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Margery fand sich an einem wundersamen Ort wieder, von dem sie nicht gewusst hatte, dass er existierte. Vor ihr erstreckte sich ein blühendes Feld. Es waren unzählige Mohnblumen. Alle erstrahlten in der verbotenen Farbe – Rot. »Spürst du den Windhauch?«, fragte Ember, während sie langsam durch die Wiese schritt. Sie hatte ihre Arme ausgebreitet, sodass sie mit den Fingerspitzen die Blüten im Vorrübergehen berührte. »Der Wind kommt von den vielen Seelen, welche über diese Wiese tanzen. Es sind die ruhelosen Geister der Mädchen, die deine Mutter in ihrem Keller getötet hat. Ihr Blut hat die Blumen rot gefärbt. Sie müssen nun sieben Jahre über dieses Feld tanzen, erst dann sind sie frei und dürfen in ein nächstes Leben weiterziehen.«
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Maya Shepherd
Der Tanz der verlorenen Seelen
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- gekürzte Vorschau -
Inhaltsverzeichnis
Titel
Was zuvor geschah
Der Turm der Erdenmutter
Zurück in der Realität
Ein Fenster in eine andere Welt
Der Tanz der verlorenen Seelen
Der gefallene Sohn
Der Spiegel der Seele
Nachwort
Copyright
Danksagung
Impressum tolino
Maya Shepherd
Die Grimm Chroniken 6
„Der Tanz der verlorenen Seelen“
Copyright © 2018 Maya Shepherd
Coverdesign: Jaqueline Kropmanns
Lektorat: Sternensand Verlag /Martina König
Korrektorat: Jennifer Papendick
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Facebook: www.facebook.de/MayaShepherdAutor
E-Mail: [email protected]
Für Mandy Töwe
Du hast an meine Tür geklopft,
als ich eine Freundin brauchte
1594
Mary und Dorian treiben in ihrem Ruderboot über das Meer. Seit Tagen sind sie in dichtem Nebel gefangen, der sie nichts in ihrer Umgebung erkennen lässt. Bis sie plötzlich ein Schiff entdecken. Es ist jedoch nicht irgendein Schiff, sondern gehört Dorians Vater, Vlad Dracul. Da sie sich nicht mehr zu helfen wissen, beschließen die beiden, sich auf das Schiff zu wagen.
Dort angekommen, stellen sie fest, dass die gesamte vampirische Besatzung unter Deck in Särgen voller Asche, Schnee und Blut schläft. Dieser Zustand nennt sich Lazarus-Bad und hält drei Tage an. Dorian hofft, unter den Schlafenden seinen Vater zu finden, um ihn zu töten. Dieser ist jedoch nicht dabei, dafür müssen sie erkennen, dass das Schiff keinesfalls unbewacht ist. Seelenlose Jäger befinden sich an Bord und haben ihr Eindringen bereits bemerkt. Bevor diese sie finden können, hilft Dorian Mary, in einen Sarg zu klettern, um sich dort zu verstecken. Er schließt den Deckel und Mary muss mit anhören, wie Dorian von den Jägern gefangen wird.
Vlad Dracul tritt seinem Sohn gegenüber und verlangt zu erfahren, wo sich Mary befindet. Als dieser sich weigert, es ihm zu erzählen, befiehlt er, Dorian ebenfalls in einen Sarg zu sperren.
Mary wartet, bis es wieder ruhig ist, ehe sie sich aus ihrem Versteck hervorwagt. Dorian ist wie die anderen Vampire in einen dreitägigen Schlaf gefallen, sodass sie nun auf sich allein gestellt ist. Im Schutz der Dunkelheit findet sie heraus, dass Vlad Dracul auf dem Schiff einen Sarg mitführt, in dem sich die namenlose Hexe befindet, welche Mary verflucht hat.
Plötzlich sieht sie sich unter Deck einem anderen Menschen gegenüber, der sie mit einer Waffe bedroht, da er sie fälschlicherweise für einen Vampir hält. Es gelingt ihr, das Missverständnis aufzuklären, und der Mann stellt sich ihr als Jacob Grimm vor. Er ist genau wie sie auf der Suche nach dem Turm der Erdenmutter. Seinem jüngeren Bruder Wilhelm wurde von dem Teufel das Herz gestohlen. Der Fluch des Schlafenden Todes ist alles, was den Jungen noch am Leben hält.
