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In Kopenhagen stirbt ein leitender Mitarbeiter des Klima- und Energieministeriums durch einen mysteriösen Autounfall. Die dänische Polizei stellt im Verlauf der Untersuchungen fest, dass es sich möglicherweise um Mord handelt. Die Ermittlungen Kommissar Knud Nyrups und seiner Kollegin Clara Andersen führen unter anderem zu einer amerikanischen Firma, die weltweit nach Öl und Erdgas sucht und dieses im Erfolgsfall fördert und vermarktet. Wie sich herausstellt, war der verunglückte Ministeriumsangestellte als Bereichsleiter für die höchst umstrittene Genehmigung der Bohrrechte und die Zuteilung einer Förderlizenz in Grönland zuständig, die diesem Unternehmen zugesprochen wurden, was in den Medien sehr kontrovers zwischen Umweltaktivisten, Politikern und Vertreten der Industrie diskutiert worden war. Auf der Suche nach Motiven und Hintergründen kommt Nyrup kriminellen Machenschaften auf die Spur. Ob diese Erkenntnisse jedoch eine mögliche Katastrophe in der Arktis verhindern können, ist ungewiss …
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Seitenzahl: 192
Veröffentlichungsjahr: 2017
S. H. Barmut
Umweltthriller
Copyright: © 2017: S. H. Barmut
Umschlag & Satz: Erik Kinting – www.buchlektorat.net
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
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Thriller
In Kopenhagen stirbt ein leitender Mitarbeiter des Klima- und Energieministeriums durch einen mysteriösen Autounfall. Die dänische Polizei stellt im Verlauf der Untersuchungen fest, dass es sich möglicherweise um Mord handelt.
Die Ermittlungen von Kommissars Knud Nyrup und seiner Kollegin Clara Andersen führen unter anderem zu einer amerikanischen Firma, die weltweit nach Öl und Erdgas sucht und dieses im Erfolgsfall fördert und vermarktet. Wie sich herausstellt, war der verunglückte Ministeriumsangestellte als Bereichsleiter für die höchst umstrittene Genehmigung der Bohrrechte und die Zuteilung einer Förderlizenz in Grönland zuständig, die diesem Unternehmen zugesprochen wurden, was in den Medien sehr kontrovers zwischen Umweltaktivisten, Politikern und Vertreten der Industrie diskutiert worden war.
Auf der Suche nach Motiven und Hintergründen kommt Nyrup kriminellen Machenschaften auf die Spur. Ob diese Erkenntnisse jedoch eine mögliche Katastrophe in der Arktis verhindern können, ist ungewiss …
Am 15. Juli 2013 begann in Kopenhagen die Weltenergiekonferenz. Wieder einmal schaute die Öffentlichkeit auf die Regierungsvertreter aus über 200 Staaten in der Hoffnung, dass der globale Ausstoß der Treibhausgase reduziert und somit die Erderwärmung gestoppt würde.
Die Wissenschaftler erläuterten, dass im 20. Jahrhundert die globale Durchschnittstemperatur der Erde bereits um etwa 0,7 Grad und somit der Meeresspiegel um etwa 17 Zentimeter gestiegen sei. Nach Berechnungen von verschiedenen Universitäten könnte der Meeresspiegel bereits bis zum Jahr 2100 auf annähernd zwei Meter und bei einem Abschmelzen des gesamten Grönlandeises um insgesamt sieben Meter ansteigen.
Am frühen Nachmittag desselben Tages waren in den Straßen der dänischen Hauptstadt die Sirenen von Polizei- und Notarztwagen zu hören. Als die Ordnungs- und Rettungskräfte an dem Ort eintrafen, an dem sich ein Verkehrsunfall ereignet hatte, bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick. Der Notarzt stellte wenig später den Tod des Autofahrers fest. Dem ersten Anschein nach handelte es sich um einen gewöhnlichen Verkehrsunfall. Am Unfallfahrzeug, einem Volvo, wurden jedoch auf der linken Karosserieseite ungewöhnliche Deformationen gefunden, die sich nicht erklären ließen.
