Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers - William K. Stewart - E-Book

Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers E-Book

William K. Stewart

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Beschreibung

Wenige Tage vor Weihnachten erscheint Inspektor Lestrade in der Baker Street und bittet Holmes um Unterstützung in einem mysteriösen Mordfall. Die überaus schwierigen und gefährlichen Ermittlungen führen in ein altes katholisches Kloster in Middlesex, in dem der Teufel sein Unwesen zu treiben scheint.

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Seitenzahl: 233

Veröffentlichungsjahr: 2025

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DIE ANKUNFT DES ERLÖSERS

DER SHERLOCK HOLMES-ADVENTKALENDER: DIE ANKUNFT DES ERLÖSERS, ALLE FOLGEN

WILLIAM K. STEWART

NACH DEN CHARAKTEREN VON SIR ARTHUR CONAN DOYLE

Copyright © 2025 goaudio - Biddz GmbH

Alle Rechte vorbehalten

eBook: Die Ankunft des Erlösers (Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, alle Folgen)

ISBN: 978-3-7119-9969-6

Formatiert mit Vellum

INHALT

Ein Inspektor kommt - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 1

Im Gefangenenwagen - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 2

In der Abtei - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 3

Die sterbliche Hülle - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 4

Das Abendmahl - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 5

Die Beichte. - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 6

Der Bibliothekar - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 7

Die Lehre der Vererbung - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 8

Die Befragung - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 9

Die Geheimnisse des Zeichners - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 10

Im Schneesturm - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 11

Der Priester von Saint Mary - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 12

Ein verlassenes Haus - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 13

12 Uhr 50 ab Teddington - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 14

Die Verehrung der Jungfrau - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 15

Die geheime Tür - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 16

Im Labor - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 17

Das Blut des Messias - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 18

Bekenntnisse eines Toten - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 19

Der Verdacht - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 20

Die Gottesgebärerin - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 21

Der Bund des Bösen - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 22

Höllenfeuer und Himmelsgericht - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 23

Verdammnis und Erlösung - Der Sherlock Holmes-Adventkalender: Die Ankunft des Erlösers, Folge 24

EIN INSPEKTOR KOMMT - DER SHERLOCK HOLMES-ADVENTKALENDER: DIE ANKUNFT DES ERLÖSERS, FOLGE 1

Es war nur wenige Tage vor Weihnachten, als Holmes und ich in ein recht seltsames Abenteuer hineingezogen wurden. Davon ahnten wir freilich noch nichts, als wir einen zunächst geruhsamen Vormittag in der Baker Street verbrachten.

Holmes saß mit einer Pfeife in seinem Armstuhl, gründlich vertieft in die Lektüre meiner Aufzeichnungen zum Erpressungsfall Marley, den wir vor einem Jahr leidlich gelöst hatten. Ich ignorierte sein regelmäßiges Seufzen und Kopfschütteln und widmete mich der weihnachtlichen Dekoration unserer Räumlichkeiten, um zumindest ein wenig Adventstimmung zu generieren.

Nach deutschem Brauch, den die königliche Familie auch in England eingeführt hatte, schmückte ich das Wohnzimmer mit Tannenzweigen und -zapfen. Das Aufstellen eines ganzen Christbaumes hatte mir Holmes entschieden untersagt, doch die bald trockenen Nadeln würden sich auch so überall in der Wohnung verbreiten. Außerdem stellte ich bunte Kerzen und kleine bemalte Engelsfiguren auf, die stilistisch zugegebenermaßen etwas geschmacklos waren in ihrer barocken Ausformung. Abschließend hängte ich einen Mistelzweig vor die Eingangstüre, womit mir endgültig ganz feierlich zumute wurde.

Draußen sorgte das passende Wetter für die entsprechende Stimmung: Eine knisternde Schneeauflage bedeckte bereits die Straßen Londons, vom Himmel fielen immer noch dicke weiße Flocken und tänzelten kunstvoll zu Boden. Umtriebig und geschäftig eilten die Menschen hin und her, beladen mit allerlei Einkäufen, die für ein gelungenes Weihnachtsfest mehr oder minder vonnöten waren.

Holmes hatte für all’ dies natürlich nichts übrig.

„Sie wissen doch, mein lieber Watson“, begann er, als er mit dem Lesen meines Berichtes fertig war, „dass wir dies niemals veröffentlichen können? Der Fall wirft nicht gerade das günstigste Licht auf uns.“

„Moralisch sehr wohl“, korrigierte ich sofort.

