Der Sport der Könige - C. E. Morgan - E-Book

Der Sport der Könige E-Book

C. E. Morgan

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Beschreibung

Virtuos erzählt die Schriftstellerin C.E. Morgan von den Menschen, die das Erbe der amerikanischen Geschichte in sich tragen, und erschafft damit ein an Faulkner erinnerndes, großes modernes Epos.

Henry Forge und seine Tochter Henrietta haben einen Traum: Sie wollen das beste Rennpferd aller Zeiten züchten. Die Familie Forge gehört zu den ältesten und einflussreichsten Pferdezüchterdynastien von Kentucky, ihr Vollblut Hellsmouth bringt exzellente Vorraussetzungen mit. Doch als Allmon Shaughnessy auf der Farm anheuert, ein ehrgeiziger junger Schwarzer, und sich Henrietta in ihn verliebt, werden Kräfte freigesetzt, die seit Jahrhunderten das Leben in den Südstaaten bestimmt haben und immer noch machtvoll sind. Angst, Vorurteile und sexuelles Verlangen, Rassismus und Wut, die Kluft zwischen Arm und Reich, Unterdrückung, ja Gewalt sind die ständigen Begleiter dieses Lebens im Schatten der Sklaverei, die untrennbar verbunden ist mit der amerikanischen Geschichte.

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Zum Buch

Henry Forge und seine Tochter Henrietta haben einen Traum: Sie wollen das beste Rennpferd aller Zeiten züchten. Die Familie Forge gehört zu den ältesten und einflussreichsten Familiendynastien von Kentucky, ihr Vollblut Hellsmouth bringt exzellente Voraussetzungen mit. Doch als Allmon Shaughnessy auf der Farm anheuert, ein ehrgeiziger junger Farbiger, und sich Henrietta in ihn verliebt, werden Kräfte freigesetzt, die seit Jahrhunderten das Leben in den Südstaaten bestimmt haben und immer noch machtvoll sind.

Angst, Vorurteile und sexuelles Verlangen, Rassismus und Wut, die Kluft zwischen Arm und Reich, Unterdrückung, ja Gewalt sind die ständigen Begleiter dieses Lebens im Schatten der Sklaverei, die untrennbar verbunden ist mit der amerikanischen Geschichte. Virtuos erzählt die junge Schriftstellerin C. E. Morgan von den Menschen, die das Erbe dieser Geschichte in sich tragen, und erschafft damit ein an Faulkner erinnerndes, großes modernes Epos.

»Glanz und Barbarei des Pferderennsports und das Erbe der Sklaverei – das sind nur zwei Stränge in diesem üppigen, meisterhaften Südstaatenepos des 21. Jahrhunderts.« O, The Oprah Magazine

»C. E. Morgan hat mehr Mut, sprachliche Vielfalt, mehr Welthaltigkeit und Tiefgründigkeit in einem Glied ihres kleinen Fingers als hundert andere zeitgenössische Schriftsteller im ganzen Körper.« The New York Times Book Review

Zur Autorin

C. E. Morgan lebt mit ihrer Familie in Berea, Kentucky. Ihr erster Roman »Die Glut der Sonne« ist 2010 erschienen. Ihr zweiter Roman »Der Sport der Könige« erregte in den USA großes Aufsehen, wurde von zahlreichen US-Medien zu einem der besten Bücher des Jahres gekürt, mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet und kam 2017 auf die Shortlist des Pulitzerpreises.

Zum Übersetzer

Thomas Gunkel, geb. 1956 in Treysa, Erzieher, Studium der Germanistik und Geographie, ist der Übersetzer von u. a. Larry Brown, John Cheever, Gerard Donovan, Stewart O’Nan, William Trevor und Richard Yates.

C. E. Morgan

Der Sport der Könige

Roman

Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel

Luchterhand

Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel The Sport of Kings bei Farrar, Straus and Giroux, New York.Die Arbeit des Übersetzers am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.Der Übersetzer dankt Sandra Dutiné, die ihm in Pferdefragen eine unverzichtbare Hilfe war.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

1. Auflage

Copyright © der Originalausgabe 2016 C. E. Morgan

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018 Luchterhand Literaturverlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: buxdesign | München

Covermotiv: © Getty Images/CSA Images/Color Printstock Collection

Vorsatzkarte © 2016 Jeffrey L. Ward

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-23705-9V001www.luchterhand-literaturverlag.de

www.facebook.com/luchterhandverlag

Dieses Buch ist dem Leser gewidmet.

So wie Knospen durch Wachstum neue Knospen erzeugen und diese wieder, wenn sie lebenskräftig sind, ausschlagen, zu neuen Zweigen werden und schwächere Zweige zu überwinden suchen, so glaube ich, geschieht es auch seit Generationen am großen Lebensbaum, der die Erdrinde mit seinen toten, dahingesunkenen Ästen erfüllt und die Erdoberfläche mit seinem ewig neu sich verästelnden schönen Gezweige belebt.

CHARLES DARWIN, Die Entstehung der Arten

Die seltsame Familie der Dinge

Die Sanftheit deiner Gesinnung wird sich allmählich durch den ganzen Körper des Reiches verströmen, und alles wird sich nach der Ähnlichkeit mit dir bilden.

SENECA

»Henry Forge, Henry Forge!«

Wie weit kann man vor seinem Vater davonrennen? Der Junge verschwand im Mais, und die grünen Blätter streiften ihn wispernd, während er durch die zugewucherten Reihen lief. Er blieb einmal, zweimal an den Stängeln hängen und schrie auf wie ein verwundeter Vogel, griff nach seinem Ellbogen, aber er stürzte nicht. Er hatte einmal gesehen, wie ein Junge sich auf dem Schulhof den Arm brach; der Knochen hatte geknackt wie ein brechender Zweig, und als der Junge aufstand, hing sein Arm schief herab, und der Knochen ragte hervor wie ein gespaltener Küchenlöffel aus Eschenholz …

»Henry Forge, Henry Forge!«

Erstens: Ich bin Henry Forge.

Die Stimme seines Vaters hallte über die gekrümmte Fläche der Erde, domine deus omnipotens, dictator perpetuo, vivat rex, Amen! Die dicken Hülsen reckten ihre Kolben dem Klang entgegen, doch der Junge flitzte über den fruchtbaren Boden, einen Boden, der seit Generationen diesen Mais hervorbrachte und irgendwann einmal dumm grasende, nach Mist stinkende Rinder ernährt hatte. Rinder hatte er satt, und er war erst neun.

Zweitens: curro, currere, cucurri, cursus. Ich laufe bis in alle Ewigkeit.

Der Dummkopf, wie sollte er wissen, dass ihn die Pflanzen verrieten, das flächserne Dach des Maises tanzend und schwankend, während er hindurchlief, und dann wieder in scheue Stille verfallend, wie sollte er wissen, dass sein Vater ihn nicht verfolgte, sondern seine törichte Flucht von der Veranda aus beobachtete? Im ersten Stock quietschte ein Fenster, und ein blonder, stummer Kopf tauchte auf, eine blasse, seltsam durchscheinende Hand gestikulierte zu John Henry, John Henry. Sie schlug zweimal aufs Fensterbrett. Doch der Mann blieb, wo er war, den Blick auf die überstürzte Flucht seines Sohnes gerichtet.

Durch den Abstand wiegte sich der kleine Junge fälschlich in Sicherheit und lief langsamer. Er boxte nach den Maispflanzen, von denen manche in einem Scheinangriff zurückschnellten und andere am Stängel abknickten. Es interessierte ihn nicht; seine Gedanken verweigerten sich irgendeinem Punkt in der Zukunft, an dem Entschädigung erwartet und gefordert werden könnte. Die Flucht machte Spaß, ging auf Kosten einer Zukunft, die ihm in diesem Augenblick unmöglich vorkam. Den Stier hatte er fast vergessen.

Drittens: Meine Herren Geschworenen, ich bin nicht schuldig!