Jacob bietet Mary seine Hilfe an. Dafür verlangt er jedoch von ihr, dass sie ihn darin unterstützt, ein Herz für seinen Bruder zu finden. Als Mary zustimmt, überreicht er ihr einen Lederbeutel, der sieben Gegenstände enthält, die sie alle brauchen wird, um die Erdenmutter bezahlen zu können. Er nimmt ihr das Versprechen ab, den Beutel unter keinen Umständen zu öffnen.
Gemeinsam gelingt es ihnen, ein Beiboot des Schiffes zu erreichen, in welchem sich der Glassarg mit Wilhelm befindet. Während Mary mit Dorian das Boot besteigt, bleibt Jacob zurück, um sie zu Wasser zu lassen.
Der Mond kommt Mary zu Hilfe, als sie orientierungslos über das Meer treibt. Er weist ihr mit seinem Licht den Weg. Erst als dieser untergeht, weckt Mary Dorian mit ihrem Blut. Er erzählt ihr, dass der Mond ein lebendiges Wesen ist, welches tagsüber auf dem Meeresgrund schläft. Sie schlägt ihm vor, den Mond dort aufzusuchen und um Hilfe zu bitten.
Dorian taucht daraufhin unter und kehrt kurze Zeit später mit einem Mädchen zurück, welches der Mond ist. Sie ist bereit, ihnen zu helfen, dafür benötigt sie jedoch einen Teller, welcher sich in dem Beutel befindet, den Jacob Mary anvertraut hat. Für ihre Hilfe verlangt sie außerdem Schutz für ihre Schwester, welche genau wie sie ein Mond ist. Sollten Mary und Dorian ihr begegnen, sind sie verpflichtet, ihr zu helfen.
Widerwillig überreicht Mary dem Mondmädchen den Teller und bricht somit das Versprechen, welches sie Jacob gegeben hat. Das Mädchen bindet ihre Seele an den Gegenstand und verglüht, sobald die Nacht hereinbricht. Der Teller weist ihnen den Weg durch die Sieben Weltmeere bis zu dem Turm der Erdenmutter.
Dieser stellt sich jedoch nicht als Gebäude heraus, sondern als ein riesiger Baum, welcher auf dem Rücken eines Wals wächst. Dorian und Mary verbringen die Nacht zwischen den gewaltigen Wurzeln und schlafen dort zum ersten Mal miteinander. Am nächsten Tag versuchen sie, einen Weg den Stamm empor zu finden, und scheitern daran. Wieder blicken sie in den Beutel von Jacob, auf der Suche nach einem Gegenstand, der ihnen nützlich sein könnte. Dabei fallen Samen heraus, die auf der Stelle zu übergroßen Pflanzen emporwachsen, welche sich den Stamm hochranken. Dabei handelt es sich um Rapunzeln.
1803
Nachdem Schneewittchen an ihrem siebten Geburtstag den jungen Prinzen Philipp gebissen hat, kommt am Abend ihre Mutter zu ihr, um ihr ein besonderes Geschenk zu überreichen. Dafür führt sie das Mädchen in den Westflügel des Schlosses, wo sie von Jacob Grimm erwartet wird, der ein guter Freund der Familie ist. In einem Sarg aus Glas schläft ein Junge in Margerys Alter. Sein Name ist Wilhelm. Er ist der jüngere Bruder von Jacob. Ihm fehlte ein Herz, weshalb er bisher nicht erweckt werden konnte. Die Königin hat sich jedoch um dieses Problem gekümmert.
Mit einem Tropfen von Schneewittchens Blut wecken sie Wilhelm auf, der von nun an Schneewittchen nicht mehr von der Seite weichen soll.
1812
Neun Jahre später ist von der einst so gütigen Königin und liebevollen Mutter nichts mehr übrig. Angst und Einsamkeit prägen den Alltag ihrer Tochter, welche im Nordturm des Schlosses gefangen gehalten wird. Alles, was Margery lieb war, wurde ihr von der Mutter genommen. Diese schreckt weder vor Folter noch Mord zurück. Regelmäßig badet sie nun in dem Blut junger Frauen. Margerys Vater Dorian ahnt von all dem nichts, da er tapfer die Dornenhecke vor Vlad Dracul verteidigt, der seine Enkelin töten will.
