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Die Brunzer-Truppe ist konfrontiert mit der Rossknödelmafia, die überall das Sagen hat. dazu kommt noch das Auftauchen des Ordens der Inzestierzienser, mit bestialischen Praktiken die Herrschaft an sich reißen will.
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Seitenzahl: 629
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Paul Braunsteiner
Bibliografie
Filme
Discografie
„Hören Sie sich das an, Chef: Können Sie nicht aufpassen, Signora Vongola? Sie werden womöglich noch jemanden erschlagen!“
Oberhauptkommissar Brunzer maß kurz Kollegen Hinterleckner, der ein Buch hochhielt und grinste.
„Und?“, fragte Brunzer nach einer Weile. „Hat sie?“
„Wer?“
„Na, sie! Signora Vongola.“
„Weiß ich nicht. Bin noch nicht soweit. Habe erst angefangen.“ Hinterleckner legte das Taschenbuch beiseite und suchte seine Zigaretten. „Aber spannend. Sperrmülltag in Venedig von einem gewissen Paolo Pietramarrone.“ Oberhauptkommissar Brunzer sah vom Aktenberg auf.
„Handlung?“, fragte er knapp.
„Es geht um die Rossknödelmafia, die auch bei uns kein umgeschriebenes Blatt mehr ist...“
„Ungeschriebenes, wenn schon“, unterbrach ihn Brunzer und musste husten.
„Ungeschriebenes, wie Sie sagen. Trotzdem, der Vergleich stinkt...“
„Hinkt! Wenn, dann hinkt ein Vergleich, Kollege Hinterleckner!“, verbesserte ihn Brunzer milde. „Außerdem: Von welchem Vergleich sprechen Sie?“ Hinterleckner sah Oberhauptkommissar an wie ein Zinnsoldat den Regenwald. „Dass man die Rossknödelmafia in Venedig mit der unsrigen nicht vergleichen kann. Unsere Rossknödelmafia ist viel...“
„...viel brutaler, wollten Sie sagen, nicht?“ Brunzer tippte sich mit dem Wurstfinger aufs Fleischkinn.
„Genau, Chef. Das wollte ich sagen. Dieser Vergleich hinkt, da werden Sie mir recht geben.“
„Da gebe ich Ihnen sofort recht, Lieber Kollege Hinterleckner, einen hinkenderen Vergleich könnte man nicht finden.“
„Selbst der allerhinkendste Vergleich hinkt hinter jenem hinkenden hinterher, wage ich zu behaupten. Oder wie sehen Sie das, Chef?“
Oberhauptkommissar Brunzer schloss einen kurzen Moment die Schlupflider, um sich zu sammeln. „Natürlich sehe ich das genau so wie Sie, Kollege Hinterleckner. Ich könnte das ja gar nicht anders sehen, selbst wenn ich wollte...“
Plötzlich stürzte Kollege baumlanger Rammelsbacher in das Büro wie ein Zirkuspferd in die Baugrube. „Sachen gibt es!“, stieß er zwischen zwei Zügen aus seiner bis auf die Fingerwurzeln hinuntergerauchten Fischers Echte braun hervor.
Oberhauptkommissar Brunzer spitzte die Fleischohren wie ein Karpfen in der Bratpfanne.
„Sachen gibt es...“, wiederholte Kollege baumlanger Rammelsbacher.
„...die gibt es gar nicht. Wollten Sie das sagen?“ Hinterleckner sah ihn fragend an.
„Eben das wollte ich nicht sagen, sondern, dass ich draußen über ein altes Sofa gestolpert bin, obwohl erst bekanntlich morgen Sperrmülltag ist.“
Blitzschnell wölbte sich Oberhauptkommissar Brunzers Stirnschwarte zu einem sanften Hügel. „Sperrmülltag, sagten Sie eben?“ Sein müder, stets wacher Blick suchte Hinterleckner. „Sperrmülltag: das sagt Ihnen doch etwas, nicht, Kollege Hinterleckner?“
Kollege Hinterleckners wacher, stets müder Blick hellte sich auf. „Und ob, Herr Oberhauptkommissar, und ob! Ich sage nur: Sperrmülltag in Venedig...“
Baumlanger Rammelsbacher, der zugehört hatte, hielt beim Anzünden seiner Fischers Echte braun inne und sah Hinterleckner an, als wäre der eine Feldgurke. „Sie haben gelesen?“
Hinterleckner winkte verlegen ab. „Erst angefangen, aber...“
„Dann wissen Sie noch nicht, wer der Mörder ist?“
„Nein – äh – nicht direkt.“
„Darf ich mich einschalten?“, mischte sich Oberhauptkommissar in das literarische Gespräch hinein.
„Gerne!“ Jovial deutete der baumlange Rammelsbacher Brunzer an, sich einzuschalten. „Was wollen Sie wissen? Was brennt Ihnen auf der Zunge?“ Oberhauptkommissar Brunzers Miene verdickte sich zu Stahlbeton. „Mich würde brennend interessieren, ob Sie etwas erreicht haben in Sachen Pfostler.“
„Leider, das muss ich verneinen.“ Kollege baumlanger Rammelsbacher hustete, setzte seine nächste Fischers Echte braun in Brand und sagte lapidar: „Es machte niemand auf. Auch wusste keiner im Haus, wo er sein könnte. Alle verhielten sich irgendwie ablehnend. Der direkte Nachbar nebenan war erst gar nicht zu Hause anwesend gewesen.“
Brunzers Hemd platzte aus den Nähten, als er nachdenklich versuchte, seine Hände hinter dem Kopf zu verschränken. „Das ist allerdings seltsam!...“, murmelte er und ließ das Händeverschränken sein. Dafür wuchtete er sich aus dem umfallenden Stuhl, wankte zum Fenster, sah hinunter auf die Straße und grunzte leise auf. „Da fällt doch der Papst von der Kanzel!...“
„Chef, das wollte ich doch gerade sagen: die Frau Brause ist wieder da!“, rief baumlanger Rammelsbacher vom anderen Ende des Bereitschaftsraumes. „Was?! Unsere Überwachungs-Frau Brause? Teufel noch eins...“, rief Hinterleckner und war schon bei Brunzer am Fenster. „Tatsächlich! Unsere gute alte Überwachungs-Frau Brause. Aber dünner ist sie geworden, irgendwie, kommt mir vor...“
„Das kommt Ihnen nur so vor“, stellte Brunzer fest. „Sie hat nur viel weniger an. Wenn es kälter wird, wird sie Ihnen dicker vorkommen.“
„Ja, das ist logisch“, hustete baumlanger Rammelsbacher aus seiner Qualmwolke, „sie hat nur drei Kitteln an, statt zehn, weil es heiß ist. Dadurch kommt sie einem dünner vor.“
„Danke für die Blumen, verehrter Kollege“, krächzte die Rauchwolke Hinterleckner.
„Ah, sehen Sie, sie hat das Sofa in Beschlag genommen, über das ich gestolpert bin!“ Baumlanger Rammelsbacher nickte gütig. „Recht hat sie.“
Sie sahen zu, wie es sich die Bettlerin soeben gemütlich machte.
„Möchte wissen, wo sie die ganze Zeit war...“, fragte sich der baumlange Rammelsbacher.
„Urlaub, nehme ich an“, gab Hinterleckner zur Antwort.
„Nicht so voreilig!“, meldete Brunzer berechtigte Zweifel an. „Sie war in einer Spionsschule im Ausland auf Fortbildung, ohne Zweifel!“
„Wie haben Sie das herausgefunden, Chef?“ Hinterleckners Mund verließ ein mustergültig geformter Saturnring.
„Wenn Sie den Turban von ihr unter die Lupe nehmen, dann fallen Ihnen sicher die kleinen Mikrofone und Wanzen darauf auf. Ich bin der festen Meinung, sie hört sogar, was wir hier sagen...“
„Also doch!“ Hinterleckner knallte die Faust aufs Fensterbrett, dass unten die Überwachungs-Frau Brause aufheulte wie eine Schönheitskönigin nach einer Schnitzelsemmel und sich den Turban vom Schädel riss.
„Na, was habe ich gesagt?“ Brunzer schäumte innerlich. „Wir werden überwacht! Die Agenten sind unter uns!...“
Misstrauisch, wie Brunzer stets war, äugte er die nähere Umgebung des Kommissariats aus. Da erinnerte er sich, dass Pfostler, als er den Diebstahl seines Kleppers angezeigt und geschworen hatte, den oder die Diebe nicht zu kennen, sich damit auffällig verhalten hatte. Denn: Wer macht eine Diebstahlanzeige und das Erste, was er schwört ist, den oder die Diebe nicht zu kennen? Oberhauptkommissar Brunzer ruckte herum und sann nach. Hinterleckner und baumlanger Rammelsbacher merkten sofort den plötzlichen psychotischen Umschwung im Gemüt ihres Chefs.
