Der Traum von Rapa Nui - Carla Federico - E-Book
SONDERANGEBOT

Der Traum von Rapa Nui E-Book

Carla Federico

0,0
6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Chile im 19. Jahrhundert: Katharina ist 26 Jahre alt – und hat Angst, keinen Mann mehr zu finden. Da kommt ihr eine Anzeige in der Zeitung gerade recht, in der ein verwitweter Schafzüchter von den Osterinseln eine Frau und Mutter für seine Kinder sucht. Voller Hoffnung bricht Katharina auf. Doch ihre Sehnsüchte scheinen sich zunächst nicht zu erfüllen, denn das Leben auf den Osterinseln ist hart, und ihr Mann ist wortkarg und hält nicht viel von zur Schau getragenen Gefühlen. Doch Katharina ist entschlossen, durchzuhalten und sich nicht den Unbilden des Klimas und der Rauheit der Menschen geschlagen zu geben. Da begegnet sie dem Missionar Aaron, der sie vom ersten Augenblick an fasziniert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 788

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Carla Federico

Der Traum von Rapa Nui

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Träumen Sie sich auf die Osterinsel!

Chile im 19. Jahrhundert. Katharina ist 26 Jahre alt – und hat Angst, keinen Mann mehr zu finden. Da kommt ihr eine Anzeige in der Zeitung gerade recht, in der ein verwitweter Schafszüchter von der Osterinsel eine Frau und Mutter für seine Kinder sucht. Voller Hoffnung bricht Katharina auf. Doch ihre Sehnsüchte scheinen sich zunächst nicht zu erfüllen, denn das Leben auf der Osterinsel ist hart, und ihr Mann ist wortkarg und hält nicht viel von zur Schau getragenen Gefühlen.

Inhaltsübersicht

MottoPrologErstes Buch1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. KapitelZweites Buch9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. KapitelDrittes Buch17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. KapitelViertes Buch23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. KapitelAnhangPersonenverzeichnisHistorische Anmerkung
[home]

Antes que Hotu Matúa aquí se

estableció el viento.

Esta isla era, en verdad, el corazón

del viento. El verdadero ombligo

del mundo.

 

Vor Hotu Matua hatte hier

der Wind sich eingerichtet.

Diese Insel war in Wahrheit das Herz

des Windes, der wahre Nabel

der Welt.

 

PABLO NERUDA

[home]

Prolog

Hanga Roa 1893

Als Katharina das Boot bestieg, das sie zum wartenden Schiff brachte, drehte sie sich ein letztes Mal um. Ihr Blick schweifte über die Insel, als würde sie sie zum ersten Mal sehen, obwohl sie so viele Jahre ihres Lebens hier verbracht, gelitten und gelacht, geliebt und gehasst hatte, vor Furcht vergangen war und voller Hoffnung an das Morgen geglaubt hatte. Ja, sie hatte viele Gesichter des Lebens kennengelernt, und in all der Zeit, da ihr manche zur Herausforderung gereichten, andere zur Freude, war die Insel für sie mehr gewesen als der einsame, karge Ort, an dem zu leben so vielen Weißen wie eine Verbannung erschien.

Ich war hier zu Hause, dachte sie. Rapa Nui ist für mich nicht das entlegenste Eiland der Welt, sondern meine Heimat …

Jahrhunderte waren vergangen, ehe die Terra incognita entdeckt worden war, viel weniger Zeit hatte es gedauert, sie und ihre Bewohner auszubeuten. Die Insel protzte weder mit Reichtum noch mit Schönheit, zumindest nicht auf den ersten Blick, denn der fiel nicht auf prächtige Blumen oder sattgrüne Bäume, sondern auf karge Büsche, die in der gleißenden Sonne fast gräulich wirkten. Die meisten waren niedrig, kaum einer größer als ein Mensch, und das Gras wuchs auf den vielen Hügeln trocken und hart. Oft klaffte die Erde hervor, mal rötlich, mal schwarz, ähnlich wie die Farbe der steilen Klippen sich wandelte, je nachdem, von welcher Seite das Licht darauf fiel. Dutzende von Kratern durchzogen die Landschaft wie Narben.

Und dennoch: So eintönig das Land anmutete und so vermeintlich farblos – die stete Meeresbrise, die geheimnisvollen Statuen und die Stille, die nur dann und wann vom Blöken eines Schafs unterbrochen wurde, waren zugleich verheißungsvoll. Wo, wenn nicht an einem Ort, der derart mit Reizen geizte und den Menschen auf sich selbst zurückwarf, fand man die Kraft, jeden Tag neu zu beginnen, das Leben anzupacken und die Hoffnung zu bewahren, dass man an Prüfungen wächst, anstatt daran zugrunde zu gehen?

Zumindest war Katharina mit dieser Hoffnung einst hierhergekommen. Und als sie jetzt die Insel vielleicht zum letzten Mal betrachtete, fragte sie sich, ob diese Hoffnung wirklich enttäuscht worden war, wie sie oft geglaubt hatte, oder ob sie lediglich zu früh resigniert hatte, ob nicht immer noch dieses leise Versprechen in der Luft lag: Bleib hier, dann kannst du glücklich werden, trotz allem, was hinter dir liegt …

Katharina zögerte, als sie das Boot bestieg, und erst recht, als dieses nach einer schaukelnden Fahrt das Schiff erreichte.

»Kommst du?«, rief einer der Matrosen. Er deutete auf die Strickleiter, auf der sie hochklettern sollte, doch sie blieb starr sitzen.

Jack begann zu quengeln und sich in ihren Armen zu winden, Tim und Romy sahen sie abwartend an.

Katharina wusste, sie sollte sich endlich einen Ruck geben, sich abwenden, jenen letzten Blick auf die Insel im Herzen bewahren, aber endgültig Abschied nehmen – nicht nur von der Heimat, auch von dem Traum, der sie hierhergeführt hatte.

Doch sie brachte es einfach nicht fertig. Jener Traum hatte sich manchmal als Alb erwiesen, von dem sie unbedingt erwachen wollte, doch jetzt konnte sie nur denken: Ich will weiterträumen … von einem schönen, neuen, starken Rapa Nui.

[home]

Erstes Buch

Te pito o te henua – Der Nabel der Welt

1886–1887

1. Kapitel

Katharina liebte es, in Valdivia zu sein, und zugleich hasste sie es. Das Leben hier war viel abwechslungsreicher als in ihrer kleinen Siedlung am Llanquihue-See: Aus den Bäckereien duftete es köstlich nach frischem Brot und Kuchen, aus den großen, stabilen Häusern tönte Klaviermusik; die Frauen waren elegant gekleidet, trugen Sonnenschirme, manchmal sogar Handschuhe. Doch das, was Katharina so inständig bewunderte, war zugleich stete Quelle des Haders: Die Frauen waren so viel hübscher als sie! Und das nicht etwa, weil sie feinere Züge und wohlgeformtere Körper hatten, sondern weil sie sich weiße Blusen, spitzenbesetzte Jäckchen und seidene, raschelnde Röcke leisten konnten. Kein Wunder! Die meisten von ihnen waren mit Fabrikbesitzern verheiratet, und die verdienten viel Geld – zumindest mehr als die Bauern vom Llanquihue-See. Auf diese blickten jene eleganten Damen ebenso verächtlich herab wie auf Katharina, und diese konnte es ihnen nicht einmal verdenken: Sie schämte sich ja selbst dafür, dass ihr Kleid voller Flicken war, der Strohhut hässlich und ihre Haare von der Sonne ausgebleicht, ganz zu schweigen von den rissigen Händen, denen man die harte Arbeit auf dem Feld oder im Kuhstall nur zu deutlich ansah und die sie, so verzweifelt sie sie auch wusch, nie ganz vom Dreck befreien konnte. Unter den Fingernägeln waren immer dunkle Ränder zu sehen, auch wenn sie sie noch so oft bürstete.

»Und jetzt?«, fragte eine Stimme dicht an ihrem Ohr. »Kriegen wir Kuchen?«

Sofort fielen die anderen Kinder in das Geschrei ein. »Au ja! Kuchen! Wir wollen Kuchen haben!«

Seufzend blickte Katharina auf die Schar. Insgesamt fünf Kinder standen wie Orgelpfeifen vor ihr: Der Jüngste, Taddäus, war erst drei, die Älteste, Elisabeth, schon sieben; alle waren sie Neffen und Nichten von ihr – und alle standen sie unter ihrer Aufsicht.

»Ich habe so viel zu erledigen!«, hatte Frida, ihre ältere Schwester, vorhin erklärt. »Da brauche ich deine Hilfe. Achte auf die Kinder!«

Pah! Von wegen viel zu erledigen! In Wahrheit ließ Frida sich bloß das neue Kleid anpassen, das Katharina sich selbst doch so sehr gewünscht hatte. Eigentlich konnte sich Frida so ein Kleid gar nicht leisten, zumal ihr Mann Jacobo als der faulste Bauer der ganzen Siedlung galt, aber irgendwie hatte sie ihm so lange in den Ohren gelegen, bis er schließlich bereitwillig genickt hatte – sehr zum Missfallen seiner Mutter Christl.

Eigentlich ist es kein Wunder, dass Frida ein neues Kleid braucht, dachte Katharina boshaft.

Mit den Jahren war sie immer dicker geworden, und seitdem sie letzten Frühling Zwillinge geboren hatte, platzten alle ihre Kleider aus den Nähten. Wenigstens musste Katharina nicht auf die beiden Jüngsten aufpassen, weil diese in der Siedlung geblieben waren.

