Der Taigajäger Dersu Usala - Wladimir Arsenjew - E-Book
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Der Taigajäger Dersu Usala E-Book

Wladimir Arsenjew

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Beschreibung

Wladimir Arsenjew, Geograf und Offizier des Zaren, erforscht 1902 die unwegsamen Grenzgebiete zwischen Russland und China. Eines Nachts stößt ein alter Jäger vom Volk der Golden zur kleinen Truppe. Der Jäger Dersu Usala wird für Arsenjew zum Führer und Gefährten. Dersu versteht sich mit den Kräutern und den Sternen. Er entschlüsselt die Geheimnisse der Natur mit verblüffender Beobachtungsgabe und Intuition. Er kennt, begreift und achtet auch die unscheinbarsten Regungen des Lebens. In zahlreichen Abenteuern und Gefahren kommen sich der Wissenschaftler und der Jäger nahe. Eine Freundschaft entsteht, die erst mit dem tragischen Tod von Dersu Usala ein Ende findet. Wladimir Arsenjews Erzählung ist zu einem Klassiker geworden, der in viele Sprachen übersetzt wurde. Dieses Buch wurde 1975 von Akira Kurosawa verfilmt und ausgezeichnet mit dem Academy Award für den besten ausländischen Film.

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Seitenzahl: 461

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Über dieses Buch

Wladimir Arsenjew, Geograf und Offizier des Zaren, erforscht 1902 die unwegsamen Grenzgebiete zwischen Russland und China. Eines Nachts stößt der alte Jäger Dersu vom Volk der Golden zur kleinen Truppe. Eine Freundschaft entsteht, die erst mit dem tragischen Tod von Dersu Usala ein Ende findet.

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Wladimir Arsenjew (1872–1930) war Naturwissenschaftler und Offizier der zaristischen Armee. Er verfasste über sechzig Werke über den Fernen Osten Russlands.

Zur Webseite von Wladimir Arsenjew.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Wladimir Arsenjew

Der Taigajäger Dersu Usala

Erzählung

Aus dem Russischen von Gisela Churs

Mit zahlreichen Fotografien

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 1 Dokument

Die Edition entspricht dem ersten und zweiten Band der russischen Ausgabe von 1929, der letzten vom Autor überarbeiteten Fassung des Werks, und erschien 1985 bei der Edition Vogelmann im Erb-Verlag, Düsseldorf.

Die vorliegende Ausgabe wurde anhand des ersten von Arsenjew herausgegebenen Forschungsberichts im Jahre 1924 (in der deutschen Übersetzung von Franz Daniel) vollständig von Alice Grünfelder überarbeitet.

Originaltitel: Dersu Usala

© der deutschen Ausgabe by Gisela Töppe 1985

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Maxim Munzuk in der Rolle des Dersu Usala in der gleichnamigen Verfilmung von Akira Kurosawa (Russland/Japan, 1975)

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30779-7

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 21.06.2022, 19:17h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

DER TAIGAJÄGER DERSU USALA

Erste ExpeditionDie gläserne SchluchtDie Begegnung mit Dersu UsalaJagd auf WildschweineDas FeuergefechtDas lebendige Wasser und das lebendige FeuerSchneesturm am Chanka-SeeZweite ExpeditionDie KrakeWiedersehen mit Dersu UsalaAmbaBei lebendigem Leib begrabenEin verfluchter OrtRückkehr zum MeerDer Ruf der HirscheJagd auf BärenDer WaldbrandBegegnung mit den ChunchusenEin gefährlicher SplitterDer WintermarschMoschusHunger und eine Nudelsuppe aus LederRückkehr nach ChabarowskDritte ExpeditionEine neue ExpeditionGeheimnisvolle SpurenJagd auf ReheDersus TraumIn den BergenSchlechte VorzeichenDer Tiger, von Dersu getötetDie missverstandenen WegzeichenDie alte Frau mit ihren EnkelkindernDie Geschichte des Li ZunbinEin furchtbarer FundGefährliche ÜberfahrtKrähenDer AlbtraumDie SchamanenBeunruhigende NachrichtDersus VermächtnisDer WintermarschDie Vertreibung des TeufelsWinterliche Spiele auf dem EisVom Tiger überfallenDas Ende der ReiseDersus Tod

Abbildungsverzeichnis

Mehr über dieses Buch

Über Wladimir Arsenjew

Maxim Gorki: Brief an Wladimir Arsenjew

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Erste Expedition

Die gläserne Schlucht

Im Jahre 1902 führte mich ein Auftrag der Regierung in die Gegend des Flusses Zimuche, der in die Ussuri-Bucht mündet. Mein Jagdkommando bestand aus sechs sibirischen Schützen und vier Lastpferden. Ich sollte das Gebiet von Schkotowo und die Pässe des Dadianshan-Gebirges erforschen, in dem vier Flüsse entspringen: Zimuche, Maiche, Daubiche und Lefu. Ferner wurde mir aufgetragen, die Verbindungen und Wege um den Chanka-See und in der Nähe der Ussuri-Eisenbahn zu untersuchen.

Der Gebirgszug des Dadianshan beginnt am Iman-Fluss und verläuft parallel zum Ussuri-Fluss in Richtung Süden, später teilt sich der Gebirgszug in zwei Ausläufer, wovon einer sich zu einem hohen Berggrat aufwirft, der die Wasserscheide zwischen den Flüssen Daubiche und Sutschan bildet.

Mein Ausgangspunkt war das Dorf Schkotowo, unweit der Mündung des Zimuche. Wir verbrachten hier zwei Tage, besichtigten die Umgebung und bereiteten uns auf die weite Reise vor. Der etwa dreißig Kilometer lange Zimuche fließt in Ost-West-Richtung und hat rechts als einzigen Nebenfluss den Bejza. Das Tal, durch das der Bejza fließt, nennen die Siedler hier die »gläserne Schlucht«, weil hier in den Fenstern einer chinesischen Jägerhütte ein kleines Stückchen Glas eingesetzt war. Damals war Glas im Ussuri-Gebiet schwer zu beschaffen und daher in solch abgelegenen Gegenden besonders geschätzt. Tief in den Bergen und Wäldern galt es als begehrtes Tauschmittel. Für eine leere Flasche konnte man Mehl, Salz, Hirse, ja sogar Felle erhalten. Die Alteingesessenen erzählen, dass bei Streitereien die Gegner in das Innere der feindlichen Hütten einzudringen versuchten, um das Glasgeschirr zu zerschlagen. Jedenfalls erschien daher den ersten Ansiedlern das Stückchen Glas im Fenster einer chinesischen Hütte als Luxus.

Von Schkotowo brachen wir früh auf und erreichten am gleichen Tag die gläserne Schlucht. Je weiter wir in das Tal eindrangen, desto üppiger wurde der Pflanzenwuchs. Den lichten Eichenwald lösten dichte Mischwälder ab, in denen viele Zirbelkiefern standen. Wir folgten einem schmalen Pfad, der wohl von chinesischen Jägern und Ginsengsuchern herrührte. Nach zwei Tagen erreichten wir die Stelle, wo einst die gläserne Hütte gestanden hatte – jetzt fanden wir nur noch ihre Ruinen. Von Tag zu Tag wurde der Pfad schlechter, offensichtlich war er schon seit langem nicht mehr betreten worden. Vollständig mit Gras überwachsen und an vielen Stellen vom Fallholz versperrt, verlor er sich bald ganz im Gestrüpp. Manchmal stießen wir auf Tierpfade und gingen auf diesen weiter, solange sie in die gewünschte Richtung liefen. Meist aber mussten wir uns den Weg durch unberührten Wald selbst bahnen. Am Abend des dritten Tages gelangten wir zum Gebirgsrücken des Dadianshan. Ich ließ die Leute zurück und stieg nur mit dem Unteroffizier Olentjew auf eine der benachbarten Höhen, um Ausschau nach einem geeigneten Gebirgspass zu halten. Bis zur Wasserscheide waren es noch etwa zwei bis drei Kilometer, vor Einbruch der Nacht konnten wir sie unmöglich erreichen. Ich beschloss daher, das Lager dort aufzuschlagen, wo die Leute mit den Pferden zurückgeblieben waren, und am nächsten Morgen mit frischen Kräften über den Pass zu ziehen.

