Der Sommer, in dem ich die Bienen rettete - Robin Stevenson - E-Book

Der Sommer, in dem ich die Bienen rettete E-Book

Robin Stevenson

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Beschreibung

Was würdest du tun, wenn deine Mutter von dem Gedanken besessen ist, die Welt zu retten? Wenn sie die ganze Familie auf einen Roadtrip mitschleppt, um die Menschheit über das Bienensterben aufzuklären? Würdest du 1. deinen besten Freund fragen, ob du bei ihm einziehen kannst? 2. mit auf die Tour kommen, unter der Bedingung, dass du kein Bienenkostüm tragen musst? 3. das blöde Kostüm anziehen und hoffen, dass der klapprige Bus zusammenbricht? 4. abhauen (wie deine große Schwester)? 5. einfach aufhören zu sprechen (wie deine kleine Schwester)? 6. endlich den Mund aufmachen und den Wahnsinn beenden? Wie plant man seine Zukunft, wenn die eigenen Eltern nicht glauben, dass die Welt eine hat?

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Seitenzahl: 257

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Robin Stevenson

Der Sommer, in dem ich die Bienen rettete

Roman

Aus dem Englischen von Bettina Münch

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Was würdest du tun, wenn deine Mutter von dem Gedanken besessen ist, die Welt zu retten? Wenn sie die ganze Familie auf einen Roadtrip mitschleppt, um die Menschheit über das Bienensterben aufzuklären?

 

Würdest du

 

1. deinen besten Freund fragen, ob du bei ihm einziehen kannst?

 

2. mit auf die Tour kommen, unter der Bedingung, dass du kein Bienenkostüm tragen musst?

 

3. das blöde Kostüm anziehen und hoffen, dass der klapprige Bus zusammenbricht?

 

4. abhauen (wie deine große Schwester)?

 

5. einfach aufhören zu sprechen (wie deine kleine Schwester)?

 

6. endlich den Mund aufmachen und den Wahnsinn beenden?

 

Über Robin Stevenson

Robin Stevenson ist Autorin zahlreicher Kinder- und Jugendbücher. Sie lebt an der Westküste Kanadas, zusammen mit ihrer Partnerin, ihrem Sohn und zwei Katzen – einer betagten, einäugigen Piratenkatze namens Noah und einem flauschigen, schnurrenden Fellknäuel namens Mojang. Robin lektoriert hin und wieder Bücher, unterrichtet Kreatives Schreiben und freut sich immer, von ihren Lesern zu hören.

www.robinstevenson.com

Für Amy Mathers,

mit Respekt und Hochachtung

vor ihrem Büchermarathon

Eins

Mom nähte, als die Zwillinge und ich am Morgen zur Schule gingen, und sie nähte immer noch, als wir am Nachmittag wieder nach Hause kamen. Um sie herum war der Boden übersät mit Stofffetzen aus gelber Spitze und schwarzem Samt. Das elektrische Surren ihrer Nähmaschine klang wie Bienensummen.

Saffron ließ mit einem lauten Plumps ihre Schultasche auf den Holzboden fallen. «Sind sie fertig, Mama? Können wir sie sehen? Darf ich meins anprobieren?»

Whisper umklammerte meine Hand und sagte gar nichts.

«Fast fertig, Mäuschen.» Mom hob Saffron hoch und zog sie auf ihren Schoß. «Whisper, mein Schatz, komm und nimm deine Mama in den Arm.»

Whisper ließ meine Hand los, setzte sich neben Saffron und lehnte den Kopf an Moms Schulter.

«Nach dem Abendessen könnt ihr sie anprobieren», sagte Mom. «Ich muss nur noch die Flügel fertig machen.»

«Und dann können wir fliegen!», rief Saffron.

«Dann könnt ihr fliegen», bestätigte Mom.

Whisper sah mich an und verzog einen Mundwinkel zu einem klitzekleinen Lächeln.

«Ich hab Hunger», erklärte Saffron, als sie sich aus Moms Armen wand.

«Ich auch», sagte ich.

Seit ich vor einigen Monaten zwölf geworden war, hatte ich permanent Hunger. Als hätte sich ein Schalter umgelegt, und egal, wie viel ich aß, er ließ sich einfach nicht mehr abstellen. Ich konnte pausenlos essen und blieb trotzdem hungrig. Mein Bauch wurde allmählich speckig und meine Jeans zu eng, trotzdem war da eine nagende Leere in meinem Magen, die einfach nicht verschwinden wollte.

«Violet macht das Abendessen», sagte Mom und wies mit einem Nicken zur Küche. «Warum gehst du ihr nicht zur Hand, Wolf? Saffron, du und Whisper könnt mir helfen, eure Flügel zu nähen.»

In der Küche hackte Violet gewaltige Mengen Tomaten und Zwiebeln klein.

«Was willst du kochen?», fragte ich.

«Chili.» Sie wies mit dem Kopf auf eine Jumbodose Kidneybohnen. «Mach die mal auf und spül die Bohnen ab.»

Ich sah Violet genauer an. Ihr schwarzer Eyeliner war verschmiert, und ihre Augen glitzerten. «Weinst du, Violet?»

