DER SCHWARZE PFAD - Dennis Wheatley - E-Book

DER SCHWARZE PFAD E-Book

Dennis Wheatley

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Beschreibung

Seit Jahren widmet sich der Satanist Copely-Syle dem Studium der Schwarzen Magie. Für seine Arbeit jedoch benötigt er die Seele einer Jungfrau. Aus diesem Grund lockt der das Mädchen Christina auf den Schwarzen Pfad der okkulten Lehren – den schrecklichen Pfad zur Linken, der direkt in die Finsternis führt... Dennis Wheatleys Okkult-Thriller DER SCHWARZE PFAD (1953) wurde im Jahre 1976 von Peter Skyes (The Avengers) unter dem Titel Die Braut des Satans (To The Devil – A Daughter) für das legendäre Hammer-Studioverfilmt – in den Hauptrollen: Richard Widmark, Christopher Lee, Honor Blackman, Nastassja Kinski und Denholm Elliott. Der Apex-Verlag veröffentlicht diesen Klassiker des Okkult-Horrors als durchgesehene Neuausgabe.

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Ähnliche


 

 

 

 

 

DENNIS WHEATLEY

 

DER SCHWARZE PFAD

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DER SCHWARZE PFAD 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

11. 

12. 

13. 

14. 

15. 

16. 

17. 

18. 

19. 

20. 

21. 

22. 

23. 

 

Das Buch

 

 

Seit Jahren widmet sich der Satanist Copely-Syle dem Studium der Schwarzen Magie. Für seine Arbeit jedoch benötigt er die Seele einer Jungfrau. Aus diesem Grund lockt der das Mädchen Christina auf den Schwarzen Pfad der okkulten Lehren – den schrecklichen Pfad zur Linken, der direkt in die Finsternis führt...

 

Dennis Wheatleys Okkult-Thriller Der schwarze Pfad (1953) wurde im Jahre 1976 von Peter Skyes (The Avengers) unter dem Titel Die Braut des Satans (To The Devil – A Daughter) für das legendäre Hammer-Studioverfilmt – in den Hauptrollen: Richard Widmark, Christopher Lee, Honor Blackman, Nastassja Kinski und Denholm Elliott.

Der Apex-Verlag veröffentlicht diesen Klassiker des Okkult-Horrors als durchgesehene Neuausgabe.

DER SCHWARZE PFAD

 

 

 

 

 

 

Unseren guten Freunden

DIANE UND PIERRE HAMMEREL gewidmet.

Mit großer Dankbarkeit für ihre grenzenlose Gastfreundschaft,

welche sie Joan und mir während unseres Besuches

in Nizza entgegenbrachten; zu unseren lebhaftesten Erinnerungen daran

gehört unsere ebenso anstrengende wie faszinierende Expedition

(bei Tageslicht) in die Höhle der Fledermäuse.

 

 

 

 

 

 

 

 

  1.

 

 

 

In Molly Fountain wuchs allmählich die Überzeugung, dass das Geheimnis, von dem die einsame Bewohnerin der Villa nebenan umgeben war, mehr Spannung barg als der Roman, an dem sie gerade arbeitete.

Mollys Bücher, die sie in ihrem Häuschen an der Comiche d'Or hoch über dem blauen Mittelmeer schrieb, spielten im Agenten-Milieu. Sie selbst war zwar keine Spionin gewesen, wie ihr Sohn John vermutete, hatte aber während des Krieges als Sekretärin des Secret Service das Milieu genau studieren können. Ihr Mann war in Afrika gefallen, und sie hatte nur zu schreiben begonnen, weil sie von der Witwenpension allein nicht hätte leben können.

Vor vier Tagen war ihre neue Nachbarin eingetroffen. Molly hatte gerade auf ihrer kleinen Terrasse den Tee getrunken, als ein Taxi vorfuhr und das junge Mädchen ausstieg. Zu dieser Zeit konnte sie nicht mit dem Train Bleu, sondern nur vom Flughafen Nizza gekommen sein. Ein Mann mittleren Alters, der trotz seiner stämmigen und aggressiven Erscheinung etwas Verstohlenes an sich hatte, begleitete sie. Seine Kleidung kam Molly merkwürdig vor. Das heißt, sie war nicht an sich merkwürdig, aber sie passte zu einem Geschäftsmann der Londoner City und nicht zu einem Urlauber an der Riviera. Der Mann half dem Fahrer, das Gepäck ins Haus zu tragen. Nach etwa zehn Minuten kehrte er zu dem wartenden Taxi zurück, fuhr davon und hatte sich seitdem nicht wieder blicken lassen.

Seltsam war, dass auch sonst kein Mensch die Villa nebenan besucht hatte und dass das Mädchen, soviel Molly wusste, niemals ausging, wenigstens tagsüber nicht.

In der letzten Nacht hatte sich das Geheimnis noch vertieft. Molly war kurz nach ein Uhr wach geworden, als ein loser Stein einen steilen Gartenweg hinunterkollerte. Sie stand auf und trat ans Fenster. Das Mondlicht fiel silbern auf die Kakteen zwischen den Pinien, und ihre Nachbarin stieg gerade die Stufen hinab, die von der Terrasse zur Straße führten.

Molly hatte sich ein Buch genommen und mit gespitzten Ohren auf die Rückkehr des Mädchens gewartet. Es dauerte anderthalb Stunden, bis sie das Gartentor klicken hörte. Sie stand wieder auf und sah die Unbekannte ins Haus zurückkehren.

Warum ging das junge Mädchen nachts spazieren, wenn es am Tag nie einen Fuß vor die Tür setzte?

Zum zwanzigsten Mal an diesem Vormittag wandelten Mollys graugrüne Augen von der Schreibmaschine zum offenen Fenster.

Die neue Nachbarin war die unschuldige Ursache, dass sie mit ihrer Arbeit nicht weiterkam, und, was wichtiger war, sie würde nicht eher wieder Ruhe finden, bis sie nicht wenigstens versucht hatte, dem Mädchen zu helfen, falls es in Schwierigkeiten steckte.

Da gab es nur eins zu tun. An der Riviera war es nicht üblich, zeitweiligen Nachbarn Besuche abzustatten. Aber Molly hatte von ihrer Köchin erfahren, dass die Unbekannte Engländerin war. Das mochte als Vorwand ausreichen.

