Der Tod hat immer Hauptsaison - Susanne Hanika - E-Book
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Der Tod hat immer Hauptsaison E-Book

Susanne Hanika

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  • Herausgeber: beTHRILLED
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Die ersten drei Fälle für die ermittelnden Camper aus Bayern - hier trifft Krimi auf Humor, Nordlicht auf bayerische Dickschädel, Singlefrau auf feschen Kommissar!

Sofia erbt den Campingplatz ihrer Oma und zieht kurzerhand von Hamburg an den Hirschgrundsee. Dort trifft sie nicht nur auf liebenswürdige und skurrile Dauercamper - sondern auch auf eine Leiche! Doch der Täter hat nicht mit Sofia gerechnet: Schließlich will sie ihr Erbe einfach nur wieder loswerden. Aber wer kauft schon einen Campingplatz, auf dem ein Mörder frei herumläuft? Also muss Sofia selbst ermitteln!

Dieses Buch enthält die Bände "Der Tod kommt mit dem Wohnmobil", "Der Tod sonnt sich im Campingstuhl" und "Der Tod hält keine Mittagsruhe".

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!





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Seitenzahl: 644

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Titel

Der Tod kommt mit dem Wohnmobil

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Der Tod sonnt sich im Campingstuhl

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Epilog

Der Tod hält keine Mittagsruh

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

SUSANNE HANIKA

SUSANNE HANIKA

Kapitel 1

Noch immer hing das dunkel gemaserte Holzschild mit der weißen Aufschrift »Rezeption« über der Tür. Sogar der metallene schwarze Fußabkratzer in Form eines langgestreckten Dackels hatte die Jahre überlebt. Entkräftet von dem langen Fußmarsch vom Bahnhof setzte ich mein Gepäck direkt vor der Tür ab, und unwillkürlich tauchten ein paar Bilder von früher vor meinem geistigen Auge auf: Schlammige Schuhe, die ich als Kind an dem Dackel gereinigt hatte. Sonnige Nachmittage, die ich auf der Bank neben der Rezeption liegend verbracht hatte – die Holzbank gab es auch noch. Wo hatte ich nur den Schlüssel hingesteckt, den ich zugeschickt bekommen hatte?

Da ich ihn in den Untiefen meiner überdimensionierten Handtasche nicht gleich fand, warf ich automatisch einen Blick nach oben. Wie oft hatte sich meine Nonna, die Mutter meiner Mutter, aus diesem Fenster gebeugt und gerufen, ich möge doch endlich zum Essen kommen! Das Fenster war leicht zu erkennen, weil direkt darüber ein Hirschgeweih aufgehängt war. Der Vierzehnender, wie mein Großvater immer gesagt hatte.

Endlich hatte ich mich in der Tasche zu dem alten Schlüssel vorgetastet und schob ihn ungeschickt mit der linken Hand in das Schlüsselloch. Doch das wäre gar nicht nötig gewesen: Die Tür ließ sich einfach aufdrücken. Dabei bimmelte die Türglocke melodisch, genau wie früher. Richtig, Nonna hatte die Rezeption nie abgeschlossen, wieso sollte also sonst jemand damit angefangen haben.

Meine Arme fühlten sich an, als reichten sie bis zum Boden, und nur widerstrebend hob ich den Koffer und die Tasche wieder hoch. Als ich hinter mir Schritte hörte, drehte ich mich um und sah eine aufgetakelte, ältere Frau mit wiegenden Hüften Richtung Toilettenhäuschen gehen. Schnell trat ich durch die Tür, zog sie hinter mir zu und atmete erleichtert auf. Nach fast neun Stunden Zugfahrt hatte ich keine Lust mehr auf Begegnungen mit Campinggästen. Ich bin die Enkelin, ich habe den Campingplatz geerbt. Und nein, keine Angst, ich werde den Campingplatz nicht führen, ich werde nur die Dinge regeln, den Platz verkaufen und anschließend wieder das Weite suchen.

Soweit jedenfalls mein Plan.

Nichts gegen Bayern, ich hatte fast jeden Sommer bei meiner Nonna verbracht, und meine besten Kindheitserinnerungen stammten von hier. Aber ich hatte weder kaufmännische noch sonstige Kenntnisse, die mich qualifizierten, einen Campingplatz zu leiten. Außerdem war ich es inzwischen gewohnt, in einer Großstadt zu leben. Totenstille und stockfinstere Nächte waren wirklich nicht mehr mein Ding.

Mit einem Seufzen stellte ich mein Gepäck einfach mitten in den Raum und sah durch das schmutzige, von rotkarierten Vorhängen umrahmte Fensterchen auf den Campingplatz hinaus. Eigentlich hatte sich hier überhaupt nichts verändert. Selbst das Toilettenhäuschen stand noch dort wie vor zwanzig Jahren, und ich würde all mein Bares darauf verwetten, dass die Fliesen noch immer kackbraun waren. Dass die Leute sich nicht schon längst einen moderneren Stellplatz gesucht hatten, war mir ein Rätsel. Vielleicht, weil sie noch immer der Meinung waren, das große Campinglos gezogen zu haben, schließlich blickte der Campingplatz bereits auf 60 Jahre zurück. Zwei Kilometer weiter befand sich zwar noch ein Campingplatz, aber der hatte einfach keinen Stil, wie Nonna nicht müde gewesen war zu betonen.

Und außerdem: Die Lage von Nonnas Platz war wirklich fantastisch. Nicht weit von Hirschlingen, gleichzeitig direkt neben ausgedehnten Wäldern, unglaublich idyllisch am See gelegen.

Der See am Hirschgrund.

Ich hörte mich selbst ganz leise aufseufzen. Selbst von hier aus konnte man hinter den hohen Schwarzerlen die spiegelglatte Wasserfläche in den letzten Sonnenstrahlen glitzern sehen. Reiß dich zusammen, Sofia, dachte ich mir. Jetzt nur nicht schwelgen, oder noch besser, rumheulen. Und dir darüber Gedanken machen, was du hier schon alles erlebt hast!

In dem Moment hörte ich Motorengeräusche und sah, wie ein Mercedes mit Wohnwagen auf den Vorplatz gefahren kam und anhielt.

Wenn ich jetzt schnell genug war, konnte ich von der Rezeption direkt ins Haus laufen, das ging ganz einfach, man musste nur die alte, hintere Holztür aufdrücken. Aber noch bevor ich auch nur die Chance hatte, über meinen Koffer zu fallen, hörte ich das vertraute Bimmeln der Türglocke, und ein älterer Herr trat hinter mir ein.

»Guten Tag.« Er klang, als käme er aus ganz im Norden. »Ich brauche einen Platz für einen Wohnwagen und ein Auto. Ein Erwachsener samt Hund.«

Der Hund war ein winziger Rauhaardackel und versuchte, hinter den Tresen zu kommen.

»Wir schließen«, sagte ich. Wenn auch nicht heute. Aber demnächst.

»Wie bitte? Es ist erst fünf Uhr am Abend.«

Ich erklärte ihm nicht, dass ich das mit dem Schließen für »immer und ewig« gemeint hatte. Je weniger ich mit ihm herumdiskutierte, desto schneller konnte ich hinüber ins Haus gehen und mir die Bettdecke über den Kopf ziehen. Stattdessen murmelte ich etwas von »Na, dann schauen wir doch mal«. Ich wusste zwar nicht, was ich mit Schauen erreichen konnte, trat aber trotzdem hinter den Tresen. Dort stellte ich als allererstes fest, dass auch die Kasse nicht abgeschlossen war, sondern halb offen stand. Sie war gefüllt mit Scheinen und vor allen mit unzähligen Ein- und Zwei-Euro-Münzen. Ein Lageplan des Campingplatzes lag auf dem Tresen, daneben ein Stapel etwas aufgewellter Postkarten. Neben dem Computer, der ungefähr aus der Steinzeit der Informationstechnologie stammen musste, lag ein Zettel mit der Aufschrift »aktuelle freie Plätze.«

Der Zettel war dem Datum nach acht Monate alt und enthielt somit keine nützlichen Informationen. Die Plätze am See waren rot umkreist, und darunter stand, ebenfalls in roter, zackiger Schrift, »Schmidkunz vormerken«. Es sah so aus, als hätte meine Nonna das in ziemlicher Rage hingeschrieben.

»Und?«, fragte der Mann, da ich nichts sagte. »Brauchen Sie meinen Ausweis?«

»Nicht nötig«, sagte ich. Ich hatte keine Ahnung, wie das meine Nonna gehandhabt hatte. Außerdem war es mir egal, ob der Typ sich morgen früh aus dem Staub machte, ohne zu zahlen. Eigentlich wäre mir das lieber gewesen, weil ich dann nicht hätte nachschauen müssen, wie viel eine Übernachtung kostete.

»Ich heiße Manfred«, sagte er trotzdem, da er es anscheinend nicht fassen konnte, sich nicht ausweisen zu müssen. »Manfred Murinski.«

»Also. Hm. Was halten Sie davon, Herr Murinski, wenn Sie einfach mal über den Campingplatz schlendern und schauen, ob es Ihnen hier überhaupt gefällt«, schlug ich vor.

»Überhaupt gefällt?«, wollte der Mann mit großen Augen wissen.

»Ja. Das soll’s geben, dass einem ein Campingplatz nicht zusagt. Zum Beispiel die Toiletten. Könnte ja sein, dass die nicht sauber sind. Oder die Fliesen zu braun.« Die waren nämlich nicht nur braun, sondern auch noch in sich gemustert, sodass man nie genau wusste, ob es sich um Spinnen, Dreck oder Muster handelte.

