Der Teufel von Rom - Günther Peer - E-Book
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Günther Peer

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Beschreibung

Rom, 1456: Der Dominikanermönch Vinzenz gerät in die Fänge des gefürchteten Kardinals Rodrigo Borgia. Als Vinzenz sich weigert, den Zugang zu einem verborgenen Schatz der Tempelritter zu offenbaren, wird er in eines der Verliese unterhalb der Engelsburg eingekerkert und muss um sein Leben bangen, während der Würdenträger seinen unfrommen Begierden frönt. Er war ein Mörder, ein Lüstling, ein Meister der Intrige. Und doch bestieg "der personifizierte Teufel" Rodrigo Borgia im August 1492 als Papst Alexander VI den Stuhl Petri.

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Titelei

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

Nachwort des Autors

Bibliographie

ZUM NACHLESEN

Günther Peer

Der Teufel von Rom

Historischer Roman um den Borgia-Papst Alexander VI.

Historischer Roman

Peer, Günther : Der Teufel von Rom. Historischer Roman um den Borgia-Papst Alexander VI. Hamburg, acabus Verlag 2023

1. Auflage 2023ISBN: 978-3-86282-845-6

Dieses Buch ist auch als eBook erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.ePub-eBook: 978-3-86282-847-0

Lektorat: global:epropaganda Michael HaitelKorrektorat: Elena Stieghorst, OsnabrückSatz: 3w+p GmbH, RimparUmschlaggestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von iStock/ Getty Images Plus und Alamy Umschlagabbildungen: © dgstudiodg / iStock / Getty Images Plus © World History Archive / Alamy Stock Photo © milovanov / iStock / Getty Images Plus © drante / iStock / Getty Images Plus

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der acabus Verlag ist ein Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH,Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

© acabus Verlag, Hamburg 2023Alle Rechte vorbehalten.https://www.bedey-thoms.deGedruckt in Deutschland

Nescit vox missa vevertis – Das gesprochene Wort kann nicht zurückkehren (Horaz).

1.Kapitel

Rom – Anno Domini 1456

Der Himmel über der Engelsburg erstrahlte in hellem Licht. Die ersten Sonnenstrahlen erwärmten den kommenden Tag. In den Gängen der düsteren Gewölbe mit den zahlreichen Zellen stank es bestialisch nach Fäkalien und Urin. Die Schmerzensschreie der Gefolterten hallten von den kahlen Steinwänden. Pater Vinzenz lag nach einer peinlichen Befragung des Inquisitors beinahe regungslos auf dem verfaulten Strohlager. Trotz der Qualen, die er erdulden musste, dachte er auf einmal an seine Kindheit in der Toskana. Er war das Älteste von sieben Kindern einer armen Bauernfamilie. Nach einem Schicksalsschlag traf die Mutter eine harte Entscheidung. Es war ihr unmöglich geworden, so viele hungrige Mäuler zu ernähren. Deshalb entschloss sie sich schweren Herzens, Vinzenz wegzugeben, obwohl sie ihn über alles liebte. Er war der Erstgeborene und ein außergewöhnliches Kind – sensibel und mitfühlend. Er half dem Vater bei der Feldarbeit wie ein Knecht. Verließen ihn die Kräfte beim Ziehen des Pflugs – die Ochsen waren geschlachtet worden, um den Hunger der Kinder zu stillen – machte er sich große Vorwürfe. An manchen Tagen brach er vor Erschöpfung am Feld zusammen. Versuchte ihn die Mutter zu trösten, schaute er sie aus großen Augen traurig an.

An einem heißen Julitag überschattete ein Unglück die Bauernfamilie. Beim Einbringen des Heues mit dem Fuhrwerk zerbrach ein Rad. Mit einem Holzpfosten hob der Vater den Heuwagen an, stolperte über einen Stein im weichen Erdreich. Der Wagen kippte um, fiel mit der ganzen Wucht auf ihn, begrub ihn unter sich und zerquetschte ihm dabei den Brustkorb. Minuten später verstarb er an den schweren Verletzungen.

Ohne seine Arbeitskraft begannen Jahre der Entbehrungen für Vinzenz und seine Brüder. An manchen Tagen hatten sie nur hartes Brot zu essen. Die eine Kuh gab gerade soviel Milch, dass die jüngeren Geschwister noch satt wurden. Die Schweine waren schon alle geschlachtet. Auch die Hühner. Ein einzelnes Huhn suchte auf dem kargen Boden nach Würmern. In ihrer Verzweiflung brachte die Mutter den damals zwölfjährigen Knaben an die Pforte des Klosters, das an einer Waldlichtung in der Nähe des Bauernhofes lag. Sie klopfte an die schwere Eichentür, in der Hoffnung, dass ihren Sohn an dem heiligen Ort ein besseres Leben erwarten würde.

Zunächst war der Pförtner irritiert, mürrisch, als ihm die Bäuerin, die er nicht kannte, den Knaben übergab, mit der Bitte für ihn zu sorgen. Nach anfänglichem Zögern ließ er sich überzeugen. Letztlich siegte die Barmherzigkeit über die Zurückweisung. Das Kloster der Dominikaner, ein Predigerorden, war im ganzen Land für seine Gottesfürchtigkeit bekannt. Zwanzig Klosterbrüder lebten nach einer wohltätigen Regel – zu helfen nach Gottes Geboten.

Nachdem sich Vinzenz mit einem Kuss von der Mutter verabschiedet hatte, nahm ihn der Pförtner an der Hand und führte ihn in das große Gebäude mit den Zellen, den Wohnungen der Brüder.

Die Jahre vergingen und die Mönche hatten Vinzenz ins Herz geschlossen. Es fehlte ihm an nichts. Er hatte genügend zu essen. Ein Dach über dem Kopf. Und die Mönche waren gut zu ihm. Dafür war er dankbar und half, wo er konnte. Im Garten. Auf dem Feld. In der Kirche. In der Krankenstube. Mit Feuereifer lernte er lesen und schreiben. Studierte die Heilige Schrift und fasste den Entschluss, ebenfalls Mönch zu werden. Mit achtzehn Jahren wurde er Novize. Als Zwanzigjähriger zum Priester geweiht.

Ein Jahr später wurde ihm eine schwierige Aufgabe anvertraut. Der Prior schickte ihn in ein anderes Kloster, nahe der Lateranbasilika. Dort sollte er Erfahrungen sammeln. In Demut erfüllte er das Gelübde des Gehorsams und machte sich auf den Weg. Zum Abschied schenkte ihm der Prior eine Bibel mit wunderschön gemalten Buchstaben und kunstvollen Federzeichnungen, die die Leidensgeschichte Jesu darstellten.

Als der nächste Frühling ins Land zog, fühlte sich Pater Vinzenz in seiner neuen Umgebung wohl und wurde wegen seiner Frömmigkeit und der Begeisterung bei der Verkündigung des Evangeliums von den Mitbrüdern bewundert. Das umfangreiche theologische Wissen machte ihn zu einem beliebten und bekannten Prediger im ganzen Land. Mit Verbissenheit prangerte er die Missstände des Adels an. Die Verschwendungssucht der Kardinäle. Selbst vor dem Papst schreckte sein Tadel nicht zurück.

Dadurch machte er sich mächtige Feinde. Sie schworen Rache. Forderten Vergeltung. Wollten ihn für immer zum Schweigen bringen. Doch nichts und niemand konnte Vinzenz davon abhalten, Unrecht anzuklagen. Unbeirrbar predigte er vom Himmelreich und dem Feuer der Hölle, in der Gewissheit die Wahrheit zu bekennen. Denn eines Tages musste auch er Rechenschaft ablegen, vor dem Richterstuhl Gottes.

Während er in Erinnerungen schwelgte, vernahm er auf einmal ein lautes Fluchen, das ihn in die Gegenwart zurückholte. Die Zellentür wurde aufgesperrt und ein Henkersknecht kam schwerfällig herein, lachte boshaft. Der Mund mit den abgebrochenen, verfaulten Zahnstumpen verzog sich zu einer grauenvollen Grimasse. Der grobschlächtige, verschmutzte Folterknecht stank bestialisch nach Pisse und war bekannt für seine Grausamkeit. Er war ein Findelkind mit einfältigem Wesen, der erbarmungslos einen Sünder zur Streckbank zerrte und ohne eine menschliche Regung mit Eisenketten daran festband. Ihn mit Freude quälte. Zum Spielzeug in seinen Händen machte.

Er wusste nicht, was er tat, denn er hatte den Verstand eines fünfjährigen Knaben. Seine Mutter verstarb gleich nach der Geburt. Weder war er getauft noch hatte er einen Namen. Auf der Straße aufgewachsen, versorgte ihn eine Bettlerin mit dem Lebensnotwendigen. Gerufen wurde er „Komm´ her“. Der Vater ein derber Mann, ohne Herz und Gefühl. Ein Galgenstrick, der seine Lust befriedigte und bei mehreren Weibsbildern einen Sprössling hinterließ.

Der Folterer ohne Namen, bei allen gefürchtet, von niemand geliebt, vollstreckte was man ihm befahl. Wie jeder Mensch wollte auch er überleben. Für Brot und ein wenig Fleisch. Einen Schlafplatz. Manchmal wurde er für sein blutiges Handwerk mit einer Silbermünze belohnt. Denn er verstand es wie kein anderer, seine Opfer auf grausame Weise zum Sprechen zu bringen. Ein Geständnis zu erzwingen. Er quälte, ohne Mitleid zu empfinden. Für ihn war alles nur ein Spiel.

Zwei weitere Schergen kamen herein, packten Pater Vinzenz grob am Handgelenk, zerrten ihn aus der Zelle. Noch einmal sollte er auf der Streckbank geläutert werden. Deshalb holten sie ihn ab. Schon vor Tagen wurde ihm das weiße Ordenskleid mit der schwarzen Cappa vom Leib gerissen und ihm ein Büßerhemd über den geschundenen Körper gezogen. Niemand sollte erkennen, dass er ein Priester war. Ein Ordensmann.

