Der Schwarze Flamingo - Dean Atta - E-Book

Der Schwarze Flamingo E-Book

Dean Atta

5,0

Beschreibung

Michael ist ein schwuler Teenager mit Schwarzem Vater und weißer Mutter, der in London aufwächst. Sein ganzes Leben lang hat er sich damit auseinandergesetzt, was es bedeutet, griechisch-zypriotisch und jamaikanisch zu sein. Aber er sitzt zwischen allen Stühlen und ist den einen nicht griechisch genug und den anderen nicht Schwarz genug. Als er älter wird, ist Michaels Coming-out nur der Anfang, um zu herauszu!nden, wer er ist und wo er hingehört. Als er die Drag Society entdeckt, begreift er endlich, wo sein Zuhause ist – und Der Schwarze Flamingo wird geboren. Erzählt mit roher Ehrlichkeit, erstaunlicher Beobachtungsgabe und zugänglicher Lyrik erforscht dieses Debüt die Identitätsschichten, die uns zu dem machen, was wir sind – und uns glänzen lassen.

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Inhalt

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[Impressum]

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Prolog

Barbies und Zugehörigkeit

Sandburgen

Musik und Sterne

Coming-Out

Süsse Sechzehn

Leventis

Showgeschäft

Universität

Drag

Glitzer-Ball

Sei Einfach ein Mann

Epilog

Danksagungen

[Informationen zum Buch]

[Informationen zum Autor]

Guide

Cover

Titelseite

Inhalt

CONTENT NOTE

Die Charaktere in »Der Schwarze Flamingo« sind mit vielen Situationen konfrontiert, die Leser*innen als belastend und stressig empfinden können. Die Geschichte umfasst unter anderem Homofeindlichkeit und Rassismus (auch verinnerlicht), Sexismus, Mobbing, Drogenkonsum, toxische Männlichkeit, elterliche Abwesenheit, finanzielle Unsicherheit, sexuelle Aktivitäten mit zweifelhaftem Einverständnis einer der Parteien und Gewalt (auch elterlicher). Wenn Du auf eines der oben genannten Themen besonders empfindlich reagierst und dieses Buch trotzdem lesen möchtest, stelle sicher, dass Du die Unterstützung deines Umfelds hast.

Dean Atta

THE BLACK FLAMINGO

Text copyright © Dean Atta, 2019

Illustrations copyright © Anshika Khullar, 2019

Cover Illustration © Adriana Bellet, 2020

The moral rights of the author and illustrators have been asserted.

Autorenfoto © Hussina Raja

Zitat aus Die Farbe Lila auf Seite 99, © Alice Walker, 1982

Zitat aus Es auf Seite 140, © Stephen King, 1986

Alle Charaktere und Ereignisse in dieser Veröffentlichung sind fiktiv und jede Ähnlichkeit mit realen Personen, lebend oder tot, ist rein zufällig. Um ein Ortsgefühl zu schaffen, wurden einige Namen realer Orte in das Buch aufgenommen. Die in diesem Buch dargestellten Ereignisse sind jedoch imaginär und die realen Orte wurden fiktiv verwendet.

© 2023 Katalyst Verlag für die deutschsprachige Ausgabe

Alle Rechte, auch die der Bearbeitung oder auszugsweisen Vervielfältigung, gleich durch welche Medien, vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwas Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- und strafrechtlich verfolgt werden. Übersetzt mit freundlicher Genehmigung von Hodder and Stoughton.

ISBN 978-3-949315-51-0 | Katalyst #003

Katalyst Verlag ist eine Marke der Luna Ventures GmbH, Prenzlauer Allee 186, D-10405 Berlin

www.katalystverlag.de

Übersetzung: Ọlaide Elisabeth Frank

Sensitivity Reading: Marius Schaefers

Korrektorat: Sophie Niemann

Satz und E-Book-Umsetzung: Arnold & Domnick, Leipzig

Verleger*innen: Anna & Lukas Kampfmann

Hinweis: Die Webseiten, die in diesem Buch aufgeführt sind, sind das Eigentum der jeweiligen Besitzer*innen. Der Katalyst Verlag hat keinen Einfluss auf die Webseiten, die in diesem Buch genannt werden, und trägt keine Verantwortung für die Inhalte, Genauigkeit oder die Produkte und Dienstleistungen, die auf diesen Webseiten angeboten werden. Eine Inanspruchnahme der Dienstleistungen, die auf diesen Webseiten angeboten werden, erfolgt auf eigene Gefahr. Daher empfehlen wir, die allgemeinen Geschäftsbedingungen, Datenschutz- erklärung und sonstige Hinweise der Webseiten zu lesen, bevor diese benutzt werden. Dieses Buch ist eine Veröffentlichung des Katalyst Verlags und wurde von keiner anderen Person oder Körperschaft genehmigt, empfohlen oder lizenziert.