Ich brach den Marsch in der Regel vor Einbruch der Dämmerung ab, sodass noch bei Tageslicht die Zelte aufgestellt und das Holz für die Nacht gesammelt werden konnte. Ich streifte derweil durch die nähere Umgebung. Mein ständiger Gefährte bei diesen Ausflügen war Olentjew, ein mutiger Mann und ausgezeichneter Jäger. Nachdem ich also die nötigen Anweisungen erteilt hatte, nahmen wir beide unsere Gewehre und gingen auf Erkundung.

Die Sonne war eben erst hinter dem Horizont verschwunden, und während ihre letzten Strahlen noch die Gipfel der Berge vergoldeten, sanken in die Täler bereits die Schatten der Dämmerung. Vom Hintergrund des blassen Himmels hoben sich schroff die Baumwipfel mit dem vergilbten Laub ab. Den Vögeln und den Insekten, dem dürren Gras, sogar der Luft war der nahende Herbst anzumerken.

Nachdem wir den nächstliegenden, nicht sehr hohen Bergrücken überquert hatten, gelangten wir in das mit dichtem Wald bestandene Nachbartal, das von einem breiten und trockenen Bett eines Bergbaches durchschnitten wurde. Wir trennten uns hier, ich ging über das Kiesufer nach links, Olentjew nach rechts. Kaum aber waren zwei Minuten vergangen, als Olentjew plötzlich schoss. Ich wandte mich um und sah im gleichen Augenblick etwas Geschmeidiges, Buntes durch die Zweige sausen. Ich stürzte zu Olentjew. Er lud hastig sein Gewehr, aber wie zum Trotz war eine Patrone verklemmt.

»Auf was hast du geschossen?«, fragte ich ihn.

»Ich glaube, es war ein Tiger«, antwortete er. »Das Tier saß auf einem Baum. Ich habe gut gezielt und muss getroffen haben.«

Endlich war die verklemmte Patrone herausgeholt, und Olentjew lud wieder. Vorsichtig gingen wir dorthin, wo das Tier verschwunden war. Schweißspuren auf dem dürren Gras zeigten uns deutlich den Weg. Plötzlich hielt Olentjew inne und horchte. Knapp rechts vor uns erhob sich ein wütendes Knurren und Röcheln. Durch das dichte Farngestrüpp konnten wir nichts erkennen, außerdem versperrte ein großer Baum uns den Weg. Schon wollte Olentjew hinüberklettern, als das Tier sich ihm fauchend entgegenstürzte. Olentjew konnte das Gewehr nicht mehr in Anschlag bringen, schoss in aller Eile aus nächster Nähe – und hatte Glück. Die Kugel traf das Tier mitten in den Kopf. Es fiel auf den umgestürzten Baumstamm und blieb so liegen, dass Kopf und Vorderpfoten auf der einen Seite herabhingen. Das sterbende Tier wurde von konvulsivischen Zuckungen geschüttelt und riss mit scharfen Krallen die Erde auf. Dabei rutschte der Körper langsam nach vorn und fiel schwer zu Boden.

Ich erkannte auf den ersten Blick den mandschurischen Panter, dieser prachtvolle Vertreter der Katzentiere war ein besonders großes Exemplar. Der Panter kommt im Ussuri-Gebiet nur im südlichen Teil des Landes vor, seine Hauptnahrung sind Hirsche, Rehe und Fasanen. Er ist äußerst schlau und vorsichtig und klettert sofort auf einen Baum, sobald er eines Menschen ansichtig wird.

Das Abziehen des Felles dauerte mehr als eine Stunde. Als wir uns auf den Rückweg machten, war es bereits finster. Lange tappten wir umher, bis wir endlich unser Lagerfeuer erblickten. Bald konnte man zwischen den Bäumen die Silhouetten der Männer erkennen, die oft den Schein des Feuers verdeckten. Die Hunde empfingen uns mit Gebell. Die Schützen umringten das Panterfell, betrachteten es und tauschten lebhaft ihre Ansichten darüber aus. Die Unterhaltung zog sich bis tief in die Nacht.

Am anderen Morgen setzten wir unseren Weg fort. Das Tal verengte sich, das Gehen wurde immer schwieriger. Wir mussten uns den Weg durch das Dickicht bahnen und achteten nur noch darauf, keine zu großen Umwege zu machen. Mittags waren wir am Fuß des Gebirgskamms angelangt. Der Aufstieg war steil und beschwerlich. Die Pferde zitterten von der Anstrengung, sie rutschten aus, fielen hin, schnaubten mit weit geblähten Nüstern. Wir konnten nur in Serpentinen gehen, mussten oft anhalten und die Lasten neu ordnen. Endlich hatten wir den Kamm erreicht. Vor uns, ungefähr fünf Kilometer entfernt, erhob sich ein kegelförmiger Berg. Ihn nahm ich als Orientierungspunkt.

Hier auf der Höhe stand der Wald zwar dichter, aber ohne Unterholz, sodass wir mit den Lasttieren ziemlich rasch vorwärts kamen. An einer Stelle scheuchten wir zwei Edelhirsche auf, ein Männchen und ein Weibchen. Die Tiere liefen ein kurzes Stück fort, blieben dann wie angewurzelt stehen und wandten uns die Köpfe zu. Einer der Schützen wollte schießen, aber ich hielt ihn zurück – es tat mir Leid, diese herrlichen Tiere zu töten. Fleisch hatten wir genug, und die Pferde waren so überlastet, dass wir die Hirsche doch nicht hätten mitnehmen können. Ich sah mir die Tiere eine Weile an. Endlich hielt es das Männchen nicht mehr aus. Es stieß einen kurzen Schrei aus, legte das Geweih auf den Rücken und jagte mit kräftigen Sprüngen schräg den Hang hinab.

Gegen Mittag machten wir eine längere Rast. Nach meiner Berechnung konnten wir uns jetzt nicht mehr weit von dem kegelförmigen Berg befinden.

Die Begegnung mit Dersu Usala

Nach der Rast setzte unser Zug den Weg fort. Diesmal gerieten wir in dichtes Bruchholz und kamen nur sehr langsam vorwärts. Gegen vier Uhr erreichten wir einen höheren Punkt. Ich ließ die Leute mit den Pferden zurück und ging selbst hinauf, um mich noch einmal zu orientieren.

Von oben sah ich den Berg, und sogleich waren alle Zweifel zerstreut. Von ihm zog ein hoher Kamm nach Westen hin, dessen Hang steil nach Norden abfiel. Als ich wieder zu meinen Leuten stieß, stand die Sonne bereits tief am Himmel, und wir mussten uns beeilen, um eine Wasserstelle zu finden. Der Abstieg war anfangs einfach, doch später rutschten die Pferde auf den Hinterbeinen hinunter. Dabei verlagerten sich die Traglasten nach vorn, und hätten die Sättel keine Schwanzriemen gehabt, wären sie den Tieren auf ihre Köpfe gerutscht. Wir mussten daher wieder in langen Zickzackschleifen hinuntergehen, was bei dem vielen Windbruchholz, das hier in Massen herumlag, keineswegs leicht war.

Jenseits des Gebirgspasses gelangten wir sofort in tiefe Schluchten. Die Gegend war stark zerklüftet. Die tiefen Spalten mit den entwurzelten Bäumen und moosbewachsenen Felsen, zwischen denen Rinnsale tropften, erinnerten mich an die Walpurgisnacht. Kalt zog es herauf. Man konnte sich kaum eine wildere und unwirtlichere Gegend vorstellen.

Es kommt oft vor, dass Berge und Wälder ein freundliches, frohes Aussehen haben. Dann möchte man am liebsten für immer in ihnen verweilen. Ein anderes Mal aber sehen sie düster und wild aus. Und das Seltsamste dabei ist, dass man nicht alleine ist mit diesem Gefühl, sondern es immer von allen Mitgliedern der Expedition geteilt wird. Ich habe oft danach gefragt und es immer wieder bestätigt bekommen. So war es auch diesmal. Unsere Umgebung strömte etwas Banges, Unheimliches aus, und dies empfand jeder Einzelne von uns.

Laut unterbrach einer der Soldaten das Schweigen, als ob er das Unbehagen abschütteln wolle: »Macht nichts«, sagte er. »Irgendwo werden wir schon übernachten. Wir werden ja kein Jahr hier verbringen. Morgen finden wir wieder ein freundlicheres Plätzchen.«

Ich hatte keine Lust, das Lager aufzuschlagen, aber es blieb uns keine andere Wahl. Die Dämmerung brach herein, und wir mussten uns beeilen. Im Grund der Schlucht murmelte ein Bach; ich stieg hinab, suchte einen möglichst ebenen Platz und befahl, die Zelte aufzuschlagen.

