Der Sklave von Valaina - Lil Hahnenkamm - E-Book

Der Sklave von Valaina E-Book

Lil Hahnenkamm

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Beschreibung

Valaina hieß die Heimat, in der Prinz Freylen einst im Schloss seines Vaters residierte. Am Tage nach seiner Verlobung mit seiner großen Liebe Iduna war er verschwunden. Kein Tag vergeht seither, an welchem Iduna ihrem Geliebten nicht gedachte. Trotz neuer Pflichten, trotz der Thronfolge, welche nun die ihre ist. Doch eines ist wahrlich gewiss. Die Zeit ist knapp. Die Thronfolge muss gesichert, ein Gemahl muss gewählt werden. Iduna fühlt sich zerrissen. Soll sie nun einen Gemahl bestimmen oder doch auf ihren Geliebten warten, darauf hoffen, dass er wiederkehrt? Und schließlich tritt ein geheimnisvoller Fremder an ihre Seite, welcher ihrem Stand wohl kaum würdig ist und doch … kann der Fremde ihre Augen öffnen, ihr helfen die Wahrheit zu finden und ihr zeigen, eine Königin zu sein?

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EPUB
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Seitenzahl: 330

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing gmbh

Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt

[email protected]

ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0251-0

ISBN e-book: 978-3-7116-0252-7

Lektorat: Naemi Hofer

Umschlagabbildung: Lil Hahnenkamm

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Prolog

Es geschah am 21. Juni im Jahre 1317 im kleinen Königreiche Valaina, welches zwischen dem Heiligen Römischen Reiche und Dänemark liegt, einen Tag nachdem Prinz Freylen von Valaina 13 Jahre alt geworden war. An diesem Tage dachte der König das erste Mal an den Moment zurück, an welchem sein einziger Sohn das Licht der Welt erblickte, an den Tag, an welchem seine geliebte Königin diese Welt verließ, nur wenige Minuten, nachdem der Prinz geboren worden war. Der König hasste seinen Sohn dafür, dass seine Gemahlin verstarb, war ihm nie ein guter Vater gewesen, strafte ihn nicht selten mit Schlägen. Doch an diesem Tage begann er all dies zu bereuen.

Sardasot verkündete ihm, wenige Minuten bevor der König begann, sich selbst zu verfluchen, dass er den Palast verlassen würde, aufgrund dieser Schuld nicht mehr als Vertrauter des Königs bei Hofe leben zu können. Ein Vertrauter war er wahrlich gewesen, hatte er doch den größten Schatz des Königs gehütet, wie diesem nun schmerzlich bewusst wurde: den Prinzen.

Nun war auch dieser fort. An diesem Morgen fanden die Zofen ihn zur frühen Morgenstunde nicht mehr in seinem Gemach und teilten dies augenblicklich ihrem König mit.

Das Festtagsgewand lag ordentlich gefaltet auf einem Stuhl, die Decken auf dem Bett waren unordentlich. Der Prinz schien zu Bett gegangen zu sein. Auf einem der Kissen befand sich ein dunkelroter, noch immer leicht feuchter Fleck aus Blut.

Einmal erfüllte der König seinem Nachfolger einen Wunsch. Am Tage zuvor fand, während der Feier des Geburtstages des Prinzen, die Verlobung mit dem Mädchen statt, welches er liebte. Gebettelt hatte er, auf Knien gefleht, sein Vater möge ihm diesen einen Wunsch erfüllen, doch er verbat ihm dies. Wehrte sich so lange gegen die Tränen, bis die Gemahlin seines verstorbenen besten Freundes ihn brach. Die Mutter des jungen Mädchens, mit welchem sein Sohn seit wenigen Stunden verlobt war, erinnerte ihn an seine eigene große Liebe, daran, dass Freylens Mutter gewollt hätte, dass ihr Sohn glücklich werden würde. Und so stimmte der König, trotz der Tatsache, dass er seinem Sohn nie einen Wunsch erfüllt hatte, und dass er das Mädchen mit dem Namen Iduna nicht mochte, der Verlobung zu. Ihm war bewusst, dass die Mutter der zukünftigen Gemahlin seines Sohnes und diese selbst den Prinzen besser kannten als er es jemals getan hatte.

Und nun war der junge Prinz fort, verschwunden, verletzt, entführt. Von dieser Tatsache ging ein jeder, welcher von dem Verschwinden des Prinzen wusste, bereits nach wenigen Minuten aus.

Nun war der König allein. Allein war er zwar immer gewesen, sah er seinen Sohn doch recht selten, doch war ihm bewusst, dass er diesen, lediglich aufsuchen musste spürte er das Verlangen, ihn aufsuchen zu müssen, was jedoch nie passierte. Doch so wenig er Freylen doch kannte, dass er fort war, schmerzte dem König doch zu sehr.

Alleinig einige Gemälde erinnerten noch an die wahrlich sehr hübsche Gestalt des jungen Prinzen, dessen Existenz viele Menschen vergessen zu haben schienen, so selten bekam man ihn im Schloss und in seinem Lande zu Gesicht. Lediglich residierte der Jüngling in seinen Gemächern und der Bibliothek. Nur selten wurde ihm erlaubt, den Schlossgarten zu betreten, hatte er doch Tag ein Tag aus zu lernen, musste er sich doch darauf vorbereiten, eines Tages der Herrscher von Valaina zu sein. Einmal in der Woche, jeden Sonntag, begleitete der Prinz seinen Vater in die Kapelle des Schlosses, um zu beten, und hin und wieder wurde es ihm gestattet, Zeit in den Gemächern von Iduna und ihrer Mutter zu verbringen.

Doch noch etwas zeigte, dass Freylen 13 Jahre lang in diesem Schloss gelebt hatte, so Begriff der König. Es war dasselbe, was ihn auch seine Gemahlin nicht vergessen ließ: die Erinnerung.

Viel Zeit hatte der König wahrlich nicht mit seinem Sohn zugebracht, doch der vergangene Abend, das Fest und die Tatsache, dass Freylen nach der Verlobung mit Iduna so glücklich gelächelt hatte, dass seine Augen Funken zu sprühen schienen, hatte sich für immer in das Gedächtnis des Königs eingebrannt.