Kurz entschlossen schob Molly ihren Stuhl zurück und stand auf. Vor ihrer Nase lag ein echtes Geheimnis, und sie würde es aufklären.

 

 

 

 

 

 

  2.

 

 

 

Auf dem Weg in ihr Schlafzimmer zog Molly Fountain sich den leinenen Arbeitskittel über den Kopf. Niemand, der sie in diesem Augenblick gesehen hätte, würde sie auf fünfundvierzig geschätzt haben. Ihre Figur war ausgezeichnet, und nur ihr graues Haar verriet ihr Alter.

Sie nahm eine weiße, handgestickte Bluse und einen grauen Mantel mit passendem Rock aus dem Schrank, zog sich schnell an und ging zur Nachbarvilla hinüber. Als sie die steilen Stufen erklommen hatte, bog sie zur Terrasse ein. Das Mädchen hatte ihre Schritte gehört und erhob sich von einem Liegestuhl, machte aber keine Anstalten, Molly entgegenzugehen und zu begrüßen. Ihr Gesichtsausdruck war wachsam, und Molly meinte, in den dunklen Augen eine Spur von Furcht zu entdecken.

Fröhlich begann sie: »Ich bin Molly Fountain, Ihre Nachbarin. Da wir beide Engländerinnen sind, dachte ich...«

Die Augen des Mädchens weiteten sich. »Doch nicht die Molly Fountain?«, rief sie lebhaft aus.

Molly lächelte. Ihr Name war durchaus nicht allgemein bekannt, aber diese Frage war ihr in den letzten zwei Jahren doch schon öfter gestellt worden.

»Falls Sie an die Autorin von Secret-Service-Storys denken, dann werde ich es wohl sein.«

»Ich finde Ihre Bücher unheimlich spannend«, versicherte das Mädchen.

Molly nutzte den ihr so unerwartet zugefallenen Vorteil schnell aus. »Wenn Sie einige meiner Bücher gelesen haben, werden Sie mich hoffentlich nicht ganz als eine völlig Fremde betrachten. Bitte, entschuldigen Sie, dass ich Ihnen meinen ersten Besuch am Vormittag mache, aber die gesellschaftlichen Formen werden hier weniger beachtet als zu Hause, und ich dachte, es wäre Ihnen vielleicht lieber so, als wenn ich am Nachmittag meine Karte abgegeben hätte.«

Zum ersten Mal sah Molly das Mädchen von Angesicht zu Angesicht, und während sie sprach, betrachtete sie sie genau. Sie war überdurchschnittlich groß und sehr dünn. Die Gehemmtheit, die sich in ihren Bewegungen ausdrückte, gab ihr das Aussehen eines zu lang geratenen Schulmädchens. Molly schätzte sie auf neunzehn. Über der breiten Stirn war das dicke, wellige dunkelbraune Haar in der Mitte gescheitelt. Der Mund war voll und großzügig geschnitten. Eine Stupsnase raubte ihr jeden Anspruch auf klassische Schönheit, und ihr Teint wirkte ein bisschen kränklich. Am schönsten an ihr waren ihre Zähne, die, wenn sie lächelte, blendendweiß aufblitzten, und ihre großen, außergewöhnlich leuchtenden braunen Augen.

Mollys Erwähnung der gesellschaftlichen Formen erinnerte das Mädchen an die Pflichten der Gastfreundschaft. Nah einem Augenblick des Zögerns forderte sie Molly auf: »Möchten Sie nicht eintreten?«

»Danke, gern«, antwortete Molly prompt. »Aber, wissen Sie, Sie haben mir Ihren Namen noch gar nicht genannt.«

»Oh!« Wieder gab es eine kurze Pause. »Ich heiße Christina Mordant.«

Ȇbereinen steilen Gartenweg erreichten sie den Rasenplatz vor dem Haus.

»Sind Sie zum ersten Mal an der Riviera?«, fragte Molly.

»Ja«, sagte Christina und führte ihren Gast durch eine Terrassentür ins Wohnzimmer. »Aber in Frankreich lebe ich schon seit einiger Zeit. Bis kurz vor Weihnachten war ich in einem Pensionat in Paris.«

»Ich bin gern bereit, Ihnen etwas von dieser wunderschönen Küste zu zeigen«, bot Molly an.

Jetzt war Christinas Zögern deutlicher zu merken. »Danke«, stotterte sie, »zu nett von... aber... ich mache mir nicht viel daraus, auszugehen.« Voller Verlegenheit setzte sie hastig hinzu: »Nehmen Sie doch Platz. Ich werde Ihnen etwas zu trinken holen. Leider kann ich Ihnen keinen Cocktail anbieten, aber Maria könnte schnell Kaffee kochen. Wir haben auch einen köstlichen Orangensaft.«

Molly hatte gar keinen Durst, doch sie nahm die Gelegenheit wahr, ihren Besuch zu verlängern.

»Organgensaft wäre fein, wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht.«

Sobald Christina das Zimmer verlassen hatte, sah sich Molly unter den Scheußlichkeiten aus billigem Holz und Chrom der möbliert vermieteten Villa um. Sie hoffte, irgendeinen Hinweis auf Christinas Persönlichkeit zu finden, und tatsächlich entdeckte sie auf einem Tischchen ein Manikür-Etui, das die Initialen E. B. trug.

Christina kam mit einem Tablett zurück. »Und Sie leben das ganze Jahr über hier, Mrs. Fountain?«, fragte sie und goss zwei Gläser voll.

»Fast das ganze Jahr über. Den Juni verbringe ich meistens in London, und dann gönne ich mir im Herbst noch vierzehn Tage Paris, aber ich kann es mir nicht leisten, mehr als sechs Wochen in einem Hotel zu wohnen.«

Christina hob ihre dunklen Augenbrauen. »Ich hätte gedacht, Sie seien schrecklich reich. Ihre Bücher müssen Ihnen doch Tausende einbringen.«

»Das ist ein weitverbreiteter Irrglauben«, lächelte Molly.