Ich legte eine bedeutsame Pause ein, und noch immer sah mich der Mann mit sehr großen Augen an. Gerade für die Toiletten wollte ich nicht meine Hand ins Feuer legen. Eine gute Putzfrau zu bekommen war schon schwierig, wenn man einen Zwei-Personen-Haushalt führte.

»Einen richtigen Strand haben wir auch nicht. Das Wasser ist noch kalt.«

Allerdings ging man im hohen Norden auch bei Wetterverhältnissen baden, bei denen Süddeutsche konsequent Pullover und Anoraks trugen. Da er nicht gleich das Weite suchte, seufzte ich tief. »Dann suchen Sie sich eben einen Platz. Wenn Sie einen freien finden, dann können Sie bleiben.«

»Und dann komme ich wieder her und melde mich an?«, fragte er sehr zuvorkommend.

»Nein, nein. Dann stellen Sie Ihren Wohnwagen ab und machen sich einen schönen Abend.«

Das würde ich nämlich jetzt auch gerne machen.

Dem Mann fiel nichts mehr ein, er sah mich an, als wäre ich ein Alien, oder zumindest jemand mit einer tiefen psychischen Störung. Trotzdem drehte er sich um und ging kommentarlos.

Eine Weile blickte ich ihm nach. Er lief als erstes zu seinem Auto und setzte sich wieder hinein, um auf dem Beifahrersitz etwas zu suchen. Vielleicht hatte ich ihn ja wirklich verschreckt, und er fuhr gleich wieder ab.

Müde setzte ich mich auf den uralten Drehstuhl. Das Häkeldeckchen auf dem Sitzpolster entlockte mir erneut ein wehmütiges Lächeln. Wie sehr hatte Nonna dieses Geschenk eines Campinggastes in Ehren gehalten. Bestimmt war die Schenkerin inzwischen auch verstorben. Müde streifte ich meine Ballerinas ab und schlüpfte in die Flipflops, die hier standen. Meine Großmutter hatte den Sommer über kaum andere Schuhe getragen. Am liebsten hätte ich geheult.

Nicht nur wegen Nonna. Auch wegen des Schlafmangels, denn ich hatte die ganze letzte Nacht kein Auge zugemacht. Schließlich verließ man nicht alle Tage seinen angetrauten, untreuen, bescheuerten Ehemann. Jetzt, wo ich auf meinem – meinem, wie sich das anhörte! – Campingplatz angekommen war, schien die Anspannung der letzten Tage zu zerbröseln, und ich ließ meinen Kopf auf den Schreibtisch sinken. Nur für ein kleines Momentchen die Augen schließen. Dann würde ich mich aufraffen und ins Haus gehen. Ganz bestimmt.

Du wirst das alles regeln, dachte ich mir, und das Gefühl, nicht mehr aufstehen zu können, wuchs. Das ist der erste Tag meines neuen Lebens, prophezeite ich mir selbst, auch wenn ich nicht so recht wusste, wohin ich gehen würde, wenn der Campingplatz erst einmal verkauft war. Und dann fielen mir die Augen zu.

Später rekonstruierte ich, dass ich gegen sechs Uhr abends eingeschlafen sein und dreizehn Stunden mehr oder weniger fest geschlafen haben musste. An einem Schreibtisch sitzend einzuschlafen war mir das letzte Mal mit zwölf Jahren im Mathe-Unterricht passiert. Peinlicherweise hatte ich damals auch noch geschnarcht und mir damit einen Verweis eingehandelt. Den bekam ich dieses Mal natürlich nicht. Einmal in der Nacht war ich kurz aufgeschreckt – da zeigte die Uhr neben mir gerade vier Uhr. Ein Hund hatte gebellt, oder vielmehr geheult wie ein Wolf.

Aber im nächsten Moment war ich schon wieder hinüber ins Land der Träume gesegelt.

Plötzlich befand ich mich auf einem riesigen Campingplatz, wo wirklich alles dunkelbraun-fleckig gefliest war, das Klohäuschen, das Wohnzimmer und die Küche. Selbst das Badezimmer, das ich den Rest meines Lebens benutzen würde.

Dann klingelte es in meinem Traum, und es klang genau wie die frühere Klingel der Rezeption meiner Großmutter, doch mein seliger Schlaf wurde durch ein lautes Krachen unterbrochen. Mit einem theatralischen Stöhnen wurden direkt vor mir auf den Tresen zwei Plastikkörbe geknallt. Verschwommen nahm ich eine Dame mit knallrot gefärbten Haaren wahr, die von einer Party zu kommen schien. Und die Brötchen mitgebracht hatte, aus welchem Grund auch immer.

»Hallo. Schätzchen«, stieß sie auf eine Art hervor, die vermuten ließ, dass ich etwas falsch gemacht hatte.

Ihre Stimme war ziemlich tief und männlich. Als hätte sie ihr ganzes Leben zu viel geraucht, getrunken oder geschrien. Oder auch alles drei.

»Hallo«, antwortete ich automatisch.

»Ganz die Elli«, sagte die Frau mit der rauchigen Stimme.

»Du bist doch Ellis Enkelin?«

Ich nickte. »Sofia Ziegler.«

»Gut, dass du da bist, Schätzchen. Ich bin vollkommen außer mir!«, besann sie sich auf ihre ursprüngliche Mission.

Vage meinte ich, mich von früher an sie zu erinnern. Konnte es sein, dass sie schon seit zwanzig Jahren hier auf den Campingplatz kam?

»Und wer sind Sie?«

Sie musterte mich von oben bis unten, als hätte ich Angelina Jolie gefragt, wer sie sei.

»Evelyn«, antwortete sie kurz angebunden. Evelyn trug eine knallenge Lederjacke mit Fransen, dazu eine enge Jeans und Cowboystiefel mit Glitzersteinchen, alles eine Nummer zu klein, aber damit schien sie gut leben zu können. An ihren Ohren baumelten derart riesige Glitzerohrringe, dass sich ihre Ohrläppchen nach unten dehnten.

»Du musst dir das unbedingt ansehen. Jetzt. Auf der Stelle.«

Ich war viel zu verwirrt, um zu widersprechen. Stattdessen starrte ich leicht irritiert in den kleinen Spiegel, der direkt hinter dem Tresen hing und mir sehr gut ermöglichte, mein Äußeres im Sitzen zu kontrollieren. Meine Großmutter hatte sehr auf ihre Erscheinung geachtet. Überall im Haus hingen Spiegel bereit, um jederzeit Frisur und Make-up korrigieren zu können. Mir offenbarte sich ein ziemlich zerknittertes Gesicht. Anscheinend hatte ich auf etwas geschlafen, das ein wirres Muster auf meiner rechten Wange hinterlassen hatte. Doch mein Körper fühlte sich trotz der unmöglichen Schlafstellung sehr entspannt an, vielleicht, weil ich schon eine ganze Weile nicht mehr derart lange am Stück geschlafen hatte.

»Ich möchte auf jeden Fall einen Zeugen bei mir haben, wenn du verstehst, was ich meine.« Sie benahm sich mir gegenüber so, als würden wir uns schon ewig kennen. Aber ich wusste, dass das eine seltsame Angewohnheit der Bayern war: Sie laberten mit jedem wie ein Norddeutscher mit seiner engsten Verwandtschaft.

»Nein. Verstehe ich nicht«, sagte ich ehrlich.

»Schätzchen, Zeit mit mir mitzukommen!«, befahl sie, ohne die Sache mit dem Zeugen näher zu erläutern. Ich stand einfach auf und folgte ihr.

Als Evelyn die Tür öffnete und mich die Sonnenstrahlen blendeten, fühlte ich mich einfach nur erfrischt. Es fühlte sich an, als würde ich schweben, als ich bergab über den Campingplatz schlurfte. Die alten Schlappen meiner Nonna klatschten bei jedem Schritt auf den Asphalt, während neben mir energisch Evelyns hohe Absätze klackerten, die mit einem sehr aggressiven Stakkato das Tempo vorgaben.

Der Weg, der hinunter zum See führte, war gesäumt von üppig blühenden Blaukissen in unterschiedlichen Blau- und Violetttönen. Der Rasen war saftig grün, und auch die Bäume waren dicht belaubt. Die Äste der Birken hatten hellgrün ausgetrieben, und die Sonnenstrahlen kitzelten die schönsten Farben heraus. Ich spürte, wie die Anspannung der letzten Tage immer weiter von mir abfiel.

Was für ein wunderbarer Tag im Mai, hätte jetzt meine Nonna geschwärmt. Und vielleicht noch hinzugefügt, dass der Mai wirklich die einzige Jahreszeit war, die sie Neapel vergessen ließ.

Na gut, meist sagte sie das auch im April, im Juni, Juli und August. Wenn es im Winter Schnee hatte, dann auch. Nur wenn der Nebel sich festsetzte, behauptet sie steif und fest, »jede einzelne Sekunde« zu bereuen, die sie je in Bayern verbracht hatte.

Was mir selbst in Bayern fehlte, war der Wind. Zumindest an der Elbe ging immer eine steife Brise, das hielt den Kopf klar.

»Manchmal brauche ich ein bisschen mehr Trubel«, unterbrach Evelyn mich in meinen Gedanken, »gestern war bei der Erna Ladies’ Night. Deshalb war ich heute Nacht nicht zuhause. Wenn du mal ...«

»Jaja«, unterbrach ich sie, noch völlig erstaunt, dass ich vergessen hatte, wie schön es hier war. Ich betrachtete wohlwollend die roten und gelben Tulpen neben dem Toilettenhäuschen. Das Beet sah wirklich reizend aus. Einmal abgesehen von der hässlichen Konifere direkt daneben.