„Chef, einen starken Kaffee?“ Baumlanger Rammelsbacher wollte helfen.
„Der wäre die Lösung“, sagte Brunzer und latschte festen Schrittes zu seinem Stuhl und ließ sich hineinfallen. Hinterleckner und baumlanger Rammelsbacher halfen ihm vom Boden wieder hoch und ließen einen neuen Stuhl aus dem Lager kommen.
„Überlegen Sie doch einmal“, sagte Brunzer, „da stimmt doch was nicht! Das Erste, was der Pfostler sofort behauptet hatte war, er kenne auf keinen Fall den oder die Täter. Das gibt mir zu denken...“ Seine Teigtaschenwangen sanken herab und der fragende und erwartungsvolle Hähnchenblick richtete sich auf Hinterleckner und baumlangen Rammelsbacher.
„Es kann aber durchaus auch sein...“, überlegte baumlanger Rammelsbacher, „dass Pfostler – also das Diebstahlsopfer – den oder die Täter wirklich nicht kannte.“
„Andererseits“, meldete sich Hinterleckner mit erhobenem Nikotinzeigefinger, „ist auffällig – höchst auffällig – dass Pfostler, das vermeintliche Opfer, mit Deutlichkeit betonte, den oder die Täter – und das hatte er mit aller Deutlichkeit betont – nicht zu kennen! Was mir wiederum sagt, er kennt sehr wohl den oder die Täter...“
„...Was uns wiederum sagt“, warf baumlanger Rammelsbacher dazwischen, „dass der Pfostler...“
„...mit dem oder den Tätern unter einer Decke steckt!“ Oberhauptkommissar Brunzer hieb in seine Fleischhand dass die Fenster klirrten. „Der will uns wohl für dumm verkaufen!“
„Das kann er gerne haben!“, empörte sich Hinterleckner, der lässig rauchend auf der Schreibtischkante lümmelte und jetzt aufsprang. „Soll ich ihn mir vorknöpfen, Chef?“
„Ja, knöpfen wir ihn uns vor, Chef!“ Baumlanger Rammelsbacher schnippte gekonnt seinen Stummel zur Zimmerecke, wo der Papierkorb stand.
„Dämpfen Sie ordentlich aus!“, rügte ihn Brunzer, ihn missbilligend ansehend. „Dann werden wir uns den Pfostler vorknöpfen!“
Das Dienstauto, ein geräumiger Fünfsitzer, war eigentlich nicht dafür gedacht, drei Personen zu befördern, wenn eine davon Oberhauptkommissar Brunzer hieß und dementsprechend eng war es im Innenraum geworden. Vor der Nummer 16 in der Schleifmittelgasse wälzten sich Brunzer und seine Kollegen halb ohnmächtig aus dem Auto, zufällig direkt vor die Stiefel des Oberspurensicherers Major Blederer von der Spurensicherung.
„Ja, wer kommt denn da?“, waren dessen erste Worte. „Spät aber doch.“ Wie ein Schönheitschirurg sezierte er mit seinem scharfen Blick den nach Luft schöpfenden Brunzer, der sofort wusste, was los war.
„Die Freude ist ganz meinerseits“, keuchte Brunzer, sich straffend wie ein Eislutscher in der Tropfsteinhöhle. „Pfostler?“, fragte er lauernd.
„Pfostler“, entgegnete stoisch Blederer.
„Kein Irrtum?“, fragte Hinterleckner beiläufig.
„Kein Irrtum“, sagte Blederer noch beiläufiger.
„Sind Sie wirklich ganz sicher?!“, fragte baumlanger Rammelsbacher und hielt Major Blederer seine Schachtel Fischers Echte braun hin.
„Aber so was von ganz sicher“, bejahte der Major, fischte eine heraus und steckte sie an.
„Warum sind wir nicht eingeladen worden?“ Brunzer spielte den Beleidigten. „Keine Ahnung“, schnarrte Major Blederer. „Der Polizeipräsident höchst persönlich hat uns hergerufen. Da kommt schon Schtumratz – er kann Ihnen mehr sagen. Also, den Kopf nicht hängen lassen.“ Er und seine Leute gingen, Amtsarzt Schtumratz kam.
„Nun, was haben wir?“, fragte Brunzer, der voranging.
„Nun, wir haben eine männliche Leiche, 48, 1,75 groß, braune Haare, braune Augen, ovales Gesicht, keine besonderen Merkmale.“
Brunzer nickte zufrieden. Das was er sah, stimmte mit den Daten aus Pfostlers Reisepass überein.
„Ludwig Pfostler wurde in seinen eigenen vier Wänden mit dieser Reitpeitsche stranguliert...“
„Makaber!“ Hinterleckner schüttelte den Kopf. „In seinen eigenen vier Wänden stranguliert zu werden, das wünsche ich niemandem.“
„Ich mir am wenigsten“, meinte baumlanger Rammelsbacher.
„Dann sind wir uns also einig“, rekapitulierte Brunzer, „in seinen eigenen vier Wänden möchte niemand von uns stranguliert werden. Oder etwa Sie, Kollege Schtumratz? Wollen Sie in ihren eigenen vier Wänden stranguliert werden? – Ah, was haben wir denn da?“ Er zog eine Postkarte, aus den von der Spurensicherung heruntergerissenen Tapeten und den zu Kleinholz zerborstenen Einrichtungsgegenständen hervor. „Ein Familienidyll in den eigenen vier Wänden. Herr und Frau Pfostler in jungen Jahren!“
„Nein“, meinte Schtumratz. Oberhauptkommissar Brunzer stutzte.
„Was: nein?“ Brunzer musterte Schtumratz wie einen Reisauflauf während dem Wiedereintritt.
„Sie haben mich gefragt, ob ich in meinen eigenen vier Wänden stranguliert werden möchte.“
„Und, wie haben Sie sich entschieden?“ Brunzer, Hinterleckner und baumlanger Rammelsbacher warteten gespannt.
„Nein.“ Schtumratz blieb bei seiner Aussage.
„Nein? Sie haben sich nicht entschieden?!“ Oberhauptkommissar Brunzers Gefühl, der Amtsarzt spiele Katz und Maus mit ihnen, verhärtete sich zu Neutronensternmaterie.
Hinterleckner dämpfte seinen Stummel aus und sagte beiläufig: „Wenn Sie vorhaben, mit uns Katz und Maus zu spielen, dann...!“
Schtumratz wurde es nun zu bunt. „Ich habe mich dazu entschieden“, brüllte er, „dass ich nicht in meinen eigenen vier Wänden stranguliert werden möchte!“
„Mein verehrter Kollege“, lispelte Brunzer und legte Schtumratz freundschaftlich seinen Fleischarm um die Schulter. „Regen Sie sich doch nicht so auf. Es war ja nur eine Frage.“
Amtsarzt Schtumratz war ihnen auch nicht böse, er kannte ja Brunzer und die Kollegen nur zu gut. Solche brillanten Ermittler wie diese, waren halt eigene Persönlichkeiten, die oft auch Wege gingen, die einfach gestrickten Menschen abstrus vorkamen und die sie auch nicht verstanden.
„Nichts für ungut, Herr Schtumratz“, sagte Hinterleckner und legte sich eine General filterlos ins Gesicht. „Wir sind halt immer auf 180, Sie verstehen? Das nächste Mal aber, möchte ich klare Antworten, verstanden?“
Dr. Schtumratz war froh, dass er gehen durfte.
„Da sieht man wieder...“, sagte baumlanger Rammelsbacher, „wenn man nicht zeigt, dass man es ernst meint, wird man nicht ernst genommen. Ja, ja...“
„Daran krankt übrigens die Welt“, sagte Brunzer, wieder die Postkarte betrachtend. „Der Ernst des Lebens, die Metapher des Scheiterns, wenn Sie so wollen, wohnt dem Menschsein inne.“
„Des Reizes Getriebenheit bedeutet aber noch lange nicht, erfüllbar und somit erklärbar zu sein, wie Scherblbinder es ausführt.“ Hinterleckner hatte seinen Scherblbinder offenbar gelesen.
„Zielgerichtet in des Handelns Willkür, erfährt der Ernst im Sinne von manifestiertem Streben nach Drang den Anspruch, in sich selbst Befreiung erlangen zu wollen“, ließ Brunzer triumphierend verlauten. Auch er hatte seinen Scherblbinder gelesen.
