinfarbenen Augen hatten bisher jedes Frauenherz höherschlagen lassen. Denn zu seinem guten Aussehen kam seine lebhafte und herzliche Ausstrahlung hinzu. Egal, auf welchen Festlichkeiten sie gemeinsam erschienen, er versprühte seinen Charme, während Gregori sich still zurückzog und das bunte Treiben um sich herum aus der Ferne betrachtete.

„Das werde ich, Gregori. Meine Mutter hat mir eine Liste mit Kandidatinnen zukommen lassen. Es sind einige Damen dabei, die mir gefallen könnten. Aber trotzdem denke ich, dass Du vor mir heiraten wirst, mein lieber Gregori. Ich habe gehört, deine Mutter hat eine passende Braut für dich gefunden.“

Gregori zuckte nur mit den Schultern.

„Das mag sein. Ich habe es dennoch nicht eilig, zu heiraten. Allerdings kann ich meine Mutter nicht länger vertrösten und werde mir die Dame anschauen, die sie für mich ausgesucht hat. Wenn sie mir gefällt, werde ich sie zur Frau nehmen. Eine arrangierte Ehe hat für mich mehr Vorteile als Nachteile. Der größte davon ist, dass ich mir das Werben um eine Frau erspare.“

Konstantin schüttelte den Kopf.

„Gregori, Du bist der unromantischste Mann, der mir je begegnet ist. Du bist ein hoffnungsloser Fall. Die Frau, die es vermag, dein Blut in Wallung zubringen, muss wohl erst noch geboren werden.“

„Ich mache mir nichts aus Romantik. Aber die Frau an meiner Seite wird ein Leben im Wohlstand haben, ihr wird es an nichts fehlen. Während ich meine militärische Laufbahn weiterverfolgen werde, wird sie meinen Erben großziehen.“

„Nun, dafür musst Du ihn jedoch erst einmal zeugen.“

Gregori zog entrüstet die Augenbrauen hoch.

„Du zweifelst an meiner Manneskraft? Ich versichere dir, sie ist bei bester Verfassung.“

Konstantin lachte.

„Ich zweifle keineswegs. Du scheinst sogar die reifen Frauen beglücken zu können, wenn ich mich an deine letzte Liebschaft erinnere.“

„Ganz richtig. Mit unschuldigen jungen Mädchen kann ich nichts anfangen. Denen geht es nur um ausschweifende Liebesschwüre.“

„Ich wünschte, Du würdest dich einmal so richtig verlieben, Gregori.“

„Liebe ist nichts für Soldaten. Solche Gefühle lassen dich schwach werden und machen dich verwundbar. Ich muss meinen Kopf frei haben, wenn ich auf dem Schlachtfeld bin.“

„Ich weiß, warum Du dein Herz verschlossen hältst. Du denkst, Du bist es nicht wert, geliebt zu werden. Dein Vater hat es dir, seit Du ein kleiner Junge warst, mit einem Ledergürtel eingetrichtert. Du riskierst dein Leben in Schlachten und sammelst Orden, um dir selbst zu beweisen, dass er unrecht hatte.“

Gregori nahm einen tiefen Atemzug. Wie immer, wenn es um seinen Vater ging, spürte er die Enge in seiner Brust.

„Vielleicht ist es so, wie Du sagst. Aber mir geht es jetzt gut und ich will, dass es so bleibt. Ich habe lange unter der Tyrannei meines Vaters gelitten, Konstantin. Ich bin froh, dass meine Mutter und ich nun endlich Ruhe vor ihm haben.“

„Ich weiß. Aber dennoch glaube ich, du könntest die richtige Frau an deiner Seite sehr glücklich machen und sie dich. Du musst es nur zulassen. Gib dir wenigstens Zeit, dir selbst eine Frau zu suchen. Eine, die Du lieben könntest. Es würde deiner Seele guttun.“

Gregori schwieg. Eine Frau zu lieben? Nein, das war nicht sein Ziel im Leben. Das hier war sein Leben. Er war Soldat und er wollte kämpfen für Russland, denn er war stolz auf sein Land. Gregori liebte es, durch die russischen Wälder und über die endlose Weite der Waldsteppen zu galoppieren. Nur wenn er auf dem Rücken seines Pferdes Baladin in eine Schlacht reiten konnte, fühlte er das, was eine Frau ihm niemals würde geben können: Erfüllung. Ein Leben in funkelnden Ballsälen konnte er sich nicht vorstellen. Aber er wusste auch, dass er seine Rolle als Fürst irgendwann spielen musste, und dazu gehörte eine Ehefrau, die er der Gesellschaft präsentieren konnte und die ihm einen Erben schenken würde. Lange Zeit hatte er seine Mutter vertröstet, doch bei seinem letzten Aufenthalt in St. Petersburg hatte sie ihm eröffnet, dass sie eine Frau für ihn gefunden hat: die ehrenwerte Natalija Melezkaja.

 

Der Tag der Schlacht bei Borodino lag drei Tage zurück. Sie galt unter den Soldaten als eines der grauenvollsten Gemetzel, das sie auf russischen Boden miterlebt hatten. Auch für Gregori und Konstantin würde sich die Schlacht für immer in ihr Gedächtnis brennen. Viele der Soldaten waren verletzt worden und würden vorerst nicht mit der russischen Armee weiterziehen können. Aber sie hatten gesiegt und belagerten seitdem die Stadt Moskau, in Erwartung der baldigen Ankunft von Napoleon selbst und seiner Hauptarmee.

Gregori war mit Konstantin auf dem Weg zum Moskauer Kreml, um seine Befehle von General Kutusow entgegenzunehmen.

„Wie geht es deiner Schulter?“

Gregori schaute auf die Armschlinge seines Freundes.

„Es schmerzt, aber ich lebe noch, was man von vielen unserer Männer nicht behaupten kann.“

Gregori nickte knapp. Stumm gingen sie weiter nebeneinanderher.

Als sie die gepflasterte Straße zwischen den hölzernen Wohnhäusern verließen und den Kremlplatz betraten, erblickten sie eine riesige Menschenmenge. Russische Soldaten der übrig gebliebenen Feldtruppen und die Anwohner Moskaus hatten sich hier versammelt, um Kutusows Ansprache zu hören.