„Aber kriminalistisch?“, erwiderte Holmes. „Wir betreiben schließlich die Aufklärung von Verbrechen, nicht die Umverteilung von Reichtum und Wohlstand – das wollen wir schön Robin Hood überlassen. Bedenken Sie: Wenn die Allgemeinheit davon erfährt, werden bei uns die Aufträge ausbleiben. Unser Geschäft wäre ruiniert. Wovon sollte ich leben? Und wie?“

„Keine Sorge, Holmes“, meinte ich, als ich mir eine Tasse heißen Punsch einschenkte, „ich werde mit der Publikation selbstverständlich so lange zuwarten, bis Sie endlich tot sind.“

„Sehr rücksichtsvoll“, konstatierte Holmes mit einem anerkennenden Kopfnicken. „Aber Sie müssen auch an Ihrem Stil arbeiten! Immer diese Scherze und halblustigen Bemerkungen! Halten Sie sich an die Fakten – das ist es, was den wissbegierigen und lernwilligen Leser wirklich interessiert. Ihre Späße lenken nur vom Lauf der Ereignisse ab. Sie sind unnötig – ebenso, übrigens, wie Ihre infantile Weihnachtsdekoration. Sie sind doch ein erwachsender Mann, Herrgott!“

„Der Zauber der Weihnacht ist auch für große Kinder“, belehrte ich meinen Freund lächelnd. „Entspannen Sie sich, nehmen Sie die Atmosphäre auf, erfreuen Sie sich an der Geburt des Erlösers!“

„Lieber wäre ich von diesem weihnachtlich-christlichen Pharisäertum erlöst“, erwiderte Holmes trocken. „Ich bezweifle ein wenig, dass diese affektierten Handlungen und Haltungen ein zentrales Anliegen des Messias waren. Nichts ist banaler und öder als die Adventzeit – und dann gipfelt sie auch noch in den zentralen Feiertagen. Ich könnte wirklich ein wenig Abwechslung gebrauchen, eine kriminalistische Herausforderung!“

„Ihr innigster Weihnachtswunsch ist also ein Verbrechen“, stellte ich fest.

„Tunlichst ein großes“, murmelte Holmes. „Mord, Verschwörung, Doppelmord – das ist es, was ich benötige.“

Holmes tat, gewiss unwillkürlich, sein Bestes, um meine besinnliche Stimmung zu sabotieren. Doch es sollte noch schlimmer kommen, denn im nächsten Moment klopfte es an der Tür.

„Das wird unser Doppelmörder sein“, meinte ich lakonisch.

„Hoffentlich“, ergänzte Holmes.

Als ich öffnete, stand jedoch Inspektor Lestrade in der Tür, Mantel und Hut mit weißen Schneeflocken bedeckt.

„Ah, Lestrade!“, rief Holmes und sprang aus dem Stuhl auf. „Sie schickt der Himmel!“

Der Inspektor trat ein und schüttelte über unserem Teppich etwas unhöflich den Schnee ab. „Tut mir leid, Sie zu enttäuschen, Holmes“, erwiderte er, „aber eigentlich komme ich vielmehr im Auftrag meines Vorgesetzten.“ Dann hatte er auch schon Witterung aufgenommen und streckte demonstrativ die Nase in die Luft: „Riecht es hier nach Punsch? Ich könnte auch eine Tasse vertragen!“

„Bitte gerne“, sagte ich pflichtgemäß als guter Gastgeber, ging zum Topf und füllte einen zweiten Krug, den ich Lestrade überreichte.

Dieser nahm sofort einen Schluck, sah sich im Raum um und bemerkte: „Schön weihnachtlich haben Sie es hier.“

„Ja, ja“, entgegnete Holmes ungehalten, bevor ich mich bedanken konnte. „Das ist Watsons Schuld. Aber was bringen Sie uns? Es wird zweifellos ein dringender, komplexer Fall sein, den ich im Auftrag von Scotland Yard bearbeiten soll, nicht wahr?“

Lestrade nickte. „Sie sind wahrlich der größte Detektiv aller Zeiten“, antwortete er. „Wie haben Sie das nur erraten?“

„Lassen Sie die Scherze!“, mahnte Holmes mit ernster Miene. „Bitte nur die Fakten!“

„Wie Sie wollen“, erwiderte Lestrade und warf sich mit seinem nassen Mantel in den zweiten Armstuhl. Er nahm abermals einen großen Schluck vom Punsch und atmete deutlich hörbar durch. „Nun gut“, begann er, „dann wollen wir mal! In der Tat liegt eine Untersuchung in einem Mordfall an. Die Umgebung ist jedoch ein einigermaßen heikles Terrain, müssen Sie wissen.“

„Darauf bin ich spezialisiert“, erwiderte Holmes umgehend, „wie Sie wissen.“

Lestrade lächelte gequält und legte den Kopf leicht schief. „Nun, darauf vielleicht eher nicht“, setzte er fort. „Unser Mordopfer ist ein Geistlicher – ein Mönch, um genau zu sein.“