„Und, welchen Ernst meinen Sie“, unterbrach baumlanger Rammelsbacher das hoch philosophische Gespräch. Er hatte Scherblbinder nicht gelesen. Oberhauptkommissar Brunzers Fleischnase hüpfte wie ein liebeskranker Tauberich vorm Kellerfenster. Scherblbinder hin oder her, hoch konzentriert betrachtete Brunzer noch einmal auf das Genaueste das Postkartenidyll. Plötzlich stieß er einen leisen Schrei aus. „Da sitzt doch der Guru im Ameisenhaufen!...“, rief er erstaunt. Als sich Hinterleckner und der baumlange Rammelsbacher zu ihm gesellten, um sich den Guru im Ameisenhaufen anzusehen, deutete Brunzer auf die Karte. „Na, was sehen Sie?“
Nach intensivstem und sorgfältigstem Studium der Postkarte fuhren plötzlich Hinterleckner und baumlanger Rammelsbacher gleichzeitig verblüfft herum.
„Da sitzt doch der Guru im Ameisenhaufen!“, entfuhr es Hinterleckner. Baumlanger Rammelsbacher sah den Guru im Ameisenhaufen zwar immer noch nicht, aber er erkannte die Überwachungs-Frau Brause hinter Herrn und Frau Pfostler an der Hauswand, wie sie Rossknödel mit einer Schaufel einsammelt.
„Chef “, sagte er ruhig, „den Guru finde ich nicht, jedoch ist unsere Überwachungs-Frau Brause dabei, Rossknödel mit einer Schaufel einzusammeln.“
„Sehr richtig, Kollege baumlanger Rammelsbacher! Sehr richtig!“ Brunzer steckte die Postkarte in die Innentasche seines hellblauen Sakkos. „Sehen wir uns um“, sagte er dann. „Hier muss irgendwo ein Beweis zu finden sein, dass die Überwachungs-Frau Brause beim Mord anwesend war – wenn sie nicht gar die Mörderin selbst ist!“
„Das werden Sie schön bleiben lassen!“ Die an einen mit Eiszapfen überladenen Haselnussstrauch im Winter erinnernde Stimme gehörte einem sehr dicken, sehr untersetzten Mann, der in einem tadellos sauberen, schwarzen Anzug steckte und sich über die Schuttberge der Pfostler-Wohnung zu Brunzer hin quälte.
„An Ihrer Stelle würde ich aufpassen, nicht staubig zu werden!“, riet ihm Brunzer amüsiert. Was will der Gockel da? Hinter dem dicken Gockel folgten ihm zwei Gestalten, ebenfalls in tadellos sauberen, schwarzen Anzügen. „He!“, schnauzte Hinterleckner die Drei an. „Das ist ein Tatort! Kollege baumlanger Rammelsbacher, schmeißen Sie den Gockel und seine Hühner raus!“
„Nun mal langsam“, stoppte der Gockel die Amtshandlung. „Wir übernehmen ab jetzt!“ Er hielt Brunzer seinen Ausweis unter die Nase und steckte ihn sofort wieder ein.
„Wer sind wir?“ Oberhauptkommissar Brunzer hatte den Blick des Bengalischen Gänseblümchenmarders aufgesetzt.
„Wenn Sie nicht wissen, wer Sie sind, dann tun Sie mir leid!“, antwortete der Gockel, unbeeindruckt. „Ich bin leitender Generalvorstand, Erster Verbindungsoffizier der Abteilung für Auswärtiges Amt zur Bekämpfung organisierter Kriminalität, Obermajor der Spezialeinheit des Ministeriums für Äußerstes, zuständig für Verfehlungen und Verbrechensbekämpfung, Abteilungsleiter der SKgWKuS, der Sonderkommission gegen Wirtschaftskriminalität und Selbstversorgung und ausgezeichnet mit dem Goldenen Staatlichen Verdienstorden für besondere Verdienste, Erster Generalsekretär des Verbandes der für Strafsachen des Bereiches Staatliche Sicherheit zuständigen Richtervereinigung VSBSSR, Generalvorsitzender der Kommission für Geldwäsche, Kapital-und Steuerhinterziehung des Bundesministeriums für Innerstes und Ehrenamtlicher Kassierer im Verein Kinder und Glücksspiel, Herr Rüdiger Schlager!“
Oberhauptkommissar Brunzer wusste nicht, wie ihm geschah. Offenbar musste er aus irgend einem Grund eingeschlafen sein, auch Hinterleckner und baumlanger Rammelsbacher lagen im Schutt und rieben sich die Augen. „Nun mal hoch!“, donnerte Schlager. „Wir sind hier nicht beim Tontaubenschießen! Sie können gehen, alles ist mit dem Präsidenten abgesprochen. Dieser Fall ist zu groß für Sie, glauben Sie mir.“
Zurück im Kommissariat, kam ihnen erst so richtig der Ernst der Lage zu Bewusstsein. Von ganz oben hatte man sie von dem Fall abgezogen! Brunzer kramte seine alte Pfeife aus dem hintersten Winkel seiner Schreibtischlade und betrachtete sie wehmütig. Hinterleckner bemerkte das sehr wohl und wartete aufmerksam aus den Augenwinkeln darauf, was sein Chef vorhatte, um sofort einschreiten zu können. Brunzer hatte nichts dergleichen vor, der Anblick seiner alten Pfeife half ihm nur beim Denken. Also, der berühmte Schlager hatte jetzt das Sagen, die Schlager-Truppe, wie die Mannschaft um Schlager genannt wurde! Aber nicht mit mir, dachte Oberhauptkommissar Brunzer, nicht mit mir!
„Chef, das lassen wir doch nicht auf uns sitzen, oder?“, knurrte Hinterleckner und sog an seiner General filterlos.
„Ich plädiere dazu, dass wir das auf keinen Fall auf uns sitzen lassen dürfen“, bekräftigte baumlanger Rammelsbacher und sog an seiner Fischers Echte braun.
„Zu Ihrer Beruhigung, liebe Kollegen, das lassen wir auf gar keinen Fall auf uns sitzen!“ stieß Brunzer hervor und sog an seiner kalten Pfeife. Dann wuchtete er sich empor. „Präsident hin oder her, so geht es nämlich nicht, wir sind auch noch da!“
„Recht so, Chef!“, brüllte baumlanger Rammelsbacher. „Was glauben die denn, wen sie vor sich haben?! Wir sind die Brunzer-Truppe! Gegen uns ist die Schlager-Truppe ein Fliegenschiss auf dem Stadionparkplatz!“
„Nun mal halblang, baumlanger Rammelsbacher, machen Sie mal halblang“, versuchte Brunzer seinen im Zimmer tobenden Kollegen zu beruhigen.
„Ja, machen Sie mal halblang, Kollege baumlanger Rammelsbacher“, sagte Hinterleckner eindringlich wie ein Hypnotiseur vor der rasenden Büffelherde. Baumlanger Rammelsbacher schnaubte noch einmal auf und wurde zahm wie eine Kaulquappe im Ziegelteich.
„Weil es wahr ist!“, rechtfertigte er seinen Ausrutscher. „Das dürfen wir nicht auf uns sitzen lassen!“
„Das werden wir auch nicht“, sagte Brunzer fest. „Und ich habe schon eine Idee!...“
Hinterleckner und baumlanger Rammelsbacher fläzten sich stilgemäß auf die Kanten ihrer Schreibtische, steckten sich einen Glimmstengel an und warteten auf die Erleuchtung.
„Als erstes holen wir uns die Überwachungs-Frau Brause hoch und quetschen sie aus – aber so, dass sie nichts merkt!“, verkündete Brunzer. „Wir werden ja sehen, wer dem Brathuhn den Rüssel stutzt!“
„Bin schon unterwegs“, rief baumlanger Rammelsbacher, ins Stiegenhaus stürmend. Von unten war wüstes Geschrei zu vernehmen und dann kam baumlanger Rammelsbacher mit der Überwachungs-Frau Brause im Würgegriff ins Zimmer gestolpert.
„Setzen!“, befahl er unwirsch. Die Überwachungs-Frau Brause setzte sich.
„Nicht da, dort!“ Baumlanger Rammelsbacher deutete auf einen anderen Stuhl. „Das da ist meiner.“
Oberhauptkommissar Brunzer musterte unauffällig die Frau mit dem Turban. Trotz der Hitze trug sie mindestens fünf Kittel übereinander. Die muss ja noch dünner sein als ich dachte, dachte Brunzer. Ihr schwarzer Bartanflug machte sie älter als sie zu sein schien.