Durch die erhabene Stille des Waldes schallten sogleich die hallenden Axthiebe und die Stimmen der Leute, die Holz herbeischleppten, die Pferde absattelten und das Abendessen bereiteten.

Noch konnte man hier und dort in der Dämmerung durch das Dickicht im Westen ein Stückchen des blassen Himmels sehen, während sich unten bereits die Schatten der Nacht über die Erde legten. Je stärker das Lagerfeuer brannte, desto deutlicher traten die Büsche und Baumstämme aus dem Dunkel hervor. Nur ein aufgescheuchtes Murmeltier pfiff plötzlich durchdringend und flitzte in seine Höhle.

Endlich trat in unserem Lager Ruhe ein. Sobald der Teekessel geleert war, ging jeder an seine Arbeit. Der eine putzte sein Gewehr, der andere reparierte einen Sattel oder flickte seine zerrissene Kleidung. Schließlich hatten die Schützen ihre Arbeiten getan, richteten ihr Nachtlager her, drängten sich dicht aneinander, deckten sich mit ihren Mänteln zu und fielen sofort in tiefen Schlaf. Die Pferde, die im Wald kein Futter gefunden hatten, kamen zum Lager, ließen die Köpfe hängen und dämmerten vor sich hin. Nur Olentjew schusterte an seinen Stiefeln, und ich trug Notizen in mein Tagebuch ein über die zurückgelegte Strecke. Gegen zehn Uhr klappte ich das Buch zu, wickelte mich in den langen kaukasischen Mantel aus schwarzem Filz und legte mich ans Feuer. In der Hitze, die mit dem Rauch aufstieg, schaukelten die Zweige der alten Fichte, unter der wir lagerten, und so sah immer mal wieder der dunkle, mit Sternen übersäte Himmel hervor, der tief im Wald allmählich mit dem nächtlichen Dunkel verschmolz.

Plötzlich hoben die Pferde die Köpfe und spitzten die Ohren, dann sanken sie aber gleich wieder in ihre Träume zurück. Am Anfang achteten wir nicht weiter darauf und unterhielten uns ein wenig. Als ich aber nach mehreren Minuten auf eine Frage keine Antwort von Olentjew erhielt, sah ich zu ihm hinüber. Er stand in abwartender Haltung, schirmte mit der Hand seine Augen vor dem Schein des Lagerfeuers und spähte in die Finsternis.

»Was ist los?«, fragte ich ihn.

»Jemand kommt den Hang herab«, flüsterte er.

Wir horchten beide, aber ringsum blieb es still. So still, wie es nur im Wald in einer kalten Herbstnacht sein kann. Doch jetzt rollten kleine Steinchen herab.

»Wahrscheinlich ein Bär«, murmelte Olentjew und lud das Gewehr.

»Lasst das Schießen! Bin ein Mensch!«, erklang aus dem Dunkel eine Stimme, und gleich darauf trat ein Mann an unser Feuer.

»Guten Abend, Hauptmann«, wandte sich der sonderbare Ankömmling an mich.

Er trug eine Jacke aus gegerbtem Hirschleder und ebensolche Hosen. Den Kopf hatte er umwickelt, seine Füße steckten in Stiefeln aus weichem Leder. Auf dem Rücken hatte er einen großen Sack, und in den Händen hielt er Knüppel und Stöcke und einen alten, langen Einzellader.

Schließlich stellte er sein Gewehr an den Baum, nahm das Bündel von der Schulter, wischte sich mit dem Rockärmel den Schweiß vom Gesicht und setzte sich ans Feuer. Jetzt konnte ich ihn besser betrachten. Er schien ungefähr fünfundvierzig Jahre alt zu sein, war nicht groß, doch stämmig und besaß offensichtlich ziemliche Körperkräfte. Seine Brust war gewölbt, die Hände kräftig, die Beine etwas krumm. Sein sonnenverbranntes Gesicht war typisch für die hier Ansässigen: hervortretende Backenknochen, eine kleine Nase, die mongolisch geschnittenen Augen und ein breiter Mund mit starken Zähnen. Ein kleiner dunkelblonder Schnurrbart säumte seine Oberlippe, ein rötliches Bärtchen schmückte sein Kinn. Aber am bemerkenswertesten waren seine dunkelgrauen Augen. Sie blickten gelassen und ein wenig naiv, drückten Entschlossenheit, einen aufrechten Charakter und Gutmütigkeit aus.

Während wir den Unbekannten aufmerksam musterten, schien er an uns kaum etwas Bemerkenswertes zu finden. Er kramte einen Tabaksbeutel hervor, stopfte seine Pfeife und begann schweigend zu rauchen. Ohne ihn erst zu fragen, wer er sei und woher er käme, bot ich ihm Essen an. So war es Brauch in der Taiga.

»Danke schön«, sagte er. »Hab viel Hunger, heut noch nichts gegessen.« Dann langte er zu.

Während er aß, betrachtete ich ihn weiter. Allem Anschein nach war er ein Jäger. Seine Hände waren schwielig und zerkratzt, sein Gesicht voller Runzeln und Narben, eine besonders große auf der Stirn, eine andere auf der Wange, dicht beim Ohr. Der Fremde nahm seine Kopfbinde ab, und ich sah, dass seine dunkelblonden Haare in totaler Unordnung wuchsen und in langen Strähnen an beiden Seiten herabhingen.

Unser Gast schien nicht sonderlich redselig. Olentjew aber hielt es nicht mehr aus und fragte geradeheraus: »Was bist du, Chinese oder Koreaner?«

»Bin Golde«, antwortete er knapp.

»Du musst ein Jäger sein«, fragte ich nun.

»Ja«, sagte er. »Bin immer auf Jagd. Kenne keine andere Arbeit, Fische fangen auch nicht, nur Jagd.«

»Und wo wohnst du?«, forschte nun Olentjew weiter.

»Hab Zuhause immer in den Bergen. Mach Feuer, stell Zelt auf, schlafe. Immerfort auf Jagd, wozu dann ein Haus?«

Danach erzählte er uns, dass er heute Hirsche gejagt habe, aber ohne Erfolg, und ein Schmaltier verwundet habe, jedoch nur leicht. Als er dem wunden Tier folgte, stieß er auf unsere Spuren, die ihn in die Schlucht führten. Da es dunkel wurde, sah er das Lagerfeuer und ging darauf zu.

»Bin ganz leise«, sagte er. »Was für Leute sind hier so tief in den Bergen? Da ist ein Hauptmann, da sind Soldaten, bin gerade drauf los.«

»Wie heißt du denn?«, fragte ich den Unbekannten.

»Dersu Usala«, antwortete er.

Dieser Mann interessierte mich. In ihm lag viel Eigenartiges und Ursprüngliches. Er sprach einfach und leise, hielt sich bescheiden, aber nicht unterwürfig. Er erzählte mir lange von seinem Leben, und je länger er sprach, desto angenehmer erschien mir sein Wesen. Ich sah das Urbild eines Jägers vor mir, der sein ganzes Leben in der Taiga verbracht hat und dem all jene Vorurteile und Ansprüche fremd sind, die die Zivilisation besonders dem Bewohner der Städte auferlegt. Aus seinen Worten entnahm ich, dass er sich seinen Lebensunterhalt ausschließlich mit dem Gewehr erwarb, seine Jagdbeute bei den Chinesen gegen Tabak, Pulver und Blei eintauschte, und dass das Gewehr ein Erbstück seines Vaters war. Dann erzählte er mir, dass er jetzt dreiundfünfzig Jahre alt sei, dass er nie ein Haus hatte, immer unter freiem Himmel gelebt und sich nur im Winter eine Hütte aus Birkenrinde und Reisig baue. Die ersten Erinnerungen seiner Kindheit waren: der Fluss, die Hütte, das Feuer, Vater, Mutter und die kleine Schwester.