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Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

Impressum

Für George

Inhalt

Prolog

Barbies und Zugehörigkeit

Sandburgen

Musik und Sterne

Coming-Out

Süsse Sechzehn

Leventis

Showgeschäft

Universität

Drag

Glitzer-Ball

Sei Einfach ein Mann

Epilog

Danksagungen

PROLOG

Ich bin der Schwarze Flamingo.

Der Schwarze Flamingo bin ich.

Im Versuch, mich selbst zu finden.

Dieses Buch ist ein Märchen,

in dem ich der Prinz bin

und die Prinzessin. Ich bin

der König und die Königin.

Ich bin meine eigene böse Hexe und gute Fee.

Dieses Buch ist ein Märchen,

ich werde verflucht

und gesegnet, von anderen.

Doch zu guter Letzt bin ich die Fee,

die ihre eigene Magie findet.

Wenn weibliche Flamingos im Zoo Eier legen, werden die Eier entnommen und in Brutkästen getan. Die Tierpfleger*innen geben den Flamingo-Paaren Eierattrappen zum Nisten, während sie deren Verhalten beobachten, um herauszufinden, wer die besten Flamingo-Eltern sind. Wenn die ausgebrüteten Eier kurz vor dem Schlüpfen sind, entscheiden sie, welches Paar die echten Eier bekommt und welches jene, die niemals wertvolles Leben enthielten.

Ich fühle mich oft wie ein schlechtes Ei, das nicht hätte sein sollen, wie ein Attrappen-Ei, geschlüpft, eine unmögliche Sache und doch irgendwie am Leben und Gedeihen, sich der Intention der Tierpfleger*innen widersetzend, ein Experiment, das sie beobachten und bei dem sie geduldig warten, um zu sehen, was aus mir wird, um zu sehen, wie ich überlebe, ohne vollkommene

Liebe.

Ich bin in London geboren,

zwei Monate vor dem Ende der Welt,

am 31. Oktober 1999.

Mami sagt mir:

»Als wir näher an das Millennium kamen,

dachten Leute, Flugzeuge würden vom Himmel fallen

und die Uhren in Computern sich einhundert Jahre

zurückdrehen. Aber die Zeit kann man nicht zurückdrehen.

Wir können uns nur vorwärtsbewegen.«

Ich bin ein Baby, gerade geschlüpft.

Meine einzigen Federn sind meine winzigen Wimpern.

Wegen meines Gluckerns höre ich nicht,

wie mein Dad zu Mami sagt: »Ich bin zu jung,

um Vater zu sein.«

Mami erklärt mir das alles, wenn ich alt genug bin.

Wie sie sechs Tage vor dem Millennium

das Weihnachtsessen hat anbrennen lassen

und er schrie: »Du bist nutzlos«,

seinen Teller runterschmiss,

der Truthahn am Küchenboden kleben blieb,

und ich weinte,

weil ich vom verfrühten Feuerwerk zu Hause erschrak.

Das war das Ende für sie. Der Anfang

für Mami und mich.

BARBIES UNDZUGEHÖRIGKEIT

Heute ist mein sechster Geburtstag

und ich verstecke mich in meinem Zimmer.

Letztes Jahr hat Onkel B. mir diese Casio-Uhr

gekauft. Sieh mal – sie leuchtet auf

und ist wasserfest. Das bedeutet,

ich kann sie beim Baden tragen.

Letzte Nacht, als Mami

das Abendbrot gemacht hat, habe ich mich in

ihr Schlafzimmer geschlichen, in ihren

Kleiderschrank geschaut, habe die Kleidung beiseitegeschoben,

um dahinter zu sehen, dort, wo sie immer

meine Geschenke versteckt.