„Nun, Gnädigste“, eröffnete Brunzer wohlwollend das Gespräch. „Wie geht es Ihnen denn so?“
„Ich mir gehen?“, fragte sie. „Wie mir gehen? Schlecht, weil da sein.“ Sie fuchtelte mit ihren dünnen Armen durch die Rauchwolken.
„Wie ist denn Ihr werter Name?“ Brunzers Frage kam honigsüß über seine Fleischlippen.
„Name?...Überwachungs-Frau Brause ich heißen.“
„Aah!“ Hinterleckner schlenderte heran. „Wollen sie uns auf den Arm nehmen?“
„Einen wunderschönen Turban haben Sie an“, lobte Brunzer. „Selbst gestrickt?“ Damit federte er Hinterleckners rüde Frage ab.
„Ja, selbst stricken – ich Zeit haben, viel Zeit. Ich stricken Turban für ganze Familie...“
„In Zukunft werden Sie so viel Zeit haben...“, zischte Hinterleckner, „dass Sie sich wünschen werden, weniger Zeit zu haben!“
Die Überwachungs-Frau Brause wich zurück. „Warum Kollege so sagen? Ich nix machen, ich sitzen und stricken Turban für...“
„...die Familie, ich weiß“, fiel ihr baumlanger Rammelsbacher dazwischen. „Darf ich?“ Er nahm ihr schnell den Turban vom Kopf, dabei fielen die darin versteckten Mikrofone und Kameras auf den Boden. Alle sahen plötzlich: Die Überwachungs-Frau Brause war ein Mann!
„In Ihrer Scheiße möchte ich jetzt nicht sitzen!“, herrschte Oberhauptkommissar Brunzer den aufgeflogenen Spion an.
„Ich haben wollen Anwalt!“, bestand Überwachungs-Herr Brause auf Rechtsbeistand. „Ich Freunde haben, sehr wichtige Freunde haben...“
„Wo waren Sie heute zwischen 9 und 11 Uhr plus minus 2 Stunden?“, fragte Brunzer süßlich.
„Ich...ich waren da, vor Haus gesessen...“
„Gibt es Zeugen?“ Hinterleckner hatte sich stilgemäß mit Zigarette im Mundwinkel vor dem aufgeflogenen Spion aufgebaut.
„Alle, die ein- und ausgegangen sind in Haus.“
„Sind Sie das auf dem Bild?“ Brunzer hatte blitzschnell die Postkarte gezogen und sie dem Spion unter die Nase gehalten.
„Ja – na und?“, erwiderte frech Überwachungs-Herr Brause.
Baumlanger Rammelsbacher, der in der Zwischenzeit den Turban näher inspiziert hatte, stieß einen Pfiff der Verwunderung aus. „Das haut doch dem Zahn die Krone ab! Sehen Sie, was ich gefunden habe!“, rief er, ein Bündel Banknoten in die Höhe haltend.
„Nicht mir gehören!“, rief händeringend Überwachungs-Herr Brause. „Mir untergeschoben, ich schwören!“
„Freunderl“, sagte Hinterleckner genervt, „woher ist die Marie?!“
„Marie? Marie?...“
„Woher ist die Kohle?“
„Kohle?...Nix heizen...“
Brunzer konnte das Dilemma nicht länger mit ansehen. „Bitte sagen Sie uns: Wer hat Ihnen so viel Geld gegeben und wofür?“
Bevor die Brunzer-Truppe mehr aus dem aufgeflogenen Spion herausholen konnte, sprang die Tür aus den Angeln und die Schlager-Truppe stand im Raum. Schlager pflanzte sich abspielbereit breitbeinig vor Brunzer auf. „Zum allerletzten Mal: Sie überschreiten Ihre Kompetenzen!“, brüllte er, dass der Holzwurm in Hinterleckners Schreibtisch einen Purzelbaum schlug. „Sie haben unseren wichtigsten Informanten auffliegen lassen, den wir in die internationale Rossknödelmafia eingeschleust hatten, die die Opernwelt weltweit unterwandert hat und mit eigenen Tenören und Harfenistinnen die Opern kontrolliert! Das Alles ist allerdings streng geheim – das geht Sie also gar nichts an!“
Oberhauptkommissar Brunzer sah auf Herrn Generalvorstand usw. Schlager herab – er überragte Schlager um gut und gerne 3 Köpfe – und sprach: „Erlauben Sie mir noch eine letzte Frage: was hat Pfostler und sein Klepper damit zu tun?“
Schlager sah zu Brunzer hoch, zog die Brauen zu einem Strich zusammen und sagte: „Pfostler hatte herausgefunden, dass der überwuzzelte Bajazzo von keinem Geringeren als von Demente Vergesso gesungen wurde und zwar in der Inszenierung von keinem Geringeren als von Friedolin Karlsteiner, derjenige, der auch die Sigurd-Arien ausgegraben und weltberühmt gemacht hat. Aber das geht Sie gar nichts an!“
„Ja und?“, fragte baumlanger Rammelsbacher scheinheilig. Er wusste, wie man jemanden die Würmer aus der Nase zieht. „Was ist mit seinem Klepper? Warum wurde er gestohlen? Das interessiert uns – übrigens: Die SigurdArien – ein Zuckerl, sage ich Ihnen! Die Szene, wo Sigurd am Lagerfeuer...“ „Kollege baumlanger Rammelsbacher, ich glaube, Sie langweilen damit Herrn Schlager“, unterbrach ihn Brunzer sanft. Das war ein Fehler.
„Für Sie immer noch leitender Generalvorstand, Erster Verbindungsoffizier der Abteilung für Auswärtiges Amt zur Bekämpfung organisierte Kriminalität, Obermajor der Spezialeinheit des Ministeriums für Äußerstes, zuständig für Verfehlungen und Verbrechensbekämpfung, Abteilungsleiter der SKgWKuS, der Sonderkommission gegen Wirtschaftskriminalität und Selbstversorgung und ausgezeichnet mit dem Goldenen Staatlichen Verdienstorden für besondere Verdienste, Erster Generalsekretär des Verbandes der für Strafsachen des Bereiches Staatliche Sicherheit zuständigen Richtervereinigung VSBSSR, Generalvorsitzender der Kommission für Geldwäsche, Kapital-und Steuerhinterziehung im Bundesministerium für Innerstes und Ehrenamtlicher Kassierer im Verein Kinder und Glücksspiel, Herr Rüdiger Schlager!...“
Verdutzt sah sich Schlager um. Oberhauptkommissar Brunzer schnarchte mit dem Oberkörper auf dem Schreibtisch liegend, Hinterleckner rieb sich die Augen. „Schon fertig?“, fragte er verschlafen und baumlanger Rammelsbacher schrie auf: „Verdammt, mein Finger!“ Es roch nach verbranntem Fingernagel. Der Überwachungs-Herr Brause hustete sich wach. Die restliche Schlager-Truppe gähnte herzhaft und rappelte sich hoch.
„Also, Abmarsch!“, herrschte Rüdiger Schlager seine Truppe an, „nehmen Sie den Überwachungs-Herrn Brause mit und lassen Sie uns verschwinden!“ Zur Brunzer-Truppe gewandt sagte er: „Der Fall Pfostler ist für Sie gestorben. Haben Sie mich verstanden?“ Damit waren sie draußen beim Tempel. „Träum ich, oder wach ich?...“, philosophierte baumlanger Rammelsbacher noch benommen. Brunzer war hellwach. „Was machen Sie da, Kollege Hinterleckner?“, fragte er interessiert und sah ihm über die Schulter, wie er an einem Ding herumlötete.
„Das, Chef “, sprudelte Hinterleckner hervor, „ist eine der Kameras vom Turban, die ich zu einem Ortungsgerät umbaue. Mit dem können wir mittels einer weiteren Kamera – auch eine vom Turban – die ich, während ich nur so getan habe, als würde ich schlafen, so umgebaut und in den Hut von einem der Schlager-Truppe versteckt hatte, dass wir jederzeit sehen können, wo sich die Schlager-Truppe aufhält! Das kann unter Umständen ganz nützlich sein, meinen Sie nicht, Chef?“
„Kollege MacHinterleckner! Sie sind ein Juwel!“ Brunzer hieb ihm sanft seine Fleischpranke von hinten auf die Schulter, dass der Lötkolben auf dem Tisch hüpfte wie ein Gummibär. „Ich sage nur: Genial! Wir wollen doch mal sehen, was sie vorhaben. Los, MacHinterleckner, schalten Sie ein.“
MacHinterleckner schaltete ein. Die Kamera zeigte aus einer Hutperspektive die Fettschulter Schlagers, der eben zum Fahrer sagte: „...Hoffentlich kommen wir nicht zu spät! Mann, drücken Sie auf die Tube, Sie lahmer Pfingstaffe!“
Hinterleckner grinste. „Haben Sie das gehört, Chef? Bei denen geht es zu wie bei den Zehnkämpfern in der Mittagspause...“
„Verdammt!“, grunzte Brunzer verhalten, „der verdammte Hut soll beim verdammten Fenster rausschauen, wir sehen ja nicht, wo sie hinfahren! Kollege Hinterleckner, können Sie mit diesem verdammten Ding dem verdammten Hut sagen, er soll beim verdammten Fenster rausschauen?“
„Klar, muss nur das verdammte Ding modifizieren ...“
„Dann modifizieren Sie es, verdammt!“ Oberhauptkommissar spürte, wie seine verdammte Geduld den verdammten Bach hinunter ging. Hinterleckners Lötkolben britzelte und das Lötzinn spritzte.