Der Mais spie ihn aus. Das Gesicht vom Spießrutenlauf zerkratzt, mit wirr vom Kopf abstehenden Haaren, hielt er zwei Hände voll Hülsen umklammert und holte tief Luft. Hier ist das alte Land die alte Sprache: Der Rest des Bezirks fällt in Abhängen und Mulden von ihrer Grundstücksgrenze aus ab. Die Tabakpflanzen des Nachbarn erstrecken sich, so weit das Auge des Jungen reicht, so dass unglaublich viele verschiedene Grüntöne die bekannte Welt auszumachen scheinen, die wellige Erde ein weites grünes Meer, nur von den schwarzen Schiffen der Tabakscheunen gesprenkelt, ein so durchdringendes Grün, dass es einen Kilometer unter seinen Füßen einen kühlen, fruchtbaren Kern verheißt. In der Ferne wieder ansteigende Felder, die langsam aufwärts wogen, eine grasbewachsene Decke, ausgeschüttelt vor einem brachliegenden Himmel. Eine Baumreihe zeichnet auf dieser fernen Seite die Dünung nach und bildet einen dunklen Zaun zwischen zwei Farmen. Die Dächer der Farmhäuser sind tintenschwarz, die Fassaden von immergrünen Pflanzen verdeckt, und so ist die Welt ohne Unterbrechung schwarz und grün und schwarz und grün, in endloser Folge. Er weiß, dass die andere Seite jenes fernen Horizonts sich in denselben leuchtenden Wogen erstreckt, so wie er weiß, dass dieses ganze Land und noch mehr einmal ihnen gehörte, als sie durch das Gap kamen und es in Besitz nahmen, und falls sie nicht die erste Familie hier waren, so fehlte doch nicht viel. Sie seien in erster Linie Kentuckier, dann Virginier und schließlich Christen, und das Ganze sei ihr Verdienst, sagte sein Vater. Die ganze gottverdammte Unternehmung.

Viertens: Erstgeburt ist der beste Freund eines Jungen.

Hinter der Wand aus Mais hörte er Pferdegewieher und stürmte zu dem Zaun, der das Land der Forges vom ersten Tabakfeld trennte, das den Osbournes gehörte. Er kletterte über die grob behauenen Stangen. Als er über die Schulter blickte, sah er den stolzen rotbraunen Kopf eines Walkers um die Ecke biegen, flitzte zu den ersten hüfthohen Pflanzen, kroch dazwischen und warf sich auf das feuchte, aufgelockerte Bett. Presste das Gesicht auf den Boden, der weder rot noch braun wie Tonerde war und seine ramponierte Wange mit Kriegsbemalung färbte.

Pferd und Reiter bogen um die Ecke. Der Walker lief locker und leichtfüßig, Kopf und Hals äußerst aufrecht, die großen Augen sanft wie Monde, mit der angeborenen Gelassenheit seiner Rasse. Aus Gewohnheit überblickte das Pferd seine Umgebung, verlangsamte in der Nähe des Zauns sein Tempo und stolzierte an den Stangen entlang. Sein hoher Schweif strömte wie eine Fontäne aus der aufgerichteten Schweifrübe und ergoss sich dann über die verdeckten Fesseln fast bis zum Boden. Der Schweif zitterte und verriet das nervöse Blut, das in dem eher ruhigen Pferd strömte.

»Hmmmm«, sagte der Reiter so laut, dass der Junge an seinem schattigen Plätzchen auf dem Boden es hören konnte. Filip.

Fünftens: Diese Rasse war einmal eine Art von Besitz. So steht es in den Wirtschaftsbüchern.

Der Mann hielt sich so aufrecht wie das Pferd, sein Rücken kerzengerade, als wäre jeder Wirbel mit dem nächsten verlötet. Eine Hand hielt die Zügel, eine lag locker auf seinem Schenkel. Ein leuchtend grünes Blatt verdeckte seine Gesichtszüge, aber der Junge sah den glänzenden Kopf unter dem dunklen Kraushaar. Dieser Kopf auf dem starren Rücken wandte sich hin und her.

»Oh«, sagte der Mann plötzlich, lenkte das Pferd nach links, und nach einem tänzelnden vorbereitenden Schritt setzte es mit kraftvoller Anmut über den Zaun, worauf der erschrockene Junge durch die Pflanzen schoss wie ein heller Fisch und tiefer in das Tabakfeld tauchte. Das Pferd folgte ihm nicht, sondern blieb seitwärts tänzelnd am Rand des Feldes stehen, die aufgestellten Ohren auf die Stimme des Reiters fixiert.

»Mister Henry«, sagte Filip.

Henry kroch auf allen vieren davon.

»Martha White erwischt dich«, sagte Filip. »Glaubst du nicht?« Er wartete, dann: »Ich schnapp dich auch zu Fuß. Glaubst du nicht?«

Henry wusste nicht mehr, wo er sich in dem endlosen Tabak befand. Er schmiegte sich an den Fuß einer Pflanze und rief: »Ich war’s nicht!«

»Oh, ich weiß, dass du den Stier nicht getötet hast!«, brüllte Filip zurück.

»Ich schwör’s!«

»Ich weiß es, du weißt es. Das war irgendein anderer Dummkopf«, sagte Filip. »Und jetzt komm da raus.«

»Nein!«

»Na, komm schon …«

Henry erhob sich mit wackligen Beinen, und es sah aus, als würde er auf der Flucht durchs Meer waten. »Vater ist wütend auf mich.«

Der Mann zuckte steif mit der Schulter. »Erklär’s ihm. Der Verständige folgt der Vernunft.«

»Er hat dich nicht hinter mir hergeschickt?«

»Nee«, sagte Filip. »Ich hab dich verduften sehen wie ’nen Fuchs, der das Weite sucht, da bin ich hinterhergejagt.«

Der Junge biss sich auf die Lippe und kämpfte mit seinen letzten Vorbehalten, dann bahnte er sich einen Weg durch die Pflanzen zum Rand des Feldes. Filip starrte über seine scharfgeschnittenen Wangenknochen hinweg, beugte aber nicht den Kopf vor, während er ihm die Finger seiner Pranke entgegenstreckte. Weiße Schwielen prangten auf seiner Haut wie Geschwüre.

»Wohin reiten wir?«, fragte der Junge misstrauisch und überlegte noch immer, wie seine Chancen standen.

»Wohin willste denn?«, fragte der Mann.

»Nach Clark County«, sagte Henry, der erste Ort, der ihm in den Sinn kam.

»Tatsächlich?«, sagte Filip, und seiner tabakrauen Kehle entrang sich ein trockenes Lachen. Der Junge begriff die Bedeutung des Lachens nicht.

»Steig auf«, sagte er, und Henry gehorchte.

Sechstens: Im Leben muss man etwas riskieren. Ein notwendiges Übel.

Durch Filips Kraft und seinen eigenen Sprung hinaufgeschwungen, kletterte er zum Schoß des Mannes und setzte sich auf den Widerrist. Der kurze, breite Hals des Pferdes zuckte und zitterte unter ihm wie ein träumender Hund. Von da, wo er saß, konnte er direkt über den schwarzen Schopf und die Nase hinweg bis zu den großen samtigen Nüstern sehen.

»Reiten wir los«, sagte er.

»Noch nicht. Ich will mir erst eine Zigarette drehen. Halt mal«, sagte Filip, der eine Schachtel aus der Brusttasche seines karierten Hemdes zog. »Hm, ich hab kein Zigarettenpapier.« Er betastete seine Tasche. »Willste mit mir zum Laden reiten?«

»Klar«, sagte Henry und drückte winzige Blutstropfen von seinen Knien auf den Hals des Braunen. Er rieb sie mit dem Finger ein, und sie verschwanden im Körper des Pferdes, der so dunkelrot war wie Wein.

Filip ergriff die Zügel, und Martha White machte einen Schritt zurück und stellte sich vor dem Zaun auf.

»Gut festhalten«, sagte Filip, und als das Pferd aus der Hinterhand sprang, klammerte sich der Junge ängstlich oben am Hals fest, der Mann beugte sich zum Rücken des Jungen vor, und sie segelten über den Zaun.

»Bring mich nicht zum Haus!«, sagte Henry.