»Alle längst gestorben«, schloss er seine Erzählung. Er schwieg eine Zeit lang, dann fuhr er fort: »Hatte früher auch Frau, Sohn und Töchterchen. Blattern haben alle Leute kaputtgemacht, bin jetzt allein übrig.«

Bei dieser Erinnerung wurde sein Gesicht traurig. Ich versuchte, ihn zu trösten, aber was bedeutete das schon für diesen einsamen Mann, dem der Tod die ganze Familie, die einzige Hoffnung für sein Alter genommen hatte? Er blieb stumm und senkte den Kopf nur noch tiefer. Ich wollte ihm irgendwie mein Mitgefühl beweisen, etwas für ihn tun, aber was? Endlich glaubte ich, etwas gefunden zu haben: Ich schlug ihm vor, sein altes Gewehr gegen ein neues einzutauschen, aber er lehnte es dankend ab und sagte, dass das Gewehr ihm ein teures Andenken an seinen Vater sei, auch sei er nun mal an dieses gewöhnt und es schösse vorzüglich. Dann ging er zum Baum hinüber, nahm sein Gewehr, klopfte und streichelte es und besah es nachdenklich von allen Seiten.

Die Sternbilder waren am Himmel weitergewandert und zeigten weit nach Mitternacht an. Die Stunden verflogen, aber wir saßen immer noch am Lagerfeuer. Meist erzählte Dersu, während ich mit immer größerem Vergnügen zuhörte. Er berichtete von seinen Jagderlebnissen, darüber, wie er einmal in die Gefangenschaft der Chunchusen geraten, aber wieder entflohen war. Er erzählte von seinen Begegnungen mit Tigern und davon, dass man sie niemals schießen dürfe, weil sie Götter der Wälder und Berge seien, die den Ginseng vor den Menschen behüten. Er sprach von bösen Geistern, Überschwemmungen, Waldbränden und vielem anderen mehr.

Einmal hatte ihn ein Tiger angefallen und schlimm zugerichtet. Seine Frau suchte ihn zehn Tage lang, sie lief über zweihundert Kilometer und fand schließlich doch noch den vom Blutverlust fast Ohnmächtigen. Während er krank darniederlag, ging sie auf Jagd.

Dann begann ich ihn über die Gegend auszufragen und erfuhr, dass hier das Quellgebiet des Lefu sei und wir morgen zur ersten Jägerhütte gelangen würden.

Auf der Erde und am Himmel war es noch dunkel, nur auf jener Seite, von der langsam immer neue Gestirne emporstiegen, fühlte man das leise Nahen des Morgens. Auf den Boden fiel reichlich Tau – ein sicheres Anzeichen, dass gutes Wetter folgen würde. Ringsum herrschte feierliche Stille, die Natur schien in tiefem Schlummer zu liegen.

Nach einer weiteren Stunde schimmerte der Himmel im Osten rot, es war bereits sechs Uhr. Nun musste der Schütze geweckt werden, der mit dem Dienst an der Reihe war. Ich rüttelte ihn an der Schulter. Er setzte sich auf, reckte sich und rieb sich lange die Augen.

»Schau her, da ist ja jemand!«, meinte er lachend, als er den Golden im grellen Feuerschein erblickte.

Die Schwärze des Himmels ging ins Dunkelblau über, dann ins Graue, Trübe. Schnell kam in unser Lager wieder Leben: Die Menschen sprachen, die Pferde erwachten aus ihrer Erstarrung. Es erklang der Ruf des Grünspechts und bald darauf auch sein knarrendes Hämmern. Die Taiga erwachte. Mit jeder Minute wurde es heller, und plötzlich flammte ein Bündel leuchtender Sonnenstrahlen hinter den Bergen empor und beschien den ganzen Wald. Unser Lager hatte nun ein ganz anderes Aussehen. An der Stelle des hellen Lagerfeuers glommen nur noch ein paar Kohlen in der Asche. Ringsum war das Gras niedergetreten, leere Konservenbüchsen und eine leere Flasche blieben als Zeugen der Zivilisation zurück.

Dersu Usala

Jagd auf Wildschweine

Nach dem Morgentee beluden die Schützen die Pferde. Auch Dersu war marschbereit, nahm seinen Rucksack auf, die Stöcke und das Gewehr in die Hand. Die Schlucht, durch die wir nun zogen, war lang und gewunden. Nach rechts und links zweigten ähnliche Schluchten ab, in denen Wasser rauschte. Nach und nach traten die Bergwände zurück, und die Schlucht ging in ein Tal über. Hier waren an den Bäumen alte Wegzeichen eingehauen, die uns zu einem Fußweg führten.

Der Golde ging voran und blickte die ganze Zeit aufmerksam auf die Erde. Manchmal bückte er sich und schob das dürre Laub mit den Händen auseinander.

»Was gibts?«, fragte ich.

Dersu blieb stehen und erklärte, dass dieser Pfad nicht von Pferden, sondern nur von Menschen benutzt werde, dass er zu den Zobelfallen führe, dass vor einigen Tagen hier einer entlanggegangen sei. Aller Wahrscheinlichkeit nach war es ein Chinese.

Die Worte des Golden setzten uns in Erstaunen. Als er merkte, dass wir ihm nicht recht glauben wollten, rief er: »Was nicht verstehen? Schaut selbst!«

Und danach führte er solche Beweisgründe an, die unsere Zweifel sofort zerstreuten. Alles war so klar und einfach, dass ich mich selbst wunderte, wieso ich es nicht früher bemerkt hatte. Erstens waren auf dem Pfad nirgendwo Hufspuren zu sehen, auch waren die Spitzen der Äste unversehrt. Unsere Pferde kamen nur mit Mühe durch und blieben immerfort mit den Riemen in den Ästen hängen. Der Pfad machte oft so scharfe Biegungen, dass die Pferde ihnen kaum folgen konnten und Umwege machen mussten. Über die Bäche waren Baumstämme gelegt, nirgends führte eine Spur ins Wasser. Die vom Wind heruntergebrochenen Äste, die den Weg versperrten, waren nirgends beseitigt. Menschen kamen wohl durch, aber die Pferde mussten herumgeführt werden. All das bewies, dass der Pfad nicht für Reisen mit Saumtieren geeignet war.

»Vor langer Zeit geht hier einer«, sprach Dersu wie zu sich selbst, »war hier, dann hat es geregnet.« Und er rechnete nach, wann der letzte Regen gefallen war.

Wir gingen etwa zwei Stunden diesen Pfad entlang. Immer häufiger trafen wir Pappeln, Ahorn, Espen, Birken und Linden an. Ich wollte schon eine zweite Rast halten, aber Dersu riet, noch ein wenig weiter zu gehen.

»Bald kommt Hütte«, sagte er und zeigte auf die Bäume, von denen die Rinde abgeschält worden war.

Ich verstand ihn sofort. In der Nähe musste sich das befinden, wofür diese Rinde bestimmt war. Wir beschleunigten den Schritt, und zehn Minuten später erblickten wir am Bachufer eine kleine Schutzhütte, die von Jägern oder Ginsengsuchern errichtet worden war. Nachdem unser neuer Bekannter sie von allen Seiten untersucht hatte, bestätigte er, dass wenige Tage zuvor ein Chinese durch das Gras gekommen sei und hier in der Hütte übernachtet habe. Die vom Regen niedergeschlagene Asche, das einsame Lager aus Gras und ein Paar alte Kniewärmer aus Baumwolle, wie die Chinesen sie tragen, bezeugten das. Da begriff ich, dass Dersu kein gewöhnlicher Mensch war. Vor mir stand ein erfahrener Fährtenleser, und unwillkürlich kamen mir die Helden aus den Lederstrumpferzählungen Coopers in den Sinn.

Die Pferde mussten gefüttert werden. Ich beschloss, die Pause auszunutzen, legte mich in den Schatten einer Zirbelkiefer und schlief sofort ein. Als mich Olentjew nach zwei Stunden weckte, sah ich, dass Dersu Holz gespaltet, Birkenrinde gesammelt und alles in der Hütte aufgestapelt hatte. Ich dachte, er würde alles niederbrennen, und wollte ihm schon diesen Einfall ausreden. Aber er bat mich um eine Prise Salz und eine Hand voll Reis. Neugierig, was er damit tun wollte, ließ ich ihm das Gewünschte geben. Der Golde wickelte sorgfältig Streichhölzer in Birkenrinde ein, verpackte ebenso getrennt für sich das Salz und den Reis und hängte alles in der Hütte auf. Dann richtete er noch von außen die Wand aus Rinde und machte sich zum Gehen bereit.

»Wahrscheinlich willst du wieder hierher zurückkehren?«, fragte ich den Golden.