Ich hab das Paket in die Hand genommen, die Form

der langen, dünnen Schachtel in Silberpapier abgetastet.

Es war definitiv die richtige Form für

eine Barbie!

Ich habe vorsichtig das

Klebeband an einem Ende gelöst

und sah unter

das Geschenkpapier

an der Oberseite der Schachtel.

Ich erkannte ein grünes Logo:

Teenage Mutant Ninja Turtles.

Ich hatte Mami vor zwei Monaten gesagt,

wenn du mir dieses Jahr ein Geschenk machst,

kriege ich dann bitte

eine Barbie?

»Michael Brown«,

ruft Mami, »wo bist du?

Komm runter und öffne dein Geschenk.

Deine Freund*innen sind gleich da!«

Ich stehe oben an unserer Treppe und rufe runter:

»Ist es eine Barbie?«

Mami kommt zur untersten Stufe,

liebevoll lächelnd.

»Nein, Michael. Ich dachte nicht, dass du

das ernst gemeint hast. Aber ich habe dir etwas besorgt,

das du lieben wirst.«

Ich sehe zu, wie eine Träne

auf dem Holzboden landet,

zwischen meinen Schildkröten-Pantoffeln –

ein Geschenk von Tante B. letztes Weihnachten.

Mami kommt hoch und nimmt mich in eine

weiche, warme, nach Mami riechende Umarmung.

»Oh, Schatz, ich kann dir eine Barbie

zu Weihnachten schenken, wenn du dann immer noch eine

willst.«

Weihnachten ist noch Ewigkeiten hin.

Ich bin kurz davor, wieder zu weinen, als es an der Tür klingelt.

Emily, Amber, Laura, Toby und Jamal

sind mit ihren Müttern zum Geburtstagskuchen

vorbeigekommen.

Callum ist der Letzte, der ankommt.

Sein Dad bringt ihn, aber bleibt nicht,

wie die Mums es tun.

Callum und Emily können sich nicht leiden.

Callum lebt in einer Wohnung mit seinem Dad.

Sie spielen Videogames zusammen

und essen Fastfood zum Abendbrot

und manchmal darf Callum länger wach bleiben

und die ganze Nacht fernsehen,

wenn sein Dad unterwegs ist;

es muss so ein Spaß sein.

Callum ist mixed, genau

wie ich. Ein Schwarzer Dad und eine weiße Mami,

aber er lebt nicht mit seiner Mami

und ich lebe nicht mit meinem Dad.

Mami hat gestopfte Weinblätter gemacht,

gefüllte Paprika und griechischen Salat.

Es gibt Oliven, Karottenspalten, Pitabrot

und Hummus, den ich liebe, und Taramasalata,

was ich eklig finde, aber ich liebe das Wort.

Ich bringe meinen Freund*innen bei,

wie es ausgesprochen wird:

Ta-ra-ma-sa-la-ta. Tarama-salata.

»Was ist das?«, fragt Callum. »Und warum ist es pink?«

»Es sind Fischeier«, sage ich stolz. »Und Mami hat mir erklärt,

dass sie pink gefärbt werden. Ich finde, es sieht schön aus.«

»Aber es schmeckt eklig«, meint Callum

und spuckt es zurück auf seinen Teller. »Ich hasse Pink.«

Er schaut Emily finster an.

Später blase ich sechs Kerzen auf

meinem Teenage-Mutant-Ninja-Turtles-Geburtstagskuchen

aus

und wünsche

mir

eine Barbie.

Emilys Spielzimmer ist ein Kaugummi-pinkes

Durcheinander. Sie hat zweiundvierzig Barbies;

ich weiß das, weil ich nachgezählt habe. Sie hat außerdem

vier Ponys und sechs Jeeps für die Barbies.

Die Göttin der Schönheit, Barbie, sieht brandneu aus.

Als Emily sie mir zeigt,

bemerkt sie: »Sie soll die

griechische Göttin, Aphrodite, sein,

aber sie sieht aus wie deine Mami.«

Emily hat viele Spielzeuge, aber diese Puppe

fesselt mich mit ihrem wehenden weiß-blauen

Gewand und ihrem goldenen Haarband.