Filip riss am linken Zügel, die Stute wendete auf der Hinterhand, und sie folgten einem kaum erkennbaren Pfad um die andere Seite des Maisfelds, an dem kargen Grasstreifen entlang, der die Pflanzen von der Umzäunung trennte. Henry konnte gerade noch über die Spitzen der Maispflanzen hinwegschauen, die höher waren als der schaukelnde Kopf des Pferdes und ihm selbst bis zur Brust reichten. Die büscheligen Spitzen waren gefiedert und völlig reglos, nur eine leichte Brise strich wie eine unsichtbare Hand über die Fläche und mäanderte vom Haus herab zu den Tabakfeldern hinter ihnen. Links von ihnen verlief im Zickzack der Weidezaun und in seinem Schatten die Überreste seines Vorgängers. Vor siebzig Jahren gebaut, war der Zaun allmählich verrottet, bis er in Gras und Erde aufging. Jetzt war nur noch ein sich seitwärts windender Wall hinter dem jüngeren Zaun zu sehen.

Henry tätschelte die Mähne des Pferdes. »Lass sie in ihrem witzigen Schritt gehen«, sagte er.

Filip schnalzte zweimal, nahm die Zügel fest in die Hand und trieb die Stute in einen Running Walk, so dass ihre Vorderbeine zu arbeiten schienen, raumgreifend und die geraden Hinterbeine mitziehend, die mutig folgten, wobei sich der Kopf wie bei einem Steckenpferd hob und senkte. Der natürliche Drang zu laufen trieb ihre steifen Gliedmaßen an, und in jener dynamischen Spannung hob sich ihr Rücken weder, noch senkte er sich, und die beiden Reiter schwebten auf dieser Körperhaltung dahin, als säßen sie auf einer gleichmäßig laufenden Lokomotive. Henry lehnte sich gegen den Wall von Filips Brust zurück.

»Hat sie Kopfschmerzen?«, fragte Henry, als er das Ruckeln ihres Kopfes bemerkte.

»Nee.«

»Will sie galoppieren?«

»Das hat sie mir nicht gesagt.«

»Sie läuft wie eine Maschine.«

»Hm.«

Siebtens: Lebewesen sind nichts anderes als komplizierte Maschinen.

Schweigend ritten sie weiter zu der Stelle, wo der Bach über den südlichen Rand des Besitzes hinausfloss und inmitten von Unkraut, hohen Gräsern und Schilf Prallhänge und kleine, sandige, halb im Wasser liegende Untiefen bildete. Breitstämmige Walnussbäume und Erlen erhoben sich am Bachbett, um Schatten zu spenden und aus dem von Felsen durchzogenen Wasserlauf einen geheimen Weg zu bilden.

»Lass uns über den Zaun springen und ins Wasser runterreiten, dann können sie uns nicht sehen«, sagte Henry.

Filip sagte nichts.

Henry verdrehte den Hals, um das Gesicht des Mannes zu sehen. »Na los«, sagte er.

»Martha White will sich keine nassen Füße holen.«

Sie näherten sich dem Ende des Feldes, das Haus wurde sichtbar.

»Ich will nicht mehr in den Laden«, jammerte Henry, doch da schlug Filip mit einer plötzlichen, heftigen Bewegung fest mit den Zügeln, und seine Arme legten sich über die Arme des Jungen wie eine Spange über Musselin.

»Nein!« Doch der Walker brach in Galopp aus, und der Junge, nicht darauf vorbereitet, prallte schmerzhaft gegen den vorstehenden Sattelknopf, während sie knapp um den Rand des Maisfelds bogen und seinen Vater auf der anderen Seite warten sahen. Henry schrie und strampelte, während das Pferd vor John Henry hielt, den Hals vorgestreckt und die Ohren angelegt, um dem strampelnden, fuchtelnden Passagier auf dem Widerrist auszuweichen.

John Henry trat an das Pferd heran, die Lippen zusammengepresst, so dass sie aussahen wie blasse Narben.

»Du hast mich reingelegt!«, rief Henry und drehte sich im Sattel, um mit der Ellbogenspitze nach Filip zu stoßen, entblößte dabei aber seinen Hals, und sein Vater packte ihn am Hemdkragen und hob ihn aus dem Sattel wie einen kümmerlichen Welpen. Er hing in der Luft, gab einen erstickten Laut von sich, und seine Hände griffen nach denen seines Vaters. Der ließ ihn kurzerhand fallen, und der Braune wich zur Seite und brachte Filip außer Reichweite.

»Nigger!«, rief Henry.

»Sei still!«, sagte John Henry.

Achtens: Niggerniggerniggerniggerniggerniggerniggernig

Filip ritt zu den Ställen, und die Stute zockelte langsam und geschmeidig davon, und auch wenn sich Henrys Augen mit Tränen füllten und er kaum etwas sehen konnte, suchte er nach einer Gedankenverbindung, das Pferd war wie, das Pferd war wie: etwas, jemand, er konnte nicht benennen, wie es mit seinen breitgeschwungenen Hüften davontrottete, der Hintern durchzogen von geschmeidigen Muskeln, doch er wusste, es war weiblich, ja – es bewegte sich wie eine Frau vom Hinterteil aus.

Sein Vater zerrte ihn hoch, seine Hände eine alte Geschichte.

»Ich war’s nicht!«, rief Henry, aber sein Mund bildete Worte, die er eigentlich gar nicht dachte, denn in Gedanken wunderte er sich über die seltsame Familie der Dinge.

»Steh auf!«

Er wollte nicht aufstehen; er ließ sich ziehen, vergaß das Pferd jetzt, vergaß Filips Lüge und flehte, bis seine Stimme so hoch war, dass seine Worte in weinerliches Geschrei übergingen.

Der Vater zerrte den Sohn über einen breiten Grasstreifen zu dem Pfahl bei den alten Hütten und löste dabei mit einer Hand seinen schwarzen Gürtel. Er bemühte sich, ihn um seinen Sohn zu schnallen, doch der Junge blähte den Bauch wie ein Pferd, das verhindern will, dass der Sattelgurt zu straff sitzt. John Henry drehte ihn einfach um, das Gesicht zum Pfahl, und die ganze Luft strömte mit einem Winseln heraus.

»Wenn du den Gürtel losmachst, wirst du’s bereuen, das kannst du mir glauben«, drohte John Henry. Die Hände des Jungen sackten ohne weitere Gegenwehr an seinem Körper herab, und sein Kopf sank nach vorn, seine Wange streifte den Pfahl. Er weinte, ohne sich vom Fleck zu rühren.

John Henry legte die Hand fest auf den Kopf seines Sohnes. »Ist dir klar, dass du heute hättest sterben können? Die Dummheit, die du begangen hast … Ich lass dich hier eine Weile stehen und darüber nachdenken, was du deiner Mutter damit angetan hättest.«

Henry sagte nichts.

»Wenn ich zurückkomme, peitsch ich dich aus«, sagte sein Vater, »aber erst sollst du die Gelegenheit haben, hier zu stehen und nachzudenken. Und rühr die verdammte Schnalle nicht an, Junge.«

»Aber ich war’s nicht«, warf Henry ein.

John Henry kniff die Augen zusammen und sagte mit dorniger Ruhe: »Du bist ein Lügner, und das ist eine Schande für mich.«

Der Junge wollte weinen oder etwas sagen.

»Ich hab dir diesen Mund gegeben. Und ich sage, wann du ihn aufmachen darfst.«

Er kräuselte die Lippen zu einem jämmerlichen Bild des Kummers, und dann war sein Vater verschwunden.

