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Emily Russ (Herausgeber)

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Beschreibung

Als der junge Lord Byron und seine vier Gäste im Jahre 1816 auf dem alten Landsitz Diodati am Genfer See zusammenkommen, ahnen sie nicht, welches Grauen sie in dem alten Herrenhaus erwartet: Die Dämonen ihrer eigenen Phantasie, die sie mit entsetzlichen Schauergeschichten heraufbeschwören und die sie fortan Zeit ihres Lebens verfolgen. In jenem „Sommer ohne Sonne“ erwecken Lord Byron und seine Freunde den ersten Vampir der Weltliteratur zum Leben. Und in den schaurigen Nächten gebiert die junge Schriftstellerin Mary W. Shelley ein Monstrum: den Frankenstein.

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Veröffentlichungsjahr: 2014

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Emily Russ (Herausgeber)

Der Sommer der Vampire

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Einleitung des Herausgebers

Wir schreiben das Jahr 1816. Finstere Wolken hängen über dem Genfer See und dem alten Landsitz Diodati, auf den der erfolgreiche Schriftsteller Lord Byron einige seiner besten Freunde eingeladen hat: den Dichter Percy Shelley, seine künftige Frau Mary, deren Stiefschwester Claire Clairmont, sowie Lord Byrons Leibarzt Dr. Polidori.

Tag und Nacht ziehen schwere Unwetter über die Gegend hinweg, so dass die Freunde kaum das Haus verlassen können. Da beginnen sie in den langen finsteren Nächten damit, sich Gruselmärchen vorzulesen. Und um das Grauen in dem düsteren Herrenhaus zu erhöhen, macht der exzentrische Gastgeber schließlich den Vorschlag eigene Schauergeschichten zu erfinden und sich in einem Wettkampf zu messen, wer von ihnen die entsetzlichsten Phantasien habe.

In jenem schaurigen Sommer ohne Sonnenschein, in dem die heftigsten Stürme und Unwetter über Europa hinwegzogen und Diodati in seinen Grundfesten erzittern ließen, wurden die entsetzlichen Kreaturen geboren, die bis auf den heutigen Tag die Herzen der Menschen mit Schrecken erfüllen.

Und die Dämonen, die die jungen Leute heraufbeschworen, um die anderen das Fürchten zu lehren, waren geformt aus ihren verdrängten Ängsten und Erlebnissen, und aus den Tiefen ihrer Seele ans Licht gekommen. In jenen Nächten wurden sie lebendig, da sie durch die Geschichten ihrer Schöpfer ein Gesicht erhielten. Und sie verfolgten die Freunde bis zu ihrem Tod…

 

*

 

Draußen vor den Fenstern der alten Villa zuckten heftige Blitze über den Himmel und zerschnitten die Nacht wie feurige Schwerter. Lord Byron saß schweigend vor dem Kamin des großen Saals und trank Wein aus einem Gefäß, das wie ein Totenkopf geformt war. Die anderen saßen um den Tisch herum und tranken ebenfalls Wein, und ab und zu einen Schluck Laudanum aus einem kleinen Fläschchen. Percy Shelley hatte ein aufgeschlagenes Buch in der Hand, aus dem er den Anwesenden noch kurz zuvor eine grässliche Geschichte von einer Braut mit einem Totenschädel vorgelesen hatte. Da erhob sich der junge Lord plötzlich von seinem Sessel, trat an den Tisch heran, um sich mit einem Schluck Laudanum zu stärken, und begann zu erzählen:  

Augustus Darvell oder Fragment einer Novelle von Lord Byron

Im Jahr 17 --, als ich schon seit einiger Zeit zu einer Reise durch die Länder entschlossen war, die bisher nicht viel besucht worden sind, brach ich in Gesellschaft eines Freundes auf, den ich hier Augustus Darvell nennen will. Er war nur wenige Jahre älter als ich und ein Mann von ansehnlichem Vermögen und alter Familie – Vorzüge, die er dank seiner grenzenlosen Tüchtigkeit weder überschätzte noch für zu gering achtete. Einige besondere Umstände in seiner Lebensgeschichte machten ihn für mich zu einen Gegenstand der Aufmerksamkeit und des Interesses, und sogar der Achtung, die weder sein zurückhaltendes Wesen, noch gelegentliche Zeichen seiner Unruhe, die zu Zeiten an Geistesabwesenheit streifte, auslöschen konnten.

Ich war noch jung im Leben, das ich frühzeitig begonnen hatte; unser Vertrauensverhältnis bestand erst seit kurzem: Wir waren auf derselben Schule und Universität erzogen worden; doch sein Durchgang war vor dem meinigen erfolgt, und er war bereits tief in die Angelegenheiten der sogenannten Welt verwickelt, als ich noch im Noviziat lebte. Während dieser Zeit hatte ich viel von seinem vergangenen und gegenwärtigen Leben gehört und konnte, obwohl es in diesen Berichten viele und unvereinbare Widersprüche gab, doch aus dem Ganzen entnehmen, dass er kein gewöhnlicher Mensch war, ein Mann, der immer auf sich aufmerksam machte, soviel Mühe er sich auch gab, der Beachtung zu entgehen.

Ich hatte in der Folge seine Bekanntschaft kultiviert und seine Freundschaft zu erhalten gesucht, aber das letztere schien unerreichbar; welche Neigungen er auch besessen haben mag, einige schienen jetzt erloschen, andere noch stärker hervorzutreten; dass seine Gefühle mächtig waren, hatte ich genug Gelegenheit zu beobachten; denn, wenn er sie auch beherrschte, so konnte er sie doch nicht immer verhehlen; doch er besaß die Kraft, einer Leidenschaft den Schein einer anderen zu geben, so dass es schwer fiel zu enträtseln, was in ihm gärte; und der Ausdruck seiner Züge wechselte so rasch und leicht, dass es umsonst war, ihn bis zu seiner Quelle zu verfolgen. Offenbar war er die Beute eines unheilbaren Schmerzes, ob dieser jedoch aus Ehrgeiz, Liebe, Gram, Reue, aus einem oder allen diesen entsprang, konnte ich nicht entdecken: Es gab angebliche Umstände, die die Annahme jeder dieser Ursachen rechtfertigten; doch waren sie, wie gesagt, so widersprechend, dass keine mit Genauigkeit zu bestimmen war.