Er schüttelte den Kopf. Und als ich ihn verwundert weiterfragte, wozu er dann eigentlich Reis, Salz und Streichhölzer zurechtgelegt habe, gab er mir zur Antwort:

»Irgendein anderer kommt, findet Hütte, trockenes Holz, Streichhölzer, Essen – kommt nicht um!«

Ich erinnere mich gut, wie tief mich das abermals erschütterte. Der Golde sorgte sich um irgendeinen Unbekannten, den er nie gesehen und der auch nie erfahren würde, wer ihm Holz und Verpflegung zurechtgelegt hatte. Und mir fiel ein, wie dagegen unsere Schützen gedankenlos stets alles übrig gebliebene Brennholz ins Feuer warfen, wenn sie einen Lagerplatz verließen. Sie taten es nicht aus Bosheit, einfach nur aus Vergnügen, und ich hatte sie nie davon abgehalten. Dieser Einheimische – besaß er nicht in seiner Ursprünglichkeit viel mehr Mitgefühl als ich?

»Die Pferde stehen bereit! Wir müssen gehen«, sagte Olentjew, der gerade hinzutrat.

Gegen Abend kamen wir zu der Stelle, wo zwei Flüsschen zusammenfließen und der eigentliche Lefu beginnt. Nach dem Abendmahl legte ich mich früh hin und schlief sofort ein. Als ich am anderen Tag erwachte, waren im Lager schon fast alle auf den Beinen. Ich ließ sofort die Pferde satteln, und während die Schützen sich mit den Traglasten beschäftigten, nahm ich Messungen vor und vervollständigte meine Eintragungen. Dann ging ich mit dem Golden voraus.

Von unserer Lagerstelle aus bog das Tal allmählich nach Westen. Seine linken Hänge waren steil, die rechten fielen sanft ab. Mit jedem Kilometer wurde der Pfad breiter und besser. An einer Stelle lag ein gefällter Baum. Dersu ging auf ihn zu, besah ihn und meinte, dass er im Frühjahr gefällt worden sei. Zwei Männer hätten daran gearbeitet. Einer war groß, seine Axt aber stumpf; der andere war klein, seine Axt aber scharf.

Für diesen erstaunlichen Menschen gab es augenscheinlich keine Geheimnisse in der Taiga. Wie ein Hellseher wusste er alles, was ringsum vor sich ging. Ich nahm mir vor, von nun an auch aufmerksamer zu sein und selbst Spuren zu deuten. Bald darauf erblickte ich wieder einen Baumstumpf, ringsum lagen eine Menge Holzspäne, die nach Harz dufteten. Mir war wohl klar, dass hier jemand Späne zum Feueranmachen geholt hatte. Und weiter? Weiter fiel mir nichts ein.

»Fanse nicht weit«, sagte der Golde, wie um meinen Grübeleien hilfreich beizuspringen.

Tatsächlich begegneten wir bald weiteren entrindeten Bäumen, und nach etwa zweihundert Metern stand am Flussufer auf einer kleinen Lichtung eine Jagdhütte. Sie war unbewohnt, denn die Tür war von außen mit einem Holzkeil versperrt. Gleich nebenan lag ein von Wildschweinen durchwühlter Gemüsegarten und weiter links davon eine kleine hölzerne Gebetsstätte, wie immer dem Süden zugewandt.

Die Einrichtung der Hütte war einfach. Ein eiserner Kessel, der in einen niedrigen Herd versenkt war, von dem aus Rauchzüge, die zu den Kangs – den erhöhten, lehmgemauerten Bettstätten – gingen, zwei bis drei ausgehöhlte Tröge, ein hölzerner Schöpfer für das Wasser, ein eiserner Löffel, ein Wedel zum Reinigen des Kessels, zwei verstaubte Flaschen, irgendwelche weggeworfenen Lappen, ein oder zwei Bänke, eine Öllampe und Teile von Tierfellen, die auf dem Boden verstreut waren: Das war die ganze Ausstattung.

Von hier führten drei Pfade den Lefu hinauf. Der eine war jener, auf dem wir gekommen waren, der zweite führte nach Osten in die Berge, der dritte nach Westen. Der Letztere schien am meisten begangen und auch für die Pferde zugänglich, diesen wählten wir. Die Schützen warfen den Pferden die Zügel über den Hals und überließen es ihnen, sich selbst den Weg zu suchen. Die klugen Tiere gingen gut und vorsichtig weiter, um nur ja nicht mit ihrer Traglast an den Bäumen hängen zu bleiben. An sumpfigen Stellen oder auf steinigen Abhängen traten sie mit dem ihnen innewohnenden Instinkt vorsichtig auf, vor jedem Schritt den Boden mit den Füßen prüfend.

Von der Jagdhütte aus nimmt der Lefu seine Richtung etwas mehr nach Nordosten. Nachdem wir noch weitere sechs Kilometer gegangen waren, erreichten wir eine kleine Siedlung aus chinesischen Bauernhütten, von den Chinesen Tudinsa genannt.

Das plötzliche Erscheinen des militärischen Zuges erschreckte die Chinesen. Ich bat Dersu, ihnen zu sagen, dass sie keine Angst vor uns haben und ihre Arbeit fortsetzen sollten. Ich wollte sehen, wie die Chinesen in der Taiga leben und womit sie sich beschäftigen. Ein alter Mann begrüßte uns und führte uns umher.

Die Tierfelle, die zum Trocknen aufgespannt waren, die Geweihe, in großen Haufen gestapelt, zum Trocknen aufgehängte Säckchen mit Bärengalle als Mittel gegen Augenentzündung, Felle von Hirsch, Luchs, Marder und Zobel, daneben allerlei Fallen und Fangvorrichtungen: Dies alles wies darauf hin, dass die ortsansässigen Chinesen sich weniger mit Ackerbau als vielmehr mit Jagd und Tierfang befassten. Unweit der Hütten lagen kleine Felder mit Weizen, Hirse, Mais und allerart Gemüse. Sie beklagten sich sehr über die Wildschweine und erzählten, unlängst seien ganze Herden in das Tal gekommen und hätten die Felder gründlich verwüstet. Meistens mussten sie deshalb alles ernten, um es vor den gefräßigen Räubern zu retten. Aber zurzeit hätten sich die Wildschweine in die Berge zurückgezogen und mästeten sich an den Eicheln.

Die Sonne stand noch hoch am Himmel, und deshalb beschloss ich, den Berg Tudinsa zu besteigen, um von dort die Gegend zu erkunden. Dersu begleitete mich. Wir gingen ohne Gepäck und nahmen nur unsere Gewehre mit.

Der Berg war steil. Zweimal setzten wir uns hin, um uns auszuruhen. Dann kletterten wir weiter. Ringsum war die ganze Erde aufgewühlt. Dersu blieb oft stehen und las die Spuren. An ihnen erkannte er das Alter der Tiere, ihr Geschlecht, er fand die Fährte eines lahmen Ebers, fand die Stelle, wo zwei Eber gekämpft hatten und einer den anderen in die Flucht geschlagen hatte. Ich hörte ihm zu und konnte mir das alles genau vorstellen. Ich wunderte mich nur, dass ich die Spuren bisher nie beachtet hatte. Wenn ich welche sah, sagten sie mir nichts weiter außer der Richtung, in die die Tiere gelaufen waren.

Nach einer Stunde erreichten wir den Gipfel, der mit Geröll bedeckt war. Hier hatten wir auf alle Seiten einen guten Überblick.

»Schau, Hauptmann«, sagte Dersu zu mir, während er auf den gegenüberliegenden Hang zeigte. »Was ist das?«

Ich schaute in die Richtung und erblickte einen dunklen Fleck, den ich für den Schatten einer Wolke hielt. Er lachte nur und zeigte zum Himmel. In seinem unendlichen Blau war nicht eine einzige Wolke. Nach einigen Minuten hatte der Fleck seine Form verändert und sich etwas zur Seite hin bewegt.

»Was bedeutet das?«, fragte ich den Golden.

»Du verstehst nicht«, antwortete er. »Wir müssen gehen und schauen.«

Wir stiegen hinab, und bald merkte ich, dass auch der Fleck sich auf uns zu bewegte.

Nach weiteren zehn Minuten machte der Golde Halt, setzte sich auf einen Stein und gab mir Zeichen, dasselbe zu tun.

»Müssen hier warten«, erklärte er. »Müssen still sitzen, nicht bewegen und auch nicht reden.«

Wir warteten. Bald sah ich wieder den Fleck. Er war um ein Vielfaches gewachsen. Jetzt konnte ich auch seine Bestandteile unterscheiden. Es waren Lebewesen, die fortwährend untereinander ihre Plätze wechselten.