Der grob behauene, zerfurchte Pfahl stand schon länger dort, als der Junge zurückdenken konnte. Er war halb so groß und fast so dick wie ein Mann, von den Jahren entrindet und poliert, gegerbt von Tränen und Blut und Wetter, aber ach, was machte es schon, er hing daran wie ein Schwein am Spieß, doch er war’s nicht gewesen, er hatte das Land der Millers nicht betreten, wo der Stier gestanden hatte

Neuntens: Der Mensch soll herrschen über alle Tiere auf Erden.

den Kopf abgewandt, als würde er wie ein Pferd im Stehen schlafen, ohne sich vom Fleck zu rühren – weder als Henry durchs hohe Gras schlich, noch als er das Streichholz anzündete –, bis der Kracher knallend und kreischend explodiert war. Der erschrockene Stier hatte einen Schritt nach vorn gemacht und war steif zu Boden gesunken, seine Brust hatte sich verkrampft, die Hinterbeine hatten gezuckt wie elektrische Kabel, und der Atem war aus seiner Lunge gezischt wie aus einem Reifen entweichende Luft.

John Henry war wieder da, er stand vor ihm und warf seinen Schatten über ihn. Er war kräftig gebaut und rothaarig statt kupferblond wie sein Sohn, doch sie waren eindeutig aus demselben Holz geschnitzt, verbunden und getrennt wie zwei Seiten in einem Buch.

»Ich will, dass du mir gut zuhörst«, sagte er. In seiner Hand, die erste Altersflecken aufwies, hielt er die scharfe Zunge der Gerte. »Ich stehe dir gegenüber in der Pflicht wie du mir gegenüber.«

»Vater …«, leise, flehend.

»Keiner meiner Söhne soll mich je belügen.« Er stellte sich breitbeinig hin. »Henry, mich kümmert’s nicht, dass du heute ein Tier getötet hast. Ein Tier ist bloß stumpfe Materie. Da mache ich mir nichts vor. Aber du hast nicht nur ein Tier getötet, sondern den Besitz eines anderen Menschen zerstört. Bob Millers Familie lebt seit drei Generationen auf dieser Farm. Glaubst du, sein Land bedeutet ihm viel? Frag dich, ob uns unseres viel bedeutet. Wenn er Wert legt auf dieses Land, auf dem ziemlich wertlose Tiere wie Rinder und Milchkühe stehen, wie viel Wert legen wir dann wohl auf unser Land, um das wir uns schon doppelt so lange kümmern? Unser Getreide ist unsere Familie. Wenn du dich also unter unserer Würde benimmst, wenn du dich wie ein Narr aufführst, dann beschämst du eine lange Reihe von Männern, die hinter dir stehen, Henry, die hinter dir stehen und dich stets beobachten.« Dann fügte er hinzu: »Ich kann nur hoffen, dass du mir zugehört hast. Du hast keine Ahnung, was ein Mann für seinen Sohn opfert.«

Er zog dem Jungen die Shorts von den Hüften, die in einem khakifarbenen Haufen um seine Knöchel hingen. Seine weiße Unterhose war durchgeschwitzt, und seine Gesäßritze zeichnete sich als dunkle Linie durch die Baumwolle ab.

»Heute peitsche ich nicht meinen Sohn, sondern nur ein Tier aus. Denn so hast du dich verhalten.«

Henry drückte die zerschrammte Wange an den Pfahl, und seine Augen quollen hinter den Lidern auf. Doch der Schlag kam nicht. Sein Vater, stets der Rechtsanwalt, fragte: »Hast du irgendwas zu deiner Verteidigung vorzubringen?«

Auf diese Frage hin reckte Henry den Hals ungestüm über die Schulter und rief, die Augen in Erwartung des bevorstehenden Schlags halb geschlossen:

Zehntens: Ich hasse dich, seit ich in meiner Mutter war! Sic semper tyrannis!

»Ich bin nicht schuldig!«

John Henry hob die Gerte und schlug seinen Sohn.

Weit hinter der Straße stöhnten die Rinder sehnsüchtig nach einer Nacht, die nur stockend kam. Die Luft war unruhig, und die Grillen zirpten. Der heiße, feuchte Augustatem hob sich vom Boden, wo er den ganzen Tag geschwelt hatte, und stieg auf, um sich mit den kühleren Luftströmen zu vereinigen, die über ihm schwebten. Lüfte küssten sich und bildeten Schichten, bleichten und verdünnten sich, während die Sonne aus ihrer Verankerung glitt und zum Gestade der Erde sank. Ihre Mitte war so orange, wie ihr Schattenrand schwarz war. Der Himmel färbte sich immer röter, während das Orange der Sonne erdiger wurde und an Leuchtkraft verlor. Darüber bildeten wirbelnde Wolken eine Treppe aus dunklen Bändern vor dem Rot, und die Stufen spannten sich über die Breite des Himmels. Sie stapelten sich eine über die andere und immer weiter über der Sonne, bis die höchsten Bänder sich in endlosen Schatten erstreckten, sich weiter verdunkelten, als sie den Gipfel des Himmelsbogens erreichten, und dann übergangslos in den aufziehenden Abend trieben. Im Osten erschien ein schwärzliches Blau und breitete sich über das Haus wie ein gewaltiger Flügel in nächtlichem Flug. Doch der Tag war noch nicht vorüber, er schüttelte seine letzten Strahlen aus, und während niedrige Wolken vor die ermattete Sonne glitten, wurde das wandernde, freigebige Licht verschluckt und kehrte danach zurück, als wäre es gelöscht und sofort wieder entzündet worden. Die westlichen Zimmer des Hauses registrierten diesen Wechselgesang – Wände, die mal voller Farbe waren, mal gedämpft, dann wieder rot, das Orange mit Grau überdeckt, geschmolzene Farbe, die durch die Gardinen drang und die Inneneinrichtung sprenkelte. Walnussleisten, Bilderrahmen und die Enden der Gardinenstangen leuchteten alle kirschrot wie mundgeblasenes Glas. Jetzt wehte ein leichter Wind, die Vorhänge bewegten sich, die Sonne sank, bis nur noch ein Splitter zu sehen war, und im letzten Licht schwärmten Fledermäuse um die Dachtraufen, flink, beinahe schwerelos und kurz kreischend. Irgendwo rief ein Tier nach seinem Gefährten. Eine Waagschale neigte sich. Dann war es dunkel.

Der Junge lag auf dem Bauch im Bett. Er wusste nicht genau, ob er geschlafen hatte. Das Licht spielte nicht mehr auf dem dünnen Film seiner Lider, und seine Mutter war zurückgekehrt. Als sie an der Lampenschnur zog, erstrahlte das Zimmer in warmem Licht. Henry murrte kurz und drehte das Gesicht zum schwarzen Fenster. Da sie die Hand nicht nach ihm ausstreckte, drehte er sich wieder um und sah, wie sich ein schmaler Finger in sanftem Tadel hin und her bewegte. Seine Mutter trug einen hellen Morgenrock, fest gegürtet unter ihren kleinen Brüsten, und ihre blonden Locken hatten sich in der Hitze in schlaffe Strähnen verwandelt.

Henry sah sie bloß missmutig an.

Sie neigte den Kopf zur Seite, starrte ihn gespannt mit weit aufgerissenen dunkelbraunen Augen an und hob die Hände mit nach oben gerichteten Handflächen bis zu den Schultern.

»Ich weiß nicht«, murmelte Henry.

Sie beugte sich weiter herunter, um seinen Mund zu sehen. Ihre Brauen zogen sich zusammen, so dass die Haut dazwischen sich kräuselte, und sie verschlang ihn mit ihrem Blick.

Rede, forderte sie ihn in Gebärdensprache auf.

Keine Lust, signalisierte er mit der Hand, die neben seinem Kinn lag, die Gesten knapp und unvollständig, eher ein Schnippen als Gebärdensprache.

Sie sprang vom Stuhl auf und legte sich neben ihn, eine Sylphe, und er musste sich beherrschen, um sich nicht an sie zu schmiegen. Er roch den Duft von verflogenem Parfum und Puder und etwas in ihrem Atem, das er nicht erkannte, doch es roch nicht unangenehm, wie Graham Cracker oder Kaffee mit Sahne. Sie berührte seinen Nacken und den oberen Teil des Rückens, aber nicht die tiefere Rückenpartie, wo sich an der Taille schräge Striemen kreuzten, oder noch tiefer, wo das rohe Fleisch wie ein rotes Seil seiner Gesäßspalte folgte.