Wo Geheimnis ist, wird allgemein auch Böses angenommen: Ob mit Recht, weiß ich nicht; in ihm war das eine gewiss, obwohl ich das andere nicht ermitteln konnte – und es widerstrebte mir, soweit es ihn selbst betraf, an seine Existenz zu glauben. Mein Entgegenkommen fand eine ziemlich kalte Aufnahme; aber ich war jung und nicht leicht zu entmutigen, und es gelang mir endlich, bis zu einem gewissen Grad, jenen Gemeinplatz „Umgang“ zu erhalten, jenes mäßige Vertrauen in gewöhnlichen Alltagsverhältnissen, erzeugt und gekittet durch gleiches Treiben und öfteres Zusammentreffen, das man Intimität oder Freundschaft nennt, nach den Begriffen derer, die diese Worte gebrauchen, um Obiges auszudrücken.

Darvell war schon viel gereist; und an ihn hatte ich mich um Belehrung gewandt in Betreff meiner geplanten Reise. Es war mein geheimer Wunsch, dass er bewogen werden möchte, mich zu begleiten, ich gründete diese Hoffnung mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die dunkle Rastlosigkeit, die ich in ihm beobachtet hatte, und die Lebhaftigkeit, mit der er fremde Gegenstände aufnahm; die scheinbare Gleichgültigkeit gegen alles, das ihn unmittelbar umgab, verliehen dieser Hoffnung neue Stärke. Ich deutete meinen Wunsch erst an, dann sprach ich ihn aus: Seine Antwort, obgleich ich sie zum Teil erwartet, überraschte mich freudig – er sagte zu; und wir traten nach den notwendigen Vorbereitungen unsere Reise an.

Wir durchstreiften mehrere Gegenden von Südeuropa, dann wandten wir unseren Blick, der ursprünglichen Bestimmung gemäß, nach Osten, und auf meinen Wegen durch jene Gefilde ereignete sich der Vorfall, von dem ich zu berichten habe.

Darvells Konstitution, die seinem Aussehen nach früher ungewöhnlich robust gewesen sein muss, hatte seit einiger Zeit gelitten, ohne das Einschreiten irgendeiner ausdrücklichen Krankheit, er hatte weder Husten noch die Schwindsucht, doch wurde er täglich schwächer: seine Bedürfnisse waren mäßig, er brach weder zusammen, noch beklagte er sich über Anstrengung; doch er zehrte sichtlich ab, wurde immer stiller, konnte nicht mehr schlafen, und er veränderte sich zuletzt so, dass meine Besorgnis mit seiner Gefahr wuchs.

Wir hatten bei unserer Ankunft in Smyrna einen Ausflug nach den Ruinen von Ephesus und Sardes beschlossen, von dem ich ihn in seinem gegenwärtigen Unwohlsein abzuraten versuchte – jedoch vergebens: sein Geist schien bedrückt zu sein, es lag in seinem Wesen etwas Feierliches, das schlecht zu dem Eifer passte, mit dem er die Lustreise, die für einen Kranken nicht geeignet war, ergriff. Endlich widersetzte ich mich nicht länger, und wenige Tage darauf reisten wir ab, nur von einem Serrödschi und einzigen Janitscharen begleitet.

Wir hatten den halben Weg nach den Überbleibseln von Ephesus zurückgelegt, die fruchtbaren Gegenden um Smyrna lagen bereits hinter uns, und den wilden, öden Pfad durch die Moräste und Engpässe betreten, der zu den wenigen Hütten führt, die noch über Dianas zerbrochenen Säulen stehen – die dachlosen Mauern des von hier vertriebenen Christentums und der noch späteren, aber vollständigen Zerstörung der verlassenen Moscheen -, als uns das plötzliche Übelbefinden meines Begleiters nötigte, bei einem türkischen Totenacker haltzumachen, dessen beturbante Grabsteine das einzige Zeichen waren, dass jemals Menschenwesen in dieser Wildnis gehaust hatten. Die letzte Karawanserei, die wir gesehen, lag mehrere Stunden hinter uns, nicht die kleinste Spur eines Dorfes oder nur einer Hütte war zu erblicken oder zu erhoffen, und diese „Totenstadt“ schien die einzige Zuflucht für meinen unglücklichen Freund, der nahe daran war, ihr letzter Bewohner zu werden.

In dieser Lage sah ich mich nach einer Stelle um, wo er am bequemsten ausruhen konnte: - Zypressen standen hier, gegen den gewöhnlichen Anblick mohammedanischer Begräbnisstätten, nur in geringer Zahl und dünn über den ganzen Friedhof verteilt, die Grabsteine meist versunken, vor Alter verwittert! Auf einen der ansehnlichsten, unter den Baum, der den meisten Schatten gab, ließ sich Darvell mit großer Anstrengung in halb liegender Stellung nieder. Er forderte Wasser. Ich hatte einigen Zweifel, dass es uns gelingen würde, welches zu finden, und schickte mich zögernd und niedergeschlagen an, danach zu suchen; aber es hieß mich bleiben und, indem er sich zu Suleiman wandte, unserem Janitscharen, der mit großer Seelenruhe rauchend dabeistand, sagte er: „Suleiman, verbana su“ und beschrieb den Ort, wo es zu suchen war, mit großer Genauigkeit, als einen kleinen Springbrunnen für Kamele, wenige hundert Schritte rechts. Der Janitschar gehorchte. Ich fragte Darvell: „Woher wissen Sie das?“ – Er antwortete: „Durch unsere Umgebung. Sie müssen bemerken, dass dieser Ort einst bewohnt war und deshalb Quellen haben muss. Auch ich bin schon einmal hier gewesen.“

„Sie sind hier schon gewesen“ – Warum haben Sie das mir gegenüber nie erwähnt? Und was konnten Sie an einem Ort zu tun haben, wo niemand länger bleiben würde, als er unbedingt muss?“

Auf diese Fragen erhielt ich keine Antwort. Inzwischen kam Suleiman mit dem Wasser zurück, er hatte den Serrödschi und die Pferde an der Quelle gelassen.