Der erfahrene General, den Zar Alexander I. zwar nicht sehr mochte, der aber umso mehr vom russischen Volk geliebt wurde, sprach lauthals zu der Menge.

„Im Vertrauen auf Gott werden wir entweder siegen oder sterben. Napoleon ist unser Feind. Bevor morgen die Sonne aufgeht, wird er mit seiner Grande Armée Moskau erreichen. Er wird unsere Kirchen entheiligen. Eure Frauen und Kinder entführen. Russisches Volk, Delegierte Moskaus, ich sage euch, überlasst ihnen nicht die Schlüssel dieser Stadt. Überlasst dem siegreichen Feldherrn nicht euer Eigentum. Ich fordere euch auf, verlasst die Stadt bedingungslos. Noch heute. Wir werden nicht vor Napoleon Bonaparte kapitulieren. Wir werden seinen Soldaten keine Unterkunft geben und keine Vorräte hinterlassen. Wir werden ihn seines Sieges über Russland berauben. Napoleon soll in einer zerstörten Stadt zermürben und dahin zurückkehren, woher er gekommen ist.“

Ein lautes Raunen ging durch die Menge, als Kutusow seine Ansprache beendete.

„Ein genialer Schachzug“, flüstert Gregori Konstantin ins Ohr.

„Er verlangt viel von der Bevölkerung. Wohin sollen sie gehen, wenn sie ihre Häuser verlassen und aus Moskau flüchten?“

„Ich denke, es wird mehr passieren als das. Man wird die Stadt anzünden. Die Delegierten der Stadt und auch Kutusow wollen sichergehen, dass Napoleon, wenn er Moskau erreicht, auf leere Vorratskammern und verbrannte Häuser trifft. Denn nur dann wird er sich nicht ewig in Moskau aufhalten können. Er wird gezwungen sein, den Rückzug anzutreten, wenn er nicht dem russischen Winter in die Hände fallen will. Außerdem ist eine Flucht die einzige Möglichkeit der Bevölkerung, den Angriff der Franzosen zu überleben. Denn was glaubst Du, werden die französischen Soldaten mit den Anwohnern Moskaus machen? Mit den Frauen und Kindern?“

Gregori sah, wie Konstantin hart schluckte.

„Aber das Feuer wird die gesamte Stadt zerstören. Schau dich doch mal um! Die Stadt besteht hauptsächlich aus Holzhäusern.“

Gregori schwieg und beobachtete das panische Treiben der Anwohner, die sich vom Platz vor dem Kreml entfernten, um ihre Häuser zu räumen. Er wusste, dass die Oberbefehlshaber Moskau opfern wollten und man die Zerstörung der Stadt in Kauf nahm. Im Gegenzug, so hofften sie, würden sie Napoleon aus Russland vertreiben können.

„Komm, mein Freund, Du solltest nicht hier sein. Ich habe eine Kutsche aufgetrieben, die dich nach St. Petersburg zurück eskortieren wird. Wir müssen dich noch heute aus Moskau schaffen.“

„Und was ist mit dir? Kommst Du nicht mit nach Hause?“

Gregori schüttelte den Kopf.

„Nein, ich werde General Kutusow folgen.“

„Ich werde mitkommen. Ich lass doch meinen Freund nicht im Stich.“

Gregori lächelte.

„Du würdest uns nur behindern. Du bist kampfunfähig. Deine Verletzungen müssen erst einmal ausheilen.“

„Du bist ein sturer Russe, Gregori. Immer hast Du das letzte Wort.“

„Wohl eher ein kluger Russe, der weiß, wann er einen Soldaten nach Hause schicken sollte. Sei vernünftig und hör auf den Befehl deines Obersts.“

Konstantin schniefte.

„Zu Befehl, Herr Oberst. Wohin werdet ihr mit den Truppen ziehen?“

„Nach Kaluga.“

Konstantins Mundwinkel zuckten leicht, als er ihn ansah.

„Was?“ Gregori schaute ihn fragend an.

„Kaluga? Wie praktisch. Weilt nicht eine Frau namens Natalija Melezkaja dort? Sie ist die Tochter des Gouverneurs von Kaluga, richtig?“

„Ja, aber sie ist nicht der Grund dafür, dass mein Regiment dort hinzieht.“

„Gib es zu, Du hast vor, sie auf eure Sommerresidenz in Kaluga einzuladen, um mit ihr allein zu sein?“

„Nein. Ich kenne sie doch überhaupt nicht. Ich hätte dir nicht davon erzählen sollen. Jetzt liegst Du mir damit die ganze Zeit in den Ohren.“

„Schon gut. Dann sag mir den wahren Grund.“

„Wenn Napoleon seinen Rückzug aus Moskau antritt, müssen wir seine Armee zwingen, die Smolensk-Straße zu benutzen, auf der sie zuvor nach Osten gezogen sind. Wenn wir die Südflanke dort blockieren, hindern wir die Franzosen daran, auf einem anderen Weg zurückzukehren. Die Gebiete dort sind schon geplündert worden, sie werden kaum Lebensmittelvorräte finden und das wird die Truppen schwächen. Unsere Kosakentruppen werden den französischen Zug wiederholt dort angreifen, wo er am schwächsten ist. Somit lösen wir den Zug auf und isolieren die gesamte Truppe voneinander, die wir dann mit der übrig gebliebenen Kavallerie versuchen werden zu schlagen.“

 

 

 

Kapitel 2 – Das preußische Mädchen

 

Preußen, Potsdam, Februar 1813

 

Anna von Bülow hielt sich die Hand vor den Mund, um keinen Schrei des Entsetzens auszustoßen. Sie stand hinter der verschlossenen Tür des Frühstückszimmers ihres Elternhauses und lauschte dem Gespräch zwischen ihren Eltern und ihrer Schwester Sophia.

„Russland? Niemals. Ihr könnt mich doch nicht so weit von meinem Zuhause fortschicken“, entrüstete sich Sophia von Bülow.

„Doch, Sophia, das können wir. Gräfin Gorlenkov und ich haben bereits die Eheformalitäten geregelt“, hörte Anna ihren Vater bestimmt sagen.