Du hättest sterben können, gestikulierte sie mit traurigem Clownsgesicht und ließ dann die Hände reglos auf die Matratze sinken.

Er zuckte mit den Schultern, starrte eisern auf die Matratze und verweigerte sich. Die Seide ihres Morgenrocks kräuselte und bauschte sich, als sie laut und schwer atmete, und der Stoff fiel wie Wasser von ihrer erhöhten Hüfte in das Becken an ihrem inneren Schenkel.

Ich bin dir egal, zeigte sie und tupfte die Spur einer unsichtbaren Träne vom inneren Augenwinkel zu ihrer Lippe.

Er zuckte mit den Schultern. »Vater sagt, ich rede zu viel.«

Sie schüttelte auf der Matratze den Kopf, und eine angefeuchtete Locke baumelte lose vor ihrer nachgezogenen Braue.

»Er sagt, mein Mund ist meine Achillesferse.«

Bin ich nicht hübsch genug, damit du mit mir redest?, gestikulierte sie mit leuchtenden Augen, die Lippe vorgeschoben.

»Red mit Vater, wenn du reden willst«, nörgelte er und traf genau ins Ziel. Ihr Gesicht wurde ausdruckslos, ein glatt gebügeltes weißes Tuch. Doch als Henry die jähe steinerne und mönchische Zurückhaltung sah, die ihr Gesicht verunstaltete, gab er klein bei. Sein Vater hatte nur die einfachsten Gebärden gelernt.

Er zeigte: Okay.

Ihr Gesicht hellte sich auf, doch bevor sie mit den Händen ein Wort bilden konnte, begann er zu schluchzen: »Es tut weh.«

Nickend, ein Zeh in Nylon über seinem Fußrücken wispernd, streichelte ihre Hand die Luft über der lädierten, aufgeplatzten Haut, wo die kräftigen Hiebe gelandet waren. Sein ganzer Körper war in der Wölbung seines Rückens und zwischen seinen Gesäßbacken konzentriert, wo die schmerzhaften Linien, die sein Vater gezogen hatte, in einer heißen Rosette zusammenschwollen. Der Schmerz stieg und fiel in einer Synkope gegen seinen Atem und den regelmäßigen Puls seines Blutes. Er würde zwei Monate lang nicht schmerzfrei scheißen können.

»Er hat mir wehgetan«, klagte er. Seine Mutter schmiegte sich an ihn, reine Seide für seine Schmerzen. Sie gab ihm einen Kuss auf die Nase.

Mein Schatz, gestikulierte sie, Daddy wollte dir nicht wehtun.

»Ich hasse ihn«, sagte er, die Augen voller Tränen.

Sie kräuselte die Lippen. Dann erwiderte sie: Blut wässert die Rebe.

»Wenn ich mal Kinder habe, werde ich nie böse zu ihnen sein«, fauchte er. »Niemals.« Aber als er versuchte, sich seine Kinder vorzustellen, war er sein einziger Bezugspunkt. Es würden einfach weitere Exemplare seiner selbst sein, und dann würde er seinen Platz in der Reihe einnehmen, von der sein Vater gesprochen hatte, dieser in der Familiengeschichte durch Zeugung gebildeten Verkettung, die nicht mit ihm enden würde. Es.

Er wollte darüber nachdenken, doch er war todmüde, die Kopfschmerztablette wirkte, und seine Gedanken rissen sich immer wieder los, kehrten dann ruckartig wieder zurück, und immer war seine Mutter da und blickte ihn mit Augen so tief und dunkel wie Höhlen an. Er döste und spürte ihre sanfte Hand auf den Linien und Rundungen seines Gesichts – der Brauenwulst, der schon bald aus seiner weichen Vertiefung hervorkommen, das Kinn, das sich wie bei seinem Vater unter den feinen Wangenknochen verbreitern würde, eine stolze Nase, alles Kennzeichen jener Männer, die in ihm weiterlebten und Ringe in seinen Knochen, Ringe im Familienstammbaum bildeten: John Henry, gezeugt von Jacob Ellison Forge mit Emmylade Sturgiss, und Jacob, gezeugt von Moses Cooper Forge mit Florence Elizabeth Hardin, und Moses, gezeugt von William Iver Forge mit Clara Hix Southers, und William, gezeugt von Richmond Cooper Forge mit Florence Beatrice Todd, und Richmond, gezeugt von Edward Cooper Forge mit Lessandra Dear Dixon, und Edward, gezeugt von Samuel Henry Forge mit Susanna Lewellyn Mason, und es war Samuel Forge, der in der alten Zeit in der alten Sprache durch das Gap gekommen war:

Er war an den Hängen Virginias aufgewachsen, wo der Forge-Clan hundert Jahre auf einer Tabakfarm im Bergvorland residiert hatte, weit östlich von der geheimnisvollen, waldreichen Wildnis. Doch das Old Dominion war zu klein, zu fade für einen Mann wie Samuel Forge, und Virginia kämpfte für eine Freiheit, die bereits eingeengt und beschnitten war, deshalb hatte er das Gefühl, trotz seines Reichtums mit leeren Händen dazustehen, und sein rastloser Blick wandte sich dem bewaldeten Westen zu. Er brach auf in diese Weite und ließ die Frau, die seinen Sohn Edward zur Welt gebracht hatte, vorerst zurück, nahm nur einen Narragansett Pacer mit, den er als Hengstfohlen großgezogen, und einen Sklaven, den er für dreihundertfünfzig Dollar in der Wall Street in Richmond gekauft hatte, jünger als er, aber stärker, redegewandt und nützlich. Der Schwarze ritt einen Rotschimmel mit Kötenbehang über seinen dicken, kräftigen Fesseln und folgte ihm, die Steinschlossbüchse am linken Sattelblatt festgeschnallt. Sie durchquerten das idyllische Bergvorland, ritten auf ausgetretenen Wegen westwärts, über die ersten blauen Bergrücken, die sich aus den steinigen Ebenen auffalteten und erhoben, bis sich die breiten Wege zu einem Pfad verengten, der sich wie ein grobgewebter Faden durch die Wildnis zog. Die kultivierte Welt Virginias wurde leiser und verstummte schließlich, abgelöst von dem ungezügelten Lärm des Hartholzwaldes. Hinter diesen ersten lockenden Bergrücken mit dem weißen Nebel über dem schwarz bewaldeten Inneren lag die Verheißung endlosen Landes. Forge und sein Sklave setzten sich im Sattel zurecht und kontrollierten ihre Gewehre. Hinter dem letzten Fort stießen sie auf ein paar karge Farmen mit verstreuten Maisfeldern und Kindern, die mit wollenen Lumpen ausstaffiert waren und aussahen wie zerschlissene Puppen mit Haaren aus Garn, ungeschulte Köpfe auf kirchlosen Körpern. Einen halben Tag später begegneten sie einem Rudel Hunde, die niedergemetzelten Familien in fernen Hütten davongelaufen waren, und diese Hunde streiften jetzt den Pfad entlang wie früher die Bisons, struppig und zähnefletschend. Hier und da der beißende Rauch von Gekochtem. Weit hinter den steilen Hängen mit Bäumen und felsigem Boden wurde Holz gehackt. Eines Tages sahen sie über sich einen Papagei, der seiner filigranen Vergangenheit entflohen war, jetzt auf dem Ast einer Kastanie saß und von eins bis drei zählte. Dann nichts mehr, nichts als ein immer schmaler werdender Pfad durch endlose Wildnis. Sie ritten weiter, der Schwarze hinter dem Weißen, und keiner von beiden sprach. Der Weg wurde holprig, während er sich die Felsrücken hinaufschraubte, feucht von Flechten und Moos, und hinunter in Scharten, so eng und dumpfig wie Gräber, wo Holz und viele Generationen von Laub verrotteten. Sie ritten weiter. Als sie die höchsten Bergrücken bezwungen hatten, erstreckte sich vor ihnen das zerschnittene Plateau, lange Kämme, die Erdschichten enthüllten, endloses Grün und Blau und Grau unter dem riesigen Himmel. Wenn die Täler sich manchmal für Bäche und Flüsse verbreiterten, erblühte das Land strahlend im Sonnenlicht und wimmelte von Vögeln. Dort rasteten die Männer, tränkten die Pferde und durchquerten die Furt, denn die letzte Fähre war schon viele Wasserläufe entfernt.