Als Darvell seinen Durst gestillt hatte, schien ihm ein Moment die Lebenskraft wiederzukehren; und ich fasste Hoffnung, dass er imstande sein werde, weiter oder doch wenigsten zurück zu reiten, und ich brachte das vor. Er schwieg – und schien seine Geister mit Anstrengung zum Reden zu sammeln. Er begann:

„Dies ist das Ende meiner Reise und meines Lebens; - ich kam hierher, um zu sterben, doch habe ich eine Bitte, einen Befehl, denn bei meinen letzten Worten handelt es sich um das. – Werden Sie die erfüllen?“

„Ganz gewiss, doch noch hoffen Sie.“

„Ich habe weder Hoffnung, noch Wünsche, nur dies: Verheimlichen Sie meinen Tod vor jedem menschlichen Wesen.“

„Ich hoffe, das wird nicht nötig sein. Sie werden sich erholen und...“

„Still! Es muss sein. Versprechen Sie’s mir.“

„Ich tu’s.“

„Schwören Sie, bei allem, was...“ Hier schrieb er mir einen höchst feierlichen Eid vor.

„Das ist nicht nötig. Ich will Ihr Begehren erfüllen; setzen Sie Zweifel in mich, so...“

„Es geht nicht anders, Sie müssen schwören.“

Ich leistete den Eid, es schien ihn zu erleichtern. Er nahm einen Siegelring vom Finger, auf dem ein paar arabische Charaktere standen, zeigte ihn mir und fuhr dann fort:

„Am neunten Tag des Monats, genau um Mittag (den Monat können Sie bestimmen, nur der neunte Tag muss es sein) müssen Sie diesen Ring in die Salzquellen werfen, die in die Bai von Eleusis fließen. Tags darauf, zu selben Zeit, müssen Sie sich in die Ruinen des Tempels der Ceres begeben und eine Stunde warten.“

„Warum?“

„Das werden Sie sehen.“

„Am neunten Tag eines Monats, sagen Sie?“

„Am neunten.“

Als ich merkte, dass heute der neunte sei, veränderten sich seine Züge, und er schwieg. Während er nun da saß und augenscheinlich immer schwächer wurde, setze sich ein Storch, mit einer Schlange im Schnabel, auf einen nahen Grabstein und schien uns starr anzublicken, ohne seine Beute zu verschlingen. Ich weiß nicht, was mich veranlasste, ihn zu verjagen, aber es war umsonst; er machte ein paar Kreise in der Luft und kehrte genau wieder an dieselbe Stelle zurück. Darvell zeigte auf ihn und lächelte: er sprach – ich weiß nicht, ob vor sich oder zu mir-, aber die Worte waren nur: „Es ist gut!“

„Was ist gut? Was meinen Sie?“

„Gleichviel: Sie müssen mich heute Abend hier begraben, genau wo der Vogel jetzt sitzt. Alles Übrige wissen Sie.“

Dann fügte er noch mehrere Anweisungen hinzu, wie sein Tod am besten geheimzuhalten sei. Nachdem er damit fertig war, rief er: „Sehen Sie diesen Vogel?“

„Gewiss.“

„Und die Schlange, die sich in seinem Schnabel windet?“

„Finden Sie das ungewöhnlich? Es ist seine natürliche Beute. Aber eigenartig, dass er sie nicht frisst.“

Er lächelte auf grauenhafte Weise und sage, schwach: „Es ist noch nicht Zeit!“ Als er das sagte, flog der Storch weg. Meine Augen folgten ihm einen Moment, kaum so lange, dass man bis zehn zählen konnte, da fühlte ich Darvells Last schwer auf meiner Schulter, und als ich mich umwandte, sein Antlitz zu sehen, war er tot.

Ich erschrak über die plötzliche Gewissheit, an der nicht zu rütteln war – sein Gesicht wurde in wenigen Minuten fast schwarz. Ich würde die so schnelle Veränderung Gift zugeschrieben haben, wenn ich nicht gewusst hätte, dass er es nicht unbemerkt empfangen konnte. Der Tage neigte sich, die Leiche veränderte sich immer mehr, und es blieb nichts übrig, als den Wunsch zu erfüllen.

Mit Suleimans Yataghan und meinem eigenen Säbel schaufelten wir ein flaches Grab an der Stelle, die Darvell bezeichnet hatte; die Erde wich leicht, da sie schon manchen mohammedanischen Bewohner aufgenommen hatte. Wir gruben so tief, als es uns die Zeit erlaubte, und warfen die lose Erde auf das, was von dem seltsamen Wesen übrig war, das so kürzlich hinübergegangen, dann stachen wir ein paar grüne Rasenstücke aus und legten sie auf sein Grab…

 

An dieser Stelle hielt Lord Byron inne. „Warum erzählst du nicht weiter?“ drängte ihn Claire und legte ihm die Arme um den Hals. Sie himmelte den jungen Dichter an, seit sie auf Diodati waren, doch Byron interessierte sich nicht für sie. Und indem er sich aus ihrer Umarmung löste, sprach er zu den anderen: „Ich werde euch das Ende von Augustus Darvell erzählen, wenn ihr mir eure Geschichten vorgetragen habt, aber auch nur dann, wenn ihr uns ordentlich das Fürchten gelehrt habt.“ Mit diesen Worten hob er Claire hoch, warf sie herum und lief dann mit ihr durch die finsteren Räume der Villa. „Das Laudanum bringt ihn um den Verstand“, bemerkte Mary besorgt, die immer noch am Tisch saß. Sie selbst hielt nichts von dieser neumodischen Droge, von der sich die Dichter mehr Inspiration erhofften. Ihre schöpferischen Gedanken kamen alleine aus ihrem Verstand, und ihrer Liebe zu Percy, den sie bald heiraten wollte.