„Sophia, so beruhig dich doch. Sieh es doch mal so, Du wirst in einer Weltstadt leben. St. Petersburg ist in vielem moderner als unser veraltetes Preußen. Oberstleutnant Konstantin Gorlenkov ist nicht nur ein wohlhabender Mann, er hat auch eine erfolgreiche Laufbahn als Offizier vorzuweisen“, versuchte ihre Mutter ihre älteste Tochter Sophia zu besänftigen.

„Sehr richtig. Der Leutnant hat sich im Russlandfeldzug gegen Napoleon tapfer geschlagen. Den russischen Soldaten ist es zu verdanken, dass Napoleon und seine Grande Armée vernichtend geschlagen wurden. Oberstleutnant Gorlenkov ist dabei sogar verwundet worden. Er und noch weitere russische Offiziere wurden für den preußischen Tapferkeitsorden Pour le Mérite vorgeschlagen. König Friedrich Wilhelm III. von Preußen wird höchstpersönlich anwesend sein, wenn ich den Orden überreichen werde. Es sollte dir eine Ehre sein, solch einen hochrangigen Mann heiraten zu dürfen.“

„Das ist es aber nicht“, erwiderte Sophia bestimmt.

Ihr Vater fuhr unbeirrt fort.

„Wie Du weißt, haben wir Ende letzten Jahres Waffenstillstand mit Russland geschlossen und vor ein paar Wochen ein Bündnis unterzeichnet. Dem, so hoffen wir, ebenfalls Großbritannien und Österreich bald beitreten werden. Damit haben wir endlich die Möglichkeit, uns aus dem erzwungenen Bündnis mit Napoleon zu lösen. Bald werden Preußens Straßen frei von den Franzosen sein.“

„Ach, so ist das, ich soll dein geliebtes Preußen vor den Franzosen retten, indem Du mich zwingst, einen russischen Offizier zu heiraten? Ich dachte, aus dem Jahrhundert wären wir raus, indem Frauen aus politischen Gründen verheiratet werden. Und was ist, wenn Russland das Bündnis mit Preußen wieder auflöst? Dann lebe ich in einem Land, gegen das Preußen Krieg führt“, erwiderte Sophia lauthals.

Anna hörte, wie ihre Mutter einen lauten Seufzer ausstieß.

„Bitte, Kind, hör zu, was dein Vater dir zu sagen hat.“

Wilhelm von Bülow räusperte sich, um mit der kraftvollen Stimme eines Generals, der er nun einmal war, fortzufahren.

„Das Bündnis zwischen Russland und unserem geliebten Preußen steht noch auf wackligen Beinen, durch eheliche Verbindungen stärken wir dieses Bündnis. Außerdem soll König Friedrich Wilhelm III. zum stellvertretenden Generalgouverneur von ganz Ost- und Westpreußen ernannt werden. Ich bin preußischer General der königlichen Armee. Du verstehst also, dass man meine Familie, einschließlich die Vermählung meiner Töchter, mit Argusaugen beobachten wird. Du tust also nicht nur deinem Vaterland einen großen Dienst, sondern auch deiner Familie. Zumal Du durch diese Heirat wohlsituiert vermählt sein wirst. Dir wird es an nichts fehlen. Sei also vernünftig und akzeptiere unsere Entscheidung, Sophia.“

„Wer erweist unserem Vaterland einen großen Dienst? Doch nicht etwa Sophia?“, scherzte Anna, als sie den Raum betrat. Sie hatte keine Lust mehr, an der Tür zu lauschen. Zu besorgniserregend waren die Dinge, die hier heute Morgen besprochen wurden.

„Anna, Du bist wieder mal zu spät zum Frühstück“, wies ihre Mutter sie zurecht.

Wilhelm von Bülow warf Anna einen ermahnenden Blick zu: „Setz dich, Anna. Ich war noch nicht fertig mit meiner Unterredung.“

Sie ging zu der gedeckten Frühstückstafel, von der Kaffeeduft emporstieg, und setzte sich neben ihre Mutter, Johanna von Bülow. Anna warf einen Blick zu ihrer älteren Schwester Sophia, die vor den hohen geschwungenen Fenstern auf und ab lief. Ihr sonst blasser Teint war tiefrot und man konnte ihr ihre Verzweiflung ansehen. Als ihr Vater weitersprach, blieb sie stehen und sah zu ihm.

„Wie ihr bereits mitbekommen habt, ziehen die Franzosen ihre Truppen aus Berlin ab. Die ersten russischen Truppen werden in zwei Wochen erwartet. So auch Oberstleutnant Konstantin Gorlenkov. Ich habe ihn hier zu uns nach Schloss Schorin eingeladen. Ihr werdet dann Zeit haben, euch kennenzulernen. Die Verlobung wird noch vor der Ordensverleihung stattfinden, denn im März wirst Du nach St. Petersburg aufbrechen.“

Sophia schnappte nach Luft, empört starrte sie ihren Vater an.

„Aber Vater, das kann nicht dein Ernst sein? Ich soll noch in diesem Jahr nach Russland? Was ist mit der sonst üblichen Verlobungszeit?“

„Die wirst Du in St. Petersburg verbringen müssen. Bevor ihr beide heiraten könnt, musst Du zum russisch-orthodoxen Glauben konvertieren und unter deinem russischen Namen getauft werden. Das setzt voraus, dass Du die russische Sprache zunächst erlernst. Es erweist sich bekanntlich als sehr hilfreich, wenn man sich in dem Land der zu erlernenden Sprache aufhält. Schon Prinzessin Sophie von Anhalt-Zerbst, die spätere Zarin Katharina, ist diesen Weg vor über hundert Jahren gegangen.“

Sophia brach in Schluchzen aus, ging hinüber zu Frühstückstafel und ließ sich auf ihrem Stuhl nieder.

Anna hatte Mitleid mit ihrer Schwester.

„Sophia, nun weine doch nicht. Vielleicht ist der Leutnant ja ein hübscher junger Mann und er gefällt dir sogar?“

„Ich will aber nicht nach Russland.“

Ihr Jammern war scheußlich.

„Schluss jetzt mit dem Geheul“, schrie ihrer beider Vater erbost, was höchst selten vorkam.