Er musste Freylen finden und hoffte, ihm anschließend ein besserer Vater sein zu können, wollte, dass seine Augen jeden Tag so strahlten wie in jener Nacht, in welcher er sich mit Iduna verlobte.

Kapitel I

„Ich war lange nicht hier“

Mehr als sieben Jahre waren vergangen seit diesem schrecklichen Tag, an welchem der junge Prinz verschwunden war. Kaum etwas hatte sich in dem großen Schloss verändert.

Nichts, wenn man es so sagen wollte, sah man von der Tatsache ab, dass mehr als die Hälfte der Bediensteten das Schloss verlassen hatten, seit der Prinz verschwunden war.

Die Gemächer des Prinzen existierten noch immer, doch die Tür, welche zu diesen führte, war verschlossen worden. Über dem Bett, dem Tisch, den Stühlen und Schränken, über allem in diesem Gemach lag eine dicke Schicht aus Staub.

Doch noch etwas hatte sich verändert: Die Menschen waren gealtert. Der König, die übrig gebliebenen Bediensteten und auch Iduna, welche zu einer einzigartigen Frau herangereift war.

Sie war nun 21 Jahre alt, war gewachsen, ungewöhnlichgroß für eine Frau und war wunderbar anzusehen, auch wenn die optische Norm einer Frau zu dieser Zeit ihr genaues Gegenteil zu sein schien.

Die junge Frau war nebst ihrer imposanten Größe sehr muskulös, sie hatte von der Sonne gebräunte Haut, leuchtend grüne Augen und Haar von der Farbe von frischem Blut. Noch nie in seinem Leben hatte der König derart rote Haare gesehen. Auch die Lippen Idunas waren auffallendrot, doch das Ungewöhnlichste an ihr waren ihr Beruf und ihr Wesen.

Genaugenommen verübte Iduna zwei Berufe: Wenige Wochen nachdem Freylen verschwand, nahm der König die junge Frau, welche damals ein Mädchen war, in seine Obhut. Schon immer glich sie von ihrem Wesen her ihrem verstorbenen Vater, nicht nur dem besten Rittersmanne, gleichsam auch dem besten Freund des Königs, dem einzigen Menschen, nebst der Königin, welcher hin und wieder streng mit dem König sprach, ihn unterstützte und teilweise noch immer erzog.

Auch Iduna wagte es, ihre Meinung kundzutun, sie sprach ernst und erwachsen mit dem König und machte ihm im Laufe der Jahre zahlreiche Vorwürfe, setzte die Rolle der Königin und ihres Vaters fort, hielt den König in Schach, bremste ihn, wenn er falsch reagierte oder handeln wollte. Sie war sehr temperamentvoll, was einer Frau nicht gestattet war, doch ignorierte die junge Frau dies gekonnt. Sie verkündete ihre Meinung und ihr gelang es, einem jeden Manne Respekt einzuflößen, war sie doch schon immer mit den Jungen durch den Wald gestürmt, anstatt zu sticken und zu kochen.

Und so fasste der König den Entschluss, dem Mädchen ihren größten Wunsch, nebst der Wiederkehr Freylens, zu erfüllen. Er begann sie eigenhändig zu einer Kriegerin auszubilden, was sich als eine richtige Entscheidung herausstellte. Iduna lernte schnell und viel und war nun die Person bei Hofe, welche am besten mit dem Schwerte kämpfen, am schnellsten laufen, am höchsten klettern und am weitesten springen konnte. Zudem ritt sie wie der Teufel und ihr Geschick ging um im ganzen Königreich.

Doch Iduna bekam mit der Zeit noch eine weitere Tätigkeit: Als der König drei Jahre lang vergeblich nach seinem Sohn gesucht hatte, brach er diese Suche ab, im Glauben, der Prinz sei verstorben. Hatte man ihn doch nicht finden können. Und so fasste er den Entschluss, dass, sollte Freylen nicht wiederkehren, Iduna seine Nachfolgerin werden sollte. Er wusste, dass sie dieses Königreich führen konnte, wusste, dass sie stark war und dass sein Sohn dies gewollt hätte, wäre sie doch auch Königin geworden, wäre der Prinz noch da.

So kam es, dass die Thronfolgerin eines Morgens im Winter in den Thronsaal eilte, zumal der König einen Gast geladen hatte.

Schnellen Schrittes betrat Iduna den Thronsaal und blickte ihren König freundlich an.

„Sei gegrüßt, Asilos!“, rief sie von sonniger Laune und knickste leicht vor dem etwa 45-jährigenManne mit den kinnlangen, gepflegten, leicht gewellten dunkelblonden Haaren und dem ebenso gepflegten Kinn- und Oberlippenbart.

„Sei gegrüßt, Iduna!“, antwortete dieser ebenso freundlich und neigte leicht sein Haupt, während die Kriegerin sich auf einem kleineren Thron zur Rechten des Königs niederließ.

„Wen erwarten wir?“, ihre Stimme klang neugierig und sie blickte den König fragend an.

„Wir empfangen einen Ritter des Fürsten Belial von Arta. Einem Manne, welcher einen Teil meines Landes im Westen verwaltet. Er wird uns zur Burg des Fürsten einladen, wo du seinen ältesten Sohn kennenlernen sollst. Verstehe mich nicht falsch, du sollst ihn lediglich kennenlernen, nicht gleich heiraten. Jedoch sollte dir bewusst sein, dass du eines Tages heiraten wirst, und so möchte ich dir die Möglichkeit geben, einige Männer von edlem Geblüt kennenzulernen, sollte Freylen nicht wiedererscheinen“, erklärte der König höflich.

„Dies ist wahrlich ein guter Einfall, auch werde ich mich freuen, die Bekanntschaft dieses Menschen zu machen, doch warte ich noch immer auf Frey“, antwortete Iduna und wandte sich der Tür zu, welche sich soeben öffnete.

Den Saal betrat ein Mann von schlanker Gestalt, welcher lockiges braunes Haar hatte, das wiederum etwa der Länge des Königs entsprach. Ebenso wurde sein Gesicht mit den recht kleinen grün-braunen Augen von einem dunklen Vollbart geziert. Er war etwas älter als Iduna und verneigte sich höflich vor dem König und seiner Nachfolgerin.