Mit Eisenketten banden sie ihn auf dem Foltergerät fest. Der Mann ohne Namen peinigte ihn mit glühenden Zangen. Dann brachte er die Kohlen in einem Steinbecken zum Glühen, erhitzte darin eine dünne, zugespitzte Eisenstange und rammte sie dem Wehrlosen in den After. Es roch nach verbranntem Fleisch. Die Schmerzensschreie drangen bis in den Vorhof hinaus. Blut quoll aus der Körperöffnung.

Immer und immer wieder wurde Vinzenz mit denselben Fragen schikaniert. Wurde beschuldigt, dem ehrwürdigen Kardinal den Gehorsam verweigert und die reine kirchliche Lehre verleugnet zu haben. Der Inquisitor, ein frommer Gottesmann, ein Franziskaner, erwartete eine Antwort. Denn er handelte in höchstem Auftrag. Die Schmerzen sollten dem Verdächtigen ermöglichen, dem Guten zum Durchbruch zu verhelfen. Mit einem Geständnis den Teufel austreiben.

Nachdem Vinzenz noch immer nicht bereit war zu sprechen, band ihm ein Scherge die Hände auf den Rücken. Der gefesselte Körper wurde mit einem Seil, das über eine Umlenkrolle lief, in die Höhe gezogen. Würde er nun endlich gestehen?

Markerschütternde Schmerzensschreie erfüllten das düstere Gewölbe. Die Wachen hatten sich schon lange an die Schreie gewöhnt. Es war wie Musik in ihren Ohren, die sie die Eintönigkeit des Tages leichter ertragen ließ.

Nachdem die Schergen die Tortur beendet hatten, die nicht den gewünschten Erfolg brachte, schleiften sie den Gefolterten wieder in seine Zelle zurück. Ein Knecht, der niedere Dienste verrichtete und den Boden von Fäkalien säuberte, näherte sich mit müden Schritten der Streckbank, bedeckte die Blutlache auf dem groben Steinboden mit frischem Stroh. Denn der Großinquisitor wurde im Verlies erwartet. Der hohe Herr sollte sich die kostbare Seidenrobe nicht mit Blut beschmutzen.

*

Pater Vinzenz, noch jung an Jahren, aber ein erfahrener Priester mit heiligem Eifer für das Wort Gottes und hohen moralischen Ansprüchen, befand sich in den Fängen des rachsüchtigen Kardinals Rodrigo Borgia. In zahlreichen Predigten verurteilte der Mönch unermüdlich den verschwenderischen Lebensstil des Kirchenfürsten. Zudem weigerte er sich, dem Kardinal ein geheimnisvolles Dokument auszuhändigen. Das war der eigentliche Anlass, warum er gefangen gehalten wurde.

Nun wartete er in einem der überfüllten Verliese auf seine Hinrichtung. Immer wieder quälte man ihn mit heißen Zangen, folterte ihn auf der Streckbank, bis er unter Qualen gestand, weil er die Schmerzen nicht mehr ertragen konnte. Doch was konnte er gestehen, war er doch unschuldig? Es waren Lügen, die ihn als gottlos denunzierten. Als einen Mönch ohne moralischen Anspruch. Nun sollte das Feuer seine Seele reinigen, bevor er Gott gegenübertreten konnte.

Bei der Anklage zählte weder ein Beweis noch ob schuldig oder unschuldig. Allein die Absicht des Inquisitors entschied über Leben oder Tod. Er war beileibe nicht der Einzige, dem Unrecht widerfuhr. In Zeiten wie diesen waren die Gefängnisse überfüllt. Von Häretikern und Ketzern, aber auch von Dieben, Räubern und Mördern. Die Scheiterhaufen brannten Tag und Nacht. Eine Hinrichtung wurde zum Volksfest. Sogar Kinder klatschten Beifall, wenn einer gehenkt, ihm der Kopf abgeschlagen oder er dem Feuer übergeben wurde. Die Mächtigen und Reichen waren das Gesetz. Sie entschieden über Recht oder Unrecht.

Doch meist war man der Willkür der hohen Geistlichkeit ausgeliefert. Die Autorität der heiligen Mutter Kirche war unangefochten. Die Würdenträger beriefen sich auf den Willen Gottes. Sogar Herrscher mussten vor ihnen das Knie beugen. Dabei spielten Gott oder der Glaube eine untergeordnete Rolle. Entscheidend war das Ansehen in der Gesellschaft. Das Volk musste belehrt und geführt werden. Von Steuereintreibern und Ablasspredigern wurde ihnen die letzte Münze abgepresst. Weiber wurden als Huren oder Mätressen benutzt. Mannsbilder als Söldner eingezogen. Kinder zur Fronarbeit gezwungen. Und der Adel feierte rauschende Feste. Mit dem Segen der katholischen Kirche. Sie waren miteinander verbunden, wie der Himmel mit der Erde.

Im Innenhof des Verlieses wurde ein Scheiterhaufen vorbereitet. Ein Holzpfahl ragte bedrohlich in den Himmel. Das Dornengestrüpp rundherum aufgeschichtet. Getränkt mit Teer. Wer sollte heute verbrannt werden? Pater Vinzenz oder ein anderer, dessen Schicksal sich im Urteilsspruch verfing.

Knarrend öffnete sich die schwere Holztür zum Verlies. Durch ein kleines, vergittertes Fenster in der Steinwand fiel ein schwacher Lichtstrahl herein und erfasste das purpurrote Gewand des Priesters, der sich den Handschuh schützend vor Nase und Mund hielt. Er beugte sich zu Pater Vinzenz hinab, der geschwächt von der Folter mit geschlossenen Augen am Strohboden lag. Die linke Hand an die Wand gekettet. Die rechte Hand hing kraftlos von der Schulter herab. Seltsam verdreht. Man hatte ihm wieder das verschmutzte weiße Ordenskleid angezogen, durchtränkt von Blut und Urin, das nur notdürftig den nackten, geschändeten Körper bedeckte. Er sollte für den hohen Besuch als Mönch erkennbar sein.

Im Schein der Fackel blinzelte er den Besucher aus verschwollenen Augen an. Mit schmerzverzerrtem Gesicht. Der Körper zitterte. Die nackten Beine blutverkrustet. Übersät von offenen Wunden, aus denen Blut hervorquoll. Die letzte peinliche Befragung lag erst wenige Stunden zurück.

„Er weiß noch, wer Wir sind?“, verhöhnte ihn der vornehme Herr mit Sarkasmus in der Stimme. Der Gefangene konnte die Augenlider nur unter großer Anstrengung offen halten. Die Augenbrauen waren aufgeplatzt. Die Augäpfel rot unterlaufen.

„Ich wünschte ... ich würde Euch nicht erkennen“, antwortete Vinzenz undeutlich. Bis auf wenige Zähne hatte man ihm alle gezogen. Mit einer verrosteten Zange, die man zum Herausziehen der Nägel aus den Hufen der Pferde verwendete. Der zugefügte Schmerz sollte seine Seele läutern. Zahn für Zahn.

„Dann weiß Er auch, dass Wir der Einzige sind, der Ihn vor dem Feuer bewahren kann. Wenn Er ...“

Der Pater verzog verächtlich das Gesicht. Lächelte schwach aus dem fast zahnlosen Mund. Zwar hatte man seinen Körper geschändet, doch sein Geist war wach.

„Advocatus diaboli“, flüsterte er mit gebrochener Stimme. „Der Teufel versucht es immer wieder, sich in unsere Herzen zu schleichen.“

Mit der rechten Hand schlug der Würdenträger kraftvoll zu. Mitten ins Gesicht. Die Wunde an der Wange platzte auf. Begann zu bluten.

„Er nennt Uns, einen Diener der Kirche, einen Teufel ... und das, nachdem Er Uns wiederholt beleidigt und geschmäht hat. Wie kann Er es wagen?“

Ohne darauf zu antworten, spreizte Vinzenz die Beine und urinierte auf das Purpurgewand des Kardinals. Der wich entsetzt und wutentbrannt einen Schritt zurück. Verzog vor Ekel verächtlich das Gesicht.

„Anathema sit“, zischte der Kardinal. Die Stimme überschlug sich vor Abscheu und Hass. „Morgen wird Er brennen.“

„Ante mortem nemo beatus“, flüsterte Vinzenz mit schwacher Stimme. Dabei hatte er einen verklärten Gesichtsausdruck und in seinen Augen lag ein seltsames Leuchten. Dann sank er kraftlos auf dem übel riechenden Strohlager in sich zusammen.

Ohne ein weiteres Wort drehte sich der Kardinal um, pochte mit der Faust gegen die Holztür. Nach einer Weile näherten sich schlurfende Schritte. Quietschend öffnete sich die Tür. Der Folterknecht grinste. Schlecht gelaunt schlich sich Rodrigo davon ohne Vinzenz noch eines Blickes zu würdigen.

Eigentlich hatte er ihn aufgesucht, um in Erfahrung zu bringen, wo sich das geheimnisvolle Schriftstück befand. Doch dieser verdammte Priester hatte ihn wieder einmal aus der Fassung gebracht. Nun war es zu spät. Er konnte und wollte sich keine Blöße geben. Außerdem war das Urteil schon besiegelt. Doch wie sollte er nun in den Besitz des Dokumentes gelangen?

Während der Kardinal wutentbrannt die Zelle verließ, rannen Vinzenz Tränen über die eingefallenen Wangen, denn die Erinnerung kam ungebeten zurück. An die schicksalhafte Begegnung mit Rodrigo Borgia, die sein beschauliches Mönchsleben auf dramatische Weise veränderte.