Mir schossen allerlei humoristische Bemerkungen über Bruder Tuck durch den Kopf, doch glücklicherweise konnte ich sie unterdrücken. Stattdessen meinte ich nur: „Der fromme Mann hätte seine Klostermauern wohl besser nicht verlassen.“

Zu meiner Überraschung entgegnete Lestrade: „Das hat er auch nicht. Die Tat geschah innerhalb des Klosters – um genau zu sein: in der Erlöser-Abtei in Twickenham.“

Holmes wurde sofort hellhörig. „In der Erlöser-Abtei?“, wiederholte er fragend. „Das ist ein katholisches Kloster, wenn ich mich nicht irre. Und ich irre mich nie.“

„Ganz recht“, bestätigte Lestrade. „es handelt sich um Franziskaner-Mönche, vom Orden der Minderen Brüder.“

Zugegeben, auch die „minderen Brüder“ lösten bei mir unernste Gedankenketten aus, doch Holmes kam mir zuvor.

„Inwiefern sind diese Brüder denn minder?“, fragte er, nur scheinbar unbeholfen. „Reine Bescheidenheit?“

„Sie bekennen sich zur Armut“, erklärte Lestrade, was mir endlich die Gelegenheit bot, einzuwerfen: „Also eher minderbemittelt?“ – Der Inspektor blickte mich strafend an und setzte fort: „Dieser Orden steht in der Tradition des heiligen Franz von Assisi, er ist ein Bettelorden.“

„Ich verstehe“, behauptete Holmes. „Steht diese Tatsache irgendwie in Verbindung zur Tat oder deren Motiv?“

„Das wissen wir nicht“, antwortete Lestrade. „Um ehrlich zu sein: Wir wissen bislang sehr wenig. Aber deshalb bin ich ja auch hier. Der katholische Erzbischof, Kardinal Manning, hat höchstpersönlich angeregt, Sie hinzuzuziehen. Verständlicherweise liegt ihm sehr viel daran, den Fall bis zum Weihnachtsfest geklärt zu wissen.“

Holmes zögerte keine Sekunde und meinte: „Das kann ich durchwegs versprechen.“

„Aber wir kennen noch keinerlei Hintergründe und Umstände“, gab ich zu Bedenken. „Inspektor Lestrade konnte uns noch nicht einmal berichten, wie der Mönch zu Tode gekommen ist. Ist es nicht ein bisschen früh, um bereits ein terminliches Versprechen abzugeben? Und dies noch dazu gegenüber dem höchsten Würdenträger der katholischen Kirche in England?“

Holmes wischte meinen Einwand sofort vom Tisch: „Mein lieber Watson, der Kardinal legt den Fall voller Gottvertrauen in meine Hände. Haben Sie denn kein Vertrauen, keinen Glauben?“

Ich legte demonstrativ die Stirn in Falten und fragte: „An Sie, Holmes – oder an Gott, den Allmächtigen?“

„Macht das einen Unterschied?“, erwiderte Holmes und lächelte provokant.

Lestrade erhob sich von seinem Stuhl und drückte mir die leere Punschtasse in die Hand. „Holmes“, meinte er dann, „Ihre überhebliche Blasphemie in Ehren, aber die Zeit drängt! Unten auf der Straße wartet unser Wagen, der uns zum Tatort bringen wird. Wenn Sie also so freundlich wären, sich nun auf die Abreise vorzubereiten...“

Holmes nickte mir zu, woraufhin ich in aller Hast alles Nötige zusammensuchte. Mein Freund jedoch nahm nach kurzer Suche ein altes Buch aus dem Regal und setzte sich seelenruhig wieder auf seinen angestammten Platz, um darin zu blättern.

„Sie beginnen jetzt zu lesen?“, fragte Lestrade. „Sollten Sie sich nicht lieber mit dem Fall beschäftigen?“

„Das tue ich“, entgegnete Holmes und zeigte dem Inspektor den beschrifteten Buckrücken. Das Buch war eine Bibel.

„Schön, dass Sie sich in die Materie einlesen möchten“, stellte Lestrade fest, „doch wird es ein wenig dauern, wenn Sie nun mit Adam und Eva anfangen.“

Holmes schüttelte den Kopf. „Ich überspringe den jüdischen Teil“, erklärte er und meinte damit wohl das Alte Testament. „Ah, hier haben wir es! Matthäus. Der Stammbaum Jesu. 46 Generationen, von Abraham über David und Salomon bis Josef. Mhm. Verstehe. Doch Moment! Nein! Da stimmt etwas nicht!“

„Haben sich die Evangelisten etwa verrechnet?“, fragte Lestrade mit Engelsgeduld.