„Seid gegrüßt, König Asilos von Valaina und Kronprinzessin Iduna von Valaina. Mein Name ist Argon, ich bin Ritter des Hauses von Fürst Belial“, stellte der Mann sich freundlich vor. Er hatte eine warme Stimme, welche ebenso freundlich klang wie seine Augen strahlten.

„Ich grüße Euch, Argon, Ritter von Belial“, antwortete der König und neigte sein Haupt zur Begrüßung, „Ich bitte Euch nun Euer Anliegen vorzutragen.“

Argon nickte höflich und erhob sich. „Der Fürst lädt seine Majestät und die Thronfolgerin herzlichst ein, ihn auf seinem Schloss zu besuchen, zumal Ihr die Thronfolgerin mit einigen jungen Männern bekannt machen wollt. Er würde Euch dazu einladen, einige Tage auf seiner Burg zu genießen, und zudem möchte er Euch seinen ältesten Sohn vorstellen“, erklärte er und schenkte den beiden Sitzenden ein warmherziges Lächeln.

„Nun, Euch belügen möchte ich wahrlich nicht und deswegen verkünde ich nun, dass man mich bereits vor wenigen Tagen über diese Einladung informierte. Ich bin geneigt, dieser zuzustimmen, und werde an der Seite Idunas gern mein Schloss verlassen und die Burg des Fürsten besuchen. Lange war ich nicht mehr auf einer Reise und denke, dass diese sowohl mir als auch dir, Iduna, sehr guttun wird, zumal du dein zukünftiges Königreich kennenlernen sollst“, sprach der König und nickte gleichzeitig leicht, „Wenn es Euch recht ist, werden wir in zwei Tagen aufbrechen.“

„Nur zu gern, mein König! Gleich werde ich den Boten an meiner Seite mit einer Nachricht entlassen, damit der Fürst über euer baldiges Erscheinen unterrichtet wird“, antwortete Argon und verneigte sich ein weiteres Mal.

„Tut das! Eine Zofe wird Euch in einem Gemache unterbringen, in welchem Ihr bis zu unserer Abreise nächtigen dürft.“

~

Am Abend des folgenden Tages stand Iduna nachdenklich auf dem Trainingsplatz und hieb mit ihrem Langschwert gedankenverloren auf einen Pfosten ein. Sie konnte sich nicht auf die morgige Reise freuen.

„Iduna, mein Kind! Sag, warum bist du in der Dunkelheit und bei dieser Kälte noch immer auf dem Übungsplatz zu finden? Ich habe eine warme Suppe zubereitet“, rief da ihre Mutter und trat auf den großen Platz.

Ohne ihrer Mutter zu antworten steckte sie ihr Schwert in die Scheide und trat auf die deutlich kleinere Frau zu. Diese schenkte ihr ein freundliches, gar liebevolles Lächeln und gemeinsam gingen Mutter und Tochter in ihre Gemächer, wo bereits die warme Suppe auf sie wartete.

„Was ist nur los, mein Kind?“, fragte Almina, die Mutter Idunas, als sie die nachdenkliche Miene ihrer Tochter bemerkte, „Seit dem gestrigen Tag bist du so schweigsam. Bist du denn nicht erfreut, dass du in den frühen Morgenstunden eine Reise unternehmen wirst?“

Iduna blickte auf. „Weißt du, natürlich bin ich erfreut, doch denke ich, dass mehr als bloß eine Bekanntschaft hinter diesem Besuch steckt. Asilos wünscht sich, dass ich heirate. Gerne bin ich bereit dies zu tun, doch gibt es bloß einen Mann, mit welchem ich den Bund der Ehe eingehen möchte. In jedem anderen Königreich werden die Menschen so verheiratet, dass dies gut für selbiges ist. Die Menschen sind dabei völlig unwichtig. Ich möchte mit einem Manne glücklich werden und dies kann ich doch bloß mit Frey“, erklärte Iduna seufzend.

Da lachte ihre Mutter herzlich auf. „Mein Kind, du gehst deinem Willen nach und dies ist dem König bewusst. Solltest du den Fürstensohn nicht heiraten wollen, so wirst du dies auch nicht tun. Denke doch lieber daran, dass du nun die Möglichkeit bekommst, das Königreich zu sehen. Und vielleicht meint es das Schicksal ja gut mit dir und du findest deinen Zukünftigen wieder“, sprach sie und legte ihre Hand auf die Idunas.

Diese nickte zögernd. Das erste Mal würde sie verreisen, und warum sollte sie nicht nach dem ihr Versprochenen Ausschau halten? Vielleicht war sie dazu in der Lage, ihn zu finden. Sie, die Einzige, welche noch immer fest daran glaubte, dass der Prinz lebte.

„Lange warst du nicht mehr bei ihm“, erklang da die ruhige Stimme ihrer Mutter in der nachdenklichen Stille.

Verwundert blickte Iduna ihre Mutter an, dann verstand sie. „Mein Hab und Gut ist bereits in eine Truhe geladen. Ich werde ihn besuchen und ihm von meinen Sorgen berichten.“

~

Wenige Minuten später öffnete Iduna die massive Holztür. Die Fackel in ihrer Hand warf flackerndes Licht auf das, was hinter dieser Tür lag. Sie erhellte den Staub, welcher durch das Öffnen der Tür aufgewirbelt worden war, beschien das Bett, den Schrank und den Tisch, das Regal und die Tür, welche zu einer Waschgelegenheit führte. All dies war unter einer dicken Staubschicht verborgen.