»Also, kriegen wir Kuchen?«

Katharina wollte schon wütend entgegnen, dass sie kein Geld für Kuchen habe, aber dann dachte sie trotzig, dass Frida diesen ruhig bezahlen konnte, wenn sie sich schon ein neues Kleid leistete. So oft, wie sie die Kinderschar hütete, hatte sie sich eine Belohnung verdient!

Wenig später betraten sie eine Bäckerei, die von deutschen Einwanderern gegründet worden war. Obwohl diese ihre einstige Heimat schon seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatten, wurde hier – wie überall im mittelchilenischen Seengebiet – immer noch Deutsch statt Spanisch gesprochen, das Haar zu Zöpfen geflochten, wie es im Schwarzwald üblich war, und das Brot saftig und dunkel gebacken wie dort. Zu den Deutschen, die sich in Chile niedergelassen hatten, hatten auch Katharinas Großeltern gehört, doch dass diese immer wieder darauf herumritten, um wie viel einfacher das Leben mittlerweile sei und um wie viel reicher die Ernten verglichen mit denen der Anfangszeit ausfielen, war Katharina kein Trost.

Reiche Ernten, pah! Ich werde mit jedem Tag älter, finde keinen Mann und muss immer nur arbeiten, dachte sie missmutig.

Alle jungen Männer der Siedlung – und das waren so wenige, dass man sie an einer Hand abzählen konnte – hatten bereits geheiratet, nur leider nicht sie.

»Isst du deinen Kuchen denn gar nicht?«, fragte die kleine Elisabeth.

Katharina blickte auf ihren Teller. Er war aus Porzellan, mit kleinen Rosen verziert und stammte gewiss aus Deutschland. Das Stück Marmorkuchen darauf war sehr trocken, und obwohl sie eben noch so große Lust auf Kuchen gehabt hatte, wusste sie plötzlich, dass sie keinen Bissen davon herunterbringen würde.

»Du kannst ihn gerne haben, wenn du dafür auf die Kleinen aufpasst!«, sagte Katharina.

Elisabeth lächelte begeistert, während die anderen damit beschäftigt waren, überall Krümel zu verstreuen oder sich mit den Gabeln gegenseitig zu erstechen. Katharina wusste, dass sie eingreifen sollte, konnte sich jedoch nicht dazu überwinden, sondern floh in den hinteren Teil der Backstube, wo etwas mehr Ruhe herrschte.

Bei ihrem letzten Besuch in Valdivia hatte sie hier ein paar Zeitungen gefunden, die in ihrer Siedlung am See Mangelware waren. Einer ihrer Onkel lebte zwar in Valparaíso, einer Hafenstadt im Norden des Landes, arbeitete dort als Journalist und schickte hin und wieder Zeitungen, aber dort wurde nur von den Ereignissen in Valparaíso oder Santiago informiert. Hier hingegen fand sie eine Wochenzeitung von Valdivia. Neugierig schlug Katharina sie auf und überflog einen Artikel über zwei konkurrierende Bierbrauereien. Außerdem wurde über die steigende Anzahl von Diebstählen geklagt, die wie so oft den Ureinwohnern Chiles, den Mapuche, angelastet wurden, und über eine geplante Bahnstrecke berichtet, die von Santiago in den Süden des Landes führen sollte.

»Können Sie darauf achten, dass die Kinder etwas leiser sind?«, mahnte der Bäcker ungeduldig.

Katharina hob kaum den Blick. »Kinder! Seid still! Ich bin gleich wieder bei euch. Warum könnt ihr in der Zwischenzeit denn nicht draußen spielen?«

Sie achtete nicht darauf, ob sie ihrem Befehl folgten, aber dass keine neuerliche Beschwerde folgte, wertete sie als gutes Zeichen. Und im nächsten Augenblick wurde sie ohnehin völlig blind und taub für ihre Umgebung.

Ihr Blick war bei den Anzeigen hängen geblieben: Da wurden Saatgut, Baumaterial und Tiere angeboten, des Weiteren Grammophonnadeln, Nähkissen und ein Segel für Boote, und dann plötzlich stand da in fehlerhaftem Spanisch: Suche eine Ehefrau!

Katharina musste trotz ihrer schlechten Laune grinsen. Das konnte nur ein Irrtum sein! Wahrscheinlich stammte die Anzeige von einem Deutschen, der kein Spanisch beherrschte und versehentlich das falsche Wort verwendet hatte. Aber dann las sie weiter und erfuhr, dass der Mann, der die Anzeige aufgegeben hatte, seit Kurzem verwitwet war, zwei kleine Kinder hatte und dringend Hilfe im Haushalt benötigte. Ob er kalt berechnend war und, ganz Geschäftsmann, nach einer brauchbaren Frau suchte wie andere nach einem Zuchtbullen, oder ihn schlichtweg die Verzweiflung dazu trieb, konnte sie aus den wenigen Worten nicht herauslesen.

»Kann ich auf deinem Schoß sitzen?«

Katharina zuckte zusammen, als sich eine kleine Gestalt an sie schmiegte und klebrige Finger ihr Kleid beschmutzten. Es war der kleine Taddäus, der ihre Nähe suchte und der Katharina von allen am liebsten war, weil er ein sanftes, liebevolles Kind war, und für gewöhnlich mochte sie es, wenn er auf ihren Schoß geklettert kam und ihre Wangen küsste. Jetzt hatte sie jedoch keinen Kopf dafür.

»Geh zu den anderen raus!«, befahl sie.

»Du musst aber mitkommen!«

»Nicht jetzt!«

Sie bedauerte sofort die Schärfe, die in ihrer Stimme lag, war jedoch zugleich erleichtert, dass sie ihre Wirkung tat. Taddäus trollte sich tatsächlich nach draußen, und sie konnte sich wieder in die Annonce vertiefen. Der Witwer, so erfuhr sie nun, lebte nicht etwa hier in Valdivia oder am Llanquihue-See, sondern auf der Isla de Pascua, wo er seit geraumer Zeit als Schafzüchter arbeitete.

»Isla de Pascua …«, murmelte Katharina.

Vage erinnerte sie sich daran, diesen Namen schon einmal gehört zu haben, man ihn mit »Osterinsel« übersetzte und dass die Insel weit entfernt vom Festland mitten im Ozean lag. Sie hatte allerdings keine Ahnung, wie es dort aussah. Ob es große Berge, gar Vulkane wie hier gab? Oder ob das Land flach war wie die patagonische Steppe im Süden des Landes? Große Seen waren wohl auf einer kleinen Insel nicht zu erwarten.

Wieder starrte sie auf die Annonce und stellte fest, dass sie vom Februar 1886 stammte, also schon über neun Monate alt war. Die Zeitung hingegen trug das heutige Datum, was bedeutete, dass seine Anzeige entweder irgendwo liegen geblieben war oder fast ein Jahr gebraucht hatte, um von der Insel aufs Festland zu gelangen.

Ob er in der Zwischenzeit schon eine Frau gefunden hatte? Und wie hieß er überhaupt?

Erst jetzt entdeckte sie den Namen, der ganz klein darunter stand: Barnabas Wilkinson.

Das klang nicht spanisch – was angesichts des fehlerhaften Gebrauchs der Sprache nicht verwunderlich war –, aber auch nicht unbedingt deutsch.

»Tante Katharina!«

»Was ist denn jetzt schon wieder?«

Sie blickte stirnrunzelnd hoch, aber der Ärger über die erneute Störung wich rasch dem Schrecken, als plötzlich Elisabeth zu ihr trat und besorgt fragte: »Ist Taddäus nicht hier?«

»Ich dachte, er ist zu euch nach draußen gegangen!«

»Nein, er wollte unbedingt zu dir!«

»Mein Gott, ich habe dir doch gesagt, du sollst ein Auge auf die Kinder haben.«

Elisabeth war sichtlich den Tränen nahe, und Katharina packte prompt das schlechte Gewissen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, einem kleinen Mädchen so viel Verantwortung aufzulasten!

»Wir finden ihn bestimmt!«, rief sie, legte die Zeitung zur Seite und erhob sich hastig.

Elisabeth brach endgültig in Tränen aus. »Und wenn nicht? Taddäus hat vorhin gesagt, er wolle zum See gehen. Was, wenn er hineingefallen ist? Er ist doch noch so klein und kann nicht schwimmen!«

 

Die Oberfläche des Sees war aufgewühlt, aber das hatte nichts zu bedeuten, da die großteils schlechten Straßen weitgehend gemieden wurden und die meisten Menschen mit Booten und Schiffen nach Valdivia fuhren. Katharina stürzte auf eine Gruppe Männer zu: »Habt ihr einen kleinen Jungen gesehen?«

Sie sahen sie an und lachten. »Jungs sind immer schlimmer als Mädchen, der kann überall sein.«

»Hört zu lachen auf! Das ist nicht lustig!«, fuhr Katharina sie an.

»Na, wenn du uns ein freundliches Lächeln geschenkt hättest, dann hätten wir dir bei der Suche geholfen.«

»Ihr Idioten!«, entfuhr es Katharina.

»Jetzt aber nicht frech werden, Fräulein! Schließlich ist es nicht unsere Schuld, dass du dein Kind verloren hast.«

Sie konnte nicht umhin, ihnen recht zu geben. Lieber Himmel, warum war sie so unachtsam gewesen? Warum verhielt sie sich immer so mürrisch und versuchte nie, die Menschen für sich einzunehmen? Und schließlich: Warum war der kleine Taddäus nicht ihr Sohn, sondern sie dazu verdammt, als alte Jungfrau zu sterben?