„Das auch, aber darum geht es nicht“, erwiderte Holmes. „Diese ganze patrilineale Abstammung, die hier aufgezählt wird, ist hinfällig. Jesus ist doch der Sohn Gottes, die Jungfrau Maria hat ihn vom Heiligen Geist empfangen. Dann ist Josef nicht der Vater Jesu, Jesus nicht verwandt mit Josef und all dessen Vorfahren, von Abihud bis Zadok, alphabetisch gesprochen. Was soll dann diese Auflistung? Es handelt sich um vorsätzliche Irreführung, allerdings leicht durchschaubar, geradezu stümperhaft. Nehmen Sie es mir nicht übel, Inspektor, aber das ist keine gute Basis für eine Religion.“

Ich war inzwischen mit dem Packen unserer Taschen fertig, hatte jedoch alles mitgehört und kam nun wieder hinzu. „Mein lieber Holmes“, bemerkte ich, „ich denke, Kardinal Manning würde es begrüßen, wenn Sie Ihren kriminalistischen Eifer auf den Mordfall konzentrieren könnten – nicht auf die heiligsten Grundlagen des katholischen Glaubens. Wer weiß, welchen Schwindel des Christentums Sie noch aufdecken würden? Am Ende ist alles Lug und Trug – und das kann sich die Menschheit bei Gott nicht leisten!“

„Wirklich nicht?“, fragte Holmes nach kurzer Bedenkzeit. „Wissen Sie, wie viele Kriege im Namen irgendwelcher Götter geführt wurden und werden? Oder zur Durchsetzung oder Verteidigung des reinen, des ‚richtigen’ Glaubens? Stellen Sie sich vor, es gibt keine Religion, keinen Grund mehr, zu töten oder zu sterben. Es ist einfach, wenn Sie es nur versuchen!“

„Sie sind ein Träumer, Holmes!“, warf Lestrade ein.

Der Inspektor mochte damit Recht haben, doch war dies eine Seite an Holmes, die selten genug an die Oberfläche drang. Sollte er doch von der friedlichen Stimmung der Adventzeit ergriffen worden sein? Holmes machte meine Hoffnung indessen rasch zunichte.

„Zeit für den Mord!“, rief er unvermittelt, als wäre er plötzlich aus einem Tagtraum erwacht, und klatschte voller Begeisterung und Tatendrang in die Hände. „Die besten Einsichten gibt es, solange die Leiche noch warm ist! Sie haben doch Ihr Sezierbesteck dabei, Watson?“

Das war’s also schon wieder mit Holmes besinnlichen 30 Sekunden. „Ja“, antwortete ich widerborstig, „doch befürchte ich, dass der Leichnam bereits erkaltet ist. Vor allem zu dieser Jahreszeit. Womöglich sogar gefroren.“

„Meine Herren!“, warf Lestrade jammernd ein. „Könnten wir derlei Unfug unter Umständen unterwegs diskutieren? Unser Fahrzeug wartet!“

„Los, los, Watson““, rief mir Holmes zu und deutete auf die von mir bereitgestellten Taschen, „Sie haben den Inspektor gehört. Packen wir es an!“

Mit diesen Worten nahm Holmes seinen Mantel, klemmte sich die Bibel unter den Arm, schritt als erster durch die Eingangstür und ließ mich mit unserem Gepäck zurück. Notgedrungen spielte ich den Packesel und folgte Holmes hinunter auf die verschneite Straße, während mir Lestrade immerhin die Tür aufhielt.

Unten angekommen stand tatsächlich eine Kutsche der Polizei für uns bereit. Zu unserer Überraschung handelte es sich jedoch um einen eisernen Wagen mit winzigen vergitterten Fenstern, wie er ansonsten für Gefangenenüberstellungen verwendet wurde.

„Das ist doch nicht Ihr Ernst“, stellte ich fest.

Doch Lestrade erwiderte: „Tut mir leid, alle anderen Dienstfahrzeuge waren gerade besetzt. Wir müssen uns mit diesem hier bescheiden.“

„Aber können wir denn nicht den Zug nehmen?“, jammerte ich.

Der Inspektor schüttelte den Kopf. „Der fährt nur bis knapp vor Richmond. Der Rest der Bahnstrecke ist aufgrund der ungewöhnlich umfangreichen Schneemassen in Middlesex gesperrt. – Nun kommen Sie schon, Watson! Für das nächste Mal verspreche ich Ihnen dafür einen Rentierschlitten. Mit Glöckchen.“

Und so machten wir uns im kalten, rumpeligen Häftlingstransporter auf den Weg nach Südwesten, nach Twickenham, wo ein gänzlich unweihnachtlicher Mordfall auf uns wartete. Meine optimistische Hoffnung, dass er rasch gelöst sein würde, sollte bitter enttäuscht werden.