Ich hebe ein paar der anderen Barbies auf,

mit ihren fehlenden Armen, Beinen und Köpfen.

»Warum haben sie keine ganzen Körper?«

»Die Köpfe sind abgegangen, als ich ihre

Haare gebürstet habe«, sagt Emily,

aber ich habe noch nie

gesehen, wie Emily eine Barbie-Haarbürste benutzt hat.

Die eine für die Göttin ist noch immer in der Verpackung.

Ich nehme sie heraus

und bürste sanft ihre Haare.

»Ich werde Mami bitten, mir diese

hier zu Weihnachten zu schenken«,

sage ich stolz zu Emily.

Am Weihnachtsmorgen

renne ich die Treppe runter und

finde ein Geschenk unter dem Baum.

Kein Geschenkpapier, nur

eine pinkfarbene Schleife um die Schachtel.

Mami schenkt mir

eine Barbie!

Aber sie hat es falsch verstanden.

Es ist nicht die Göttin.

Trotzdem umarme ich sie.

»Danke, Mami.«

Diese Barbie hat keine langen dunklen Locken

oder dunkle Augen wie Mami,

wie die Göttin.

Ich entscheide, meine Puppe Phoebe zu nennen.

Phoebe sieht aus wie Emily.

Ich schneide Phoebes lange blonde Haare nicht,

ziehe nicht an ihrem Kopf oder an anderen Körperteilen,

wie Emily es machen würde.

Phoebe ist nicht die Barbie, die ich wollte,

aber die Barbie, die ich bekommen habe,

und ich entscheide, dass ich mich gut

um sie kümmern werde.

Onkel B. kommt mit einem schwarzen BMW,

um mich abzuholen und mich zu Grandma Brown

fürs Weihnachtsessen mit Dad

und dem Rest der Brown-Familie zu bringen.

Als ich gehen will, hält mich Mami an den Schultern fest

und dreht mich zu sich um. Sie lächelt

und hält mir ihre Hand hin. »Michael,

könntest du bitte Phoebe hierlassen?

Ich brauche ihre Hilfe beim Aufräumen.«

Es ist nur eine Fahrt von zehn Minuten in Onkel B’s BMW,

aber es fühlt sich fremd an.

Ich wünschte, Mami würde mitkommen.

Ich bin froh, als wir ankommen, weil die Familie

jubelt und ich denke, es ist für mich.

Tante B. ruft: »Endlich können wir essen!«

»Zuerst müssen wir beten«, bestimmt Grandma B.

Alle neigen ihre Köpfe.

»Lieber Vater, Gott, wir danken dir, dass Mikey

bei uns sein kann an diesem besonderen Tag. Wir beten,

dass er dir und dieser Familie niemals ein Fremder wird.

In Jesu Namen, Amen.«

Alle am Tisch wiederholen: »Amen.«

Mein Dad kommt runter aus seinem Schlafzimmer.

Neben mir ist ein leerer Platz für ihn

reserviert. Er nimmt sich schweigend sein Essen

auf den Teller und

geht damit wieder hoch.

»Hey, Mikey – das ist großartig!«, sagt Onkel B.

und sieht sich dabei am Tisch um.

»Dann haben wir zwei Knallbonbons, die wir zusammen

ziehen können.«

Zweiter Weihnachtsfeiertag.

Emily und ich spielen

in meinem Zimmer.

Sie hat die Göttin-Barbie

mit jetzt abrasierten Haaren mitgebracht.

Emily sieht Phoebe und fragt:

»Konnte sich deine Mutter die,

die du wolltest, nicht leisten?«

Ich merke, wie mein Kopf heiß wird.

Ich greife unters Bett für mein

schwarzes Action-Man-Spielzeug von Onkel B.

Es ist noch in der Schachtel; er sagt, es sei retro.

Vorne drauf steht Action Mans Name,

»TOM STONE«, und auf dem Bild hält

er eine große Waffe und trägt einen

grünen Hut und einen Tarnanzug.

Stolz sage ich: »Guck mal,

was mein Onkel mir geschenkt hat.

Sollen wir ihn rausholen?«

Emily macht ihre Augen zu, damit er verschwindet,

und meint: »Er sieht gruselig aus.«

Ein paar Tage später sind wir in Emilys Spielzimmer.