Sie funkelte mich aufgebracht an. «Das sind die Zwiebeln.»

Ich glaubte ihr nicht, aber ich sagte nichts und öffnete die Dose mit Bohnen. Wahrscheinlich hatte sie sich wieder mit Tyler gestritten. Violet dachte nur noch an ihren Freund, obwohl sie sich ständig stritten und Schluss machten. Und wenn sie sich nicht gerade mit Tyler stritt, stritt sie sich mit Mom und Curtis über Tyler. Ich konnte seinen Namen nicht mehr hören.

Schniefend fuhr sich Violet mit dem Ärmel über die Nase und schob die gehackten Zwiebeln in die Pfanne auf dem Herd. Sie zischten im heißen Öl. Ich kippte die Bohnen in ein Sieb und ließ kaltes Wasser darüberlaufen.

«Nimm eine Schüssel», sagte Violet. «Du verschwendest Wasser.»

«Ist doch nicht viel.» Ich drehte den Hahn wieder zu. «Hier, bitte.»

Sie stocherte mit dem Finger in den Bohnen herum. «Immer noch schleimig.»

«Sie sind gut so.» Ich hakte die Daumen in meine Hosentaschen. «Was ist los, Vi?»

«Es ist wegen Jade», sagte sie. «Diese blöde Kuh. Ich hasse sie.»

Jade ist meine Mutter. Ihr Freund Curtis ist Vis Vater, also ist Vi im Grunde genommen meine Stiefschwester; jedenfalls wäre sie es, wenn Curtis und Mom geheiratet hätten. Die Zwillinge kamen zur Welt, nachdem Mom und Curtis sich kennengelernt hatten, daher sind sie so etwas wie der Klebstoff, der uns zusammenhält und zu einer Familie macht. Zumindest betrachte ich uns als Familie. Es war schwer, einzuschätzen, was Violet dachte, weil sie sich praktisch über alles aufregte.

«Was ist passiert?», fragte ich. «Habt ihr euch wegen irgendetwas gestritten?»

Sie rührte die Zwiebeln um und drehte die Flamme niedriger. «Sie hat gesagt, dass Ty nicht mitkommen darf.»

«Wohin?»

«Auf die Reise, du Honk. In den Sommerferien.»

«Oh.» Ich hatte nicht gewusst, dass Violet Tyler mitnehmen wollte, aber vielleicht hätte ich es mir denken können. «Würden seine Eltern es denn erlauben?»

«Er muss sie gar nicht fragen, Wolf. Er ist siebzehn. Er kann machen, was er will.»

Ich nickte. Insgeheim war ich froh, dass Mom nein gesagt hatte. Ich wollte Ty nicht in der Nähe haben, wenn ich als Biene verkleidet durch die Gegend lief. Es würde schlimm genug sein, von Fremden angestarrt zu werden, aber die müsste ich wenigstens nicht wiedersehen. Wir wären ja nur auf der Durchreise.

«Ich wette, er trifft ein anderes Mädchen», sagte Violet. «Wenn wir monatelang weg sind.»

«Vielleicht triffst du ja einen anderen Typen», sagte ich.

«Als ob. Ich werde trotzdem Tys Freundin bleiben. Honk.»

Ich fragte mich, ob sie damit recht hatte. Wenn man jemanden liebt, bedeutet das nicht, dass einem die Person gehört, meint Mom. Sie findet, dass die meisten Menschen da einem Irrtum unterliegen – weil sie lieben mit besitzen verwechseln. Sie sagt, man muss die Liebe so behutsam festhalten wie ein kleines Vögelchen, weil man sie sonst erdrückt. «Und was ist, wenn sie wegfliegt?», hatte Saffron einmal gefragt. Mom hatte geseufzt und gesagt: «Das kommt vor.» Und ich hatte mich gefragt, ob sie dabei an meinen Vater dachte. Er war fortgegangen, als ich noch ein Baby war, und nie zurückgekommen.

Ein Schrei drang aus dem Wohnzimmer, und ich hörte, wie Mom die Zwillinge anfuhr: «Hört sofort auf damit!» Mom wurde nicht oft laut, aber wenn, hatte man das Gefühl, besser auf der Stelle etwas zu unternehmen und die Dinge wieder in Ordnung zu bringen.

«Vielleicht gehe ich mit Whisper und Saffron lieber nach draußen», sagte ich. «Damit sie Mom von der Pelle bleiben. Sie will die Kostüme heute Abend unbedingt noch fertig nähen.»

«Ich verstehe nicht, was die Eile soll», sagte Violet. Sie schüttete die Bohnen zu den Zwiebeln in die Pfanne, gab die Tomaten dazu und kippte ein halbes Glas Chilipulver obendrauf. «Bis zum Ende des Schuljahres sind es noch sechs Wochen.»

Ich zuckte die Achseln.

«Diese Reise ist die schwachsinnigste Idee aller Zeiten.» Sie schnappte sich einen Kochlöffel und rührte das Chili so heftig um, dass ein paar Bohnen davonflogen. «Außerdem werde ich mich auf keinen Fall als Biene verkleiden oder bei irgendeiner Art von Vorstellung oder Straßentheater mitmachen oder was immer Jade Fürchterliches geplant hat.»