„So, fertig!“, keuchte er, „ich habe auch aus meinem soeben abgebrochenen Fingernagel und zwei 3,5/16 Senkkopfschrauben eine neurolinguale Psi-Steuerung angelötet, mit der...“
„Dann mal los!“, drängte Brunzer ungehalten wie ein Bettlägriger in der Berghütte.
„Hut, hören Sie mich? Bitte kommen!“, rief Hinterleckner in das modifizierte Hochleistungsmikrofon.
„Ja...hier Hut...“, erklang es aus dem modifizierten Hochleistungslautsprecher. „Was steht an?“
„Sehen Sie aus dem Fenster!“, befahl Hinterleckner dem Hut.
„Aus welchem?“, fragte der Hut irritiert.
„Aus irgendeinem!“ Die neurolinguale Psi-Steuerung dürfte noch nicht ganz hinhauen, da musste nachjustiert werden.
„Jetzt sehen Sie doch schon aus dem Fenster, Sie...Hut!“, brüllte Brunzer. Der Hut hatte endlich kapiert und das Bild wurde interessanter.
„Ah, die Gegend kenne ich“, meldete baumlanger Rammelsbacher. „Da bin ich in die Schule gegangen!“ Er strahlte wie ein Nerzpelzmantel in der Abendsonne. „Dort, auf der Bank, habe ich meine erste Fischers Echte braun geraucht...“
„Und? Wo ist das?“, drang Brunzer in den in Erinnerungen Schwelgenden.
„Hinter der Oper – sehen Sie, Chef, sie halten vor der Oper an!“
Der Hut lieferte ein perfektes Bild von der Menschenmenge, die sich aufgeregt vor der Oper scharte und Major Blederer von der Spurensicherung mit seinen Leuten zusah, wie diese mit schwerem Gerät den Haupteingang stürmten.
„Da ist Blederer!“, kommentierte Brunzer die Live-Übertragung. „Jetzt steigt Schlager aus, hält Blederer zurück und putzt ihn hinunter wie ein Apothekerlehrling einen Erstklassler. Das lässt sich Blederer natürlich nicht gefallen, reibt auf und streicht dem Schlager eine auf, dass der einen Handstand macht. Jetzt steigt unser Hut aus, will dem Schlager helfen, aber da kommt er zum Richtigen! Blederer montiert ihm die Ohren unters Kinn, zieht ihm die Nase bis zum Nabel lang und...das Bild ist weg!“ Oberhauptkommissar legte das modifizierte Hochleistungsmikrofon weg und trocknete sich den Schweiß von der Fleischstirne.
„Chef, an Ihnen ist ein Sportreporter verloren gegangen“, sagte Hinterleckner bewegt.
„Na ja, so was muss man können ...“ Brunzer winkte verlegen ab. „Aber anscheinend ist in der Oper etwas passiert – wir sollten uns beeilen!“ Er sah zum Durchsagelautsprecher an der Decke hoch. „Wieder hat man uns nicht informiert!“
Der Dienstwagen hielt mit quietschenden, abgefahrenen Reifen direkt vor der Oper. Brunzer zwängte sich mit seinen Kollegen aus der Kiste. Eine Menge Gaffer aller Altersgruppen und Gesellschaftsschichten standen herum. Major Blederer dürfte nicht zimperlich mit der Schlager-Truppe umgegangen sein. Schlager wurde von Sanitätern ein Kopfverband angelegt, seiner Truppe war es nicht anders ergangen, jeder sah aus wie eine Mumie kurz vorm einmauern. Ja, dem Blederer durfte niemand in die Quere kommen, auch nicht eine Schlager-Truppe!
Aus dem Inneren der Oper erklangen die vertrauten Geräusche, die entstehen, wenn die Blederer-Truppe Spuren sichert und dabei den Tatort gründlich auseinander nimmt.
Dr. Schtumratz, der zeitgleich mit der Brunzer-Truppe eingetroffen war, verfiel in gespielte Ohnmacht, denn er bekam viel zu tun. Gezählte 12 Leichen wurden gezählt, jede hatte einen Rossknödel im Maul und alle eine Reitpeitsche um den Hals verknotet.
„Unschön – äußerst unschön!“, beeilte sich Dr. Schtumratz zu sagen. Er stutzte, beugte sich über eine junge Frau, nahm ihr den Rossknödel aus dem Mund und hielt ihn Brunzer hin. „Der ist gar nicht echt!“, bemerkte er.
„Sie haben recht ...“ Brunzer war erstaunt. „Der ist aus Sägespänen, dilettantisch zusammengekleistert – da reibt sich der Knecht doch die Klaue! Kann sich die Rossknödelmafia keine echten Rossknödel leisten?“
„Wirklich, Chef, und so was nennt sich Rossknödelmafia?“ Baumlanger Rammelsbacher war von der Rossknödelmafia schwer enttäuscht. Auch der händeringende Operndirektor Julius Zinnkrug drückte seine Verachtung aus. „So ein Gesindel! Billige, falsche Rossknödel – in unserem Haus! Solche Leute hätte ich nie und nimmer herein gelassen!“
Der baumlange Rammelsbacher und Hinterleckner nahmen die Personalien der anwesenden Bühnenarbeiter, Requisiteure, Visagistinnen und Schauspieler auf, die aufgeregt durcheinander redeten, sodass Oberhauptkommissar Brunzer ein Machtwort sprechen musste.
„Hat jemand den oder die Täter gesehen, oder sind jemandem verdächtige Personen aufgefallen, die sich verdächtig benommen haben?“
„Außerdem“, sagte Hinterleckner stilsicher mit im Mundwinkel anbetonierter Zigarette, „möchten wir wissen, wer die Toten sind!“
„Fürderhin ist wichtig, wo sie sich alle zur Tatzeit aufgehalten haben!“, rundete baumlanger Rammelsbacher den Fragenkatalog ab, stilgemäß seinen Stummel vor die Füße von Operndirektor Julius Zinnkrug schnippend.
„Ich bitte Sie, ich flehe Sie an“, gestikulierte Operndirektor Zinnkrug dramaturgisch einwandfrei, „entfernen Sie erst einmal diese entsetzlichen Rossknödel – das ist ja kein Anblick!“
Die Schlager-Truppe, fachkundig verarztet, erschien zurück auf der berühmten Bildfläche, auf Krücken humpelnd, Schlager selbst im Rollstuhl. „Brunzer! Ich habe Ihnen wiederholt gesagt, sie haben bei den Ermittlungen nichts verloren!“, tobte er, dass sein Rollstuhl wackelte wie eine Saturn 5 beim Start. „Für Sie immer noch Herr Oberhauptkommissar“, machte ihn Brunzer auf den Formfehler aufmerksam. Er hatte etwas lauter sprechen müssen, da sich die Blederer-Truppe soeben über die Freitreppe in die oberen Ränge hinaufarbeitete. Schlager tobte weiter in seiner Saturn 5, die abhob.