Als Byron und Claire eine Weile später wieder in den Saal kamen, waren sie vollkommen außer Atem. „Nun, Doktorchen“, sagte der Lord zu dem armen Polidori, der berauscht von Wein und Opium mit dem Oberkörper auf der Tischplatte schlief, „du willst doch unbedingt ein Dichter sein, dann zeig uns mal, was du kannst.“ Träge erhob sich der Doktor und blickte kurz in die Runde, bevor er nach einer Weile zu erzählen begann:

Der Vampyr von Dr. John Polidori

Es ereignete sich, dass mitten unter den Zerstreuungen eines Winters zu London, in den verschiedenen Gesellschaften der tonangebenden Vornehmen, ein Edelmann erschien, der sich mehr durch seine Sonderbarkeiten, als durch seinen Rang auszeichnete. Er blickte auf die laute Fröhlichkeit um ihn her mit einer Miene, als könne er nicht an derselben Teil nehmen. Nur das leichte Lachen der Schönen schien seine Aufmerksamkeit zu erregen, allein es schien auch, als wenn ein Blick aus seinem Auge es plötzlich hemme und Furcht in die vorher heitere und unbefangene Brust der Fröhlichen streue. Diejenigen, welche diesen Schauder empfanden, konnten nicht angeben, woher er entstehe; einige schrieben ihn dem fast seelenlosen grauen Auge zu, das, wenn es sich auf das Gesicht eines Menschen richtete, obschon an sich nichts eindringendes zu haben, doch oft mit einem Blicke das innerste Herz zu durchbohren schien; richtete es sich auf die Wange, so schien der Strahl schwer wie Blei zu sein, der die Haut nicht durchdringen könne. Seiner Sonderbarkeit wegen wurde er in jedes Haus eingeladen; alle wünschten ihn zu sehen, und diejenigen, welche an lebhafte Aufregung gewohnt waren und nun die Last der Langeweile fühlten, freuten sich, ein Wesen um sich zu sehen, welches ihre Aufmerksamkeit zu fesseln vermochte.

Trotz der totenbleichen Farbe seines Gesichts, das weder von dem Erröten der Scham, noch dem Aufwallen der Leidenschaft jemals ein wärmeres Kolorit bekam, obgleich die Form und Umrisse desselben sehr schön waren, versuchten es doch einige weibliche Glücksjäger, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, um wenigstens einige Beweise von dem zu erhalten, was sie Zuneigung nennen mochten; Lady Mercer, welche seit ihrer Verheiratung der Gegenstand des Spottes jeder Hässlichen in der Gesellschaft gewesen war, stellte sich ihm in den Weg, und suchte auf alle Weise selbst durch den auffallendsten Anzug seine Aufmerksamkeit zu reizen, – allein umsonst – wenn sie vor ihm stand und seine Augen dem Anscheine nach auf die ihrigen gerichtet waren, schien es doch immer, als würde sie nicht bemerkt, selbst ihre freche Unverschämtheit wurde endlich verwirrt und sie verließ das Feld. Allein obgleich eine so bekannte freie Dame nicht einmal die Richtung seiner Augen bestimmen konnte, schien das weibliche Geschlecht selbst ihm keineswegs gleichgültig zu sein, indessen war die anscheinende Vorsicht, mit der er ein tugendhaftes Weib, ein unschuldiges Mädchen anredete, so groß, dass sich nur wenige überhaupt dessen rühmen konnten. Er behauptete jedoch den Ruf eines einnehmenden Sprechers, und sei es nun, dass dies selbst die Furcht vor seinem seltsamen Charakter überwand, oder dass man sich von seinem anscheinenden Hasse gegen das Laster rühren ließ, genug, er befand sich ebenso oft unter solchen Frauen, welche den Glanz ihres Geschlechts in häuslichen Tugenden suchen, als unter solchen, die ihn durch ihre Laster beflecken.

Um diese Zeit kam ein junger Edelmann, Namens Aubry, nach London. Er war verwaist. Seine Eltern, die er schon in früher Kindheit verlor, hatten ihn und seiner einzigen Schwester ein sehr großes Vermögen hinterlassen. Die Vormünder nahmen sich mehr der Verwaltung seines Vermögens, als der Sorge für seine Erziehung an, und so blieb diese in den Händen von Mietlingen, welche mehr seine Phantasie, als seinen Verstand zu bilden suchten. Er besaß daher jenes hohe romantische Gefühl für Ehre und Aufrichtigkeit, welches täglich so viel Hundert Lehrlinge zu Grunde richtet. Er glaubte, alle Menschen müssten die Tugend lieben, und dachte, das Laster sei von der Vorsehung bloß des szenischen Effektes wegen in das Weltdrama eingewebt worden; er dachte, das Elend in den Hütten bestehe bloß in der Kleidung, die doch warm sei und dem Auge des Malers durch den unregelmäßigen Faltenwurf, die bunten Flecke darauf besser zusage. Mit einem Worte, er hielt die Träume der Dichter für die Wirklichkeiten des Lebens. Er war hübsch, frei und reich; drei Ursachen, warum ihn beim Eintritt in die heitern Zirkel der Welt viele Mütter umringten, und Alles versuchten, was ihre schmachtenden oder scheidenden Günstlinge mit den lebhaftesten Farben zu schildern vermochten, indes die Töchter durch ihr glänzendes Benehmen, wenn er sich ihnen näherte, und durch ihre blitzenden Augen, wenn er die Lippen öffnete, ihn zu falschen Vorstellungen von seinen Talenten und seinem Verdienste verleiteten. Seiner romantischen Einsamkeit ganz hingegeben staunte er nicht wenig, als er fand, dass die Talg- oder Wachslichter ausgenommen, welche nicht vor der Gegenwart eines Geistes, sondern aus Mangel an Lichtputzen flackerten, in dem wirklichen Leben durchaus kein Grund zu Anhäufung jener lachenden Gemälde und Beschreibungen vorhanden sei, wie sie sich in den Büchern fanden, die er zum Gegenstand seines Studiums gemacht hatte. Da er indessen einige Vergütung in seiner geschmeichelten Eitelkeit fand, war er im Begriff, seine Träume aufzugeben, als das außerordentliche Wesen, welches wir oben beschrieben haben, ihm in den Weg trat.