»Wenn du mal mitkommen willst«, ließ sie sich nicht unterbrechen, »man kann so viele Cocktails trinken, wie man will.«

Deswegen also die leichte Fahne. Es roch ein klein wenig nach Fichtennadeln und nach Sommer, obwohl es Mai war und noch nicht richtig Sommer. Vielleicht sollte ich den Campingplatz nicht sofort verkaufen. Ich könnte auch erst noch ein paar nette Wochen hier verbringen.

Wir steuerten auf ein riesiges Wohnmobil zu, das etwas abseits stand und vor dem zwei noch zusammengeklappte graue Campingstühle an einem Campingtisch lehnten. Wir standen schon fast davor, als die Tür eines benachbarten Wohnwagens aufgestoßen wurde und ein ungekämmter alter Mann heraustrat.

»Gottfried«, sagte Evelyn, sich selbst unterbrechend.

Etwas irritiert verlangsamte ich meinen Schritt. Hatte er einen Schlafanzug an?

»Hmpf«, gab Gottfried von sich und steuerte eiligen Schrittes Richtung Klohäuschen.

»Also, pass auf«, fuhr Evelyn an mich gewandt fort. Über Gottfrieds Aufmachung schien sie sich nicht im Geringsten zu wundern.

»Und heute in der Früh komme ich nach Hause, und du stellst dir nicht vor, was ich dort finde!«

Meine Schritte wurden ein wenig langsamer. Das erinnerte mich nämlich an die Klagen meiner Nonna darüber, was für ein buntes Völkchen die Camper doch seien. Und dass sie jeden Tag mit anderen Problemen zu kämpfen hatte. Vielleicht hatte sich letzte Nacht jemand vor Evelyns Camper erbrochen, und sie erwartete jetzt von mir, dass ich das wegmachte.

Das würde ich auf gar keinen Fall tun! Ich würde nämlich den Campingplatz mitsamt dem Erbrochenen verkaufen, dass das nur klar war!

Doch bevor ich protestieren konnte, öffnete Evelyn die Tür ihres Wohnmobils und schob mich energisch hinein.

Kapitel 2

Ich weiß nicht genau, wie ich mir das Innere ihres Wohnmobils vorgestellt hatte, aber allein ihr extravagantes Auftreten hätte mir eine Warnung sein sollen. Mein Blick fiel als erstes auf ein geöffnetes Barfach, das blau beleuchtet war und diverse Alkoholika enthielt. Daher vermutlich die tiefe Stimme. Ich bestaunte für einen Moment die glitzernden Gläser, danach den extravaganten, knallbunten Perser, auf dem ich stand, und außerdem die dazu passenden Vorhänge. Ihre Liebe zu Glitzer war omnipräsent. Wenn man sich von dem Barfach abwandte, sah man sich riesigen Goldspiegelfolien gegenüber. Sie schienen schlank zu machen, denn ich sah erfreulich dünn aus. Als ich schließlich die blitzblanke Küche bestaunte, fragte Evelyn etwas ungehalten von draußen, was ich dazu sagte.

Ziemlich viel Glitzer, fiel mir dazu nur ein, aber ich fragte diplomatisch: »Ähm, zu was genau?«

»Du musst die Schiebetür öffnen«, rief sie von draußen, nachdem sie anscheinend keine Lust hatte, ihr eigenes Wohnmobil zu betreten. Ich öffnete eine Schiebetür und blickte in ein glitzerndes Bad mit einer riesigen Dusche. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch keinen so großen Duschkopf besessen. Klassischer Campingurlaub war wohl nicht so das ihre. Wobei die Frage war, ob sie hier jemals geduscht hatte. Alles war so blitzblank gewienert, dass man keinen einzigen Wasserspritzer sah. Aber auch hier konnte ich nichts Ungewöhnliches entdecken, zumindest hatte sich keiner in ihrer Dusche erbrochen.

»Und?«, fragte sie. Ihre rauchige Stimme klang inzwischen schon ziemlich ungehalten.

Erst da kapierte ich, dass der riesengroße Spiegel im hinteren Teil des Wohnmobils ebenfalls eine Schiebetür war, und dass ich die wohl öffnen sollte. Zunächst starrte ich nur auf mein derangiertes Äußeres. Auch dieser Spiegel machte schlank, aber der Anblick war trotzdem nicht so erfreulich. Man sollte sich abgewöhnen, auf Rechnungsbüchern einzuschlafen, die rote Kanten auf der Stirn hinterlassen.

Brav öffnete ich die glitzernde Spiegel-Schiebewand und sah auf ein riesengroßes Bett mit dunkelroten Kissen und Bettdecken. Wow. Riesig. Echt kuschelig hier. Zwar überhaupt nicht mein Geschmack, aber trotzdem ...

Dann erblickte ich einen kahlen Kopf und einen nackten Arm und konnte nur knapp einen Aufschrei unterdrücken.

»Da schläft jemand!«, flüsterte ich, nachdem ich mit einem gewaltigen Satz zurück zum Eingang des Wohnmobils gesprungen war.

»Und wieso flüsterst du dann?!«, fragte Evelyn ziemlich laut und ärgerlich. »Der kann sich nicht in mein Bett legen und da übernachten! Weck ihn auf.«

Wieso hatte sie das selbst noch nicht getan? Und gehörte das wirklich zu meinen Aufgaben? Dass ich fremde – womöglich komplett nackte – Männer aus einem fremden Bett zerrte?

Sie schob mich zurück ins Wohnmobil.

»Wie ist er denn da hineingekommen?«

»Ja wie wohl. Er wird die Tür geöffnet haben und hineingegangen sein.«

»Aber die Tür war abgesperrt«, sagte ich.

»Nein. Ich sperre nie ab. Das ist nicht nötig.«

»Wie man sieht, schon«, bemerkte ich schlecht gelaunt.

»Und jetzt schmeiß ihn raus.«

»Und warum machen Sie das nicht selbst?«

»Dazu braucht man eine offizielle Person«, behauptete Evelyn.

»Ich bin keine offizielle Person«, wehrte ich mich.

»Offizieller als ich jedenfalls schon.«

Vielleicht litt ich noch mehr unter dem Brave-Mädchen-Syndrom als gedacht, denn ich näherte mich dem tief schlafenden Mann noch ein zweites Mal.

»Hallo?«, fragte ich vorsichtig. »Hallo? Könnten Sie bitte aufstehen? Sie befinden sich in einem ... ähm, fremden Bett.«

Unsicher kehrte ich zu Evelyn zurück, um sie über den Stand der Dinge zu informieren.

»Vielleicht sollten wir draußen warten. Der Typ ist vermutlich nackt und will sich erst einmal anziehen.« Ich hatte zwar keine Kleidungsstücke gesehen, und er hatte sich bis jetzt auch nicht bewegt, aber irgendwann würde er auch von alleine aufwachen. Manchmal musste man eben ein bisschen Geduld haben.

»Das ist mir egal«, erklärte sie mir böse.

Diesen Campingplatz loszuwerden war mir plötzlich ein ganz dringendes Anliegen. In Gedanken begann ich, mir die Anzeige für den Verkauf des Platzes auszumalen. »Wollen Sie beruflich neu durchstarten?«, formulierte ich. »Haben Sie einen besonderen Bezug zur Natur? Ihre neue Camping-Immobilie ist die perfekte Wahl! Immer mehr Menschen wollen dem Stress der Zeit entfliehen, raus aufs Land, in die Natur.« Bis vorgestern hatte ich nämlich als Texterin in der Firma meines Mannes gearbeitet, und ich war wirklich gut, wenn ich genügend Motivation dahinter hatte.

Und gerade im Moment war ich wirklich extrem motiviert!

»Das wäre unhöflich«, sagte ich, während ich überlegte, in welchen Zeitungen ich die Anzeige veröffentlichen würde.

»Das ist egal«, wiederholte Evelyn mir böse. »Zieh ihm die Decke weg.«

Ich würde oft das Wort »anheimelnd« benutzen. Anheimelnde Atmosphäre! Dabei hatte ich seltsamerweise sofort den Gottfried im Schlafanzug vor Augen. Die Renaissance des Campingplatzes! Zurück zur Natur! Entschleunigung! Anheimelnde Entschleunigung in anheimelnder Natur! Mit einem anheimelnden Gottfried und fremden Männern in anheimelnd fremden Betten!

»Elli hätte ihm die Decke weggezogen. Und ihn hinausgestampert.«

Davon war ich überzeugt. Meine Nonna war eine wirklich resolute Person gewesen, und ihr italienisches Temperament hatte das seine dazu getan.

»Das ist genau genommen IHR Wohnmobil«, sagte ich und ermahnte mich selbst dazu, keine Rücksicht auf Camper-Gefühle zu nehmen, schließlich wollte ich den Campingplatz ja verkaufen!

»Ich zahle regelmäßig meine Platzgebühren«, wandte Evelyn pikiert ein. »Und das seit Jahren.«

»Danke«, antwortete ich automatisch und verbesserte mich danach gleich hastig: »Aber das Rausschmeißen fremder Männer aus den Wohnmobilen ist nicht in der Platzgebühr enthalten.«

»Das sehe ich anders.«

»Das steht nicht im Platzvertrag«, behauptete ich, obwohl ich mir nicht hundertprozentig sicher sein konnte.

»Im Platzvertrag steht auch nicht, dass ich hier aufs Klo gehen kann«, fauchte sie mich an.

»Naja, schön, dass ich da ein Auge zudrücke«, konterte ich.