Die Brunzer-Truppe ließ die Schlager-Truppe links liegen und nahm die Aussagen der Zeugen auf. Eine der 12 Leichen war zum Entsetzen des Operndirektors der berühmte Tenor Helgowald von Stramm-Fletzenberger. „Gütiger Gott!“, hob Julius Zinnkrug an, „welch ein Drama! Wer soll denn nun am Samstag den überwuzzelten Bajazzo singen? Verzweifelt schlug er die Hände zusammen. „Ich habe ja keine Leute mehr, die liegen alle da mit diesen schrecklichen Rossknödeln im Mund! Hier – sehen Sie – Armin Steckenschuss, die Zweitbesetzung, liegt auch hier vor unseren Füßen!“
Tatsächlich: auch Tenor Steckenschuss lag mit einem falschen Rossknödel im Mund vor ihren Füßen. Des weiteren lagen da: die Sopranistinnen Hirmgund Fludenstein und Romana Stödl, dann zwei Kulissenschieber, auch der Souffleuse Gertrude Schamnagel entfernte Amtsarzt Schtumratz die Kopie eines Rossknödels aus dem Mundraum. Die drei Visagistinnen Lublinde Olasdeia, Tarmara Marakuja und Herta Stopfinger waren auch unter den Toten. Die Kostümbildnerin Henriette Kofelmotzlinger – eine stärker gebaute Dame mit Unterbiss – lag dahin gegossen im Spuren gesicherten Schutt. Schlussendlich war da noch die Leiche des Theateragenten Volkhard Molnarditz, dessen Tod Operndirektor Zinnkrug besonders beweinte, denn dieser war – wie er gebrochen mitteilte – der Gemahl seiner Tochter Almira. Die Blederer-Truppe hatte fertig und kam die verwüstete Freitreppe herunter.
„Herr Oberhauptkommissar“, grüßte Major Blederer stilgemäß mit Zeigefinger am Kappenrand. „Oben nichts besonderes, das Übliche halt: ein Durcheinander in den Aktenschränken, zwei Mappen mit R sind in D, ein Kaffeelöffel bei den Gabeln, in einem der 4 Klos ist kein Klopapier und und und.“ „Das Übliche halt“, sagte Brunzer.
Blederer trat näher. „Schon mitgekriegt? Die Schlager-Truppe ist angereist...“ „Ja, ich habe ihre Überreste gesehen“, lächelte Brunzer.
„Ich habe Ihnen einen Gefallen getan“, lächelte Major Blederer zurück. „Eine Zeit lang haben Sie Schlager vom Hals. Man sieht sich“
„Jedenfalls besten Dank, Major, man sieht sich.“
Ein Leichenbus der Rossknödelmafia, speziell für Massenmorde, transportierte die 12 Leichen ab. Amtsarzt Schtumratz verabschiedete sich gleichfalls. „Wenn ich was Genaueres weiß, hören Sie von mir“, sagte er noch.
Das, was von der Schlager-Truppe übrig war, wurde mit dem Sanitätsfahrzeug ins Spital gekarrt.
Schlager murmelte noch was aus seinem Streckverband hervor und fuchtelte mit dem Zeigefinger herum – dem einzigen noch beweglichen Körperteil an ihm.
„So“, sagte Oberhauptkommissar Brunzer zufrieden, „nun können wir uns in Ruhe auf den Fall konzentrieren!“ Er richtete seine Glubschaugen auf Operndirektor Julius Zinnkrug. „Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?“
„Sehr wohl. Gehen wir hinauf in mein Büro.“
„Gehen Sie nach Hause, aber halten Sie sich zu unserer Verfügung“, sagte noch Hinterleckner zu den anderen Zeugen, dann folgte die Brunzer-Truppe dem Operndirektor.
Oben im Büro – beziehungsweise in dem, was davon übrig war – begann die Fragerei.
„Haben Sie eine Vermutung, wer das eventuell getan haben könnte? Haben Sie Feinde?“
Zinnkrug hob sein Doppelkinn, räusperte sich und schlug elegant die Beine übereinander. „Nicht dass ich wüsste...“
„Wollte sich vielleicht jemand an Theateragenten Molnarditz rächen, weil sich dieser Ihre Tochter geschnappt hat?“, fragte Hinterleckner offensiv.
„Also: wie kommen Sie auf so was?...“ Zinnkrug sah ihn verwirrt an wie ein Floh den Zirkusdirektor.
„Oder fühlte sich gar der Startenor Helgowald v. Stramm-Fletzenberger von Theateragent Volkhard Molnarditz übervorteilt, weil dieser der Zweitbesetzung, dem Badewannentenor Armin Steckenschuss die Hauptrolle versprochen hat?!“, traf baumlanger Rammelsbacher ins Schwarze, „und brachte er aus Rache alle um und danach strangulierte er sich selbst! War es so?“
„Heraus mit der Sprache!“, legte Hinterleckner einen Brennstab nach, dass der Meiler aufglühte wie eine Protuberanz.
Operndirektor Julius Zinnkrug spuckte bereits Blut und wimmerte leise, sodass Oberhauptkommissar Brunzer sich seiner erbarmte und es für richtig hielt, die Fesseln ein wenig zu lockern. „Verstehen Sie doch, Herr Operndirektor, wir wollen Sie nicht weichkochen. Wir machen nur unsere Arbeit. Also: was wissen Sie, was wir nicht wissen?“ Mitfühlend legte Brunzer seine Fleischhand auf des Operndirektors Arm. „Wir können Sie auch aufs Präsidium mitnehmen, aber dort werden Sie alles andere als Theaterluft schnuppern.“
Operndirektor Zinnkrug gab sich geschlagen. „Ich gebe auf. Sie haben recht! Molnarditz hatte dem Badewannentenor Steckenschuss viel Geld versprochen, wenn er den Startenor v. Stramm-Fletzenberger beiseite räumt. Molnarditz, müssen Sie wissen...“, er sah sich verstohlen um, als wollte er nicht gehört werden, „...war Mitglied der Rossknödelmafia, wurde aber von dieser fallengelassen, weil er das Geld von der Rossknödelmafia für den Auftragsmord gestohlen hatte. Dazu muss man wissen, dass es in der Rossknödel-mafia mittlerweile zwei Lager gibt: das eine verwendet echte Rossknödel und das andere falsche. Zwischen diesen ist seit Wochen ein erbitterter Streit um die Vorherrschaft entbrannt!“
„Na, sehen Sie, geht doch!“, sagte Hinterleckner freundschaftlich und bot ihm eine General filterlos an, die Operndirektor Zinnkrug dankend und mit zitternder Hand nahm.
Nur baumlanger Rammelsbacher fixierte Zinnkrug argwöhnisch. „Eines verstehe ich aber nicht...“, fing er an. „Wieso haben die Anderen dran glau
ben müssen? Die Sopranistinnen, die Visagistinnen, die Souffleuse und die zwei Kulissenschieber?“
„Gut, dass Sie das erwähnen, Kollege baumlanger Rammelsbacher. Das habe ich mich nämlich auch schon gefragt – nun?“ Brunzer hatte sich, so gut es ging 10 Zentimeter vorgebeugt und wartete gespannt wie ein Leintuch in der Präsidenten-Suite auf Antwort.
„Was weiß ich?!“, war die überraschend freche Antwort des Operndirektors. „Bin ich ein Fakir? Finden Sie die Mörder! Ich bin ruiniert, ich habe keine Leute mehr...ich kann zusperren, wenn kein Wunder passiert!“
Hinterleckner gab ihm zum Abschied seine Karte und sagte stilgerecht: „Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, rufen Sie mich an. Halten Sie sich zu unserer Verfügung.“
Im Präsidium war die Hölle ausgebrochen. Der Polizeipräsident höchstselbst rannte geladen wie ein Amokläufer nach Ladenschluss im Dienstzimmer auf und ab, die Leimgruber-Truppe – die Abteilung für Interne Sicherheit – rannte mit auf und ab, als die Brunzer-Truppe eintraf..
„Da sind Sie ja!“, polterte Polizeipräsident Jaroslav Kubitschek und blieb abrupt stehen. Auch die Leimgruber-Truppe blieb brav stehen.
„Was haben Sie sich dabei gedacht, ha? Die Schlager-Truppe so zu diskreditieren?“ Er senkte den Ton um 2 db. „Ich weiß, sie sind fuchsteufelswild, weil ich Ihnen den Fall entzogen habe“, wieder 2 db weniger, „das ist eine internationale Angelegenheit, darum ist Schlager dran – wo ist er eigentlich? War er nicht auch in der Oper?“
Brunzer setzte sich erst einmal. Seine Fleischnase bekam eine Seiteneinbuchtung und der linke Tränensack schwoll an, als fülle er sich.