„Aber Wilhelm, sei nicht so streng“, fuhr ihre Mutter ihren Ehemann an.

Dieser presste die Lippen aufeinander, um nichts Falsches zu sagen. Dann wandte er sich ab und ging zur Tür. Bevor er hinaustrat, drehte er sich noch einmal herum.

„Der Reisetross nach St. Petersburg wird Preußen Ende März verlassen.“

Damit verließ Wilhelm von Bülow das Zimmer.

 

Sophia saß weinend auf ihrem Bett, als Anna ihr Zimmer betrat.

Sie ging zu ihr und zog Sophia in ihre Arme. Das Schluchzen ihrer Schwester verstärkte sich sogleich und Anna kniff die Augen zusammen, denn ihre Ohren schmerzten.

„Du hättest dich eben besser anstrengen sollen, dir selbst einen Ehemann zu suchen. Ich habe es dir immer gesagt. Und nun siehst Du, was passiert ist. Vater hat bestimmt, wen Du heiraten sollst.“

„Einen Russen!“, schluchzte sie an Annas Brust.

„Hm, ja, ich muss sagen, ich war ebenfalls schockiert, dass Vater dir einen russischen Grafen zum Mann geben will. Bis vor Kurzem waren wir noch im Krieg mit Russland.“

Sophia hob den Kopf und schaute sie an.

„Was, wenn das Bündnis nicht standhält? Dann kann er mich nicht mit Graf Gorlenkov verheiraten. Oh Anna, ich hoffe, die Franzosen verjagen die russischen Soldaten bald wieder aus Berlin.“

Anna schmunzelte.

„Sophia, die Franzosen hast Du doch noch weniger gemocht. Wir haben uns doch so sehr gefreut, dass die französischen Soldaten bald aus Preußen abziehen werden.“

„Und wenn schon, jetzt habe ich ja doch nichts davon. St. Petersburg? Wie weit ist das eigentlich weg von Preußen?“

„Oh, sehr weit.“

Sophia nahm den Kopf von Annas Brust und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

„Kannst Du dich noch an den jungen Grafen aus Berlin erinnern, der von meinem letzten Debüt?“

Anna überlegte angestrengt.

„Ja, aber wie hieß er denn bloß?“

„Graf Hermann von Stenzel, ich glaube, er war mir sehr zugetan.“

„Was versuchst Du zu sagen?“

„Vielleicht kann ich Vater davon überzeugen, mich mit ihm zu verheiraten, anstatt mit dem russischen Grafen?“ „Hm, bist Du dir sicher, dass der Graf von dir angetan war? Du hast ja nicht einmal mit ihm getanzt. Heimlich angeschmachtet hattest Du ihn, das war alles.“

„Du wärst natürlich zu ihm hingegangen und hättest mit ihm geflirtet, Anna.“

„Natürlich. Wenn er mir gefallen hätte, dann schon. Was spricht dagegen? Es ist doch der Sinn unseres Lebens, Männern zu gefallen und uns zu verheiraten. Dann will ich mir auch den Besten von ihnen erhaschen. Nur leider habe ich ihn bis jetzt nicht gefunden. Die meisten Männer haben sich als Enttäuschung herausgestellt“, sagte sie zwinkernd zu ihrer Schwester.

„Was hat dich mehr enttäuscht? Die Küsse oder die hochtrabenden Worte der Männer?“

„Meistens waren es die Küsse“, erwiderte sie schmunzelnd.

„Du bist unverbesserlich, Anna. Wenn Du nicht achtgibst, wirst Du dich irgendwann durch einen Skandal ruinieren.“

„Ach was. Aber nun lass uns von dir und deiner Reise nach St. Petersburg sprechen. Ich habe eine erfreuliche Nachricht für dich.“

Sophia sah sie neugierig an.

„Nun sag schon, was ist es?“

„Mutter meinte, dass ich ebenfalls nach St. Petersburg mitreisen werde.“

Einen kurzen Moment später schlang Sophia ihre Arme um Annas Hals.

„Oh Anna, das ist ja wunderbar. Ich werde dich dann nicht mehr gehen lassen. Wir werden einen russischen Grafen in St. Petersburg für dich finden, liebste Schwester. Dann können wir für immer zusammen sein.“

 

 

Preußen, Berlin, Februar 1813

 

Anna und Sophia saßen auf einer der Bänke, die am Ufer der Spree standen, und spannten sich die Schlittschuhe mit den geschwungenen Kufen unter ihre warmen Stiefel. Ihre beiden Anstandsdamen Marie und Lise standen hinter ihnen und unweit des Ufers bei der Kutsche wartete die kleine Garde preußischer Kadetten, ohne die Anna und Sophia niemals hätten nach Berlin reisen dürfen.

„Herrgott, nicht mal Schlittschuhlaufen kann man ohne eine Garde von Soldaten, die einem dabei zuschauen.“

„Vater meint es nur gut. Er ist nun mal General und immer um die Sicherheit seiner Familie besorgt.“

Anna rollte mit den Augen und schaute auf das Eis.

Viele Angehörige der Aristokratie tummelten sich am heutigen Tag auf dem Eis. Und der Konstabler, der auf der Eisbahn für Ordnung sorgte, hatte Mühe, die Kinder der armen Bevölkerung, die sich unerlaubt auf das Eis drängten, zu verscheuchen. Umliegende Pächter hatten Buden aufgebaut und sorgten für warme Getränke und Essen. Sogar ein kleines Orchester spielte Musik an diesem sonnigen Wintertag.

Nachdem Anna und Sophia auf ihren Kufen standen, glitten sie fröhlich über das Eis des zugefrorenen Spree-Kanals.

„Oh, ich werde es vermissen, mit dir auf dem Eis zu laufen, Sophia.“

„Glaubst Du nicht, dass man in Russland auch Schlittschuhlaufen kann, Anna?“

„Ich weiß es nicht. Und wenn nicht, dann kannst Du es den Russen beibringen“, antwortete Anna.

„Ich? Wo denkst du hin“, erwiderte Sophia.

„Wieso nicht? Du traust dir viel zu wenig zu. Du kannst besser auf den Kufen laufen als ich. Sogar drehen kannst Du dich, ohne hinzufallen. Du solltest es zu allererst deinem zukünftigen Ehemann beibringen.“

Sophias Miene verfinsterte sich.