Er beobachtete ihn, und die völlige Unmöglichkeit, sich einen Begriff von dem Charakter eines Mannes zu bilden, der bloß in sich selbst versunken, wenig andere Zeichen seiner Beachtung äußeren Gegenstände von sich gab, als die stillschweigende Anerkennung ihres Daseins vollendete die Vermeidung gegenseitiger Berührung. Da er seiner Phantasie gestattete, jedes Ding, das seiner Neigung zu seltsamen und ausschweifenden Ideen schmeichelte, sorgfältig auszumalen, so hatte er auch schon dieses Wesen zum Helden eines Romans umgebildet, und betrachtete nunmehr den Sprössling seiner Phantasie als die lebende Person außer ihm. Er wurde bekannt mit ihm, bewies ihm Aufmerksamkeiten und gelangte doch soweit bei ihm, dass er seine Gegenwart anerkannte. Er erfuhr nach und nach, dass Lord Ruthvens Angelegenheiten zerrüttet seien, und dass er im Begriff stehe, eine Reise zu unternehmen. Voll Verlangen über diesen seltsamen Charakter, der bis jetzt seine Neugier nichts weniger als befriedigt hatte, genauere Forschungen anzustellen, äußerte er sein Vormündern, dass es nun Zeit für ihn sein möchte, die Tour zu machen, die man seit Jahrhunderten für nötig gehalten habe, und den Jüngling in den Stand zu setzen, einige rasche Fortschritte auf der Bahn des Lasters zu machen, und so die Älteren einzuholen, damit er nicht wie aus den Wolken gefallen scheine, wenn man empörende Intrigen als Gegenstände des Spottes oder Lobes behandele, je nachdem dabei mehr oder weniger Geschicklichkeit aufgewendet worden sei.

Sie stimmten in sein Begehren. Aubray gab dem Lord Ruthven sogleich seine Absicht zu erkennen, und erstaunte nicht wenig, von ihm den Antrag zu erhalten, die Reise gemeinschaftlich zu machen. Geschmeichelt durch solch ein Zeichen der Achtung von dem, der dem Anscheine nach mit andern Menschen nichts gemein hatte, nahm er ihn freudig an, und in wenig Tagen hatten sie das trennende Meer überschritten.

Bisher hatte Aubrey keine Gelegenheit gehabt, Lord Ruthvens Charakter zu studieren, und nun fand er, dass, da er mehrere seiner Handlungen beobachten konnte, die Resultate verschiedene Schlüsse auf die scheinbaren Bewegungsgründe seines Betragens darboten. Sein Gefährte war verschwenderisch-freigebig – der Faule, der Landstreicher, der Bettler erhielt aus seinen Händen mehr als genug, um den augenblicklichen Mangel zu stillen. Der tugendhafte, unverschuldete Arme hingegen ging oft unbefriedigt von seiner Türe, wurde wohl gar mit höhnischem Lachen abgewiesen. Der Lüstling, der sich immer tiefer in den Schlamm seiner Ausschweifungen versenken wollte, konnte auf seine Unterstützung rechnen. Ein Umstand war indes bei den Geschenken des Lords seinem Gefährten bemerklich geworden; es ruhte offenbar der Fluch auf ihnen, denn die Empfänger waren entweder dadurch auf das Schafott gebracht worden, oder in das tiefste, verachtenswerteste Elend versunken. In Brüssel und andern großen Städten hatte der Lord zu Aubrey’s Verwunderung die Zirkel der großen Welt aufgesucht. Er spielte und wettete, ersteres stets mit Glück, außer wenn ein bekannter Gauner sein Gegner war, dann verlor er mehr als er gewonnen hatte, allein sein Gesicht behielt dieselbe Unveränderlichkeit, womit er gemeiniglich die Gesellschaft umher beobachtete. Wenn er aber dem raschen, unbesonnenen Jünglinge begegnete, oder dem unglücklichen Vater einer zahlreichen Familie, dann schien sein Wunsch Fortunas Gesetz zu werden, die anscheinende Abstraktheit seines Gemüts verschwand und seine Augen glänzten, wie die der Katze, wenn sie mit der halbtoten Maus spielt. Indessen nahm er keinen Groschen vom Spieltische mit, sondern verspielte zum Ruin manches Andern, die letzte Münze, die er eben aus der Hand der Verzweiflung gewonnen hatte; dieses mochte das Resultat eines gewissen Grades von Einsicht sein, die jedoch nicht im Stande war, die schlauere Erfahrung zu täuschen.

Aubrey wünschte oft seinem Freunde dies vorzustellen und ihn zu bitten, einer Freigebigkeit und einem Vergnügen zu entsagen, welches alle Menschen unglücklich mache und ihm keinen Vorteil gewähre, allein er verschob es immer in der Hoffnung, eine recht passende Gelegenheit dazu zu erhalten, welche sich nie zeigte. Lord Ruthven war in seiner Laufbahn, und mitten unter den mannigfachen bald wilden, bald lachenden Naturszenen immer derselbe – sein Auge sprach noch weniger als seine Lippen, und obgleich Aubrey nun dem Gegenstande seiner Neugier so nahe war, als er sein konnte, hatte er doch dadurch nichts mehr, als eine stärkere Anreizung zu Enthüllung des Geheimnisses erhalten, das seiner exaltierten Einbildungskraft immer mehr wie etwas Übernatürliches verkam.