Vorsichtig betrat sie den Raum, welcher vor vielen Jahren einmal sehr prunkvoll gewesen war. „Hallo“, sagte sie leise und strich mit den Fingern über einen bequemen Stuhl, auf welchem sie sich schließlich niederließ, „Ich war lange nicht hier, Frey. Und ich denke, dass du, falls du mich hören kannst, weißt, was geschah. Ich fürchte mich davor, diesen Mann zu treffen, ist mein einziger Wunsch doch bloß, dass ich dich wiedersehe. Weißt du, wie sehr dein Vater sich verändert hat? Er war hier, sehe ich gerade. Er vergaß seinen Ring. Und er liebt dich. Frey, ich verspreche dir, dass ich dich niemals aufgeben werde.“

Kapitel II

„Ein Mensch, wie du und ich“

Am nächsten Tag brachen Iduna, Asilos, Argon und einige Bedienstete in den frühen Morgenstunden auf zur Burg Arta, dem Sitz des Fürsten Belial. Es lag noch immer tiefer Schnee, der Winter hatte seinen Höhepunkt erreicht und so war es unmöglich für eine Kutsche, den weiten Weg durch das Königreich zu fahren. So kam es, dass alle Reisenden reitend das Schloss verließen und sich auf machten, um die Burg des Fürsten Belial zu erreichen.

Iduna genoss die Landschaften, sah sie das Königreich doch das erste Mal in seiner ganzen Pracht. Wider Erwarten konnte sie die schneebedeckten Berge, die weiten Täler und Wälder bei strahlendem Sonnenlicht bewundern. Die Wolken der letzten Wochen waren weitergezogen und so war es wahrlich eine Freude, diesen Ritt zu unternehmen, welcher viel zu schnell vorüberzugehen schien.

~

Am Abend gelangte die Gruppe in eine der Städte, wo sie in einem Gasthaus nächtigte. Da der König sein Schloss sehr selten verließ, herrschte in der Stadt große Aufregung. Der Wirt briet ein Spanferkel und ließ seine Gäste von seinen besten Tellern speisen.

Iduna erfreute sich an den fremden Gesichtern, doch ertappte sie sich dabei, wie sie nach Freylen Ausschau hielt und hoffte, die hellen, blonden Haare oder gar die blauen Augen erblicken zu können. Sie wusste nicht, wie Freylen nun aussah, hatte sie ihn doch viele Jahre lang nicht mehr gesehen, doch solch helle Haare erblickte sie nicht in diesem Gasthaus.

~

„Asilos“, sagte sie, bevor sie sich in ihr eigenes Zimmer zurückzog, zu ihrem König, „Diesen Ring fand ich am gestrigen Abend in den Gemächern Freys.“

Verblüfft blickte der König Iduna an und nahm ihr den Ring schweigend aus der Hand. „Es ist keine Sünde zuzugeben, dass er dir fehlt. Wenn er bloß wüsste, wie sehr du ihn doch liebst“, sprach sie und legte sich nach einem Gruß zur Ruhe.

~

Am nächsten Tage gelangten sie auf die Ländereien, welche der Fürst verwaltete. Es war ein schönes Stück Land, bestückt mit Wäldern, Flüssen und dem großen Gebirge.

„Nun passieren wir die Felder, anschließend reiten wir durch einen kleinen Wald, hinter welchem die Burg des Fürsten liegt“, erklärte Argon und deutete auf zahlreiche Felder zu ihren Seiten.

Iduna wandte ihren Blick um und erblickte vier Personen auf einem der Felder. Zwei von ihnen waren von dunkler Hautfarbe und trugen, gleich einem Dritten, schmutzige Lumpen. Sie standen gebeugt und schienen das Feld zu bearbeiten. Der vierte Mann blickte streng auf die drei Übrigen herab, in der Hand hielt er eine Peitsche.

Die blasse Person schien Steine aufzulesen und wandte den Kopf. Idunas scharfe Augen trafen die der Person, von welcher sie weder sagen konnte, wie alt sie war, noch welches Geschlecht sie besaß. Die Person war klein und mager, besaß ein feines Gesicht mit weichen Zügen, soweit sie es erkennen konnte. Die Haare waren beinahe vollständig unter einer Haube verborgen, lediglich einige grau-braune Haarsträhnen lugten an der Stirn hervor, welche der Kreatur doch bis zur Brust reichten.

Als die Person begriff, dass Iduna sie ansah, wandte sie den Blick erschrocken ab und bückte sich nach einem weiteren Stein, während sie aus der Sicht der Thronfolgerin verschwand.

Doch Iduna vergaß die kleine Gruppe in dem Moment, als sie die große Burg erblickte, welche sich nun vor ihr befand. Groß war sie wahrlich, zudem sah sie recht prunkvoll aus, reichte jedoch bei weitem nicht an das große Schloss des Königs heran. Der Bergfried, ebenso die anderen Türme, waren von Schnee bedeckt und eine Fahne wehte in der leichten Brise.

~

Nur wenige Minuten später klapperten die Hufe der Pferde auf der Holzbrücke und schließlich kamen die Tiere in einem großen Burghof zum Halt. Iduna sah sich um, sie erblickte die Pferdeställe, eine Schmiede, einen Holzverschlag und noch so viel mehr. Dann fiel ihr Blick auf die Hauptburg, welche durch eine Mauer von der Vorburg getrennt war. Diese war groß, kleiner als das Schloss, doch dieses Bauwerk mit seinen grauen Fassaden wirkte sehr imposant. Die Mauern waren hoch, die Fenster klein, doch Iduna fand die Burg wunderschön, so wie sie über diesem Lande thronte.

Einige Wachen traten nun auf sie zu, griffen in die Zügel der Pferde und halfen den Ankommenden, von ihren Rössern abzusitzen. Iduna nickte ihrer Wache höflich zu und trat anschließend neben den König, welcher sich auf das große Eingangstor der Hauptburg zubewegte. Dort standen fünf Personen.

Ein Mann mit relativ kurzen, braunen Haaren und einem gepflegten Kinn- und Oberlippenbart stand in der Mitte. Er war von mittlerer Größe und schien etwas jünger als der König zu sein. Mit braunen Augen blickte er auf die Ankommenden. Neben ihm standen drei jüngere Personen. Zwei von ihnen schienen in Idunas Alter zu sein, unverkennbar waren sie seine Söhne. Auch der Dritte, so glaubte Iduna war ein Sohn des Mannes. Er schien etwa sieben Jahre zu zählen und wippte aufgeregt auf und ab. Der fünfte Anwesende war ein recht kleiner Mann, doch hatte er eine Ausstrahlung, welche Iduna ängstigte. Seine Haare waren silbergrau und ordentlich gekämmt. Sein Gesicht war rasiert und seine grau-grünen Augen blickten Iduna mit stechendem Blick an. Er schien der älteste der Anwesenden zu sein.