„Oberst Gorlenkov wird nun jeden Tag erwartet, Anna. Was, wenn ich ihn abstoßend finde?“

„Merkwürdig war es schon, dass die Mutter des jungen Grafen kein Bild von ihm mitgeschickt hat. Denn dann wüsstest Du zumindest, wie er aussieht.“

„Meinst Du, sie hat kein Bild geschickt, weil er so unansehnlich ist?“

„Jetzt mach dich nicht verrückt, Sophia. Vater sagte, er hätte den Grafen Gorlenkov höchstpersönlich in Augenschein genommen und meinte, er wäre ein staatlicher junger Mann.“

Sophia kicherte.

„Auf die Einschätzung unseres Vaters sollten wir wenig geben, Anna.“

„Dennoch denke ich, dass Vater dir niemals jemanden zum Ehemann geben würde, der nicht anständig aussieht. Und sei froh, er ist noch jung. Denk an Tante Augusta, sie musste den alten Onkel Rudolf heiraten, da war sie gerade mal siebzehn.“

„Du hast recht Anna. Es wird schon alles gut werden. Und Du wirst mit mir kommen und mir eine große Stütze sein. Neben Mutter natürlich.“

„Ich freue mich schon sehr auf die Reise, Sophia. Wir beide waren noch nie so weit weg von zu Hause. Und wer weiß, vielleicht verliebe ich mich ja tatsächlich in St. Petersburg.“

„Wie läuft es mit dir und dem jungen Baron von Meschenheim?“, fragte Sophia.

„Ernst von Meschenheim? Nun wie soll es laufen? Wir verstehen uns gut.“

„Hast Du ihn wieder geküsst?“

„Ja, natürlich. Nur so kann ich herausfinden, ob ich ihn mag oder nicht.“

„Und?“

„Ich bin noch unschlüssig.“

„Dann musst Du ihn noch mal küssen?“

„Hm, ja, wahrscheinlich. Aber ich denke eher, ich kann ihn noch so oft küssen, ich werde mich nicht in ihn verlieben. Es ist wohl am besten, wenn ich ihn nicht mehr treffe.“

„Ich wünschte, ich hätte auch schon mal einen Mann geküsst. Dann wüsste ich jetzt zumindest, wie es geht.“

„Sophia, küssen braucht man nicht erlernen. Überlass die Führung einfach dem Mann. Der Rest passiert von ganz allein.“

Sophia lachte.

„Du redest, als ob Du es schon hundert Mal gemacht hast.“

Anna drückte die Hand ihrer Schwester kräftig.

„Untersteh dich, mir so etwas zu unterstellen, nur weil ich nicht so gouvernantenhaft bin wie Du.“

„Ich bin nicht gouvernantenhaft, Anna. Ich bin schüchtern.“

„Das bin ich auch.“

„Nein, das bist Du nicht. Du hast dir die Dinge, die Du haben wolltest, schon immer einfach genommen.“

„Nun, vielleicht hast Du recht. Aber es gibt auch Grenzen für mich. Ich würde nie weiter gehen als bis zu einem Kuss.“

„Das weiß ich doch, Anna.“

 

Der Tag neigte sich dem Ende zu und es war an der Zeit, zurück nach Potsdam und Schloss Schorin zufahren, bevor die Dunkelheit hereinbrach.

Sie saßen in der Kutsche und Anna sah, dass der Kopf ihrer Schwester an der Schulter ihrer Zofe Marie lehnte. Sie war eingeschlafen.

Anna schaute wieder aus dem Fenster der Kutsche und beobachtete das Treiben auf dem Alexanderplatz, den Friedrich Wilhelm nach dem russischen Zaren Alexander I., anlässlich dessen Besuches vor acht Jahren, benannt hatte.

„Sieh nur Lise“, sagte Anna leise, um Sophia nicht aufzuwecken. Lise, ihre Zofe, saß neben ihr und beugte sich nun zu Anna herüber, um einen Blick aus dem Fenster zu erhaschen.

„Das müssen russische Kosaken sein, sie tragen alle die zylinderförmige Schafspelzmütze“, meinte Lise.

Sie beobachteten beide die Schar der Kosaken, die mit ihren Pferden auf den Alexanderplatz galoppierten.

„Ja, eine Mütze, die die Ohren nicht einmal vor Kälte schützt. Was soll man damit?“, bemerkte Anna.

„Du hast recht, die Ohren sind kaum bedeckt. Merkwürdig.“

Sophia erwachte unsanft, als die Kutsche plötzlich abrupt stoppte.

„Was ist passiert?“, fragte sie an Anna gewandt.

Anna schob das Kutschenfenster hinunter und fragte einen Soldaten ihrer Leibgarde.

„Was ist los? Warum stoppen wir?“

„Ich bin mir nicht sicher, Fräulein von Bülow, aber der Weg wurde für Kutschen gesperrt. Ich werde nachsehen, was los ist.“

„Oh mein Gott, werden wir nun alle von den Franzosen als Geiseln genommen? Wenn die mitbekommen, dass die beiden Töchter des preußischen Generals Wilhelm von Bülow in dieser Kutsche sitzen, dann sind wir verloren.“

„Jetzt beruhige dich doch, Marie. Wir haben doch die Leibgarde zu unserem Schutz“, beruhigte Sophia ihre Zofe.

„Keine Sorge. Es ist vielleicht nur ein Baum umgefallen und versperrt die Straße“, meinte Anna.

Sie lehnte sich wieder aus dem Fenster der Kutsche, um irgendetwas in Erfahrung zu bringen. Mehrere Kutschen hinter ihnen wurden ebenfalls gestoppt.

Nach einer Weile kam der preußische Soldat zurück und berichtete ihr, was er erfahren hatte.

„Es gab Tumult. Die Vorhut der russischen Armee hat Berlin erreicht. Einige der Kosaken sind mit den noch nicht abgezogenen napoleonischen Truppen zusammengestoßen. Es gab Tote an einem der Stadttore.“

Nachdem sie aufgrund der Straßensperre Berlin stundenlang nicht verlassen konnten, hatte sich das Ereignis am Bernauer Tor in Berlin bereits bis zu General von Bülow herumgesprochen. Sowohl Vater als auch Mutter waren voller Erleichterung, als Anna und Sophia mit der Kutsche auf Schloss Schorin vorfuhren. Anna hatte ihren Vater noch nie so besorgt gesehen, wie an diesem Abend, als sie endlich wieder zu Hause waren.