Das eigene Leben fühlte sich plötzlich wie eines enges, nasses Kleid an, das sie so schnell wie möglich loswerden wollte, ungeachtet, dass sie dann nackt sein und erst recht frieren würde. Hoffentlich fror Taddäus nicht! Und hoffentlich war er nicht in den See gefallen!

Immer wieder rief sie seinen Namen, aber sie bekam keine Antwort. Und selbst wenn – in dem Trubel hätte sie seine schwache Stimme ja doch nicht vernommen. Die Straßen, die vom Hafen wegführten, waren voller Menschen und Fuhrwerke; dort hinten wurden gerade Fässer entladen, ein Haus gebaut und mit einem Handkran Getreidesäcke auf ein Boot verfrachtet. Und wenn Taddäus sich dort verkrochen hatte, womöglich gar unter Fässer oder Säcke geraten war?

Nein! Sie durfte jetzt nicht die Nerven verlieren! Eigentlich war er doch ein vernünftiger Junge!

»Taddäus! Taddäus, wo bist du?«

Irgendwo spielte eine Blaskapelle. In Valdivia wurde viel Musik gemacht, und wer kein Instrument beherrschte, der sang vorzugsweise deutsche Lieder. Für gewöhnlich liebte Katharina Musik, doch jetzt stand ihr nicht der Sinn danach, sondern sie eilte weiter zum Marktplatz, wo eben Hühner verkauft wurden. Das Gackern klang in ihren Ohren wie Hohngelächter.

»Taddäus!«, schrie sie.

Die Brust schmerzte vom schnellen Laufen, über ihre Wangen liefen Tränen, doch weiterhin war nichts von dem Knaben zu sehen.

Sie fragte überall nach ihm, aber niemand konnte ihr weiterhelfen, auch nicht der Gerber, zu dessen Werkstatt sie jetzt kam und wo es grässlich stank. So viele Bottiche standen hier … Bottiche, in die kleine Kinder fallen könnten.

»Taddäus!«

»Was schreist du denn so?«

Katharina fuhr herum und sah ihre Schwester auf sie zukommen. Frida bot einen grotesken Anblick, wurden die Nähte des neuen Kleides doch nur mit Stecknadeln zusammengehalten. Offenbar war Katharina an der Schneiderei vorbeigekommen, und Frida hatte sie rufen gehört.

Katharina starrte sie hilflos an. Als Kind hatte sie niemandem so nahegestanden wie ihren beiden Schwestern: Ihre Mutter war von ihnen überfordert gewesen, der Vater hatte sie meist vernachlässigt, doch sie hatten sich immer aufeinander verlassen können. Mit dem Zusammenhalt war es allerdings vorbei gewesen, als sie älter wurden und immer häufiger stritten. Katharina konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass all ihre schlechten Eigenschaften in der Gesellschaft von Frida und Theresa noch deutlicher zutage traten – so wie sie selbst nicht gerade das Beste aus ihren Schwestern hervorholte. Dass Frida verheiratet war und Kinder hatte, nährte überdies ihre Bitterkeit und den Neid, auch wenn sie sich dieser Gefühle oft schämte – gerade jetzt.

»Es tut mir so leid!«, stieß sie aus. »Taddäus ist verschwunden! Ich habe ihn nur kurz aus den Augen gelassen und …«

»Was?« Fridas Kinn, das in den letzten Wochen ziemlich schwammig geworden war, bebte. »Wie konntest du nur? Ich habe dir mein Kind anvertraut, und du bringst es nicht fertig, auf ihn zu achten?«

Obwohl sich Katharina selbst die schlimmsten Vorwürfe machte, ärgerte sie Fridas selbstgerechte Empörung. Schließlich war sie Taddäus’ Mutter und sollte sich selbst um ihn kümmern, anstatt sich ein neues Kleid machen zu lassen!

Doch sie schluckte ihren Ärger hinunter, atmete tief durch und erklärte entschlossen: »Es ist doch sinnlos, zu streiten. Lass uns lieber gemeinsam nach ihm suchen!«

Und das taten sie.

Eine Viertelstunde verging, eine halbe. Nach einer Stunde fehlte immer noch jede Spur von dem kleinen Jungen. Während Frida entweder die Schwester wegen ihrer Unachtsamkeit beschimpfte oder lauthals weinte, waren Katharinas Tränen versiegt.

Lieber Gott!, schwor sie sich. Wenn es Taddäus gut geht, werde ich nie wieder mit meinem Leben hadern. Ich werde nicht länger einfach nur warten, dass sich alles zum Guten wendet, sondern werde alles, was in meiner Macht steht, dafür tun.

Doch Gott schien kein Erbarmen zu haben. Mittlerweile hatten sie sogar sämtliche Kirchen durchsucht, aber sie waren nirgendwo fündig geworden. Schließlich kamen sie wieder bei der Bäckerei vorbei, wo Katharina mit den Kindern Kuchen gegessen hatte. Vorhin war sie Elisabeth so schnell nach draußen gefolgt, dass sie den Kuchen nicht bezahlt hatte, und als der Bäcker ihr jetzt mit zornigem Gesicht entgegenkam, machte sich Katharina auf eine Schimpftirade gefasst.

»Es tut mir leid, dass ich vorhin …«

»Da sind Sie ja endlich wieder!«

»Ich musste doch …«

»Wie stellen Sie sich denn das vor?«, unterbrach er sie unwirsch. »Ich muss hier arbeiten, und beim Ofen ist’s gefährlich!«

»Ich gebe Ihnen natürlich das Geld, aber …«

»Welches Geld?«

Sie sah ihn verdutzt an.

Er schnaubte. »Es kann doch nicht sein, dass ich an Ihrer Stelle Ihr Kind beaufsichtige! Ich habe Besseres zu tun.«

»Welches Kind?«, entfuhr es ihr verwirrt.

»Na, Ihren kleinen Neffen! Er kam plötzlich zu mir in die Backstube und hat mittlerweile solche Unmengen an Kuchen in sich hineingestopft, dass er sich bald übergeben wird. Na, das fehlte mir noch, dass er hier alles schmutzig macht! Nehmen Sie ihn endlich mit!«

Katharinas Herz pochte schneller. Natürlich! Die Bäckerei! Als sie nach draußen gestürmt war, war sie gar nicht auf die Idee gekommen, dass sich Taddäus hier versteckt haben könnte!

Aufschluchzend stürzte sie hinein und sah ihren Neffen ganz vergnügt vor dem Backofen sitzen.

»Ich habe Kuchen bekommen!«, erzählte er stolz.

Sie zog ihn an sich, versenkte ihr Gesicht in seine weichen Locken und atmete tief seinen süßen Geruch ein.

»Wie konntest du nur einfach verschwinden!«, schimpfte sie. »Das machst du nie wieder, hörst du?«

»Du machst das auch nie wieder!«, traf sie Fridas ungehaltene Stimme. »Meine armen Kinder! Was der Kleine deinetwegen durchmachen musste! Wie konntest du nur!«

Anstatt erleichtert den Sohn in die Arme zu schließen, hörte sie nicht auf, ihrer Schwester Vorwürfe zu machen. Eine Weile ließ Katharina sie über sich ergehen, weil ihre Erleichterung zu groß war, aber plötzlich glaubte sie, dass etwas in ihr zerplatzte, und was immer es war: Zurück blieb nicht der gewohnte Hader, sondern nur Entschlossenheit.

»Es sind deine Kinder«, sagte sie ruhig. »Du bist für sie verantwortlich.«

Frida stemmte die Hände in die Hüften und fluchte, als eine Stecknadel in ihre Finger stach. »Das ist doch die Höhe!«, keifte sie, nachdem sie sich das Blut abgeleckt hatte. »Sei froh, dass du dich um sie kümmern darfst. Du hast doch ohnehin nichts zu tun!«

»Ich arbeite den ganzen Tag.«

»Pah! Von wegen arbeiten! Du hast keinen Mann und keine Kinder!«

»Deswegen bin ich noch lange nicht deine Dienstmagd.«

»Du wärst einsam und verbittert, wenn ich dich nicht an meinem Familienleben teilhaben lassen würde.«

Katharina reckte ihr Kinn vor. »Bald werde ich eine eigene Familie haben.«

Frida lachte kreischend auf. »Für dich hat sich doch noch nie ein Mann interessiert!«

Katharina atmete tief durch. Eine vernünftige Stimme riet ihr, nichts zu überstürzen und sich nicht von verletztem Stolz leiten zu lassen, aber sie konnte nicht anders.

»Ich werde heiraten«, verkündete sie.

Frida sah sie erstaunt an und schwieg zum ersten Mal.