Damals wusste er noch nicht, wie mächtig der Kardinal war, der durch Nepotismus in das höchste Amt der Kirche berufen wurde. Als Vizekanzler der heiligen römischen Kirche. Sein Onkel, Papst Calixtus III., war ein greiser Mann auf dem Stuhl Petri, der das zügellose Leben und den maßlosen Lebensstil seines Neffen duldete. Rodrigo Borgia gab das Geld mit vollen Händen aus, das in Kirchen und Kathedralen vom Volk für Ablässe gespendet wurde. Noch nicht einmal zum Priester geweiht, fesselten ihn weibliche Wesen und irdische Lustbarkeiten mehr als theologische Fragen. Besonders junge Frauen hatten es ihm angetan. Jungfrauen. Unberührte, die noch keinen Mann erkannt haben. Aber auch ein schöner, unschuldiger Jüngling konnte sein Herz erobern.

Die sexuelle Gier des kirchlichen Würdenträgers war unermesslich. Gnadenlos verfolgte er jene, die es wagten ihm zu widersprechen oder seine Sittenlosigkeit anprangerten. Skrupellos übergab er sie der heiligen Inquisition. Klagte sie für Vergehen an, die sie nicht begangen hatten. Ließ sie in den unterirdischen Gefängnissen der Engelsburg, der Hölle auf Erden, foltern, bis sie unter Qualen gestanden, um weiteren Schmerzen zu entkommen. Das Leid ersetzte die Wahrheit.

*

Es war an einem regnerischen Oktobertag, als sich Vinzenz auf den Weg in die nahe gelegene Basilika zur Beichte machte. Er wollte keinen Mitbruder mit seinen Sünden belasten, deshalb suchte er Vergebung außerhalb der Klostermauern. Knarrend öffnete sich die schwere Kirchentür aus Pinienholz und er bekreuzigte sich andächtig mit Weihwasser aus dem Marmorbecken vor dem schmiedeeisernen Gitter. So früh am Morgen waren nur wenige Gläubige im Gotteshaus. Langsamen Schrittes näherte er sich der runden Apsis im rechten Kirchenschiff, wo ein offener Beichtstuhl aus kunstvollem Schnitzwerk stand. Ein violetter Samtvorhang schützte den Büßer vor neugierigen Blicken. Vinzenz kniete sich andächtig nieder. Räusperte sich. Sogleich wurde von innen das kleine Türchen vom Sprechgitter zur Seite geschoben.

„Bekennt in Demut Eure Sünden“, erklang eine kalte Stimme.

„Ich möchte mein Gewissen erleichtern. Die Seele reinigen. Denn ich bin ein sündiger Mönch“, sprach Vinzenz demutsvoll.

„Dann öffnet Euer Herz, mein Sohn. Der Vater der Barmherzigkeit wird sich Seiner Sünden annehmen und vergeben ... wenn Er Reue zeigt“, sprach der Beichtvater.

„Eigentlich möchte ich nicht beichten.“

„Er will keine Sündenvergebung?“, herrschte ihn der Priester erzürnt an. „Was sucht Er dann hier?“

Vinzenz erkannte sofort, dass ein gebildeter Priester diese abweisenden Worte aussprach. Wer war der Bruder im Herrn hinter dem Sprechgitter? Bevor er noch einen klaren Gedanken fassen konnte, erblickte er im Halbdunkel durch die Sprossen des Gitters den Ring mit dem roten Stein an der Hand des Priesters.

„Ihr seid ein Kardinal?“, fragte Vinzenz überrascht. „Und Ihr nehmt die Beichte ab?“

„Warum nicht. Manchmal leihen Wir einem Sünder Unser Ohr. Also sprecht schon ... ohne Scham.“

„Es ist für einen einfachen Mönch nicht so leicht, die richtigen Worte zu finden.“

„Dann spreche Er eben mit der Einfalt eines Kindes ... aber verschwende Er nicht länger die Augenblicke der Gegenwart.“

Der Kardinal war ungehalten. Warum suchte ein Mönch im Beichtstuhl das Gespräch und nicht die Vergebung der Sünden? Außerdem hatte ein Kloster seinen eigenen Beichtvater. Oder war er ein abtrünniger Mönch, der aus dem Kloster vertrieben wurde?

Während Vinzenz nach Worten rang, kam ihm eine ungewöhnliche Begegnung in den Sinn. Damals, als der Bruder Koch ihn bat, in den nahen Wald zu gehen, durch den ein schmaler Handelsweg führte, auf dem Kaufleute mit Karren oder hoch zu Ross in die Städte zogen, um Handel zu treiben. Manchmal verirrte sich auch herrenloses Gesindel unter die Händler. Meist hatten die reichen Kaufleute bewaffnete Söldner zum Schutz im Gefolge. So konnten sie den Gefahren der Straße besser trotzen.

Vinzenz sammelte Pilze, um daraus eine kräftige Suppe zu kochen, für die kranken Brüder in der Krankenstube. Er war ein guter Mönch. Half, wo man ihn brauchte. Erfüllte mit frohem Herzen die Gebote der Nächstenliebe. Der Korb war schon halb voll, als er im dichten Unterholz, nahe bei einer Baumgruppe, auf dem mit Moos bewachsenen Waldboden eine Gestalt erblickte. Fast nackt. Ein stämmiger Mann, bekleidet mit Strumpfhose mit Schamlatz und Stulpenstiefeln aus feinem Leder. Das weiße Hemd blutbefleckt und zerrissen. Wurde er von Räubern überfallen und ausgeraubt?

Doch niemand war weit und breit zu sehen. Auch kein grasendes Pferd. Wahrscheinlich hatten es die Diebe mitgenommen, um es für ein paar Münzen am Pferdemarkt zu verkaufen. Doch warum hatte man ihm die Stiefel angelassen?

Vinzenz beugte sich über den am Boden Liegenden und bemerkte die klaffende Kopfwunde. Vom Knauf eines Schwertes. Auch mehrere Stichwunden an Hals und Brustkorb. Der weiche Waldboden war getränkt von Blut. An den Fingern der rechten Hand Abdrücke von Ringen, die fehlten. War der Verwundete ein reicher Kaufmann?

Plötzlich stöhnte der Unbekannte, versuchte die Augen zu öffnen. Fiel wieder in Ohnmacht. Da überlegte Vinzenz nicht lange. Er verband die blutenden Wunden notdürftig mit einem Stück Stoff, das er aus dem Unterhemd herausriss, welches er unter der Kutte trug. Dann hievte er den Bewusstlosen auf seinen Rücken und schleppte ihn zum Kloster. Einige Mitbrüder waren mit Arbeiten im Innenhof beschäftigt, als sie Vinzenz mit der schweren Last erblickten. Erschrocken eilten sie herbei, um zu helfen.

„Ist ein Unglück geschehen?“, fragte Bruder Bernhard aufgeregt, der gerade mit einem Reisigbesen den Hof kehrte. In seinen Augen Neugier, in der Stimme Mitgefühl.

„Ich habe den Fremden blutend und bewusstlos im Wald gefunden. Wahrscheinlich wurde er von Räubern überfallen und ausgeraubt. Ich werde als Erstes seine Wunden versorgen“, erwiderte Vinzenz und ging mit schleppenden Schritten über den Vorhof, hinauf über die Steintreppen, in den Kreuzgang. Umständlich öffnete er eine der Türen. In der Krankenstube legte er den Fremden behutsam auf das Strohlager, zog den weißen Stoffvorhang vor das Bett, um ihn vor neugierigen Blicken zu schützen.

Doch die Brüder, vier an der Zahl, die in der Krankenstube lagen, bemerkten nicht einmal, dass die Tür geöffnet wurde, da sie schliefen. Einer stöhnte vor Schmerzen im Schlaf. Sie hatten sich auf einer Bettelreise durch die Lande mit einer Seuche angesteckt, waren aber bereits auf dem Wege der Besserung.

In eine Tonschüssel mit klarem Wasser streute Vinzenz Blüten von heilenden Kräutern, tauchte ein weißes Baumwolltuch ein und reinigte die verschmutzten Wunden des Ohnmächtigen. Nach einer Weile öffnete der Fremde die Augen, was ihm sichtlich schwerfiel. Seine Blicke irrten im Raum umher.

„Wo bin ich ... wer seid Ihr?“, fragte er mit ängstlicher Stimme.

„Ganz ruhig“, beruhigte er ihn mit sanfter Stimme. „Es besteht keinerlei Gefahr mehr für Euch. Ich bin Pater Vinzenz ... vom Orden der Dominikaner. Ihr seid in der Krankenstube im Kloster.“

„Wie komme ich hierher ... was ist geschehen?“, fragte der Mann verwirrt.

„Erinnert Ihr Euch nicht mehr? Wahrscheinlich seid Ihr überfallen worden.“

„Oh mein Gott“, stammelte er. „Mein Gedächtnis ist wie begraben. Ich spüre, wie mein Leben aus dem Körper flieht. Kommt näher heran, Pater“, flüsterte er.

„Wollt Ihr die Beichte ablegen?“, fragte Vinzenz.

„Nein! Aber ich kann es fühlen ... mir bleibt nur noch wenig Zeit. Lasst mich Euch ein Geheimnis anvertrauen“, murmelte er mit schwacher Stimme.

„Ein Geheimnis?“, war Vinzenz erstaunt.

„Ja ... ein Geheimnis. Zieht mir den rechten Stiefel aus. In der Stulpe habe ich ein Stück Pergament versteckt.“

Obwohl über diese Aufforderung verwundert, zog ihm Vinzenz dennoch den Stiefel aus. Tastete mit den Fingerspitzen unter die Stulpe. Zupfte ein Stück Papier hervor, das er ihm in die Hand legte.

Das zusammengefaltete Pergament war mit einem roten Wachssiegel verschlossen. Im Emblem zwei Ritter in Rüstung, auf einem Pferd. Rundherum die Inschrift SIGILLUM MILITUM CHRISTI DE TEMPLO.

„Das ist eine Karte, die zu einer Höhle in der Nähe von Subiaco führt. Dort liegt ein großer Schatz verborgen“, erklärte der Mann geschwächt.

„Eine Schatzkarte?“, wiederholte Vinzenz ungläubig.

„Ihr müsst wissen, der letzte Großmeister der Templer, Jacques, wurde 1314 in Paris auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der Papst wollte in den Besitz des Schatzes kommen.“

„Ein widerwärtiges Verbrechen“, schüttelte Vinzenz entsetzt den Kopf.