Als die zuständigen Kommissare, der erfahrene 44-jährige Knud Nyrup sowie seine attraktive, 33 Jahre junge Kollegin Clara Andersen am Unfallort eintrafen, wurden Sie von einem Verkehrspolizisten empfangen, der den Vorfall bereits aufgenommen hatte:
»Es handelt sich bei dem Toten um den 48 Jahre alten Ole Seeberg. Laut vorläufigem ärztlichem Befund ist der Tod wahrscheinlich durch Genickbruch eingetreten. Das offizielle Ergebnis wird jedoch erst nach der Obduktion vorliegen.«
Nyrup und Andersen betrachteten Ole Seeberg, der noch immer blutbefleckt im Unfallwagen saß.
»Wir wurden telefonisch über Spuren am Unfallfahrzeug unterrichtet, die auf eine mögliche Kollision mit einem anderen Auto oder auf ein Abdrängen des Volvos hindeuten würden. Können Sie uns diese Beschädigungen zeigen und hat die Spurensicherung bereits erste verwertbare Erkenntnisse gewonnen?«, erkundigte sich Nyrup bei dem stämmigen Verkehrspolizisten.
»Folgen sie mir bitte!«, sagte dieser und ging voraus.
Die Kommissare sahen sich die eingebeulte Seite des weißen Volvos an und erkannten rasch, dass die frischen Dellen und schwarzen Schleifspuren am Fahrzeug sehr wahrscheinlich durch Fremdeinwirkung herbeigeführt wurden.
»Die schlangenlinienförmigen Bremspuren auf dem Asphalt zeigen, dass der Wagen außer Kontrolle geriet und die Fahrt schließlich an dem Verkehrspfeiler hier endete. Gibt es Augenzeugen oder eventuell Überwachungskameras, die das Geschehen aufgezeichnet haben?« wollte Clara Andersen wissen.
»Bedauerlicherweise nicht, aber wir stehen gegenwärtig noch am Anfang der Ermittlungen. Herr Seeberg hatte übrigens neben seinem Führerschein noch einen Dienstausweis bei sich. Demzufolge arbeitete er im dänischen Klima- und Energieministerium«, antwortete der Beamte.
Andersen hob leicht die Augenbrauen und ließ sich den Ausweis aushändigen.
»Ob Alkohol oder Drogen im Spiel waren, muss durch die gerichtliche Autopsie geklärt werden. Da sich bislang noch keine Augenzeugen gemeldet haben, ist eventuell ein Aufruf über die Presse in Erwägung zu ziehen«, sagte der engagierte Polizist.
»Ausgezeichnete Idee und gute Arbeit!«, meinte Nyrup anerkennend.
Andersen wandte sich mit einem charmanten Lächeln an den Beamten: »Könnten Sie uns nach Aufnahme aller Spuren und Beweise den Unfallbericht sobald als möglich zur Verfügung stellen?«
»Natürlich!«
Nachdem sie den vermutlichen Hergang der Ereignisse rekonstruiert hatten, fuhren Nyrup und Andersen auf direktem Wege zum Klima- und Energieministerium ins Zentrum von Kopenhagen.
Kopenhagen, 15. Juli
Die Sommersonne ließ das Regierungsgebäude, in dem das Ministerium für Klima und Energie untergebracht war, in einem repräsentativen Glanz erstrahlen. Nyrup und Andersen betraten den Eingangsbereich und begrüßten die elegant gekleidete Dame am Empfang. Zeitgleich zogen Sie mit einer geübten Bewegung ihre Dienstausweise aus den Taschen und trugen sogleich ihren Wunsch, den Vorgesetzten von Ole Seeberg sprechen zu wollen, vor.
Nach telefonischer Rücksprache und einer kurzen Wartezeit wurden Sie von Anna Jacobsen, der Sekretärin von Ras Asmussen, begrüßt.
»Kommen sie bitte mit!«, forderte sie die beiden Kommissare auf.
Gemeinsam gingen sie zunächst durch leicht muffig riechende Flure sowie ein Treppenhaus ins erste Obergeschoss und betraten dann das minimalistisch eingerichtete Büro von Ras Asmussen.