»Ja«, sagte Katharina entschlossen. »Ich heirate einen Schafzüchter auf der Osterinsel.«

 

Spät am Abend, als die Familie längst zur Siedlung am Llanquihue-See zurückgekehrt war, besuchte Katharina ihre Großmutter. Sie war nicht oft hier, denn Barbara Glöckner war eine skandalumwitterte Frau, mit der ihre eigene Tochter – Katharinas Mutter – seit Jahren kein Wort mehr sprach. Nach allem, was Barbara ihr angetan hatte, war das auch kein Wunder, und obwohl Katharina selbst keinen Grund hatte, der Großmutter zu zürnen – richtig warm war sie mit ihr nie geworden. Als Kind hatte sie immer das Gefühl gehabt, sie und ihre beiden Schwestern seien Barbara lästig, und auch wenn sie, die auf ihre Nichten und Neffen selbst oft gereizt reagierte, das mittlerweile besser verstehen konnte, wusste sie bis heute nie, worüber sie mit ihr reden sollte. Außerdem war Barbara trotz aller Rückschläge eine Frau, die ihr Leben entschlossen anpackte, und in ihrer Gegenwart fühlte sich Katharina darum meist noch unschlüssiger und als Versagerin. Jetzt allerdings, da sie entschlossen war, ihr Leben zu ändern, brauchte sie die Hilfe ihrer Großmutter.

Barbara Glöckner saß auf einer Bank vor dem Haus.

»Guten Abend, Kathi!«, rief sie ihr freundlich entgegen.

Katharina blieb stehen, anstatt die letzte Distanz zu überbrücken. »Dort, wo ich künftig leben werde, soll man mich Katharina nennen.«

Ihre Großmutter runzelte die Stirn. Ihre Haare waren grau, das Gesicht war faltig, aber ihre Augen blickten wach und warm und gaben eine Ahnung, was für eine schöne Frau sie einst gewesen war. »Warum das denn?«, fragte sie.

»Dann weißt du es also noch nicht?«

»Was?«

Katharina zuckte mit den Schultern. »In der ganzen Siedlung zerreißt man sich längst das Maul. Frida glaubt, ich hätte gelogen. Theresa hat gesagt, ich sei verrückt. Und die anderen denken, dass ich mich – selbst wenn es keine Lüge war – am Ende ja doch nicht trauen werde. Aber ich tue es. Ich verlasse den Llanquihue-See. Ich werde Barnabas Wilkinson heiraten.«

»Wen?«

Katharina erzählte ihr von der Annonce, und mit jedem Wort wurde ihr Gesichtsausdruck trotziger und ihre Stimme lauter – vielleicht, um die eigenen Zweifel zu übertönen und nicht aussprechen zu müssen, was sie sich insgeheim längst selbst fragte: Ob diese Annonce nicht bloß der Tollheit eines Verrückten entsprungen war und, selbst wenn das nicht der Fall war, man einem Mann trauen konnte, der auf diese Weise eine Frau suchte. Und ob sie stark genug war, so viel Ungewissheit zu ertragen und sich auf dieses Wagnis einzulassen.

Barbara lauschte schweigend. Weder Skepsis noch Belustigung standen in ihrer Miene wie bei den anderen, nur ehrliches Interesse, und erstmals dachte Katharina, dass sie womöglich doch noch mit ihrer Großmutter warm werden könnte – vorausgesetzt, sie hätte genügend Zeit dafür.

»Du bist doch sicher nicht gekommen, um dir meinen Segen oder gar meine Erlaubnis zu holen«, sagte Barbara nur, als sie geendet hatte.

»Nein, sondern deswegen …« Katharina deutete hinter ihren Rücken. Barbara lebte im Schulhaus und unterrichtete die Kinder der Siedlung, seit die alte Jule – auch sie eine Auswanderin aus Deutschland und einst die Lehrerin von Katharina und ihren Schwestern – gestorben war. Jule war immer streng und schroff gewesen, hatte den Kindern unermüdlich eingebläut, ihr Köpfchen zu benutzen, und mit Verachtung bestraft, wer das ihrer Meinung nach zu wenig oder gar nicht tat. Barbara dagegen, so hieß es, sang und tanzte mit den Kindern und brachte sie zum Lachen.

Katharina betrat das Schulzimmer und ging hastig zu den Landkarten, die an der Wand hingen.

»Wenn ich mich recht erinnere, liegt die Osterinsel westlich von Chile«, sagte sie.

Gewiss musste man Tausende Meilen zurücklegen, um sie zu erreichen. Wie lange man wohl unterwegs war? Einige Tage, mehrere Wochen oder gar Monate? Noch nie war sie länger als einen Tag von der Siedlung fort gewesen. Und am Ende der Reise würde sie nicht wieder nach Hause zurückkehren, sondern auf einer fremden Insel leben, von der sie nicht wusste, wie sie aussah. Mit einem Mann, den sie nicht kannte …

»Ich finde die Insel auf der Karte nicht«, murmelte sie verzagt.

Barbara trat zu ihr. »Was machst du eigentlich, wenn Barnabas Wilkinson gar keine Frau mehr sucht?«

Dass sie nicht über sie spottete, sondern eine vernünftige Frage stellte, setzte Katharina deutlich mehr zu als das Unverständnis der restlichen Dorfbewohner.

»Versteh doch!«, rief sie verzweifelt. »Ich … ich kann doch nicht hierbleiben. Die Siedlung … sie ist so klein … so eng! Ich bin nun sechsundzwanzig Jahre alt, und ich will nicht als alte Jungfer sterben, die nichts anderes geleistet hat, als sich vergebens nach einem Ehemann zu sehnen und die Kinder ihrer Schwester zu beaufsichtigen. Offenbar schaffe ich ja nicht einmal das.«

Barbara nickte langsam. »Ich verstehe, dass du mehr vom Leben willst als das, was du hier bekommst. Als wir seinerzeit Deutschland verlassen und nach Chile aufgebrochen sind, haben uns auch etliche Leute für verrückt erklärt. Aber wir waren es nicht – und du bist es auch nicht. Wenn du wirklich gehst, dann … dann finde ich das sehr mutig von dir.«

Katharina war überrascht, denn sie hatte keinen Zuspruch erwartet. Plötzlich war der Blick auf den riesigen Ozean, der auf der Landkarte eingezeichnet war, nicht länger bedrohlich. Und wenn die Insel noch so weit vom Festland entfernt lag – irgendwie würde sie schon dorthin kommen. Alles war möglich, wenn sie es nur wollte.

Barbara betrachtete sie nachdenklich. »Dennoch«, sagte sie leise, »mir wäre es lieber, du würdest deinen künftigen Mann kennen. Und du würdest zu diesem Abenteuer aufbrechen, weil du ihn liebst.«

»Ausgerechnet du rätst mir zur Liebe?«

Katharina klang ruppiger, als sie es beabsichtigt hatte, und sie bereute es umso mehr, als Barbara leicht beschämt den Blick senkte.

Barbara hatte auch einmal geliebt … ausgerechnet den Mann ihrer Tochter, Katharinas Vater Poldi. Obwohl ihre Liebe verboten gewesen war, hatten sie beide einfach nicht davon lassen können. Katharina war schon eine junge Frau gewesen, als das Verhältnis aufflog, ihre Mutter den untreuen Ehemann aus dem Haus warf und für Barbara jeder Gang durch die Siedlung zum Spießrutenlauf wurde. Mit den Jahren hatten sich die Gemüter etwas beruhigt, und man schätzte Barbara als engagierte Lehrerin, doch das änderte nichts daran, dass immer noch heimlich über das absonderliche Verhältnis getuschelt wurde. Bis jetzt hatte sich Katharina immer dafür geschämt, doch heute fühlte sie plötzlich Mitleid mit Barbara, und ihr wurde bewusst, wie einsam sich diese manchmal fühlen musste, zumal man sie und Poldi nie wieder zusammen gesehen hatte, nachdem ihre Affäre ruchbar geworden war.

»Ach, Großmutter«, seufzte sie.

Barbara tätschelte ihre Hand. »Ja gewiss, meine Liebe hat viel Unglück gebracht, über mich … und vor allem über euch. Doch ganz gleich, wie ich es drehe und wende: Wenn ich die Möglichkeit hätte, mein Leben noch einmal zu leben, wüsste ich nicht, ob ich mich dagegen entscheiden würde. Die Liebe ist das Schönste auf der Welt, das Teuerste, das Erfüllendste …«

»Und das Schmerzhafteste!«, fiel Katharina ihr ins Wort. »Leugne es nicht! Ich weiß nicht, wie Liebe sich anfühlt, aber an allen anderen konnte ich sehen, wie schrecklich weh sie tut. Mutter war nie wieder die Alte, seitdem sie von dir und Vater erfahren hat. Vater selbst, der früher so gesellig und lustig war, ist ein Einzelgänger geworden …«

»Du solltest dir nicht ausgerechnet uns zum Vorbild nehmen.«

»Wen denn dann? Schau dir Frida an! Einst war sie so verliebt in Jacobo, und jetzt streitet sie ständig mit ihm, weil er so faul ist und sie immer dicker wird.«

»Nun, das liegt an ihrem Appetit und den vielen Geburten, nicht an der Liebe.«

»Trotzdem! Kannst du dich erinnern, wie es Manuel erging, als Emilia ihn verlassen hat?«

Manuel war ihr Cousin, der seit Kindertagen davon geträumt hatte, Emilia zu heiraten, ein Mädchen aus der Siedlung, das sich ihrerseits immer das Gleiche gewünscht hatte. Doch kurz vor der Hochzeit hatte sich Emilia aus unerklärlichen Gründen anders entschieden und dem Llanquihue-See den Rücken gekehrt. Seitdem hatten sie nichts mehr von ihr gehört, und Katharina hatte ihr lange Zeit gezürnt, weil sie Manuel so wehgetan hatte. Mittlerweile sah sie es etwas anders: Auch wenn sie bis heute nicht verstand, warum Emilia des Nachts heimlich fortgeschlichen war, ohne sich zu erklären oder zu verabschieden, konnte sie jetzt ihre möglichen Beweggründe nachvollziehen. Vielleicht war ihr die Siedlung auch zu eng geworden und das Bedürfnis, etwas zu erleben, zu groß. Vielleicht hatte sie von einem ganz neuen, anderen Leben geträumt, von einer aufregenden Reise an einen unbekannten Ort, von einem Mann, der ihr anstelle des vertrauten Alltags spannende Abenteuer bot …

»Du magst ja recht haben«, lenkte Barbara ein. »Vielleicht ist Liebe tatsächlich nicht notwendig, um eine gute Ehe zu führen. Und dennoch, wenn ich es mir aussuchen könnte, dann wünschte ich mir für dich jede Menge Liebe. Und jede Menge Glück.«

Katharina betrachtete sie gerührt, vergaß die übliche Scheu und fiel ihrer Großmutter um den Hals.