»Sicher, ich habe ein paar Bestseller geschrieben. Aber das meiste Geld schluckt die Steuer.«

Weitere zehn Minuten gingen im Gespräch über Bücher und Autoren hin. Offenbar interessierte Christina sich sehr für Literatur. Als sie erwähnte, sie habe eine Vorliebe für historische Romane, bemerkte Molly:

»Da überrascht es mich aber, dass Sie so gar keine Ausflüge machen. Diese Küste ist voller geschichtlicher Sehenswürdigkeiten, die bis auf die Zeiten der Phönizier zurückgehen. Als ich in

Ihrem Alter war, hätte ich alles darum gegeben, diese Stätten besuchen zu dürfen.«

Christina sah sie verlegen an, wendete dann die Augen ab und murmelte: »Mir macht es eben Spaß, im Garten zu faulenzen.«

»Wie lange werden Sie hierbleiben?«

»Noch drei Wochen. Die Villa ist für einen Monat gemietet.«

»Fühlen Sie sich nicht sehr einsam? Haben Sie gar keine Bekannten, die Sie besuchen könnten oder die einmal zu Ihnen kommen?«

»Nein. Ich kenne hier unten niemanden. Aber... aber ich bin gern allein.«

»Es ist ein großes Glück, wenn man mit der eigenen Gesellschaft zufrieden ist und nicht ständig nach neuen Zerstreuungen jagen muss«, meinte Molly. »Aber trotzdem finde ich, Sie müssten ab und zu ein wenig Abwechslung haben. Gehen Sie wirklich nie aus?«

Christina schüttelte den Kopf.

»Heute Nacht hielt mich ein spannendes Buch lange wach, und als ich dann aufstand, um mir Schlaftabletten zu holen, glaubte ich, Sie gerade durch den Garten nach Hause kommen zu sehen.«

Christinas Gesicht blieb verschlossen. »Ja, ich habe einen kleinen Spaziergang gemacht. Nachmittags schlafe ich meistens. Aber wenn es dunkel wird, überkommt mich eine seltsame Unruhe. Ich weiß auch nicht warum.«

»So geht es manchen Menschen. Die Astrologen behaupten, unser ganzes Leben werde durch die Stunde unserer Geburt bestimmt, und wer am Abend geboren ist, werde immer abends munter.«

»Tatsächlich? Das scheint auf mich zu passen. Ich wurde abends um halb zehn geboren.« Nah einer Sekunde fügte Christina freiwillig die Information hinzu: »Ich habe am sechsten März Geburtstag. Nächsten Monat werde ich einundzwanzig.«

»Dann werden Sie an Ihrem Geburtstag noch hier sein. Das ist ja eine nette Gelegenheit, mit Verwandten oder Freunden mal richtig zu feiern.«

»Ich nehme an, ich werde ganz allein sein.«

Molly dachte darüber nach, wie seltsam es doch war, dass dieses junge Mädchen keinen Menschen in der Welt hatte, der den Wunsch hegte, ihren 21. Geburtstag zu einem unvergesslichen Tag für sie zu machen.

Aber damit war sie der Lösung des Geheimnisses noch keinen Schritt nähergekommen.

Wie würde sich Colonel Crackenthorp, der Held ihrer Romane, in einer solchen Situation verhalten? Natürlich würde er es mit einer Schocktaktik versuchen. Also wollte Molly das auch tun. Sie sah dem Mädchen gerade in die Augen und fragte plötzlich:

»Christina Mordant ist nicht Ihr richtiger Name, nicht wahr?«

Das Mädchen zuckte zusammen und keuchte: »Woher... woher wissen Sie das?«

Gleich darauf erholte sie sich wieder von ihrem Schreck. Ihr Gesicht war weiß geworden, aber sie stand langsam auf. Ihre großen braunen Augen verengten sich und funkelten zornig. Sie zitterte am ganzen Körper.

»Was geht das Sie an?« fauchte sie. »Sie haben kein Recht, in meinen Privatangelegenheiten herumzuspionieren! Was nehmen Sie sich eigentlich heraus? Auf der Stelle gehen Sie!«

Colonel Crackenthorps Schocktaktik hatte in Mollys Büchern immer einen ganz anderen Erfolg. Das Mädchen wäre zusammengebrochen, hätte an seiner breiten Schulter geweint und alles gestanden. Aber sie war auch kein gutaussehender Bursche wie »Crack« sondern nur eine Romanschreiberin mittleren Alters.

Sie erhob sich. »Bitte, entschuldigen Sie. Ich habe in der Tat kein Recht, Sie so auszufragen. Das war unhöflich von mir. Ich kann Ihnen versichern, das ist sonst gar nicht meine Art. Aber ich habe mir Sorgen um Sie gemacht. Ich hoffte, Sie würden mir anvertrauen, wenn Sie in Schwierigkeiten stecken. Sie sind noch so sehr jung und scheinen niemanden zu haben, an den Sie sich wenden können. Immer wenn ich Sie auf Ihrer Terrasse sah, machten Sie einen so unglücklichen Eindruck. Jetzt kann ich Sie nur noch bitten, mir meine Einmischung zu verzeihen.«

Mit dem Rest ihrer Würde neigte Molly kurz den Kopf und schritt durch die Terrassentür hinaus. Sie hatte den Rasen zur Hälfte überquert, als sie hinter sich einen verzweifelten Aufschrei hörte.

»Oh, Mrs. Fountain! Kommen Sie zurück! Ich habe das nicht so gemeint. Sie sind so freundlich. Ich bin überzeugt, dass ich Ihnen vertrauen kann. Ich kann Ihnen nicht sagen, warum ich hier bin, denn das weiß ich selbst nicht. Aber ich werde wahnsinnig vor Angst. Bitte, hören Sie mich an!«

Molly kehrte um, und im nächsten Augenblick weinte das Mädchen in ihren Armen. Ohne Überheblichkeit, jedoch mit einiger Überraschung stellte sie fest, dass die Technik des guten alten Crack nun doch funktioniert hatte.

 

 

  3.

 

 

 

Gut zehn Minuten vergingen, bis Christina wieder fähig war, zusammenhängend zu sprechen. Molly erfuhr nur, dass ihr Vater der Mann war, der vor vier Tagen mit dem Taxi gekommen und gleich darauf weggefahren war.

Jetzt saßen sie im Wohnzimmer auf dem billigen Plüschsofa. Molly hatte dem Mädchen einen Arm um die Schultern gelegt und wischte ihr mit einem kleinen Taschentuch die Tränen ab.

