Der Sklavenkrieg - Arthur Koestler - E-Book

Der Sklavenkrieg E-Book

Arthur Koestler

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Beschreibung

Eine Gruppe entflohener Gladiatoren unter Führung des legendären Spartacus entfacht eine Revolte der Sklaven und Verarmten, die sich zu einer ernsten Bedrohung für das Römische Reich entwickelt. In diesem Sklavenkrieg bringt Spartacus das Weltreich an den Rand einer Niederlage, bevor Roms Legionen den Aufstand blutig niederschlagen. Arthur Koestler hat die tatsächliche Geschichte dieser antiken Rebellion zu einem eindrucksvollen Roman verdichtet, der auf zwei Ebenen spielt: Erzählt wird die Geschichte dieser frühen Revolution – aber mit dem Wissen um die Revolutionen des 20. Jahrhunderts, die als Aufbruch in die Freiheit begannen und in Gewalt und ­Unterdrückung endeten.

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Arthur Koestler

Der Sklavenkrieg

Roman

Nach dem deutschenOriginalmanuskript

Mit einem NachwortvonHenry MacAdam

INHALT

Prolog: DIE DELPHINE

Erstes Buch: DER AUFBRUCH

1. Das Gasthaus

2. Die Räuber

3. Die Insel

4. Der Krater

5. Der Kugelköpfige

Intermezzo: DIE DELPHINE

Zweites Buch: DAS GESETZ DES UMWEGS

1. Die Versammlung

2. Untergang der Stadt Nola

3. Der gerade Weg

4. Die Wandlungen der Stadt Capua

5. Der Umweg

6. Die Erlebnisse des Advokaten Fulvius

7. Die Chronik des Advokaten Fulvius

Drittes Buch: DER SONNENSTAAT

1. Hegio, ein Bürger der Stadt Thurium

2. Der Einzug

3. Gründung der Sklavenstadt

4. Das Netz

5. Der Neuling

6. Die große Weltpolitik

7. Das Heimweh

8. Die roten Äderchen

9. Untergang der Stadt Metapont

10. Die höheren Gründe

11. Die Entscheidung

12. Das Ende der Sonnenstadt

13. Die Heimkehr des verlorenen Sohnes

Intermezzo: DIE DELPHINE

Viertes Buch: DER UNTERGANG

1. Die Schlacht am Garganus

2. Talfahrt

3. Die Grabsteine

4. Die Begegnung

5. Die Schlacht am Silarus

6. Die Kreuze

Epilog: DIE DELPHINE

Quellennachweis und Textgestalt

Nachwort

«Sklavenkrieg» und «Gladiatoren»: Zwei Fassungen im Vergleich

CHORFÜHRERIN: Doch zaudere nicht, geh an das Werk mit der Schärfe der Einsicht; denn je rascher ein Stück fortspielt, umso eher gewinnt es des Publikums Beifall.

PRAXAGORA: Wohl bin ich gewiss, dass heilsam ist, was ich darlegen will; indessen ob das Publikum auch für den Fortschritt ist und nicht in dem alten, gewohnten Herkommen und Brauch viel lieber verweilt, das ist’s, was mich ernstlich besorgt macht … So spreche denn niemand gegen mich eher und störe unterbrechend den Vortrag, bis er ganz einsieht, wie der Plan ist, und den Redner bis zu Ende gehört hat.

Aristophanes: Das Frauen-Parlament.

PROLOG

DIE DELPHINE

Noch ist es Nacht.

Noch haben die Hähne nicht gekräht.

Doch der Amtsschreiber Quintus Apronius ist es gewohnt, dass der Beamte früher aus dem Bett muss als das Federvieh. Ächzend angelt er mit den Zehen nach seinen Sandalen auf der staubigen Bretterdiele. Die Sandalen stehen wieder verkehrt, mit den Spitzen zum Bett: erstes Ärgernis des Tages, wie viele werden noch folgen?

Er schlürft zum Fenster, blickt in den Hof hinab, in den fünf Stockwerke tiefen Schacht des Mietshauses. Ein knochiges Weibsbild steigt die Feuerleiter empor: Pomponia, seine Haushälterin und einzige Sklavin, sie bringt das Frühstück und den Eimer mit heißem Wasser. Pünktlich, das muss man ihr lassen. Pünktlich, aber alt und knochig.

Das Wasser ist lauwarm, das Frühstück ungenießbar: zweites Ärgernis. Doch da fallen ihm die Delphine ein, Glanz und Höhepunkt des Tages, der Vorgenuss streift lächelnd seine Züge. Pomponia schwatzt und zankt, während sie in der Stube herumwirtschaftet, seine Kleider säubert, beim Zurechtlegen der komplizierten Falten seiner Amtstracht hilft. Er schreitet die Feuerstiege hinab, würdevoll und ängstlich bedacht, den Saum des hochgerafften Gewandes nicht über die Sprossen zu schleifen; er weiß, dass Pomponia, den Besen in der Hand, ihm aus dem Fenster nachschaut.

Nun ist er in der engen Gasse; der Morgen dämmert schon; den Rock immer hochgerafft, drückt er sich den Häuserwänden entlang, denn durch die Gasse fährt ein ununterbrochener Zug von Ochsen- und Pferdekarren, mit viel Geholper und Hütteho – tagsüber ist der Wagenverkehr in der ganzen Stadt Capua polizeilich verboten.

Ecke Salbenmarkt und Fischmarkt begegnet ihm ein Trupp von Bauarbeitern. Es sind Gemeindesklaven, finstere Gestalten mit hartem Blick und unrasierten Gesichtern. Er drückt sich noch enger an die steinerne Fassade, presst das faltige Gewand ängstlich an die Hüften, murmelt Abschätziges. Zwei der Vorbeimarschierenden rempeln ihn an, achtlos und ohne sich zu entschuldigen. Der Amtsschreiber zittert vor Empörung, wagt aber nicht aufzumucken – die Leute tragen keine Fesseln, verfluchte neumodische Laxheit, und die Aufseher schlendern weit hinter dem Trupp.

Endlich sind sie vorbei, Apronius kann seinen Weg fortsetzen; aber der Tag ist ihm verdorben. Die Zeiten werden immer bedrohlicher, fünf Jahre sind vergangen seit des großen Diktators Sulla Tod, seither ist die Welt wieder aus den Fugen. Sulla, das war ein Mann, der hatte es verstanden, Ordnung zu halten, die Plebs mit eiserner Faust niederzupressen. Ein ganzes Jahrhundert der revolutionären Wirren war ihm vorausgegangen: die Gracchen mit ihren verrückten Reformplänen, die schrecklichen Sklavenaufstände in Sizilien, der Terror des Pöbels unter Marius und Cinna, die die Sklaven Roms bewaffnet hatten und gegen die Adelspartei losließen. Hart am Abgrund stand damals die zivilisierte Welt, Sklaven, stinkend-stures Gesindel, besitzloses Proletariat, drohten die Macht an sich zu reißen, gaben vor, die Herren von morgen zu sein. Doch da war Sulla gekommen, der Retter, und riss das Steuer herum. Die Herrschaft des alten Adels stellte er wieder her, den Volkstribunen verbot er das Maul, den schlimmsten Hetzern schlug er die Köpfe ab, die Führer der Volkspartei verbannte er aus dem Land, jagte sie nach Spanien ins Exil. Die unentgeltliche Kornverteilung, diese Prämie für Arbeitsscheue und Tagediebe, schaffte er ab, eine neue, strenge Verfassung gab er dem Volk, für Jahrtausende und ewige Zeiten – aber dann wurde der große Sulla leider von der Läusesucht befallen, von der Ptyriasis, wie man sagte, und die Läuse frassen ihn auf.

Fünf Jahre war das her – aber wie lange lag diese gute Zeit zurück! Die Welt ist aufs Neue voller Wirrnis und Bedrohung; wieder gibt es Gratiskorn für Faulenzer und Arbeitsscheue, Volkstribune und Demagogen dürfen blutrünstige Reden halten; die Aristokratie, ihres großen Führers beraubt, macht Konzessionen, schwankt hin und her, und die Canaille erhebt wieder ihr Haupt.

Dem Amtsschreiber Quintus Apronius ist der Tag endgültig verdorben; nicht einmal der Gedanke an die Delphine, Glanz und Höhepunkt des Tages, heitert ihn auf. Da fällt sein Blick auf ein hölzernes Baugeländer, das die Scriptoren gerade mit einer neuen Anzeige schmücken. Es ist eine sehr feierliche Ankündigung, beinahe fertig schon: Obenauf befindet sich eine zinnoberrote Sonne, mit dem Pinsel gemalt, die Strahlen nach allen Richtungen aussendet; darunter beehrt sich der Fechtmeister Lentulus Batuatus, Inhaber der größten Gladiatorenschule in der Stadt, das hochgeehrte Capuaner Publicum zu einer Monstreveranstaltung einzuladen. Übermorgen bereits, am Tage des Minervafestes, werde das festliche Spiel stattfinden, und dies bei jedem Wetter; denn der Fechtmeister Batuatus werde, die großen Unkosten nicht scheuend, Sonnensegel spannen lassen, wohl geeignet, auch etwaigen Regen vom geehrten Publikum fernzuhalten; überdies werde in den Pausen auf den Tribünen Parfüm gesprengt.

«Zittert und eilt herbei, Liebhaber der festlichen Spiele, ehrenwerte Bürger Capuas, die Ihr Zeugen der Kämpfe eines Pacidejanus, des hundertsechsfachen Siegers, wart und den unbesiegbaren Carpophore bewundert habt; versäumt nicht die einmalige Gelegenheit, die berühmten Fechter aus der Schule des Lentulus Batuatus kämpfen und sterben zu sehn.»