Alle fünf verneigten sie sich nun und auch Asilos und Iduna neigten ihre Häupter, um die Menschen zu grüßen.

„Seid gegrüßt, Asilos, König von Valaina!“, rief der Mann mit den kürzeren Haaren und schenkte dem König ein Lächeln.

„Fürst Belial!“, antwortete der König ebenso erfreut, trat auf den Mann zu und streckte ihm die rechte Hand als Gruß hin, welche der Fürst ergriff, „Darf ich Euch und Eure Söhne mit meiner Thronfolgerin bekannt machen? Dies ist Iduna von Valaina!“, sprach nun der König und Iduna neigte ein weiteres Mal ihr Haupt.

„Seid gegrüßt, Iduna. Darf ich Euch nun meinerseits mit meinen drei Söhnen bekannt machen?“, erkundige sich nun der Fürst und küsste die Hand der Thronfolgerin. Diese nickte lächelnd.

„Nun, dies ist mein Erstgeborener, Adrik“, begann der Fürst. Adrik, trat vor und küsste ebenfalls die Hand Idunas, „Dies ist Sandulf“, auch der andere Bruder in Idunas Alter küsste lächelnd die Hand der Rothaarigen, „Und dies ist mein jüngster Sohn, Jaro.“

„Seid gegrüßt!“, quietschte der Kleine und schenkte Iduna ein strahlendes Lächeln.

„Nun, darf ich Euch noch meinen Berater Adrastos vorstellen, bevor ich Euch und Eure Begleitung in meine Burg bitten werde, damit Ihr Euch etwas frisch machen könnt und wir schließlich an einem Bankett teilnehmen werden“, sagte Belial, während die Wachen das Tor öffneten und Adrastos der Berater sich verneigte und die Hand Idunas küsste.

~

Wenige Minuten später war Iduna allein mit ihrer Kleidertruhe in ihrem Gemach und blickte sich um. Der Raum war geschmackvoll eingerichtet, hatte einen Kamin und ein Himmelbett, wirkte ebenso schmuckvoll wie die gesamte Burg.

Etwas erschöpft ließ Iduna sich auf das Bett sinken und schloss die Augen. Nun war sie also hier und sollte einen der beiden erwachsenen Söhne Belials heiraten. Den ältesten, Adrik.

Doch die Kriegerin wusste, dass sie sich nun zurechtmachen musste, damit sie pünktlich zu dem Bankett erschien. Also sprang sie wieder auf, öffnete die Truhen und zog ein hellrotes, beinahe roséfarbenes Kleid hervor. Iduna entledigte sich flugs ihrer kurzen Tunika und schlüpfte in das Gewand, bevor sie ihre Haare kämmte und sich das Gesicht wusch.

~

Einige Zeit später betrat sie den Rittersaal, in welchem bereits der König, der Fürst mit seinem Ältesten und der Berater an einer reich gedeckten Tafel platzgenommen hatten. Iduna ließ sich neben dem König nieder und nickte den Anwesenden vornehm zu.

„Nun, beginnen wir zu speisen, bevor das Essen abkühlt. Der Fasan ist im Sommer weitaus vorzüglicher als nun, doch kann ich die Jahreszeiten nicht beeinflussen“, bemerkte der Fürst lächelnd und die Anwesenden begannen sich ihr Mahl auf die Teller zu füllen.

Schweigend aßen die anwesenden Adelsleute. Der König war hungrig, hatte er doch einen anstrengenden Ritt hinter sich. Iduna begleitete ihn zwar auf dieser langen Reise, jedoch war sie deutlich jünger als er und vor allem viel zu nervös, um eine solch große Menge an Nahrung zu sich zu nehmen, wie der König. Ihr Blick fiel immer wieder auf den ältesten Sohn des Fürsten. Den Mann, von welchem der König sich wünschte, dass sie ihn zu ihrem Gemahl nahm. Vielleicht saß ihr gegenüber der zukünftige König und aß.

„Nun, warum geht Ihr nicht mit meinem Sohn in eine der Kemenaten, sobald Ihr Euer Mahl beendet habt?“, fragte der Fürst Iduna nun und tupfte sich den Mund mit einem Tuch ab.

„Ich sehe keinen Grund, dies zu tun“, entgegnete Iduna mit kühler Stimme.

„Aber sicherlich wollt Ihr Euren zukünftigen Gemahl etwas besser kennenlernen“, sprach da Adrastos und griff nach seinem Krug.

„Mit Verlaub, mein Herr, doch bin ich erstens sehr erschöpft aufgrund der langen Reise und zweitens nicht dazu geneigt, diesen Manne zu ehelichen. Einem anderen bin ich bereits versprochen!“, Iduna spürte, dass eine unbändige Wut sie überkam. Wollte dieser wildfremde Mann sie nun auch mit dem ältesten Sohn des Fürsten verheiraten?

Sie hasste es, wenn man sie zu etwas trieb oder über solch persönliche Dinge in ihrem Leben bestimmte. „Ich werde mich nun zurückziehen“, sagte sie drum leise und erhob sich, „Gehabt euch wohl!“

~

Idunas Schritte hallten an den Wänden des Ganges wider, während sie den selbigen entlangschritt. Der Zorn über die Rücksichtslosigkeit der Männer loderte in ihr gleich einem Höllenfeuer. Ohne dass sie nach links oder rechts blickte, eilte sie diesen entlang. So schnell es ihr gelang, wollte sie in ihre Gemächer und über all das nachdenken, was geschehen war. Sie versuchte, sich noch im Gehen wieder zu beruhigen, und tat das, was sie immer tat, um zur Ruhe zu kommen: Sie dachte daran, was der Prinz wohl getan hätte. Jedes Mal, wenn sie an diesen dachte, wurde die Sehnsucht nach ihm noch größer, bohrte sich gleich einem Speer in ihr Herz und brachte die Trauer, die Angst und die Fragen mit sich. Doch es half ihr, sich zu beruhigen. Stellte sie sich die Frage, was Freylen an ihrer Stelle getan hätte, so kam sie meist auf eine gerechte Lösung. Iduna dachte darüber nach, mit Argon zu sprechen, dem höflichen Rittersmann, doch dieser schien ihr nicht der Richtige zu sein, um über ihr Empfinden zu sprechen. Ganz gleich, ob sie ihn erst wenige Stunden kannte oder nicht. Ebenso wenig hielt sie es für die richtige Entscheidung zu beten oder zu beichten.