»Mein Liebes«, sagte Molly, »hat Ihr Vater Ihnen wirklich gar keinen Grund genannt, warum er Sie allein hier zurückgelassen hat?«

»Nur... nur dass ich... Feinde hätte, die mich verfolgten.«

»Was für Feinde?«

Christina fischte ihr eigenes Taschentuch hervor und putzte sich energisch die Stupsnase. Mit festerer Stimme antwortete sie: »Ich habe keine Ahnung. Ich zerbreche mir ständig den Kopf darüber.« Sie trank einen Schluck Orangensaft und fuhr fort: »Er sagte, ich wäre in großer Gefahr, aber es könnte mir nichts passieren, wenn ich seinen Anweisungen aufs Wort folgte. Als ich ihn drängte, mir mehr zu verraten, meinte er, es wäre besser für mich, wenn ich nichts davon wüsste.«

»Armes Kind! Und Sie haben gar keinen Anhaltspunkt, worin die Gefahr besteht?«

»Nein. Ich habe nie jemandem etwas zuleide getan, ehrlich nicht.«

Molly dachte nach. »Sind Sie zufällig eine Erbin? Ist Ihr Vater sehr wohlhabend? Dann könnte es nämlich um eine Entführung gehen.«

»Ich glaube schon, dass er mit seiner Maschinenfabrik viel Geld verdient, aber auch nicht mehr als eine große Zahl anderer britischer Industrieller. Ich wüsste nicht, warum Kidnapper gerade auf ihn kommen sollten.«

»Maschinenfabrik?«, nahm Molly den Faden auf. »Vielleicht ist Ihr Vater eine Schlüsselfigur in der Aufrüstung! Möglich, dass die Russen Sie entführen wollen, um von ihm Informationen über geheime neue Entwicklungen zu erpressen.«

Mit einem schnellen Kopfschütteln dämpfte Christina Mollys Eifer. »Das kann nicht sein, Mrs. Fountain. Mein Vater stellt nur langweilige Landmaschinen her.«

Von neuem überdachte Molly das Problem. »Sind Sie, ehe Sie England verließen, wegen einer kleinen Operation in einem Privatkrankenhaus gewesen?«

»Ja.« Die braunen Augen wurden rund vor Überraschung. »Woher wissen Sie das?«

»Es war nichts als eine Vermutung. Aber es könnte eine Erklärung sein. Ihr Vater mag Sie hergebracht haben, um Sie vor der Polizei zu verstecken.«

»Das verstehe ich nicht. Es ist doch kein Verbrechen, sich operieren zu lassen.«

»So ungefähr habe ich es mir vorgestellt«, fuhr Molly unbeirrt fort. »Auch heutzutage kommt es noch vor, dass ein Mädchen neunzehn oder zwanzig wird, ohne genug vom Leben zu wissen, um auf sich aufpassen zu können. Als Sie feststellten, dass sie ein Kind bekamen, hat Ihr Vater Sie in ein Privatkrankenhaus gebracht, um es entfernen zu lassen. Er mag sich gedacht haben, dass es für Sie in Ihrem Kummer besser wäre, gar nicht erst zu erfahren, dass so etwas illegal ist. Aber das ist es, und alle Beteiligten können dafür ins Gefängnis kommen. Kein Wunder, dass Ihr Vater Sie für einige Zeit versteckt halten möchte, bis die Gefahr einer Entdeckung vorüber ist.«

Christina hatte schweigend zugehört, aber nun begann sie zu kichern, und dann lachte sie mit strahlend weißen Zähnen laut heraus. Mollys mitfühlender Gesichtsausdruck veranlasste sie, sich schnell wieder zu beherrschen.

»Entschuldigen Sie, Mrs. Fountain. Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie mir helfen wollen, aber auch Sie würden die komische Seite Ihrer letzten Theorie erkennen, wenn Sie wüssten, wie ich erzogen worden bin. Ich bin schon vor Jahren von anderen Mädchen aufgeklärt worden,, doch ich habe bis zum Dezember vorigen Jahres fast mein ganzes Leben in Schulen verbracht - auch die Ferien. Und in sämtlichen Schulen wurde ich vor allem, was Hosen trägt, so sorgfältig behütet wie in einem Kloster. Bis heute habe ich noch nie einen Freund gehabt, ganz zu schweigen von einem Verhältnis.«

Molly kam sich ziemlich dumm vor. Sie versteckte ihre Verlegenheit unter einem Lächeln. »Um welche Operation handelte es sich denn?«

»Mir wurden die Mandeln herausgenommen. Der Arzt meinte, es wäre nicht nötig, aber Vater bestand darauf. Er sorgte dafür, dass ich hinterher noch drei Wochen in dem Krankenhaus blieb, dann brachte er mich geradenwegs hierher.«

»Das sieht so aus, als versuchte er schon seit Ende Januar, Sie zu verstecken.«

»Kann sein. Anfangs war ich ganz gerührt, dass er sich so um mich kümmerte. Er scheint sich um mich früher nie viel Gedanken gemacht zu haben. Sicher haben Sie recht damit, dass er mich verstecken will, aber ich verstehe das Ganze nicht.«

Mollys Herz öffnete sich immer mehr diesem mutterlosen, verlassenen Mädchen. »Wir werden der Sache schon irgendwie auf den Grund kommen, mein Liebes. Allerdings muss ich dazu mehr über Sie erfahren. Wollen Sie nicht damit anfangen, mir Ihren richtigen Namen zu nennen?«

»Es tut mir leid. Ich werde Ihnen gern alles erzählen, was Sie wissen möchten, aber meinen Namen kann ich Ihnen nicht sagen. Vater ließ mich schwören, ihn niemandem zu verraten. Macht es Ihnen etwas aus, mich weiterhin Christina zu nennen?«

»Natürlich nicht, Liebes. Dann berichten Sie mir zuerst über Ihren Vater. Welche Gründe hatte er, Sie ständig in Internate zu schicken? Die Vergangenheit mag uns einen Anhaltspunkt für sein jetziges Verhalten geben.«

Christina nahm eine Zigarettenschachtel, bot Molly an und nahm sich selbst auch eine Zigarette.

»Ich weiß es nicht genau«, begann sie, »aber ich nehme an, Vater hat mir nie besondere Zuneigung gezeigt, weil ich ein unerwünschtes Kind war. Damals gehörte er der arbeitenden Klasse an. Er war ein Chauffeur, der das Hausmädchen geheiratet hatte. Aber er war von Jugend an sehr ehrgeizig, und ich muss für ihn eine zusätzliche Last gewesen sein, die ihn am Vorankommen hinderte.«

Sie lächelte verlegen.