Es folgt die Liste der kämpfenden Paare, die ziemlich lang ist; als Hauptattraktion ist der Kampf zwischen dem gallischen Fechtdoktor Crixus und dem thrakischen Ringträger Spartacus angekündigt. Außerdem erfährt man, dass 150 Neulinge AD GLADIUM, das heißt: Mann gegen Mann, 150 weitere AD BESTIARIUM, Mann gegen Tier, exponiert werden sollen. In der Mittagspause und während der Desinfektion der Arena werden Zwerge, Krüppel, Frauen und Clowns Scheingefechte aufführen. Vorverkauf der Eintrittskarten, zum Preise von 3 Ass bis zu 50 Sesterzien im Freibad des Hermios, beim Bäckermeister Titus sowie bei den autorisierten Theateragenten, die beim Eingang des Minervatempels zu finden sind. –

Quintus Apronius murmelt Abschätziges vor sich hin: In Rom ist man längst zum System der Gratis-Spiele übergegangen, die ehrgeizige Politiker den Wählermassen offerieren; hier, in der rückständigen Provinz, muss jeder selbst für sein bisschen Vergnügen bezahlen. Er beschließt, den Festspielunternehmer Lentulus Batuatus, den er vom Sehen kennt, um Freikarten anzugehn; der Fechtmeister, einer der angesehensten Männer der Stadt, ist gleichfalls Stammgast bei den Delphinen, und Apronius hat sich längst vorgenommen, seine Bekanntschaft zu machen.

Ein wenig aufgeheitert von diesem Entschluss, setzt der Amtsschreiber seinen Weg fort; wenige Minuten später ist er an seinem Ziel, in der Halle des Minervatempels angelangt, wo das Marktgericht tagt.

Die Sonne geht auf, die Kollegen kommen, die kleinen Beamten zuerst, unausgeschlafen, mürrisch, ihrer Würde bewusst. Auch zwei Prozessparteien sind schon da, Händler, die einen Streit um einen Verkaufsstand auf dem Fischmarkt auszutragen haben; streng werden sie angewiesen, draußen zu warten, bis der Gerichtsdiener sie aufruft. Die Beamten gehen schläfrig in der Halle herum, rücken die Bänke zurecht, ordnen die Akten auf dem Präsidententisch. Quintus Apronius genießt ein gewisses Anseh[e]n unter seinen Kollegen, teils auf Grund seiner siebzehn Dienstjahre, teils weil sie wissen, dass er ehrenamtlicher Sekretär eines Geselligkeits- und Sterbekassenvereins ist.

Auch jetzt nimmt er die Gelegenheit wahr, einen jüngeren Kollegen für den Verein zu werben, der sich «Verehrer der Diana und des Antinous» nennt; mit wohlwollender Herablassung setzt er ihm die Statuten auseinander. Neuaufgenommene haben ein Eintrittsgeld von 100 Sesterzen zu zahlen, der Jahresbeitrag beträgt 15 Sesterzen und wird in monatlichen Raten von 5 Ass entrichtet. Demgegenüber zahlt die Kasse zur Bestattung jedes verstorbenen Mitglieds 300 Sesterzen, Selbstmörder werden ausgeschlossen. Für das Leichengeleit werden 50 Sesterzen abgezogen und am Scheiterhaufen verteilt. Wer bei den geselligen Veranstaltungen Streit anfängt, zahlt vier Sesterzen Strafe, wer zu prügeln beginnt zwölf, wer den Vorsitzenden beleidigt zwanzig. Die Festschmäuse werden von je vier jährlich wechselnden Mitgliedern veranstaltet, welche Decken oder Pölster für die Speisesofas, heißes Wasser nebst Geschirr, außerdem vier Amphoren guten Wein und für jedes Mitglied ein Brot zu zwei Ass und vier Sardinen zu besorgen haben. Quintus Apronius hat sich warm geredet; aber der Kollege, anstatt sich geehrt zu fühlen, erklärt nur, er werde sich die Sache überlegen. Enttäuscht und verärgert wendet er dem Grünschnabel den Rücken zu.

Endlich kommen auch die hohen und höheren Beamten, bis hinauf zum städtischen Ratsherrn, der das Amt des Marktrichters versieht. Gnädig verabschiedet er sein Gefolge, huldvoll nickt er Apronius zu, der ihm geschäftig den Stuhl zurechtrückt, noch einmal die Aktenstöße ordnet. Die Halle füllt sich mit Publikum und Parteien, die Verhandlung beginnt und damit des Apronius Hauptgeschäft und Lebensberuf: das Schreiben. Sein mürrisches Gesicht verklärt sich, genießerisch malt er Wort hinter Wort auf das appetitlich saubere Pergament; keiner hat eine so schön verschnörkelte Handschrift, keiner kann so flink und zuverlässig eine Verhandlung protokollieren wie Apronius, der in siebzehn Dienstjahren das unbedingte Vertrauen aller Vorgesetzten erworben hat. Die Parteien erhitzen sich, die Rechtsanwälte reden, Zeugen werden vernommen, Sachverständige befragt, immer neue Aktenstöße herbeigeschleppt, Paragraphen verlesen – all dies ist unwichtig und eigentlich nur Vorwand, um Apronius Gelegenheit zu geben, seine hohe Kunst des Protokollierens unter Beweis zu stellen; er ist die Hauptperson in diesem Saal, die andern nur Statisten. Als die Sonne im Zenith angelangt ist und der Gerichtsdiener den Schluss der Verhandlung verkündet, hat Apronius bereits vergessen, um was der Streit eigentlich ging; aber den ungewöhnlich geglückten Schnörkel, mit dem er die Rede des Angeklagten schloss, sieht er noch hinter geschlossenen Augen. –

Er packt die Akten zusammen, grüßt ehrerbietig den Ratsherrn, herablassend die Kollegen; das faltige Gewand an die Hüfte gerafft, entschreitet er der Stätte seiner offiziellen Tätigkeit. Sein Weg führt in das oskische Viertel, in die Taverne «Zum Kelch», wo die «Verehrer der Diana und des Antinous» einen besonderen Tisch mit der Vereinsstandarte besitzen, und wo Apronius in den letzten sieben Jahren, seit dem Tag, da er zum Ersten Schreiber des Marktgerichtes avanciert ist, sein Mittagsmahl einnimmt; ein Mahl, das vom Patron persönlich nach einer besonderen ärztlichen Diät – denn Apronius ist magenleidend – bereitet wird, ohne Preiszuschlag.

Das Mahl ist beendet, Apronius überwacht die Säuberung der zu seinem persönlichen Gebrauch reservierten Mundschale, knipst die Brotkrümmel von der Kleidung, entschreitet der Taverne «Zum Kelch», begibt sich zu den neuen Thermen.

Auch hier wird der Stammgast vom Badediener respektvoll begrüßt, er händigt ihm den Schlüssel des für Apronius reservierten Garderobeschrankes aus, nimmt, nachsichtig lächelnd, sein Trinkgeld von 2 Ass in Empfang. In der großen Marmorhalle herrscht, wie immer, reges Leben, schwatzende Gruppen stehen herum, Grüße und Neuigkeiten werden getauscht, unter den Wandelbögen halten Gelegenheitsrhetoren, ehrgeizige Poeten und andere Herumlungerer ihre Vorträge, von den Zuhörern durch Zwischenrufe, Beifall und Gelächter unterbrochen. Apronius liebt es, vor den mannigfachen körperlichen Genüssen des Bades sich den Geist anregen zu lassen, er gesellt sich zu dieser und jener Gruppe, hört mit halbem Ohr einige Sätze aus einem Vortrag gegen Abtreibung und Geburtenrückgang; er wendet einem zweiten Redner, der einen unanständigen Witz erzählt, gleich nachdem die Pointe verklungen ist, empört den Rücken zu; wandelt, mit hochgerafftem Kleid, zu einer dritten Gruppe. Ein dicker Grundstückmakler und Spekulant, der ein kleines Winkel-Bankgeschäft im oskischen Viertel betreibt, sucht hier Kunden zu werben, indem er die Anteilscheine einer neuen Harzgewinnungskompanie im Bruttium anpreist. Dringlich und aus purer Menschenfreundlichkeit rät er dem Zuhörer, unbedingt zu kaufen, Harz ist gut, Harz ist die Zukunft, die Anteilscheine werden bestimmt hohen Gewinn abwerfen. Apronius verzieht das Gesicht, murmelt Abschätziges, geht weiter. Ein einziges Mal in seinem Leben hat er zu spekulieren versucht, vor sieben Jahren: Damals hat er Anteilscheine einer asiatischen Steuerpachtkompanie gekauft, – aber Sulla hatte die Kompanie aufgelöst, die Papiere verloren von heute auf morgen ihren Wert und die kleinen Leute hatten das Nachsehn. Das war übrigens die einzige Handlung des großen Diktators, mit der Apronius sich niemals ganz abfinden konnte.

– Die größte Zuhörergruppe, ein richtiger Auflauf, umgibt natürlich wieder den Schriftsteller und Winkeladvokaten Fulvius, den üblen, staatsgefährlichen Hetzer. Apronius hat allerlei über den kleinen, unansehnlichen Mann mit der verbeulten Glatze erzählen gehört; er soll früher eine wichtige Rolle in der Demokratenpartei gespielt haben, aber wegen seines anrüchigen Radikalismus kaltgestellt worden sein. Seither lebt er hier in Capua, in einer armseligen Mansardenstube, und hetzt das Volk auf gegen die von Sulla hinterlassene Ordnung der Dinge. Dabei spricht dieser Fulvius so trocken und gelassen, als lese er Kochrezepte vor – und doch können die Narren nicht genug bekommen davon. Widerwillig, mit gerafftem Kleide, zwängt sich Apronius in die Zuhörermenge; er tut es nicht aus Neugier, sondern weil er weiß, dass Ärger vor dem Bade seiner Verdauung bekömmlich ist.