Sie klang wütend. Es war Zeit zu gehen. Ich zog mich aus der Küche zurück und gesellte mich zu den anderen. Welches Problem die Zwillinge auch gehabt hatten, sie schienen es gelöst zu haben. Außerdem sah es so aus, als wären die Kostüme so gut wie fertig. Whisper und Saffron flatterten als schwarzgelbe Schemen durchs Wohnzimmer, die Flügel aus Drahtgewebe baumelten von ihren schmalen Schultern. Mom klatschte lachend in die Hände. «Sind sie nicht süß, meine kleinen Honigbienen?»

Ich schaute eine Weile zu, wie sie von hier nach da schwirrten. Saffron kletterte auf die Rückenlehne des Sofas – «Seht mal, wie ich fliege!» – und sprang herunter, Whisper hatte die Arme um den Leib geschlungen und wurde immer wieder von Wellen hilflosen Gekichers übermannt.

«Wolf», sagte Mom, die plötzlich wieder ernst klang, «die Mädchen wissen es noch nicht, aber wir werden wohl ein bisschen früher losfahren als geplant.»

«Was meinst du damit?»

«Die Homepage wird sehr gut besucht. Die Kostüme und Schilder sind fertig. Curtis hat den Van umgebaut, und er läuft super.» Sie senkte die Stimme. «Ich denke, dass wir in ein paar Tagen so weit sind. Vielleicht sogar schon Montag.»

Montag war bereits in drei Tagen. Ich starrte sie an. «Und was ist mit der Schule?»

«Es macht nichts, wenn ihr ein paar Wochen versäumt. Außerdem ist Reisen sehr lehrreich. Ihr werdet auf der Straße mehr lernen, als ihr das in einem Klassenzimmer je könntet.»

«Mom. Die Schule ist wichtig.»

«Dann lernst du eben wieder zu Hause. Das hast du früher ja auch.»

Ich hatte bis zur vierten Klasse keine Schule besucht, weil wir damals auf einer winzigen Insel namens Lasqueti lebten. Allerdings war ich nicht wirklich zu Hause unterrichtet worden. Ich hatte Mom einfach nur im Blockhaus, im Garten und bei den Hühnern geholfen. Unterrichtsstunden gab es keine. Trotzdem hinkte ich nicht hinterher, als ich schließlich in die Schule kam. Ich konnte lesen und schreiben und alles, was die anderen Kinder auch konnten. Ich erklärte es mir gern damit, dass ich klug war; Mom dagegen meinte, es zeige nur, dass die Schule überschätzt werde und man das Addieren und Subtrahieren beim Zählen von Hühnereiern ebenso gut lernen konnte wie mit Arbeitsblättern.

«Wie soll ich zu Hause lernen», fragte ich zurück, «wenn wir gar nicht zu Hause sind?»

«Dann lernst du eben auf der Straße.» Mom lachte. «Entspann dich, Wolf.»

Ich versuchte zu lächeln, als wäre es keine große Sache, aber in Wirklichkeit wollte ich nicht früher losfahren. Ich liebte meine Schule, auch wenn Violet, die auf eine normale Highschool ging, behauptete, sie wäre etwas für Loser. Es gab nur etwa fünfundzwanzig Schüler, die Zwillinge und mich eingeschlossen. Wir hatten einen Garten und durften lernen, was wir wollten, außerdem unternahmen alle Kinder Dinge gemeinsam, nicht wie in normalen Schulen, wo man nach Alter getrennt wird. Na ja, das wurden wir im Grunde auch – aber nur in zwei Klassen, eine für die Kleinen und eine ab zehn Jahren aufwärts. Die kleinen Kinder spielten hauptsächlich, während meine Gruppe Neigungsprojekte erarbeitete, was bedeutete, dass wir uns ein Thema aussuchten, das uns interessierte, uns darüber informierten, wie immer es uns beliebte, und es dann dem Rest der Gruppe präsentierten. Es musste nicht unbedingt ein Vortrag oder ein Aufsatz sein. Einer der älteren Jungen stellte indianische Haida-Kunstwerke her, indem er aus dem Holz von Rotzedern Orkas und Adler schnitzte. Und Caitlin, die in meinem Alter und zu allen gemein war, bastelte Dioramen, was sich zwar bekloppt anhörte, die aber in Wirklichkeit ziemlich cool waren.

Für mein letztes Projekt hatte ich eine Webseite über Bienen erstellt. Damit hatte im Grunde alles angefangen – was Violet mir tagtäglich unter die Nase rieb.

«Diese ganze Reise ist deine Schuld, Wolf. Das alles kommt nur von deinem bescheuerten Projekt. Du hast dafür gesorgt, dass Jade wegen dem Bienensterben durchdreht.»

«Aber vor meinem Projekt ist sie wegen des Klimawandels durchgedreht», hatte ich Violet erinnert. «Weißt du noch? Und dein Dad genauso. Er war mindestens so schlimm wie Mom.»