Weil ich keine Lust auf weitere Diskussionen hatte, kehrte ich um und riss die Bettdecke im Wohnmobil sehr beherzt herunter. Eine Weile starrte ich sprachlos auf einen alten, haarigen Hintern. Vielleicht hätte ich die Decke nicht gleich komplett herunterziehen müssen, aber Seide rutscht ja bekanntlich sehr gut.

»Entschuldigung«, sagte ich spontan zu dem nackten Hintern. »Aber. Hallo. Sie sind im falschen Bett.«

»Oh Gott. Der Musch«, sagte Evelyn fassungslos, die mir inzwischen über die Schulter lugte. Anscheinend konnte sie ihn anhand seines nackten Hinterns identifizieren.

Angestrengt fixierte ich die einzigen bekleideten Körperteile: seine Füße. Die steckten noch in schwarzen Nylonsocken. Kein Wunder. Die Nächte konnten hier auch im Mai noch empfindlich frisch werden.

»Musch! Musch!«

Musch hatte einen gesegneten Schlaf. Vielleicht hatte er in der Nacht genauso wenig geschlafen wie Evelyn und deswegen ein paar Schlaftabletten eingenommen.

»Musch!«, wiederholte sich Evelyn energisch. »Das kann doch wohl nicht wahr sein!«

Ich in seiner Situation hätte mich für den Rest des Vormittags schlafend gestellt, nur um mich nicht der Peinlichkeit auszusetzen, vor Evelyn und mir aus dem fremden Bett zu kriechen.

Evelyn kannte diese Schamgefühle offensichtlich nicht. Bei ihr konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass sie nackt aus fremden Betten kroch. Energisch fasste sie an mir vorbei an die Wade des Mannes, um ihn wachzurütteln. Aber im nächsten Moment zuckte sie schon zurück und schnappte nach Luft.

»Oh Gott.«

Ihre Hände umschlossen meinen rechten Oberarm wie ein Schraubstock. Für einen Augenblick dachte ich, sie würde ohnmächtig werden, aber sie runzelte nur die Stirn. Ich brauchte keine weiteren Informationen von ihr. Mir war auch schlagartig klar geworden, wieso der arme Musch nicht seine Bekleidung zusammenraffte und verschwand.

»Er ist tot«, stellte Evelyn fest, inzwischen wieder mit gefasster Stimme. Sie war offensichtlich nicht kurz davor gewesen, ohnmächtig zu werden. Man darf nicht von sich auf andere schließen. »Okay. Das erklärt alles.«

»Was. Alles?«, fragte ich und starrte noch immer auf die Socken.

»Dass er nicht aufsteht«, stellte sie scharfsinnig fest.

»Ich muss die Polizei rufen«, sagte ich.

Der Satz erstaunte mich ein klein wenig. Also, der Satz an sich nicht, sondern, dass ich diejenige war, die zu dieser Schlussfolgerung gekommen war. Denn es fühlte sich an, als würde ich mir selbst zuhören. Besser gesagt, jemand ganz anderem, der vollkommen professionell und ruhig reagierte, während alles um ihn herum in Panik versank. Meine Beine schienen als erste bemerkt zu haben, dass etwas ganz gewaltig nicht stimmte, denn sie waren so zittrig, als würden sie mich bald nicht mehr tragen wollen. Als ich wieder klarer denken konnte, stand ich vor dem Wohnmobil, konnte mich aber nicht daran erinnern, wie ich dort hingekommen war.

Ich atmete einmal tief auf, dann bemerkte ich, dass Evelyn mir nicht gefolgt war.

»Evelyn?«

»Ja.«

»Wo sind Sie?«

Dumme Frage, nachdem sie mir nicht gefolgt war, ich weiß. Aber da ich gerade nur das Bedürfnis gehabt hatte, fluchtartig den Wagen zu verlassen, und nie, nie wieder zu betreten, kam mir die Frage doch nicht so komisch vor.

»Evelyn?«

Vorsichtig stieg ich wieder in das Wohnmobil.

»Was machen Sie da?«

Sie antwortete nicht, weil sie gerade mit dem halben Oberkörper in einem Staufach unter einer Bank steckte.

»Suchen Sie was?«

»Nein, ich bin ein ordentlicher Mensch.«

Sie stellte schweratmend eine pinkfarbene Reisetasche mit Rollen neben sich ab und ließ mit einem energischen Klacken sämtliche Wohnmobilfächer in Kopfhöhe aufspringen.

»Ordnung ist das halbe Leben«, informierte sie mich, den Blick fest auf die Wäschefächer gerichtet. In den Fächern war es nur halb so ordentlich, wie Evelyn tat.

»Evelyn.«

Mit in den Hüften gestemmten Fäusten blieb sie vor ihrer Tasche stehen und ignorierte mich.

»Evelyn. Wir müssen hier raus.«

Ich hatte keine Ahnung von Polizeiarbeit. Aber ich hatte schon ein paar Mal Tatort geschaut, und da schien es unglaublich wichtig zu sein, dass man an dem Ort des Verbrechens nichts veränderte. Vielleicht war Musch auch eines natürlichen Todes gestorben. Aber das konnten wir noch gar nicht wissen!

»Ja. Moment.«

»Ich muss die Polizei rufen«, erinnerte ich sie.

»Ich brauch dich hier nicht, ruf nur die Polizei«, sagte sie, ohne sich zu mir umzudrehen.

Sollte sie nicht besser mit mir rausgehen? Wahllos, wie mir schien, begann sie Wäsche in die Reisetasche zu werfen.

»Wollen Sie jetzt abhauen?«, fragte ich interessiert.

»Nein.«

»Verändern Sie den Tatort?«

»Nein.«

Das sah aber ganz danach aus! Ich sah ihr ratlos zu, wie sie energisch die Wäsche in der Tasche zusammendrückte, damit mehr hineinpasste.

»Und wieso packen Sie dann?«, fragte ich, als sie sich zu keiner Antwort bequemte.

»Das ist kein Tatort, sondern mein Wäscheschrank«, antwortete sie schließlich.

»Das erklärt nicht, wieso Sie gerade packen.«

»Schätzchen«, seufzte sie, und drehte sich nun doch zu mir. »Ist doch klar, was passiert, wenn jetzt die Polizei kommt. Was werden sie wohl als erstes machen?«

»Den Täter suchen?«, fragte ich.

Sie ging in die Hocke und öffnete den Kühlschrank. Wollte sie jetzt auch noch frühstücken, bevor die Polizei kam?

»Die Polizei wird das Fahrzeug versiegeln«, erklärte sie mir mit dumpfer Stimme, weil sie in den Kühlschrank hinein sprach.

»Okay.« Und deswegen nahm sie sich noch ein bisschen etwas zu Essen mit, oder wie?

Hinter einem Stück Emmentaler holte sie drei Stapel mit Geldscheinen hervor. Es schienen lauter Hundert-Euro-Scheine zu sein.

Jede Menge Geld also.

»Sicher, dass Sie nicht verschwinden wollen?«, fragte ich nach.

»Wie sollte ich denn verschwinden, wenn in meinem Wohnmobil eine Leiche liegt, hm?«, fragte sie und warf die Scheine in die Reisetasche. »Sehe ich so aus, als würde ich mit Leichen eine Spazierfahrt machen?«

In ihrer Handtasche verschwanden Spritzen und ein Fläschchen mit klarer Flüssigkeit. Oh je, was war das? Drogen? Hatte sie damit etwa Musch umgebracht? Vorsichtig trat ich einen kleinen Schritt zurück.

Hatte mir meine Nonna in den letzten Jahren irgendetwas über ihre Gäste erzählt? Ich kannte ein paar Namen, noch von früher. Schmidkunz zum Beispiel. Die mussten schon ewig hier sein. Oder der Gröning mit seinem Naturfimmel. Und logischerweise Frau Meier-Schönlein, die nach außen hin super nett war, aber hinten rum echt ätzend. Und Evelyn? Nonna und ich hatten hin und wieder miteinander telefoniert, und manchmal hatte sie von den Gästen erzählt. Zum Beispiel, dass der Maarten, der Niederländer, der sich an keine Mittagspause hatte halten wollen, verstorben war. Aber kein Wort zu Evelyn. Ich trat noch einen kleinen Schritt näher zum Ausgang.

»Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun«, sagte ich trotzdem, und nahm mir vor, schreiend davon zu laufen, sollte sie mich mit der Spritze traktieren wollen.

Sie schloss den Kühlschrank.

»Ich fahre doch nicht mit einer Leiche im Wohnmobil los«, erläuterte sie mir, während sie sich noch einmal umsah. »Höchstens, du hilfst mir, ihn draußen abzulegen.«

»Aha«, entfuhr es mir kraftlos.

»Eigentlich eine gute Idee.«

Gute Idee? Ich starrte ihren Rücken an und brachte keinen Ton hervor.

»Wir könnten behaupten, wir hätten ihn hinter dem Wohnmobil gefunden.«

Genau. Einen nackten Mann mit schwarzen Nylonsocken.

»Nein. Könnten wir nicht«, bekam ich schließlich gesagt.

»Stimmt. Das wäre total schwachsinnig. Wir sollten ihn lieber noch ein paar Meter weiter tragen, zu seinem eigenen Wohnwagen, und ihn auf seiner Sonnenliege parken. Dann wäre ich ganz raus aus der Sache.«

»Nein!«, stieß ich jetzt ziemlich energisch hervor.

»Jeder würde denken, er hätte sich ein klein wenig ausgeruht, bevor er dann leider im Schlaf gestorben ist.«

Genau. Weil sich die meisten Camper unglaublich gerne nackt auf die Liege vor ihren Wohnwagen legten!