– Die römische Republik ist dem Tode geweiht –, verkündet der Advokat im Tone einer lehrhaft-trockenen Konstatierung. Ein Bauernstaat ist Rom einst gewesen, aber die Bauernschaft ist ausgeblutet, der Staat ein leerer Schlauch. Die Welt hat sich ausgeweitet, billiges Getreide aus den überseeischen Provinzen wurde importiert, der Bauer ging zugrunde, musste seinen Acker verkaufen und betteln gehn. Die Welt hatte sich ausgeweitet, billige Sklaven aus allen Ländern wurden importiert: Der Handwerker ging zugrunde, der Tagelöhner musste betteln gehn. Rom erstickte in Getreide, es verfaulte in den Speichern, für die Armen gab es kein Brot. Rom erstickte in Arbeitshänden, sie streckten sich zum Betteln oder ballten sich zur Faust, es gab keine Arbeit. Es war ein Fehler im System der Verteilung, die Ordnung der Wirtschaft hatte sich der Ausdehnung der Welt nicht angepasst, war in den alten Formen erstarrt, sie musste zugrunde gehn. Eine neue Ordnung musste kommen, das war seit fast einem Jahrhundert allen denkenden Köpfen klar. Aber wo solche Weisheit sich zeigte, da wurde sie abgehackt, mitsamt dem Kopfe, der sie barg.

«Wir leben», konstatiert Fulvius und streicht sich bedächtig die verbeulte Glatze, «in einem Jahrhundert der missglückten Revolutionen …»

Nun aber hat der Amtsschreiber Quintus Apronius genug. Das geht zu weit, das rührt ja an die Grundfesten der menschlichen Gesittung. Zitternd vor Empörung und dennoch nicht ganz unbefriedigt – denn er merkt, der Ärger hat die heimlich beabsichtigte Wirkung erreicht – begibt sich Quintus Apronius endlich in das Innere der Thermen. Die erste Etappe ist der Saal mit den Delphinen.

Es ist dies ein heller, freundlich-ernster, ganz mit Marmor ausgekleideter Raum, an dessen Wänden zweckmäßig konstruierte marmorne Thronsessel stehn, die Armlehnen von Künstlerhand in Delphinenform gemeißelt. Sie dienen der geselligen Unterhaltung von Nachbar zu Nachbar, dem geruhsamen Schwatz und geistigen Meinungsaustausch, während der Leib gleichzeitig dem stofflichen Austausch obliegt und sich, gleich dem Geiste, ausgiebig verhält; denn beide Tätigkeiten sinnvoll zu verbinden, ist die Bestimmung des Saales der Delphine.

Der Ärger des Amtsschreibers Quintus Apronius macht einer festlichen Stimmung Platz; und seine Freude wird noch erhöht, da er auf einem der Delphin-Thröne die wohlbeleibte Gestalt des Lentulus Batuatus erblickt, des Inhabers der Gladiatorenschule, von dem er Freikarten für die kommenden Spiele erbitten will. Neben ihm ist gerade ein Marmorsessel frei geworden; Apronius rafft umständlich sein Kleid hoch, nimmt mit einem Seufzer der Befriedigung Platz und streicht zärtlich mit der Hand über den marmorglatten Kopf der Delphine.

Der Ärger mit dem Revolutionär hat in der Tat eine vorzügliche Wirkung gehabt. Während Apronius mit andächtiger Ergriffenheit den Delphinen sein Opfer darbringt, beobachtet er verstohlen seinen Nachbarn. Indes der Fechtmeister ist schlechter Laune; auch scheint ihm in körperlicher Hinsicht nicht alles wie beabsichtigt zu gelingen. Endlich fasst sich Apronius ein Herz; die Hauptsache im Leben, meint er mit einem teilnahmsvollen Seufzer, sei doch eine gutgeregelte Verdauung; seit längerer Zeit bereits beschäftige ihn der Gedanke, dem er, sobald er Zeit dazu fände, auch in einer kleinen philosophischen Schrift Ausdruck geben möchte: dass nämlich alle aufrührerische Gesinnung und aller revolutionärer Fanatismus letzten Endes auf eine ungeregelte Verdauung, genauer gesprochen, auf chronische Konstipation, zurückzuführen sei.

Der Festspielunternehmer sieht ihn flüchtig an, nickt mit dem Kopf; das könne wohl wahr sein, meint er düster.

– Ganz gewiss sei es wahr, ereifert sich Apronius; und er vermesse sich, mit Hilfe seiner Theorie so manchen historischen Vorgang einfach und zwangslos zu erklären, den die Philosophen aufbauschten, um die Menschen aufzuhetzen.

Doch trotz allen Eifers gelingt es ihm nicht, seinen Nachbarn aufzumuntern. – Er jedenfalls, meint der Unternehmer, habe seinen Leuten immer anständig zu essen gegeben, ihre Diät und körperliche Condition von den besten Doctoren überwachen lassen, und dennoch hätten sie all seine kostspieligen Bemühungen mit dem hässlichsten Undank heimgezahlt.

– Ob er wohl geschäftlichen Ärger habe, erkundigt sich Apronius teilnahmsvoll, und fühlt zugleich die Hoffnung auf die Freikarte sich vermindern.

– Und ob, seufzt der Unternehmer, es habe ja doch keinen Sinn mehr, die Sache zu verheimlichen: Siebzig seiner besten Fechter seien heute Nacht aus der Anstalt ausgebrochen und hätten sich davongemacht; trotz aller Bemühungen habe die Polizei bisher ihre Spur nicht finden können.

– Das sei allerdings furchtbar, meint Apronius; und es sei überhaupt nicht abzusehn, wohin all das noch führen sollte, wenn nicht wieder ein starker Mann, wie Sulla einer war, der Canaille die gepanzerte Faust zeigt.

«Wem sagen Sie das?», stimmt der Unternehmer ein und lässt seinem verhaltenen Ärger nunmehr freien Lauf; bekümmert klagt der wohlbeleibte Mann, der unter allen Mitbürgern als Muster geschäftlicher Solidität gilt, über die Zeiten und den schlechten Geschäftsgang. Der Gerichtsschreiber Quintus Apronius hört ihm respektvoll zu, den Oberkörper lauschend vorgeneigt, das hochgeraffte Gewand zwischen den gespreizten Fingerspitzen; er weiß, dass Lentulus nicht nur als Unternehmer hohes Ansehen genießt, sondern auch eine beachtliche politische Karriere in Rom hinter sich hat.

Er kam erst vor zwei Jahren nach Capua, und doch genießt die Gladiatorenschule, die er hier gründete, bereits einen anerkannt erstklassigen Ruf; seine Geschäftsbeziehungen umspannen Italien und die Provinzen; seine Agenten kaufen das Rohmaterial auf dem Deli’schen Sklavenmarkt und liefern es, ein Jahr später, als mustergültig ausgebildete Fechter nach Spanien, Sizilien und an die asiatischen Höfe. Es war die angeborene Solidität des Lentulus, die ihm zu diesen Erfolgen verhalf: Sein Institut beschäftigte die besten Fechtdoktoren als Lehrer, er hielt Fachärzte zur Überwachung von Diät und Training der Fechter; vor allem aber verstand er es, seinen Leuten als eiserne Regel der Berufsehre einzuprägen, dass sie, besiegt, niemals um Pardon baten und die Exekution in guter Haltung hinnahmen, ohne durch allerlei Getue die Zuschauer zu degoutieren.

«Leben ist keine Kunst – aber das Sterben will gelernt sein», ermahnte er immer wieder pedantisch seine Leute. Und in der Tat erzielten die Fechter Lentulus’scher Herkunft, um ihres berühmt stilvollen Sterbens willen, durchschnittlich um 50 Prozent höhere Einnahmen in der Arena als Gladiatoren aus einer beliebigen anderen Schule. –

Und dennoch hat auch Lentulus unter den unerfreulichen Zeiten zu leiden; teilnahmsvoll und geschmeichelt lauscht der Amtsschreiber der Klage des großen Mannes:

«Sehen Sie, mein Geschätzter», erklärt ihm Lentulus, «das gesamte Festspielgewerbe macht gegenwärtig eine Krise durch, die das Publikum verschuldet hat. Es schätzt immer weniger das gute, sorgfältig durchgearbeitete Material und die unglaublichen Mühen und Kosten, die darin stecken, und ist stattdessen auf unsinnige Massenschlächtereien erpicht. Die Quantität verdrängt die Qualität; das Publikum verlangt, dass jede größere Veranstaltung mit einer dieser widerlichen Tierhatzen abschließt. Haben Sie sich einmal überlegt, was das für den Unternehmer bedeutet? Sehr einfach: Bei der klassischen Spielart ad gladium, das heißt Mann gegen Mann, beträgt der Materialverbrauch naturgemäß Eins von Zwei oder fünfzig Prozent; nehmen Sie noch einen Sicherheitskoeffizienten von zehn Prozent dazu, für Verwundungen mit letalem Abgang post festum, so kommen wir insgesamt auf einen Materialverschleiß von 60 Prozent pro Veranstaltung. Schön und gut – das ist die klassische Kalkulation, darauf basiert unsere Bilanz.