„Major Blederer“, sagte er mit tiefer Befriedigung, „ein hervorragender Mann übrigens, musste ihn und seine Truppe – zu Recht – vom Tatort fernhalten.“
„Dieser Blederer!...“, knirschte Präsident Kubitschek in seinen Schnauzer. Hinterleckner sah Leimgruber lauernd an. „Und warum ist die Interne hier?“ Oberst Leimgruber, ein gestandener Mann mittleren Alters und schon seit er 20 war mit Halbglatze, spielte den Federball mit Rückhand zurück. „Weil Sie gegen die Dienstanordnung verstoßen haben und Sie deshalb ab sofort vom Außendienst suspendiert sind! Oberhauptkommissar Brunzer, Hinterleckner, baumlanger Rammelsbacher, Sie sind so lange vom Außendienst suspendiert, bis das interne Verfahren gegen Sie abgeschlossen ist!“
„Danke, Herr Präsident!“ Brunzer zuckte mit keinem Ohr. „Stehen wir unter Hausarrest?“
„Ach, kommen Sie...“, wand sich der Polizeipräsident um seine Längsachse. „Sie dürfen nicht mehr in dem Fall ermitteln, das ist alles.“ Schroff wandte er sich an Leimgruber. „Sie können gehen, die Sache ist geklärt!“
Als die Leimgruber-Truppe weg war, druckste Präsident Kubitschek eine Weile herum, dann fragte er: „Und? Haben Sie was herausgefunden?“
„Nicht viel“, antwortete Brunzer. „Nur so viel, dass die Rossknödelmafia die Nudeln in der Suppe zählt...“
„...und einige dabei ihre eigenen Brötchen backen!“, ließ Hinterleckner den Präsidenten aufhorchen.
„Doch wir werden denen den Braten so versalzen, dass sie sich wünschen, den Teig lieber nicht geknetet zu haben!“ Auch baumlanger Rammelsbacher steuerte zum Menü etwas bei.
Polizeipräsident Kubitschek sah aus, als hätte er ein Paar halbgare Froschschenkel verschluckt. „Sind wir hier in einem Kochkurs?“, stieß er hochrot hervor. „Brunzer...was ist hier los?“
Brunzer beruhigte ihn. „Was regen Sie sich auf? Sie sitzen im Trockenen.“ Kubitschek sah seine Füße an, ob das auch stimmte. Es stimmte.
„ Brunzer, ich warne Sie!“, fing er wieder von vorne an: „Was haben Sie herausgefunden?“
„Eine andere Frage...“, sagte im Gegenzug Brunzer gedehnt, ihm kam aus irgendeinem Grund das Interesse Kubitscheks spanisch vor. „Warum hat man uns wegen dem Pfostler nicht informiert und waren Sie das, der den Schlager aufs Tapet gebracht hat?“, lenkte Brunzer ab.
Kubitschek sah zum imaginären Himmel hoch. „Natürlich nicht! Glauben Sie, ich will die Schlager-Truppe hier haben – und dazu den Leimgruber? Was den Pfostler betrifft, hat das Leimgruber angeordnet.“
„Also so steckt der Besen im Grab...“, knurrte Hinterleckner und nahm stilgemäß auf der Schreibtischkante Platz, die General filterlos im Mundwinkel. „Verflucht noch eins...“
„Ja“, nickte Kubitschek und drehte sich zu Brunzer. „Brunzer...“, sagte er in einem Ton, als wäre Brunzer sein Dackel. „Sie kennen mich ja. Ich lasse Sie hiermit geheim weiter ermitteln! Wenn jedoch Sie und Ihre Männer auffliegen sollten, muss ich sagen, dass ich Sie nicht kenne und nie gekannt habe. Einverstanden?“
„Danke, Herr Präsident!“ Brunzer sah zu Kubitschek hoch, als bekäme er gleich einen Knochen von seinem Herrl. „Auch wir kennen Sie nicht, wenn Sie auffliegen sollten“, hechelte er.
„Sie können sich auch auf mich verlassen, Herr Präsident“, schwor baumlanger Rammelsbacher hoch und heilig, „ich werde Sie ebenfalls – wenn wir auffliegen sollten – nicht kennen.“
„Entschuldigen Sie – kenne ich Sie?“ Hinterleckner sah den Präsidenten an, als wäre dieser ein Marsmensch unterm Birnbaum.
Oberhauptkommissar Brunzer holte tief Luft und musste husten. Wenig Luft, viel Qualm.
„Die Sache sieht so aus“, begann Brunzer dem Polizeipräsidenten die Sache klar zu machen. „Die Rossknödelmafia hatte, wie gesagt, bei dem Massenmord in der Oper die Hände im Spiel. Die 12 Personen wurden mit einer Reitpeitsche stranguliert und es wurde ihnen ein Rossknödel in den Mund gestopft, aber ein falscher, wohlgemerkt, aus Sägespänen...“
„Nein!...“ Kubitschek tat, als könne er es nicht glauben. „Hat die Rossknödelmafia keine echten mehr?“, fragte er nachdenklich, „...gut: die Pferde werden immer weniger...“
„Nichts desto weniger“, erörterte Brunzer die Lage weiter, „hatte laut Operndirektor Zinnkrug der Theateragent Molnarditz dem Badewannentenor Steckenschuss eine schöne Summe versprochen, wenn dieser den Startenor Helgowald v. Stramm-Fletzenberger aus dem Weg räumt...“ Gebannt hing Kubitschek an Brunzers Lippen.
„Molnarditz war...“, ergänzte nahtlos Hinterleckner, „Mitglied der Rossknödelmafia, fiel jedoch bei ihr in Ungnade, weil er das Geld für den Auftragsmord eben von der Rossknödelmafia gestohlen hatte...“ Nun hing Kubitschek an Hinterleckners Lippen.
„Dazu ist zu sagen...“, beendete baumlanger Rammelsbacher die Ausführung, „...dass es innerhalb der Rossknödelmafia mittlerweile ein Lager gibt, das den Mordopfern falsche Rossknödel ins Maul steckt, was Puristen der Rossknödelmafia zu Recht empört, meine ich.“
Kubitschek löste sich von den Lippen des baumlangen Rammelsbacher. „Ja, meine ich auch!“, seufzte er. „Das geht gar nicht! Praktisch ist das gesamte Ensemble ausgerottet, verstehe ich das richtig?“ Polizeipräsident Kubitschek straffte seinen Oberkörper, dass die Rippen krachten.
„Kann man sagen“, sagte ein gefasster Brunzer. Ihm gefiel nicht, wie Kubitschek seinen Oberkörper so derart straffte, dass die Rippen krachen mussten.„Praktisch das gesamte Ensemble“, setzte er fort, „wir können es mit Fug und Recht bestätigen, ist ausgerottet – oder nicht, Kollegen?“
„Leider“, meldete sich ein geknickter Hinterleckner zu Wort, „muss ich Oberhauptkommissar Brunzer recht geben: das komplette Ensemble wurde regelrecht ausgerottet...“
„Auch ich...“, sagte baumlanger Rammelsbacher erzürnt, „kann nur bestätigen, was Oberhauptkommissar Brunzer und mein Kollege Hinterleckner eben erwähnten: das ganze hervorragende, einzigartige Ensemble – Sie entschuldigen, aber es muss heraus – wurde ausgerottet!“
Die eingelegte Schweigeminute verflog wie im Flug
„Unser Pfostler hatte herausgefunden...“, ergänzte Brunzer dann, „dass der überwuzzelte Bajazzo von keinem Geringeren als von Startenor Helgowald v. Stramm-Fletzenberger gesungen und von keinem Geringeren als von Friedolin Karlsteiner inszeniert werden wird.“
„Ja, Karlsteiner ist ein Titan!...“, kam da Polizeipräsident Kubitschek ins Schwärmen wie ein Sack Heuschrecken. „Die Karlsteinersche Interpretation der Burgentrilogie mit den Sigurd-Arien sind weltberühmt! Und sein Bodo erst, ein Gedicht!“
„Pfostler – höchst wahrscheinlich selbst ein Mitglied der Rossknödelmafia...“, überging Brunzer Kubitschek ungerührt, „...dürfte sich über diese Besetzung maßlos aufgeregt haben, wahrscheinlich hatte er erwartet, dass Operndirektor Zinnkrug Demente Vergesso, den italienischen Star an die Oper holt. Pfostler rastete also komplett aus, er sah quasi rot, der Lärm rief seine Kumpanen auf den Plan, Pfostler wollte sich nicht und nicht beruhigen, also strangulierten sie ihn mit seiner Reitpeitsche und um den Verdacht nicht auf die Rossknödelmafia zu lenken, stahlen sie seinen Klepper!“ Brunzer war über sich selbst überrascht, wie astrein er den Tathergang herausrekonstruiert hatte. Hinterleckner und baumlanger Rammelsbacher nickten anerkennend. Ja, das war Brunzer!
Der Präsident rieb sich den Schädel. „Meine Hochachtung, wie Sie so spontan eine dermaßen abgefahrene Schauergeschichte zu erfinden imstande sind – alle Achtung!“
Brunzer richtete sich wiedererstarkt auf.