»Gar nicht so unwahrscheinlich«, erwärmte sie sich für diese Theorie. »Das hätte durchaus so passieren können.«

»Nein.«

»Wäre also nicht wirklich gelogen. Nur weil er sich vor seinem Tod in mein Bett gelegt hat, hat das noch lange nichts mit mir zu tun.«

Das sollte ich mir merken. Alles, was auch anders hätte sein können, war also nicht gelogen. Ich verfluchte Martin, meinen Noch-Ehemann, der mir das alles eingebrockt hatte. Hätte er mich nicht betrogen, hätte ich die Angelegenheit einem Makler übergeben und nicht die Erbschaft zum Anlass genommen, alles selbst zu regeln. Dann wäre ich heute nicht hier. Evelyn müsste alleine die Polizei rufen oder Gottfried bitten, den Musch aus ihrem Wohnmobil zu tragen, und ich hätte überhaupt nichts damit zu tun!

»Auf gar keinen Fall«, verkündete ich mit so viel Autorität, wie ich konnte.

»Kleiner Scherz«, behauptete sie, konzentrierte ihren Blick aber weiterhin darauf, was sie sonst noch alles einpacken könnte.

»Allerdings sehe ich nicht so ganz ein, wieso gerade ich die Sache mit dem toten Musch an der Backe haben soll«, murmelte sie, starrte auf die Küchenzeile, nahm die drei Sektgläser, die dort standen, und spülte sie routiniert ab.

»Moment«, schaffte ich endlich etwas zu sagen, aber da war es schon zu spät.

»Was ist?«

»Ich dachte, die Polizei muss das ... alles nach Fingerabdrücken ...« Meine Stimme verebbte.

»Meine Fingerabdrücke gehen doch nun wirklich niemanden etwas an«, stellte Evelyn fest, klang dabei aber nicht beleidigt, sondern so, als würde sie mir nach wie vor beim Verstehen der Situation unter die Arme greifen.

Mit ernster Miene packte sie noch einige String-Höschen und ein Glitzertop – alles leopardengemustert – in die Rollreisetasche. Nach einem abschließenden Blick ins Wohnmobil nahm sie ein umgekipptes Weckglas mit Pralinen vom Tisch und stellte es ordentlich in ein Küchenfach.

»Okay, Schätzchen«, sagte sie, während sie den Reißverschluss des Rollkoffers mit einem lauten Ratschen schloss. Meinen Namen konnte sie sich offensichtlich nicht merken. »Wir können gehen.«

Kapitel 3

Während ich zum Haus zurückging, rasten die Gedanken in meinem Kopf umher wie verirrte Silvesterraketen. So etwas wie das hier war mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert.

»Mir ist schlecht«, sagte ich.

»Kein Wunder«, antwortete Evelyn halb hinter mir. »Es ist wirklich ungewöhnlich heiß für diese Jahreszeit.«

Vor allen Dingen wehte kein Wind. Das war wirklich störend an Bayern! Evelyns Reisetasche rollerte hinter uns her und kippelte von einer auf die andere Seite. Auf einmal stupste etwas kaltes Nasses an meine Hand, und ich quietschte los.

»Ach Gottchen, Milo«, sagte Evelyn. Hinter uns stand ein riesiger schwarzer Hund mit einem traurigen Blick. Sie redete auf ihn ein, als wäre er ein Kleinkind. »Wo kommst du denn her? Du armes Waisenhundchen! Dein Papilein ist tot!« Nach zwei Tätschlern stand sie wieder auf und sagte mit normaler Stimme zu mir: »Das ist der Hund vom Musch. Jetzt vollkommen mittellos auf dieser Welt ...«

Ich atmete einmal tief durch. Polizei, denk nur an die Polizei!

»Ist das die Enkelin von der Elli?«, fragte eine Stimme links von mir.

Mir wurde noch flauer im Magen.

»Ich brauche sofort einen Gesprächstermin«, sagte eine andere Stimme rechts von mir.

Meinte der mich?

»Schmidkunz«, sagte Evelyn mit ziemlich autoritärer Stimme. »Lass sie in Ruhe, sie ist gerade erst angekommen.«

»Hat ja auch lang genug gedauert«, behauptete der Schmidkunz. »Sie hätte auch schon vor zwei Wochen kommen können.«

»Vor zwei Wochen war Elli noch nicht einmal unter der Erde«, sagte Evelyn spitz.

Vor zwei Wochen war ich nach der Beerdigung feige abgereist, ohne mit meiner Mutter und meinen Geschwistern hier vorbeizuschauen.

»Egal«, sagte Schmidkunz grimmig und blieb mir dicht auf den Fersen.

»Ich rufe als Allererstes die Polizei«, sagte ich mit fester Stimme. »Da gibt es nichts dran zu rütteln.«

Ich drehte mich nach rechts, wo der Schmidkunz stand und mich ansah, als wäre ich nicht ganz dicht.

»Guten Morgen«, sagte der links von mir. »Meier-Schönlein. Und ich finde, der erste Gesprächstermin steht mir zu.«

Gesprächstermin? Ich warf ihm einen kurzen Blick zu und erkannte ihn als den Gottfried mit dem gestreiften Schlafanzug. Dankenswerterweise hatte er sich inzwischen angezogen.

Meier-Schönlein ließ sich nicht den Mund verbieten. »Frau Ziegler, der oberste Vorrang sollte der Erhalt des Campingplatzes sein. Sie sind unsere Interessenvertreterin und sollten alles tun, um unseren Verbleib zu ermöglichen.«

Wie bitte?

»Guten Morgen«, sagte ich zusammenhanglos und ging einfach weiter.

»Außerdem, es ist schon vier nach acht«, fuhr er fort, und eine Frau, vermutlich die Ehefrau, fügte hinzu: »Auf meiner Uhr schon fünf nach. Und die Semmeln gab es bei Elli immer Punkt ...«

Vor der Rezeption warteten weitere vier Personen. Wollten die etwa auch »Gesprächstermine« mit mir ausmachen? Ich drückte wortlos die Tür auf und knallte sie dem Schmidkunz direkt vor der Nase zu.

Alles in Ruhe. Der schwarze Hund hatte sich mit mir durch die Tür gedrückt. Seine Leine hing noch am Halsband, er setzte sich vor mich und sah mich hechelnd und erwartungsfroh an.

Telefon.

Die 110. Oder die 112?

Einen Augenblick lang herrschte Stille.

Dann wurde die Tür wieder aufgedrückt, und der kleine Raum füllte sich mit Menschen.

»Also, die Elli hat die Semmerln drüben im Laden verkauft.«

»Die Elli hat um Punkt Acht aufgemacht.«

»Raus!«, schrie ich die Leute an. Wie konnten sie nur an Brötchen denken, wenn ich gerade mit der Polizei telefonieren musste!

»Sie ist ein wenig hysterisch«, erklärte Evelyn, während sie den pinken Rollkoffer direkt neben dem Tresen abstellte. »Wegen dem Musch.«

»Dem Musch?«, fragte Herr Meier-Schönlein.

»Ja. Der ist nämlich tot.«

Atemlose Stille erfüllte den Raum bis in den letzten Winkel.

»Gestern hat er aber noch gelebt«, wandte ein älterer Camper ein, als wäre das ein Grund, weshalb er jetzt nicht tot sein konnte.

»Ja. Und jetzt ist er halt tot«, sagte Evelyn mit entnervter Stimme, obwohl ich mir gut vorstellen konnte, dass sie die Situation sogar genoss.

Der Lärmpegel in der kleinen Rezeption explodierte. Ich sank auf den alten Drehstuhl und nahm den Telefonhörer in die Hand.

Ich wählte die 110.

»Ich habe gerade eben eine Leiche gefunden. Eine tote«, informierte ich die etwas apathische Frau am anderen Ende der Leitung. Nervös verschob ich die Zettelchen unter meiner Hand, und mein Blick fiel auf einen, den Nonna geschrieben hatte. »Evelyn im Auge behalten« stand darauf.

»Leichen sind immer tot«, informierte mich Meier-Schönlein.

»Der Musch. Woran ist der gestorben?«, fragte die Frau direkt neben Meier-Schönlein, die Augen weit aufgerissen.

»Woher sollen wir das wissen? Wir haben jetzt erst mal den Tod festgestellt«, sagte Evelyn, als wäre sie ein Rechtsmediziner. »Den Rest muss jemand anderer übernehmen. Die Polizei. Der Leichenbeschauer. Was weiß ich, wer dafür zuständig ist. Jedenfalls nicht ich.«

»Und, der Name?«, fragte die Frau am anderen Ende so langgezogen, als würde sie nebenbei auch noch Kaugummi kauen.

»Musch«, sagte ich.

»Frau Musch«, wiederholte die Frau. »Sie haben also eine Leiche gefunden.«

»Krieg ich heute auch noch Semmeln?«, fragte ein Alter, der sich vorgedrängelt hatte und so laut schrie, dass ich die Frau am Telefon gar nicht mehr verstand.

»Nein«, korrigierte ich sie, inzwischen sprach auch ich viel zu laut. »Nicht ich heiße Musch, sondern der Tote.«

»Keine Semmeln«, sagte der Alte kopfschüttelnd. »Aber da sind sie doch.«

»Oder?«, wollte ich von Evelyn wissen. »Der heißt doch Musch?«

Was war das überhaupt für ein seltsamer Name?!

»Nein, ich bin der Gröning Alfred«, erklärte der Alte noch immer kopfschüttelnd.