Im hinteren Teil des Raumes stand ein großer Schreibtisch, der eine rechteckige Arbeitsfläche hatte und hinter dem sich ein Drehstuhl mit schwarzem Lederbezug befand. An der rechten Wandseite war ein Beistelltisch mit einer Vielzahl von Aktenordnern zu sehen. Vier Stühle, symmetrisch um einen runden Tisch platziert, standen in der Mitte des Raumes auf einem blauen Teppich. Nyrups Blick fiel schließlich auf die wenigen Bilder, die an den weiß gestrichenen Wänden hingen.
Asmussen stand von seinem Schreibtisch auf und ging auf die Besucher zu. »Ras Asmussen, guten Tag! Ich bin hier als Ressortleiter zuständig für die Genehmigungen von Öl- und Gasbohrungen im dänischen Staatsgebiet. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«
Nachdem sich Nyrup und Andersen ausgewiesen hatten, erkundigten sie sich bei Asmussen nach Ole Seeberg.
»Ihre Gegenwart sagt mir, dass etwas Besonderes geschehen ist, ansonsten wären Sie wohl nicht hier, oder?«
»Ole Seeberg hatte heute gegen 13.30 Uhr einen tödlichen Autounfall«, sagte Nyrup und blickte in das schockierte Gesicht von Asmussen. »Können Sie uns etwas von Herrn Seeberg und seinen Tätigkeiten erzählen? Und wenn es keine Umstände macht, würden wir uns gerne an seinem Arbeitsplatz umsehen.«
»Natürlich!«, brachte Asmussen sichtlich betroffen und mit leiser Stimme hervor. »Ole Seeberg war als Bereichsleiter ein kompetenter und vertrauenswürdiger Mitarbeiter. Er besaß zudem die besondere Fähigkeit, komplexe Sachverhalte interdisziplinär vermitteln zu können.«
»Könnten Sie das bitte näher erläutern?«, hakte Andersen nach. »Gerne! Unsere Arbeit ist durch das zunehmende öffentliche Interesse anspruchsvoller geworden. Ole, ich meine Herr Seeberg, hat vor nicht allzu langer Zeit viel Fingerspitzengefühl und eine Portion diplomatisches Geschick gezeigt, als ein Genehmigungsverfahren für ein sensibles Explorationsvorhaben in Grönland viel öffentliches Interesse erregt hat …«
»Herr Asmussen …«, unterbrach Andersen erneut. »Ist die Vergabe der Bohrrechte nicht heftig in den Medien kritisiert worden und sind möglicherweise Drohungen gegen Herrn Seeberg beziehungsweise Ihr Ministerium laut geworden?«
Asmussen machte eine nachdenkliche Mine. »Ehrlich gesagt hatten wir einige Hundert schriftliche Eingaben und Stellungnahmen zu diesem Vorhaben zu bearbeiten. Wissen Sie, es gibt viele Personen beziehungsweise Interessengruppen, die bei solch komplexen Verfahren angehört werden müssen. Und natürlich gibt es auch immer Fundamentalisten, die sich sehr vehement für den Naturschutz einsetzen. Gerade beim Einsatz von Technologien, die schwer verständlich sind und Risiken bergen, gibt es zunehmend Akzeptanzprobleme. Manche Sachverhalte sind nicht nachprüfbar, daher bleibt bei nicht wenigen Menschen das subjektiv ungute Gefühl oder Misstrauen, dass die dargestellten Restrisiken möglicherweise nicht die ganze Wahrheit sind. Wir nehmen jeden Einzelnen ernst und versuchen Antworten zu geben auf die Sorgen, Ängste und Bedenken der Menschen. Ebenso ist es unsere Aufgabe, den verschiedenen Interessengruppen Argumente und hinreichende Informationen zu vermitteln, um letztendlich eine tragfähige Entscheidung auf breiter Ebene treffen zu können. Meiner Ansicht nach schafft Transparenz eine vertrauensvolle Basis. Um aber auf ihre Frage zurückzukommen: Straf- oder zivilrechtlich relevante Vorgänge, die einer juristischen Prüfung und Weiterverfolgung bedurft hätten, waren nicht dabei.«
Nach einem flüchtigen Blickwechsel mit Nyrup fragte Andersen: »Aufgrund der Spuren am Unfallort können wir ein Fremdverschulden nicht ausschließen. Haben sie Kenntnisse oder eine Vermutung, ob beziehungsweise wem Herrn Seeberg möglicherweise im Weg gewesen sein könnte?«
Asmussen lief gedankenverloren einige Schritte im Raum herum. Sein Blick landete schließlich wieder bei Nyrup und Andersen, bevor er mit gedämpfter Stimme zögernd erwiderte: »Nein, da kann ich Ihnen momentan leider nicht helfen. Aber ich würde Sie gerne noch mit Victoria Bohr bekannt machen. Sie war die engste Mitarbeiterin von Ole Seeberg. Vielleicht erinnert Sie sich an ungewöhnlich auffällige Personen oder Vorgänge, die aus jetziger Sicht von Bedeutung sein könnten.«
»Gerne!« Nyrup nickte zustimmend.