Nun aber kommt das Publikum und verlangt von mir Tierhatzen; es ist durchaus aufs Malerische erpicht und macht sich natürlich keine Gedanken darüber, dass ein Exponieren der Leute ad bestiarium den Materialverschleiß auf 85 bis 90 Prozent pro Veranstaltung erhöht. Vor ein paar Tagen erst hat der Hauslehrer meines Sohnes, ein vorzüglicher Mathematiker, ausgerechnet, dass die Chance auch der besten Fechter, die dreijährige Dienstzeit zu überleben, sich wie die Eins zur Fünfundzwanzig verhält. Für den Unternehmer bedeutet das logischerweise, dass er die gesamten Ausbildungskosten des Mannes in durchschnittlich einseinhalb bis zwei Schaustellungen amortisieren muss.

Sie, das Publikum, die Außenstehenden glauben natürlich, dass die Arena eine Goldgrube ist», sagt Lentulus mit einem bitteren Lächeln. «Sie werden staunen, wenn ich Ihnen verrate, dass sich das Unternehmen, solide geführt, zu höchstens 10 Prozent im Jahre verzinst; sodass ich mich oft wirklich frage, warum ich mein Geld nicht lieber in Grundstücken anlege oder gleich Bauer werde, wo doch der schlechteste Acker immer noch seine 6 Prozent pro anno abwirft …»

Apronius sieht die Hoffnung auf die Freikarte begraben; und dabei werden offenbar noch teilnahmsvolle Worte von ihm erwartet. «Nun, die fünfzig Ausreißer werden sich wohl noch verschmerzen lassen», meint er ermunternd.

– «Siebzig», korrigiert der Unternehmer erbittert. «Und siebzig der Besten dazu. Darunter Crixus, mein gallischer Fechtdoktor, Sie haben ihn sicher schon arbeiten gesehn, ein finsterer, schwerer Mann mit einem Seehundskopf und langsamen, gefährlichen Bewegungen. Den kann ich jetzt abschreiben. Und Castus, das Bürschchen, gewandt, verschlagen, tückisch wie eine Hyäne. Und noch eine ganze Anzahl vorzüglicher Leute: Ursus, ein Riese, Spartacus, eine ruhige, sympathische Erscheinung, der immer ein hübsches Fell um die Schultern trug, Oenomaus, ein sehr begabter Debutant, et cetera, et cetera. Erstklassiges Material, wie ich Ihnen versichern kann, und durchaus traitable Leute.» Die Stimme des Unternehmers nimmt, da er von seinen verlorenen Leuten spricht, einen geradezu elegischen Tonfall an. «Jetzt stehe ich da und werde die Eintrittspreise um die Hälfte ermäßigen müssen; dabei wurden ohnehin schon mehrere hundert Billette an Claque und Freikartenbettler verteilt.»

Quintus Apronius schluckt und beeilt sich, das Gespräch auf eine mehr allgemein-philosophische Ebene zu bringen. Es müsse doch komisch sein, meint er, wie diese Fechter von Veranstaltung zu Veranstaltung so dahinlebten und dabei ständig damit rechnen müssten, beim nächsten Mal auf der Strecke zu bleiben. Er könne sich schwerlich in die Stimmung so einer Kreatur hineindenken. –

Lentulus lächelt überlegen, er ist es gewöhnt, dass Laien immer wieder dergleichen Fragen an ihn stellen.

«Man gewöhnt sich daran», sagt er. «Sie, als Beamter, wissen gar nicht, wie rasch sich der Mensch an die ungewöhnlichsten Lebensbedingungen gewöhnt. Es ist eben wie im Krieg; und schließlich kann jeden von uns täglich das Schicksal ereilen. Übrigens sind die Leute mit ihrer gesicherten Unterkunft und der guten, gesunden Verpflegung weit besser daran als Unsereiner, auf dem die ganze Verantwortung lastet, die täglichen Sorgen, der geschäftliche Ärger. Sie können mir glauben, dass ich meine Pensionäre oft geradezu beneide.»

Apronius bestätigt durch eifriges Kopfnicken, dass das Leben der Pensionäre bei solcher Behandlung durchaus nicht so ohne sein müsse.

«Aber, sehen Sie, der Mensch ist eben niemals mit seinem Los zufrieden. Das scheint nun einmal in seiner Natur zu liegen», fährt der Unternehmer in seinen pessimistischen Betrachtungen fort. Besonders in den letzten Tagen vor einer größeren Veranstaltung bemächtige sich der Pensionäre immer eine gewisse Unruhe, und es würden wohl auch allerlei dumme Redensarten geführt. Diesmal habe es sich noch dazu in der Anstalt herumgesprochen, dass auf Wunsch des Publikums das Unternehmen sich gezwungen sehe, die überlebenden Pensionäre nach bestandenem Kampf nochmals ad bestiarium zu exponieren. Das sei den Leuten natürlich sehr gegen den Strich gegangen, es sei zu geradezu peinlichen Szenen gekommen, und gestern Nacht sei dann, auf vorläufig ungeklärte Weise, der genannte Zwischenfall passiert.

Obwohl er selbst, Lentulus Batuatus, natürlich der am schwersten Betroffene sei, könne er nicht umhin, den Unwillen der Leute bis zu einem gewissen Grade verständlich zu finden. Denn in der Tat, mehr noch als durch die geschäftliche Seite sei er vom Treiben der Zuschauer angewidert. Da sei etwa jüngstens der Aberglaube aufgekommen, dass frisches Gladiatorenblut eine heilkräftige Wirkung auf gewisse Frauenkrankheiten ausübe – und was für Szenen sich seither in der Arena abspielten, das zu beschreiben wolle er sich und dem geschätzten Freunde lieber ersparen. Sein körperliches Befinden aber habe durch all diese Dinge dermaßen gelitten, dass er das Wort «Blut» überhaupt nicht mehr hören könne, ohne Übelkeit zu empfinden, und auf Anraten seines Arztes ernstlich erwägen müsse, sich demnächst einer Kaltwasserkur in Bajä oder Pompeji zu unterziehn. –

Der Fechtmeister verstummt und deutet mit einer resignierten Handbewegung an, dass alles hoffnungslos verfahren sei; was sich sowohl auf die Erfolglosigkeit seiner leiblichen Bemühungen wie auch auf den allgemeinen Zustand der Welt beziehen kann.

Apronius sieht ein, dass bei dem Manne heute nichts zu erreichen ist; enttäuscht erhebt er sich von seinem Marmorthron, ordnet seine Gewandung, verabschiedet sich vom Unternehmer. Auch während des Abendmahls in der Taverne «Zum Kelch» bleibt Apronius verstimmt und nachdenklich; er vergisst sogar, die Reinigung seiner Mundschale zu überwachen.

Dunkelheit füllt bereits die Straßenschluchten des oskischen Viertels; er tritt den Heimweg an. Nicht einen Augenblick verlässt ihn das Bewusstsein, dass er um seine Hoffnung auf die Freikarte geprellt worden ist. Bitterkeit schnürt ihm die Kehle zu, während er mit gerafftem Gewand die Feuertreppe zu seiner Wohnung emporsteigt: ausgesperrt ist man von der Tafel des Lebens, was nützen die siebzehn Dienstjahre, nicht einmal Brosamen fallen ab.

Mechanisch streift er die Kleider vom mageren Körper, breitet sie in den gewohnten Falten über den dreibeinigen, wackligen Stuhl, löscht das Licht. Von der Straße hallen im Gleichtakt trappende Schritte herauf: es sind die Bausklaven, die von der Arbeit heimkehren. Er sieht ihre finsteren, sturen Gesichter, wie sie ihn zur Seite stießen und weitergingen, ohne sich zu entschuldigen.

Der Amtsschreiber Quintus Apronius starrt traurig in die Nacht seines Schlafzimmers. Dazu also die Plackerei eines arbeitsreichen Lebens, Ärger im Dienst, Sparsamkeit und Fleiß? Soll man da noch an die Götter glauben?

Seit den Tagen seiner Kindheit war Apronius das Weinen nicht mehr so nahe wie jetzt. Er wartet vergeblich auf den Schlaf und fürchtet sich vor den Träumen, die da kommen werden. Denn er weiß, es werden böse, hässliche Träume sein. –

ERSTES BUCH

DER AUFBRUCH

I.

DAS GASTHAUS

Eine endlose Prozession von Meilensteinen, Bäumen und Ruhebänken, zog die appische Heerstraße nach dem Süden. Sie war mit großen, quadratischen Blöcken gepflastert und, wie eine Rennbahn, nach beiden Seiten von steinernen Böschungen flankiert. An den Böschungen liefen streckenweise Kakteenhecken entlang; Stein und Gewächs waren von einer trägen, mehligen Staubschicht bedeckt. Es war still und sehr heiß.

Beim zweiten Meilenstein südlich von Capua stand das Gasthaus des Fannius. Es war Hochsaison, aber die Wirtsstube war leer. Es waren schlechte, unsichere Zeiten, wer nicht musste, reiste nicht; Rotten von Gesindel und Wegelagerern trieben sich im Lande herum, machten die Verkehrswege unsicher. Seit Mittag hatte sich kein Kunde auf der Chaussee gezeigt, zwei aristokratische Reisegesellschaften ausgenommen, die zur Kur in das Seebad von Bajä fuhren; und für die existierte Fannios bescheidenes Gasthaus nicht.

Fannio stand hinter dem Schanktisch und ließ sich vom Buchhalter die Rechnungen vorlesen. Die Stube war vom beizenden Rauch der Küche gefüllt, es roch nach Thymian und Zwiebeln; zwei geschminkte Kellnerinnen würfelten an einem Tisch um den nächsten Kunden. Die männliche Bedienung – Fannio hielt grobknochige, handfeste Knechte, die allen Eventualitäten gewachsen waren – war in den Ställen beschäftigt oder schlief, unter einem Schwarm von Fliegen, im Schatten des Hofes ihren Mittagsschlaf.