Evelyn nickte mir zu und formte mit den Lippen etwas, das ich als »Musch« identifizierte. Daraufhin begann sie lautstark die Semmeln zu verteilen, garniert mit platten Weisheiten wie »ja, so schnell kann das gehen« und »da sieht man mal wieder, dass jeder Tag dein letzter sein kann.«

Mir schwirrte von der Doppelbeschallung schon der Kopf.

»Das ist doch die Enkelin von der Elli«, schrie Evelyn den Alten an.

»Das hab ich mir schon gedacht«, antwortete dieser kopfschüttelnd. »Die Augen sind genau wie die von der Elli.«

Die anderen nickten beifällig.

»Die Elli hat aber einen schöneren Hintern gehabt«, verriet mir der Alte und deutete mit den Händen an, wie groß der geworden war. Und machte eine Miene, als könnte meiner da unmöglich mithalten.

»Und wo ist die Leiche?«, fragte die Frau am anderen Ende der Leitung, noch immer gelangweilt. Vielleicht bekam sie ja jeden Tag mehrere Anrufe, bei denen Leute Leichen meldeten.

»Campingplatz am See«, antwortete ich und spürte den Drang, den Hörer aufzulegen, aufzustehen und zu gehen.

»Und Sie sind sich sicher, dass er tot ist?«

»Ja«, sagte ich und legte den Hörer einfach auf. Danach fiel mir ein, dass ich vielleicht noch auf weitere Fragen hätte warten sollen.

»Zwei fünfzig«, ergänzte Evelyn und nahm das abgezählte Geld entgegen.

Kapitel 4

Während ich vor dem Stimmengewirr ins Wohnhaus flüchtete, wünschte ich mir, meine Großmutter wäre hier und würde mir sagen, was zu tun sei. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie mir riet, das alles einem Immobilienmakler zu übergeben, aber komischerweise klappte das nicht richtig. Stattdessen sah ich vor mir, wie sie die Hände in die Hüften stemmte, ihre dunklen, ausdrucksvollen Augen zusammenkniff und vor lauter Energie Funken versprühte. Und dann über den Gröning keifte, was für ein unverschämter Kerl der sei! Ihr Hintern sei nicht dick!

Ich seufzte.

Im Wohnhaus hatte sich auch nichts verändert. Die alten Schreinermöbel waren zwar staubbedeckt, und es musste dringend gelüftet werden, aber mit etwas Geputze wäre es schnell eine freundliche, einladende Wohnung. Vorsichtig trat ich ans Fenster und öffnete es. Von hier aus, dem Esszimmer im ersten Stock, konnte man fast den gesamten Campingplatz überblicken: die erste Reihe direkt am See, komplett belegt mit Dauercampern, die zweite Reihe, auch hier noch viele Dauercamper, aber auch einige leere Plätze. Das Wohnmobil von Evelyn stach richtig heraus. Es stand zwar in einem versteckten Winkel, aber es war riesig. Wenn man wollte, konnte man sich auch ein bisschen aus dem Fenster lehnen, dann sah man noch den Kirchturm vom Ort. Mein Blick ging noch mehr in die Weite, und sah dort nur noch Baumgipfel, in unterschiedlichen Grüntönen, in weiter Ferne versanken in bläulichem Dunst die Berge. Das war mindestens so beruhigend wie die Elbe und weckte dieses spezielle Ferien-Gefühl in mir.

Schon wenige Minuten später kamen mit Sirene und Blaulicht in schneller Folge der Rettungsdienst, der Notarzt und ein Streifenwagen. Evelyn war in ihrem Element und erzählte den Neuankömmlingen, was geschehen war. Ich blieb lieber erst einmal oben und beobachtete von hier, was dort unten weiter passierte. In meiner Handtasche dingelte mein Smartphone. Die Nachricht war von meinem Noch-Ehemann und lautete: »Hoffe, du bist gut angekommen und es geht dir gut!« Hatte er vor, so zu tun, als hätte ich ihn nie mit der reizenden Nachbarin erwischt, nackt, in meinem Bett? Auf seine Frage fielen mir nur sehr kräftige Flüche ein, deswegen ließ ich es mit der Antwort lieber bleiben. Evelyn ging gerade wieder ins Haus – ich hörte sie unten in der Rezeption, dann auf der Treppe, und schließlich betrat sie Nonnas Wohnung, beunruhigenderweise mit ihrem Koffer. Dicht auf ihren Fersen folgte Milo, noch immer mit seiner Leine am Halsband.

»So. Ich hoffe, du hast noch ein Plätzchen für mich«, sagte Evelyn. »Welches Zimmer nimmst du?«

Mit den Schultern zuckend ergab ich mich meinem Schicksal. Auch Milo schien davon auszugehen, bei mir ein Plätzchen zu bekommen, er brach neben mir zusammen, als wäre er wie sein Herrchen soeben verstorben.

»Die werden doch hoffentlich nicht meine teuren Sektgläser kaputt machen«, sagte Evelyn mit düsterer Stimme. »Wetten, dass sie die kaputt machen und das rote Kleid einfach hängen lassen?«

Was sollten sie auch mit dem roten Kleid?

»Das wollte ich sowieso wegwerfen«, erklärte sie mir. »Wenn ich es sehe, habe ich ein Gefühl, als hätte ich eine verdorbene Auster gegessen.«

Ich fragte nicht, wieso.

»Die Frau des Bürgermeisters hatte das gleiche rote Kleid. Genau das gleiche. Ich hatte es aus einer Boutique in Regensburg, da kann doch keiner ahnen, dass hier jemand mit exakt diesem Kleid auftaucht und dann noch so tut, als hätte sie es Monate vor mir ...«

Ich schaute Evelyn fassungslos an und atmete tief durch. Anschließend starrten wir eine Weile gemeinsam auf das Chaos von Fahrzeugen auf dem Campingplatz. Die Sanitäter und der Notarzt standen inzwischen mit verschränkten Armen da und unterhielten sich mit einem Polizisten in Uniform. Dann fuhr ein dunkler PKW auf das Gelände und parkte neben dem Streifenwagen. Ein schlanker, jugendlich wirkender Mann stieg aus und ging zielstrebig an der Seite des Streifenpolizisten zum Wohnmobil.

»Das ist bestimmt der Kommissar«, flüsterte Evelyn, als der Mann wieder aus dem Wohnmobil kam. Er trug eine schwarze Jeans und eine Lederjacke, und der morgendliche Wind vom See blies in sein dichtes, dunkles Haar. Fast, als hätte er unsere Blicke bemerkt, hob er den Kopf und sah zum Haus hinüber. Vielleicht hatten ihm die Rettungssanitäter auch einfach verraten, wo er die Besitzerin des Campingplatzes finden konnte.

»Der sieht vielleicht gut aus«, schwärmte Evelyn. »Soll ich dir was sagen? Den würde ich nicht von der Bettkante schubsen.«

Das konnte sie handhaben, wie sie wollte. Ich an ihrer Stelle würde nicht mehr an die Kante ihres Bettes denken.

»Den hab ich hier noch nie gesehen«, flüsterte sie mir verschwörerisch zu.

»Wieso auch«, fragte ich in normaler Lautstärke.

»Naja. So ein gutaussehender Kerl. Wäre mir bestimmt aufgefallen.«

»Aber ...«

»Allein die hohen Wangenknochen. Richtig aristokratisch«, befand sie.

»Aber es hat doch gar keinen Mord gegeben«, wandte ich ein. »Welche Veranlassung besteht für einen Hauptkommissar, hier zu erscheinen?« Ich hätte mich am liebsten dafür geohrfeigt, dass ich auf Evelyns verquere Aussagen überhaupt einging.

»Bestimmt war es kein Mord«, sagte sie. »Ich weiß gar nicht, wieso die Polizei überhaupt da ist.«

»Weil wir sie gerufen haben«, erinnerte ich sie.

»Und wieso haben wir sie nochmal gerufen?«

Eine lange Weile hielt ich die Luft an und zählte im Stillen bis zehn.

»Weil du nachdrücklich erklärt hast, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, dass Musch bei dir im Wohnmobil liegt.« Mir fiel plötzlich auf, dass ich sie duzte. Das wollte ich eigentlich nicht, aber das war jetzt einfach passiert. Evelyn kniff die Lippen zusammen.

»Du meinst, ich hätte sagen müssen, Musch übernachtet regelmäßig bei mir, und dann wäre überhaupt keine Polizei gekommen?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Aber du hast gesagt, dass aus unerfindlichen Gründen der Musch tot und nackt bei dir liegt – und dass ich die Polizei rufen soll. Natürlich wird dann ermittelt.«

»Mist.«

»Wie bitte?«

»Naja, so unerklärlich ist es auch wieder nicht«, relativierte sie sämtliche ihrer früheren Aussagen. »Es hat mich zwar irritiert, dass er tot ist, aber dass er da war ...« Sie unterbrach sich selbst. »Andererseits ist es dann verwunderlich, dass seine Kleidung weg ist.«

»Muschs Kleidung?«

»Ja. Die hatte er einfach auf den Boden geworfen«, empörte sie sich. »Und jetzt ist sie weg.«

Mich überlief ein eiskalter Schauder. Während ich zusah, wie der Kommissar Richtung Rezeption ging, sagte Evelyn: »Ich denke, ich kümmere mich mal um den Kommissar, Schätzchen. Ich meine, so hysterisch wie du bist.«

Diese Frau machte mich in einem Maße fassungslos, wie ich es selten erlebt hatte.

»Wenn du willst, kannst du von mir ein paar Beruhigungsmittelchen bekommen, das würde dich vielleicht entspannen.«

»Kein Bedarf«, sagte ich schnell, als sie ihre Reisetasche öffnete. Aber sie zog nur ein Paar ziemlich auffällige pinke Pumps heraus, die aussahen, als könnte man damit keinen Meter gehen.