Violet hatte mich wütend angesehen. «Ja, kann sein, aber sie haben uns nicht quer durchs Land geschleppt und gezwungen, uns als schmelzendes Polareis zu verkleiden, oder?»

Violet würde ausrasten, wenn sie erfuhr, dass wir früher losfuhren. Sie wollte überhaupt nicht weg.

«Ich will den Rest des Schuljahrs nicht verpassen», sagte ich zu meiner Mutter.

Sie zerzauste mir die Haare. «Ich weiß, mein Schatz. Aber es ist wichtig.» Sie schob einen Finger unter mein Kinn und hob es an, bis ich ihr direkt in die Augen sehen musste. «Das hier ist wichtiger als alles andere, nicht?»

«Wahrscheinlich. Ich meine, ja.» Ich lehnte mich zurück und wandte den Kopf ab, um sie nicht länger ansehen zu müssen. «Aber wir tun doch schon eine Menge.»

Wir taten mehr als alle anderen Leute, die ich kannte. Wir trennten unseren Müll, verwendeten Dinge wieder, wir bauten unser eigenes Obst und Gemüse an, fuhren überall mit dem Fahrrad hin. Wir hatten vor dem Van noch nie ein Auto besessen, und ich war noch nie geflogen. Auf Lasqueti Island hatten wir nicht einmal Strom gehabt, bis Mom bei Curtis eingezogen war, der eine Solaranlage besaß. Bevor wir in die Stadt umgezogen waren, hatte ich geglaubt, Komposttoiletten seien der Normalfall. Außerdem aß keiner von uns Fleisch, abgesehen von mir, ein einziges Mal. Es war bei einem anderen Kind zu Hause Teil des Pizzabelags und eine Art Unfall gewesen.

«Ich weiß, dass es schwer ist», sagte Mom. «Aber wenn man vor einer Krise steht, Wolf, einem lebensbedrohlichen Notstand … muss man an das große Ganze denken. Und die eigenen Prioritäten überprüfen.»

«Ja, ich weiß.»

«Wir werden alle Opfer bringen müssen», sagte sie. «Auf unsere Annehmlichkeiten verzichten und unsere Sorgen darüber beiseiteschieben, was die anderen sagen.»

«Ich verstehe einfach nicht, was es für einen Unterschied macht, wenn wir noch sechs Wochen warten.»

«Nicht?»

Ich wand mich innerlich, weil ich wusste, was sie gleich sagen würde.

«Wie viele Bienen sterben jedes Jahr?», fragte sie.

«Millionen?»

«Genau. Etwa dreißig Prozent aller Bienenvölker in den Vereinigten Staaten sterben», sagte sie. «Jahr für Jahr. Und wie groß ist der Anteil unseres Getreides, der von Bienen bestäubt wird?»

«Etwa ein Drittel?»

Sie nickte. «Richtig. Und was unternimmt die Regierung?»

«Nichts?»

Sie schnaubte. «Bis auf eine sogenannte Studie, die seit zehn Jahren läuft. In der Zwischenzeit versprühen sie weiter Gift, und die Uhr läuft allmählich ab, Wolf. Wir wissen nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt.»

Ich hatte einen Kloß im Hals, der so weh tat, als hätte ich selbst einen Teil des Gifts geschluckt. Mom hatte recht. Es war dumm, mich wegen der Schule aufzuregen. «Beiß die Zähne zusammen», wie Curtis immer sagte.

«Ich weiß», sagte ich. «Du hast ja recht. Es wird schon gehen. Kann ich mich von allen verabschieden?»

«Natürlich. Du gehst Montag in die Schule und verabschiedest dich.» Sie zog mich an sich und umarmte mich fest. «Mein mutiger Junge.»

«Ich bin nicht mutig.»

«Doch, das bist du», sagte sie. «Mutiger, als du denkst.»

Das konnte ich nur hoffen. Denn wenn es stimmte, dass die Welt den Bach runterging, würde ich es sein müssen.

Das würden wir alle.

An diesem Abend ging ich auf Moms Homepage. Sie hatte sie noch nicht aktualisiert, um bekannt zu geben, wann wir abfahren würden.

Ich betrachtete das Foto von unserer Familie im Garten: Mom und Curtis hatten die Arme umeinandergelegt und lächelten; ich thronte hinter Whisper und Saffron, und meine blöden roten Haare standen in alle Richtungen vom Kopf ab. Die Zwillinge sahen niedlich aus. Ich wie ein Volltrottel. Violet hielt sich ein wenig abseits, als wollte sie mit dem Rest von uns nichts zu tun haben, wie sie es meistens tat.

Ich las den Text meiner Mutter unter dem Foto, obwohl ich ihn praktisch auswendig kannte:

Ich heiße Jade Everett und erzähle euch hier meine Geschichte, in der Hoffnung, euch zu animieren, euch unserem Kampf anzuschließen.