Lärm quoll von der Chausseeeinfahrt herein. Als Fannius aufstand, um nachzusehn, wurde die Tür schon aufgestoßen und ein Rudel von Menschen drängte herein. Es mochten ihrer vierzig sein oder fünfzig, die Stube war gleich voll von ihnen. Sie trugen merkwürdige Sachen bei sich, wie man sie bei den Fechtern im Circus sehen konnte. Die meisten waren ziemlich verschüchtert und vollführten ein überflüssiges Gelärm und Gelächter. Einer trug anstatt vernünftiger Kleider ein Fell über die Schulter geworfen. Sie standen unbehaglich in der Schankstube herum und schielten nach den Mägden. Einer verlangte, dass man im Hof für sie decke.

Fannius sah sich die Leute an und ließ, ohne besondere Eile, Bänke und Stühle in den Hof tragen. Draußen stand ein großer, hufeisenförmiger Tisch. Die Kellnerinnen befeuchteten ihre Augenbrauen, schnitten sich Grimassen und begannen den Tisch zu decken. Die Gäste nahmen Platz, es herrschte erwartungsvolle Stille. Es waren auch einige Frauen unter ihnen. Obenauf saß ein Dicker, mit hängendem Schnauzbart und Fischaugen; er trug eine silberne Halskette und sah aus wie ein trauriger Seehund. Die Kellnerinnen kamen und gingen, sie stellten Krüge und Becher auf den Tisch. Der Dicke fuhr langsam mit dem Ellenbogen über den Tisch und fegte alles hinunter.

«Weg», sagte er, «wir wollen ein Fass haben.»

Die Tonkrüge zersplitterten auf dem Hofpflaster, die Gesellschaft lachte. Eine von den Frauen, eine schmale, dunkle, fast noch ein Kind, trommelte mit den Fäusten auf den Tisch.

Fannius ging langsam zu dem Dicken; hinter ihm standen die stiernackigen Knechte wie eine Mauer. Er berührte den Dicken am Arm und alles verstummte. Fannius hatte nur ein Auge, das andere war ausgelaufen; er war untersetzt und sehr breit. Er sah nachdenklich an den Gästen entlang. «Welcher Circus hat euch beurlaubt?» fragte er.

Der Dicke nahm die Hand Fannios von seinem Arm und sagte: «Wer viel fragt, hat bald die Ohren voll. Jetzt wollen wir unser Fass haben.»

Fannius stand eine Weile da und sah die Gäste an. Die Gäste sahen Fannius an und schwiegen. Das Schweigen dauerte ziemlich lange; dann winkte Fannius mit dem Auge und die Knechte rollten das Fass heran. Der Spund wurde eingeschlagen und Fannius ging weg. Die Mägde kamen wieder, um die Becher zu füllen, aber die Gäste umdrängten das Fass und bedienten sich selbst. Dann verlangten sie zu essen. Die Mägde trugen die Schüsseln auf und die Gäste aßen und tranken. Sie wurden sehr lustig. Die stiernackigen Knechte standen nebeneinander an der Mauer und sahen zu.

Als es zu dunkeln begann, rief der Dicke nach dem Wirt. Fannius kam herbei. Mehrere der Gäste schliefen an den Tisch gelehnt und einige hatten die Mägde auf dem Schoß; die Mägde waren jetzt auch sehr lustig. Der Dicke, der noch ebenso trübe dreinsah wie vorher, sagte, Fannius sollte für die ganze Gesellschaft Nachtquartier bereiten. Mehrere Gäste riefen dazwischen, dass man weitergehen müsse. Der Dicke sagte, man könne hier ebenso gut nächtigen wie anderswo. Fannius schwieg. Die Schmale, Dunkelhaarige rief, der Dicke habe recht und man könne Wachen ausstellen vor der Einfahrt. Der Dicke sagte, man habe jetzt genug geredet und der Wirt solle die Schlafstellen bereit machen. Fannius erwiderte, er habe keine Schlafstellen und die Gäste sollten jetzt bezahlen und sich davonmachen.

Die Gäste schwiegen. Nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten, sagte der mit dem Fell zu Fannius, er solle keine Angst haben, sie hätten genug Geld bei sich. Er hatte ein breites, nicht unfreundliches Gesicht mit vielen Sommersprossen und den eckigen Gliederbau eines Holzfällers; er saß auch auf Holzfällerart, die Ellenbogen bedächtig auf die Knie gestützt. Fannius sah ihn an und der mit dem Fell sah Fannius an und Fannius wandte die Augen ab. Ein Jüngerer unter den Gästen, ein schmächtiges Bürschlein, lachte unangenehm und warf Fannius einen Beutel zu. Fannius hob den Beutel auf und sagte, die Gäste sollten sich jetzt davonmachen. Die Gäste schwiegen. Fannius wartete ein wenig, dann winkte er mit dem Auge und die stiernackigen Knechte kamen etwas näher. Der Dicke erhob sich und Fannius wich etwas zurück. Sie standen Bauch an Bauch. Fannius sah den Dicken an und sagte, er sei schon mit anderen Banditen fertig geworden. Er packte sehr rasch und geschickt zu, aber der Dicke stieß ihn mit dem Knie vor die Geschlechtsteile und der Wirt flog gegen die Mauer, wo er wimmernd liegen blieb.

Einer von den Knechten machte eine Bewegung mit dem Arm und sie gingen auf den Dicken los. Die Schläfer erwachten und die Mägde kreischten. Die Dreibeine zersplitterten krachend und das Aufschlagen der Krüge klang dumpf in das Splittern der Knochen, an denen sie zerschellten. Aber die merkwürdigen Waffen der Gäste waren den Knüppeln der Knechte überlegen, und das Ganze dauerte nicht lange.

Es herrschte große Unordnung auf dem Hofe. Die Knechte wurden vor dem Schuppen zusammengetrieben. Die Kellnerinnen legten Verbände an, aber bei Zweien von den Knechten half es nichts mehr. Man schaffte sie fort. Die Gäste standen unschlüssig auf dem Hof herum, lachten und beschimpften die Knechte. Die Knechte schwiegen. Einige blickten auf Fannius, der an die Mauer gelehnt saß und sich die Geschlechtsteile hielt.

Das schmächtige Bürschlein ging, sich in der Hüfte wiegend, zu Fannius und beugte sich über ihn. Fannius wandte den Kopf weg und spuckte aus. Das Bürschchen stieß Fannius mit der Fußspitze leicht in die Seite. Fannius hatte Brechreiz. «Erst ist dir ein Auge ausgelaufen und jetzt etwas anderes», sagte das Bürschchen. «Das kommt davon, wenn man immer Händel sucht, und dann noch ausgerechnet mit Crixus.» Er lachte und klopfte dem Dicken auf den Bauch. Aber der Dicke, den er Crixus genannt hatte, lachte nicht. Er sah drein wie ein trauriger Seehund, mit hängendem Schnauzbart und trübem Blick.

Die Knechte standen vor dem Schuppen, wo man sie zusammengetrieben hatte, und schwiegen. Einige von den Gästen standen mit ihren Waffen daneben und bewachten sie. Der mit dem Fell ging über den Hof zu den Knechten und blieb vor ihnen stehn. Alle auf dem Hof sahen hin. «Was fangen wir jetzt an mit euch?», sagte der mit dem Fell zu den Knechten.

Die Knechte sahen ihn an. Er hatte ruhige, aufmerksame Augen, das gefiel ihnen.

«Was seid ihr denn für welche?», fragte einer von den Knechten.

«Rate mal», rief das Bürschlein, «wahrscheinlich Senatoren.»

Einer von den Knechten sagte:

«Unseretwegen könnt ihr ja hier nächtigen, wenn ihr euch morgen davonmacht.»

«Wir danken für die Erlaubnis», sagte der mit dem Fell und lächelte. Alle lachten, auch einige von den Knechten.

«Wir werden euch über Nacht in den Kuhstall sperren», sagte der mit dem Fell.

«Man sollte euch alle erledigen», sagte Crixus. «Wer herauszukommen versucht, wird gleich erledigt.»

Die Knechte wurden in den Kuhstall gesperrt und der eiserne Riegel vorgeschoben. Zwei von den Gästen mussten dableiben und Wache stehn. Auch vor die Einfahrt wurden zwei Wachen aufgestellt.

Die Mägde gingen die Schlafstellen bereiten und machten sich auf eine anstrengende Nacht gefasst. –

Auf der Landstraße marschierte eine Hundertschaft campanischer Söldner. Sie waren nachmittags ausgeschickt worden, um die Flüchtlinge einzufangen, und marschierten schon seit vier Stunden ziemlich ziellos durch Ortschaften und Feldwege. Sie schickten Kundschafter aus und nach einiger Zeit fanden sich die Kundschafter wieder ein und berichteten, dass Bauern und Feldarbeiter da und dort den Trupp gesehen hatten. Aber die Fährten erwiesen sich dann regelmäßig als ergebnislos. Alle hatten die Flüchtlinge gesehn und keiner konnte sagen, wohin sie sich gewandt hatten; oder vielleicht wollten sie nicht.