»Schade. Das dazu passende Kleid habe ich leider im Wohnmobil gelassen.«

Sie stemmte eine Hand in die Hüfte und schien tatsächlich zu überlegen, wie sie an das Kleid kommen konnte. Ich traute ihr mittlerweile alles zu!

Kurz darauf hörte ich das Klackern ihrer Pumps hinunter zur Rezeption und drehte mich zum Fenster, um es zu schließen. Mit der Hand am Fenstergriff beobachtete ich, wie der Kommissar auf die Tür der Rezeption zuging, sie aber nicht erreichte, weil ihm das Ehepaar Meier-Schönlein den Weg abschnitt. Ich bedauerte den armen Kerl, dass er als allererstes mit so einem Klugscheißer zusammentraf. Aber was er dem Kommissar zu sagen hatte, interessierte mich jetzt doch.

»Herr Kommissar«, sagte Frau Meier-Schönlein mit weit aufgerissenen Augen und begann wild, seine Hand zu schütteln. Zumindest vermutete ich, dass es Frau Meier-Schönlein war, denn sie hing am Arm von Herrn Meier-Schönlein. Sie hatte sich in der letzten halben Stunde ziemlich in Schale geworfen. Ihre schwarz gefärbten Haare waren auftoupiert, als wäre sie auf dem Weg in die Oper. Und selbst vom ersten Stock aus konnte ich erkennen, dass sie dick Make-up aufgetragen hatte.

»Ich bin vollkommen am Boden zerstört! Sie werden doch bald den Mörder gefasst haben?«, stieß sie hervor, und ich beschloss, noch ein Weilchen mit dem Schließen des Fensters zu warten. Ihre Stimme klang so, als würde sie normalerweise Dialekt sprechen und sich gerade ganz viel Mühe geben, Hochdeutsch zu verwenden.

»Ich meine, man fühlt sich ja überhaupt nicht mehr sicher, solange der Mörder nicht hinter Schloss und Riegel ist!«

»Wir wissen nicht, ob es ein Mord war«, gab der Kommissar zu bedenken.

Das würde ich doch auch mal sagen. Männer in dem Alter starben manchmal einfach so.

»Kein Mord«, echote Frau Meier-Schönlein und sah hilflos von ihrem Mann zum Kommissar. Diese Möglichkeit hatte anscheinend noch niemand in Betracht gezogen.

»Ja. Es kann auch ein natürlicher Tod gewesen sein.«

Der Kommissar entwand ihr seine Hand auf eine Art, die verriet, dass er im Hände-Entwinden große Übung hatte, und versuchte sich zur Tür durchzuschlängeln.

»Natürlicher Tod«, wiederholte sie erneut und trat ihm in den Weg, sodass ihm die Flucht misslang. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Das kann ich mir nicht so richtig vorstellen. Denn wieso sollte er zum Sterben in Evelyns Wohnwagen gehen?«

»Nun, er ist vielleicht nicht explizit zum Sterben ins Wohnmobil gegangen«, schlug der Kommissar mit freundlicher Stimme vor. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen.«

Und Schwups, war er in der Rezeption verschwunden. Meier-Schönlein packte seine Frau an der Hand und zog sie mit sich mit. Was er ihr zuzischte, konnte ich nicht verstehen, aber sie antwortete darauf empört, jetzt im Dialekt: »Wennst alle Bind meinst, dass dich einer umbringt.«

»Wer sollte denn dich ermorden?«, wunderte er sich mit lauter Stimme.

»Und wer sollte den Musch ermorden?«, fragte die Meier-Schönlein pikiert.

»Das ist nicht unser Problem«, erklärte er ihr.

»Wennst dein Lebtag nur noch Angst hast, dann ist des mein Problem!«, keifte sie ihn an. »Und solang’st ned weißt, ob’s ein natürlicher Mord war, da kannst di ja glei eingraben!«

Hatte sie allen Ernstes »natürlicher Mord« gesagt?

Ich sah plötzlich mein weiteres Leben vor mir.

Mit einer Frau Meier-Schönlein, die nur Quatsch redete, und einem Herrn Meier-Schönlein, der der totale Klugscheißer war. Den Campingplatz zu verkaufen war wirklich das Vernünftigste, das ich machen konnte. Ich beeilte mich, so schnell wie es barfuß ging, Evelyn nach unten zu folgen. Hinter mir hörte ich die Pfoten von Milo und seine schleifende Leine auf der Treppe.

Kapitel 5

Als ich in die Rezeption kam, fiel Evelyn dem Kommissar mit den Worten »Gut, dass Sie da sind!« gerade fast um den Hals. Ihre Stimme klang plötzlich eine ganze Oktave höher, und wenn ich mich nicht irrte, zog sie den Bauch ein. »Sie können sich nicht vorstellen, was wir heute Morgen alles mitgemacht haben!«

Der arme Kommissar schien Zielscheibe für sämtliche Frauen über fünfzig zu sein.

»Jonas Schneider, Hauptkommissar«, stellte er sich vor und schien Evelyns Avancen nicht einmal zu bemerken. »Von der Polizeiinspektion Regensburg.« Dabei sah er von mir zu Evelyn, als könnte er sich nicht entscheiden, mit wem er Kontakt aufnehmen sollte.

»Evelyn Kaminski«, rief Evelyn aus und klammerte sich an die Hand des Kommissars, als hätte er sie gerade persönlich vor dem Tod gerettet.

»Wer ist ... für den Campingplatz zuständig?«, wollte der Kommissar wissen, während er erneut geschickt seine Hände in Sicherheit brachte und einen Schritt zurücktrat.

»Ich.« Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. Jetzt kamen bestimmt lauter Fragen, die ich nicht beantworten konnte.

Sein Blick schweifte über mein Gesicht zu meiner Bluse bis zu meinen nackten Füßen. Das erinnerte mich daran, dass ich in meinen Kleidern geschlafen hatte, meine linke Wange vermutlich immer noch den Abdruck eines Aktenordners aufwies und die Bluse nicht mehr als ein einziges Faltenmeer sein konnte. Ansonsten sah ich immerhin nicht schlecht aus: eine seltsame Mischung aller italienischen Vorfahren meiner Großmutter, die gebräunte Haut, die großen dunklen Augen und die vollen Lippen, von meinem norddeutschen Vater das blonde Haar. Vorsichtig trat ich hinter den Tresen der Rezeption, um ein bisschen Abstand zwischen uns zu bringen.

»Und Ihr Name?«

»Sofia Ziegler«, sagte ich.

»Sie haben die Leiche gefunden?«

»Naja«, sagte ich. »Eigentlich nicht. Die erste, die ihn gesehen hat, war Evelyn.«

»Aber da wusste ich doch überhaupt noch nicht, dass er eine Leiche ist«, tadelte Evelyn und warf mir einen ziemlich strengen Blick zu. »Da dachte ich, der Musch hat sich in der Tür geirrt und ist in meinem Bett eingeschlafen.«

»Nachdem sie den Musch gefunden hat, hat sie mich geholt ...«, unterbrach ich den Schwachsinn. »Und wir sind gemeinsam ...« Diese Tatsache musste ich jetzt schon einmal betonen.

»Nein«, widersprach Evelyn energisch. »Sofia ist alleine hineingegangen und hat versucht, den Musch aus dem Bett zu werfen.«

Jetzt war ich es, die Evelyn einen drohenden Blick zuwarf. »Ich habe ihn aufgefordert, das Wohnmobil zu verlassen. Und zwar auf Wunsch der Camperin Evelyn Kaminski hin. Dieser Aufforderung hat er aus bekannten Gründen nicht Folge geleistet.«

Mannomann, was schwafelte ich denn für Irrsinns hochgestochenes Zeug! Etwas verlegen senkte ich den Blick auf den Tresen, und ein kleiner, handgeschriebener Zettel stach mir schon wieder ins Auge: »Evelyn im Auge behalten«.

»Na gut«, seufzte Herr Schneider, den unsere Ausführungen anscheinend doch ein klein wenig verzweifeln ließen. »Bis jetzt haben wir noch keine Anzeichen für einen Mord ...«

»Bis auf die fehlende Kleidung!«, warf ich ein, und Evelyn kniff wütend die Augen zusammen.

Jonas Schneider sah mich intensiv an. »Wessen Kleidung?«

»Des Toten«, ignorierte ich Evelyns Blick.

Er fischte sein Handy aus der Jackentasche und ging nach draußen. Wahrscheinlich forderte er Verstärkung an. Mit einem Dingeln fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.

»Was für ein Kerl«, schwärmte Evelyn, während sie begann, die Kaffeemaschine zu befüllen. »Von dem würde ich mich gerne verhaften lassen.«

Scharf sah ich sie von der Seite an. »Besteht dazu eine Veranlassung?«

»Nein. Aber allein der Gedanke, mit ihm im Polizeiwagen. Und dann mit Sirene und Blaulicht durchs Dorf.«

Ich fixierte den Zettel vor mir. »Evelyn im Auge behalten«. Es war eindeutig Nonnas Handschrift. Was Nonna konkret gemeint hatte, konnte ich mir noch nicht zusammenreimen. Der tote Musch und die Spritzen in Evelyns Kühlschrank ließen jedoch nichts Gutes ahnen.

»Das macht mich eben an«, sagte Evelyn und zuckte mit den Schultern. »Das ist nichts, weswegen ich mich schämen müsste.«

Ich verdrehte die Augen.

»Wenn du das machst, siehst du aus wie Elli.«

Eleanore. Meine Nonna. Vermutlich war sie im Beisein von Evelyn vor lauter Augenrollen zu nichts anderem mehr gekommen.