In ihre Gedanken versunken bog Iduna in einen weiteren Gang ab. Dann spürte sie, wie etwas mit viel Schwung gegen sie prallte, und vernahm ein Poltern und ein Klirren. Sie stolperte und stützte sich mit den Händen auf dem Boden ab. Dann blickte sie erschrocken auf und starrte in das Gesicht einer ihr fremden Person, welche vor ihr kniete, und bestürzt auf das Geschehen blickte. Sobald ihre Augen die ihres Gegenübers trafen, senkte dieser den Blick, nahm eine unterwürfige, demütige Haltung an. Die Person gestikulierte leicht, bewegte die Lippen, doch keinen Laut brachte sie hervor.

Iduna betrachtete die Person vor sich genauer. Alles an ihr war seltsam grau-braun. Das lange, leicht lockige Haar, welches teilweise unter einer farblosen und sehr zerfetzten Haube hervorlugte, die Tunika und die Beinlinge, welche bessere Lumpen waren, ja, selbst die Haut war in einem farblos wirkenden Grau-Braun und trotzdem sehr blass.

Die magere Gestalt, die fehlenden Schuhe und der Schmutz sowie die Spuren von Blut und Tränen trugen nicht gerade zu einer besseren Erscheinung der Person bei und ließen diese wie ausgetrocknet wirken. Es gab zwei Dinge an der Person, welche von Farbe zu sein schienen: Zum einen die Adern, welche unter der Haut hindurchschimmerten, zum anderen die Augen, welche von einer fernenWelt zu stammen schienen, so blau waren sie. Blau wie zwei Saphire.

Und trotz des Schmutzes und des ungepflegten Aussehens der Gestalt fiel Iduna die unglaubliche Schönheit auf, welche von dieser ausging. Auch wenn die Wangen eingefallen und die Lippen rissig waren, glich die Person einem Fabelwesen. Die großen Augen, die wohlgeformte Nase, die vollen Lippen, welche das zarte kleine Gesicht, auf welchem kein Barthaar spross, mit den hohen Wangenknochen zierten, waren von unermesslicher Schönheit. Vor ihr kniete ein Jüngling, welcher noch mehr ein Heranwachsender zu sein schien, als ein ausgewachsener Mann.

Idunas Blick fiel auf den metallenen Halsring, welcher sich sichtbar eng um die Kehle des Jungen schloss, und sie musste schlucken. In ihr kam die Frage auf, wie es dieser Person gelang, frei zu atmen und zu essen.

Eilige Schritte mehrerer Personen ertönten nun im Gang, doch Iduna realisierte sie nicht. Sie schreckte erst auf, als ein heftiger Schlag ihren Gegenüber gänzlich zu Boden warf. Der junge Mann vor ihr rührte sich nicht, bemühte sich lediglich, nicht aufzusehen.

„Was hast du getan, Dreckstück?“, schrie der Fürst völlig außer sich. Seine Augen blitzten erzürnt und sein Gesicht nahm eine dunkle Farbe an. Erst in diesem Moment fielen Iduna die zahlreichen Scherben und die weiße Krem auf, welche auf dem Boden verteilt lagen, und in welcher sowohl sie als auch der Junge knieten.

„Den Herren trifft keinerlei Schuld!“, rief Iduna da entschlossen, „Ich habe nicht darauf geachtet, ob sich jemand in meiner Nähe befindet, und ging lediglich meinen Gedanken nach. Völlig unerwartet sind wir zusammengeprallt.“

„Iduna, du weißt nicht, was du da von dir gibst!“, rief der König da und blickte sie besorgt und nervös an.

„Auf die Knie!“, herrschte Fürst Belial derweil den jungen Mann an und trat nach diesem.

„Hört auf!“, rief Iduna entsetzt, als sie sah, dass der am Boden Liegende sich vor Schmerzen zusammenkrümmte.

„Begrüße den König!“, die Stimme des Fürsten war schneidend. Der Jüngling richtete sich vorsichtig auf und ließ ein leises Wimmern hören. Als er erneut kniete, beugte er sich vor und legte seine Lippen vorsichtig auf das edle Leder, welches die Füße des Königs bekleidete.

Iduna fühlte, wie eine Welle der Übelkeit sie erfasste.

„Du beseitigst diese Unordnung und wirst anschließend in den Rittersaal kommen, wo du deine Strafe für diese Untat empfängst!“, fauchte Belial, ohne auf Iduna einzugehen.

„Ihr Bediensteter hat nichts getan!“, rief Iduna da etwas lauter, „Zudem müsst Ihr niemandem aufgrund eines Unfalls Schmerzen zufügen. So geht man wahrlich nicht mit einem seiner Diener um. Lieber solltet Ihr ihn einem Heiler vorstellen und dafür sorgen, dass er eine anständige Mahlzeit zu sich nimmt. Nichts gibt Euch das Recht einen anderen zu schlagen oder ihm auf eine andere Art Schmerzen zuzufügen!“

„Er ist kein Diener, Iduna“, erklärte da der König mit sanfter Stimme, „Er ist ein Sklave.“

„Ein Sklave?“, wiederholte Iduna perplex. Sie wusste davon, dass einige Menschen von adeligem Geblüt sich Sklaven wie Vieh hielten, auch hatte sie diese auf den Ländern des Fürsten bereits gesehen, als sie zu dessen Burg geritten waren; der Junge war dabei gewesen, als einzig Weißer. Doch all das Leid, welches in ihm steckte, nun hier vor sich zu sehen, weckte in der Kriegerin den Drang den Menschen vor sich, welcher die pure Unschuld zu sein schien, zu schützen. Idunas Blick fiel auf die zitternden Hände der Gestalt, welche zu Boden sah.