Sie schliefen zu beiden Seiten desselben Baums, der Rinde den Rücken zugekehrt, noch im tiefsten Schlummer halbwach. Der Schwarze hielt ein Auge wegen der Cherokee offen und Forge wegen der Shawnee. Und jeden Morgen setzten sie ihren Ritt nach Westen fort, führten die Pferde manchmal am Zügel, saßen manchmal im Sattel oder lagen flach darauf, um dem niedrigen Sparrenwerk der Bäume auszuweichen. Sie kletterten und schlichen und stolperten und hackten, die Sinne stets hellwach wegen der Indianer. Als sie sich durch den schlimmsten Teil des Pfades gekämpft hatten und darauf hoffen konnten, das Powell’s Valley genannte Tal bald zu erreichen, kam ihnen ein Mann ohne Pferd aus einer Wegbiegung entgegengetaumelt, und sie hielten erstaunt ihre Pferde an, doch er schenkte ihnen keine Beachtung, sondern ging mit einer zerrissenen Leinentasche und einem Jagdmesser an ihnen vorbei, starrte mit wildem Blick geradeaus und murmelte im Gehen kindisches Zeug. Forge hielt sein Gewehr fester und gab seinem Pferd die Sporen, doch der Sklave drehte sich um und beobachtete den Mann, bis er nicht mehr zu sehen war, und hielt noch lange danach Ausschau nach ihm.

Sie erreichten das Gap am Nachmittag, legten mühelos die letzten zehn ebenen Kilometer zurück und behielten den gewaltigen Gipfel, der sich zur Rechten auftürmte, den flacheren Bergrücken zur Linken und den tiefen Knicks dazwischen im Blick. Im offenen Land fanden sie einen Bach und eine Höhle und durchquerten es so schnell wie möglich, und auch wenn sie keine Indianer sahen, sahen die Indianer sie. Sie überwanden den Bergsattel und ritten in die heißen, feuchten Hügel, deren Faltung sich auf der anderen Seite verdoppelte, so dass der Pfad tagelang in unerträglichem Übermaß erbarmungslos anstieg und abfiel, und ihre Angst hatte etwas Schmerzhaftes. Ein Pferd wurde bei der Futtersuche von einer Schlange gebissen, und sie saugten ihm das Blut aus der Wunde und warteten drei elende Tage, bis es wieder das Gebiss nahm. Dann ging es weiter, und am nächsten Tag fanden sie einen skalpierten Hund in einem Feld voller Farn, einen Jagdhund. Sie begruben ihn unter einem Haufen Geoden, sahen eine Woche lang kein weiteres Anzeichen für Reisende, nur Spuren von Bären, Wölfen, Füchsen und Kaninchen, und nachts hörten sie die weiblichen Schreie der Wildkatzen.

Schließlich mäßigte, beruhigte sich das Land, und sie überquerten in strahlendem Sonnenschein eine Lichtung. Als sie sich der Kuppe eines der letzten großen Hügel näherten, hielt Forge an und blickte zurück über das gefahrvolle Land, durch das sie gekommen waren und wo er auf demselben Weg in einem Jahr seine Besitztümer transportieren würde, mit seinem Willen als einziger Antriebskraft, die all die Packpferde, Kinder, Sklaven und Maultiere über die Berge beförderte. Auf diesem letzten großen Hügel sah Forge endlich die Buckel, die das Ende der Berge verkündeten, und sie hielten darauf zu.

Hinter diesen Buckeln entdeckten sie eine transsylvanische Ausdehnung des Landes, in der es seine hohen Schieferhügel ausrollte und zu einem fernen Fluss abfiel, den sie nicht sehen konnten, aber dort vermuteten. Forge hielt auf dieser Hochwiese an, schabte mit dem Finger über den Boden, und beim Anblick der dünnen gelben Erde, die an Lehm erinnerte, blieb ihm fast das Herz stehen. Sein Sklave sagte nichts; sie hatten noch einen weiten Weg vor sich, bis sie ihr Ziel erreichen würden. Forge saß wieder auf und schob die Füße in die Steigbügel, die ihn qualvolle dreihundert Kilometer weit getragen hatten, und binnen kurzem kamen sie an den Fluss, der sich hundert Meter unter den Kalksteinklippen entlangschlängelte. Sie staunten über den Abgrund und stiegen das Steilufer hinunter, die Pferde scheuten und sanken auf die Hinterhand, als der Pfad abfiel, und der Tag und die Hitze schwanden dahin. Sie ritten an der entblößten Felsmuskulatur des Plateaus vorbei, über loses Kalksteingeröll, wo gespaltene Platten den Canyon geformt hatten; die Pferde strauchelten auf diesen verschütteten Innereien, während sie den grob in den Fels gehauenen Pfad entlanggingen, vor Anstrengung schnaubend. Am kühlen Fuß des Canyons schwammen sie durch den grünen Fluss und erklommen den Wall auf der anderen Seite. Als sich ihnen schließlich hoch über dem Wasser der Sommertag wieder darbot, hatten sie das letzte große Hindernis westlich der Berge überwunden, und ihr Ziel war nahe. Am nächsten Tag erreichten sie bei Einbruch der Dunkelheit Lexington.

Doch in diesem Außenposten herrschte geschäftiges Treiben, es gab Hütten mit hübsch gestalteten Gärten, und Frauen spazierten dort paarweise plaudernd auf bereits parzelliertem, verteiltem Land, deshalb zog Forge, angestachelt von seiner Unzufriedenheit, nach Nordosten weiter, und sie ritten schnell durch den ebenen Wald mit seinen gelegentlichen Kleewiesen. Sie sahen keinen Menschen, obwohl sie einem schwachen Pfad folgten, der voller Hufspuren war. Schon bald wurde das Unterholz ringsum dichter, bis sie abstiegen und sich gezwungen sahen, sich einen neuen Weg zu bahnen.

Sie durchquerten Bäche, in denen es von Fischen wimmelte, und ritten durch Ahorn- und Schwarzeschenhaine, und schließlich erreichten sie einen Fluss, von dem sie gehört hatten, doch von den Siedlungen dort wandten sie sich nach Süden. Sie kamen an einer abgelegenen schornsteinlosen Hütte an einem Bach vorbei, wo ihnen ein Mann namens Stoner Schwarzbrot mit Sahne anbot, und dann gab es nichts mehr, das auf Einzäunung, Verpflichtung, Gefangensein oder Zivilisation hindeutete. Forges Blut kam in Wallung, und nach ein paar Stunden stießen sie auf einen sich sanft windenden Bach, der ein langes Schilfdickicht mit Wasser speiste, ideal, um Rinder zu mästen, mit einem breiten Streifen ebenem Land im Norden. Die beiden Männer ritten ostwärts an der plappernden Zunge des Baches entlang, bis er tief unter schwarzen Lippen in einem dunklen Rachen verschwand. Nach einem weiteren Kilometer fiel das ebene Land allmählich ab zu einem anderen Bach und stieg in weiter Ferne wieder an. Am Rand dieses riesigen Talkessels saßen sie ab. Ihre überstrapazierten Pferde standen erschöpft neben ihnen und starrten geradeaus, die Augen riesig in den abgezehrten Köpfen.

Forge hob die Hand an seine sonnenverbrannte Stirn und blickte auf den gewaltigen Landstrich hinaus. Dann drehte er sich mit einem Nicken lächelnd zu dem Mann neben ihm um. »Das ist das Land, das ich ein Leben lang gesucht habe«, sagte er.

Der Sklave, der Ben genannt wurde, von einer Mutter, an die er sich nicht erinnern konnte, aber den Namen Dembe erhalten hatte, brauchte die Augen nicht zu beschirmen, während er den Blick über das Waldland schweifen ließ, in dem die Bäche und Quellen quirlig durch das dunkle Grundgestein sprudelten.