Graf von Bülow berichtete ihnen, dass ein gewisser Alexander von Blomberg, Anführer einer Gruppe russischer Kosaken, bei dem Gefecht getötet wurde. Blomberg war der Auffassung gewesen, man würde ihn friedlich in Berlin empfangen. Aber eine Einheit französischer Truppen am Bernauer Tor, die Berlin noch nicht verlassen hatte, eröffnete das Feuer auf ihn und seine Soldaten. Blomberg und zwei Kosaken wurden dabei getötet.

„So ein dummes Ende der französischen Belagerung Berlins. Man hätte es verhindern können“, sagte ihr Vater betrübt und fuhr fort, „die russische Vorhut, die durch das Schönhauser Tor zum Alexanderplatz ritt, kam ungehindert hindurch.“

„Das müssen die Kosaken gewesen sein, an denen wir mit der Kutsche vorbeigefahren waren“, bemerkte Anna.

„Das ganze Durcheinander und die passive Haltung Friedrich Wilhelms müssen endlich ein Ende haben. Er muss Frankreich offiziell den Krieg erklären. Und somit sein Bündnis mit Russland verlauten. Nun gut, Russlands Zar ist nicht mehr weit, die beiden Monarchen werden sich einigen. Und dann kann Friedrich Wilhelm auch endlich aus seinem Versteck kriechen und nach Berlin auf seinen Thron zurückkehren.“

 

 

 

 

 

Preußen, Potsdam, März 1813

 

Anna lehnte mit dem Rücken an der riesigen Eiche, die am Ufer des kleinen Sees stand. Aus der Ferne konnte sie Schloss Schorin sehen, das seit ihrer Geburt ihr Zuhause war. Sie trug ihr neues Reitkleid aus rotem Samt mit weißem Pelzbesatz und goldenen Knöpfen. Dazu hatte sie eine Zobelmütze auf dem Kopf.

„Ich habe nicht viel Zeit, Ernst“, sagte Anna zu dem jungen preußischen Kadetten, mit dem sie seit zwei Monaten ein Techtelmechtel unterhielt.

„Für einen Kuss denke ich schon.“

Er zog sie zu sich und Anna schlang ihre Arme um seinen Hals. Sie würde ihm einen letzten Kuss gewähren. Aber sie würde ihre Romanze heute beenden, bevor er sich ernste Hoffnung auf ihre Hand machte. Denn für sie war Ernst von Meschenheim nur ein kurzweiliges Vergnügen gewesen. Er war charmant und unterhaltsam und er konnte einigermaßen gut küssen, aber sie liebte ihn nun einmal nicht. Ernst hingegen war dabei, sich in sie zu verlieben, das spürte sie. Dazu kam noch, dass er langsam zu aufdringlich wurde und sich nicht länger mit unschuldigen Küssen zufriedenstellen wollte.

Als sie sich von ihm löste, schaute sie ihn mit ernster Miene an.

„Ernst, Du weißt, die russische Delegation wird heute erwartet. Und bald werde ich nach St. Petersburg reisen. Wir sollten uns daher, heute lebe Wohl sagen.“

Ernst schaute sie verwirrt aus seinen hübschen blauen Augen an.

„Lebe Wohl? Aber Anna, ich dachte, wir lieben uns? Ich werde mit dir kommen nach St. Petersburg. Wir stehen mit Russland im Bündnis. Sie werden mich sicher mit Kusshand in ihrer Armee aufnehmen. Und wenn ich erst einmal genug Geld verdiene, dann werden wir beide heiraten. Ich weiß, dass ich nur der drittgeborene Sohn eines Barons bin. Aber ich werde für uns sorgen können.“

Heiraten? Anna presste die Lippen aufeinander. Heiraten wollte sie ihn auf gar keinen Fall. Sie schob sich an ihm vorbei und ging hinunter zum Ufer. Verdammt. Wie sollte sie ihm erklären, dass sie nicht annähernd die gleichen Gefühle für ihn hegte, wie er für sie. Sicher, er war ein gut aussehender Mann und Anna hatte nun mal eine Schwäche für Soldaten, aber Liebe? Nein, sie war nicht in ihn verliebt.

„Es tut mir leid, wenn Du da etwas missverstanden hast, Ernst. Ich habe dich durchaus sehr gern und wir haben eine schöne Zeit gehabt. Aber ich werde dich nicht heiraten.“

Sie spürte, wie Ernst zu ihr trat und seine Hand sachte auf ihre Schulter legte.

„Aber wieso nicht, Anna? Habe ich mich so getäuscht? Ich dachte, die Küsse und Blicke, die wir ausgetauscht haben, waren echt?“

Anna drehte sich zu ihm.

„Das waren sie auch, Ernst. Aber ich habe herausgefunden, dass ich dich nicht liebe. Das ist der Grund, weshalb ich dich nicht heiraten kann.“

„Oh, wann hat die Dame, denn herausgefunden, dass sie mich nicht liebt? Du hast also nur mit mir gespielt? Ich war lediglich ein Zeitvertreib für dich. Ist es, weil ich nicht wohlhabend bin?“

„Nein, das ist es nicht, Ernst. Versteh doch bitte, ich liebe dich einfach nicht. Und ich werde aus keinem anderen Grund heiraten als aus Liebe.“

„Du hast mich zum Narren gehalten und ich bin darauf reingefallen. Aber ich werde mir nehmen, was Du mir wochenlang versagt hast.“

Er packte sie grob am Oberarm.

„Aua, Du tust mir weh. Lass mich sofort los!“

Anna versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, doch er war stärker als sie.

Grob zog er sie in seine Arme, presste seinen Mund auf ihre Lippen. Ängstlich riss sie den Kopf zur Seite. Versuchte vergeblich, sich aus seiner Umarmung zu befreien.