»Ich bin in Essex geboren, in der Chauffeurs-Wohnung über der Garage, die zum Haus einer reichen alten Dame gehörte. Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen den Namen des Hauses und des Dorfes nicht nenne. Wir wohnen jetzt nämlich selbst in diesem Haus, und ich würde damit praktisch mein Versprechen brechen. Als ich ein paar Wochen alt war, gab mein Vater seine Stellung auf und kaufte sich in einem kleinen Geschäft in der nahe gelegenen Stadt ein.«

Wie gebannt hörte Molly zu.

»Wir lebten in einer kleinen Wohnung. Wir waren keine glückliche Familie. Für Mutter muss es schrecklich gewesen sein. Vater war nicht direkt unfreundlich zu ihr, das heißt, er war es erst zum Schluss, aber er interessierte sich für nichts anderes als für seine Arbeit. Von seinen beiden Partnern starb der eine nach ein oder zwei Jahren, und den anderen kaufte er aus. Aber damit war er nicht zufrieden. Er gründete eine kleine Fabrik, in der er Motoren herstellte, die er größtenteils selbst erfunden hatte, und sie verkauften sich wie warme Semmeln. Als ich fünf war, zogen wir in ein größeres Haus. Vater hatte noch weniger Zeit als früher, und für Mutter hatte er keinen Pfennig mehr übrig, weil er alles ins Geschäft steckte.« Die Erinnerung ließ ihre Augen matt glänzen.

»Da Mutter gar kein Vergnügen und keine Bekannten hatte, suchte sie Anschluss in einer Freikirche. Aus irgendeinem Grund war Vater außerordentlich verärgert darüber. Sie stritten sich oft. Da er selbst Agnostiker ist und die christliche Lehre ablehnt, musste ihn das natürlich in Wut bringen.

Schließlich verbot er ihr, in die Kirche zu gehen. Aber sie tat es doch, und an meinem sechsten Geburtstag nahm sie mich mit. Es wurde für uns beide ein unangenehmes Erlebnis. Ich musste mich übergeben, noch ehe ich die Kirche betreten hatte, und Mutter brachte mich wieder nach Hause. Dieses peinliche Geschehen wiederholte sich noch zweimal. Warum Kirchen und Kapellen eine solche Wirkung auf mich haben, weiß ich nicht. Kein Arzt konnte eine Erklärung finden. Deshalb wurde ich immer vom Gottesdienst befreit. Noch heute kann ich keinen Blick in eine Kirche werfen, ohne Brechreiz zu bekommen.«

Sie lächelte verwirrt.

»In meiner Kinderzeit war Schluss mit den Kirchgängen, weil ich mich Vater gegenüber verplapperte. Er reagierte wie ein Wahnsinniger, warf seinen Teller nach Mutter, sprang auf und jagte sie um den Tisch. Ich rannte schreiend nach oben in mein Zimmer. Eine Zeitlang, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, hörte ich, wie er sie schlug und verfluchte. Sie musste eine Woche im Bett liegen, und danach war sie nie mehr dieselbe Frau wie früher. Immer klagte sie über Schmerzen, und die Hausarbeit fiel ihr ständig schwerer. Ihre Bekannten aus der Gemeinde machten sich Sorgen um sie und besuchten sie, und auch der Pastor kam ein- oder zweimal in der Woche, wenn Vater nicht da war, und las mit ihr in der Bibel.

Einer dieser Besuche war eine Ursache, dass sie im Alter von achtundzwanzig Jahren sterben musste. Vater kam eines Nachmittags unerwartet nach Hause und fand den Pastor vor. Ich war im Kindergarten und habe erst später davon gehört. Vater packte den Geistlichen bei den Schultern und warf ihn aus dem Haus.

Seltsamerweise hatte dieser Angriff auf einen Mann Gottes keine schlimmen Folgen für Vater. Einige Leute zogen sich von ihm zurück, und er musste seinen Plan aufgeben, für den Stadtrat zu kandidieren. Aber seine beruflichen Erfolge wurden nicht geschmälert. Der Pastor hat ihn nicht wegen Körperverletzung angezeigt.«

Sie machte eine Pause und sagte dann leise: »Als Vater am nächsten Morgen aufwachte, lag Mutter tot neben ihm im Bett. Allgemein wurde angenommen, der verzögerte Schock habe sie getötet. Eine Nachbarin allerdings, die ein leeres Röhrchen mit Schlaftabletten fand, behauptete, sie hätte sich selbst umgebracht, um dem Zusammenleben mit Vater zu entrinnen. Falls Vater die Wahrheit kennt, dann ist er der einzige.«

Christina zündete sich eine neue Zigarette an und fuhr fort: »Für einige Zeit sah unsere Nachbarin nach mir. Im Herbst brachte mein Vater dann eine Frau namens Annie ins Haus. Sie war dick und blond und faul, aber gutmütig. Sie versicherte mir, sie hätte sich immer eine kleine Tochter wie mich gewünscht, und mein Leben mit ihr war eine Folge von fröhlichen Spielen und kleinen Überraschungen. Zweifellos war sie gewöhnlich und ziemlich dumm, aber die neun Monate, die sie bei uns war, bedeuten für mich die glücklichste Zeit meines Lebens, und als sie fortging, war ich wochenlang untröstlich.

Vater brach mit ihr, weil er so schnell vorankam. Er kaufte ein neues Haus in der besten Wohngegend, und in diese Umgebung passte Annie nicht mehr. Sie machte keine Szene. Sie hatte mehr Würde als manche gebildetere Frau, die ich kennengelernt habe.

Für mich hatte das neue Haus dadurch allen Glanz verloren. Bald hasste ich es geradezu. Vater ersetzte Annie durch ein Mädchen, das seine Sekretärin gewesen war. Sie machten sich nicht die Mühe, vor mir zu verbergen, dass sie miteinander schliefen. Sie hieß Delia Weddel und stammte aus einer guten Familie, aber wenn ich je eine Hure gesehen habe, dann sie.

Erst ein gesundheitlicher Zusammenbruch rettete mich vor ihr. Der Arzt empfahl Seeluft für meine Gesundheit, und da ich bald acht wurde, sollte ich nach Weihnachten in ein Internat an der See kommen. Delia war nur zu froh, mich loszuwerden.