Asmussen hob den Hörer ab und drückte eine Taste. »Victoria, könnten Sie bitte umgehend in mein Büro kommen?«
Wenige Momente später ging die Tür auf und eine attraktive Frau betrat das Büro.
»Dies sind die Kommissare Nyrup und Andersen von der hiesigen Polizei. Sie haben mir soeben mitgeteilt, dass Ole Seeberg einen tödlichen Autounfall hatte«, sagte Asmussen unvermittelt.
Der freundliche Gesichtsausdruck von Victoria Bohr wechselte augenblicklich zu Betroffenheit. »Ich kann das gar nicht glauben, zumal ich heute Morgen noch mit Ole telefoniert habe. Wie ist es zu dem Unfall gekommen?«
»Wir sind erst am Anfang unserer Untersuchung, daher können wir gegenwärtig noch nicht sehr viel sagen. Da wir in alle Richtungen ermitteln und auch eine Beteiligung Dritter nicht ausschließen, möchten wir zunächst die Person Ole Seeberg und sein Umfeld kennenlernen«, entgegnete Nyrup.
»Mit Ole Seeberg habe ich seit etwa zwei Jahren vertrauensvoll zusammengearbeitet und seine umfangreichen Erfahrungen auf vielen Gebieten schätzen gelernt. Das Genehmigungsverfahren für zwei Explorationsbohrungen in der Arktis hat uns viel Mühe und Nerven gekostet. Die amerikanische Firma OCEAN ENERGY hat von unserer Behörde Anfang des Jahres eine Explorationslizenz und somit die Bohrerlaubnis erhalten. Seit circa sechs Wochen wird die erste Offshorebohrung durch das beauftragte Bohrunternehmen TITAN DRILLING östlich von Grönland niedergebracht. Im Erfolgsfall könnte innerhalb des zur Verfügung stehenden Zeitfensters, unter Einhaltung der Sicherheitsauflagen, noch dieses Jahr mit einer Folgebohrung begonnen werden. Sollte hingegen kein Öl gefunden werden, kann das Unternehmen vermutlich etwa 50 bis 60 Millionen Dollar abschreiben«, führte Viktoria sehr formell aus.
»Wie weit entfernt ist denn diese Bohrung vom Festland?«, wollte Nyrup wissen.
»Der kürzeste Abstand zur Küste beträgt etwa 25 Seemeilen. Damit liegt diese Offshorebohrung in der 200-Meilen-Zone um Grönland und gehört somit zum Hoheitsgebiet von Dänemark. Deswegen sind wir auch die zuständige Behörde.«
Andersen nickte. »Können Sie uns etwas über das Privatleben von Herrn Seeberg erzählen?«
»Die Seebergs wohnen in einem Haus am Stadtrand von Kopenhagen und haben letztes Jahr ihren 20. Hochzeitstag gefeiert, zu dem ich auch eingeladen war. Ole Seebergs Frau Sarah ist Tierärztin. Gegenwärtig übt sie ihren Beruf aufgrund der beiden Kinder, die sich seit geraumer Zeit in der Pubertät befinden, nicht aus. Ihr Familienleben ist meiner Einschätzung nach relativ normal. Sarah Seeberg hatte allerdings vor etwa zwei Monaten eine größere Operation, die die Familie ziemlich belastet hat.«
»Frau Bohr, Sie sagten, dass Sie heute Morgen mit Herrn Seeberg das letzte Mal gesprochen haben. Können Sie uns den Grund des Telefonats nennen?« fragte Nyrup.