Im selben Moment kam der Kommissar wieder in die Rezeption und lächelte mich unverbindlich an. »Wir brauchen eine Liste der anwesenden Camper.«

»Ja«, sagte ich schnell. Dann fiel mir ein, dass ich nicht wusste, ob ich überhaupt eine Liste hatte.

»Habe ich eine Liste?«, fragte ich Evelyn, die noch immer reichlich lasziv hinter mir im Türrahmen lehnte und den Kommissar mit einem Schlafzimmerblick bedachte.

»Natürlich«, zwitscherte sie freundlich.

Herr Schneider sah unschlüssig zwischen Evelyn und mir hin und her. »Wer ist denn jetzt für den Platz zuständig?«

»Ich bin erst seit gestern da«, erklärte ich. »Ich habe den Campingplatz geerbt.« Der Kommissar hatte etwas an sich, das mich dazu brachte, ihm alles erzählen zu wollen. Vielleicht hatte er das jahrelang trainiert, und jeder erzählte ihm alles. Vielleicht hatte ich auch nur eine Leiche zuviel gefunden und brauchte jetzt dringend jemanden, bei dem ich mich ausheulen konnte. Quasi ein Therapiegespräch. Denn ich hatte plötzlich den unglaublichen Drang, ihm auch noch von Martin zu erzählen, und von der jungen, hübschen Nachbarin, die ich bei ihm im Bett gefunden hatte, und welche Farbe ihr String hatte, den sie aus meinem Wohnzimmersessel gezogen und einfach in ihrer Handtasche hatte verschwinden lassen. Nämlich pink.

Außerdem hätte ich ihm noch gerne von meiner Nonna erzählt, die mir leider nicht detailgetreu aufgeschrieben hatte, wie ich nach dem Tod mit ihrem Erbe umgehen sollte. Ob sie oben im Himmel richtig sauer sein würde, wenn ich den Platz einfach verkaufte, ohne wenigstens versucht zu haben, ihn zu leiten.

»Ok«, sagte er, und das klang ziemlich aufmunternd. Evelyn schob mich vom Computer weg.

Während der Drucker die Liste der Camper ausdruckte – das dauerte –, sah ich zum Fenster hinaus. Gerade fuhren der Notarzt und der Rettungsdienst langsam vom Campingplatz.

»Wir sind zwanzig Dauercamper«, sagte Evelyn und schaltete die Kaffeemaschine ein. »Aber diese Woche waren wir nur zu sechst, das Wetter, Sie wissen schon, manche sind da ein bisschen empfindlich. Zum Beispiel die Mayers, die sind beide neunzig, und die sagen, dass sie immer Rheuma bekommen, wenn sie bei den niedrigen Temperaturen im Wohnwagen schlafen.«

Das interessierte den Kommissar bestimmt brennend.

Neben mir markierte Evelyn in der Liste die Anwesenden mit gelbem Marker.

Karl Muschinski, Platz 1

Korbinian Schmidkunz, Platz 3

Franz Gröning, Platz 5

Friedhard Kraus, Platz 9

Gottfried Meier-Schönlein, Platz 23.

Evelyn Kaminski, Platz 72.

»Das sind die Dauercamper«, erklärte sie ihm. »Die Gäste, die nur für ein paar Tage da sind, da muss ich Ihnen die Ausweise raussuchen...«

Draußen hörte ich noch ein Auto wegfahren. Den Leichenwagen.

Kapitel 6

Der Vormittag verging wie im Flug. Ich war hauptsächlich damit beschäftigt, im Haus umherzugehen, Sachen in die Hand zu nehmen und wieder wegzustellen und mich möglichst nicht auf dem Campingplatz blicken zu lassen. Dabei fiel mir auf, dass Nonna mehr Patchworkkissen und -decken besaß, als ich jemals gesehen hatte. Hin und wieder stellte ich mich ans Fenster und sah hinunter auf den Campingplatz. Es hatten sich zwei Gruppen gebildet: Die Dauercamper, die wirkten, als wollten sie auf Biegen und Brechen zusammenhalten. Und die anderen Gäste, die aussahen, als würden sie sich allesamt vor den Dauercampern gruseln. Es waren noch nicht viele andere Gäste da, nur vier Paare und ein Mann, alle mit Wohnmobilen unterwegs. Wenn ihnen der Kommissar nicht schon längst verboten hätte, im Moment abzureisen, würde ich nur noch die Rückleuchten sehen, da war ich mir sicher!

Am frühen Nachmittag wagte ich mich ins Freie, lief aber fast Frau Meier-Schönlein in die Arme, weswegen ich mich ins Toilettenhäuschen rettete. Es sah innen wie außen tatsächlich so aus wie früher, inklusive der grässlichen Fliesen.

»So einen Tod wünsche ich mir auch«, sagte gerade ein Mann drüben in der unmittelbar angrenzenden Männer-Toilette. Schmidkunz? Er war sehr gut zu verstehen, weil die Wände nämlich nicht bis zur Decke durchgezogen waren.

»Was?«, fragte der alte Gröning. Den erkannte ich schon an der Stimme.

»In den Armen einer nackten Frau zu sterben«, sagte ein dritter Mann.

»Wieso? Wie ist es denn passiert, Friedhard?«, fragte der Gröning.

»Das kannst du dir doch vorstellen.«

Es trat eine Gesprächspause ein, in der sich der Gröning anscheinend versuchte vorzustellen, was sich die andern beiden gerade dachten.

»Ich sag nur: Nackt. Bei der Evelyn im Wohnmobil«, erklärte der Schmidkunz. Schmidkunz und Friedhard, der es auch kapiert hatte, lachten. Meines Erachtens ziemlich dreckig.

»Das könnt ihr doch gar nicht wissen«, wandte der Gröning ein.

»Doch. Ich kenn den Ferdinand, den Leichenwagenfahrer. Und der hat mir erzählt, dass sie ihn nackt rausgeholt haben.«

»Der darf euch das nicht sagen«, sagte der Gröning.

»Und der erzählt keinen Unsinn, der erzählt nie einen Witz. Nicht einmal, wenn er seine Uniform auszieht«, beharrte Friedhard und lachte erneut.

»Die hat den einfach liegengelassen.«

»Nachdem sie mit ihm fertig war.« Wieder lachten die beiden äußerst anzüglich.

»Wahrscheinlich ist er erst abgegangen wie eine Rakete, und dann ...«

Sie schienen das Gespräch visuell fortzusetzen, denn der Mann sagte nicht, was danach hätte sein können, aber das zustimmende Gebrummel machte klar, dass er etwas gestikuliert hatte.

»Dann hat die Pumpe nicht mehr mitgemacht ...«

»Kein Wunder, der Musch war nicht mehr der fitteste. Letzten Sommer ist er gar nicht mehr geschwommen.«

»Und kannst dir ja denken, was er machen musste, dass das noch geklappt hat.«

»Was?«

»Naja, der hat doch bestimmt was genommen, dass das mit der Evelyn überhaupt funktioniert hat.«

Wieder lachten die beiden Männer.

»Was genommen?«, fragte der Gröning verständnislos.

»Viagra.«

Irgendwie interessierte es mich gerade enorm, wer sich da drüben unterhielt. Ich drehte vorsichtig den Putzeimer um und stellte mich darauf.

Der Schmidkunz. Einer mit einem wilden Bart, der ein bisschen verwahrlost aussah, das war der Friedhard, und der nichts-kapierende Gröning.

»Das hat der doch regelmäßig gemacht.«

»Viagra eingeworfen?«

»Das weiß ich nicht«, gab Schmidkunz zu. »Aber bei der Evelyn habe ich ihn öfter gesehen.«

»Stimmt«, bestätigte der Bärtige.

»Hätte ich auch mal, aber momentan kann ich es mir nicht leisten.«

Mit Evelyn? Was konnte er sich da nicht leisten?

»Aber die kann den doch nicht einfach liegen lassen«, empörte sich Gröning in Überlautstärke. »Ich meine, wenn der schlapp macht, nach dem Sex, dann muss sie doch wenigstens den Krankenwagen rufen.«

»Naja, vielleicht hat sie gesagt, bleib nur noch liegen, ich geh schon mal zur Erna feiern.«

»Und der Musch ist bei ihr im Bett geblieben? Und gestorben?«, vergewisserte sich Gröning.

»Was weiß ich«, sagte Schmidkunz. »Dabei war ich Gott sei Dank nicht.«

»Sofia?«, hörte ich Evelyn von Ferne rufen. »Der Kommissar möchte dich sprechen.«

Der Kommissar wollte wissen, wo er die Camper befragen konnte. Da ich von nichts eine Ahnung hatte, entschied Evelyn, dass der kleine Campingladen ein geeigneter Ort sei. Geschäftig zog sie einen Klapptisch in die Mitte des Raums und schob zwei Stühle hin. Ich blieb ratlos an der Tür zu dem kleinen Laden stehen, in dem meine Großmutter von Tütensuppen über Kekse und Zahnbürsten bis hin zu Wein und Bier alles verkauft hatte, was man als Camper gerne zu Hause vergaß. Er befand sich direkt neben der Rezeption, sodass meine Großmutter gleichzeitig Rezeption und Laden hatte betreuen können.

Mein Herz schlug mir im Hals, als ich als Erste gegenüber vom Kommissar Platz nahm. Das war natürlich völlig unangebracht, schließlich war ich nicht des Mordes verdächtig. Doch die späte Einsicht, dass Musch tatsächlich ermordet worden oder wahlweise von Evelyn sterbend nach dem Sex zurückgelassen sein konnte, machte mich fix und fertig.