Als sie sich von ihr löste, hatte Barbara Tränen in den Augen, und Katharina war sich sicher, dass sie nicht nur vom Abschiedsschmerz rührten, sondern von ihren vielen Erinnerungen. Doch sie fasste sich rasch wieder, schnäuzte sich geräuschvoll in ihr Taschentuch und verkündete: »Auch wenn wir sie nicht auf der Landkarte finden – wir lesen mal in Jules alten Büchern nach. Irgendwo erfahren wir sicher mehr über diese Osterinsel.«

2. Kapitel

Wohin Aaron auch blickte – er nahm nur die Gräber wahr.

Früher hatte er oft gedacht, in welch schöner Lage von Papeete sich der Friedhof befand: Das Rauschen vom nahen Meer und die Palmen, die ihn umgrenzten und Schatten auf ihn warfen, machten ihn zu einem Ort des Friedens. Aber als er jetzt auf die vielen Holzkreuze starrte – manche standen schief, weil Tropenstürme an ihnen gerüttelt hatten, andere waren von der Meeresluft verwittert –, empfand er nur Bitterkeit.

Was nutzte es den Toten, wo sie ihre ewige Ruhe gefunden hatten? Sie spürten den lauen Wind ja doch nicht, sie hörten nicht das sanfte Lied der Wellen, sie sogen nicht den süßlichen Geruch ein, der in der Luft hing!

Aaron seufzte. Sein Vater hatte immer erklärt, dass der Tod kein Feind sei, man ihn vielmehr als Freund empfangen und freiwillig mit ihm gehen solle, anstatt gegen ihn aufzubegehren, aber Aaron konnte heute nicht anders, als den Tod zu verfluchen. Sein Vater hatte außerdem behauptet, dass die Missionarsfamilien für ihr höheres Ziel alles zu geben hätten, notfalls auch ihr Leben, aber jetzt hielt ihm Aaron stumm entgegen, dass dies ein viel zu hoher Preis war. Hunger, Krankheiten und ein schwer verträgliches Klima mochte er ja noch hinnehmen, auch Feindseligkeit, Gespött und Widerstände waren meist unvermeidlich. Aber, so dachte er trotzig, es darf doch nicht verboten sein, schon im diesseitigen Leben einen Lohn für all die Mühen zu erwarten! Und selbst wenn dieser ausblieb, sollte doch mehr von diesen Mühen bleiben als ein verwittertes Holzkreuz!

Er verbarg sein Gesicht in den Händen, um die Gräber nicht länger zu sehen. Irgendwann hatte er mal gehört, dass die Trauer wie das Meer sei und man – gerade am Anfang – darin zu ertrinken drohe. Doch er liebte das Meer zu sehr, um diesen Vergleich zu ziehen, und seine Trauer fühlte sich auch anders an, ganz so nämlich, als würde er auf einen Berg steigen. Der Weg war karg, steinig und steil, bald hatte er keine Kräfte mehr, und doch wurde er von einer unsichtbaren Macht immer weiter in die Höhe getrieben, wo die Luft dünn und er der einsamste Mensch auf Erden war.

»Du wirst dich nicht von dem Verlust erholen, wenn du ständig hier bist«, traf ihn eine Stimme.

Aaron zuckte zusammen. Also war er doch nicht so einsam wie gedacht. Er blickte hoch, nahm die Hände herunter und sah Justin La Croix auf sich zukommen – einen Freund seines Vaters und Missionar wie dieser, doch anders als Pastor Adam Hayes nicht vom Heiligen Geist, sondern von irdischen Gelüsten durchdrungen. Justin hatte nichts mit den asketischen Männern Gottes gemein, die sich Aaron bis vor Kurzem zum Vorbild genommen hatte, sondern glich einem jener europäischen Aussteiger, die sich der hiesigen Lebensweise ganz und gar angepasst hatten. Anstatt ein armes Leben in der Nachfolge Christi zu führen, hatte er schon vor Jahren eigenes Land auf Tahiti erworben und war erfolgreich in den Handel eingestiegen. Während andere Missionare, die es ihm gleichtaten, zumindest noch heuchelnd vorgaben, damit lediglich ihr Ansehen bei der Bevölkerung zu steigern und die Herzen für das Wort Gottes zu öffnen, gab Justin offen zu, dass sich das Leben hier nun mal mit Geld viel leichter ertragen ließ als ohne. Außerdem hatte er in eine Häuptlingsfamilie eingeheiratet und – anstatt seine neuen Familienmitglieder zu bekehren – sich lieber selbst tätowieren lassen.

»Ich will nicht einfach zur Tagesordnung übergehen«, sagte Aaron. »Wie könnte ich auch? Es … es hat doch alles keinen Sinn!« Sein Blick fiel auf weitere Holzkreuze, die kleiner als die anderen waren.

Kinder, dachte er, so viele Kinder … Krankheiten zum Opfer gefallen, die man in Europa nicht kannte und die ihre Eltern nicht zu behandeln wussten.

Justin legte die Hand auf seine Schulter. »Du fragst nach dem Sinn? Ausgerechnet du? Ich kenne kaum jemanden, der so besessen ist, Gutes zu tun und den Menschen zu helfen, wie du. Nur dein Vater hat dich darin noch übertroffen.«

»Aber was hat es ihm am Ende gebracht?« Unwillkürlich stampfte Aaron auf.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass du meinst, was du da sagst!«, rief Justin. »Menschen wie ich zweifeln an Gott, aber doch nicht du.«

»Nun, falls du an Gott gezweifelt hast, hat es dich nie zermürbt. Du warst immer nur darauf erpicht, hier zu überleben und das obendrein gut. Vielleicht hast du die bessere Wahl getroffen als mein Vater.«

Justin La Croix und Adam Hayes waren zur gleichen Zeit auf Tahiti angekommen – Adam Hayes als Mitglied der London Missionary Society, die zum Zwecke der systematischen Missionierung in Polynesien gegründet worden war. Viele von ihren Missionaren arbeiteten eng mit Ärzten und Handwerkern zusammen, und manche – wie Adam – hatten selbst eine medizinische Grundausbildung absolviert.

Justin dagegen stammte aus Frankreich, gehörte keiner Missionsgesellschaft an und nahm seine Pflichten von Anfang an nicht sonderlich ernst. Während Adam Hayes schon in den Jahren zuvor in Matawai mit Feuereifer das Wort Gottes verkündet und in Tahitis Hauptstadt Papeete nichts von seiner Leidenschaft eingebüßt hatte, setzte Justin auf Anpassung, freundete sich nicht nur mit Einheimischen, sondern – was umso verpönter war – mit Katholiken an und störte sich nicht daran, wenn die Menschen zugleich zu Jesus Christus beteten und ihren alten Göttern huldigten. Die meiste Zeit verbrachte er ohnehin nicht mit Predigen, sondern mit dem Handel von Kokosöl, ja sogar von Tabak und Alkohol.

Dass Adam Hayes auf das Handelsverbot der Missionare verwies, hatte er geflissentlich überhört, und dass er kürzlich obendrein in die lokale Politik eingestiegen war, was als nicht geringeres Tabu galt, hatte er mit den Worten kommentiert: »Was wir hier treiben, interessiert in Europa doch keine Menschenseele!«

Eigentlich war es erstaunlich, dass jemand wie Justin La Croix mit Adam Hayes befreundet sein konnte, dennoch hatte Aaron nie erlebt, dass sie sich trotz aller Streitereien ernsthaft beleidigten.

Justin schien sich bei aller Berechnung und Gier insgeheim nach der Gesellschaft eines Mannes zu sehnen, der den Idealen seiner Jugend treu geblieben war. Und Adam war zu sich selbst und seiner Familie zwar stets streng und fordernd, ließ bei der restlichen Welt aber mehr Milde und Gnade walten. »Wenn Gott die Sünder liebt, wäre es die größte Sünde, nicht seinem Beispiel zu folgen«, hatte er oft gesagt.

Aaron war davon immer beeindruckt gewesen, aber jetzt fragte er sich, ob sein Vater bei aller Rechtschaffenheit nicht etwas Wichtiges übersehen hatte: dass man nämlich nicht nur die Sünder lieben sollte, sondern auch sich selbst und seine eigene Familie, und dass sich zu lieben bedeutete, auch mal eigennützig zu denken.

Nun, für seinen Vater war es zu spät, seine hehren Prinzipien über Bord zu werfen, aber er musste die Entscheidung treffen, ob er daran festhalten oder sie lieber aufgeben wollte und ob er das Vermächtnis seines Vaters fortsetzen oder einen neuen Weg einschlagen würde.