IM GEFANGENENWAGEN - DER SHERLOCK HOLMES-ADVENTKALENDER: DIE ANKUNFT DES ERLÖSERS, FOLGE 2

Je näher wir unserem Zielort kamen – der Erlöser-Abtei in Twickenham –, desto tiefer wurde der Schnee auf der Straße. Wir kamen nur noch langsam voran, die beiden Pferde schnaubten laut und unwillig, in jeder Kurve rutschte der Wagen hin und her. Zu allem Überdruss blies uns durch die vergitterten Fenster, die vom angehenden Vollmond immerhin hell erleuchtet waren, ein unwirtlicher kalter Wind um die Nasen, obwohl sich links und rechts von der Fahrbahn meterhohe Schneedünen auftürmten. Unserem Kutscher am gänzlich ungeschützten Kutschbock musste es freilich noch weitaus schlechter ergehen.

Doch immerhin sorgte Lestrade für ein wenig Ablenkung, da er uns nun endlich Details über den Mordfall mitteilen konnte.

„Wie ist unser Opfer denn zu Tode gekommen?“, fragte ich.

Der Inspektor zögerte ein wenig und erwiderte dann: „Ich will nicht vorgreifen, diese Frage möge doch der ausgebildete Mediziner endgültig beantworten. Allerdings kann ich Ihnen sagen, wo der leblose Körper gefunden wurde.“

Als dieser Ankündigung jedoch ein längeres Schweigen folgte, hakte ich nach: „Und wann genau werden Sie das tun?“

Lestrade schien ein wenig genervt zu sein von dem Fall, bestimmt wäre er lieber in London in den gut geheizten Räumlichkeiten von Scotland Yard geblieben. Immerhin rang er sich zu einer Erklärung durch.

„Es ist ein wenig unerfreulich...“, begann er, woraufhin ich einwarf: „Das haben Mordfälle wohl generell so an sich.“

„Nun gut“, setzte der Inspektor schwer atmend fort, „unser Opfer wurde in der Latrine gefunden. Es lag kopfüber in der Sickergrube der Trockentoilette.“

Unwillkürlich musste ich mir dieses Bild gedanklich ausmalen, woraufhin ich zu dem Schluss kam: „Dann ist der Mönch vielleicht nur versehentlich vom Donnerbalken gerutscht und in die Grube gefallen – und dann im Urin und in den Fäkalien unzähliger Sitzungen seiner Brüder ertrunken. Kein schöner Tod. Außerdem ein recht nachdrücklicher Hinweis darauf, dass man auch im Kloster langsam dem hygienischen Fortschritt zum Durchbruch verhelfen und Toiletten mit Wasserspülung installieren solle.“

Lestrade schüttelte den Kopf. „Es war kein Unfall, so viel ist sicher“, stellte er fest. „Ein menschlicher Körper passt nur knapp durch die Öffnung, das heißt, ein unachtsamer Sturz ist eigentlich kaum möglich. Jemand muss nachgeholfen haben. Zweifellos liegt Fremdverschulden vor.“

Holmes hatte bisher, scheinbar teilnahmslos, in seiner Bibel gelesen – auf seine eigentümliche rasche Art. Nun legte er die Heilige Schrift doch kurz beiseite.

„Was können Sie uns über das Opfer sagen?“, fragte er.

„Es handelt sich um Bruder Emanuel, eigentlich noch Novize“, wusste Lestrade zu Berichten. „Das bedeutet, er war noch neu in der Abtei. Um genau zu sein, war er aber überhaupt noch neu in der Römisch-Katholischen Kirche.“

„Ein Konvertit?“, vermutete Holmes.

„Ganz recht“, bestätigte der Inspektor. „Bruder Emanuel – mit bürgerlichem, weltlichem Namen Simon Taylor, 21 Jahre alt – ist erst vor wenigen Monaten aus der Anglikanischen Kirche ausgetreten, um sich dem katholischen Glauben anzuschließen.“

„Und dann geht er gleich ins Kloster“, murmelte ich, „ein seltsamer junger Mann.“

„Wir befinden uns in schnelllebigen Zeiten“, meinte Holmes in meine Richtung. „Die Menschen wechseln Ansichten, Einstellungen und Glaubensbekenntnisse nach Belieben. Wer weiß, Watson: Vielleicht sind Sie schon im kommenden Jahr Mohammedaner?“

„Das kann ich ausschließen“, erwiderte ich rasch, von der Vorstellung durchaus ein wenig erschrocken. „Es sei denn, einer Ihrer grotesken Pläne zwingt mich dazu...“

„Meine Herren“, unterbrach mich Lestrade, „wir wollen doch die abrahamitischen Buchreligionen noch nicht zu sehr durchmischen, sondern im vorliegenden Fall zumindest ermittlungstechnisch dem Papst die Treue halten, sofern Ihnen das möglich ist! Aber Sie haben schon recht, Watson: Der konfessionelle Werdegang des Opfers ist in der Tat ein wenig ungewöhnlich.“

„Gibt es denn eine Erklärung dafür?“, fragte ich.