„Seit damals wird von den Nachkommen immer wieder heimlich ein Anführer gewählt, der den verborgenen Schatz behüten muss. Ich bin einer von ihnen.“

„Ihr seid ein Templer?“, stammelte Vinzenz.

„Ja ... ich bin der letzte Großkomtur der Templer und weiß als Einziger, wo sich der Schatz befindet. Es sind Kisten mit Gold, Juwelen und Kunstschätzen, die aus den Kreuzzügen von Jerusalem stammen. Auch aus dem Tempelschatz der Katharer.“ Er seufzte, rang nach Atem, ehe er weitersprach: „Es ist meine Aufgabe, das Vermögen zu hüten.“

„Glaubt Ihr, dass man Euch Häscher hinterhergeschickt hat?“, äußerte Vinzenz den Verdacht.

„Das kann gut möglich sein. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass man von mir als Großkomtur wusste.“

„Die Schergen des Papstes haben überall Augen und Ohren. Denn die Nachfolger sind genauso gierig wie ihre Vorgänger“, meinte Vinzenz wissend.

„Dann habt auch Ihr schlechte Erfahrungen gemacht, mit diesen Verrätern an der Lehre Christi?“

„Das kann man wohl behaupten. In meinen Predigten klage ich immer wieder die Verschwendungssucht des hohen Klerus an“, erwiderte Vinzenz.

„Habt Ihr denn keine Angst, die Aufmerksamkeit der Inquisition auf Euch zu lenken?“

„Mein Leben liegt in der Hand Gottes, nicht in der Macht eines raffgierigen Papstes“, antwortete er mit Überzeugung.

Der Fremde griff sich an die Brust. Das Sprechen strengte ihn sichtlich an. Kraftlos sank sein rechter Arm nach unten. Das Pergament fiel lautlos zu Boden. Vinzenz hob es auf, legte es ihm wieder in die Hand.

„Nein ... nein! Ihr könnt es behalten. Ich will es Euch anvertrauen ... mit dem Auftrag, den Schatz weiterhin zu hüten“, sprach der Fremde beschwörend.

„Um Gottes willen“, wehrte sich Vinzenz. „Das möchte ich nicht. Ein so großes Vermögen bringt nur Unglück, keinen Segen. Ich möchte dieses Erbe nicht“, rief er entsetzt aus.

„Bitte ... nehmt das Dokument an Euch“, bat der Fremde flehend. „Solltet Ihr einmal damit Gutes tun können, zögert nicht. Dann sucht den Schatz und verteilt ihn unter das arme Volk. Aber seid wachsam.“

„Wie ist Euer Name?“, wollte Vinzenz wissen.

„Was bedeutet schon ein Name“, murmelte er. „Ich bin Richard de Burg“, hauchte er kaum hörbar. „Nehmt schon das Dokument ... dann kann ich in Ruhe diese Welt verlassen.“ Kaum ausgesprochen hauchte der Templer mit einem tiefen Seufzer sein Leben aus.

„Ich werde den Schatz hüten“, versprach Vinzenz mit feierlicher Stimme und schloss dem Toten die Augenlider. Mit dem Daumen zeichnete er ein Kreuz auf Stirn, Mund und Brust. Andächtig sprach er ein Gebet und empfahl die Seele des Verstorbenen der Barmherzigkeit Gottes. Das Pergament steckte er in die rechte Seitentasche seines Ordenskleides.

*

Allmählich verlor der Kardinal die Geduld. Was erlaubte sich dieser Mönch? Er wollte ihm im Auftrag der heiligen Mutter Kirche das Sakrament der Vergebung spenden und er verschwendete mit unlauteren Worten seine kostbaren Momente. Zudem wurde er im Vatikan erwartet. Sein Onkel, der Papst, rief ihn in einer wichtigen Angelegenheit an den päpstlichen Hof. Kurz zuvor hatte ihm ein Bote diese Nachricht überbracht.

„Will Er nun beichten?“

„Ich will nicht beichten ... eher mein Gewissen von einer großen Last befreien“, rang Vinzenz nach Worten.

„Dann spreche Er endlich aus, was Ihn bedrückt“, wurde der Kardinal ungeduldig. Nun hatte er endgültig genug. Schon wollte er den Beichtstuhl verlassen.

„Eure Eminenz, verzeiht ... aber es ist so. Vor ein paar Tagen habe ich einen Sterbenden im Wald aufgefunden, der von Räubern überfallen wurde. Ich habe ihn ins Kloster getragen und seine Wunden verbunden. Dabei hat er mir ein Geheimnis anvertraut.“

Beim Wort Geheimnis wurde der Kardinal hellhörig. Neugierig geworden setzte er sich wieder nieder, schmiegte sein Ohr ans Sprechgitter.

„Ein Geheimnis?“, wiederholte er flüsternd.

„Ihr müsst wissen, der Mann übergab mir kurz vor seinem Tod ...“ Der Pater bekreuzigte sich, ehe er weiter sprach. „Gott sei seiner Seele gnädig! Also ... der Sterbende übergab mir ein versiegeltes Pergament.“ Kaum ausgesprochen bereute Vinzenz, dass diese Worte seinen Mund verlassen hatten.

„Das Siegel ... was zeigt es für ein Wappen?“

„Das Siegel ... “, stotterte der Pater. „Es ist das Siegel des Templerordens.“

Kaum vernahm der Kardinal diese Worte, erhob er sich blitzschnell von der Sitzbank und trat vor den Beichtstuhl. Mit zitternden Händen zog er den Samtvorhang zurück und legte beschwörend den Zeigefinger auf die Lippen.

Vinzenz wusste nicht, wie ihm geschah. Was hatte das zu bedeuten?

„Kein einziges Wort mehr ... schweigt. Das könnte gefährlich werden. Silentium sacrum“, ermahnte ihn der Kardinal. „Kommt und folgt Uns.“

Über einen Seitenausgang verließen sie die Basilika. Überquerten den großen Vorplatz, der um diese Stunde von unzähligen Händlern belagert wurde, die laut schreiend ihre Waren feilboten. Eilenden Schrittes folgte Vinzenz dem Kardinal und konnte kaum mithalten, so schnell hetzte der Würdenträger über den Platz.

Über eine breite Steintreppe nach oben, die in einen Vorhof zu einem feudalen Palast führte, den sie durchquerten. Weiter über lange Gänge. Vorbei an hohen Türen. Vor einer Tür mit Messingbeschlägen standen zwei Soldaten Wache. Ein livrierter Page öffnete die Tür. Vor ihnen lag ein prunkvoller Raum – der Audienzsaal.

Der Kardinal nahm Vinzenz sanft am Ellenbogen und führte ihn zu einem rot gepolsterten Armstuhl. Im Kamin aus weißem Marmor loderte ein Feuer. Wohltuende Wärme verbreitete eine angenehme Atmosphäre. Zu dieser Jahreszeit konnte es schon empfindlich kalt sein.

Zögerlich setzte sich Vinzenz und hörte dem Knistern der brennenden Holzscheite zu. Argwöhnisch betrachtete er den prächtig eingerichteten Raum mit dem grünen Marmorboden, auf dem dicke Teppiche lagen. An den Wänden hingen wertvolle Gobelins mit Historienszenen und Gemälde in Goldrahmen, mit vornehmen Herren in imposanten Roben. Überall stand kostbares Mobiliar. Auf den Kommoden funkelndes Gold- und Silbergeschirr. Von der Holzkassettendecke hing ein schwerer Kronleuchter aus weißem Muranoglas, an dem unzählige weiße Kerzen brannten. Das war Pracht in Vollkommenheit und Ausdruck einer Selbstverherrlichung.

„Wer seid Ihr, Kardinal, dass Ihr so prunkvolle Räume bewohnt?“, fragte Vinzenz und blickte ihm misstrauisch ins Gesicht.

„Ahnungsloser ... weiß Er nicht, wer Wir sind?“, antwortete Rodrigo Borgia mit verächtlichem Unterton in der Stimme.

„Nein ... ich kenne Euch nicht. Ich bin Euch zum ersten Mal begegnet.“

„Dann höre Er. Wir sind es ... Rodrigo Borgia, der Neffe des Papstes“, sprach er herrisch.

„Ihr seid tatsächlich Kardinal Rodrigo Borgia“, stammelte Vinzenz ungläubig und bekreuzigte sich, als stünde er dem Teufel gegenüber. Ihm war die Verschwendungssucht des Kardinals zu Ohren gekommen, seine Prunksucht, die schändlichen Taten. Auch von den unzähligen Liebschaften mit jungen adeligen Damen hatte er schon gehört. Nun stand er vor ihm. In voller Größe. In Glanz und Herrlichkeit.

„Da staunt Er“, meinte der Kardinal selbstgefällig. „Sprechen wir nun über das Dokument.“ Er sah keinen Grund, vor einem einfachen Mönch Rechenschaft abzulegen.

Pater Vinzenz ließ sich nicht blenden. Was war schon ein Name? Ein Adelsgeschlecht, das sich durch Intrigen und Machtgier Ansehen und Reichtum erschlichen hatte.

„Und warum wohnt ein Diener der Kirche in so einem prächtigen Palast ... wo doch Jesus, unser Erlöser, Armut gepredigt hat?“

Der Kardinal wurde feuerrot im Gesicht. Zornesfalten bildeten sich auf seiner Stirn. Doch er wollte Ruhe bewahren. Wie sonst konnte er hinter das Geheimnis kommen.

„Das ist ein Abbild des himmlischen Jerusalem ... und wir benutzen es in Demut“, meinte er doppelzüngig. Wofür sollte er sich entschuldigen? Er war von Gott berufen. Zum Ruhme und zur Verherrlichung des Allerhöchsten. Er fühlte sich weder schuldig noch zeigte er Einsicht. Moral war Sache des niederen Volkes. Er war zum Herrschen auserkoren.