Ich war schon immer Aktivistin. Jahrelang nahm ich an Demonstrationen teil, schrieb Briefe und lebte abgekoppelt vom Versorgungsnetz, um unseren ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten – doch ich wusste, dass das, was ich tat, nicht genug war. Tag für Tag sah ich meine Kinder an, stellte mir ihre Zukunft vor und hätte am liebsten geweint. Schmelzendes Polareis, sterbende Riffe, steigende Wasserpegel – unsere Welt stirbt rings um uns herum.

Schon vor Jahren wurde mir klar, dass es keinen Sinn hat, unser Alltagsleben einfach fortzusetzen, aber ich wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Sohn Wolf brachte mich auf die Idee. Er arbeitete an einem Schulprojekt über das Bienensterben, und ich begriff, dass die Bienen der Kanarienvogel in der Kohlengrube sind. Zu lesen, was mit ihnen passiert, war wie ein Blick in die Zukunft: Missernten, weltweite Nahrungsmittelknappheit, Hungersnöte, Tod. Möglicherweise schon im nächsten Jahrzehnt!

Vielleicht werde ich nie erleben, dass meine Kinder erwachsen werden, aber zumindest wollen meine Familie und ich in diesen letzten Jahren des Untergangs versuchen, auf eine Art und Weise zu leben, auf die wir stolz sein können.

Wir werden also quer durchs Land reisen, von der Westküste zur Ostküste, und in den Orten, die wir passieren, haltmachen, um die Menschen zu sensibilisieren – für die Bienen und ihre Bedeutung, die Gefahren von Fungiziden und Pestiziden, die Bedrohung unserer Nahrungsmittelversorgung, wenn die Bienen sterben. Wir wollen den Leuten die Zukunft, auf die wir zusteuern, vor Augen halten und sie dazu bewegen, sich unserem Kampf anzuschließen.

Um alles zu tun, was in unseren Kräften steht, damit die Bienen – und unser Planet – gerettet werden.

Jedes Mal, wenn ich das las, spürte ich ein komisches Gefühl im Magen und ein merkwürdiges Prickeln auf den Armen, wie wenn man sich volle Lotte den Musikantenknochen anhaut.

Ich wünschte, sie hätte weggelassen, dass die Idee von mir kam.

Zwei

AmSamstagmorgen saßen wir in der Küche beim Frühstück, als wir draußen ein lautes Hupen hörten: bwähh, bwähh, bwähh! Wir liefen hinaus und sahen den Van in unserer gekiesten Einfahrt stehen.

Er war weiß, ein bisschen ramponiert und sah aus wie etwas, das ein Klempner fahren würde, mit Türen am Heck statt an den Seiten.

Curtis stieg aus und stand mit ausgebreiteten Armen da. Die dunklen Haare hingen ihm fast bis auf die Schultern, auf seinen Jeans waren Streifen von schwarzer Schmiere, und er hatte sich schon seit Tagen nicht mehr rasiert. Sein Kinn befand sich gerade im Übergang von Stoppeln zum Bart, Aberhunderte Härchen glitzerten im hellen Sonnenlicht. «Na, Leute? Was sagt ihr dazu?»

«Darf ich ihn anmalen?», fragte Saffron.

«Klar darfst du. Das dürfen alle.»

Whisper hatte die Unterlippe vorgeschoben und sah mich an. Violet hob eine Augenbraue. «Ein Ford? Im Ernst? Du hast einen Ford gekauft?»

«Warte, bis du ihn von innen siehst», sagte Curtis, während er uns zu sich winkte. Er grinste, dass seine braunen Augen nur noch schmale Schlitze waren und seine weißen Zähne blitzten. Wir gingen alle zum Van hinüber und warteten, während er die Hecktüren aufriss. Eine Schaumstoffmatratze nahm den größten Teil der Ladefläche ein. Curtis hob sie an einer Ecke an und klopfte mit den Knöcheln gegen eine darunterliegende Sperrholzplatte. «Dadrunter ist jede Menge Stauraum», sagte er.

«Wem gehört das Bett?», fragte ihn Saffron.

«Mir und deiner Mom.»

Jade strich Saffron übers Haar. «Ihr Mädchen könnt bei uns schlafen, wenn ihr wollt, oder im Zelt bei Violet und Wolf. Vielleicht möchtet ihr ja lieber bei den Großen sein.»

Whisper kletterte auf die Matratze und rollte sich zusammen wie ein Kätzchen in der Sonne. Ich sah über sie hinweg zu den beiden Sitzreihen, dem Propangaskocher und der Kühlbox und versuchte, mir das als unser Zuhause vorzustellen.

«Was ist mit unseren ganzen Sachen?», fragte Violet.

«Das meiste davon werden wir abstoßen», sagte Mom. «Und für die Sachen, die wir behalten wollen, haben wir einen Lagerraum gemietet.»

Violet verzog den Mund. «Es riecht nach Fritten.»

Curtis grinste. «Der Wagen läuft mit hundert Prozent Pflanzenöl, Baby.»

Mom schlang die Arme um ihn, und er hob sie hoch und wirbelte sie im Kreis herum, dass ihre roten Haare wie Flammen durch die Luft wirbelten. Dann stellte er sie wieder auf den Boden und küsste sie.