»Es ging um die Terminabsprache für eine Besprechung mit Dr. Jack White. Dr. White ist verantwortlicher Manager für die Explorationsaktivitäten in der Arktis und designiertes Vorstandsmitglied von OCEAN ENERGY. Er wollte uns nach New York einladen, um über zukünftige Projekte zu sprechen. Nachdem wir Pro und Kontra abgewogen und mögliche Termine sondiert hatten, wollte Ole ihm zusagen. Danach haben wir nicht mehr miteinander gesprochen«, antwortete Victoria.
»Haben Sie in letzter Zeit ungewöhnliche Verhaltensweisen und Vorgänge im Zusammenhang mit Herrn Seeberg bemerkt, oder gibt es möglicherweise Personen, denen Herrn Seeberg, sagen wir mal, unbequem geworden ist?«, bohrte Nyrup nach.
Victoria strich sich bedächtig durch ihr langes brünettes Haar. »Nun, ungewöhnlich fand ich in den letzten Wochen die Begegnung mit einer Frau von Greenpeace, die Ole mir nur durch eine zufällige Begegnung vorgestellt hat. Einige Tage später habe ich die beiden dann noch einmal in der Kopenhagener Innenstadt gesehen. Normalerweise bestehen zwischen Umweltaktivisten und unserem Ministerium keine engen Beziehungen.«
»Können Sie sich noch an den Namen der Frau erinnern?«
»Leider nicht, aber sie ist Dänin, Mitte 30, schlank, etwa 1,70 groß und hat auffällige, rötlich gefärbte Strähnen in ihren brünetten Haaren.«
Nyrup notierte sich die detaillierte Beschreibung und blickte währenddessen flüchtig zu Andersen. Aus dem Augenwinkel sah Nyrup, dass sie ihre Augenbrauenpartie leicht anhob, was scheinbar eine gewisse Anerkennung für Victorias Beobachtungen widerspiegelte.
Ras Asmussen hatte still der Konversation zugehört. »Victoria, die Kommissare haben zu Beginn ihres Besuchs den Wunsch geäußert, sich am Arbeitsplatz von Ole Seeberg umschauen zu dürfen. Kannst du sie bitte in sein Büro führen und soweit möglich weitere Auskünfte geben, denn ich habe in wenigen Minuten einen Termin.«
»Sicherlich, das kann ich gerne übernehmen!«
Nyrup und Andersen verabschiedeten sich dankend von Asmussen und folgten Victoria Bohr durch zwei schlichte Flure zum Büro von Ole Seeberg.
»Können wir den Laptop von Herrn Seeberg mitnehmen? Die darauf gespeicherten Daten können wichtige Hinweise enthalten. Das Gerät würden sie anschließend wieder zurückbekommen«, erkundigte sich Nyrup, nachdem sie sich einige Zeit umgesehen hatten.
»Da muss ich bei unseren IT-Verantwortlichen nachfragen, ob beziehungsweise wie wir Ihnen diesbezüglich helfen können. Alle Rechner sind mit Passwörtern geschützt und hängen zudem an unserem Netzwerk. Der normale E-Mail-Verkehr wird nicht auf dem Laptop gespeichert, daher sind vermutlich nur wenige gespeicherte Dateien auf der Festplatte zu finden«, erwiderte Victoria.
Nyrup blickte auf seine Armbanduhr. »Es ist spät geworden. Wir werden jetzt gehen. Danke für Ihre hilfreiche Unterstützung. Hier ist meine Karte, Frau Bohr. Wenn Sie die internen Fragen zu Herrn Seebergs Laptop beziehungsweise seinen Daten geklärt haben oder Ihnen noch etwas Wichtiges einfällt, melden Sie sich bitte umgehend.«
»Mache ich.«
»Eine Information bräuchte ich noch: Könnten Sie uns bitte die private Adresse von den Seebergs geben?«
»Natürlich!« Victoria schrieb die Anschrift auf einen kleinen Notizzettel und überreichte sie Nyrup.
Kopenhagen
Die Sonne ging gerade am Horizont unter, als Nyrup und Andersen bei den Seebergs klingelten. Sarah Seeberg öffnete die Tür.
»Frau Seeberg, wir sind von der Polizei. Können wir Sie einen Moment sprechen?«, erkundigte sich Nyrup mit dem Polizeiausweis in der Hand.