Unerwartet erhält Schneewittchen eine neue Kammerzofe zugeteilt. Das Mädchen ist in ihrem Alter und teilt ein ähnliches Schicksal wie die Prinzessin. Ihr Vater ist kaum zu Hause und ihre grausame Stiefmutter verkaufte sie an die Königin, wohl wissend, dass diese Entscheidung den Tod des Mädchens bedeuten könnte. Es vertraut Margery an, dass es sich mit Magie befasst. Der Name des Mädchens ist Ember.
2012
Margery und Will erreichen das Lebkuchenhaus, in welchem die böse Königin die Geschwister Maggy und Joe gefangen hält. Die Königin offenbart ihnen, dass sie ihre Tochter nicht töten kann, da ein fremdes Herz in deren Brust schlägt. Ihr eigenes Herz teilte sie unter sieben Fremden auf, den Vergessenen Sieben. Schneewittchen kann sich zum Schutz ihrer Identität nicht mehr an sie erinnern.
Die Königin stahl in einem Traum Wills Kette mit dem Medaillon und hat dadurch nun Macht über ihn. Bevor sie ihn zwingen kann, Margery mit einem goldenen Apfel wieder mit dem Fluch des Schlafenden Todes zu belegen, beißt diese freiwillig von der Frucht ab. Nur in Margerys Träumen und Erinnerungen lässt sich herausfinden, wer die Vergessenen Sieben sind.
Danach zwingt die Königin Will, ihrer Tochter in deren Traum zu folgen. Da er nun unter ihrer Gewalt steht, kann sie sehen, was er dort erleben wird. Maggy und Joe lässt sie gehen, da ihnen ohnehin niemand glauben würde, was sie gesehen haben. Sie beschließen, nach Berlin zurückzukehren, um dort Jacob aufzusuchen und ihn um Hilfe zu bitten.
Irgendwo in den Sieben Weltmeeren auf dem Rücken eines Wals, Januar 1594
Wir hielten uns nah an dem gewaltigen Stamm, als wir uns Blatt für Blatt der Rapunzelpflanzen immer weiter den Baum emporkämpften. Unter uns befand sich die tosende See. Weit und breit war kein Land, nicht einmal ein Schiff, in Sicht. Das bedeutete immerhin, dass Vlad Dracul uns wohl noch nicht gefunden hatte. Dabei hatten wir bereits einen ganzen Tag mit dem Aufstieg verbracht. Erst als es so dunkel geworden war, dass wir nichts mehr hatten erkennen können, hatten wir uns dicht aneinander gekauert auf einem der Blätter niedergelassen und für wenige Stunden versucht, Schlaf zu finden. Es war mir nicht gelungen, da die Angst, hinabzustürzen, zu groß gewesen war.
Zudem hatte mein Magen vor Hunger geknurrt. Ich hatte versucht, mir ein Stück von den gewaltigen Rapunzelpflanzen abzureißen, doch sie waren zu fest gewesen. Nur so konnten sie unser Gewicht tragen. Nicht einmal Dorian mit seinen übermenschlichen Vampirkräften hatte daran etwas ändern können.
Für ihn musste der Aufstieg noch viel anstrengender sein, denn er trug zusätzlich den Glassarg mit dem schlafenden Jungen auf seinem Rücken. Sosehr es mich auch erleichterte, kein Schiff zu sehen, bedauerte ich es zugleich. Insgeheim hatte ich gehofft, dass es Jacob Grimm gelingen würde, uns rechtzeitig zu finden, sodass wir gemeinsam die neue Welt hätten betreten können.
Unsere Bekanntschaft war nur kurz gewesen, nicht einmal eine Stunde lang, trotzdem dachte ich oft an ihn. Nicht nur wegen seines Bruders, sondern auch weil ich zwischen uns eine Vertrautheit empfunden hatte. Es war nicht wie bei Dorian, dem ich auf den ersten Blick verfallen war, sondern mehr eine Verbundenheit der Seelen.