»Wildschweine?«, rief ich.

Tatsächlich, es war eine Rotte Schwarzwild, wohl mehr als hundert! Manche bogen zur Seite ab, kehrten aber sofort wieder zurück. Bald war jedes einzelne Tier zu erkennen.

»Ein Kerl, mächtig groß«, sagte Dersu leise.

Ich verstand nicht, was er meinte, und sah ihn erstaunt an.

Inmitten der Herde erhob sich wie ein Hügel der Rücken eines riesigen Keilers. Er überragte alle anderen Tiere und wog wohl an die zweihundertfünfzig Kilo. Die Herde kam mit jeder Minute näher. Bereits konnte man deutlich das Rauschen des dürren Laubes hören, das von hunderten von Beinen aufgewühlt wurde, das Knacken der Zweige, dazwischen die schrillen Laute der alten Keiler, das Grunzen der Sauen und das Quieken der Frischlinge.

»Großer Kerl kommt nicht nahe«, erklärte Dersu, und ich verstand ihn wieder nicht.

Der alte Keiler befand sich mitten in der Herde, die anderen trieben sich um ihn herum. Wir saßen da und regten uns nicht. Plötzlich hob der uns am nächsten stehende Keiler seinen Rüssel.

Noch heute sehe ich den großen Kopf vor mir, die wachsam aufgestellten Ohren, die tückisch funkelnden Augen, den beweglichen Rüssel mit den zwei Nasenlöchern und die weißen Hauer. Das Tier erstarrte, hörte auf zu fressen und richtete seine zornig fragenden Augen auf uns. Endlich erkannte es die Gefahr und stieß einen schrillen Ton aus. Im Nu stob die ganze Herde tosend wie ein Sturmwind davon. Gleichzeitig krachte ein Schuss. Ein Tier stürzte zu Boden. In Dersus Hand rauchte das Gewehr. Noch ein paar Sekunden lang hörte man im Wald das Knacken der niedergetretenen dürren Äste, dann war alles still.

Das Wildschwein, das der Golde erlegt hatte, war eine zweijährige Sau. Ich fragte, weshalb er nicht den Keiler geschossen habe.

»Alter Kerl, der wenig ist, sein Fleisch stinkt ein klein wenig.«

Ich wunderte mich, dass Dersu die Wildschweine als »Kerle« oder »alte Leute« bezeichnete, und fragte ihn.

»Sind doch ganz gleich, nur anderes Gewand. Sonst ganz gleich, können betrügen, werden zornig, verstehen alles! Genau wie Leute.«

Nun verstand ich ihn. Für diesen »Ur«-Menschen war die Natur beseelt und deshalb alles ihn Umgebende mit Seele und menschlichen Fähigkeiten ausgestattet.

Dersu weidete das erlegte Tier rasch aus, lud es sich auf die Schultern, und wir kehrten zum Lager zurück.

In den chinesischen Fansen war es eng und rauchig, deshalb beschloss ich, mit Dersu unter freiem Himmel zu übernachten.

»Nacht wird warm, morgen Abend Regen«, meinte dieser und schaute zum Himmel empor.

Ich konnte lange nicht einschlafen. Die ganze Nacht träumte ich von einer witternden Wildschweinschnauze. Ich sah nichts weiter als immer nur diesen Rüssel. Erst erschien er als kleine Pünktchen. Dann wuchs er plötzlich ins Unermessliche. Nun war es nicht mehr der Kopf eines Wildschweins, sondern der Berg Tudinsa selbst. Und der Rüssel – Höhlen, und in diesen Höhlen waren wieder Wildschweine mit ebensolchen löcherigen Rüsseln.

Das menschliche Gehirn funktioniert auch seltsam. Von den Eindrücken eines ganzen Tages, von der Unzahl der verschiedensten Erscheinungen und tausenden von Gegenständen bleibt irgendetwas, meist keineswegs das Wichtigste, sondern etwas Zufälliges, Nebensächliches, stärker als alles andere im Gedächtnis haften. An manche Orte, an denen ich nicht die geringsten Abenteuer erlebte, erinnerte ich mich viel besser als an solche, wo sich wirklich etwas zugetragen hatte. Aus irgendeinem Grund ist mir ein Baum, der sich in nichts von anderen unterschied, ein Ameisenhaufen, ein vergilbtes Blatt, ein Ballen grünen Mooses im Gedächtnis geblieben. Ich glaube, ich könnte noch heute diese Dinge in allen Einzelheiten zeichnen.

Am oberen Lefu

Das Feuergefecht

Am nächsten Morgen erwachte ich später als die anderen. Das Erste, was mir auffiel, war die fehlende Sonne. Der ganze Himmel war in Regenwolken eingehüllt.

Als Dersu merkte, dass die Schützen die Lasten so verpackten, dass sie vor Regen geschützt waren, sagte er: »Eile ist nicht nötig. Am Tag gehen wir gut, dann wird abends der Regen kommen.«

Ich fragte ihn, wie er darauf komme.

»Schau selbst«, antwortete der Golde. »Kleine Vögel laufen hin und her, spielen, fressen. Wenn bald Regen kommt, dann sitzen diese Leute still, als ob sie schlafen.«

Tatsächlich. Mir fiel ein, dass vor einem Regen alles still wird. Jetzt aber war der Wald voller Leben. Überall erklangen die Rufe der Spechte, Eichel- und Tannenhäher und das muntere Zwitschern der geschäftigen Kleiber.

Nachdem wir uns bei den Chinesen nach dem Weg erkundigt hatten, brachen wir auf. Hinter dem Berg Tudinsa verbreiterte sich sogleich das Lefu-Tal, das nun besiedelt war. Gegen zwei Uhr erreichten wir das Dorf Nikolajewka, in dem es damals sechsunddreißig Gehöfte gab. Nach kurzer Rast befahl ich Olentjew, Hafer einzukaufen und die Pferde ordentlich zu füttern, während ich selbst mit Dersu vorausging. Ich wollte so schnell wie möglich das Koreanerdorf Kasakewitschewo erreichen und eine trockene Unterkunft für die Nacht finden.

Gegen fünf Uhr begann es zu nieseln, gleichzeitig brach die Dunkelheit herein. Wir beschleunigten unsere Schritte. Bald gabelte sich der Weg. Der eine führte über den Fluss, der andere schien in die Berge zu gehen. Wir wählten diesen und stießen immer wieder auf andere Wege, die unsere Richtung kreuzten. Als wir endlich beim Koreanerdorf anlangten, war es bereits vollkommen dunkel.

Plötzlich ertönte in den nächstliegenden Hütten ein Geschrei, und kurz darauf fiel ein Schuss, dann ein zweiter, ein dritter, und wenige Augenblicke später hatte die Schießerei das ganze Dorf erfasst. Ich konnte es nicht verstehen: der Regen, das Geschrei, das Gewehrknattern! Was war geschehen? Was hatte diese Panik ausgelöst? Auf einmal fiel ein Lichtstrahl aus einer Fanse. Ein Koreaner hielt in der einen Hand eine Petroleumfackel, in der anderen Hand ein Gewehr. Er lief und schrie irgendetwas in seiner Sprache. Wir traten ihm entgegen. Das rötlich flackernde Licht der Fackel spiegelte sich in den Pfützen und beleuchtete sein angstverzerrtes Gesicht. Als er uns erblickte, warf er die Fackel fort, gab aus nächster Nähe einen Schuss auf Dersu ab und rannte Hals über Kopf davon. Das Petroleum verbreitete sich auf der Erde, entzündete sich und brannte mit rußender Flamme.

»Bist du verletzt?«, fragte ich Dersu.

»Nein«, antwortete er.

Ohne Deckung stand er da, hoch aufgerichtet, winkte mit der Hand und rief den Koreanern etwas zu. Aber seine Schlichtungsversuche blieben erfolglos.

Als Olentjew die Schüsse hörte, glaubte er uns von Chunchusen überfallen. Er ließ zwei Pferdewärter bei den Pferden zurück und eilte mit den übrigen Leuten zu uns.

Endlich hörte das Schießen auf. Dersu wollte abermals mit den Koreanern in Verhandlung treten, die wollten jedoch keinesfalls die Türen öffnen. Sie schimpften und drohten, schrien wild durcheinander. Es blieb uns nichts übrig, als wieder ein Lager aufzuschlagen. Etwas abseits stand eine alte, zerfallene Hütte, daneben war eine Menge Holz aufgeschichtet, das die Koreaner für den Winter gesammelt hatten. Dort stellten wir die Zelte auf und zündeten ein Lagerfeuer an. Im Dorf hielt das Schießen noch lange an. Sie verteidigten sich bis auf die letzte Patrone. Gegen wen? Wir wussten es nicht und die Koreaner wohl auch nicht.