Bei der Hundertschaft befanden sich auch einige Diener des Lentulus, die bei der Feststellung der Flüchtlinge behilflich sein sollten. Sie waren die aufgeregtesten: sie fühlten sich ihrem Herrn gegenüber verantwortlich für den Erfolg der Expedition. Die Söldner fanden die Angelegenheit eher unerfreulich. Sie hatten Auftrag, die Flüchtlinge womöglich lebend zurückzubringen – wie sich das die Ratsherren so vorstellten, zu Hause in ihrem Schwitzbad. Auszeichnungen und Schlachtenruhm waren bei dem Unternehmen nicht zu holen, und mit Gladiatoren sich herumzuschlagen war auch nicht jedermanns Sache. Das waren ja halbe Tiere, dressierte Bestien, sie hatten nichts zu verlieren. Außerdem hatten sie merkwürdige Waffen – Netze, Lassos, Dreizacken und Wurfspieße; das warf alle Gefechtsregeln über den Haufen. –

Als es dunkel wurde, kehrte die Hundertschaft zur Rast in einer Herberge ein, beim sechsten Meilenstein hinter der Gabelung, vor der Ortschaft Calatia. Es schien, dass die Expedition ergebnislos verlaufen sollte, und die Leute hatten nichts dagegen. Es waren größtenteils ältere Männer: verarmte Handwerker und kleine Händler, arbeitslose Taglöhner und ruinierte Bauern. Sie hatten sich zur Hilfstruppe anwerben lassen mit der Aussicht auf gesicherte Unterkunft, Sold und Altersversorgung. Sie fühlten sich mehr als campanische Bürgerwehr denn als römische Legion. –

Man aß und trank.

In der zweiten Stunde nach Sonnenuntergang wurde der Rückmarsch angetreten. Es war Neumond und sehr dunkel. Auf halbem Wege kam ihnen einer der berittenen Kundschafter entgegen, neben ihm ein Mann, der eilig über die Chaussee hinkte. Er sah übel zugerichtet aus und erzählte, er heiße Fannius, die Flüchtlinge wären in sein Gasthaus eingebrochen, hätten die Knechte umgebracht und das Unterste zu oberst gekehrt. Jetzt schliefen sie mit den Mägden und wenn man das Haus umstelle, könne man sie bequem alle fangen, wie in einem Mauseloch. Dann erkundigte er sich, ob eine Belohnung ausgesetzt sei.

Die Söldner hätten ihn am liebsten erschlagen. Sie waren verdammt müde und schwer vom Wein. Aber der Hauptmann hatte seinen Ehrgeiz und der Marsch wurde beschleunigt. Etwa eine Meile vor der Gabelung befand sich ein Gutshof. Man weckte das Gesinde und beschaffte sich Fackeln. Zwanzig Minuten später war man vor dem Gasthaus des Fannius angelangt.

Das Gebäude sah sehr ausgestorben aus, die Fackeln qualmten. Der Hauptmann ließ das Haus umstellen und pochte mit dem Säbelgriff gegen das Einfahrtstor. Es war ein sehr solides Tor aus schwerem Holz. Niemand antwortete. «Vielleicht sind sie schon weg», sagte einer der Söldner. Man musste sich entschließen, das Tor einzubrechen.

Zehn Mann wurden nach dem Gutshof zurückgeschickt, um Äxte herbeizuschaffen. Das dauerte wieder eine Weile. Das Haus hatte nur je ein kleines Fenster an der Vorderfassade und an der Mauer, die hinten, nach den Feldern stand, beide im Obergeschoss; alle anderen Fenster öffneten sich nach den Innenhöfen. Es blieb nichts übrig, als zu warten, bis die Äxte kamen.

Die Söldner lagerten sich auf der Chaussee, einige schliefen ein. Sie warteten. Manchmal ging einer mit einer Fackel ans Tor, pochte und rief einen Witz hinein, aber drinnen blieb alles wie ausgestorben. Vielleicht waren sie wirklich schon weg. Das Unternehmen kam allen völlig sinnlos vor.

Nach etwa einer Stunde kamen die Äxte und man machte sich daran, das Tor aufzubrechen. Es war ein sehr solides Tor. Als es endlich nachgab, rührte sich drinnen wieder nichts. Fannius sollte vorangehen, aber er ließ dem Hauptmann den Vortritt. Die Andern drängten nach. Sie gelangten in den viereckigen Hof, der im Licht der vielen Fackeln merkwürdig aussah. An allen Fenstern des Obergeschosses standen die Gladiatoren und sahen herunter.

Der Hauptmann – er hieß Mammius und war ein junger Mensch aus besserer Familie – erhob die Stimme unnötig laut. «Also macht keine Geschichten», schrie er und drehte den Kopf nach allen Richtungen, ungewiss, zu welchem Fenster er sprechen sollte, «kommt herunter, jeder Widerstand ist zwecklos.» – Als er verstummte, war es im Hof ebenso still wie vorher.

«Zeig uns die Stiege», sagte der Hauptmann zu Fannius. Fannius wies in den Winkel des Hofes, wo die Küche lag. Der Hauptmann ging auf die Stiege zu. «Geht lieber nach Hause», sagte eine Stimme von oben gedehnt, «das wäre gescheiter.» Der Hauptmann blieb stehn. «Wollt ihr freiwillig herunterkommen oder nicht?», sagte er zu dem, der gesprochen hatte. Einige lachten oben.

«Gib acht, sonst piss ich dich an die Wand», sagte einer, dessen Fenster über der Treppe lag. – «Das ist ja Nicos», rief einer aus einem andern Fenster, «hast du keine Grüße vom Patron zu bestellen?» Nicos, ein alter Bedienter des Lentulus, sah hinauf. «Macht keine Dummheiten», sagte er, «kommt lieber nach Hause. Der Patron ist sehr ärgerlich.»

Wieder lachten einige.

Die Söldner standen herum und sahen zu den Fenstern hinauf.

«Wo ist denn Spartacus?» fragte Nicos und suchte mit seinen Augen die Fenster ab.

Der mit dem Fell lehnte in einem Fenster am anderen Ende des Hofes und grinste ihm freundlich zu: «Sei gegrüßt, Nicos.»

«Kannst du sie nicht zur Vernunft bringen?» fragte Nicos. «Du warst doch sonst nicht so.»

Der mit dem Fell lächelte weiter, antwortete aber nicht.

Die Fackeln verbreiteten mehr Rauch als Helligkeit.

«Also», sagte der Hauptmann. «Kommt ihr oder kommt ihr nicht?» Er machte wieder einige Schritte zur Treppe zu. «Bleib wo du bist, du geschorene Zwiebel», rief es vom Fenster über der Treppe.

Der Hauptmann machte noch ein paar Schritte. Dann flog etwas Unförmiges von oben herunter, der Hauptmann lag fluchend auf dem Boden und arbeitete mit Händen und Beinen gegen das Netz, das sich um ihn zusammenzog. Die Leute an den Fenstern brüllten. «Zieh ihn rauf», schrie einer, dessen Stimme alle übertönte. Der Hauptmann fluchte so, dass seine Stimme sich überschlug. Einige Söldner näherten sich unschlüssig dem toten Winkel an der Treppe, um den Hauptmann zu befreien, einer fiel gleich um, schrie, die andern blieben stehn, da war schon die Hölle los, aus den Fenstern sausten Messer, Steine, Wurfspieße, ganze Möbel. Die Söldner liefen herum, hoben ihre Schilder über die Köpfe und warfen die Fackeln weg; aber die Schilder halfen nichts, die schrecklichen Waffen der Fechter kamen von allen Seiten. Einige versuchten, ihre Picken und Wurfspieße in die Fenster zu schleudern, aber sie fielen zurück. Die Fackeln qualmten und erloschen, in der Dunkelheit wurde alles noch schlimmer und am schlimmsten war das Gebrüll, das von oben kam. Die Söldner drängten nach der Einfahrt, aber sie fanden das Tor verschlossen und wer sich ihm näherte, wurde erstochen und erschlagen, auch von der Treppe her stürmten jetzt die Fechter in den Hof und die Söldner wurden in eine Ecke gedrängt; über ihren Köpfen wurden neue Fackeln entzündet und aus den Fenstern gehalten, sodass sie wie hellerleuchtete Zielscheiben in der Ecke standen und sich nicht mehr zu schützen wussten. – Die Stimme, die vorhin «Zieh ihn rauf» gebrüllt hatte, brüllte jetzt: «Werft die Waffen weg.» Dann wurde es etwas stiller.

Einige Söldner warfen ihre Waffen weg und setzten sich auf die Erde. Die andern blieben stehn. Einer rief laut, sie sollten die Waffen nicht wegwerfen. Crixus ging in die Mitte des Hofes und rief ihm zu, er solle herüberkommen. Der andre rührte sich nicht. Crixus sagte, er solle herüberkommen; einer gegen einen sei billiger, als wenn alle sich herumschlügen. Das leuchtete den Soldaten ein und sie öffneten ein Spalier für den, der gesagt hatte, man solle die Waffen behalten. Aber der rührte sich nicht vom Fleck. Da legten alle ihre Waffen fort und setzten sich in die Ecke auf den Hof.

Die Fechter sammelten alle Waffen und trugen sie nach oben. Sie machten Witze und waren sehr gut gelaunt. Die Toten und die Verwundeten wurden in die Scheune getragen. Fannius war tot und auch der Hauptmann: Man hatte ihn in seinem Netz zertreten. Castus, das Bürschchen mit dem wiegenden Gang, sagte, die Scheune sei das Spolarium – so hieß der Raum, in den man die Toten aus der Arena schleppte. Alle lachten. Sie holten die Knechte aus dem Kuhstall und stießen sie in die Ecke der Söldner. Die Knechte sahen blöde drein, sie hatten das Getöse in ihrem Stall mitangehört und vorgezogen, nicht herauszukommen. –

Auch die Mägde kamen wieder zum Vorschein, sie wurden aber nicht beachtet. Die Fechter standen im Hof herum, einige gingen wieder schlafen. In der Ecke, unter den Söldnern, saß Nicos an die Wand gelehnt, ein alter Mann. Der mit dem Fell ging zu ihm hinüber.

«Das wird bös enden», sagte Nicos.

«Hör mal, Nicos», sagte der mit dem Fell bedächtig, «glaubst du, die Arena ist ein schönes Ende?» Alle im Hofe hörten zu.