«Igitt», sagte Violet. Es war nicht ganz klar, ob sie den Frittengeruch oder das Küssen meinte.

«Dürfen wir ihn jetzt anmalen?», fragte Saffron.

Curtis ließ meine Mutter los. «Zuerst müssen wir Farbe besorgen.»

«Heute?»

«Dieses Wochenende, ja. Wenn wir nächste Woche losfahren wollen, müssen wir loslegen.»

Violet starrte ihn an. «Wie war das? Wenn wir nächste Woche was machen wollen?»

Mom sah Curtis an. «Ich habe ihr nichts von unserer Planänderung erzählt. Ich dachte, dass du das vielleicht besser übernehmen solltest.»

Curtis fuhr sich mit der Hand durch die Haare und drehte sich zu Violet um, die ihn mit schmalen Augen anstarrte. «Also, Violet», begann er, «es ist so, dass wir eigentlich abfahrbereit sind. Also warum sollen wir für Juni noch Miete bezahlen, wenn wir einfach ausziehen können?»

«Hm, vielleicht weil du mir versprochen hast, dass ich das Schuljahr zu Ende machen darf. Und das dauert bis Ende Juni.»

Curtis zuckte die Achseln. «Ich bin sicher, deine Lehrer werden das verstehen.»

«Ach ja? Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das nicht tun werden, Dad.» Violet hatte die Brauen gerunzelt und presste die Lippen so fest zusammen, dass sie fast weiß wurden, während sie auf seine Antwort wartete. Curtis gestikulierte hilflos, er hob die Hände und ließ sie wieder fallen. Violet sah ihn voller Verachtung an. «Mir ist es jedenfalls egal, wann ihr fahrt», sagte sie. «Ich komme nur mit, wenn Ty auch mitfahren darf.»

«Ich will auch, dass Ty mitkommt», sagte Saffron.

«Es gibt nicht genug Sitzgurte», sagte Mom.

Violet fuhr herum und ließ einen Schwall von Worten auf sie los, die sie in Gegenwart der Zwillinge eigentlich nicht benutzen durfte. Ich hielt Saffron die Ohren zu.

Mom sah mich an. «Bringst du die Mädchen bitte ins Haus, Wolf?»

Ich nickte. «Komm, Whisper. Wir überlegen uns, wie wir den Van anmalen, ja?»

Whisper sprang von der Matratze und nahm meine Hand. Ich spitzte die Ohren, um zu hören, was Curtis zu Violet sagte, aber seine Stimme war so leise, dass ich nichts verstehen konnte. Irgendetwas über Geld und Miete und dass ihm jemand zusetzte.

«Gelb», sagte Saffron, als sie zum Haus hüpfte. «Mit schwarzen Streifen wie eine Biene.»

«Auf keinen Fall», sagte ich. «Ich fahre doch nicht in …»

Whisper umklammerte meine Hand fester. «Wie eine Biene», hauchte sie so leise, dass ich sie kaum verstand.

Ich sah in ihre großen braunen Augen und seufzte. «Echt? Ihr wollt wirklich in einem Van durchs Land fahren, der aussieht wie eine riesige Biene?»

Die beiden nickten einmütig. «Mit Flügeln», ergänzte Saffron.

Im Haus suchte ich Papier und Stifte zusammen, und die Mädchen begannen Bilder von bienenfarbenen Vans zu malen. Kurz darauf kam Violet mit rot geränderten Augen hereingestürmt.

«Was ist?», fuhr sie mich an.

Ich hob abwehrend die Hände. «Nichts! Ich hab nichts gesagt.»

«Du hast mich angeglotzt.»

«Hab ich nicht.» Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück. «Ich habe bloß den Kopf gehoben, weil du reingekommen bist. Himmel! Tut mir leid, dass ich geboren bin.»

Sie schnaubte. «Schon klar, du Musterknabe. Sieh dir nur an, wie schön du auf die Kleinen aufpasst. Du musst dich wohl immer einschleimen, was?»

Mir stieg die Hitze ins Gesicht.

«Ich schleime mich nicht ein», sagte ich. «Das sieht nur so aus, weil du nie bei irgendetwas mithilfst.» Das war die Wahrheit – Violet tat immer nur, was sie wollte. Sie war so ziemlich der selbstsüchtigste Mensch, der mir je begegnet war. Irgendjemand musste sich schließlich um die Zwillinge kümmern. Nicht dass Mom es nicht täte – sie vergötterte die beiden –, aber sie hatte oft andere Dinge zu tun. Ich hatte sie schon immer dabei unterstützt, die Zwillinge zu versorgen, seit sie Babys waren.

«Egal», sagte Violet und blendete mich aus. «Und was spielt ihr so? Schule?»

«Wir entwerfen», sagte Saffron. «Um den Van anzumalen.»

Violet trat näher und betrachtete die auf dem Tisch ausgebreiteten Blätter. «Im Ernst? Sagt bloß nicht, dass ihr das vorhabt.»

«Gefällt’s dir?», fragte Saffron voller Eifer.

«Klar. Das ist alles verdammt genial, Saffy. Bienenkostüme und ein gestreifter Fordbus.»