Sie gelangten bald nach Rom, und Aubrey verlor seinen Gefährten einige Zeit aus den Augen. Dieser befand sich täglich in den Morgenzirkeln einer italienischen Gräfin, indes er die Denkmäler einer längst untergegangenen Vorwelt aufsuchte. Unter dieser Beschäftigung erhielt er Briefe aus England, die er mit der größten Sehnsucht öffnete. Der erste war von seiner Schwester und atmete die reinste Zärtlichkeit; die andern waren von seinen Vormündern, und diese setzten ihn in Erstaunen. Hatte er schon vorher den Gedanken gehegt, dass in seinem Gefährten irgendein böser Geist wohnen möge, so erhielt derselbe nun dadurch volle Bestätigung. Die Vormünder drangen in ihn, er möchte sogleich sich von seinem Freunde trennen, denn da dieser eine unwiderstehliche Macht der Verführung zu besitzen scheine, so werde sein Umgang höchst gefährlich. Man habe nämlich entdeckt, dass seine Verachtung gegen Lady Mercer nicht auf ihren Charakter sich gegründet, sondern dass er, um seine Gunstbezeugung zu erhöhen, verlangt habe, dass sein Schlachtopfer, die Teilnehmerin seiner Schuld, von dem Gipfel unbefleckter Tugend in den tiefsten Abgrund des Lasters habe herabgeschleudert werden sollen. Auch sei man nun gewiss geworden, dass alle Frauen, die er dem Scheine nach ihrer Tugend wegen aufgesucht, seit seiner Abreise sich in ganz anderem Lichte, ja in der höchsten Unverschämtheit gezeigt hätten.

Aubrey beschloss, nunmehr einen Mann zu verlassen, dessen Charakter auch nicht einen Lichtstrahl zeigte, auf dem das Auge mit Lust weilen konnte. Er beschloss auf einen Vorwand zu sinnen und sich von ihm zu trennen, doch in der Zwischenzeit ihn noch genauer als vorher zu beobachten, und nicht den geringsten Umstand aus der Acht zu lassen. Er begab sich in denselben Zirkel und sah, dass der Lord versuchte, auf die unerfahrene Tochter des Hauses zu wirken.

In Italien ist es selten, dass man unvermählte Damen in der Gesellschaft trifft, daher musste er seine Pläne im Geheim auszuführen suchen. Allein Aubrey’s Auge folgte ihm in allen seinen Wendungen, und bald bemerkte er, dass es bis zu einem Rendezvous gekommen sei, wo wahrscheinlich die Unschuld des verdachtlosen Mädchens geopfert werden sollte.

Ohne Zeitverlust trat er zu dem Lord Ruthven ins Zimmer, und fragte ihn unverhohlen nach seiner Absicht mit der Signora; der Lord versetzte, seine Absicht sei die bei solchen Gelegenheiten gewöhnliche, und auf die abermalige Frage, ob er denn das Mädchen zu heiraten gedenke, lachte er laut. Aubrey entfernte sich, schrieb ihm aber auf der Stelle einen Abschiedsbrief, ließ seine Sachen in eine andere Wohnung bringen, und unterrichtete die Mutter von Allem, was er wusste, auch von des Lords Charakter. Das Rendezvous wurde verhindert. Den andern Tag sandte der Lord eine Erklärung, dass er mit der Trennung wohl zufrieden sei, ließ aber nicht das Geringste merken, dass er wisse, sein Plan sei durch Aubrey vereitelt worden.

Nachdem Aubrey Rom verlassen, wandte er seine Schritte nach Griechenland, und befand sich nach Durchstreifung der Halbinsel zu Athen. Er nahm hier seine Wohnung in dem Hause eines Griechen, und bald beschäftigte er sich damit, die erbleichenden Erinnerungen alter Herrlichkeit auf den Denkmälern aufzusuchen, die sich schämend, die Taten freier Menschen vor Sklaven zu erzählen, sich entweder in die schützende Erde versteckt, oder hinter rankende Gesträuche verborgen hatten.

Mit ihm unter einem Dache aber lebte ein Wesen so zart und schön, dass es einem Maler hätte zum Modell dienen können, der die den Gläubigen in Mohammeds Paradiese versprochene Hoffnung hätte lebend abbilden wollen, nur dass ihr Auge zu viel Seele zeigte, als dass man es denen hätte zuteilen können, welche keine Seelen haben. Wenn sie auf der Ebene tanzte, oder längs den Gebirgen hinsprang, glaubte man eine Gazelle zu sehen, aber ihr Auge, aus dem die ganze beseelte Natur zu sprechen schien, wo hätte dieses ein Gleichnis gefunden? – Janthe’s leichter Schritt begleitete Aubrey oft auf seinen forschenden Wanderungen, und nicht selten enthüllte das unbefangene Geschöpf bei Verfolgung eines Schmetterlings alle Reize seiner schönen Gestalt dem gierigen Blicke des Fremdlings, der nun gern die kaum entzifferten Buchstaben auf einer halbverlöschten Tafel über dem Anschauen dieser lebenden Schönheit vergaß. Die Flechten ihres schönen blonden Haares glichen, um ihr Haupt herabfallend, den Sonnenstrahlen, und verdunkelten das Auge des Antiquars, statt es zu erleuchten. Doch wozu der Versuch, das Unbeschreibliche zu beschreiben?

Wenn er bemüht war, die Überreste der alten Welt in Zeichnungen für künftige Stunden aufzubewahren, so stand das Mädchen bei ihm, seine Arbeit bewundernd, und ihm die ländlichen Tänze ihrer Heimat beschreibend, oder einen Hochzeitszug, dessen sie sich noch aus ihrer Kindheit erinnerte. Oft erzählte sie ihm auch Märchen, worunter sich das von einem lebenden Vampyr befand, der Jahrelang unter seinen Freunden und Verwandten umhergegangen sei, gezwungen, jedes Jahr, durch Aufzehrung des Lebens eines schönen Weibes seine Existenz für die nächste Zeit zu verlängern. Aubrey gerann dabei das Blut in den Adern, indes er versuchte die Erzählerin wegen ihrer furchtbaren Phantasien auszulachen. Janthe aber nannte ihm die Namen alter Leute, welche ein solches Wesen erst unter sich entdeckt hatten, als viele ihrer nächsten Verwandten und Kinder mit den Zeichen des gestillten Appetits ihres Feindes gefunden worden waren, und als sie ihn so ungläubig fand, bat sie ihn, ihr doch ja zu glauben, denn man habe bemerkt, dass die, welche es gewagt hätten, die Existenz der Vampyre zu bezweifeln, genötigt worden waren, mit gebrochenem Herzen endlich die Wahrheit einzugestehen. Sie beschrieb ihm das Äußere dieser Wesen der Sage gemäß, und wie groß war sein Entsetzen, als er darin eine treue Schilderung des Lord Ruthven erkannte; demungeachtet suchte er ihr ihre Furcht auszureden, ob er sich gleich verwunderte über so Manches, das hier zusammengetroffen war, um den Glauben an eine übernatürliche Gewalt des Lords Ruthven zu begründen.