Als ich Weihnachten das erste Mal nach Hause kam, stellte ich zu meiner Freude fest, dass es mit Delia ein ebensolches Ende genommen hatte wie mit Annie. Vater hatte ein Paar mittleren Alters namens Jutson ins Haus genommen, sie als Köchin und Haushälterin und ihn für die schweren Arbeiten und den Garten. Sie sind heute noch bei uns. Später fand ich heraus, dass Vater sich Wohnungen für seine wechselnden Mätressen in London hielt. Ich erfuhr über sie so gut wie nichts.

Die Jutsons sind ehrbare, schwer arbeitende Leute, aber sie ist eine recht mürrische Person. Ich glaube, Vater hat sie immer sehr gut dafür bezahlt, dass sie über seine Angelegenheiten schweigen, denn immer, wenn ich einen der Jutsons fragte, warum Vater so selten zu Hause wäre, erhielt ich die Antwort: »Wer nicht fragt, bekommt auch keine Lügen zu hören.«

Nach dem Internat schickte mich Vater auf eine Haushaltsschule in Somerset. Dort blieb ich weitere zweieinhalb Jahre.

Ich war ganz zufrieden, aber kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag schrieb der Schulleiter meinem Vater, da ich nun alle Kurse mitgemacht und alle Examina abgelegt hätte, könnte er mich nicht länger behalten. Vater steckte mich in ein Pensionat in Paris, und dort blieb ich bis zum Dezember vergangenen Jahres.«

Wieder steckte Christina sich eine Zigarette an und setzte hinzu: »Ich vergaß zu erwähnen, dass die alte Mrs. Durnsford starb und Vater The Grange kaufte...«

Betroffen hielt sie inne. »Verdammt, jetzt habe ich eine Sache ausgeplaudert, die ich Ihnen nicht sagen wollte.«

Molly lächelte. »Machen Sie sich keine Sorgen, mein Liebes. Ich werde keinen Versuch machen, aufgrund dieser Information Ihren Namen herauszufinden, und als Bruch Ihres Versprechens kann man diesen kleinen Ausrutscher nicht bezeichnen.«

»Nein, das wohl nicht«, stimmte Christina zu. »Für mich brachte es keine wesentliche Änderung, dass Vater in seine alte Heimat zurückkehrte. Die Jutsons wohnen jetzt in der Wohnung über der Garage, wo ich geboren bin. Anderes Personal hat Vater nicht im Haus, und er verkehrt mit niemandem - außer dem alten Kanonikus Copely-Syles.«

Etwas ungeschickt endete Christina: »Und das ist alles.«

»Ach, Sie armes Kind! Doch erzählen Sie mir von diesem Kanonikus.«

»Ich kenne ihn schon seit meiner frühesten Kindheit. Er wohnt nur eine Meile von uns entfernt auf dem Weg ins Dorf, in der Priorei. Auch als wir in... in der Stadt lebten, besuchte er uns von Zeit zu Zeit.«

»Es kommt mir recht merkwürdig vor, dass Ihr Vater mit seinem Vorurteil gegen die Kirche einen Kanonikus zum einzigen Freund hat.«

»Kanonikus Copely-Syles übt kein kirchliches Amt aus, und ich vermute, er hat Vater zu seinem beruflichen Start verholfen. Sie kannten sich schon zu der Zeit, als Vater noch Chauffeur bei Mrs. Durnsford war. Es kann zum Teil meinetwegen gewesen sein, dass der Kanonikus immer dann zu uns kam, wenn ich für ein paar Tage zu Hause war. Er ist nämlich mein Pate.«

»Wissen Sie etwas darüber, was Ihr Vater für Pläne mit Ihnen hat, wenn der Monat, für den die Villa gemietet ist, vorbei ist?«

»Ja und nein. Das gehört mit zu den Dingen, die mich beunruhigen. Er sagte, wenn alles gut gehe, würde er kommen und mich abholen. Käme er nicht, solle ich nach England zurückkehren und mich an das Hauptbüro der National Provincial Bank in London wenden. Er habe für mich so gut vorgesorgt, dass ich, ohne arbeiten zu müssen, mein ganzes Leben lang ein ausreichendes Einkommen haben werde.«

»Großer Gott!«, rief Molly aus. »Daraus kann man doch nur schließen, dass Sie beide von dieser Gefahr bedroht werden und dass es sich um etwas Schlimmeres handelt als Erpressung oder das Risiko einer Gefängnisstrafe.«

Christina nickte. »Ja, und mir schaudert bei dem Gedanken, dass er jetzt vielleicht schon tot ist und dass auch ich, wenn man mich findet, noch vor Ende dieses Monats sterben muss.«

Molly versuchte, sie zu beruhigen. »Mein liebes Kind, so etwas dürfen Sie nicht denken. Leider muss ich gestehen, dass ich trotz allem, was Sie mir erzählt haben, noch immer nicht weiß, welche Gefahr Ihnen droht.«

Eine Viertelstunde lang stellten sie alle möglichen Vermutungen an. Als Molly sich erhob und Abschied nehmen wollte, meinte Christina: »Sie sind so freundlich zu mir gewesen, Mrs. Fountain. Für mich bedeutet es schon eine große Erleichterung, dass ich mich einmal aussprechen durfte.«

Molly gab ihr, auf Zehenspitzen stehend, einen Kuss. »Das freut mich sehr, und, nicht wahr, Sie kommen zu mir herüber, wann immer Sie möchten? Wenn wir uns in der Zwischenzeit nicht sehen, erwarte ich Sie morgen zum Lunch. Aber wenn Sie auch nur den geringsten Anlass haben, sich zu fürchten, zögern Sie nicht, mich sofort aufzusuchen.«

Zusammen traten sie hinaus in den Sonnenschein und kletterten den steilen Gartenweg hinab. Auf halbem Weg raschelte es im Unterholz, und ein freudiges Bellen erscholl.

»Das ist Fido, mein Cockerspaniel«, erklärte Molly. »Der böse Hund muss mich gesehen haben und durch die Hecke geschlüpft sein.«

Geschickt vermied der Hund die stachligen Kakteen und sprang auf seine Herrin zu. Als er in Christinas Nähe kam, blieb er plötzlich stocksteif stehen. Seine Nackenhaare sträubten sich, Speichel tropfte von seinen Lefzen, und er ließ ein furchtsames Winseln hören.