«Es ist gegen die Ordnung», sagte Nicos, «wohin sollte das führen?»

«Mit deiner Ordnung kannst du dir den Hintern pflastern», sagte Castus, das Bürschchen, der vorhin den Witz gemacht hatte. Aber er fand diesmal kein Echo.

«Was wird der Patron sagen, wenn wir zurückkommen ohne euch?» sagte Nicos.

«Es ist noch sehr fraglich, ob ihr überhaupt zurückkommt», sagte Castus. Alle schwiegen.

«Du könntest ja mit uns kommen, Nicos», sagte der mit dem Fell.

«Ich habe nicht vierzig Jahre gedient», sagte Nicos, «um als Räuber und Wegelagerer zu enden.»

Die Fechter bildeten allmählich eine Gruppe um Nicos. «Und was soll mit denen da geschehen?» fragte Nicos und deutete mit dem Kinn nach den Söldnern, von denen einige sich bereits zum Schlafen hingestreckt hatten. Es waren meist ältere Leute. Die Fechter schwiegen.

Sie standen in Gruppen auf dem Hof herum und sahen zu den entwaffneten Söldnern in ihrer Ecke. Einige von den Söldnern schnarchten, die anderen saßen auf dem Steinpflaster des Hofes und sprachen miteinander. «Wenn wir zurückkommen», sagte ein älterer Soldat, «wird man uns alle entlassen oder noch Schlimmeres mit uns tun. Vielleicht hängen sie uns alle ans Kreuz.»

«Geschieht euch ganz recht», sagte ein Fechter.

«Wieso?», sagte der Soldat. Einige Fechter gingen an die Gruppe heran.

«Es ist fraglich, ob ihr überhaupt zurückkommt», sagte Castus.

«Wollt ihr uns alle umbringen?» fragte ein anderer Soldat.

«Dich zuerst», sagte das Bürschlein, «du räudiger Hund.»

«Schweig», sagte der mit dem Fell. – Castus schwieg. Er trug, wie die andern Gallier, ein silbernes Kettlein um den Hals.

Die Fechter standen herum, sie hatten sich in einem Haufen vor der Ecke der Söldner gesammelt und schwiegen.

«Das Vernünftigste wäre, ihr kämt jetzt alle zurück», sagte Nicos.

«Denk einmal nach, Nicos», sagte der mit dem Fell bedächtig, «und dann rede weiter.» Nicos schwieg.

«Stelle dir einmal vor, Nicos», sagte Oenomaus, ein Jüngerer unter den Fechtern, der sonst ziemlich schüchtern war, «man gibt dir einen Spieß in die Hand und mir auch einen Spieß, und verlangt von uns, wir sollen uns gegenseitig aufspießen, zur Unterhaltung anderer Leute.» –

«So habe ich das nie aufgefasst», sagte Nicos.

«Es ist aber so, Nicos», sagte der mit dem Fell, «denk einmal nach.» Nicos dachte nach und antwortete nicht.

«Genug geschwatzt», sagte Crixus, der an die Mauer gelehnt stand und trübe über die Versammlung blickte.

«Was wollt ihr jetzt anfangen?», fragte Nicos. Alle schwiegen.

«Wir lassen uns in den Senat wählen», sagte Castus. Niemand lachte.

«In Lucanien gibt es Berge und Wälder», sagte Oenomaus und blickte schüchtern zu dem mit dem Fell empor. «Das Land ist groß», sagte der mit dem Fell, «komm mit uns, Nicos.»

«Lucanien kenn’ ich», sagte einer der Soldaten, ein ehemaliger Schafhirt mit breiten Backenknochen und einem gelben Pferdegebiss, «wer sich dort verirrt, den kann man suchen.» – «Und Herden von wilden Pferden», sagte ein anderer Soldat, «die Hirten dort sind alle Räuber. Sie kriegen von ihren Patrons nichts gezahlt und leben von Räuberei[e]n.»

«Es gibt auch Rotwild und Fische in den Bächen, so viel du willst», sagte der Hirt. «Am liebsten ginge ich mit nach Lucanien.»

«Ich auch», sagte der andre. «Von deinem Sold kannst du dir gerade Lattich und Polenta kaufen.»

«Man wird euch alle aufhängen», sagte Nicos. «Nicht einmal einen Anführer habt ihr.»

«Genug geschwatzt», sagte Crixus und kam von seiner Mauer herbei. «Es wird ein Führer gewählt und dann los.»

«Crixus wird Tribun», sagte einer der Fechter und alle lachten.

«Nehmt ihr mich mit?» fragte der Hirt.

«Man wird sie alle aufhängen», sagte ein alter Soldat.

Es begann zu dämmern. Der Himmel über dem Hof färbte sich grau. Die Fackeln wurden ausgelöscht. Der Hof sah jetzt größer und ganz anders aus als vorhin.

«Ich ginge auch mit», sagte einer von den stiernackigen Knechten.

«Was wird aus dem Gasthof?», fragte ein andrer Knecht.

«Vielleicht hängen sie uns alle auf wegen Fannius», sagte der erste, «oder sie schicken uns in die Bergwerke.»

Die Knechte steckten die Köpfe zusammen und berieten. Dann standen sie alle auf und gingen auf die Fechter zu. «Zurück da!», schrie Castus, das Bürschchen.

«Wir würden alle mitkommen», sagte der Sprecher der Knechte. «Wenn ihr uns mitnehmen wolltet.»

Die Fechter redeten durcheinander. «Wir geben euch keine Waffen», sagte Castus. Die Knechte berieten.

«Sie sagen: Waffen werden sich finden», sagte der Sprecher. «Und der da soll Anführer sein.» Er zeigte auf Spartacus. Spartacus sah ihn an mit ruhigen und aufmerksamen Augen, dann wandte er sich an Crixus und grinste: «Du bist der Dickste unter uns», sagte er. Crixus sah ihn trübe an. Die Fechter wurden wieder lustig. Die Gallier unter ihnen waren für Crixus, die andern für Spartacus.

«Ruhe», sagte Crixus. «Beide.»

Es wurde wieder still; die Fechter standen verlegen herum: Jetzt hatte man also Führer gewählt. Die Knechte gingen in den Schuppen, holten Knüppel und Äxte und verteilten sie unter sich. Sie stellten sich in einer Reihe an der Mauer auf. Die Fechter sahen ihnen zu. Der mit dem Fell ging zu den Söldnern in ihre Ecke und blieb vor ihnen stehn. «Was machen wir mit euch?», fragte er.

«Nehmt uns auch mit», sagte der Hirt mit dem Pferdegebiss. «Ich kenne die Wälder in Lucanien.»

«Wir haben keine Waffen für sie», sagte Crixus. «Sie sind auch zu alt.»

«Wer sagt euch denn, dass wir mitgehn?», sagte ein andrer Soldat. «Man wird euch fangen und alle aufhängen.»

Die Soldaten zögerten und berieten. Der Hirt und einige Wenige traten vor.

«Du kommst mit», sagte Spartacus zu dem Hirten. Der Hirt machte einen komischen Lufsprung und stellte sich zu den Fechtern. Die Fechter um ihn rückten ein wenig beiseite. «Was ist los?», sagte Crixus. Der Hirt legte den Kopf schief und ging zu den Knechten hinüber. Einer von den Knechten gab ihm einen Knüppel. Der Hirt bleckte sein Pferdegebiss und schlug mit dem Knüppel durch die Luft. Er hieß Hermios.

Der mit dem Fell fragte die anderen Soldaten, die sich gemeldet hatten, nach ihrem Alter und ihren früheren Berufen. Bei jedem riefen die Fechter, ob sie dafür waren, dass er mitkam, oder dagegen. Bei einigen zankten sie sich. Das Ganze war sehr lustig. Nur einige Jüngere wurden angenommen, sie stellten sich zu den Knechten an die Mauer und bekamen Knüppel oder Fechterwaffen. Diejenigen, die nicht mitdurften, setzten sich wieder zu den übrigen auf die Erde.

Es dämmerte stärker. Der Himmel färbte sich rötlich. Der Glimmer in den Fensterscheiben begann zu funkeln. Crixus und der mit dem Fell standen nebeneinander und hörten, wie alle aufgeregt durcheinander sprachen.

Nach einer Weile wandte sich Crixus an den mit dem Fell. «Wenn wir beide jetzt verschwinden», sagte er und schnaufte hörbar, «uns fangen sie nicht. Man könnte vielleicht nach Alexandria.» Der mit dem Fell sah den andern an und dachte nach. «Zwei allein ist einfacher», sagte er.

«In Puteoll ist allerlei Volk», sagte Crixus, «wenn man Geld hat, fragt dort kein Kapitän nach dem Pass.»

«Nein», sagte Spartacus. Crixus schwieg und sah ihn an.

«Es geht nicht», sagte der mit dem Fell. Crixus schwieg.

«Vielleicht später», sagte der mit dem Fell.

«Später», sagte Crixus, «werden wir alle hängen.» Der mit dem Fell dachte nach und sah zu, wie die Fechter auf dem Hof hin- und herliefen, ihre Sachen suchten und sich lustige Dinge zuriefen.

«Es geht jetzt nicht», sagte er.

«Willst du allein gehn?», fragte er nach einer Pause und sah Crixus an. Crixus schwieg. Er ließ Spartacus stehn und stellte sich an die Mauer. Die Fechter lärmten und berieten, was zu tun sei. Alle waren jetzt sehr munter.