Justin schien zu erahnen, was hinter seiner Stirn vorging. »Was wirst du denn jetzt tun?«

»Ich überlege, nach London heimzukehren.«

»Heim? London ist doch nicht deine Heimat! Wie viel Zeit hast du denn dort verbracht? Monate? Oder gar nur Wochen? Ach Aaron, du bist die Sonne und den Tropenregen gewöhnt, den Blick auf Palmen und aufs Meer.«

Er deutete auf dieses Meer, und Aaron wandte sich von den Gräbern ab. Der Wind kräuselte die Oberfläche des Wassers und zerriss das türkisfarbene Tuch; der weiße Schaum funkelte silbrig wie der teuerste Schmuck. Gottes Schöpfung war oft von unvergleichlicher Schönheit, so viel stand fest. Doch jene quälte Aaron heute, anstatt ihn zu trösten. Vor den Gräbern hätte er lieber im Regen gestanden.

»Komm mit!«, rief Justin. »Du hast genug Zeit auf dem Friedhof verbracht. Das hier ist ein Ort der Toten, nicht der Lebenden.«

Aaron hatte sich selten so leblos gefühlt, aber er ließ sich mitziehen. Erst als sie den Friedhof hinter sich gelassen hatten, brach er sein Schweigen: »Du hast recht. Es wäre verrückt, nach London zu gehen. Ich kenne dort keine Menschenseele. Aber … aber das bedeutet nicht, dass ich einfach so weiterleben kann, als wäre nichts geschehen.«

»Seit du denken kannst, wolltest du wie dein Vater Missionar werden. Was möchtest du denn stattdessen tun? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du bereit bist, in den Handel einzusteigen.«

»Sicher nicht!«

Sie hatten den Kirchengrund verlassen und durchstreiften einen Vorort von Papeete, wo es ruhiger als im Hafen zuging. Zwar standen auch hier Händler hinter kleinen Holzbuden an jeder Straßenecke und priesen ihre Waren an, aber sie schrien nicht so laut wie an den belebteren Plätzen. Meist wurde hier nicht mit Geld bezahlt, sondern die Waren nur getauscht: Messer, Schusswaffen, Tabak und Alkohol gegen Kokosöl, Kopra, Sandelholz und Bêches-de-mer – essbare Seegurken.

Was habe ich eigentlich anzubieten?, dachte Aaron bei diesem Anblick. Ich besitze nichts weiter als meinen Glauben an Gott, und auch wenn ich den gern loswerden würde – ich würde ja doch nichts dafür bekommen, was von Wert wäre …

»Nun, auch wenn London keine gute Idee ist«, murmelte Justin, »vielleicht solltest du Papeete tatsächlich verlassen, um wieder zu dir zu kommen. Du könntest auf eine der vielen Inseln Polynesiens gehen. Gottes Wort wurde noch nicht überall verkündet.«

Aaron zuckte die Achsel. Er wusste, wer so dachte, war kleinlich, aber er konnte nicht anders, als trotzig zu entgegnen: »Warum soll ich Gottes Wort verkünden, wenn Er mir doch alles genommen hat? Warum soll ich selbst eine Entscheidung treffen, wenn Er doch allmächtig ist und der einzelne Mensch unbedeutend wie ein Sandkorn? Wenn Er es will, wird es ja doch verweht. Warum soll ich überhaupt etwas wollen, warum für etwas kämpfen, warum von etwas träumen?«

Justin lächelte schwach. »Mich musst du nicht davon überzeugen, dass der alte Herr da oben manchmal ein Miesepeter ist. Dein Vater würde sich im Grab umdrehen, aber ich lade dich gern auf eine Runde Kokosschnaps ein, damit wir auf diese Erkenntnis anstoßen und dein Kummer etwas kleiner wird.«

Kurz erwiderte Aaron das Lächeln, doch er wurde schnell wieder ernst. »Wenn ich begänne, Schnaps zu trinken, würde mein Kummer nicht kleiner – nur meine Kopfschmerzen größer.«

»Nun, ich könnte dir auch anbieten …«

Aaron hob abwehrend die Hand. »Lass es gut sein! Was immer du sagst, es kann mich ja doch nicht trösten. Ich möchte gerne eine Weile allein sein.«

In Justins Miene regte sich Widerspruch, aber er äußerte ihn nicht. Nüchtern, wie er war, dachte er wohl, dass er sich damit begnügen sollte, Aaron vom Friedhof gelotst zu haben.

Also nickte er nur traurig und ging in die andere Richtung, während Aaron Schritt vor Schritt setzte, ohne recht zu wissen, wohin es ihn zog. Er sah nichts, hörte nichts – zumindest eine Weile lang nicht. Dann erreichte ihn ein Laut, so durchdringend und verzweifelt, dass er den Bannkreis, der zwischen ihm und der Welt gezogen war, überwand: Geschrei.

 

Aaron hob den Blick und sah heruntergekommene Häuser, deren hölzerne Wände viele Ritzen aufwiesen und deren Dächer aus Palmenblättern bei einem heftigeren Sturm verweht werden würden. Doch das Geschrei kam nicht von dort, und die Menschen, die träge vor den Häusern hockten, schienen taub dafür zu sein. Aaron hingegen beschleunigte seinen Schritt. Die Schreie wurden lauter und so panisch, dass er kurz dachte, es sei wie vor zwei Jahren ein Feuer ausgebrochen, das Papeete fast zerstört hatte. Unermüdlich hatten sein Vater und er damals Verwundete versorgt und notdürftige Baracken errichtet, und Maggie hatte …

Egal jetzt! Er wollte nicht daran denken, und es stieg auch nirgendwo Rauch auf.

Die Hütten, auf die er nun zusteuerte, waren noch armseliger als die Häuser, so niedrig, dass man bestenfalls gebückt darin stehen konnte, und nur zum Schlafen für jene Männer da, die von entfernteren Inseln zum Arbeiten auf den Kokosplantagen rekrutiert wurden – wenn man es denn freundlich ausdrückte. Die Wahrheit war, dass man sie entweder entführte oder mit Drohungen so weit einschüchterte, dass sie freiwillig mitkamen.

Das Geschrei wurde noch lauter, spitzer, riss dann plötzlich ab. Ein anderer Laut erklang stattdessen – ein Peitschenknall.

Schauder liefen über Aarons Rücken. Eben noch hatte er gedacht, dass ihn nichts mehr berühren konnte, doch jetzt packte ihn die Wut. Ehe er es sah, ahnte er schon, was hier vorging. Nicht zum ersten Mal war er bestürzt, wie gnadenlos die Arbeiter auf den Plantagen ausgebeutet wurden: Jene, die die Kokosnüsse ernteten, hatten noch gewisse Freiheiten. Zwar lebten auch sie in den ärmlichen Hütten und waren dem Hungertod nahe, aber wenigstens spürten sie die Sonne und die frische Meeresbrise. Der Rest dagegen musste in stickigen, heißen Gebäuden Nüsse aufschlagen, die Hälften in einem Ofen erhitzen, um dem Fruchtfleisch die Feuchtigkeit zu entziehen, und später das zerkleinerte Fruchtfleisch in Ölmühlen pressen. Aaron wäre in der Nähe dieser Öfen wohl schon nach einer Stunde ohnmächtig geworden, aber die Männer schufteten dort sieben Tage die Woche. So, wie aus den Kokosnüssen alles herausgepresst wurde – neben Kopra, dem getrockneten Kernfleisch der Kokosnuss, und ihrem Öl stellte man aus ihren Fasern einen Füllstoff für Matratzen her –, wollte man auch aus den Arbeitern noch den letzten Funken Kraft herausholen.

Der, der dort vorne mit beiden Händen an einen Pfahl gefesselt war und dessen Zehenspitzen kaum den Boden berührten, war erbärmlich dünn. Weitaus fülliger war der Aufseher, der mit einer Peitsche in der Hand hinter ihm stand und zum neuerlichen Schlag ausholte.

»Halt!«, schrie Aaron.

Bevor sie ein weiteres Mal die nackte Haut zerschnitt, riss der Mann die Peitsche zurück. Sie wand sich in der Luft, als würde sie einen wütenden Tanz vollführen. Zornig war auch der dickliche Mann, als er sich zu Aaron umdrehte und ihn missmutig musterte. Dass er einen Weißen vor sich hatte – entweder einen Engländer oder Franzosen –, machte es ihm unmöglich, seine Worte einfach zu ignorieren, doch zugleich konnte er auf den ersten Blick feststellen, dass Aaron nicht besonders fein gekleidet war: Seine Leinenhose war alt und löchrig, das einstmals weiße Hemd mit gelblichen Flecken übersät. Verächtlich zog er die Augenbrauen hoch, doch das hielt Aaron nicht davon ab, selbstbewusst auf ihn zuzutreten und sich schützend vor das Opfer zu stellen.

»Was ist passiert?«

»Nichts, was Sie etwas angeht«, knurrte der andere. »Aber weil ich heute einen guten Tag habe, sage ich es Ihnen gerne … Der hier wollte Unruhe stiften, und so etwas erstickt man am besten im Keim.«

Aaron kannte Männer wie ihn: Ihre Seelen waren so ledrig wie ihre Haut; wenn irgendwo in ihrer Tiefe noch Mitgefühl wohnte, konnte es unmöglich an die Oberfläche dringen. Dort hockten, hartnäckig wie der Dreck, lediglich Überdruss und Langeweile. Hin und wieder über den Durst zu trinken war eine der wenigen Freuden ihres Lebens – an Wehrlosen die schlechte Laune auszulassen die andere.