Emily holt eine brandneue Barbie aus ihrem

Feen-Rucksack.

Eine Versace-Barbie.

»Versace ist ein Modedesigner«, sagt Emily.

»Mami hat zwei Kleider von Versace. Papi

hat sie gekauft.« Sie macht eine Pause. »Michael,

hast du auch einen Papi?«

»Nein, meine Mami kauft ihre Kleider selbst.«

Zu meinem siebten Geburtstag sage ich Mami,

anstatt einer neuen Barbie möchte ich

meinen Namen ändern.

Ich sage, dass ich wie sie heißen möchte.

Ich möchte meinen Nachnamen von Brown zu Angeli ändern.

Mum hat mir mal erklärt: »Angeli heißt ›Engel‹

oder ›Bote‹.«

Sie kniet sich hin und legt ihre Hände

auf meine Schultern. Fragt: »Bist du sicher?

Du bist zu jung, um diese Entscheidung

zu treffen. Was ist mit Grandma Brown

und Tante Brown und Onkel Brown?

Sie sind doch alle so nett zu dir.«

Ich antworte: »Sind sie, aber du bist am nettesten.«

Sie lächelt und umarmt mich fest.

Ich umarme sie zurück. Ich zähle im Kopf

zehn Sekunden ab und lasse dann meine Arme

an der Seite fallen, aber Mami lässt

für weitere neun Sekunden nicht los. Neunzehn Sekunden

ist die längste Umarmung, die ich je hatte.

An meinem siebten Geburtstag, nach den Geschenken,

überreicht mir meine Mutter ein Stück Papier:

»Urkunde zur Änderung des Namens,

Michael Angeli«.

Aber ich denke: »Ende des Namens«,

und es ergibt Sinn.

Ich will seinen Namen nicht

hinter mir herziehen wie einen toten Hund

an einer Leine,

wie Toilettenpapier an der Sole

meiner neuen Stiefel,

wie gehäutete Schlangenhaut,

wie die dicken Nebelschwaden

der Red Arrow Flugzeuge der

Royal Air Force;

Benzin gemischt mit Farbstoff,

der Zeichen am Himmel hinterlässt.

Ich brauche kein Flugzeug, denn

mit meinem neuen Namen

kann ich wirklich fliegen.

In dieser Nacht

habe ich einen Traum,

in dem Mami stirbt,

nachdem eine British Airways Boeing 747

in unser Haus gecrasht ist.

Der linke Flügel schneidet durch ihr

Schlafzimmerfenster, aber ich überlebe.

Würde ich bei meinem Onkel,

meiner Tante oder meiner Grandma wohnen?

Oder würde ich ein Waisenkind werden?

Mum ist unterwegs und ihr neuer Freund

Trevor lässt mich einen Horrorfilm schauen,

der Nightmare on Elm Street heißt.

Ich bin fasziniert von dem Mann

im rot-grün gestreiften Pullover,

der Leute in ihren Träumen besucht

und sie umbringt. In der Schule beschreibe ich,

was er macht und was für Handschuhe er trägt.

Mit Messern als Finger. Ich schwinge meine Hand

durch die Luft

und die Kinder rennen schreiend weg.

Außer Callum, der nur lacht und dann sagt:

»Okay, dann reiß meine Eingeweide raus!«,

während er seinen marineblauen Blazer auf hält.

Am nächsten Tag ruft die Schuldirektorin

nach Beschwerden anderer Eltern Mum an.

»Die Kinder haben Albträume«,

teilt sie mir mit, als sie mich früher ins Bett schickt,

aber ich sitze oben auf den Treppenstufen.

»Was hast du dir dabei gedacht?«, schreit Mum

Trevor an. »Er ist erst sieben Jahre alt.«

Trevor spricht leise und ich kann

seine Antwort nicht verstehen.

»Du glaubst wirklich nicht,

dass du etwas falsch gemacht hast, oder?«

Mum lacht. »Er ist nicht dein Sohn.

Es ist nicht deine Aufgabe zu entscheiden,

wofür er alt genug ist.«

»Warum hast du ihn dann bei mir gelassen?«,

schreit Trevor.