»Was kann denn nur mit ihm los sein?«, rief Molly erstaunt. »So etwas habe ich bei ihm noch nie erlebt!«

»Ich kann nichts dafür«, sagte Christina mit kläglichem Gesicht. »Aber alle Tiere schrecken vom ersten Augenblick an vor mir zurück.«

 

  4.

 

 

 

Es war der erste März, und an diesem Morgen war John Fountain, Mollys Sohn, eingetroffen. Er war dreiundzwanzig Jahre alt und in einer Firma für Innenarchitektur tätig. Gerade hatten er und seine Mutter ihren Lunch beendet, und er lehnte sich mit einem zufriedenen Seufzer zurück.

»Welch ein Vergnügen, wieder einmal französische Küche zu genießen! Aber jetzt erzähl mir mal ein bisschen mehr über das Mädchen von nebenan.«

»Viel mehr ist da wohl nicht zu erzählen, Johnny. Sie fürchtet sich immer noch, tagsüber das Grundstück zu verlassen, doch unlogischerweise macht es ihr nachts nichts aus. Sonntags esse ich der Abwechslung wegen immer in einem Restaurant, und da fragte ich sie, ob sie Lust habe, mit mir ins Reserve nach St. Raphael zu gehen. Sie sagte nein, und dann tauchte sie etwa um halb sieben auf und meinte, ob sie es sich noch anders überlegen dürfe. Natürlich sagte ich ja, und ich bin überzeugt, es hat ihr Freude gemacht.«

»Nimmst du ihr die Geschichte tatsächlich ab?«

»Ja. Sie hat ein so aufrichtiges Gesicht, und ich kann mir auch nicht vorstellen, aus welchem Grund sie mich täuschen sollte. Jeder Verdacht, sie wolle sich Geld von mir leihen oder so etwas, wird hinfällig durch die Tatsache, dass ich mich ihr genähert habe und nicht umgekehrt. Und schließlich beweist die Art, wie ihr der Name ihres Hauses und der der früheren Besitzerin entschlüpfte, dass sie keine geübte Lügnerin ist.«

»Mit einem alten Telefonbuch von Essex wäre es eine Kleinigkeit, das Dorf, aus dem sie stammt, festzustellen. Die Initialen auf dem Maniküre-Etui machen es so gut wie sicher, dass ihr wirklicher Name mit einem B beginnt.«

»Es wäre aber nicht recht, wenn wir das täten.«

»Es könnte notwendig werden, wenn die Leute, die hinter ihr her sind, plötzlich auf der Bildfläche erscheinen.«

»Das wollen wir nicht hoffen! Johnny, könntest du ihr, solange du hier bist, nicht ein bisschen von deiner Zeit widmen? In Begleitung eines Mannes wird sie wahrscheinlich weniger Angst haben, tagsüber auszugehen, und ein bisschen Abwechslung würde ihr sehr guttun.«

Johnny grinste. »Zweifellos, aber was ist mit mir? Schließlich bin ich hier auf Urlaub. Glaubst du, dass sie meine Kragenweite ist?«

»Ehrlich gesagt, nein, das glaube ich nicht. Sie ist praktisch ein neugeborenes Lamm, und wahrscheinlich wird sie dich nur langweilen. Doch sie hat noch so gut wie gar nichts von ihrem Leben gehabt und ist so schrecklich einsam, dass es eine gute Tat wäre, wenn du ihr ab und zu eine oder zwei Stunden schenken würdest.«

»Das riecht doch eine Meile nach Verkuppelungsabsichten!«, lachte John.

»Idiot! Ich versichere dir, an eine ernsthafte Beziehung zwischen dir und diesem jungen Mädchen habe ich überhaupt nicht gedacht. Es ist einfach so, dass sie die Gesellschaft von jungen Menschen nötig hat und...«

»Na gut. Bevor ich mich schlagen lasse...«

Er verstummte, denn auf dem Kiesweg vor der Fenstertür knirschten Schritte. Im nächsten Augenblick fiel ein langer Schatten über das Parkett, und Christina stand auf der Schwelle.

»Ich hoffe, ich störe nicht, Mrs. Fountain«, begann das Mädchen atemlos. »Ich wusste, dass Ihr Sohn heute angekommen ist, und ich habe gewartet, bis ich der Meinung war, jetzt müssten Sie mit dem Lunch fertig sein. Ich muss Sie dringend sprechen.«

»Sie stören gar nicht, Liebes. Treten Sie nur näher«, antwortete Molly. Sie stellte die beiden jungen Leute einander vor. Sie nickten höflich und lächelten. Keiner von beiden streckte die Hand aus. John dachte: »Mein Gott, was für eine Nase! Die Augen sind allerdings bemerkenswert.« Christina hingegen schoss es durch den Kopf. »Er sieht ganz nett aus. Nur schade, dass er einen so vorstehenden Adamsapfel hat.«

»Setzen Sie sich doch.« Molly bot Zigaretten an, und Christina nahm sich eine. John erkundigte sich: »Wie wäre es mit einem Likör?«

»Danke, nein«, gab Christina schnell zurück. »Ich trinke keinen Alkohol.«

»Es wird Ihnen sicher lieber sein, wenn John uns allein lässt«, bemerkte Molly nach einer Pause. »Er hat sich auch so mit Essen vollgestopft, dass er kaum noch die Augen offenhalten kann.«

John seufzte. »So wird man von der eigenen Mutter verjagt!«

Christina warf schnell ein: »Sie haben doch vorgeschlagen, Ihrem Sohn von mir zu erzählen, weil uns die Hilfe eines Mannes von großem Wert sein könnte, und ich habe zugestimmt. Wenn es ihm nichts ausmacht, zu bleiben, kann er von mir gleich hören, welche neue Entwicklung eingetreten ist.«

»Seien Sie überzeugt, dass ich Ihnen gern helfen werde«, versicherte John, und Molly fragte: »Hat der Feind Sie bereits aufgespürt?«

»Nein, aber ein Freund - oder wenigstens ein alter Bekannter. Ich war dermaßen überrascht, als ich ihn durch das Gartentor kommen sah, dass ich einen Augenblick lang glaubte, ich hätte einen Sonnenstich. Es war Kanonikus Copely-Syles.«

»Da er ein guter Freund Ihres Vaters ist, kann es ja sein, dass Ihr Vater ihm anvertraut hat, wo Sie sich versteckt halten.«

»Nein, das ist ja gerade das Seltsame daran. Er hat mich durch reinen Zufall entdeckt. Für ein paar Tage hält er sich in Cannes auf, und heute Vormittag fuhr er nach St. Raphael. Da sah er mich auf meiner Terrasse sitzen. Er bat seinen Freund, der den Wagen fuhr, anzuhalten, und kam zu mir.«

»Daran scheint nichts Beunruhigendes zu sein«, bemerkte John.