Der nächste Tag war Rasttag. Ich befahl den Leuten, die Sättel zu prüfen, zu trocknen, was durchnässt war, und die Gewehre zu reinigen.

Der Regen ließ nach, ein frischer Nordwestwind zerteilte die Wolken, und die Sonne brach durch. Ich zog mich an und ging mich im Dorf umsehen.

Man hätte meinen sollen, die Koreaner müssten nach dem gestrigen Feuergefecht unser Lager aufsuchen und die Leute neugierig ansehen, auf die sie geschossen hatten. Nichts dergleichen! Aus der benachbarten Fanse kamen zwei Männer. Sie trugen weiße Jacken mit weiten Ärmeln, weiße wattierte Hosen und aus Bast geflochtene Schuhe. Ohne nach uns zu sehen, gingen sie vorüber. Vor einer anderen Fanse saß ein alter Mann mit langem dünnem Bart und drehte Zwirn. Als ich zu ihm trat, hob er den Kopf und sah mich mit Augen an, denen weder Neugier noch Staunen anzumerken war. Auf dem Weg kam uns eine Frau entgegen, die in einen weißen Rock und eine weiße Bluse gekleidet war. Sie trug einen Tonkrug mit Wasser auf dem Kopf und ging, den Blick zu Boden gesenkt, ruhigen Schrittes hochaufgerichtet geradeaus.

Auf dem Rückweg zum Lager betrat ich eine Hütte. Ihre dünnen Wände waren innen und außen mit Lehm verputzt. Sie hatte drei Türen mit vergitterten, papierverklebten Fenstern. Das nach allen Seiten abfallende Strohdach war mit einem Netz aus geflochtenem Schilfgras bedeckt.

In der Fanse erblickte ich die Frau wieder, die uns auf dem Weg begegnet war. Sie hockte da und füllte mit einer hölzernen Kelle Wasser in den Kessel. Sie tat das langsam, hielt den Schöpfer ganz hoch und goss das Wasser irgendwie seltsam durch die Hand nach rechts weg. Sie blickte mich teilnahmslos an und setzte schweigend ihre Tätigkeit fort. Auf dem Kang saß ihr etwa fünfzig Jahre alter Mann und rauchte die Pfeife. Er rührte sich nicht und antwortete nicht auf meinen Gruß. Ich blieb eine Weile sitzen, verließ dann wieder die Hütte und ging zum Lager zurück. Nach dem Mittagessen brach ich auf, um die Umgebung zu erkunden. Ich überquerte den Fluss in einem alten Boot und gelangte auf eine Anhöhe. Es war eine uralte Flussterrasse, etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Meter hoch. Von hier eröffnete sich mir eine herrliche Aussicht auf das Lefu-Tal. Das rechte Ufer, an dem das Koreanerdorf lag, war flach. Auf einer anderen, ebenso alten Flussterrasse lag das russische Dorf Iwanowskoje.

Zwei Stunden streifte ich durch die Gegend und kam dann wieder zum Steilhang. Der Tag neigte sich dem Abend zu, über den Himmel zogen langsam leichte, rosa Wölkchen. Die fernen Berge schimmerten, von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtet, violett mit goldenen Rändern. Die entlaubten Bäume hatten eine gleichmäßige graue Farbe angenommen. Im Koreanerdorf herrschte immer noch völlige Ruhe. Aus den langen Schornsteinen aus Baumstämmen kräuselte sich weißer Rauch, der sich schnell in der kühlen Abendluft verflüchtigte. Hier und da huschten die weißen Gestalten der Koreaner über die Wege. Unten am Fluss brannte ein Feuer. Das war unser Lager.

Als ich zurückkehrte, dämmerte es bereits. Das Wasser im Fluss schien schwarz, und auf der ruhigen Oberfläche spiegelten sich die züngelnden Flammen und die am Himmel flimmernden Sterne. Die Schützen saßen um das Feuer, einer erzählte etwas, die anderen lachten.

»Abendessen!«, rief es da. Lachen und Scherzen verstummten sofort.

Nach dem Tee setzte ich mich ans Feuer und trug meine Beobachtungen ins Tagebuch ein. Dersu packte seinen Rucksack aus und hielt das Feuer in Gange.

»Ein klein wenig kalt«, sagte er und zog die Schultern ein.

Ich riet ihm, in einer Hütte zu schlafen, aber er erwiderte, das sei er nicht gewöhnt.

Darauf steckte er hinter sich einige Weidenruten bogenförmig in den Boden, hing eine Zeltplane darüber, breitete ein Ziegenfell auf der Erde aus und setzte sich darauf nieder. Die Lederjacke um seine Schultern, rauchte er seine Pfeife. Einige Minuten darauf hörte ich leises Schnarchen. Sein Kopf war auf die Brust gesunken, die Arme hingen herab, die erloschene Pfeife war ihm aus dem Mund gefallen und lag auf seinen Knien.

Dumpf und hohl klang das Rauschen des nahen Flusses, irgendwo drüben im Dorf bellte ein Hund, in einer der Hütten weinte ein Kind. Ich wickelte mich in meinen Mantel, legte mich mit dem Rücken zum Feuer und schlief sofort ein.

Kaum wurde es hell am nächsten Morgen, waren wir bereits wieder auf den Beinen.

Da die Pferde nachts auf den Äckern der Koreaner kein Futter gefunden hatten, waren sie in die Berge gegangen. Während sie geholt wurden, hatte der Mann vom Küchendienst bereits Tee bereitet und Grütze gekocht. Als die Schützen mit den Pferden zurückkehrten, machten wir uns auf den Weg.

Je weiter wir kamen, desto mehr nahm das ganze Tal den Charakter eines Wiesengrundes an. Die Berge wichen weit zur Seite, und an ihre Stelle traten lange und flache, mit dichten Sträuchern bewachsene Geländewellen. Knorrige Eichen und Linden mit abgefrorenen Wipfeln standen einzeln oder in Gruppen. An diesem Tag erreichten wir das Dorf Ljalitschi nicht mehr und übernachteten sechs Kilometer davon entfernt am Ufer eines kleinen, gewundenen Bächleins.

Abends saß ich mit Dersu am Lagerfeuer und besprach mit ihm den weiteren Weg. Ich wollte gern den Chanka-See sehen, den Prshewalski so sehr gepriesen hatte. Der Golde sagte, dass jetzt ausgedehnte weglose Sümpfe vor uns lägen, und riet mir, ein Boot zu nehmen. Die Pferde und einen Teil der Abteilung sollte ich zurücklassen. Sein Rat klang vernünftig. Ich befolgte ihn und änderte nur den Standort der Abteilung.

Das lebendige Wasser und das lebendige Feuer

Am anderen Tag nahm ich nur Olentjew und den Schützen Martschenko mit. Die Übrigen schickte ich in das Dorf Tschernigowka mit dem Befehl, dort unsere Rückkehr abzuwarten. Mithilfe des Dorfältesten gelang es uns, ein ziemlich brauchbares Flachboot zu erwerben. Dafür bezahlten wir zehn Rubel und zwei Flaschen Wodka. Der ganze Tag wurde für die Ausrüstung des Bootes verwandt. Dersu selbst fertigte die Ruder an, machte aus Pflöcken Rudergabeln, passte die Sitzbretter ein und schnitt Stangen zurecht. Ich sah mit Vergnügen, wie die Arbeit unter seinen Händen gelang und voranging. Er geriet nie in Hast, alle Handgriffe waren überlegt und folgerichtig, nie gab es eine Verzögerung. Das Leben hatte ihn geschult, energisch zu sein, praktisch und keinen Augenblick nutzlos zu vergeuden.

Zufällig fanden wir in einem Bauernhaus frisch zu Zwieback geröstetes Brot vor. Weiter brauchten wir nichts, da wir genügend Tee, Zucker, Salz, Grütze und Konserven hatten. Am gleichen Abend wurde auf den Rat des Golden alles Nötige im Boot verstaut, während wir selbst am Flussufer übernachteten.