„Nein, nicht, bitte lass mich los, Ernst.“

„Nichts dergleichen werde ich tun.“

Er begann, mit seinen Händen grob über ihren Busen zu tasten. Einen Moment später machte er sich an den Knöpfen ihres roten Reitkleides zu schaffen. Mühsam versuchte sie mit ihren Händen, ihn daran zu hindern.

„Hilfe!“, schrie Anna verzweifelt.

„Halt deinen Mund. Dir hat es doch sonst auch gefallen“, zischte Ernst.

Anna versuchte immer noch, sich mit aller Kraft aus seinem Griff zu befreien.

„Lassen Sie die Dame sofort los!“ ertönte eine kräftige männliche Stimme mit fremdländischem Akzent hinter ihnen.

Ernst ließ Anna daraufhin so abrupt los, dass sie nach hinten taumelte und beinahe ins Wasser gefallen wäre.

„Ich denke, Sie sollten sich bei der jungen Dame für Ihr Benehmen entschuldigen, Kadett“, hörte sie die Stimme des Mannes, der nun ins französisch wechselte.

Verstört und verängstigt schob sie ihre Pelzmütze zurecht und schaute zu dem Fremden, der sich vor Ernst aufbäumte und mit dem Rücken zu ihr stand. Als sie genauer hinsah, bemerkte sie, dass er eine für sie unbekannte grüne Uniform trug.

„Ich habe nichts getan, was die Dame nicht auch wollte. Auch wenn ich mich frage, was Sie das überhaupt angeht? Dies ist eine Privatangelegenheit auf dem Besitz der Familie von Bülow.“

„Es geht mich immer etwas an, wenn eine Frau um Hilfe ruft. Wenn ich mich nicht verhört habe, so hat die junge Dame dies soeben lautstark getan.“

„Stimmen Sie mir zu?“, der fremde Mann dreht sich nun zu ihr und Anna musste schwer schlucken.

Nervös blickte sie zu Ernst, dem sein Gesicht vor Zorn glühte. Was für ein Dilemma, in das sie da geraten war.

„Ja, es stimmt. Ich habe um Hilfe gerufen“, sagte Anna zögerlich zu dem Offizier.

An Ernst gewandt sagte sie: „Ich denke, das Beste ist, wenn Du jetzt gehst, bevor wir noch einen Skandal verursachen. Denk an deine Karriere.“

Mit flehendem Blick versuchte sie Ernst dazu zu bewegen, doch endlich zu gehen. Die ganze Situation war ihr überaus peinlich. Und wer war der fremde Mann vor ihr? Was suchte er auf dem Anwesen ihrer Familie?

Erleichtert bemerkte sie, wie Ernst – jedoch ohne ein Wort der Entschuldigung – zu seinem Pferd ging. Er band die Zügel los, die er um die große Eiche gebunden hatte, schwang sich auf den Rücken seines Pferdes und ritt davon, nicht ohne ihr noch einen finsteren Blick zuzuwerfen. Anna wusste, dass es nicht das letzte Mal gewesen war, dass sie ihn gesehen hatte.

Erst jetzt nahm sie den zweiten Reiter wahr, der einige Meter entfernt auf dem Waldweg stand, und das Zaumzeug eines zweiten Pferdes in seiner linken Hand hielt. Er musste zu dem Offizier, der bei ihr stand, gehören. Sein Gesicht konnte sie nicht erkennen, denn er hatte seinen schwarzen Militärhut weit ins Gesicht gezogen. Aus irgendeinem Grund wirkte er einschüchternd auf sie.

„Geht es Ihnen gut, Madame?“, fragte der hochgewachsene Offizier, der vor ihr stand.

Er hatte ein freundliches Gesicht mit warmen, dunklen Augen und einem kleinen Schnurrbart im Gesicht.

„Ja. Ich muss mich bei Ihnen bedanken. Es ist mir zutiefst unangenehm, dass Sie alles mitangesehen haben.“

Anna wusste, dass sie rot angelaufen war, sie spürte das Glühen ihrer Wangen überdeutlich.

„Nun, hätte ich es nicht gesehen, hätte es für Sie vielleicht kein so gutes Ende genommen.“

Anna nickte beschämt und schaute zu Boden.

„Darf ich mich vorstellen.“

Anna hob den Kopf und sah, wie er sich vor ihr verbeugte.

„Oberstleutnant Konstantin Gorlenkov aus St. Petersburg.“

Annas Augen weiteten sich.

„Sie sind Konstantin Gorlenkov?“

Er lachte und Anna blitzten seine weißen Zähne entgegen.

„Ja, der bin ich. Wir folgen der Einladung der Familie von Bülow. Sind uns allerdings nicht sicher, ob das hier das richtige Anwesen ist?“

„Sie sind richtig, das ist das Anwesen der Familie von Bülow. Sie sind nur an der Hauptstraße falsch abgebogen und haben den Umweg am See entlang genommen.“

„Dann können Sie von Glück sagen, das wir den falschen Weg eingeschlagen sind und Ihnen zu Hilfe eilen konnten.“

„Es ist mir sehr unangenehm, dass wir uns unter diesen Umständen kennenlernen Oberstleutnant Gorlenkov. Darf ich mich vorstellen, ich bin Anna von Bülow.“

Sie reichte ihm ihre zittrige Hand.

Oberst Gorlenkov wirkte nun ebenfalls erstaunt.

„Darf ich annehmen, Sie sind die Schwester meiner zukünftigen Braut, Sophia von Bülow?“

„Sehr richtig.“

Sein Lächeln war so charmant, dass Anna es nur erwidern konnte.

„Meine Familie wird sehr erfreut sein, Sie endlich empfangen zu können.“

Anna kaute auf ihrer Unterlippe, sie konnte den Leutnant nicht zum Haus begleiten, denn offiziell lag sie noch in ihrem Bett und war noch nicht aufgestanden. Sie hatte sich heimlich hier in aller Frühe mit Ernst getroffen, denn seine Familie wohnte nicht weit von hier.

Sie straffte die Schultern, holte tief Luft und sagte hastig: „Ich habe eine Bitte, Oberstleutnant Gorlenkov. Sie würden mir einen riesigen Gefallen tun, wenn Sie die Umstände unseres Zusammentreffens für sich behalten könnten und einfach so tun würden, als ob wir uns nie zuvor begegnet wären.“

Seine Mundwinkel kräuselten sich leicht.