„Aber wenn Ihr Gott dienen und den Menschen das Evangelium verkünden wollt, solltet Ihr doch mit gutem Beispiel vorangehen ... oder etwa nicht?“

Der Pater redete sich um Kopf und Kragen. Doch das war ihm offenbar nicht bewusst. Nur mit Mühe konnte sich der Kardinal beherrschen. Doch wenn es um seinen Vorteil ging, dann war er listig.

„Über die Armut können wir an einem anderen Tag sprechen. Also wie war das? Er ist im Besitz eines versiegelten Dokumentes“, lenkte der Kardinal verschlagen von der unangenehmen Schimpfrede ab. Hinter seinem Lächeln verbarg er seine wahren Absichten.

„Das habe ich bereits erwähnt. Aber warum ist das von Bedeutung für Euch?“ Im Volk war allgemein bekannt, dass der Kardinal genauso geldgierig und skrupellos war wie der Pontifex.

„Nun ... wenn ein einfacher Mönch ein Dokument mit dem Siegel eines geheimen Ordens besitzt, dann sollten Wir das wissen.“

„Es wurde mir anvertraut“, erwiderte Vinzenz arglos. „Im Augenblick des Todes gestand mir der Sterbende, dass er der letzte Großkomtur des Ordens sei.“

„Spannend ... spannend“, murmelte der Kardinal sinnend. „Hat Er das Siegel gebrochen und die Botschaft gelesen ... Er kann doch lesen?“, fragte er mit einer Unschuldsmiene.

„Warum sollte ich nicht lesen können? Ich verkünde die Lehre Jesu von der Kanzel ... also kann ich auch lesen!“

„Wir sehen, Er hat einen scharfen Verstand“, erwiderte Borgia scheinheilig.

„Warum, Eminenz, offenbart Ihr mir nicht Eure wahren Absichten?“ In aller Deutlichkeit gab Vinzenz dem Kardinal zu verstehen, dass er nicht gewillt war, ihm das Dokument auszuhändigen.

Der Kardinal goss aus einer Karaffe Rotwein in einen Glaskelch. Dabei zitterte seine Hand. Nachdenklich nippte er am Wein.

„Wir denken, ein Geheimnis ist wie geschaffen, um es mit Anderen zu teilen.“

„Das kann schon sein, Eminenz ... aber ein Geheimnis sollte ein Geheimnis bleiben“, erwiderte Vinzenz sarkastisch.

Der Kardinal ließ sich davon nicht beeindrucken. Er war von Macht besessen. Schon lange hegte er den Verdacht, dass die Templer über einen Schatz verfügten. Das war ihm zu Ohren gekommen, über Hintermänner, die er bezahlte, um an Hinweise zu kommen. Zwar wurde der Orden im Jahre 1312 auf dem Konzil von Vienne von Papst Clemens aufgelöst. Doch immer wieder kursierten Gerüchte über einen versteckten Schatz. Entsprach dies der Wahrheit, dann lag der Reichtum irgendwo verborgen und wartete darauf, entdeckt zu werden. Bei einem Bankett, auf dem reichlich Wein floss, erzählte Kardinal Orsini dem anwesenden Kardinal Borgia von dem sagenumwobenen Schatz der Templer. Doch er hatte nie so richtig daran geglaubt. Bis zu diesem Augenblick. Denn warum sonst sollte ein Sterbender ein versiegeltes Schriftstück einem Mönch übergeben? Das musste eine wichtige Botschaft sein oder, wie er vermutete, eine Schatzkarte.

„Also hat Er keine Kenntnis, was geschrieben steht?“, blieb der Kardinal hartnäckig. Er musste unbedingt in Erfahrung bringen, was es mit dem versiegelten Dokument auf sich hatte.

„Amanti nihil difficile“, erwiderte Vinzenz.

„Er spricht in Rätseln zu Uns.“

„Es ist so ... wie ich es ausgesprochen habe – nichts ist schwer für den, der liebt. Und ich liebe Gott. Also stehe ich zu meinem Versprechen.“

„Was ist das für ein Versprechen, das Ihr gegeben habt?“

„Ich habe dem Sterbenden versprochen, das Dokument aufzubewahren. Mehr nicht.“

„Wollt Ihr denn nicht wissen, was darin geschrieben steht?“

„Nein, wozu? Außerdem habe ich mein Ehrenwort gegeben ... und ein Ehrenwort darf nicht gebrochen werden“, antwortete Vinzenz glaubhaft.

Fieberhaft überlegte der Kardinal, wie er den verstockten Pater zum Sprechen bewegen konnte.

„Man kann ein Versprechen auch brechen“, erwiderte Borgia.

„Dass Ihr das könnt, kann ich mir vorstellen. Doch ich bleibe dabei. Das Pergament bleibt versiegelt und soll sein Geheimnis bewahren.“

„Auch Wir lieben Gott und die Wahrheit“, heuchelte der Kardinal.

„Ihr, Kardinal ... liebt die klingende Münze und schöne Frauen. Ob Ihr Gott liebt, bleibt ein Geheimnis ... wie die Worte im Dokument“, lachte Vinzenz verächtlich.

„Will er zum Häretiker werden?“

„Nicht ich, sondern die Heuchler werden zu Ketzern, da sie ihre hohen Ämter dazu benutzen, um sich zu bereichern.“ Das waren gewagte Worte, die ihre Wirkung nicht verfehlten.

„Doch Er ist kein Richter“, belehrte ihn der Kardinal. „Eines wollen Wir noch wissen. Hat Ihm der Templer erzählt, was geschrieben steht?“

„Das hat er, Euer Wohlgeboren ... aber das ist nicht für Eure Ohren bestimmt.“

Diese Aussage machte den Hüter der Moral wütend. Er schäumte vor Wut. Dieser vorlaute Mönch wagte es, dem Neffen des Papstes zu widersprechen. Verweigerte den Gehorsam. Er, der Macht über Leben und Tod hatte, musste nur einen Befehl geben, dann würden seine Schergen den dreisten Pater ergreifen. Er könnte ihn auch der heiligen Inquisition ausliefern. In den Kerker werfen und foltern lassen. Doch er wollte den Mönch mit List und Tücke in die Knie zwingen.

„Was ist, wenn die Worte in dem Dokument in einer Sprache geschrieben sind, die Er nicht versteht. Da könnten Wir Ihm doch dienlich sein“, versuchte er nochmals sein Glück.

„Ihr solltet Gott dienen und nicht Eure Gedanken an Irdisches verschwenden“, erwiderte Vinzenz willensstark.

„Wie meint Ihr das, Pater?“, war der Kardinal sichtlich irritiert.

„Ehrwürdiger Kardinal ... ich habe Euch mehrmals zu verstehen gegeben, dass das Dokument versiegelt bleibt. Denn der wahre Schatz liegt im Himmel verborgen.“ Diese Worte ließen keinen Zweifel mehr offen und nur einen Schluss zu. Dieses Dokument war eine Schatzkarte.

„Er wagt es, Uns zu belehren. Das wird Er noch bereuen. Die Audienz ist beendet.“ Wutentbrannt stürmte er zum Schreibtisch, nahm die Silberglocke zur Hand, die darauf stand, und läutete nach einem Diener, der kurz danach mit einer Verbeugung den Saal betrat.

„Bringt Ihn hinaus! Aus meinen Augen mit diesem Verräter“, schrie der Kardinal.

Der livrierte Diener zuckte zusammen, blieb aber seltsam gelassen. Er kannte die Wutausbrüche seines Herrn und wusste, dass es in einer solchen Situation besser war – den Befehl unverzüglich zu befolgen. Stumm geleitete er Pater Vinzenz, der die grausamen Folgen seiner Verweigerung noch nicht erahnte, vor den Palast. Jeder, der sich dem Kardinal widersetzte, wurde unweigerlich von seiner Rache verfolgt. Bis zum bitteren Ende.

2.Kapitel

Kardinal Borgia verließ enttäuscht das Verlies unter der Engelsburg, den Ort des Grauens. Draußen stand die Kutsche bereit. Mit dem Wappen der Borgia an der Wagentür. In schneller Fahrt bewegten sich die Räder über den steinigen Boden. Die dünne Lederpeitsche des Kutschers sauste durch die Luft und klatschte auf die Hinterflanken der schwarzen Pferde. Das Klappern der Hufschläge hallte von den Fassaden der Paläste.

Als sie sich dem Lateran näherten, brach bereits die Dunkelheit herein. In einem der Gemächer wurde der Kardinal bereits ungeduldig erwartet. Rodrigo Borgia eilte die Stufen der breiten Steintreppe nach oben. Die staubige Fahrt über die Pflastersteine in den Straßen von Rom hatte ihn angestrengt. Noch mehr aber die Sturheit des Paters aufgebracht. Er hatte üble Laune.

Ein livrierter Diener kam ihm aufgeregt entgegen. In weißen Handschuhen und eng sitzenden Kniestrümpfen.

„Verzeiht, Euer Gnaden ... aber ich konnte diese Person nicht aufhalten. Verzeiht“, murmelte er schuldbewusst und verneigte sich tief.

„Er spricht in Rätseln. Wen konnte Er nicht aufhalten?“

„Ich kenne diese Person nicht. Ich bin erst seit wenigen Monden in Euren Diensten. Sie bestand darauf, auf Euch zu warten ... in einem Eurer Gemächer.“

„Beschreibe Er sie“, befahl er dem Diener.

„Mit Verlaub ... sie ist ein schönes Weib. Mit langem, seidigen Haar und dunklen Augen ... und verzeiht meine Kühnheit, sie hat einen großen Busen.“

„Hat sie das? Wie wunderbar“, lachte der Kardinal.

„Ich konnte sie nicht aufhalten. Sie stürmte in Euer Schlafgemach und weigerte sich, es zu verlassen. Sie hat sich darin verbarrikadiert. Was sollte ich machen?“

Der Diener hatte Angst vor Bestrafung. Denn niemand durfte in Abwesenheit des Kardinals seine Gemächer betreten. So lautete der Befehl. Bei Nichtbefolgung setzte es drakonische Strafen. Peitschenhiebe oder man wurde aus dem Palast verjagt.