Jacob war mir gegenüber ehrlich gewesen, während ich ihn belogen und behauptet hatte, ein Kind zu erwarten. Ohne mich zu kennen, hatte er mir genug Vertrauen entgegengebracht, um das Wichtigste bei mir in Obhut zu geben, das er hatte – Wilhelm. Er hatte nichts von der Prophezeiung über mich gewusst, von dem Unheil, das ich über die Welt bringen würde. Er hatte mich so gesehen, wie ich jetzt war – und das, obwohl ich nicht einmal mehr eine Seele besaß.
Irgendwann würde der Tag kommen, an dem der Teufel mich spüren ließ, was es bedeutete, einen Handel mit ihm eingegangen zu sein. Er war geduldig, da Zeit für ihn keine Rolle spielte. Jahre könnten vergehen, sodass ich mich in Sicherheit wiegen würde und beinahe vergessen hätte, was einst inmitten der Sieben Weltmeere geschehen war. Vielleicht wartete er nur auf den richtigen Augenblick. Dann, wenn ich am wenigsten mit ihm rechnete.
Diese Ungewissheit legte sich wie ein schwarzer Schatten über mein Herz. Er dämpfte meine Hoffnung und schürte meine Angst.
Am Abend des zweiten Tages, als die Sonne bereits zu sinken begann, erreichten wir die Wolken. Sobald wir sie durchbrachen, waren wir wie in einen dichten Nebel gehüllt, der uns das Vorankommen erschwerte. Wir konnten nicht weiter sehen als von einem Blatt zum nächsten.
Vorsichtig setzten wir einen Fuß vor den anderen und versuchten trotz der Erschöpfung, nicht unsere Konzentration zu verlieren. Nur ein unbedachter Schritt konnte unseren Tod bedeuten.
Wir hatten nun seit fast achtundvierzig Stunden nichts mehr gegessen oder getrunken. Dorian mochte das nichts ausmachen, aber meine Kehle fühlte sich so rau wie Schleifpapier an. Kopfschmerzen plagten mich und ich war wacklig auf den Beinen.
Plötzlich hielt Dorian an. Direkt vor ihm, mitten im Baumstamm, befand sich eine massive Tür.
Mein Herzschlag beschleunigte sich und Euphorie bahnte sich einen Weg durch meinen Körper, wenn ich mir vorstellte, dass uns dahinter das Ziel unserer Reise erwarten würde – die Erdenmutter. Wir brauchten nur die Klinke hinunterzudrücken und schon wären wir bei ihr.
Dorian drehte sich zu mir um und schenkte mir ein glückliches Lächeln. Wir hatten es geschafft. All die Strapazen waren nicht umsonst gewesen. Wir würden unsere Welt bekommen.
Er legte bedeutungsschwer seine Finger um den Messinggriff, holte noch einmal tief Luft und drückte ihn dann hinunter. Er drückte dagegen und zog daran, doch nichts tat sich. Auf die Zuversicht folgte die ernüchternde Wahrheit, dass die Tür verschlossen war.
Warum hätte es auch einmal leicht sein sollen?, dachte ich zynisch. Wer auch immer die Fäden des Schicksals zog, ihm schien es große Freude zu bereiten, uns immer wieder vor neue Herausforderungen zu stellen.
Noch bevor Dorian den Mund aufmachte, wusste ich bereits, was er von mir verlangen würde. »Schau in den Beutel. Vielleicht können wir die Tür mit einem der Gegenstände öffnen.«
Schon drei Mal hatte ich mein Versprechen an Jacob gebrochen. Den Teller, die Samen und das Messer hatte ich bereits verloren. Er hatte mir eingeschärft, dass die Erdenmutter uns ihre Hilfe nur dann gewähren würde, wenn ich alle sieben Gaben überreicht hatte. Noch besaß ich mehr als die Hälfte der Dinge.
Während ich zögerte, veränderte sich auf einmal die Luft um uns herum. Ein kühler Wind zog auf, der es beinahe unmöglich machte, sich auf dem Blatt zu halten. Dorian klammerte sich an den Türgriff, welcher unseren einzigen Halt darstellte, und zog mich beschützend an sich.
Der Nebel wurde hinfort geweht, stattdessen peitschten uns eisige Regentropfen ins Gesicht. Das Rauschen des Meeres war plötzlich zu hören, als wäre der Wal nun tatsächlich untergetaucht und brächte uns den Fluten wieder näher. Eine gewaltige Welle schwappte wie aus dem Nichts über uns hinweg und hätte uns fast von den Füßen gerissen. Keuchend klammerte ich mich an Dorian.