Aubrey neigte sich immer mehr und mehr zu Janthe hin; ihre Unschuld, im Kontraste mit den affektierten Tugenden der Weiber, unter denen er Urbilder seiner romantischen Ideen gesucht hatte, gewann sein Herz, und indes er es lächerlich fand, dass ein junger Engländer ein unerzogenes griechisches Mädchen heiraten wolle, fand er sich immer stärker und stärker von der schönsten Gestalt angezogen, die er je gesehen hatte.

Janthe ahnte diese aufkeimende Liebe nicht, und blieb sich in ihrer ersten kindlichen Unbefangenheit immer gleich. Sie trennte sich zwar immer ungern von Aubrey, allein meistens deshalb, weil sie nun Niemand hatte, unter dessen Schutze sie ihre Lieblingsorte besuchen konnte. In Hinsicht der Vampyrs hatte sie sich auf ihre Eltern berufen, und beide bestätigten, bleich vor Schrecken schon bei Nennung des Worts, die Wahrheit der Sache.

Kurz darauf wollte Aubrey wieder einen Ausflug machen, der ihn einige Stunden beschäftigen konnte; als die Leute den Namen des Ortes hörten, baten sie ihn dringend, nur nicht des Nachts zurückzukehren, weil er durch einen Wald reiten müsse, wo sich kein Grieche nach Sonnenuntergang zu verweilen pflege. Hier hielten nämlich die Vampyre ihre nächtlichen Orgien, und wehe dem, der ihnen dabei begegnete. Die Leute entsetzten sich, als er es wagte über die Gewalt unterirdischer Mächte zu spotten, und so schwieg er.

Am nächsten Morgen begab sich Aubrey ohne alle Begleitung auf seine Wanderung; er wunderte sich über das schwermütige Ansehen seines Wirtes, und war sehr bewegt, als er hörte, dass seine Worte, womit er den Glauben an jene furchtbaren Feinde verspotten wollen, auf die Familie so schreckend gewirkt hatten. Als er sich zu Pferde setzte, bat ihn Janthe nochmals, vor Nachts zurückzukehren, und er versprach es.

Seine Nachforschungen beschäftigten ihn indessen dergestalt, dass er das Abnehmen des Tages nicht bemerkte, und wie sich am Horizonte eine von den kleinen Wolken zeigte, die in wärmeren Klimazonen so schnell zu furchtbaren Gewittern anwachsen und oft Verheerung über ganze Gegenden verbreiten. Er bestieg demungeachtet sein Pferd, um durch Eile die versäumte Zeit nachzuholen, allein zu spät. Die Dämmerung ist in jenen Gegenden fast ganz unbekannt; sogleich nach Untergang der Sonne wird es Nacht, und er war noch nicht weit geritten, als das Ungewitter mit Sturm, Regen, Blitz und Donner losbrach. Sein Pferd wurde scheu und stürmte mit furchtbarer Schnelligkeit durch den finsteren Wald hin.

Endlich blieb es ermüdet stehen, und beim Scheine der Blitze erkannte er, dass er sich in der Nähe einer Hütte von Binsen oder Rohr befinde, die kaum aus der Masse welker Blätter und verworrenen Gebüsches hervorsah, womit sie umgeben war. Er stieg ab und näherte sich in der Hoffnung, entweder einen Führer nach der Stadt oder wenigstens Schutz vor dem Ungewitter zu finden.

Als er ganz nahe war und der Donner einen Augenblick schwieg, vernahm er das schreckliche Geschrei einer weiblichen Stimme, untermischt mit einem höhnischen Gelächter, das fast ununterbrochen fortdauerte. Er stutzte, aber aufgeschreckt von dem über ihn hinrollenden Donner erbrach er mit einer gewaltigen Anstrengung die Thür der Hütte. Er stand in dicker Finsternis, doch leitete ihn der Schall; er rief, aber der Ton dauerte fort. Man schien ihn nicht zu bemerken. Er stieß endlich mit Jemanden zusammen, den er sogleich fasste; da schrie eine Stimme: Abermals getäuscht! worauf ein lautes Gelächter folgte. Endlich fühlte er sich selbst von Jemand ergriffen, der eine übermenschliche Stärke zu haben schien. Er beschloss, sein Leben so teuer als möglich zu verkaufen, und kämpfte, allein vergebens, seine Füße glitten aus und er wurde mit ungeheurer Gewalt zu Boden geworfen. Sein Feind warf sich auf ihn und stemmte ihm die Hand auf die Brust, da fiel der Schein einiger Fackeln durch das Loch, wodurch das Tageslicht eindrang; sogleich sprang jener auf, ließ seine Beute los, rannte zur Thür hinaus, und bald vernahm man das Geräusch der Zweige nicht mehr, durch die er sich Bahn gemacht hatte.

Der Sturm war nun vorüber, und Aubrey, der sich nicht rühren konnte, wurde von denen gehört, die draußen waren. Sie traten herein; das Licht der Fackeln fiel auf die schmutzigen Wände und die einzelnen Lagerstätten von Stroh und Binsen, worauf einige Kleidungsstücke lagen. Auf Aubreys Begehren suchte man nach derjenigen, deren Geschrei ihn angezogen hatte. Er blieb nun wieder im Dunkeln; allein wer mahlt sein Entsetzen, als er beim Lichte der rückkehrenden Fackeln die reizende Gestalt seiner Führerin erkannte, die jetzt ein lebloser Leichnam war. Er traute seinen Augen kaum, doch ein abermaliges Hinstarren überzeugte ihn, dass es wirklich das liebliche Geschöpf sei. Auf ihren Wangen, selbst auf ihren Lippen war keine Farbe mehr; doch war über das Gesicht eine Ruhe verbreitet, die fast so anziehend schien, als das sonst hier wohnende Leben; auf ihrem Nacken und ihrer Brust war Blut sichtbar, und an der letzteren sogar das Zeichen von Zähnen, die eine Ader geöffnet hatten.