Ehe er etwas sagen konnte, nahm Aaron aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Ein Junge trat mit schreckgeweiteten Augen und zuckenden Mundwinkeln auf ihn zu, und plötzlich war sich Aaron sicher, dass er und nicht etwa der Geprügelte so panisch geschrien hatte.

»Er hat doch nur etwas mehr zu essen gefordert«, murmelte der Junge.

Der Aufseher verdrehte die Augen, doch bevor er etwas sagen konnte, rückte Aaron ganz nahe an ihn heran. »Diese Menschen hier sind keine Sklaven!«, zischte er.

Der andere zuckte nicht zurück, und seine Mundwinkel verzogen sich leicht nach oben. Aaron konnte förmlich hören, was ihm durch den Kopf ging.

Ja, diese Männer sind keine Sklaven, aber sie werden so behandelt, weil es schlichtweg niemanden gibt, der sich für ihre Rechte einsetzt.

Niemanden bis auf ihn …

»Verschwinden Sie einfach von hier«, murrte der Aufseher.

Aaron tat nichts dergleichen. Er kramte in seiner Tasche und zog ein paar Münzen hervor. »Ein Teil davon ist für die Männer: Geben Sie ihnen etwas Ordentliches zu essen. Der Rest ist für Sie, vorausgesetzt, dass Sie die verdammte Peitsche aus der Hand legen.«

Der Aufseher zögerte, und Aaron befürchtete kurz, den stummen Zweikampf, den sie nur mit Blicken ausfochten, zu verlieren, aber schließlich gingen dem anderen die Münzen über den eigenen Stolz. Ganz unverhohlen stand die Gier in seiner Miene, und Aaron war sich sicher, dass er das ganze Geld für sich behalten und es bald in Tabak und Schnaps umsetzen würde. Doch am wichtigsten war, dass er die Peitsche sinken ließ und gemächlich fortging.

»Schnell!«, rief Aaron. »Wir müssen ihn losbinden!«

Nicht nur der verschreckte Junge war Zeuge der Auspeitschung geworden, sondern auch andere Arbeiter. Anstatt sich zu regen, starrten sie ihn nur an – manche so abgestumpft, als könnte fremdes Leid sie längst nicht mehr erreichen, andere voller Furcht.

Nur der Junge trat rasch zu ihm und reichte ihm eine Machete, mit der ansonsten Kokosnüsse gespalten wurden und die Aaron nun dazu benutzte, die Fesseln zu durchschneiden. Fliegen umsurrten den verschwitzten, blutigen Rücken. Obwohl der Aufseher nur einmal zugeschlagen hatte, ging ein tiefer Riss durch das Fleisch, und Aaron entschied, die Wunde zu nähen, damit keine Narbe zurückblieb. Der junge Mann stöhnte auf, als Aaron ihn berührte, biss sich jedoch gleich wieder auf die Lippen. Der Ausdruck seiner schwarzen Augen war stumpf.

»Es ist zu weit, ihn zu mir nach Hause zu bringen«, sagte Aaron. »Wir werden ihn hier in der Baracke behandeln. Doch dafür muss jemand meine Tasche holen.«

»Bist du Arzt?«, fragte der Knabe.

»Nein, aber ich habe eine medizinische Grundausbildung.«

Nachdem Aaron ihm den Weg beschrieben hatte, drehte sich der Junge um und lief los. Aaron hoffte, dass er bald zurück wäre, umso mehr, als der Verwundete vor ihm auf die Knie sackte. Offenbar war er vor dem Peitschenhieb stundenlang am Pfahl gefesselt gewesen. Unter Mühen hob Aaron ihn hoch, warf ihn über die Schulter und erreichte ächzend die Baracken. Sofort umsurrten sie noch mehr Fliegen.

»Gleich … gleich gebe ich dir etwas zu trinken.«

Während er bei dem Verwundeten hockte und ihm vorsichtig Wasser einträufelte, musste er einmal mehr an die Worte seines Vaters denken.

Ein Missionar, hatte dieser oft gesagt, muss mehr sein als nur ein Prediger – er muss ein Arzt, ein Zimmermann, ein Bauer, ein Handwerker sein. Nur so kann er in den fremden Ländern überleben, und nur so kann er den Menschen Tag für Tag helfen und ihr Vertrauen erwerben.

Ja, trotz seines Idealismus war Adam Hayes ein nüchterner, lebenspraktischer Mann gewesen, der den Einheimischen mehr vermitteln wollte als nur den Glauben – vielleicht die Voraussetzung dafür, dass er mit Justin La Croix befreundet gewesen sein konnte, und in jedem Fall der Grund, warum Aaron zum ersten Mal an seinen Vater denken konnte, ohne mit ihm zu hadern.

Die lähmende Niedergeschlagenheit fiel von ihm ab. Er zweifelte nach wie vor an Gott, aber selbst wenn er nicht bereit war, Gott weiterhin zu dienen, so wollte er sein Leben immer noch in den Dienst seiner Mitmenschen stellen.

 

Aaron verrührte etwas Kokosfett im Kräutersud. Eigentlich hätte er lieber Milch verwendet, doch diese wurde hierzulande immer schnell ranzig, und er hoffte, dass der Sud auch so seine heilende Wirkung entfalten würde. Falls die Schmerzen schlimmer wurden, könnte er noch ein wenig Opium verabreichen, doch er besaß so wenig davon, dass er es nur im Notfall einsetzen wollte. Im Übrigen schien der junge Mann die Schmerzen erstaunlich gut zu ertragen. Er zuckte nicht einmal zusammen, und sobald Aaron seine Behandlung beendet hatte, richtete er sich – soweit das in der niedrigen Baracke möglich war – auf.

»Bleib doch noch!«, rief Aaron.

Im leeren Blick flackerte jäh Trotz auf, als wollte er Aaron sagen, dass er sich nicht zu Dank verpflichtet fühlte.

»Wie heißt du?«, fragte Aaron leise.

Der junge Mann zögerte, bevor er widerwillig hervorpresste: »Tane.« Und ehe Aaron eine weitere Frage stellen konnte, fügte er feindselig hinzu: »Ich bin nicht getauft worden, und das ist auch gut so.«

Scheinbar hatte er ihn auf den ersten Blick als Missionar erkannt – was nicht weiter erstaunlich war. An seinen Gewändern allein konnte man es zwar nicht ablesen, aber kein anderer würde wohl für einen Arbeiter wie ihn eintreten.

Aaron verkniff sich ein Lächeln. »Ich habe nicht vor, dich zu taufen. Ich will nur deine Wunden versorgen.«

»Das haben Sie nun getan, also können Sie wieder gehen.«

Aaron rührte sich nicht. »An welchen Gott glaubst du?«, fragte er.

Tane verschluckte beinahe die Silben, als er antwortete: »Makemake.«

Aaron wusste, dass auf Tahiti zahlreiche Götter verehrt wurden, und die Namen der meisten hatte er schon einmal gehört. Dieser aber war ihm fremd. »Woher stammst du?«, erkundigte er sich.

Tane schwieg, und sein Blick wurde kalt und feindselig.

Aaron vermutete, dass er von einer weit entfernten Insel kam und – wie viele seinesgleichen – von skrupellosen Menschenhändlern verschleppt worden war, die sich nicht um das Verbot der Sklaverei scherten. Er fragte nicht weiter nach, sondern verstaute das Ledersäckchen mit den Kräutern in seiner Tasche. Dabei fiel ein kleines Büchlein heraus – das Neue Testament. Als er sich danach bückte, versetzte es ihm einen schmerzhaften Stich in der Brust. Das Buch hatte Maggie gehört …

Tane schien es nicht entgangen zu sein, wie sehr die Erinnerungen ihm zusetzten. »Bist du ein maori?«, fragte er und klang erstmals nicht abweisend, sondern neugierig.

»Ein … was?«

»Maori heißen in meiner Heimat die Schriftgelehrten und besonders klugen Menschen.«

»Und wie heißt deine Heimat?«

»Rapa Nui.«

Herausfordernd sah er Aaron an. Offenbar rechnete er nicht damit, dass Aaron diesen Namen kannte. Doch war diesem auch der Gott Makemake fremd gewesen – mit Rapa Nui konnte er durchaus etwas anfangen. »Du meinst die Osterinsel«, sagte er, »ein sehr entlegenes Eiland. Ich habe gehört, dass die Landschaft dort sehr karg sein soll.«

»Meine Eltern haben mir immer erzählt, wie wunderschön es auf der Insel ist.« Tanes Stimme wurde ganz rau, und in den dunklen Augen stand jäh nicht länger Verachtung, sondern unendliche Trauer.

Aaron glaubte zu begreifen, woher sie rührte. »Nicht du selbst, sondern deine Eltern sind hierher verschleppt worden, nicht wahr?«, erwiderte er leise. »Du bist auf Tahiti geboren und hast Rapa Nui noch nie gesehen.«

Tane ballte seine Hände zu Fäusten. »Ich weiß alles über die Insel, und eines Tages werde ich dorthin zurückkehren. Denken Sie nicht, ich hätte Angst vor der weiten Reise. Auch unsere Vorfahren haben vor vielen tausend Jahren einen langen Weg hinter sich gelegt, als sie ihre Heimat mare-renga verließen und ins Ungewisse aufbrachen.«

»Wann genau wurden deine Eltern hierhergebracht?«

Aaron wusste nicht viel über die Geschichte von Rapa Nui, aber umso mehr vom Schicksal vieler anderer Inselbewohner – stammten sie nun von den Cookinseln, den Salomonen oder Tokelau. Mittlerweile waren etliche von ihnen nahezu entvölkert, entführte man sie doch nicht nur hierher, damit sie auf den Kokosplantagen schufteten, sondern auch ins australische Queensland.