«Was stimmt denn nicht mit Fords?», wollte Saffron wissen, als sie ihren gelben Stift weglegte.

«Nichts», erklärte ich ihr.

«Weißt du, was Ford bedeutet?», fragte Violet.

Saffron schüttelte den Kopf.

Violet schenkte ihr ein böses Lächeln. «Für Opis reicht das.» Dann buchstabierte sie ganz langsam, als ob wir totale Idioten wären: «F-O-R-D. Kapiert?»

Whisper machte große Augen.

«Oder: Fährt obermies, Reparatur dauert.»

«Aber unser Van nicht», sagte Saffron. «Dad hat schon alles repariert. Wir nennen ihn George.»

«Ach ja?» Das hörte ich zum ersten Mal.

«Ja.»

«Fahrer ohne richtig Durchblick», fuhr Violet fort. «Mit dem Ford fort, mit dem Zug zurück.»

«Okay, Viper. Das reicht jetzt.»

«Nenn mich nicht so.» Violet hob die Hand, als wollte sie mich schlagen, ließ sie dann aber langsam sinken und wandte sich mit einem verschlagenen Lächeln wieder zu Saffron um.

«Weißt du, was Ford rückwärts buchstabiert bedeutet?»

Saffron zuckte die Achseln. «Ist mir egal.»

«Die Rückkehr ohne Fahrzeug.»

Saffron stemmte die Hände in die Hüfte und erwiderte Violets Blick. «Und Whisper und Wolf ist es auch egal.»

Violet verdrehte die Augen. «Und wennschon.»

«Und George ist es AUCH egal!» Damit wandte sich Saffron von Violet ab und widmete sich wieder ihrer Zeichnung.

Geschieht dir recht, Viper, dachte ich.

Drei

MeineSchwesterheißt nicht wirklich Whisper. Auf ihrer Geburtsurkunde steht Juniper Sage Brooks. Aber so haben wir sie nie genannt. Als Baby sagten wir Böhnchen zu ihr, weil sie so winzig war.

Sie und Saffy sind keine eineiigen Zwillinge: Saffron war von Geburt an größer als Whisper. Außerdem hat Saffy rote Haare, blasse Haut und jede Menge Sommersprossen, so wie Mom und ich. Moms Familie ist vor einigen Generationen aus Schottland eingewandert, und mein Freund Duncan meint, dort gäbe es mehr Rothaarige als irgendwo sonst auf der Welt. Curtis’ Vater stammt aus Guayana – er hat schwarze, indianische und weiße Vorfahren, meint Curtis. Deshalb haben er, Violet und Whisper hellbraune Haut, dunkle Augen und superlange Wimpern. Außerdem sind sie dünn und athletisch gebaut. Eigentlich treibt keiner von ihnen Sport, aber sie sind von Natur aus gut darin, so wie ich ein hoffnungsloser Fall bin. Curtis nennt Violet und Whisper seine Mini-Ichs, obwohl sie Mädchen sind, was ich bescheuert finde. Mini-Ichs. Selbst bei Jungs wäre es bescheuert.

Als ich neun war, verließen wir alle zusammen Lasqueti Island und zogen nach Victoria. Saffron redete damals schon wie ein Wasserfall, während Whisper kaum ein Wort von sich gab, und wenn, wisperte sie so leise, dass man den Kopf senken musste, um sie zu verstehen. Mom wurde jedes Mal stinksauer, wenn die Leute die beiden miteinander verglichen. Das sei ungerecht, sagte sie, vor allem weil Saffron so eine Plaudertasche war.

Ungefähr zu dieser Zeit fingen wir an, sie Whisper zu nennen statt Böhnchen. Dann kamen sie und Saffy in den Kindergarten, wo ihre Erzieherinnen sich Sorgen machten, weil Whisper nicht sprechen wollte. Sie flüsterte zwar zu Hause noch mit uns, aber mit den Erzieherinnen und den anderen Kindern sprach sie kein Wort. Mom fand, Kindergärten seien sowieso etwas Unnatürliches, kleine Kinder gehörten nach Hause zu ihren Familien, und meldete die beiden ab.

Aber inzwischen war Whisper fünf, besuchte die Vorschule und sprach immer noch mit niemandem außerhalb der Familie. Obwohl sie schon das ganze Jahr über hinging, hatte sie dort noch kein Wort gesagt, außer vielleicht zu Saffron, wenn sonst niemand in der Nähe war. Curtis versuchte manchmal, sie zum Sprechen zu animieren, damit sie den Nachbarn guten Tag sagte oder so etwas, aber das tat sie nie. Sie schaute einfach zu Boden oder versteckte sich hinter Curtis’ Beinen. Mom meinte, Whisper würde schon anfangen zu reden, wenn sie dazu bereit sei, und dass diese Reise ihr guttun würde.