»Doch!«, widersprach Christina. »Seine ersten Worte waren nämlich: Mein liebes Kind, was tust du hier in Südfrankreich? Warum bist du nicht in England bei deinem Vater? Ich antwortete: Warum sollte ich das? Er machte ein ganz betroffenes Gesicht. Ja, hat dich denn niemand benachrichtigt, dass er bei einem Autounfall schwer verletzt worden ist? Ich erfuhr es gestern durch einen Brief von einem gemeinsamen Freund. Ich würde dich nie aufregen, wenn es nicht einen triftigen Grund dafür gäbe, aber wie die Dinge stehen, muss ich dir sagen, dass um sein Leben zu fürchten ist!«

Molly, deren Gedanken sich im Rahmen von Thriller-Handlungen bewegten, kombinierte: »Dieser Autounfall könnte von seinen Feinden arrangiert worden sein. So etwas ist schon häufiger geschehen.«

»Ja, möglich ist es. Jedenfalls sagte der Kanonikus, er kehre morgen nach England zurück, und er bot mir an, mich mitzunehmen.«

»Dann wollen Sie uns also verlassen?«

»Nein.« Christina schüttelte den Kopf. »Vater hat mir eingeschärft, ich müsse bleiben, ganz gleich, welche Botschaften man mir überbringe. Auch dann, wenn sie angeblich von ihm stammten.

Ich solle warten, bis er mich persönlich abhole, oder, falls er nicht käme, bis zum zwanzigsten März.«

»Damit wollte er natürlich verhindern, dass Sie Ihren Feinden in die Falle gehen, aber er kann dabei doch unmöglich an den Kanonikus gedacht haben. Haben Sie nicht bei unserm ersten Gespräch erwähnt, er sei Ihr Pate?«

»Ja, nur bedeutet das nicht viel. Er hat mir immer zu meinem Geburtstag ein kleines Geschenk geschickt, und ich habe ihm einen Dankeschön-Brief geschrieben. Näher sind wir uns nie gekommen. Ich habe ihn vielleicht dreißig- oder vierzigmal in meinem Leben gesehen, aber niemals längere Zeit, und immer in Gegenwart meines Vaters, so dass ich mit ihm stets nur höfliche Redensarten gewechselt habe.«

»Trotzdem verbindet ihn eine lebenslängliche Freundschaft mit Ihrem Vater. Daher fürchte ich, mein Liebes, an seinen schlechten Nachrichten kann kaum gezweifelt werden.«

»Der Meinung bin ich eigentlich auch«, seufzte Christina. »Aber ich muss unabsichtlich bei Ihnen einen falschen Eindruck über seine Verbindung mit Vater hervorgerufen haben. Es muss sich zwischen ihnen eher um gemeinsame Interessen als um wirkliche Freundschaft handeln. Vater sagte mir einmal, sollte mich der Kanonikus jemals in die Priorei einladen, dann sollte ich mit einer Ausrede absagen. Damals dachte ich, er fürchte, ich könne religiös werden wie Mutter. Doch auch abgesehen davon bin ich überzeugt, Vater mag ihn im Grunde nicht, und mir geht es ebenso.«

»Ist Ihnen, abgesehen von dieser persönlichen Antipathie, etwas Nachteiliges über ihn bekannt?«

»Nein, absolut nichts. Er wird im Dorf sehr geachtet.«

»Dann ist es also unwahrscheinlich, dass er mit fragwürdigen Vorgängen in Verbindung steht oder sich dazu hergeben würde, Sie auf eine so brutale Art zu täuschen?«

»Das ist wirklich kaum anzunehmen. Und trotzdem habe ich das Gefühl, ich sollte mich lieber an Vaters Anweisungen halten und bleiben, wo ich bin.«

»Was hat der Kanonikus gesagt, als Sie sein Angebot, Sie morgen mit nach England zu nehmen, ablehnten?«, erkundigte sich John.

»Er hat sich viel Mühe gegeben, mich zu überreden, und als es ihm nicht gelang, stellte er mich als gefühllose Tochter hin.«

»Womit haben Sie Ihre Weigerung begründet?«

»Ich sagte, der Freund, der ihm von Vaters Unfall geschrieben habe, müsse die Gefahr übertreiben, denn Wenn meine Rückkehr nach England wirklich nötig sei, hätte Vaters Büro mich bestimmt benachrichtigt. Vorsichtshalber teilte ich dem Kanonikus noch mit, dass ich zurzeit unter dem angenommenen Namen Christina Mordant lebe, und bat ihn, meine Identität niemandem hier unten zu enthüllen. Natürlich machte er ein sehr erstauntes Gesicht, aber er versprach es mir, ohne weiter zu fragen.«

»Kluges Mädchen«, lächelte John. »Es gibt eine ganz einfache Möglichkeit, die Wahrheit über Ihren Vater herauszufinden. Rufen Sie doch einfach zu Hause oder in seiner Fabrik an.«

»Nein, das darf ich nicht. Er hat mir verboten, ihn anzurufen, ganz gleich, was geschehen möge. Außerdem könnte der Anruf zurückverfolgt und damit mein Versteck entdeckt werden.«

Sie diskutierten noch einige Zeit, ergebnislos. Dann machte Molly den Vorschlag: »Johnny und ich wollten heute Abend zum Dinner nach Cannes fahren, und wir würden uns freuen, wenn Sie mitkämen. Wir dachten an das Carlton, aber falls Sie kein Abendkleid mithaben, ist uns ein ruhigeres Restaurant ebenso recht.«

»Das ist riesig nett von Ihnen.« Christina zögerte eine Sekunde. »Aber ich finde, es schickt sich nicht für mich, jetzt, da Vater vielleicht im Sterben liegt.«

»Wie Sie wollen, Liebes. Nur fände ich es besser, Sie gingen mit uns aus, statt zu Hause zu sitzen und über unerfreuliche Möglichkeiten nachzugrübeln. Ich will Sie nicht drängen, aber sollten Sie Ihre Meinung ändern, dann kommen Sie um halb acht herüber.«