„So viel ich gehört habe, liegt diese wohl im familiären Bereich“, erwiderte der Inspektor. „Vielleicht wird Ihnen der Abt genauere Auskunft erteilen können, was es damit auf sich hat.“

Ich schüttelte den Kopf und dachte laut: „Die Jugend von heute rebelliert also gegen das gestrenge Elternhaus, indem sie sich einem noch reaktionäreren Glauben anschließt und einer beklemmenden Struktur unterwirft. Das verstehe, wer kann...“

Holmes hatte in der Zwischenzeit abermals in seiner Bibel hin- und hergeblättert. Nun klappte er das Buch wieder zu und meinte: „Vielleicht gibt uns der gewählte Ordensname einen Hinweis: Emanuel, hebräisch Immanuel, das bedeutet: Gott ist mit uns. Der Prophet Jesaja schreibt“ – und Holmes zitierte auswendig, obwohl er es eben erst gelesen hatte: „‚Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel geben.’ – Zitat Ende. Der junge Mann wird sich doch nicht für den neuen Messias gehalten haben?“

Während mir damit Stoff zum Nachdenken gegeben war, lachte Lestrade auf. „Nicht jeder katholische Novize ist gleich verrückt!“, meinte er dann. „Aber im Ernst: Auch das sollten Sie besser mit dem Abt besprechen. Er wird uns gleich nach unserer Ankunft im Kloster zur Verfügung stehen.“

Holmes hatte ein wenig Gefallen daran gefunden, die Geduld des armen Lestrade zu strapazieren, weshalb er mit scheinbarem Ernst fortsetzte: „Aber was ist, wenn es Gott war, der Bruder Emanuel für seinen Hochmut bestraft hat – und nun gar nicht will, dass wir ermitteln?“

Der Inspektor machte schmale Augen und erwiderte mürrisch: „Glauben Sie mir, Holmes, wenn Gott Sie von Ihrem Tun abhalten möchte, was mitunter verständlich wäre, dann werden Sie es schon bemerken. Er würde Ihnen eine sehr deutliche Botschaft schicken!“

Ehe Holmes, der bereits den rechten Zeigefinger erhoben hatte, mit irgendeinem ausgefeilten Zynismus antworten konnte, wurde unsere Aufmerksamkeit abgelenkt:

Ein dumpfer, krachender Lärm erklang vom steilen Hang rechts der Straße, ähnlich einem entfernten Donnergrollen. Doch es war kein Gewitter und die Ursache keineswegs weit weg – im nächsten Moment prallte eine gewaltige Kraft gegen die rechte Wagenwand, wir wurden durchgeschüttelt, dann kippte das ganze Fahrzeug auf die Seite und rutschte weiter gegen die linke Straßenseite, die ihrerseits von einer Schneedüne begrenzt wurde. Wie Spielzeugpuppen, die ein Kind in die Luft geschleudert hatte, fielen wir durch die immense Wucht von unseren Holzsitzen zu Boden, gegen die eisernen Seitenwände und übereinander. Draußen wieherten zunächst noch die Pferde, doch die ohrenbetäubende Naturgewalt brachte sie rasch zum Schweigen. Der Wagen und wir selbst in dessen Innerem kamen zum Liegen. Absolute Lautlosigkeit und Dunkelheit folgten.

Mein Kopf und meine linke Schulter schmerzten aufgrund des Aufpralls am Boden. Unter Mühen richtete ich mich langsam auf und suchte in meinem Mantel nach Streichhölzern, doch Holmes kam mir zuvor. Im Schein einer kleinen Flamme sah ich sein von leichten Schrammen gezeichnetes Gesicht.

„Watson?“, fragte er. „Wo sind Sie, Watson? Sie sind doch nicht etwa tot?“

„Doch“, jammerte ich und entfachte nun ebenfalls ein Zündholz, wodurch das Wageninnere einigermaßen ausgeleuchtet wurde.

Die vergitterten Fenster, die nun nach oben wiesen, waren durch fest zusammengedrückten Schnee blockiert, wie ich rasch über meinem Kopf feststellen konnte. Ein wenig Schnee war auch ins Wageninnere eingedrungen. Ich drehte mich um und entdeckte den regungslosen Lestrade, der offenbar eine blutende Kopfverletzung davongetragen hatte. Doch als ich mich über ihn beugte, bemerkte ich, dass er zwar amtete, aber ohne Bewusstsein war.