„Worauf wartest du? Tu, was ich dir befohlen habe!“, fauchte der Fürst. Der Sklave, welcher noch kein einziges Wort gesprochen hatte, zuckte aufgrund der plötzlichen Lautstärke zusammen und zog schüchtern den Kopf ein. Schließlich erhob er sich, während die Anwesenden ihn stillschweigend betrachteten.

„Er ist hübsch“, sagte der König an den Fürsten gewandt.

„Hübsch ja, aber zu nichts zu gebrauchen. Es ist ein Wunder, dass er noch lebt. Würden die Sklaven mir nicht schneller wegsterben, als ich neue beschaffen kann, hätte ich ihn schon längst töten lassen. Er ist zu klein und zu schwach, aber die anderen Sklaven beschützen ihn und das so gut, dass wir ihn nicht liquidieren können.“

„Ist er gebrandmarkt?“

Der Fürst zog die Tunika des Sklaven nach unten und entblößte dessen haarlose Brust, auf der ein blasses Brandmal prangte. Der König nickte und ergriff das Kinn des Sklaven, hob dessen Kopf an, drehte ihn hin und her, zog die rissigen Lippen auseinander, welche augenblicklich zu bluten begannen, begutachtete die Zähne und tastete anschließend über den Oberkörper des Sklaven, welcher still wie ein Denkmal dastand und abwartete.

„Ihr wollt doch nicht wirklich einen Sklaven kaufen. Noch dazu einen weißen. Ihr seid der König, was soll Euer Volk von Euch denken? Doch auch wenn er zu nichts taugt, ist er hübsch und meine Sklaven nimmt man mir nicht einfach so. Zudem sind meine Sklaven unverkäuflich. Natürlich dürft Ihr ihn jedoch begutachten.“

„Ich möchte sehen, wie gut Ihr ihn kontrollieren könnt. Die Unscheinbaren sind ja meist die Törichtesten.“

„Glaubt mir, mein König, er ist der Gehorsamste von allen. Und jetzt wird er losgehen, etwas holen, womit er die Scherben und unsere Speise beseitigen kann, und dann in den Rittersaal kommen, wo er seine Strafe empfängt. Wenn Ihr ihn strafen möchtet, dann werde ich meinen Sohn bitten, sich etwas zurückzunehmen.“

Iduna, die den Sklaven ebenfalls betrachtete, bemerkte derweil die Scherbe, welche im rechten der nackten Füße des Sklaven steckte, und sie erschrak. Auch der Junge selbst hatte den Blick auf seine Füße gerichtet, schien sich jedoch nicht an der Verletzung des Fußes zu stören.

„Niemals wirst du ihm wehtun!“, sagte Iduna zu ihrem König und wollte schließlich das Wort an den Sklaven richten. Jedoch verstummte Iduna, anstatt ihre Stimme ein weiteres Mal zu erheben, als der Blauäugige sich umdrehte und vorsichtig den ersten Schritt in die Richtung tat, aus welcher er gekommen war. Dem geschulten Auge der Kriegerin entging nicht, dass der Junge starke Schmerzen hatte. Schmerzen, welche unmöglich von der Scherbe im Fuß kommen konnten. Sie sah das starke Hinken, doch dem Sklaven schien dies gleichgültig zu sein. Er hatte aufgegeben. Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, welches er ausstrahlte, war ebenso stark zu verspüren wie die Unschuld, welche ebenfalls von ihm ausging.

Idunas Kopf füllte sich mehr und mehr mit Fragen: Was hatte der junge Mann getan? Warum hatte man ihn versklavt? Welche Wege war er bereits gegangen? Wie viel Leid hatte er bereits erfahren? Wie wurde er zu dem, der er war? Zu dem, der willenlos versuchte die Befehle seiner Herren auszuführen.

Doch selbst ein Sklave, so lernte Iduna, konnte seinen Schmerzen nicht immer standhalten. So beobachteten alle Anwesenden tatenlos, wie der Sklave strauchelte und schließlich stürzte. Doch die Reflexe Idunas waren trainiert und mehr als nur zuverlässig. Ohne nachzudenken, machte sie einen Schritt nach vorn und fing den schmalen Körper auf. Der Leib in ihren Armen war angespannt und zittrig. Sie konnte die Rippen fühlen, welche unter der Haut hervorstachen, sie spürte den schnellen Herzschlag, als sich ihre Arme von hinten um den Oberkörper schlangen. Sanft ließ sie den Jungen zu Boden gleiten, kniete sich hinter ihn und hielt ihn so aufrecht sitzend, da sie befürchtete, dass der ausgehungerte Körper zusammenbrechen würde, sobald sie ihn losließ. Sie hielt ihn fest, um ihm zu zeigen, dass sie da war, in der Hoffnung, dass die Angst, welche sie ihm ansehen konnte, sich verringerte.

„Iduna!“, rief da der König, „Er ist …“

„… Ein Mensch wie du und ich“, unterbrach die Angesprochene ihn. Sie blickte auf das Geschöpf in ihren Armen, welches sich nicht traute, sich zu bewegen.

„Ich möchte behaupten, dass dieser Gang doch etwas zugig ist. Warum gehen wir nicht zurück in den Rittersaal?“, fragte Iduna nun unschuldig. Dem König war bewusst, dass seine selbst erwählte Nachfolgerin ihren Willen bekommen würde. Er nickte dem Fürsten zu, welcher verstand.

„Wie Ihr ihn in den Rittersaal befördern wollt, überlasse ich Euch“, sagte dieser nun und ging Seite an Seite mit dem König davon, überließ Iduna und den Sklaven sich selbst.

Die zukünftige Königin atmete tief durch und blickte den Sklaven vor sich an. Sie konnte nicht einschätzen, wie intelligent der junge Mann war, doch hoffte sie, dass er begriffen hatte, dass er einer Strafe entgehen würde.

„Wie heißt du?“, fragte sie nach einer Weile vorsichtig. Sie sah die Lippen des Jungen nicht, wusste nicht, ob er einfach nur zu leise sprach oder überhaupt einen Ton von sich gab.