Die Nacht war kühl und windig. Da es an Brennholz mangelte, konnten wir kein großes Feuer machen und froren. Wie ich mich auch in meinen Reitermantel einzuwickeln versuchte, der kalte Wind fand immer wieder irgendein Schlupfloch: Bald fror die Schulter, bald die Seite oder der Rücken. Das Holz brannte schlecht, es knisterte und sprühte nach allen Seiten Funken. Halb im Schlaf hörte ich, wie Dersu das Holzscheit beschimpfte, das er nach seiner Art »schlechte Leute« nannte. Seine Decke hatte Feuer gefangen.

»Wenn einer so brennt, wie wenn er schreit, muss man ihn …!« Dabei ahmte er mit seiner Stimme das Knistern des Holzes nach, und gleich darauf hörte ich ein Plätschern im Fluss und das Zischen eines Holzscheits. Offenbar hatte der Jäger eines der brennenden Holzstücke ins Wasser geworfen. Irgendwann schlief ich schließlich ein.

In der Nacht wachte ich auf und sah Dersu am Feuer sitzen. Er hütete das Lagerfeuer, denn der Wind wehte die Flammen nach allen Seiten. Über meinem Reitermantel lag die Decke des Golden. Also zugedeckt hatte er mich, deshalb war mir wärmer geworden. Und seine Zeltbahn hatten die Schützen über ihren Mänteln liegen. Ich bot Dersu an, sich nun auf meinen Platz zu legen, aber er lehnte ab.

»Nicht nötig, Hauptmann«, sagte er. »Schlaf du, werd Feuer bewachen. Sehr gefährlicher Kerl heute.« Er zeigte auf das brennende Holz.

Je näher ich diesen Mann kennen lernte, desto mehr gefiel er mir. Jeden Tag entdeckte ich neue Werte. Früher hatte ich geglaubt, der Egoismus sei eine Grundeigenschaft der unzivilisierten Völker, während das Gefühl der Nächstenliebe und Rücksicht auf fremde Interessen nur den Europäern eigen sei. Hatte ich mich da nicht geirrt? Über diesem Gedanken schlummerte ich wieder ein und schlief bis zum Morgen.

Als es ganz hell geworden war, weckte uns Dersu. Er hatte bereits Tee gekocht und Fleisch gebraten. Nach dem Frühstück schickte ich die Abteilung mit den Pferden nach Tschernigowka, dann ließen wir das Boot ins Wasser und machten uns auf den Weg.

Mit den Stangen vorwärts gestoßen, glitt unser Boot mit der Strömung dahin. Nach fünf Kilometern erreichten wir eine Eisenbahnbrücke und machten Halt. Dersu erzählte, dass er in dieser Gegend noch als Junge mit seinem Vater gewesen sei. Sie waren auf der Jagd nach Rehen hierher gekommen. Die Eisenbahn kannte er bisher nur aus Erzählungen der Chinesen, selbst hatte er noch nie eine gesehen.

Nach kurzer Rast fuhren wir weiter. Nicht weit von der Brücke hörten die Berge auf. Ich stieg aus dem Boot und erklomm den nächstgelegenen Hang, um zum letzten Mal die ganze Gegend überschauen zu können. Ein herrliches Panorama entfaltete sich vor meinen Augen. Fern im Osten drängten sich die Berge, im Süden lagen flache Hügel, die mit lichtem Laubwald bestanden waren. Im Norden breitete sich, so weit das Auge reichte, eine endlose Niederung aus, die mit Gras bewachsen war. Wie sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte ein Ende dieser Ebene nicht erkennen. Sie verlor sich in der Ferne und verschmolz irgendwo mit dem Horizont. Von Zeit zu Zeit wehte ein Wind über sie hinweg. Dann wiegte sich das Gras und wogte wie das Meer. Hier und da ragten in Gruppen verkümmerte Birken, schmächtige Lärchen und andere Bäume hervor. Vom Berg, auf dem ich stand, konnte man weit dem Lauf des Lefu folgen, an dessen Ufer in Hülle und Fülle Erlen und Weiden wuchsen. Eine Menge von Nebenflüssen, Kanälen, toten Flussarmen und kleinen Seen begleiteten ihn beiderseits. Die weite Ebene schien leblos und unbewohnt. Die hell in der Sonne funkelnden Wasserlachen zeugten davon, dass das Lefu-Tal während der Regenzeit oft überschwemmt wird.

Das lange Sitzen im Boot ermüdete sehr, und deshalb wollte jeder aussteigen und die erstarrten Glieder bewegen. Mich zog es in die Weite. Während Olentjew und Martschenko das Lager herrichteten, gingen Dersu und ich auf die Jagd. Gleich nach dem ersten Schritt umschloss uns das wogende Gras. Es war so hoch und so dicht, dass ein Mensch darin zu versinken drohte. Unter den Füßen, vorn und hinten, auch an den Seiten, nichts als Gras, Halme und Stängel – nur hoch oben der blaue Himmel. Es schien, als gingen wir auf dem Grund eines Grasmeeres. Dieser Eindruck verstärkte sich, als ich mich auf eine Erhöhung stellte und sah, wie alles um mich herum wogte und wallte. Zaghaft und behutsam kam ich wieder in das Gras herunter und ging vorsichtig weiter. In dieser Gegend konnte man sich genauso leicht verirren wie in einem Wald. Wir kamen einige Male vom Wege ab, beeilten uns aber jedes Mal, die Richtung zu korrigieren. Fand ich wieder eine Anhöhe, erstieg ich sie und versuchte, etwas als Orientierungspunkt auszumachen.

Tausende und abertausende große und kleine Vogelscharen zogen nach Süden. Einige flogen in entgegengesetzter Richtung, andere schräg zur Seite. Ihre Züge stiegen hoch und senkten sich wieder, und alle zusammen spiegelten sich so am Himmel wider, dass es schien, als wäre er mit Spinnweben überzogen. Ich sah hingerissen diesem Schauspiel zu. Höher als alle flogen die Adler. Die mächtigen Flügel weit ausgebreitet, zogen sie ihre großen Kreise, sich höher und höher schraubend, oft kaum noch zu erkennen. Tief unter ihnen, aber immer noch hoch, flogen die Wildgänse. Diese scheuen Vögel zogen in geordneten Scharen, und schwer mit den Flügeln flatternd, erfüllten sie die Luft mit lauten Schreien. Neben ihnen flogen die Seegänse und Schwäne. Tiefer, näher zur Erde, zogen lärmend die eiligen Enten dahin. Hier und da waren am Himmel Mäusebussarde und Turmfalken zu sehen. Sie beschrieben herrliche Kurven, hielten dann plötzlich lange an einer Stelle und spähten scharf nach Beute auf dem Boden. Dann zogen sie wieder Kreise, um plötzlich mit zusammengelegten Flügeln jählings in die Tiefe zu stürzen und, noch ehe sie das Gras berührt hatten, erneut emporzuschnellen. Die graziösen und munteren Möwen und die zierlichen, flinken Zwergseeschwalben leuchteten schneeweiß am azurblauen Himmel. Und all diese und noch viele andere Vogelarten zogen nach Süden. Ein überwältigendes Bild!

Plötzlich tauchten unerwartet von irgendwoher zwei Rehe auf. Sie standen etwa sechzig Schritte von uns entfernt und waren im dichten Gras kaum zu sehen. Nur die Köpfe mit den abstehenden Ohren und die weißen Spiegel zwischen ihren Hinterbeinen blitzten zwischen den Halmen auf. Nachdem sie sich einhundertfünfzig Schritte von uns entfernt hatten, blieben sie wieder stehen und schauten zurück. Ich schoss und verfehlte das Ziel. Das dröhnende Echo holte den Knall des Schusses ein und trug ihn weit über den Fluss. Tausende von Vögeln stiegen vom Wasser auf und flogen schreiend nach allen Seiten. Die erschrockenen Rehe flüchteten, wieder sprangen sie in weiten Sätzen. Jetzt zielte Dersu, und in dem Augenblick, als sich der Kopf eines Rehes über dem Gras zeigte, drückte er ab. Als der Rauch sich zerstreut hatte, war von den Rehen nichts mehr zu sehen. Der Golde lud erneut und ging geruhsam vorwärts. Ich folgte ihm stumm. Dersu blickte sich um, kehrte zurück, machte einige Schritte zur Seite und kam dann wieder zurück. Offenbar suchte er etwas.

»Was suchst du denn?«, fragte ich.

»Das Reh«, antwortete er.

»Aber das ist doch fort.«

»Nein«, sagte er überzeugt. »Hab den Kopf getroffen.«