„Lestrade ist verletzt und ohnmächtig“, stellte ich fest. „Er braucht Hilfe.“

„Einen Arzt womöglich?“, meinte Holmes, der sein offenbar lädiertes linkes Bein befühlte.

„Das ist wohl nicht der richtige Moment für ihre spitzen Bemerkungen“, tadelte ich meinen Freund. „Ist Ihr Bein in Ordnung?“

Holmes schüttelte den Kopf. „Ich kann es kaum bewegen“, erklärte er, „vielleicht ist es gebrochen. Versuchen Sie, die Tür zu öffnen! Wir müssen hier raus!“

Ich kroch zum Heck des Wagens und betätigte die Schnalle, rüttelte an ihr, doch die unversperrte Tür ließ sich nicht bewegen. Auch mit meinem gesamten Gewicht, das ich dagegen lehnte, sowie mit heftigen Fußtritten ließ sie sich kein Zoll weit öffnen.

„Die Tür scheint von außen blockiert zu sein“, meinte ich. „Was mag nur geschehen sein?“

Holmes musste nicht lange überlegen, er hatte sich schon ein Bild der Ereignisse und der Situation gemacht: „Bemühen Sie sich nicht weiter, wir sind eingeschlossen.“

„Eingeschlossen?“, wiederholte ich. „Inwiefern?“

„Von den Schneemassen“, erklärte Holmes. „Offenbar ist eine Düne in Bewegung geraten, just als wir vorbeifuhren. Der ganze Schnee vom Abhang muss auf die Straße gerutscht sein – dabei hat er die Kutsche getroffen, umgestoßen und begraben. Kurz gesagt: Wir sind unter einer Lawine verschüttet worden.“

„Eine Lawine?“, fragte ich. „Mitten in England? So etwas gibt es doch nur in den Alpen!“

„Aber nein“, meinte Holmes mit belehrendem Ton. „Das Auftreten einer Lawine ist bloß eine physikalische Frage gemäß der Schneemenge, des Drucks, der Dichte, der Temperatur, des Steigungsgrades des Abhangs sowie etwaiger Erschütterungen. Die heurige Schneemenge in Middlesex ist offensichtlich ausreichend. Bitte, Watson – Sie haben doch von weißen Weihnachten geträumt. Da haben Sie es.“

Ich überging diese letzte, unpassende Bemerkung. „Dann müssen wir uns nach draußen graben!“, schlug ich vor, doch Holmes, der das nächste Streichholz anzündete, schüttelte den Kopf.

„Keine Chance“, erwiderte er. „Der Schnee ist fest wie Beton. Wir sind hier gefangen und können nur auf Rettung von draußen hoffen.“

Ich holte tief Luft und begann zu rufen: „Hilfe! Wir brauchen Hilfe!“

Doch Holmes unterbrach mich sofort: „Sparen Sie sich das, Watson! Sie verschwenden lediglich Atemluft. Durch die Schneemassen kann uns sowieso niemand hören. Wir können nur warten.“

„Aber dafür ist keine Zeit!“, entgegnete ich und deutete auf Lestrades regungslosen Körper, nur einen Wimpernschlag, bevor mein Streichholz ausging.

„Machen Sie sich keine Sorgen wegen Lestrades Verletzung“, sagte Holmes ruhig. „Daran wird er nicht sterben.“

„Ach, sind Sie jetzt etwa Arzt?“, fragte ich spöttisch.

„Nein“, antwortete Holmes, „wie Sie wissen, bin ich studierter Chemiker. Und als solcher kann ich Ihnen Folgendes versichern: Der Inspektor wird nicht verbluten und auch nicht erfrieren, sondern definitiv zuvor ersticken. Wie wir selbst übrigens auch.“

„Schönen Dank für die Ermutigung“, warf ich ein, ehe Holmes seine Erklärung fortsetzte.

„Der Sauerstoff in der Wagenkabine ist begrenzt. Und durch die massive Schneedecke ist unser Hohlraum luftdicht abgeschlossen. Wenn ich also das Volumen berechne und es in Bezug zur durchschnittlich von drei Personen verbrauchten Atemluft setze, so kann ich Ihnen Ihren Todeszeitpunkt durch Ersticken recht genau prognostizieren.“

„Recht genau?“, fragte ich unsicher nach.