»Ein bisschen karstig«, sagte er. »Vielleicht sollten wir umkehren.«

Forge warf den Kopf zurück und lachte, dann bückte er sich und griff nach den saftigen Gräsern, von neuem daran erinnert, warum er seinen Lieblingssklaven statt einen seiner jüngeren Brüder mitgenommen hatte – damit sie ein Land, von dem Forge nur geträumt hatte, richtig erkundeten, damit er Forges Leben auf Kosten seines eigenen schützte und ihn obendrein belustigte.

Neben dem Bach, der als Forge Run bekannt wurde, wurde eine rohe, dreischiffige Hütte errichtet. Diese blieb sieben Jahre lang Samuel Forges Wohnstätte und wurde zu einer Hütte für Sklaven, nachdem eine Gruppe englischer Maurer ein neues Steinhaus mit zwei Stockwerken, ebenso vielen Treppenaufgängen, giebelseitigen Schornsteinen und verglasten Fenstern erbaut hatte. Doch dreißig Jahre später erzitterte das Haus, als ein Erdbeben die Silogruben einstürzen ließ wie alte Stollen, als der Forge Run über seine flachen Ufer trat, den Mais unter Wasser setzte und die erschrockenen Rinder in fünfzehn Zentimeter tiefem Schieferwasser standen und vor Angst ihre verschwundenen Fesseln anbrüllten. Als sich das Wasser zurückzog, ließ die linke Seite des Steinhauses seltsam die Schulter hängen, und es wurde genau wie die Siedlerhütte bald abgerissen. Das neue Heim der Forges wurde zweihundert Meter nördlich des Baches gebaut, ein Haus aus Tonnen von rotem Backstein, gebrannt von den Sklaven auf dem Land, die monatelang den Lehm zu Ziegeln formten und die Brennöfen befeuerten. Nach der Fertigstellung war das neue Haus robuster als sein Vorgänger aus Stein, mit einem schwarzen Ziegeldach und einer ausladenden L-förmigen Veranda auf der Südseite, die über die Felder und den Bach blickte. Die Rahmen und Simse im Innern waren dunkel gebeizt, die Wände graubraun, scharlachrot und eierschalenblau, mit Schiebefenstern auf allen Seiten und kleinen ovalen Oberlichtern an den Dachtraufen. Die Sonne ging jeden Morgen auf der anderen Seite des Talkessels auf und ließ die vielen Fenster funkeln, spähte dann den ganzen Nachmittag aus steilem Winkel herab, so dass das Haus gar nicht wie ein Haus aussah, sondern wie ein Pechfleck auf den grünen Feldern und dann, am Abend, wie ein großes rotes, optimistisches Gesicht. Dieses Haus überstand klaglos den Wechsel von Mais zu Hanf, den Bau von Steinmauern durch irische Maurer, die Ankunft von Nachbarfamilien, den Krieg, in dem Morgans Leute am Bach kampierten und alle Rinder und Pferde requirierten, dann schließlich die Rückkehr zum Mais, den Verkauf eines Großteils der ursprünglichen zwölfhundert Hektar und Leben und Tod von sieben Generationen. In diesem Haus wurde Henry Forge geboren und großgezogen.

Die Striemen auf seinem Rücken verblassten bald zu einer Straßenkarte in schwachem Relief, das erst rosa, dann weiß war und schließlich völlig verschwand. Er setzte nie wieder einen Fuß auf Millers Stierwiese und beglich seine Schulden für das Leben des Stiers mit einem Jahr ertragreicher Arbeit in der Melkscheune. Die frischen Septembermorgen verbrachte er in den Anbindeställen, wo der Mistgestank die saubere Luft verdrängte wie Rauch, der ein brennendes Zimmer erfüllt. Gott, er hasste die Kühe mit jeder Faser. Ihn schauderte, als er zum ersten Mal die geschwollenen Zitzen ergriff und Ströme warmer Milch herauspresste, die auf den Boden eines Blecheimers platschten. Er weigerte sich, wie die drei Töchter des Farmers beim Melken die Wange ans Fell der Kuh zu legen, und reckte den Hals zur Seite, um nicht mit der beängstigenden Masse des Tieres in Berührung zu kommen. Diese Demütigung ertrug er tagtäglich.

Eines Septembernachmittags, als das siebzig Tage währende Säugen der Kälber vorbei war, war es schließlich Zeit zur Entwöhnung. Die jüngste Tochter der Millers zeigte ihm, wie es ging – ein Mädchen von sieben Jahren mit feuerrotem Haar, das Gesicht voller Sommersprossen, die Knie so dick wie Gurkengläser. Sie steckte ihre kleinen Finger ins Maul eines mageren schwarzen Kalbs und blickte zu Henry auf, ihr Mund ein kleines entzücktes o. »Das mach ich am liebsten«, sagte sie. »Am liebsten würde ich den ganzen Arm reinstecken.« Mit der freien Hand bedeutete sie ihm, es ihr nachzutun. Sein Kalb nahm seine Finger ins zudringliche Maul, und Henry bekämpfte das Verlangen, die Hand zurückzureißen, ließ sie an Ort und Stelle, wo dieser fremdartige, saugende Muskel an ihr herumfuhrwerkte.

»Zieh’s runter«, sagte das kleine Mädchen, das Ginnie hieß. Sie lotsten die Kälber zu den wartenden Eimern, bis ihre Hände und die Mäuler der Tiere in frische Milch getaucht waren. Dann zog Henry die Finger weg, und das Kalb schlabberte in der weißen Milch herum, schäumte sie auf. Das wiederholten sie so lange, bis die Kälber bereitwillig aus dem Eimer tranken. Henry wischte den Schleim und die Milch an seiner Jeans ab und starrte das schaumbespritzte Gesicht des Kalbs an. Es war jämmerlich, dass die zitzenberaubte Kreatur ihre Mutter so leicht gegen einen Eimer eintauschte.

»Nur Corgis sind besser als Kühe«, sagte Ginnie seufzend. »Die größeren.«

Henry begab sich einfach zum nächsten Kalb. Als das kühle Abendlicht in den Stall fiel und plötzlich schwere schwarze Schatten auf den Scheunenboden warf, verwandelte sich das Schwarz des kleinen Holsteiners in glänzendes Rot. Der Spätherbst brachte diese Schatten jetzt früh. Das zitronengelbe Licht des Sommers war verschwunden, das Obst war überreif oder verfault, das Laub ocker verfärbt. Die Maisstängel waren abgeschnitten, und bald würde der erste Frost die vergessenen Reste auf den Feldern erstarren lassen und mit Eis umhüllen. Während er dieses Licht anstarrte, wurde Henry zehn.

»Henry, willst du mal heiraten?«, fragte Ginnie.

Henry verzog das Gesicht. »Irgendwann vielleicht, keine Ahnung.«

»Du könntest doch mich heiraten!«

»Dich? Ausgeschlossen, du bist hässlich.«

»Bin ich nicht!«

Henry seufzte. »Wenn ich heirate, dann eine schöne Frau. Mein Vater sagt, ich soll keine Zeit auf hässliche Mädchen verschwenden.«

Große, dicke Tränen stiegen in Ginnies Augen. »Mit einem hübschen Mädchen hast du nicht halb so viel Spaß wie mit mir!«, plärrte sie, doch Henry war von den Blüten seines Atems in der plötzlich eisigen Scheunenluft abgelenkt.

»Wann ist es denn hier drin so kalt geworden?«, fragte er und lief zur Wand mit der Hängeleiste, wo seine Winterjacke an einem Haken hing. Durch ein Astloch in einem Wandbrett betrachtete er die Farm, die jetzt eine weiße Schneekugel war, unterbrochen von den dunklen Gestalten der groß gewordenen Kälber. Noch vor kurzem waren sie neben ihren Müttern herumgetollt, doch jetzt standen sie in gestaffelten, schneebedeckten Gruppen zusammen. Während Henry hinausschaute, kroch die Dunkelheit der winterlichen Einöde über sie.