Doch diesmal schien der Kardinal amüsiert zu sein. Offenbar hatte er einen Verdacht, wer das Weib sein könnte. Wahrscheinlich stand sie ihm sogar nahe. Sonst würde er sich nicht so gut gelaunt verhalten.

„Er darf sich entfernen. Wir sehen nach dem Weib.“

Ein verräterisches Grinsen huschte über sein markantes Gesicht. Er hatte so eine Ahnung. Wenn dies zutraf, dann würde es noch eine lange Nacht werden. Vergnügt durchquerte er einen Raum nach dem anderen. Vor der Flügeltür zum Schlafgemach blieb er stehen und pochte mit der Faust mehrmals dagegen.

„Ich bleibe so lange hier, bis er kommt“, rief eine helle Stimme nach draußen. Rodrigo lachte.

„Aber Wir sind es doch“, antwortete er mit schmeichelnder Stimme. Einen Moment blieb es still, dann hörte er Schleifgeräusche. Drinnen wurde ein schweres Möbelstück weggezogen. Dann wieder vollkommene Stille.

Rodrigo zögerte noch einen Augenblick, ehe er die Flügeltür öffnete. Vor dem riesigen Paradebett, mit dem Baldachin aus kostbarem, weinrotem Brokat und bestickten Ranken aus venezianischen Goldfäden, blieb er stehen. Der Bettvorhang raschelte und ein nackter Fuß reckte sich ihm entgegen. Auf der seidenen Brokatdecke rekelte sich ein nackter, weiblicher Körper. Ein Seidenkissen flog durch die Luft und traf ihn mitten im Gesicht. Gleichzeitig vernahm er ein vertrautes, neckisches Lachen.

Sie war es. Seine Favoritin unter den Mätressen – Giulia Farnese. Die Römer verspotteten die junge Geliebte des mächtigen Kardinals und Vizekanzlers des Papstes als „Braut Christi“. Eine solche Bezeichnung war eigentlich den Nonnen vorbehalten. Doch dies störte ihn nicht. Er war diesem Weib vollkommen verfallen. Beinahe hörig. Er konnte nicht genug von ihr bekommen.

„Wo seid Ihr solange gewesen, mein Geliebter?“, säuselte die schöne Giulia. Sie liebte den Kardinal. Noch mehr aber, wenn er kraftvoll in sie eindrang und mehrmals in einer Nacht bestieg. Der muskulöse Körper ihres Geliebten versetzte sie immer wieder in Ekstase. Meist war die Nacht zu kurz, um ihre Leidenschaft zu stillen.

„Wir wussten, dass Sie es ist, die auf Uns wartet. Lasst uns keine Sekunde verschwenden“, lachte er in freudiger Erwartung.

Sogleich spreizte Giulia bereitwillig ihre Schenkel und zeigte ihm das Paradies. Wie eine Knospe, die sich unter der Wärme von Sonnenstrahlen öffnete. Noch nie war der Kardinal so schnell aus seinem Gewand, wie in diesem Augenblick. Verspürte er doch große Lust. Mit unbeherrschter Leidenschaft drang er in sie ein. Gebärdete sich wie ein wildes Tier. Schon nach wenigen Augenblicken verschwendete er mit einem zufriedenen Seufzer das Leben in ihr. Zufrieden sank er auf das Ohrkissen. Saugte an ihren hoch aufgerichteten Nippeln. Legte die flache Hand auf ihre behaarte Scham.

„Noch vor einer Stunde hatten Wir eine unerfreuliche Begegnung ... und nun liegen Wir in Euren Armen“, sprach Rodrigo zufrieden.

„Erzählt mir mehr von dieser Begegnung“, forderte sie ihn auf.

„Sei Sie nicht so neugierig. Sie wird es nicht glauben, aber ...“ Sein Gesicht verfinsterte sich und sein Mund verzog sich verächtlich. „Die anmaßenden Worte dieses Priesters haben Uns in die Verzweiflung getrieben. Wir haben die Nerven verloren. Nun bleibt das Geheimnis für immer verborgen“, erzählte er erstaunlich freimütig.

Nicht immer war er so gesprächig. Aber bei ihr fühlte er sich geborgen. Unbesiegbar. Und er vertraute ihr. Bei ihr war ein Geheimnis gut aufgehoben. Beinahe wie der Glaube bei Gott.

„Ein Geheimnis ... wie spannend. Erzählt schon“, forderte sie ihn neugierig auf.

Plötzlich richtete sich der Kardinal im Bett auf. Lauschte in die Stille. Seine Blicke erfassten den Vorhang, hinter dem sich eine Tür befand. Langsam stieg er die Stufen vom Podest herab, auf dem das Prunkbett stand. Mit dem Brokatmantel, der über der Lehne eines Stuhls hing, bedeckte er seine Nacktheit. Nahm den Dolch in die Hand, der auf der Kommode lag. Beschwörend hielt er zwei Finger an die Lippen. Augenblicklich verstummte Giulia. Mit nackten Füßen und auf Zehenspitzen schlich er auf den roten Samtvorhang zu und riss ihn mit einer heftigen Bewegung beiseite.

Ein Diener stand dahinter. Starrte ihn überrascht aus weit aufgerissenen Augen an. Kreidebleich. Die Angst ins Gesicht geschrieben. Offenbar hatte er das Gespräch belauscht. Als der Kardinal vor ihm stand, erstarrte er in seiner Bewegung. Er wollte um Erbarmen flehen. Doch nur ein dumpfer Laut kam aus seiner Brust, als ihm die scharfe Klinge des Dolches mit einem schnellen Schnitt die Kehle durchtrennte. Röchelnd sank er zu Boden, wie ein aufgerissener Kornsack.

Der Kardinal wischte das Messer am Gewand des Dieners ab. Ging ungerührt zu Giulia zurück.

„Er war ein guter Diener ... aber seine Neugier wurde ihm zum Verhängnis“, erklärte er der verängstigten Geliebten, die vor Schreck am ganzen Körper zitterte.

„Woher wusstet Ihr, dass er gelauscht hat?“

„Uns fiel auf, dass sich der Vorhang bewegte. Er hatte wohl vergessen, die Tür ganz hinter sich zu schließen. Diese Nachlässigkeit war Unser Verbündeter.“

*

Während Vinzenz im Kerker dahinsiechte, schlichen sich immer wieder Gedanken aus der Vergangenheit in sein Gedächtnis. In jene Tage, als die Landschaft ihr Gesicht veränderte, welke Blätter lautlos von den Bäumen zu Boden fielen, im Wind umherwirbelten wie bei einem Tanz. Straßen und Gassen im Dorf waren bedeckt wie unter einem bunten Teppich.

Vinzenz hatte beinahe das schreckliche Ereignis mit dem Tempelritter vergessen, denn er führte im Kloster ein beschauliches Leben. Er liebte die Stille. Das Gebet. Die Psalmen. Den melodischen Chorgesang. Mit Eifer feierte er täglich im Kreise der Mitbrüder die heilige Messe. Mit Leidenschaft predigte er an den hohen Feiertagen von der Kanzel der Klosterkirche. Erklärte den gottesfürchtigen Menschen das Wort Gottes. Dabei war er in der Wortwahl nicht gerade zimperlich, wenn er den lasterhaften Lebensstil des Adels anprangerte und mit dem Feuer der Hölle drohte.

Nicht selten klagte er auch den Papst an, der in seinen Augen unwürdig war, das Petrusamt auszuüben, denn er lebte wie ein weltlicher Herrscher. Zwar führte er, vergleichsweise zu seinem Neffen Rodrigo, ein eher einfaches Leben, war der Prunksucht abgeneigt, hatte keine Affären, auch keine Kinder gezeugt und kämpfte tapfer gegen die Türken.

Doch der Zorn des Predigers richtete sich gegen den Pontifex wegen des Verschacherns von Ämtern in der Kirche. Denn er erhob junge Männer zu Kardinälen, um sich die Besitztümer ihrer Väter zu sichern und seine Macht im Vatikan zu stärken. Deshalb verteilte er hohe Stellungen an ämterhungrige Jünglinge der eigenen Familie.

Es gefiel dem armen Volk, wenn der streitbare Pater es wagte, den Papst anzuklagen. Aber letztlich war der Papst der Stellvertreter Christi auf Erden und man hatte ihm zu gehorchen. Der Adel hielt sich bedeckt. Schwieg zu den anklagenden Worten des Priesters. Manch einer lästerte hinter vorgehaltener Hand und wünschte, der streitbare Pater würde für immer verstummen. Denn keiner von ihnen wollte in einer Predigt an den Pranger gestellt werden.

An einem kalten Oktobermorgen, der Himmel wolkenverhangen und es roch nach Regen. In den frühen Morgenstunden öffnete Vinzenz die schwere Klostertür und erschrak. Vor ihm im Staub lag ein Junge mit zerrissenen Beinkleidern, die Füße ohne Schuhwerk. Am Gesäß war der Stoff aufgerissen und vertrocknetes Blut um eine Wunde am After zu sehen. Der schlanke Jüngling mit dem schönen Gesicht schien ohnmächtig zu sein. Oder war er tot? Nein, um Himmels willen. Mit der kalten Hand strich ihm Vinzenz über die Stirn, tätschelte die Wange. Da schlug der Jüngling die Augen auf.

„Oh ... Ihr seid es, Pater. Was macht Ihr hier?“, sprach er erstaunt.

„Was ich hier mache?“, lächelte Vinzenz gütig. „Ich lebe in diesem Kloster. Wie ist Sein Name?“

Langsam richtete sich der Jüngling auf, rieb sich die Augen und starrte den Pater ungläubig an.

„Wie komme ich hierher?“, fragte er sichtlich irritiert.