„Plus, minus ein paar Minuten“, ergänzte Holmes. „Wir können unseren Tod aber hinauszögern – durch eine flache, ruhige Atmung, keine Aufregung und Anstrengung, reduziertes Sprechen und den Verzicht auf Licht, denn auch die kleinste Flamme verbraucht Sauerstoff – schließlich handelt es sich bei Feuer um einen Oxidationsprozess.“

Ich nahm sofort von meinem Vorhaben Abstand, ein neues Zündholz anzumachen, und stellte die unvermeidliche Frage: „Wie viel Zeit haben wir?“

Holmes überlegte – oder rechnete – ein paar Sekunden und verkündete dann: „42 Minuten.“

„Sie wissen, dass das Ihre Schuld ist, oder?“, stellte ich daraufhin fest.

Holmes erwiderte freilich: „Ich wüsste nicht, auf welche Weise. Ein Naturereignis ist immer höhere Gewalt.“

„Eben!“, rief ich. „Das ist Ihre Botschaft von Gott, die Ihnen der unglücklich Lestrade Sekunden vor dem Unglück in Aussicht gestellt hat!“

Mein Freund reagierte mit einem gutmütigen Lächeln. „Mein lieber Watson“, antwortete er, „Sie werden doch nicht Ihre letzten Minuten auf Erden mit abergläubischem Unfug verbringen wollen. Bewahren Sie Ruhe und Haltung – es ist ein angenehmer Tod.“

„Ein angenehmer Tod?“, wiederholte ich ungehalten. „Das wage ich zu bezweifeln.“

„Doch, doch“, insistierte Holmes. „Es handelt sich ja nicht um einen plötzlichen gänzlichen Sauerstoffentzug, wie bei einer Erdrosselung oder beim Ertrinken – was durchaus unerquicklich ist –, sondern um einen langsamen, kontinuierlichen Vorgang. Schritt für Schritt wird der Sauerstoffgehalt in der Luft reduziert. Wir werden das kaum wahrnehmen, sondern lediglich müde werden und schließlich friedlich einschlafen. Unseren eigentlichen Erstickungstod werden wir gar nicht bemerken.“

Nach diesen mäßig beruhigenden Worten erlosch das letzte Zündholz in Holmes’ rechter Hand und wir verblieben in vollständiger Dunkelheit. Ich weiß nicht, wie Holmes gedachte, seine letzten Minuten zu verbringen, ich jedenfalls legte mich flach auf den kalten Boden und schloss die Augen. Ich versuchte, meinen Frieden mit Gott zu machen, in Erwartung des Schlafes, der niemals endet.

IN DER ABTEI - DER SHERLOCK HOLMES-ADVENTKALENDER: DIE ANKUNFT DES ERLÖSERS, FOLGE 3

Als ich wieder zu mir kam, war es rundherum dunkel, doch war die eisige Kälte wohliger, behaglicher Wärme gewichen. Ich lag immer noch auf meinem Rücken, doch nun offenbar auf einer vergleichsweise weichen, geradezu anschmiegsamen Unterlage, eingehüllt in federleichte weiche Daunen. Dann kam ein weißes Licht auf mich zu, langsam und schwankend. In dessen Schein meinte ich die Umrisse einer Person zu erkennen, die mir gefühlsmäßig nahe stand. Sofort erinnerte ich mich an die Schilderung ähnlicher Situationen, die Menschen mit Nahtoderfahrungen zu Protokoll zu geben pflegten.

Eine zweite Figur trat hinzu, kam näher und beugte sich schließlich über mich. Mit sanfter Stimme forderte sie: „Kommen Sie, John! Kommen Sie!“, und reichte mir die Hand.

Mir war bewusst, dass ich die Grenze zum Jenseits überschreiten würde, wenn ich sie ergriff. Doch ich verspürte keine Angst – im Gegenteil: Eine körperliche Leichtigkeit erfasste mich, die mir umgehend neue Kräfte einflößte.

Ich rieb mir die Augen und richtete mich auf – und da erblickte ich das Gesicht, das zu mir gesprochen hatte. Es war Holmes.

Im nächsten Moment trat Lestrade mit einer Kerze neben ihn und fragte ungeduldig: „Was ist jetzt? Ist er endlich wach?“

Mit einem Mal begriff ich die Situation. Ich war keineswegs auf dem Weg ins Jenseits, sondern lag in einem Krankenbett. Offenbar waren wir unserem kühlen, luftleeren Grab doch noch rechtzeitig entkommen. Dennoch herrschte in meinem Kopf Verwirrung vor.

„Wie? Ich bin gar nicht tot?“, fragte ich mit heiserer Stimme, wie ich bemerkte.

„Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, alter Freund“, erwiderte Holmes lächelnd.

„Aber was ist passiert? Wo bin ich?“, setzte ich fort und machte gewiss noch immer nicht gerade den klarsten Eindruck.