»Weil du eine Bindung

zu ihm aufbauen wolltest.

Ich dachte nicht, dass du gemeint hast,

ihm scheiß Freddy Krueger zu zeigen.«

Ich hasse es, sie schreien zu hören.

Mein Bauch fühlt sich komisch an.

Aber hauptsächlich fühle ich mich schlecht,

Trevor in Schwierigkeiten gebracht zu haben.

Ich bin acht,

als meine Schwester Anna

in ihr Moses-Nest

mit weißem Stoff gelegt wird,

frisch geschlüpft.

Ein Küken,

das ich Mum helfe aufzuziehen.

Die ganzen Sommerferien lang.

Sie weint

nach ihrem Daumen zum Nuckeln,

wenn ich ihre Hände

unter ihren winzigen

Oberkörper klemme.

Anna ist eine lebende Puppe.

Eine Barbie mit brauner Haut.

Mum lässt mich jeden Morgen

ihr Outfit auswählen.

Als die Schule wieder beginnt,

zähle ich die Stunden,

bis ich nach Hause rennen kann,

um Anna zu sehen.

Am liebsten singe ich Anna

etwas vor.

»Die klitzekleine Spinne«,

»Backe, backe Kuchen«,

»Funkel, funkel,

kleiner Stern«

oder andere Kinderlieder.

Mum fragt mich, ob ich

Gesangsunterricht

nehmen möchte.

Trevor bringt mich

in seinem coolen

silberfarbenen Audi

jeden Samstagmorgen dorthin.

Anna hat einen anderen Dad als ich,

aber wir haben den gleichen Nachnamen.

Mum hat es so entschieden

und Trevor hat nicht dagegen gestimmt.

In der Schulkantine

erkläre ich Callum: »Trevor ist Annas Dad,

aber nicht meiner.«

Callum fragt: »Wenn ihr andere Dads habt, ist

sie dann nicht nur deine Halbschwester?«

Als ich nach Hause komme,

frage ich: »Mami, sind wir nur halb?«

»Lass dir von niemandem einreden,

dass du halb irgendwas bist.

Du und Anna seid

einfach Bruder und Schwester.

Lass dir von niemandem einreden,

dass sie deine Halbschwester ist.

Lass dir von niemandem einreden,

dass du halb Schwarz und

halb weiß bist. Halb zypriotisch

und halb jamaikanisch.

Du bist ein ganzer Mensch

Man ist niemals einfach nur

halb und halb.

Du bist in Großbritannien geboren.

Du musst Raum schaffen

dafür, was es heißt, britisch zu sein.

Was es für dich heißt,

britisch zu sein, sowie zypriotisch

und jamaikanisch. Aber

es ist allein deine Entscheidung.«

SANDBURGEN

In der Schule spielen wir Kuss-Fangen.

Als wir auf dem kleinen Schulhof waren,

hattenwir Spielsachen. Hier auf dem großen Hof

haben wir nur uns selbst.

Normalerweise jage ich Amber und Laura,

die langsamer werden, wenn ich sie jage,

und schneller, wenn Callum ihnen nachrennt.

Aber er holt sie immer ein, nach einiger Zeit.

Emily schüttelt ihren Kopf und sagt:

»Auszeit«, wenn Callum auf sie zu rennt.

Emily und ich haben abgemacht, uns nicht zu küssen.

»Weil beste Freund*innen sich nicht küssen«, sagt Emily.

Mir macht es nichts aus, Emily nicht zu küssen.

Das sage ich ihr aber nicht.

Hinter einem großen Baum,

wenn es niemand sehen kann,

küsse ich Callum, Jamal und Toby.

Einmal in der Woche darf ich

nach der Schule Freund*innen zum Essen einladen.

Diese Woche habe ich Callum eingeladen.

Während Mum kocht, spielen wir Ehemann

und Ehefrau in meinem Zimmer.

Ich spiele die Frau. In einer imaginären Küche

koche ich, und Callum tut so, als käme er

von der Arbeit, umarmt mich von hinten

und küsst mich auf die Wange.

Ich sage: »Das Essen ist fertig!«

Ich serviere ihm sein imaginäres Essen und sage,

was es ist, damit er weiß, wie er es genießen kann.

»Das sind Spaghetti«, sage ich.