„Das weiß ich nicht. Ich fand Euch vor der Klostertür ... aber wer seid Ihr?“

„Wer ich bin? Ihr kennt mich doch. Ich bin es, Dominikus. Ich gehe immer am Tag des Herrn zur heiligen Messe ... und lausche Eurer Predigt.“

„Ahhh“, rief Vinzenz aus. „Ja ... ja. Nun erinnere ich mich an Sein Gesicht. Ich habe Ihn schon mehrmals beim Gottesdienst gesehen. Manchmal hat Er auch eine Kerze vor der Statue der heiligen Jungfrau angezündet ... nicht wahr?“

„Ja, das stimmt! Ich verehre die Muttergottes und bitte sie um ihren Beistand.“

„Wer die Mutter des Herrn um Hilfe bittet, der wird auch erhört. Ist Er nicht ein Diener im Dienste von Kardinal Borgia? Ich erkenne dies an den Farben Eures Wams?“

„Ja ... ich muss diesem Teufel dienen“, meinte er bekümmert. Tränen kullerten über seine mit Staub verschmutzten Wangen.

„Keine Sorge. Er steht hier unter dem Schutz Gottes. Darf ich Seine Wunde verbinden?“

„Was für eine Wunde?“

„Er blutet aus dem After.“

Entsetzt blickte er den Pater an. Betastete mit der rechten Hand den blanken Arsch. Das eng anliegende Beinkleid war an dieser Stelle aufgerissen. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Was war geschehen?

Nur lückenhaft konnte er sich an die letzte Nacht erinnern. An das Fest im Palast des Kardinals. Es wusste nicht so recht, was passiert war. Warum war seine Kleidung zerrissen und wieso hatte er diese Wunde? Auch konnte er sich nicht erklären, wie er mitten in der Nacht zum Kloster kam. Zuflucht suchte. Offenbar war er vor Erschöpfung vor der Klostertür eingeschlafen ... oder hatte er das Bewusstsein verloren?

„Pater Vinzenz“, wimmerte der Jüngling. „Ich kann mich kaum erinnern, was mir widerfahren ist ... aber ich spüre einen stechenden Schmerz in meiner Seele und auch am Arsch.“

„Lasst mich die Wunde verbinden“, bat Vinzenz abermals und half ihm beim Aufstehen. Stützte ihn beim Gehen. In der Krankenstube legte er Dominikus auf die mit Stroh gefüllte Unterlage im einfachen Holzbett. Zuerst säuberte er die Wunde mit klarem Wasser. Dann bestrich er mit einer Heilsalbe aus Kräutern, die in einer Glasdose im Regal stand, die klaffende Wunde und wickelte eine Bauwollbinde um den Körperteil.

Der Bruder Infirmar, der sonst die Kranken versorgte, war vor ein paar Tagen in ein Nonnenkloster gerufen worden. Eine ansteckende Krankheit war dort ausgebrochen. Deshalb schickte die Mutter Oberin einen Boten ins Kloster und bat um Hilfe.

Dominikus lag beinahe regungslos auf dem Strohsack. Die Wunde brannte wie Feuer. Ein Bruder brachte aus der Kleiderkammer neue Beinlinge und eine Schale mit kräftiger Suppe, die er dem Jüngling löffelweise einflößte.

„Dominikus“, sprach Pater Vinzenz mit sanfter Stimme, nachdem sich der Junge gestärkt hatte und sie wieder alleine waren. „Erleichtere deine Seele von der Last der Angst.“

In der Vergangenheit hatten gottesfürchtige Menschen Vinzenz mehrmals berichtet, dass es auf den Festen des Kirchenfürsten zu Unzucht und Wollust gekommen sei. Es wurde gefressen und gefickt. Unwürdig für einen Mann Gottes. Eine Todsünde. Immer wieder hatte Vinzenz diese lasterhafte Sünde in seinen Predigten angeprangert. Hoffte auf Einsicht und Umkehr zu den Werten der Lehre Jesu Christi.

„Nun, Dominikus ... was ist geschehen?“

Dominikus schloss seine hellblauen Augen. Schwitzte am ganzen Körper. Mit der Hand fuhr er durch die blonden Haare und versuchte sich zu erinnern. Bruchstückhaft wurden Bilder vor seinem geistigen Auge sichtbar. Schreckliche Bilder. Die Tortur der letzten Nacht wurde wieder lebendig.

„Pater Vinzenz ... Pater Vinzenz“, rief er aufgeregt. „Ich kann es sehen ... ich erinnere mich wieder. Ich schäme mich so. Ich bin ein Sünder“, wiederholte er immer wieder die Worte und begann hemmungslos zu weinen.

„Ganz ruhig ... Gott ist unser aller Vater und liebt auch den reuigen Sünder. Erzähle, was geschehen ist. Ich höre zu“, versuchte er ihn zu trösten.

Dominikus richtete sich im Bett auf, nahm allen Mut zusammen und begann zu erzählen, was in dieser verhängnisvollen Nacht geschah: „Am Abend des vorletzten Tages veranstaltete der Kardinal in seinen Gemächern im Vatikan ein Gelage mit zwanzig ehrbaren Dirnen, die nach dem Mahle mit Dienern und anderen Würdenträgern tanzten. Zuerst in Kleidern, dann nackt. Dann wurden reife Früchte auf dem Marmorboden verteilt, die die nackten Weiber, auf allen vieren kriechend, mit der Vagina aufsammeln mussten. Schließlich wurde ein Samtbeutel mit Goldmünzen ausgesetzt, welcher mit den Dirnen am häufigsten den Geschlechtsakt vollziehen konnte. Und dann ...“

Dominikus rang nach Atem. Es fiel ihm schwer, über das Geschehene zu sprechen.

„Und dann, Dominikus ... was geschah dann?“, fragte der Pater. Keinesfalls war es Neugier, allein aus Sorge, wie sonst sollte er helfen. Es musste Furchtbares geschehen sein. Sonst wäre Dominikus nicht so verstört.

„Es ist zu abscheulich. Ich bin verdammt. Ich habe Angst vor der Strafe Gottes“, wimmerte er mit weinerlicher Stimme.

„Nein ... nein!“, redete der Pater tröstend auf ihn ein. „Er kann auf die Barmherzigkeit Gottes vertrauen. Sprich weiter. Befreie deine Seele aus dem Gefängnis der Sprachlosigkeit.“

„Das Fest war beinahe zu Ende“, erzählte Dominikus stockend weiter. „Da geriet plötzlich alles außer Kontrolle ... denn als Höhepunkt mussten die älteren, männlichen Diener den jüngeren zu Diensten sein – Fellatio. Alle waren nackt. Die Diener und die Gäste. Auch der Kardinal. Ein Gast, ich kannte ihn nicht, ein beleibter Herr mit einem großen Glied tat mir Gewalt an und drang in meinen Anus ein. Immer und immer wieder ist er in mich eingedrungen. Als er endlich von mir abließ, raffte ich meine Kleidung zusammen und bin aus dem Palast geflohen ... hierher zum Kloster. Dann muss ich wohl das Bewusstsein verloren haben.“

Als er geendet hatte, blickte er beschämt zu Boden. Pater Vinzenz strich ihm sanft über den Blondschopf. Wie ein Vater dem Sohn. Er wusste, dass er nun schweigen musste, damit der Jüngling das Unrecht, das ihm zugefügt wurde, verarbeiten konnte.

Müde sank Dominikus auf das Strohlager, die Augen wurden schwer ... er schlief ein. Auf Zehenspitzen verließ Vinzenz den Raum, eilte in die Kapelle, kniete vor der Statue der Muttergottes nieder und betete inbrünstig.

Am nächsten Morgen, in aller Frühe, weckte Vinzenz Dominikus. In der Nacht fand der Pater kaum Schlaf, so schockierte ihn, was der Jüngling ihm anvertraute. Doch er zweifelte nicht an seinen Worten. Denn er hatte die Wunde am Anus eigenhändig verbunden.

„Pater ... es geht mir schon besser. Ich bin ausgeschlafen. Auch die Wunde schmerzt nicht mehr so stark. Ich muss wieder zurück“, verabschiedete sich Dominikus von ihm, nachdem er sich mit Weißbrot und warmer Milch gestärkt hatte.

Es blieb ihm keine andere Wahl. Im Kloster wollte er nicht bleiben. Denn Mönch wollte er keiner werden. Das Mönchsleben war nichts für ihn, obwohl er gottesfürchtig war. Doch er hatte schon eine ehrbare Jungfrau im Auge, mit der er sich vermählen wollte. Doch zuvor musste er noch einige Münzen zur Seite legen, bevor er daran denken konnte, sie zu fragen, ob sie sein Weib werden wolle. Agnes, so ihr Name, eine Kammerzofe bei einer Contessa, deren Gemahl bei der Jagd ums Leben kam.

Agnes war von schöner Gestalt, hatte lange blonde Haare, die sie unter einer Haube verbarg. Ihre wunderschönen Augen weckten die Sehnsucht in ihm. Jedes Mal, wenn er ihr am Markt begegnete, schlug sein Herz höher und im Schritt pochte das Begehren. Agnes hatte ein zauberhaftes Lachen und erinnerte ihn an seine Mutter, die leider schon früh verstorben war.

Als er nach ihrem Tod das Dorf seiner Geburt verließ, wanderte er nach Rom. Der Vater war schon lange bei einem Überfall zu Tode gekommen. Die Geschwister an einer Seuche verstorben. Nichts hielt ihn mehr zurück. Also war er frohen Mutes in die Ewige Stadt gewandert, auf der Suche nach einem Broterwerb.

Tagelang hatte er nichts gegessen. Vor einer Taverne traf er auf einen Lakaien des Kardinals, den er um ein Stück Brot anbettelte. Sie kamen ins Gespräch und der Diener versprach ihm, beim Kardinal ein gutes Wort einzulegen. Zu seinem Glück konnte er in die Dienste des Würdenträgers treten. Für einen Knaben seines Alters, damals zählte er gerade fünfzehn Lenze, sei er kräftig gebaut und hätte ein schönes Gesicht, bemerkte der Diener. Nun war er schon das dritte Jahr als Page beim hohen Herrn.