Ginnie, damit beschäftigt, Kuhmist zu schaufeln, schien ihm verziehen zu haben und sagte: »Vielleicht kannst du heute länger bleiben, und wir können was spielen.« Sie beäugte ihn mit heimlichem Entzücken. »Wir können so tun, als wäre eure Farm ein böses Königreich, und du bist ein Baby, das ich vor dem bösen König rette!«

»Ginnie, ich bin zu alt zum Spielen.« Henry zog eine Wollmütze über sein kupferrotes Haar und wollte gerade zur Stalltür hinausgehen, als irgendwas gegen die Rückseite seiner Jacke geschleudert wurde. Ein Kuhfladen.

Er sagte nichts, das würde sie bloß ermutigen.

»Ich werfe noch mehr!«, rief Ginnie mit der Leidenschaft junger Liebe, die eindeutig qualvoll geworden war, während der Winter sich unter einem unruhigen Passatwind erwärmte. Als Henry sich nicht umdrehte oder sie auch nur zur Kenntnis nahm, kam sie mit noch mehr Kuhmist in den Händen aus der Scheune gestürmt, wurde aber von dem Schnee aufgehalten, der sich in Schlamm verwandelte. Schmutzige Überreste des Winters blieben wie alter, zerfetzter weißer Stoff über die ganze Farm gebreitet.

»Henry!«, rief sie, während er gleichförmig den Weg entlangging, seine Mütze und seine Jacke abstreifte und in Frühlingsschweiß ausbrach. Die Luft war von lautem Vogelgezwitscher erfüllt, das Nachmittagslicht gebrochen durch einen Vorhang aus Blütenstaub. In dem Feld zur Linken, das an die Straße grenzte, waren die männlichen Kälber inzwischen Rinder, auf kräftigen Beinen und immer fetter werdend. Sie wiederkäuten mit der Resignation des Alters.

Ginnie hechelte hinter Henry her. »Weißt du, was sie als Nächstes erwartet? Weißt du, was als Nächstes kommt, Henry Forge?«

Henry riskierte einen Blick zurück, und Ginnie zog mit verrücktem Grinsen, die Augen weit aufgerissen, einen Finger über ihre Kehle.

Er verdrehte die Augen. »Ich muss los, Ginnie. In fünf Minuten hab ich bei Vater Unterricht.« Die Sonne verbrannte seinen schon roten Nacken.

»Also, mein Daddy sagt, dein Daddy glaubt, dass seine Scheiße nicht stinkt! Und ich glaube, dass dein Unterricht dumm und langweilig ist!« Ginnie fiel zurück und versuchte, den aschgrauen, sonnengetrockneten Mist vom Rist ihres Stiefels zu kratzen. An ihrer Oberlippe klebten Schweißperlen, und sie war so rot geworden wie eine Erdbeere.

Henry ging auf sie los. »Dumm? Ich lerne Latein und Griechisch, Mathe, Philosophie …«

»Ja, ich weiß«, sagte sie.

»Ach, du weißt nicht mal, was das ist.«

Henry Forge ließ Ginnie enttäuscht am Straßenrand stehen. Sie beobachtete, wie die spätherbstliche Sonne seinen Schatten vor ihn warf, und gerade als seine Füße die andere Seite der Landstraße berührten, die ihre Farmen ebenso sicher wie jeder Zaun trennte, gerade als Henry elf wurde, rief sie: »Henry Forge, hast du nicht irgendwann auch mal Spaß?«

John Henry: Schließ die Tür, Sohn.

Henry: Ja, Sir.

John Henry: Mach sie richtig zu.

Henry: Ja, Sir.

John Henry: Hast du deine Übersetzung mitgebracht?

Henry: Hab ich, aber … ich hab versucht, ein Wort zu verstehen, und ich …

John Henry: Ein einfaches Ja oder Nein genügt.

Henry: Ja.

John Henry: Hast du übersetzt wie ein Automat, oder hast du deinen Verstand benutzt?

Henry: Hab ich.

John Henry: Was hast du?

Henry: Ich hab meinen Verstand benutzt.

John Henry: Also, dann sag mir – ist der Mensch das Maß aller Dinge?

Henry:

John Henry: Da du nie um Worte verlegen bist, muss ich annehmen, dass du unvorbereitet gekommen bist. Henry, diese Werke kann man nicht lesen wie dein modernes Zeug. Sie sind nur dann von Wert, wenn dein Verstand beteiligt ist. Ein neuartiger Gedanke für den, der glaubt, dass ein schöner Ausdruck, der absolut nichts bedeutet, einen Wert hat. Kannst du »Ästhet« definieren?

Henry: Nein, Sir.

John Henry: Der Narr, der im bloß Schönen einen Wert sieht.

Henry: Mutter mag schöne Dinge.

John Henry: Ich liebe deine Mutter, aber ich bin noch nie einer wahrhaft gebildeten Frau begegnet. So, ich frag dich jetzt noch mal – ist der Mensch das Maß aller Dinge?

Henry: Sokrates sagt nein …

John Henry: Und warum?

Henry: Weil der Wind nicht zugleich kalt und heiß sein kann?

John Henry: Weil es unmöglich ist, etwas eindeutig zu bestimmen, das auf den Wahrnehmungen eines einzigen Menschen beruht, die subjektiv sind. Mach weiter.

Henry: Und wenn manche Menschen verrückt sind …

John Henry: Wäre der Mensch das Maß aller Dinge, dann würden die Wahrnehmungen von Verrückten zwangsläufig stimmen, und das ist Unsinn. Also sag mir, was würde dabei herauskommen, wenn ein einzelner Mensch glaubte, er sei in allen Dingen die letzte Instanz?

Henry: Chaos?

John Henry: Ja. Verstand beginnt damit, dass man seinen Platz kennt.

Henry: Aber wenn die Leute all diese Bücher geschrieben haben, dann haben sie sich all diese Ideen ausgedacht. Macht sie das nicht zum Maß von allem, dessen Maß sie nach ihren Worten nicht sind?

John Henry: Unterbrich mich nicht, Henry. Ich schwöre, dein Mund ist ein Mühlstein um deinen Hals.

Henry: Das ergibt keinen Si…

John Henry: Bleib beim Thema!

Henry: Also, mir gefällt es, wenn er sagt, Träumer sind die besten Menschen.

John Henry: Warum überrascht mich das nicht? Henry, du verbringst zu viel Zeit in deinen Gedanken. Willst du in Tagträumen schwelgen, oder willst du wirklich die Ordnung verstehen, die von größeren Geistern als dir aufgestellt wurde?

Henry: Aber große Männer gehen neue Wege. Sie blicken über den Tellerrand.

John Henry: Nein – große Männer streben außergewöhnliche Leistungen an, doch die Maßstäbe dafür haben ihre Vorläufer festgelegt. Du hast kein Wissen, das dir nicht von anderen gewährt wurde. Henry, du untergräbst Grundsatzgespräche ständig mit Unsinn und Tagträumen, und das liegt bloß daran, dass du so viel Zeit mit deiner Mutter verbringst. Sie verhätschelt dich zu sehr.

Henry: Ich will doch bloß wissen, wie man wissen soll.

John Henry: Dann erzähl ich dir mal, was mein Hauslehrer gesagt hätte, wenn ich die Frechheit besessen hätte, ihm auf die Nerven zu gehen. Wirkliches Wissen fängt damit an, dass man seinen Platz auf der Welt kennt. Also, du bist weder ein Nigger noch eine Frau noch dumm. Du bist ein junger Mann, der in eine sehr alte bedeutende Familie geboren wurde. Das trägt dir Verantwortung auf. Bleib auf deine Bildung konzentriert. Und was deine Phantasie betrifft, die sollte an zweiter Stelle stehen. Du wirst nie einen ursprünglichen Gedanken haben, nie ein großer Mann sein, nie etwas wahrhaft Neues erfinden, aber das sollte dich kein bisschen stören. Es gibt auf Erden nichts Neues. Du musst bloß deinen Platz kennen. Das ist unspektakulär, aber die Wahrheit ist oft unspektakulär.

ENDE DER LESEPROBE