Der mit dem Fell stieg plötzlich auf den Tisch hinauf. Er hob die Arme, als wollte er einen Baum fällen. «Es geht los», brüllte er aus vollem Halse. «Nach Lucanien.» Er grinste über das ganze Gesicht mit den vielen Sommersprossen. Die Fechter schrien laut durcheinander und machten sich zurecht. Die Knechte und diejenigen Soldaten, die mitkommen sollten, standen immer noch an der Mauer; niemand kümmerte sich um sie.

«Nun, kommt ihr mit?», rief Spartacus zu ihnen hinüber. «Wir haben es gesagt», sagte der Sprecher der Knechte.

Die anderen Soldaten saßen auf den Steinen und schauten zu; einige schliefen noch. Die Fechter nahmen ihnen ihr Geld und was sie noch an Dolchen und dergleichen hatten. Einer von den Soldaten widersetzte sich und wurde gleich erstochen. Die andern sahen zu. Es waren ältere Leute, sie wussten, dass man sie fortjagen oder in die Bergwerke schicken würde.

Die Frauen kamen über den Hof; sie hatten die ganze Zeit an ihrem Fenster gestanden und heruntergeschaut. Die Dunkle, Schmale blieb vor Spartacus stehen, der mit Getöse vom Tisch heruntersprang. Die Knechte wunderten sich über ihn, denn das laute, lustige Gebrüll von vorhin überraschte nach seiner bedächtigen Holzfällerart, die sie gern mochten; aber sie mochten auch seine plötzliche Heftigkeit.

«Was wird jetzt?», fragte das Mädchen und hob den Kopf zu ihm.

«Wir gehen nach Lucanien», sagte er.

«In den Wäldern wird es lustig», sagte das Mädchen.

«Sehr lustig», sagte der mit dem Fell und lächelte, «wir werden alle aufgehängt.»

Er ging zu Nicos hinüber. «Nicos, kommst du mit?», fragte er.

«Nein», sagte Nicos. Er saß an die Wand gelehnt und sah sehr alt aus.

«Leb wohl, Vater», sagte der mit dem Fell.

«Leb wohl», sagte Nicos.

Die Fechter drängten durch die Einfahrt und machten sich in unordentlichen Haufen an die Chaussee. Die Knechte und die Söldner gingen hinterher, zuletzt die drei Frauen.

Sie waren jetzt über Hundert. –

Es wurde schon hell. –

II.

DIE RÄUBER

Die Rotte zählte jetzt an die dreihundert Köpfe. –

Sie wollten ursprünglich durch das Hirpinerland nach Lucanien marschieren. Aber als sie in die hirpinischen Berge kamen und die Acker seltener wurden, die Gegend rauher und die Beute rar, da waren sie umgekehrt. Denn das campanische Land, das glückliche, gepriesene, ließ niemanden fort – nicht einmal, wenn er ein Räuber war.

Hatten nicht auch die wüsten Krieger Hannibals in Capua die Rüstung mit dem Brettspiel und dem Becher vertauscht? Ein Winter hatte dazu genügt. Und hatte nicht auf der Insel Caprera der Palast der Kyrke gestanden, der Tochter des Helios? – Es war ein wunderliches Land, aus seinem lockeren schwarzen Boden brach dreimal im Jahre die Saat, und noch während der Brache im Frühjahr bedeckte es sich mit Rosen. Die Luft seiner Gärten berauschte die Lungen und vergiftete das Blut; und am Berg Vesuvius wuchsen Kräuter, deren Trank die Jungfraun zu Bacchantinnen werden ließ. Die brünstigen Stuten kletterten im Frühling auf hohe Felsen am Meer, stellten sich mit dem Rücken gegen den heißen Wind und wurden von ihm trächtig.

In Campanien hatte die Hölle ihren schönsten Vorhof errichtet. Die großen Teufel trugen sich ganz in Weiß, hatten schöne, faltenreiche Gewänder; die kleinen Teufel dienten ihnen fromm und gottergeben und träumten davon, sie totzuschlagen.

Denn obgleich der Garten Eden verbürgterweise in Campanien gestanden hatte, gab es dort seither nur Zwietracht und Krieg. Seit Jahrhunderten ging der Zank um die campanische Domäne, den Kornspeicher der Legionen, den wichtigsten Aktivposten im Staatshaushalt. Seit Tiberius Gracchus hatten immer wieder einzelne Patrioten versucht, Campanien den Großpächtern und Okkupanten zu entreißen und unter das landhungrige Volk aufzuteilen; sie wurden erschlagen, gesteinigt und ertränkt, die Wucherer und Spekulanten aber kamen wieder. Alle Revolutionen bis Marius und Cinna hatten die campanische Bodenreform auf ihre Fahne geschrieben; alle Restaurationen bis Sulla hatten sie an Aristokratie und Großfinanz verkauft. Die Bauern und kleinen Pächter waren in diesem Streit ausgeblutet, wurden ausgekauft oder verjagt; es gab kein Entrinnen. Die Bauern wurden vom Großgrundbesitz, die freien Tagelöhner und Knechte von den Sklavenhorden verdrängt, die jeder Krieg in Massen auf den Markt warf; es gab kein Entrinnen. Scharen verkrachter campanischer Bauern ließen sich als Söldner anwerben, machten die Straßen unsicher, schlugen sich in die Berge. Es gab kein Entrinnen. –

Gerüchte gingen durch das campanische Land. –

Eine Räuberbande von nie gehörter Kühnheit überfiel Gasthöfe und Schenken, plünderte Reisende und Warentransporte, brannte herrschaftliche Villen nieder; stahl die Ochsen aus dem Stall, die Hengste aus dem Gestüt. Die Räuber waren überall und nirgends. Heute campierten sie in den Sümpfen am Flusse Clanius, morgen in den Waldungen der verginischen Berge. – Man sandte Soldaten gegen sie, in den kleinen Städten eilig zusammengeraffte Kompanien; aber die Soldaten liefen davon, oder sie gingen zu den Räubern über. Ihre Zahl wuchs von Tag zu Tag, sie verbreiteten Schrecken und Bewunderung; denn sie hatten keine Achtung vor dem Leben und sie verspotteten den Tod. –

Gerüchte gingen durch das campanische Land.

Wenn die Sonne am höchsten stand und der Mittagsdämon über die Felder ging, die schlafenden Aufseher mit schweren Träumen quälend, dann rückte das Gesinde zusammen, Tagwerker und Knechte, und sprach über die Räuber. Man wusste viele Geschichten über sie und jeder Tag brachte eine neue. Die Räuber hatten zwei Anführer, einen dicken Gallier, der traurig und grausam war, und einen helläugigen Thraker, der immer ein buntes Fell trug. Auch eine Frau war dabei, eine Dunkle, Schmale, von kindlichem Gehaben, eine thrakische Priesterin, die die Zukunft voraussah und in den Sternen lesen konnte. Sie war die Geliebte dessen mit dem Fell, aber sie schlief auch mit andern und flößte allen Männern Begierde ein.

Es waren keine gewöhnlichen Räuber, es waren Fechter. Solche Räuber hatte es in Campanien niemals gegeben. Überhaupt hatte es Fechter in Freiheit noch niemals gegeben, denn die Fechter waren halbe Tiere und dazu ausersehn, in der Arena zu sterben. Dann waren sie aber wiederum auch Menschen, und sie hatten recht, wenn sie nicht in der Arena sterben wollten. Sie hatten einem Manne namens Lentulus gehört und waren aus seiner Schule ausgebrochen. Wie das geschehen war, das konnte man nicht wissen. Die einen sagten, sie hätten alle Aufsichtspersonen erwürgt, denn damals hatten sie noch keine Waffen; die andern sagten, die Frau habe mit dem Obersten der Wächter geschlafen und ihm die Schlüssel gestohlen; wieder andere sagten, sie hätten ein Loch in die Mauer gemacht – aber das war unwahrscheinlich, denn das Loch hätte man vorher sehen müssen. Als sie flüchteten, hatten sie keine Waffen, denn die Fechtergeräte waren in einem Schuppen eingesperrt, da konnten sie nicht hinein. Aber sie waren in eine Garküche gegangen und hatten sich mit Messern und Spießen bewaffnet und als sie vor die Stadt kamen, da trafen sie zwei Wagen, die die Fechterwaffen für die Spiele brachten; und sie erschlugen die Kutscher und plünderten die Wagen. Dann sandte man ihnen Soldaten nach, aber sie erschlugen die Soldaten und nahmen ihnen die Waffen weg. Dann marschierten sie nach Lucanien, aber am kaudinischen Pass kehrten sie um und schlugen sich in die verginischen Berge. Dort blieben sie eine Weile und schlachteten alle Schafe der Hirten und fraßen alle Trauben von den Reben. Dann kehrten sie wieder um und gingen in die Sümpfe am Clanius, wo die schönen Gestüte waren; und nahmen sich die besten Renner für die Leute und die besten Maultiere für das Gepäck. Dann zogen sie auf den Berg Tifata und plünderten den reichen Tempel der Diana und hausten in den herrschaftlichen Villen, als wären sie eingeladen. Wo sie hinkamen, da wuchs kein Gras und blieb keine Jungfrau ganz und kein Fass im Keller. Wer sich ihnen entgegenstellte, den machten sie nieder, und wer davonlief, den fingen sie ein; aber wer sich unterwarf, den nahmen sie vielleicht mit und es gab manche, die baten noch darum. Solche Kerle waren diese Fechter.

Es gab auch allerhand rührende Geschichten über sie. Die Frauen erzählten sie sich beim Melken der Kühe und die älteren Männer, wenn sie nachts in dem dumpfen Gewölbe der Ergastula nicht schlafen konnten, ihre Matten zusammenrückten und allerhand Gedanken nachhingen über das Vieh, das Wetter und den Tod.

Wie war doch die Sache mit dem Naso, dem Ochsenknecht?