»Worum geht`s?«
»Um Ihren Mann. Er hatte einen Autounfall! Dürften wir bitte einen kurzen Moment hereinkommen?«
»Natürlich! Wie geht es Ole?«
Wortlos betraten Andersen und Nyrup das Wohnhaus.
Als sie im stilvoll eingerichteten Wohnzimmer auf den Ledersofas Platz genommen hatten, überbrachte Nyrup die Todesnachricht. Augenblicklich brach Sarah Seeberg geschockt und in Tränen aufgelöst zusammen.
Nach einer Weile strich die sonst so coole Clara Andersen der weinenden Sarah Seeberg mit der Handfläche über den Rücken.
»Wo ist Ole jetzt?«, fragte Sarah Seeberg schließlich schluchzend.
»Gegenwärtig befindet er sich für einige Untersuchungen in der Gerichtsmedizin. Wir geben Ihnen so schnell wie möglich Bescheid, wann und wo Sie Ihren Mann sehen können.«
»Wieso ist er in der Gerichtsmedizin?«, wollte Sarah Seeberg wissen.
»Wir haben an der linken Fahrzeugseite Beschädigungen vorgefunden, die entweder nicht ursächlich etwas mit dem Unfall zu tun haben oder durch Dritte herbeigeführt wurden. Haben sie Kenntnisse von diesen erst jüngst entstandenen Schäden?«, erkundigte sich Nyrup.
»Nein, ich weiß nichts von Beschädigungen an unserem Auto. Ole hätte mir davon erzählt. Gibt es denn noch weitere Unfallbeteiligte?«
»Um ganz offen zu sprechen: Die bisherigen Spuren und Ihre Aussage lassen vermuten, dass noch ein Auto in den Unfall verwickelt war und wir gegenwärtig eine Fahrerflucht oder andere Begleitumstände nicht ausschließen können.«
»Was meinen sie mit anderen Begleitumständen?«
»Falls sich der Unfall nicht rein zufällig ereignet hat, wäre auch noch Vorsatz eine mögliche Option. Wir ermitteln in Zweifelsfällen daher routinemäßig in mehrere Richtungen.«
Nach einem kleinen Moment faste Nyrup nach: »Da wir jetzt schon über die verschiedenen Ermittlungsansätze gesprochen haben … könnten sie uns auch die Frage beantworten, ob ihr Mann möglicherweise Menschen in seinem Umfeld hatte, die ihn nicht besonders mochten oder die man gar als Feinde bezeichnen könnte?«
Sarah Seeberg spürte die Spannung, die in dieser Frage lag. »Nein, Ole ist kein Mensch der Konflikte schürt, im Gegenteil, er versuchte stets angemessen zu handeln und war eher deeskalierend. Mit feinseligen oder stressigen Situationen kann … konnte mein Mann normalerweise relativ souverän umgehen. In letzter Zeit hatte ich jedoch den Eindruck, dass er im beruflichen Bereich von einigen Leuten bedrängt wurde Entscheidungen zu treffen, die seiner inneren Überzeugung widersprachen. Ole hat immer versucht seine Arbeit von der Familie fernzuhalten, aber diese amerikanische Firma, OCEAN ENERGY, hat ihm schon einige Kopfschmerzen bereitet. Nun ja, aber als feindselig würde ich diese Menschen nicht bezeichnen.«
Dieser Spur sollten wir jedenfalls weiter nachgehen, dachte Nyrup.
Sarah Seeberg wischte sich eine Träne von der Wange und putzte sich die Nase. »Könnten Sie mich jetzt bitte alleine lassen? Meine Kinder kommen gleich von einer Geburtstagsfeier nach Hause und ich möchte ihnen das ohne Ihre Anwesenheit beibringen.«
»Frau Seeberg, wir möchten Ihnen nochmals unser Beileid aussprechen und uns bedanken, dass Sie sich angesichts der Umstände für uns Zeit genommen haben.«
An der Haustür verabschiedete sich Nyrup noch mit einem beherzten Händedruck von Sarah Seeberg.
Kopenhagen, 16. Juli
Die Geschäftsstelle von Greenpeace in Kopenhagen befand sich in der Bredgade 20. Mit dem Ziel, die Kontaktperson des verstorbenen Ole Seeberg ausfindig zu machen, fuhr Nyrup am Tag nach dem Autounfall, ohne Anmeldung, um zehn Uhr hin.