Ich war mir da nicht so sicher. Whisper mochte keine Veränderungen. Sie aß nur sechs Dinge – Makkaroni, Ritz Kräcker, Äpfel, Erdnussbutterbrote, Bananen und orangen Cheddarkäse. Außerdem Schokolade, aber die zählte nicht, weil Mom keine kaufte. Whisper hasste laute Geräusche wie von hupenden Autos oder Leuten, die herumschrien. Und sie bekam krasse Heulanfälle. Andauernd. Ehrlich gesagt, war ich auch nicht unbedingt scharf darauf, mit jemandem das Zelt zu teilen, der noch regelmäßig ins Bett pinkelte.

An diesem Wochenende bemalten wir den Van – alle bis auf Violet, die mit Ty irgendwohin verschwunden war und gesagt hatte, wenn sie schon Gott weiß wie lange fort sein musste, wollte sie wenigstens das Wochenende mit ihm verbringen dürfen.

Am Samstag verwendeten Mom und ich die Zeichnungen der Zwillinge als Grundlage für einen Entwurf, während Curtis den Van mit einem Sandstrahler von Rost und alter Farbe befreite. Das Entwerfen war leicht – kräftiges Schwarz an Front und Heck, gelbe Streifen auf schwarzem Hintergrund an den Seitenwänden –, das Sandstrahlen dagegen dauerte ewig. Mom und ich halfen Curtis dabei. Wir setzten Staubschutzmasken auf und scheuerten und polierten, bis uns die Arme und Schultern weh taten.

Es war warm für Mai, die Sonne stand hoch am Himmel, und Curtis hatte sein T-Shirt ausgezogen. Ich konnte auf seinem Rücken und den Schultern seine Muskeln spielen sehen. Wie gern hätte ich selbst solche Muskeln. Meine waren praktisch unsichtbar. Manchmal zog ich mir vor dem Badezimmerspiegel das Hemd aus und betrachtete mich, in der Hoffnung, etwas anderes zu entdecken als blasses, sommersprossiges Geschwabbel, doch in dieser Hinsicht schien sich die Lage eher zu verschlechtern, als zu verbessern.

«Du kriegst einen Sonnenbrand», sagte Mom, die mir sanft in den Nacken fasste. «Du solltest dich mit Kokosnussöl einreiben.»

Sie mochte keine Sonnenschutzcremes, wegen der vielen Chemikalien, aber ich war nicht erpicht darauf, wie eine Kokosnuss zu riechen. «Das funktioniert nicht», erwiderte ich. «Ich kriege trotzdem einen Sonnenbrand.»

«Dann hol dir ein Hemd mit Kragen.»

«Na gut», sagte ich, froh darüber, eine Pause einlegen zu können. Ich ging ins Haus und füllte ein Glas mit kaltem Wasser.

«Können wir George jetzt anmalen?», rief Saffron aus dem Wohnzimmer. «Whisper will das wissen.»

«Nein», antwortete ich. «Vielleicht heute Abend.»

«Guckst du dir das mit uns an?»

Ich leerte mein Glas, stellte es ins Spülbecken und schlenderte ins Wohnzimmer, wo sich die Zwillinge auf der Couch zusammengerollt hatten. «Was schaut ihr euch an?»

«Ice Age Drei.»

Ich sah einen Moment lang auf den Bildschirm. Sie hatten die Lautstärke so leise gedreht, dass ich kaum etwas verstand. «Soll ich es lauter stellen?»

Whisper schüttelte den Kopf.

«Wir können es sowieso auswendig», erklärte Saffron.

Das galt vermutlich auch für mich. Sie mussten den Film schon hundert Mal gesehen haben, denn es war unsere einzige DVD, die kein Naturlehrfilm war. Mom war kein Fan vom Fernsehen, aber sie war auch kein Fan von Regeln, daher taten die Zwillinge meistens, was sie wollten.

«Ich muss zurück an die Arbeit», sagte ich. Dann zog ich ein langärmeliges Hemd aus einem Haufen frisch gewaschener Wäsche, zog es über mein T-Shirt und wollte gerade wieder hinausgehen, als ich in der Nähe das Telefon klingeln hörte. Die Zwillinge ließen den Bildschirm nicht aus den Augen. Ich schaute mich um, folgte dem Geräusch und fand das Telefon schließlich unter einem Haufen Decken auf der Couch. «Beweg deinen Hintern, Whisper», sagte ich, als ich danach griff. «Hallo?»

«Hallo. Spreche ich mit Jade?»

Ich bemühte mich, tiefer zu klingen. «Nein. Hier ist Wolf.»

«Oh, tut mir leid, Wolf. Du klingst wie deine Mutter.»

«Hmhm.» Ich hasste es, wenn Leute das sagten.

«Hier ist Susan.» Violets Mutter.

«Hi», sagte ich. «Willst du mit Violet sprechen? Sie ist im Augenblick nicht da.»

«Ich weiß», sagte Susan. «Sie ist hier bei mir aufgetaucht.»

«Ehrlich?» Ich versuchte meine Überraschung zu verbergen. Susan lebt in Sooke, eine gute Dreiviertelstunde entfernt. Und was noch wichtiger ist, Violet und Susan kommen nicht gut miteinander aus. Ich meine, Violet kommt eigentlich mit niemandem aus, aber mit ihrer Mutter klappt es wirklich überhaupt nicht.