Plötzlich riefen die Männer mit Entsetzen darauf hindeutend: ein Vampyr! ein Vampyr! Man machte eine Tragbahre und legte Aubrey an die Seite derjenigen, welche vor kurzem noch der Gegenstand seiner Bewunderung und manches süßen Traumes gewesen war. Er wusste nicht, was er denken sollte, sein Geist versank in eine wohltätige Betäubung; auf einmal ergriff er fast bewusstlos einen bloßen Dolch von ganz besonderer Bildung, der in der Hütte am Boden gelegen hatte; da erschienen auch Leute, die die Vermisste im Namen der Eltern suchten. Als sie sie fanden, schrien sie laut auf; und als endlich die Eltern das unglückliche Kind erkannten, starben beide in Kurzem vor Schmerz und Gram.

Aubrey wurde von einem hitzigen Fieber befallen und hatte oft Geistesabwesenheiten, in diesen rief er den Lord Ruthven und Janthe – durch eine unerklärliche Verbindung der Ideen schien er seinen früheren Gefährten zu bitten, das Leben derjenigen zu schonen, die er liebte. Zu andern Zeiten schüttete er Verwünschungen über sein Haupt aus, als über ihren Mörder und Verführer.

Lord Ruthven kam um diese Zeit selbst nach Athen, und sobald er von Aubreys Zustande hörte, nahm er seine Wohnung gleichfalls in demselben Hause und wurde sein immerwährender Gesellschafter.

Als der Kranke aus seiner Geistesabwesenheit zu sich kam, erschrak und erstaunte er über den Anblick desjenigen, dessen Bild er stets mit dem eines Vampyrs verwechselt hatte; allein Lord Ruthven versöhnte den Kranken bald mit seiner Gegenwart durch seine freundlichen Reden und durch die Reue, die er über den Fehler bezeugte, der ihre Trennung veranlasst hatte, mehr noch aber durch die Aufmerksamkeit, Besorglichkeit und Teilnahme, die er ihm bewies.

Der Lord schien in der Tat gänzlich verändert. Er war gar nicht mehr das teilnahmslose Wesen, das so furchtbar auf Aubrey gewirkt hatte; allein sowie dessen Genesung vorschritt, fiel jener auch wieder in sein voriges Wesen zurück, und Aubrey bemerkte keine Veränderung an ihm, als das zuweilen Ruthvens Blick mit einem Ausdrucke von höhnischen Lächeln um die Lippen fest auf ihm zu ruhen schien. Dieses Lächeln erfüllte ihn mit geheimen Schauder, ohne dass er wusste warum.

Aubrey’s Gemüt war durch diese Erschütterung äußerst angegriffen worden, und jene geistige Elastizität, die ihn sonst ausgezeichnet hatte, schien auf immer verschwunden. Er war jetzt ein ebenso großer Liebhaber der Einsamkeit, als Lord Ruthven, allein sein Gemüt konnte dieses Verlangen nicht in der Nachbarschaft von Athen erfüllt finden; wo er sich hier hin begab, stand Janthe’s liebliche Gestalt vor ihm; in den Wäldern glaubte er ihren leichten Schritt zu bemerken, wie sie Veilchen und andere Frühlingsblumen suchte, bis sie ihm plötzlich ihr bleiches Gesicht und ihre verwundete Brust mit einem holdseligen Lächeln auf den rosigen Lippen zu zeigen schien.

Er beschloss eine Gegend zu fliehen, wo ihn solche Erinnerungen verfolgten, und machte daher dem Lord Ruthven, dem er sich für die zarte Teilnahme verbunden fühlte, die er ihm während seiner Krankheit bewiesen hatte, den Vorschlag, diejenigen Gegenden Griechenlands zu besuchen, die sie noch nicht gesehen hatten.

Sie durchstreiften nun das Land in allen Richtungen, ohne jedoch das sehr zu beachten, was sich ihren Blicken darbot. Sie hörten viel von Räubern, fingen jedoch an auf diese Nachrichten wenig acht zu geben, weil sie sie für die Erfindung eigennütziger Personen hielten, welche ihren Schutz teuer verkaufen wollten.

Die Warnung der Einwohner übersehend reisten sie auch einst nur mit weniger Bedeckung, die ihnen mehr zu Führern als zum Schutze diente. In einem engen Hohlwege, in dessen Tiefe ein Bach hinrauschte, und den auf beiden Seiten hohe Felsenmassen umstarrten, hatten sie Ursache, ihre Nachlässigkeit zu bereuen, denn kaum war der ganze Zug in den Engweg hinein, als sie durch das Pfeifen von Kugeln dicht über ihren Häuptern durch den Knall von Flintenschüssen, die das Echo wiederholte, erschreckt wurden.

In einem Augenblicke hatten sie ihre Wachen verlassen, und hinter die Felsen sich stellend begannen sie in der Richtung zu feuern, woher die Schüsse tönten. Lord Ruthven und Aubrey ihr Beispiel nachahmend zogen sich für einen Augenblick hinter die schützenden Seitenwände des Hohlweges zurück, allein sich schämend, dass sie sich vor einem Feinde verstecken sollten, der sie herauszufordern schien, und fürchtend hier endlich im Rücken genommen zu werden, beschlossen sie den Angreifern mutig entgegen zu gehen. Allein kaum hatten sie ihren Schutzort verlassen, als Lord Ruthven einen Schuss in die Schulter erhielt, der ihn zu Boden streckte. Aubrey eilte ihm zu Hülfe, und sah sich bald nun von den Räubern umringt, denn die Begleiter hatten schon ihre Waffen weggeworfen und sich ergeben.

Durch Versprechung großer Belohnung brachte Aubrey die Räuber dahin, seinen verwundeten Freund in eine nahe Hütte zu tragen, und nachdem er ein Lösegeld versprochen hatte, wurde er nicht mehr durch ihre Gegenwart belästigt, denn sie begnügten sich bloß den Eingang zu bewachen, bis der Abgeschickte mit dem Lösegeld zurückgekehrt sein würde.