„Kannst du laufen, wenn ich dir dabei helfe?“, fragte Iduna nun. Wieder erhielt sie keine Antwort. Sie seufzte leise, hatte bereits geahnt, dass sich der freundliche Umgang mit einem Sklaven als schwierig erweisen würde.

„Steh auf!“, befahl sie schließlich. Dies funktionierte. Fürst Belial schien Recht zu behalten: Der Sklave folgte an ihn gerichteten Befehlen willenlos. Und doch musste der Sklave kämpfen, um auf die Beine zu kommen. Schließlich erhob Iduna sich und zog den Sklaven dabei mit sich. Nun stand sie hinter ihm und hielt den Jungen weiterhin fest, welcher sein rechtes Bein leicht anwinkelte, dort offenbar starke Schmerzen verspürte.

Er war recht klein, kaum größer als Iduna selbst, welche für eine Frau zwar sehr groß war, jedoch immer noch ein beachtliches Stück kleiner als die Männer, welche sie kannte. Für einen Mann war der Sklave also recht klein, überragte Iduna jedoch um wenige Zentimeter. Doch Iduna glaubte, dass er hätte größer sein können, wenn man ihm mehr Nahrung zur Verfügung gestellt hätte. Sie wusste nicht viel über die Sklaverei, doch war ihr bekannt, dass es unter den Sklaven häufig zu auch blutigen Konflikten kommen konnte, da man sie kaum ausreichend ernährte, was, laut den Berichten meist zu Streitigkeiten führte, da der Stärkste am meisten bekam. Der zarte Sklave vor ihr ging in solchen Kämpfen sicherlich unter.

Selbst wenn er stand, befand sich der junge Mann in einer unterwürfigen Haltung, hielt Kopf und Blick stets gesenkt. Iduna wusste nicht, welche Krankheiten, ob er Läuse oder Flöhe hatte, doch sie scheute sich nicht den Sklaven zu berühren, wusste selbst, dass sie sehr auf ihren Körper achtete, beinahe täglich ein Bad nahm. Zudem waren die Haare des Sklaven größtenteils durch die Haube verdeckt, sollten wohl das Übertragen von Läusen vermindern, ebenso, dass er verlorene Haare verteilte. Sie wunderte sich, dass man ihm die Haare nicht einfach abgeschnitten hatte. Doch ihr war bewusst, dass sie von dem Sklaven selbst wohl keine Antwort auf diese Frage bekommen würde.

Iduna zog ein Tuch aus ihrer Rocktasche, befeuchtete es mit Spucke und wischte dem Sklaven vorsichtig das frische Blut aus dem Gesicht.

Schließlich legte Iduna sich sachte einen Arm des Jungen über die Schulter, trat dabei neben ihn und legte ihm ihren Arm um die Taille, stützte ihn, damit er sich fortbewegen konnte.

„Pass auf! Du darfst das rechte Bein nicht allzu sehr belasten“, sprach Iduna freundlich. Sie ahnte bereits, ohne eine geschulte Heilerin zu sein, dass das Bein gebrochen war und wusste, dass der Sklave sowohl dringend einen Heiler als auch Nahrung benötigte, um die Verletzung zu kurieren, ja, um zu überleben.

~

Schritt für Schritt bugsierte sie den Sklaven den Gang entlang, auf den Rittersaal zu und sprach dabei leise mit ihm, stellte sich ihm vor, erzählte von sich, immer in der Hoffnung, dass der Sklave doch seine Stimme erheben würde. Doch diesen Gefallen tat der junge Mann ihr nicht, war es doch unmöglich, innerhalb weniger Minuten das Vertrauen eines Menschen zu gewinnen, welcher von seinesgleichen abgelehnt wurde.

~

Die Menschen, welchen das ungleiche Paar begegnete, blickten sie erstaunt an, als sie an ihnen vorübergingen. Da der junge Mann sein Bein nicht mehr belasten konnte, kamen sie nur sehr langsam voran, doch Iduna störte dies keineswegs. Das Einzige, was sie zur Eile trieb, war das verletzte Bein des Sklaven. Der junge Sklave war in diesen Minuten auf Iduna angewiesen, trotz der Tatsache, dass Iduna spürte, dass er ihr nicht im Geringsten vertraute. Sein Körper war komplett angespannt, und er schien sich nicht auf den Kontakt zu ihr einlassen zu können. Doch als sie den großen Rittersaal betraten und sich die Blicke des Fürsten, dessen Sohn, des Königs und des Beraters Adrastos, sowie der anwesenden Diener und Wachen auf sie richteten, spürte Iduna, dass sich die Angst ihres Begleiters in Panik verwandelte und dass er sich verschreckt an sie drückte.

„Niemand wird dich strafen“, flüsterte sie ihm leise zu und drückte ermutigend seine Hand.

„Lass ihn los, er hat auf die Knie zu fallen, wenn einer seiner Herren anwesend ist!“, sprach da Adrastos mit einem Klang in seiner Stimme, welchen Iduna nur als herablassend bezeichnen konnte.

„Er ist verletzt!“, wandte sie prompt ein, doch da hatte der Sklave sich schon vorsichtig von ihr gelöst und war auf die Knie gesunken.

„Ganz gleich, ob er verletzt ist. Seine Unterwürfigkeit und seinen Respekt vor unserer Macht hat er uns zu zeigen!“, erklärte Adrastos mit kalter Stimme, „Er ist ein Sklave. Dass er verletzt ist, ist normal. Jede Wunde hat er verdient.“

Iduna bemühte sich, Fassung zu wahren, als Adrastos diese Worte sprach. Der Sklave zitterte derweil unkontrolliert.

„Keineswegs trägt er die Schuld an jeglichen Verletzungen. Ich kann nicht beurteilen, ob dies bei sämtlichen Verletzungen der Fall ist, jedoch kann ich dies bei einer bestimmten Wunde mit Gewissheit sagen, da dieser Jüngling sich diese unabsichtlich, durch mein Verschulden zuzog. Er stieß mit mir zusammen, doch konnte er nicht erahnen, dass ich um die Ecke preschen würde, gleich einem jungen verschreckten Reh. So stießen wir zusammen und er ließ natürlich die Schale fallen. Eine Scherbe bohrte sich in seinen Fuß“, berichtete Iduna.