Einige Aktivisten planten offensichtlich gerade eine neue Kampagne. Nachdem sich Kommissar Nyrup vorgestellt hatte, fühlen sich die drei männlichen Anwesenden in ihren Vorbereitungen offenkundig ein wenig gestört.
»Ich suche eine Mitarbeiterin von Greenpeace. Sie ist Dänin, Mitte 30, schlank, etwa 1,70 groß und hat rötliche gefärbte Strähnen in den Haaren«, sagte Nyrup.
»Weshalb suchen Sie denn diese Frau?«, erkundigte sich einer der drei Männer.
»Sie hatte kürzlich Kontakt zu Ole Seeberg, einem Mitarbeiter des dänischen Klima- und Energieministeriums. Wir glauben, dass Sie uns bei einer polizeilichen Ermittlung helfen kann.«
»Ihre Beschreibung passt auf Anna Lundbye. Eigentlich müsste sie schon längst da sein, da sie uns helfen wollte. Ah, Sie haben Glück – da kommt sie gerade.«
Nyrup ging auf Anna Lundbye zu und hielt ihr seinen Dienstausweis hin. »Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten? Es geht um Ole Seeberg.«
»Folgen Sie mir bitte!«, sagte Anna und schritt zügig auf den Nachbarraum zu.
»Kannten Sie Ole Seeberg?«, begann Nyrup seine Befragung, kaum dass die Tür hinter Ihnen geschlossen war..
»Wieso kannten?«
»Herr Seeberg hatte gestern einen tödlichen Autounfall. Der Jyland-Posten hat heute einen Kurzbericht über den Unfall gebracht«, erzählte Nyrup und legte ein Exemplar der Tageszeitung auf den Tisch.
Annas Blick verharrte eine kleine Ewigkeit bei dem Unfallbericht.
»Ja, wir haben uns einige Male getroffen«, begann sie zögerlich.
»Worum ging es bei Ihren Treffen?«, wollte Nyrup wissen.
»Kann ich davon ausgehen, dass Sie die Informationen vertraulich behandeln?«
»Das hängt natürlich von den Gegebenheiten ab, aber ich versichere Ihnen, dass ich sehr sorgsam mit den Informationen umgehen werde. Sollten Sie jedoch Kenntnisse haben, die zur Aufklärung einer Straftat dienen, sind Sie verpflichtet uns diese mitzuteilen, um sich nicht selbst strafbar zu machen«, antwortete Nyrup.
Anna Lundbye verzog leicht ihre Mundwinkel und nickte dabei fast unmerklich. »Ich traf Ole Seeberg das erste Mal vor vier Wochen. Er erzählte mir, dass er von einem ausländischen Unternehmen für die Ausweitung der Explorationstätigkeiten in der Arktis unter Druck gesetzt werde. Da ihm die Ansichten und Standpunkte von Greenpeace zu diesen Aktivitäten bekannt waren, wollte er mit unserer Hilfe und der Medien, also einer stärkeren öffentlichen Aufmerksamkeit, für die regionalen Interessen und wohl auch für sich eine bessere Position erhalten. Sein erklärtes Ziel war, auf Basis der Erkenntnisse und gewonnenen Erfahrungen aus den jetzigen Bohrtätigkeiten zunächst sorgfältige Auswertungen mit wohldurchdachten Schlussfolgerungen vorzunehmen, um anschließend die strategische Entwicklung der Region mit einem Höchstmaß an Sicherheit fortzuführen. Bei all diesen Tätigkeiten war ihm der nachhaltige Naturschutz in der Arktis sehr wichtig.«
»Glaubten Sie ihm?«
»Nach anfänglicher Skepsis und einem weiteren inoffiziellen Treffen habe ich ihm schließlich vertraut. Scheinbar gab es auch schon Drohungen, die gegen ihn beziehungsweise seine Familie gerichtet waren.«
»Warum hat er sich nicht an die Polizei gewandt?«
»Ohne Beweise wird von den Behörden in der Regel doch nichts unternommen und gegen Personen beziehungsweise Firmen aus dem Ausland ist ein solches Anliegen nahezu aussichtslos, oder?«
»Wahrscheinlich haben Sie recht«, musste Nyrup zustimmen.