Dominikus konnte den Tag kaum noch erwarten, bis er von seiner Angebeteten den ersten Kuss erhaschte. Doch würde sie seine Gefühle auch erwidern? Daran glaubte er ganz fest. Denn seine Absichten waren rein und ehrenhaft.

Im Palast des Kardinals hatte er eine Kammer. Genug zu essen und für seine Dienste bekam er dann und wann zwei Silberstücke. Nicht viel, aber es reichte für seine Bedürfnisse. Einmal im Jahr erhielt er neue Beinkleider und ein weißes Leinenhemd. Als Diener musste er jederzeit zur Verfügung stehen. Die Gäste am Tor empfangen und in den Palast geleiten. Die Ställe ausmisten. Das Fell der Pferde glänzend bürsten. Die Kutsche mit Lauge vom Schmutz der Straße abschruppen. Bei Festbanketten die Speisen auftragen. Als Lakai auf der Kutsche mitfahren. Dem Kardinal beim Aus- und Ankleiden helfen.

*

Über das Gesicht von Pater Vinzenz huschte ein verkrampftes Lächeln, trotz der Schmerzen, die ihn peinigten. Gerne erinnerte er sich zurück, als er in Predigten die Verfehlungen des Kardinals anprangerte. Sehr zum Wohlgefallen des Volkes. Wenn damit auch nicht alle einverstanden waren.

Es gab immer wieder Gerüchte über angeblich schändliche Orgien im Apostolischen Palast. Deshalb wuchs auch im Volk Zorn und Hass auf Kardinal Borgia. Doch keiner wagte es, sich öffentlich dagegen aufzulehnen. Alle fürchteten seine gnadenlose Rache.

Doch der Mönch ließ sich davon nicht einschüchtern. Es war an einem Sonntag im Oktober, als er im violetten Messkleid auf die Kanzel der Klosterkirche stieg. So wie sich die Farbenpracht der Landschaft veränderte, zeigte auch die Farbe des Messkleides das Kirchenjahr an.

Viele Menschen waren dem Ruf der Glocke gefolgt. Knechte. Mägde. Landarbeiter. Auch Kinder. Kaum ein Adeliger ließ sich blicken. Hinter einer Säule versteckt ein Mann in einen weiten Umhang gehüllt. Das Gesicht unter der Kapuze verborgen. Dicht gedrängt saßen oder standen die Gläubigen im Kirchenraum und warteten gespannt auf die Predigt. Der geheimnisvolle Fremde verfolgte mit wachsamen Blicken die Bewegungen des Priesters, der auf der Kanzel theatralisch seine Hände ausbreitete. Seine Stimme erfüllte das Gotteshaus wie ein Orkan, während seine Blicke von einem zum anderen wanderten. Drohend erhob er den Zeigefinger.

„Oh ihr Unglücklichen ... unter euch weilt ein Verruchter. Ein Sünder, der seine Schandtaten verbergen will. Doch der Herr sieht alles. Er sieht in jedes Menschen Herz.“

Ein Raunen ging durch die Menge. Da fegte ein Windhauch durch ein geöffnetes Kirchenfenster. Eine Kerze auf einem Silberleuchter erlosch. Die graue Rauchsäule stieg zum Himmel empor. Eine Maid blickte ängstlich um sich. Auch die zerlumpte Gestalt in der dicht gedrängten Menschenmenge spähte verstohlen nach hinten, um den Verruchten ausfindig zu machen. Vielleicht verriet er sich durch Schamesröte im Gesicht. Wer war es, den der Pater meinte?

Der Mann hinter der Säule stand regungslos an seinem Platz. Mit gesenktem Kopf lauschte er aufmerksam den Worten seines Widersachers. Keiner der Anwesenden ahnte, dass er der Genannte sein könnte.

„So spricht der Herr“, brandete die Stimme des Priesters wie ein Sturm über ihre Köpfe hinweg. „Ich habe dir schöne Gewänder gegeben und du hast sie ausgezogen. Die Wollust hat aus dir eine schamlose Dirne gemacht ... du bist schlimmer als ein Vieh. Du bist ein abscheuliches Ungeheuer. Doch ich werde dich hinwegfegen’, spricht der Herr im Zorn. ‚So wie ich Sodom und Gomorrha vernichtet habe ... so bleibt kein Unrecht ungesühnt und kein Stein wird auf dem anderen stehen bleiben.’ Amen ... Amen, ich sage euch, lasst ab von eurem Frevel, kehrt der Sünde den Rücken zu und wandelt auf dem Pfad der Tugend. Dann ... wird das Unheil euch verschonen. Aber wehe euch, ihr Sünder, ihr Unbelehrbaren, die ihr nicht dem Bösen entsagt, euch wird beim Jüngsten Gericht die Strafe Gottes mit voller Härte treffen“, schmetterte Vinzenz die Worte wie Blitze in den Kirchenraum.

Entsetzte Schreie. Vereinzelt ein Fluch. Ein Weibsbild fiel sogar in Ohnmacht. Der Priester hatte seine Strafpredigt noch nicht beendet. Doch der geheimnisvolle Fremde hinter der Säule war verschwunden.

„Wenn hohe Würdenträger nicht davor zurückschrecken, Jungfrauen und sogar Jünglinge zu schänden ... wird Gottes Zorn über sie kommen und sie von der Erde vertilgen“, predigte er unerschrocken weiter.

Als würde der Himmel zürnen, zog plötzlich ein Unwetter auf. Ein hell aufleuchtender Blitz tauchte den Kirchenraum in gespenstisches Licht. Der Donnerschlag krachte so heftig, dass mehrere Kerzen am Hochaltar zu flackern begannen. Auf den Gesichtern der Gläubigen zeichnete sich sprachloses Entsetzen ab. Unaufhaltsam prasselte der Regen gegen die bunten Kirchenfenster. Ein Kind begann laut zu weinen. Einige blickten sich ängstlich um. Andere knieten nieder, senkten ihre Blicke zu Boden, falteten die Hände zum Gebet.

„Kehret um ... rufe ich euch zu. Verlasst den schmutzigen Weg der Sünde und tut Buße, ehe es zu spät ist. Amen, Amen ich sage euch, der Himmel öffnet sich für den Tugendhaften, die Hölle für die Sünder.“

Pater Vinzenz seufzte laut und seine Blicke starrten in den Himmel. Langsam stieg er die Treppen der Kanzel nach unten. Schritt für Schritt. Am Hochaltar stimmte er das Credo an und feierte mit Andacht die Eucharistie. Der Messdiener, der Hüterbub aus dem Dorf, läutete bei der Wandlung dreimal die Handglocke. Nach dem Segen besprengte Vinzenz mit einem grünen Tannenzweig die aufgewühlten Gläubigen mit Weihwasser, während er durch das Mittelschiff zur Sakristei schritt.

Die Dörfer außerhalb der Ewigen Stadt waren arm. Die einfachen Menschen mussten ständig um ihr Überleben kämpfen und jeder Winter war eine große Herausforderung. Das Leben war hart und forderte eine hohe Sterblichkeit. Der Adel jedoch feierte rauschende Feste.

Die katholische Kirche war noch immer geschwächt vom abendländischen Schisma – der Zeit der Gegenpäpste. Das Konzil von Konstanz beendete endgültig die Spaltung. In Avignon standen sich im Jahre 1425 die Gegenpäpste gegenüber – Clemens VIII. und Benedikt XIV. In Rom herrschte damals Papst Martin V.

Seitdem waren viele Jahre vergangen und Calixtus III. saß nun auf dem päpstlichen Thron. In der Bevölkerung war die Frömmigkeit weit verbreitet, die religiösen Rituale, die Heiligenverehrung, der Reliquienkult, der Ablasshandel. Rom protzte mit seinen Prunkbauten und Palästen. Auch die Klöster waren reich. Silberne und goldene, mit Edelsteinen verzierte Geräte und Schreine standen beinahe in jeder Kirche. Kostbare Monstranzen, in denen heilige Hostien aufbewahrt wurden. Edle Gefäße für den Gottesdienst oder für Reliquien wurden in der „Schatzkammer“ hinter der Sakristei verwahrt.

Das Kloster, in dem Pater Vinzenz lebte, war reich an Gemüsebeeten und Obstbäumen. Doch Altargerät aus Gold oder Silber suchte man vergebens. Auch kunstvoll bestickte Messkleider fehlten. Mitten im Klosterhof stand ein aus groben Steinen gemauertes Kirchlein – die Klosterkirche. Drum herum schmiegten sich die niederen Unterkünfte der Mönche. Zwei flache Gebäude aus Stein mit einem Giebeldach aus Holz.

In völliger Abkehr von allem Weltlichen hielten die Mönche innere Einkehr mit Gott. Sie hatten ein gütiges Herz und halfen Menschen, die in Verzweiflung und Not an die Klosterpforte klopften und um Hilfe baten. Die meisten Mönche waren im vorgerückten Alter und durch die Einsamkeit manchmal ein wenig merkwürdig. Ihr Tag war ausgefüllt mit Gebet, Arbeit und guten Werken.

Seit einigen Monaten kränkelte der Prior. Keiner kannte so genau die Ursache. Wahrscheinlich das Alter. Und so umsorgte ihn die Klostergemeinschaft mit viel Zuwendung.

Dann kam die Stunde, in der der Prior sein Leben aushauchte. Drei Tage lang wurde er in der Klosterkirche aufgebahrt und anschließend auf dem Gottesacker, nahe der Klostermauer, zur letzten Ruhe gebettet. Mit viel Weihrauch und stillen Gebeten.

Nun musste ein Nachfolger gefunden werden. Pater Vinzenz, der Jüngste unter den Mönchen, galt als aussichtsreichster Kandidat. Doch würde die Mehrheit der Gemeinschaft ihn auch wählen? Vinzenz war für seine Güte und Gelehrsamkeit bei den Mitbrüdern und im Volk äußerst beliebt.

Nach den Tagen der Trauer versammelten sich die Mönche im Kapitelsaal. Der älteste Mönch, Pater Antonius, übernahm die Federführung.