»Sie wurden von peruanischen Sklavenhändlern entführt«, antwortete Tane. Der Schmerz überwältigte ihn. »Mit Glasperlen und anderem glitzernden Zeug lockte man sie an den Strand. Dort warf man Netze über sie, fesselte sie und trieb sie wie Vieh an Bord der Schiffe.«

Aaron unterdrückte ein Seufzen. Manchmal schien es so viel Schlechtes auf der Welt zu geben, dass selbst der Entschlossenste verzagen musste. Und manchmal endeten selbst Versuche, etwas Gutes zu tun, mit diesem Schlechten. Die Entführung der Inselbewohner hatte ausgerechnet nach der längst fälligen Abschaffung der Sklaverei ihren Höhepunkt erreicht, weil nun auf Tahiti, in Chile und Peru die billigen Arbeitskräfte fehlten. Falls doch einmal Proteste dagegen ertönten, wichen die Menschenhändler auf umso fernere Eilande aus. Und auf der Osterinsel hatten sie gewiss ein leichtes Spiel – galt diese doch als die Insel am Ende der Welt.

»Sie haben vermeintliche Arbeitsverträge abgeschlossen, sogar ein monatliches Gehalt zugesichert«, fuhr Tane verbittert fort, »aber das war natürlich Betrug. In Wahrheit sind sie für dreihundert Pesos verkauft worden.« Er schüttelte empört den Kopf. »Einigen an Bord gelang es, die Fesseln zu lösen. Sie sprangen sofort ins Meer und schwammen zurück. Meine Eltern … meine Eltern haben sich nicht getraut.« Nun klang wieder unverhohlene Verachtung in seiner Stimme.

»Du hast gesagt, dass du auf die Insel zurückkehren willst. Wie wirst du das anstellen?«

Tane zuckte mit den Schultern. »Einige Rapanui haben hier in Papeete eigene Schoner gebaut und sind einfach fortgesegelt.«

Skepsis klang in seiner Stimme, und Aaron teilte sie: Wahrscheinlich war das nur ein Gerücht, das die Runde machte, um die Hoffnung nicht völlig zu verlieren.

»Aber wie willst du ganz allein an einen Schoner kommen?«

»Notfalls baue ich mir eben ein Kanu. Hotu Matua, der erste König der Insel, ist auch mit einem Kanu aufgebrochen.«

Aaron bezweifelte, dass Tane damit sonderlich weit kommen würde. »Es ist ein schreckliches Unrecht, was deinen Eltern zugestoßen ist«, stellte er betroffen fest.

Tane schnaubte. »Ihr Missionare predigt doch ständig, dass wir uns taufen lassen sollen. Dann wäre alles Leid nicht nur erträglich, sondern sogar sinnvoll, weil wir dann Christus nahe sind. Wie ungemein praktisch für die Plantagenbesitzer!«

Aaron konnte nachvollziehen, warum so viel Hohn und Bitterkeit in seiner Stimme lag, aber er wollte nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen, indem er selbst zu einer Beschwerde über die anderen Missionare anhub. »Nun, ich verstehe deine Sehnsucht«, lenkte er ab.

Er dachte kurz an die Heimat seiner Eltern, wo er selbst für kurze Zeit studiert hatte – das ferne England, wo das Meer grau und nicht türkis war und die Sonne nicht wärmte, sondern vom Nebel verschluckt wurde. Er konnte nicht mehr verstehen, warum er vorhin ernsthaft überlegt hatte, dorthin zurückzukehren. Was hatte er dort zu suchen, wenn er doch hier gebraucht wurde?

»Leben deine Eltern noch?«

»Nein, sie sind tot. Alle sind tot, auch meine Geschwister. Ich habe mir geschworen: Wenn ich eines Tages sterbe, dann wird das auf Rapa Nui sein.«

Aaron rang nach Worten. Er wollte etwas Tröstliches sagen, aber zugleich keine falschen Hoffnungen wecken.

Plötzlich ertönten draußen Stimmen – die mürrische des Aufsehers und die flehentliche des kleinen Jungen, der Tane eben geholfen hatte.

Aaron hatte Mühe, sie zu verstehen, Tane hingegen erhob sich. »Er will, dass ich wieder zur Arbeit komme.«

Aaron drückte ihn zurück auf die Pritsche. »Das lässt du schön bleiben. Du musst dich ausruhen.«

»Aber …«

»Keine Widerrede! Um den Aufseher kümmere ich mich.«

Etwas wie Respekt leuchtete in Tanes Augen auf und ließ Aarons Grimm wachsen. Als er nach draußen ging, war er fest entschlossen, dem Aufseher die Leviten zu lesen, doch die Sonne blendete ihn so stark, dass er ihn erst gar nicht sah. Und ehe er das Wort an ihn richten konnte, schoss etwas Dunkles auf sein Gesicht herab. Als er es als Faust erkannte, hatte die ihn schon getroffen. Wegen der Wucht des Schlags sackte er zu Boden, dann wurde es schwarz um ihn.

 

»Nicht bewegen!«

Aaron hatte das Gefühl, sein Kopf würde platzen, aber er hielt sich nicht an den Rat, sondern erhob sich und sah sich um. Sein Blick fiel auf das Kreuz an der Wand. Sie war nur aus Holz errichtet, aber stabil.

»Wie hast du es bloß geschafft, mich nach Hause zu bringen?«

Justin La Croix rieb seine Stirn mit einer brennenden Flüssigkeit ein. Wahrscheinlich hatte er eine Beule, dick wie ein Ei, doch Aaron wollte sich lieber nicht vorstellen, welchen Anblick er bot, und noch weniger, wie er sich aufrecht halten sollte, wenn diese peinigenden Kopfschmerzen nicht nachließen. Stöhnend schloss er die Augen. »Ich bin viel zu schwer für dich!«

»Du denkst doch nicht, dass ich dich selbst geschleppt habe?«, knurrte Justin. »Was für ein Glück, dass ich ein Halsabschneider bin und darum beste Beziehungen zum Gesindel habe. So konnte ich den Aufseher davon überzeugen, dass du nicht sein Feind bist, und habe außerdem ein paar Burschen gefunden, die dich heimgetragen haben. Mit wem hast du dich da bloß angelegt?«

»Wie meinst du das?«

Justin seufzte. »Warum hast du dich nicht damit begnügt, den Mann vor der Auspeitschung zu bewahren? Warum musstest du auch noch seine Wunden versorgen?«

»Hätte ich ihn denn blutend liegen lassen sollen?«

»Dann hättest du dir auf jeden Fall eine üble Beule erspart … Du hast keinen Schimmer, wem die Kokosplantage gehört, nicht wahr? Sie ist Teil von der Brander-Salmon-Kompanie.«

Wenn Aaron länger darüber nachgedacht hätte, hätte dieser Name wahrscheinlich irgendetwas in ihm zum Klingen gebracht, doch dazu tat ihm der Kopf zu weh. »Na und?«

»Sie wurde einst von John Brander und Alexander Salmon gegründet, und mittlerweile gehört sie ihren Söhnen. Sie besitzen hier jede Menge Plantagen, sind gewiefte Geschäftsmänner … und völlig skrupellos.«

»Also üble Leute mit zu viel Macht und Einfluss«, stellte Aaron grimmig fest.

»Eine schlimme Mischpoke, wenn du mich fragst. Der alte Brander war außerdem ein Spieler. Ich glaube, er hat es auch als Spiel betrachtet, wie man Polynesien am besten ausbeutet.«

Aaron sah in Justins Miene Verachtung. Auch wenn er ein Geschäftsmann war, der manchmal seinen Spaß daran hatte, andere übers Ohr zu hauen, würde er wehrlose Menschen niemals skrupellos ausbeuten.

»Das sind alles Verbrecher«, fuhr Justin fort. »Seit dem Tod vom alten Brander ist ein großer Erbschaftsstreit im Gange, ich weiß auch nicht genau, warum und wer sich daran beteiligt. Ich weiß nur, dass es besser ist, sich da rauszuhalten. Und vor allem: Bleib diesem Aufseher fern! Er konnte darüber hinwegsehen, dass du dich in seine Angelegenheit eingemischt hast. Aber dass du danach einfach nicht verschwunden bist …«

Aaron gelang es, sich erneut aufzurichten. Er hatte das Gefühl, seine Stirn würde in Flammen stehen, und zu den Kopfschmerzen gesellte sich Übelkeit, aber als Justin ihn wieder zurück aufs Bett drücken wollte, leistete er Widerstand.

»Wo ist der junge Mann? Tane?«

»Wenn er klug ist, arbeitet er wieder.«

»Aber er ist verletzt!«

»Das bist du auch. Und das bedeutet, dass du nichts für ihn tun kannst!«

Aaron leckte sich über die trockenen Lippen. »Er hat mir von seiner Heimat erzählt … der Osterinsel. Seine Eltern wurden von dort entführt, und er will unbedingt zurückkehren.«