»Herr Seeberg hat Greenpeace also Information zukommen lassen, die wir für unsere Zwecke und Aktionen sehr gut nutzen konnten und die in der Presse entsprechen Gehör fanden.«
»Hat er Ihnen Personen- oder Firmen genannt, von denen er bedroht wurde?«
»Nein. Namen von Personen sind nicht gefallen und eine konkrete Beschuldigung, von welchem Unternehmen dieser Druck ausgeübt wird, hat Herr Seeberg ebenfalls nicht geäußert. – Er sprach mitunter besorgt, vielleicht auch ein wenig verängstigt. Im Vertrauen erzählte er mir, dass es auch Verantwortliche auf einer Offshoreplattform in der Arktis gibt, die zur Durchführung ihrer zeitlich knappen Vorhaben einen rüden Umgangston pflegen. Er ging zwar davon aus, dass alle Sicherheitsvorschriften eingehalten werden, aber sicher schien er sich nicht zu sein. Ein unbequemer Supervisor auf besagter Bohranlage soll zehn Tage nach Beginn der Arbeiten verschwunden und durch eine neue leitende Aufsichtsperson ersetzt worden sein. Das kam ihm merkwürdig vor. Es hieß sogar, dass der Mann möglicherweise im Meer ertrunken sei. – Da Herr Seeberg von Ausweitung der Explorationstätigkeiten in der Arktis sprach, vermute ich aufgrund der äußeren Rahmenbedingungen und Informationen, dass eigentlich nur zwei in diesem Gebiet operierenden Unternehmen infrage kommen: Zum einen eine russische Firma und zum anderen die amerikanische Firma OCEAN ENERGY, von der im Rahmen des Genehmigungsverfahrens in den Medien berichtet wurde.«
Knud Nyrups Mobiltelefon klingelte.
Er verließ den Raum und nahm das Gespräch entgegen. Dann hörte er seiner Kollegin Clara Andersen aufmerksam zu. »Das heißt, Ole Seeberg wurde möglicherweise ermordet«, fasste er anschließend das Ermittlungsergebnis zusammen.
Nach Beendigung des Telefonats kehrte Nyrup zu Anna Lundbye zurück. »Haben sie vielen Dank für die offenen Worte. Ich muss jetzt gehen. Falls sich noch weitere Fragen ergeben, würde ich mich später noch einmal an sie wenden«, sagte Nyrup eilig und entschwand.
Kopenhagen
Im Kommissariat genoss Knud Nyrup um die Mittagzeit eine Tasse Westminster Darjeeling Tee. Clara Andersen saß ihm auf der anderen Seite des Tisches gegenüber.
»Ole Seeberg hatte weder Alkohol noch Betäubungsmittel im Blut. Die Fraktur des Genicks und die Hämatome stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit von dem Aufprall des Volvos gegen den Pfeiler …«, las Andersen laut aus dem Obduktionsbericht vor. »Eine am Unfallort sichergestellte Haarschuppe, an der sich ein kurzes brünettes Haar befand, wurde mit der DNA von Ole Seeberg verglichen, allerdings konnte keine Übereinstimmung festgestellt werden.«
»Wo hat man diese Haarschuppe gefunden?« hakte Nyrup nach.
Andersen sah wieder in den Obduktionsbericht und suchte nach der Information. »In einer Hemdfalte auf der Brustseite des Toten.«
»Interessant! Wir sollten überprüfen, ob die genetische Information zu Frau Seeberg, einem anderen Familienmitglied oder einer Person gehört, mit der Ole Seeberg an diesem Tag Kontakt hatte. Zudem sollten wir einen Vergleich mit unserer DNA-Analyse-Datenbank durchführen.«
»Okay! Ich werde alles Nötige für einen DNA-Abgleich veranlassen.«
Beim Betrachten der Tatortfotos dachte Nyrup über das Motiv nach, das zu diesem Unfalltod oder gar Mord geführt haben könnte.
»Wir sollten mit einem Verantwortlichen dieser amerikanischen Firma OCEAN ENERGY sprechen«, sprach Nyrup seinen momentanen Gedanken aus.