„Gewiss, Fräulein von Bülow. Meine Lippen sind verschlossen.“

Erleichtert schenkte sie ihm ein Lächeln.

„Vielen Dank. Dann kommen Sie, ich werde Ihnen den Weg zum Haus zeigen.“

Konstantin Gorlenkov nickte knapp und folgte ihr, als sie an ihm vorbei zurück zu ihrem Pferd ging. Er half ihr galant beim Aufsteigen und Anna schaute neugierig wieder zu dem Reiter hinüber, der die Szene teilnahmslos beobachtet hatte.

„Wer ist der Mann?“

Konstantin Gorlenkov schaute hinter sich, so als ob er nicht wüsste, wen sie meinte.

„Oberst Gregori Obolensky, mein Vorgesetzter, er hat mich hierher begleitet.“

„Wird er ebenfalls unser Gast sein?“

„Nur für heute, er wird am Abend wieder nach Berlin zurückkehren.“

Anna nickte.

„Ich werde vorausreiten. Sie folgen mir einfach nach ein paar Minuten, Sie können das Schloss gar nicht verfehlen.“

Leutnant Gorlenkov ging zu dem Mann hinüber, der ihm die Zügel seines Pferdes reichte. Noch immer konnte sie das Gesicht des Mannes nicht erkennen.

Sie wand ihr Pferd und ritt voraus zum Haus.

Erst jetzt stieß sie den Atem laut aus. Oh nein, das konnte doch alles nicht wahr sein. Ausgerechnet der Offizier, den ihre Schwester Sophia heiraten sollte, hatte ihre Auseinandersetzung mit Ernst von Meschenheim beobachtet. Und als ob das nicht genug wäre, hat auch noch sein Vorgesetzter, ein Oberst, den Vorfall mitangesehen.

 

„Wer ist sie?“, fragte Gregori seinen Freund neben sich.

„Anna von Bülow. Die Schwester meiner zukünftigen Frau.“

Gregori konnte sich ein Auflachen nicht verkneifen.

„Ha, dann wollen wir mal hoffen, dass die Schwester etwas sittsamer ist. Mir scheint, diese junge Dame verdreht Männern den Kopf.“

Er schaute der Frau in dem roten Reitkostüm hinterher, die eilig davongaloppiert war.

Konstantin lachte.

„Du findest sie hübsch. Gib es zu.“

„Wo denkst Du hin. Ich habe sie ja überhaupt nicht richtig sehen können aus der Entfernung. Aber die Szene, die sich mir bot, hat mir gereicht, um mir zu zeigen, dass sie eine Dame ist, die es mit der Moral und den Konventionen ihres Standes nicht allzu ernst nimmt. Man kann in diesen Zeiten gut darauf verzichten, sich wegen eines Mädchens, wie sie eines ist, duellieren zu müssen.“

„Nein, Gregori, sie trifft keine Schuld. Der Mann hat sich ihr aufgedrängt. Das hast Du doch gesehen.“

Er hob die Augenbrauen hoch: „So? Was hatte sie hier allein ohne Anstandsdame zu suchen? Ich sage dir, die beiden hatten ein heimliches Rendezvous, das außer Kontrolle geraten ist.“

„Das arme Fräulein von Bülow. Sie wird von vornherein keine Chance haben, deine Sympathie zu gewinnen. Habe ich recht?“

„Nun, das muss sie auch nicht. Und wie Du weißt, habe ich meine Braut bereits gefunden.“

Konstantin prustet laut los.

„Deine Braut? Du bist nicht einmal zu deiner Verlobung erschienen. Das hast Du durch deinen Stellvertreter erledigen lassen.“

„Na und? Ich habe sie kennengelernt. In Kaluga, letztes Jahr vor Weihnachten. Der erste Eindruck von ihr hat mir gefallen. Natalija Melezkaja ist die Richtige für mich. Sie ist hübsch anzusehen, gebildet und sie hat ein ruhiges Gemüt. Alles andere sind nur noch Formalitäten.“

„Und sie ist die Tochter des Gouverneurs von Kaluga und soll dir helfen, deine politische Karriere zu fördern, wenn Du einmal nicht mehr Oberst sein wirst.“

„Sehr richtig.“

„Dir ist nicht mehr zu helfen, Gregori. Du bist und bleibst der unromantischste Mann, den ich kenne. Immer hast Du nur deine hohen Ziele im Kopf.“

„Und Du bist ein unverbesserlicher Nörgler. Du wirst schon sehen, was Du davon hast, eine preußische Adelstochter zu heiraten, nur weil sie dir auf einem gemalten Bild so sehr gefallen hat. Ich frage mich immer noch, wie deine Mutter diese Heirat mit dem berühmten General von Bülow aushandeln konnte.“

„Du kennst meine Mutter. Seit Vater tot ist, hat sie die Kontrolle über alles. Sie blüht in der Rolle des Familienoberhauptes regelrecht auf. Glaube mir, sie wäre ein wahrhaft guter General.“

Gregori warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend.

„Ach, übrigens“, fuhr Konstantin fort, als Gregori sich wieder beruhigt hatte, „ich habe dem jungen Fräulein von Bülow versprochen, über den Vorfall Stillschweigen zu bewahren. Ich bitte dich inständig, es mir gleichzutun, Gregori. Ich möchte es mir nicht schon am ersten Tag mit meiner zukünftigen Schwägerin verderben.“

„Von mir aus. Es geht mich sowieso nichts an“, antwortete Gregori knapp.

 

Nachdem Anna ihr Pferd an den Stallmeister übergeben hatte, eilte sie durch den Hintereingang ins Schloss.

Sie eilte in ihr Zimmer, nahm hastig die Pelzmütze ab und öffnete die Knöpfe ihres Mantels, denn niemand, damit meinte sie vorrangig ihre Eltern, durfte von ihrem morgendlichen Ausritt und dem geheimen Treffen mit Ernst erfahren.

Als Anna alles im anliegenden Ankleidezimmer wieder an ihren Platz gehangen hatte, stellte sie die nassen Schuhe in die dafür vorgesehene Wanne.

---ENDE DER LESEPROBE---