»Du musst den Löffel und die Gabel benutzen.«

Callum fragt: »Warum können wir nicht Pizza essen

wie die Turtles?«, und zeigt auf das Poster

an meiner Wand.

»Weil wir jetzt nicht Turtles spielen«, sage ich.

»Wie war dein Tag auf der Arbeit, Schatz?«

Ich schreibe das Skript und

führe Regie für dieses Rollenspiel,

ich spiele es auch mit Toby und Jamal.

Nur nicht mit Emily, Amber oder Laura.

Alle Mädchen in meiner Klasse mögen mich.

Ich bin der einzige Junge, den sie zu ihren Übernachtungspartys einladen.

»Michael, hast du am Freitag Zeit?«

»Michael, magst du Disney und Eiscreme?«

Ich teile die Decken auf dem Boden mit vier,

fünf, sechs Mädchen oder mehr.

Emily ist immer eingeladen, weil

sie die Beliebteste in unserer Klasse ist.

Callum meint: »Du hast so ein Glück!«

Die Mädchen sind meine Freundinnen.

Ich habe wirklich Glück.

»Wann kommt Trevor zurück?«

Irgendwann höre ich auf, Mum zu fragen.

Sie bringt mich jetzt zu

meinen Gesangsstunden.

Trevor kommt zurück

in seinem blöden silberfarbenen Auto

und fordert, Anna zu sehen.

Aber er fragt nie nach mir.

Die Nacht, in der ich realisiere,

dass Trevor nicht zurückkommt,

träume ich davon,

dass Mum stirbt,

als eine Boing 747

in unser Haus crasht.

Der linke Flügel schneidet durch ihr

Schlafzimmerfenster,

aber Anna und ich überleben.

Würde Trevor Anna zu sich nehmen

und mich ein Waisenkind sein lassen?

Anna bekommt Phoebe, meine alte Barbie-Puppe,

und meine Teenage Mutant Ninja Turtles.

Anna bekommt meine Latzhosen

und all meine anderen alten Kleider auch.

Ich bemerke, wenn Anna mit meinen

Ninja Turtles spielt, fragt keiner, warum.

Ich bemerke, wenn Anna meine

Latzhosen trägt, kommentiert es niemand.

Ich bin froh, dass sie frei ist,

zu spielen und zu tragen,

was sie möchte.

Mum fährt mit mir und Anna zum Strand in Brighton.

Anna bringt meinen gelben Eimer und Spaten mit.

Sie besteht darauf, sie die gesamte Bahnfahrt

über zu tragen.

Ich weiß schon, dass am Strand Felsen stehen

und er aus Kieselsteinen besteht,

nicht aus Sand, Mum hat es erklärt.

Als wir vom Bahnhof zum Strand gehen,

befürchte ich Enttäuschung bei Anna,

aber als wir dort ankommen,

nimmt sie meine Hand

und lässt Mums los.

»Bleibt da, wo ich euch sehen kann«,

ruft Mum uns hinterher, während Anna

mich bis zum Wasser führt.

Sie kniet sich hin und stapelt Kieselsteine in

den Eimer. »Sandburg«, sagt sie strahlend,

»Sandburg.«

Ich sitze auf der Bank unter dem Baum

und spiele Abnehmen mit Emily,

als Laura und Amber rüberkommen.

»Michael!«, »Bitte sing!«,

»Komm schon, Michael«, »Bitte, bitte, bitte,

sing einen Popsong!«

»Ich will kein Angeber sein«, protestiere ich.

Ich mag sowieso lieber Musicals.

»Natürlich willst du«, sagt Emily.

»Warum hast du sonst Gesangsunterricht?«

Es gibt einen Popsong, den ich aktuell

liebe: Lady Marmelade.

Ich singe die Zeilen von Christina Aguilera,

Mýa und Pink, und Lil’ Kims Rap-Teil.

Eine große Gruppe Mädchen und ein paar Jungs

versammeln sich um uns herum.

Einige kichern, aber die meisten jubeln.

Ich höre es pfeifen und denke,

es kommt entweder von Jamal oder Toby.

Ich will das Lied an Callum weitergeben,

der im hinteren Teil der Menge steht.

Als ich auf ihn zeige, drehen sich alle um.