»Mary, gib mir die Gabel«, schrie er mich an. Sie war einer der Gegenstände aus dem Sack.
Ich rang mit mir und wusste nicht, was ich tun sollte.
»Es gibt kein Zurück«, brüllte er verzweifelt. »Wir müssen durch diese Tür, sonst werden wir ertrinken.«
Wie zur Bekräftigung seiner Worte traf uns die nächste Welle. Sie war noch stärker als die vorherige. Ich hätte mich niemals allein gegen sie stemmen können. Ohne Dorian hätte sie mich hinfort gerissen.
Wenn wir überleben wollten, hatten wir keine Wahl. Ich griff in den Sack und reichte Dorian die silberne Gabel. Ohne Zögern steckte er die Zacken in das Schlüsselloch, welches sich daraufhin drehen ließ. Als Dorian dieses Mal die Klinke hinunterdrückte, gab die Tür nach und ließ uns ein.
Ich wollte die Gabel wieder herausziehen, um sie mitnehmen zu können, doch sie steckte fest.
Vor der Tür brauste weiterhin das Meer. Eine dritte Welle erfasste uns und schleuderte uns in das Innere.
Aber nicht sie war es, die mich letztlich überzeugte, sondern die Frauenstimme, welche aus weiter Ferne zu singen begann. Ich konnte die Worte nicht verstehen, aber sie klangen lockend, so als wollte sie, dass wir den Weg zu ihr fanden.
Schnell stemmte ich mich gegen die Tür und schloss sie. Der Sturm konnte uns nun nichts mehr anhaben, doch mit ihm verstummte auch der Gesang.
Verunsichert drehte ich mich zu Dorian, der mich tröstend in eine Umarmung zog. Er sah, wie sehr ich darunter litt, dass ich mein Wort gebrochen hatte.
»Nicht alle Versprechen können gehalten werden«, flüsterte er mir einfühlsam zu, bevor er mich wieder losließ und wir sahen, wo wir gelandet waren.
Es war längst nicht das Ende unserer Reise. Nicht die Erdenmutter erwartete uns, sondern eine weitere Herausforderung. Wir befanden uns in einem steinernen Turm und vor uns erstreckten sich unzählige Stufen. Am liebsten hätte ich vor Enttäuschung zu weinen begonnen.
Je mehr Zeit verging, desto schlechter wurde meine Laune und meine Erschöpfung nahm zu. Ich konnte vor lauter Durst nicht mehr klar denken. Ein pochendes Hämmern hatte sich in meinem Kopf eingenistet, das mir die Sicht erschwerte. Ständig verschwamm alles vor meinen Augen und meine Beine verweigerten mir den Dienst.
Seit vier Tagen hatte ich nichts mehr getrunken und ich konnte nicht sagen, wie lange ich noch durchhalten würde. Jede weitere Minute erschien mir schon unerträglich.
Dorian hatte mir angeboten, mich zu tragen, doch das hätte bedeutet, dass er den Glassarg hätte absetzen und zurücklassen müssen. Auch wenn er behauptet hatte, dass er ihn später holen könnte, wollte ich das Risiko nicht eingehen.
»Was ist, wenn der Turm niemals endet?«, entfuhr es mir irgendwann leise, als ich mich kraftlos zu Boden sinken ließ. Selbst das Sprechen tat weh, weshalb ich es in den letzten beiden Tagen weitestgehend vermieden hatte.
Wir waren hier zwar sicher vor Dracula und auch sonst lauerten keine Gefahren in dem Gemäuer, aber es war ungemein deprimierend, immer weiter Treppen emporzusteigen, ohne auch nur eine Veränderung festzustellen. Zwar gab es Fenster, aber wenn wir hinausblickten, sahen wir nichts als Wolken. Es wurde weder Tag noch Nacht. Alles war grau und trist. Obwohl wir unserem Ziel näher als je zuvor waren, fühlte es sich unerreichbar an.
Dorian kniete sich vor mir nieder und legte seine Hände behutsam um meine Oberarme. »Du darfst den Glauben nicht verlieren«, bat er mich eindringlich.
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