„Herr Präsident“, rief er mit scheinbar wiedergefundenem Elan in den Raum, „ich schwöre, dass wir den oder die Täter fassen werden! So, jetzt müssen wir aber arbeiten! Sie entschuldigen uns.“ Das war für Polizeipräsident Jaroslav Kubitschek der Startschuss, um zu verschwinden.
Bei der anschließenden Lagebesprechung wurde Hinterleckner plötzlich nachdenklich.
„Mir ist, als ich gerade den Mord an Pfostler mit denen in der Oper im Geiste verglichen habe, etwas Merkwürdiges aufgefallen ...“
„Da sind Sie nicht alleine, Kollege Hinterleckner!“, rief Brunzer. „Unser Kollege baumlanger Rammelsbacher wird uns gleich sagen, was auch ihm selbst daran aufgefallen ist – oder?“
„Ach, wenn Sie das meinen!“ Fast desinteressiert meldete sich baumlanger Rammelsbacher von seiner Schreibtischkante. „Der Pfostler hatte keinen Rossknödel im Gesicht, stimmts?“
„Genau!“, krächzte Brunzer, hustete sich frei und nahm ein Schlücklein aus seiner Kaffeetasse. „Der Pfostler hatte keinen Rossknödel im Gesicht. Das ist, im Ganzen betrachtet, höchst merkwürdig...und der Kubitschek auch! Da stimmt was nicht...“
„Meine ich auch“, sagte Hinterleckner. „Jeder der von der Rossknödelmafia Ermordeten hatte ohne Ausnahme einen Rossknödel im Mund gehabt. Warum die Rossknödelmafia überhaupt zu Rossknödeln greift, weiß niemand – das ist halt ihr Markenzeichen. Das sagt mir – und bitte korrigieren Sie mich, Chef – dass Pfostler nicht von der Rossknödelmafia um die Ecke gebracht wurde!“ Siegessicher riss er eine neue Packung General filterlos auf.
„Dass aber nun falsche Rossknödel aufgetaucht sind,...passt auch nicht ins Bild...“
Brunzer befühlte den Höcker, der in seinen jungen Jahren die Nasenspitze gewesen war. „Ich bin mir sicher, wir sind auf dem Holzweg!“ Spontan wie ein Rüsselkäfer warf Oberhauptkommissar Brunzer den Vorwärtsgang ein, katapultierte sich in die Vertikale und brummte: „Mit dem Präsidenten stimmt was nicht...das spüre ich im Schienbein.“
„Sie auch?“, sagte Hinterleckner aufatmend. „Seine dauernde Fragerei, ob wir was herausgefunden haben...als ob er was Bestimmtes hören wollte.“
„Sie sagen es!“, stimmte Brunzer ihm zu. “Jetzt aber nehmen wir uns nochmal den Zinnkrug vor. Der weiß was, was wir nicht wissen!“
„Wir nehmen ihn auseinander, dass er die Meisen im Bau singen hört!“, stieß baumlanger Rammelsbacher hervor und wusste nicht, was er zuerst machen sollte: Ausdämpfen oder anzünden.
Hinterleckner warf schon seinen hellen Anorak über, da rollte plötzlich Schlager durch die aufgerissene Tür, zog die Handbremse – allerdings zu spät – und wurde einzig und alleine von Oberhauptkommissar Brunzers Lebendgewicht davon aufgehalten, die Tischkante zu küssen. Wutentbrannt kroch Schlager aus dem Rollstuhlwrack und brüllte: „Sie kommen mir nicht mehr in die Quere, dafür werde ich sorgen!“
„Ich habe Ihnen die Arbeit abgenommen, fürchte ich“, bedauerte Brunzer. „Ich muss Sie bitten, wenn Sie gehen, Ihren Mist mitzunehmen.“ Schlager mutierte sich zum Säugling zurück und warf rasend vor Wut mit dem Sperrmüll um sich.
Baumlanger Rammelsbacher bot ihm vor dem Hinausgehen noch an, ein Fläschchen zu machen, was Schlager jedoch ablehnte.
In der Großbaustelle Oper war Operndirektor Zinnkrug nicht sofort aufzutreiben. Erst im Schuttberg früheres Direktorenzimmer sahen sie Zinnkrug sitzen, der gerade der Rossknödelmafia und Major Blederer die Krokodilruhr an den Hals wünschte.
„Da sind Sie ja!“, munterte Brunzer den Haufen Elend auf. „Wir dachten schon, wir kommen zu spät.“
„Wie meinen Sie das?“ Zinnkrug wischte sich eine Krokodilsträne aus seinem Gesichtsstaub. „Wollen Sie sich über mich lustig machen?“
„Hätten wir Grund dazu?“, fragte Brunzer todernst. „Wir hätten nur noch ein paar Fragen an Sie.“
„Welche?“
„Wir fragen, Sie antworten!“, erklärte Hinterleckner die Spielregeln.
„Herr Zinnkrug: wann sind Sie heute in der Oper eingetroffen?“, fragte Brunzer rundheraus.
Zinnkrug dachte nach. „So um 8 herum, in etwa.“
„Geht es genauer?“, wollte Hinterleckner wissen.
„Um 4 vor 8!“, kam die Antwort Zinnkrugs.
„Sind Sie sicher?!“, hakte der baumlange Rammelsbacher nach.
„Nein.“ Zinnkrug sagte die Wahrheit.
„So kommen wir nicht weiter.“ Oberhauptkommissar Brunzer nahm Zinn
krug ins Visier. „Was haben Sie vorher gemacht?“
„Um halb 6 bin ich aufgestanden.“
„Gut. Und dann?“ Brunzer wartete.
„Dann habe ich gefrühstückt.“
Baumlanger Rammelsbacher musste über die Leiche eines güldenen Kandelabers steigen, um Zinnkrug in die verweinten Augen sehen zu können.
„Und dann?“, fragte er ihn.
„...dann setzte ich mich ins Auto...“
„Und dann?“
„Dann traf ich in der Oper ein, sah die Bescherung und musste mich setzen.“
„Und dann?“, ließ baumlanger Rammelsbacher nicht locker.
„Dann kamen Sie...“
„Und dann?“
„Jetzt sitze ich da und beantworte Ihre Fragen.“
„Und dann?“
„Dann werde ich nach Hause fahren und mich betrinken.“
„Und dann?!“
„Lassen Sie es gut sein, Kollege baumlanger Rammelsbacher“, setzte Brunzer ein Zeichen. „Sie sehen ja, der Herr Operndirektor ist unpässlich und möchte nach Hause.“ Zum Herrn Operndirektor sagte er: „Aber halten Sie sich zu unserer Verfügung!“
Herr Operndirektor Zinnkrug schlurfte dankbar wie ein Lagerarbeiter im Weinkeller aus dem Direktorenzimmerschutt.
„Zum alten Ölschinken!...“, ärgerte sich Brunzer, „Er verschweigt uns etwas...“
„Dann holen wir ihn uns zurück und bearbeiten ihn, bis er Funken schlägt!“, schlug Hinterleckner vor.
„Nein.“ Brunzer hatte eine bessere Idee. „Wir müssen die Rossknödelmafia von innen her aufrollen. Dazu muss sich einer von uns in die Rossknödelmafia einschleusen! Nur so erfahren wir, was vor sich geht!...Und derjenige werde ich sein...“
„Sie, Chef? Sie wollen einen Rossknödelmafioso spielen?!“ Hinterleckner war dagegen.
„Gerade deshalb, lieber Kollege Hinterleckner, gerade deshalb. Eben weil mich jeder kennt, gebe ich mich als Ritter der Rossknödelmafia aus. Mit diesem Rang wird mir Tür und Tor offenstehen. Verstehen Sie?“ Hinterleckner verstand nicht ganz, hustete verhalten und besah sich seinen Chef von allen Seiten. „Ja...“, meinte er dann, „das könnte durchaus gehen, einen Oberlippenbart, warme Socken, ein legeres Beinkleid und etwas Stallgeruch – was sagen Sie, Kollege baumlanger Rammelsbacher?“
Kollege baumlanger Rammelsbacher besah sich seinen Chef von allen Seiten und meinte: „Durchaus, Kollege Hinterleckner, durchaus. Die Haartolle nicht vergessen, Reiterstiefel und eine Reitpeitsche ...und Chef, ich würde Ihnen empfehlen, sich durchaus hin und wieder ein Pfeifchen zu gönnen – oder Kollege Hinterleckner?“
„Durchaus, Kollege baumlanger Rammelsbacher.“ Oberhauptkommissar Brunzer fand auch, dass das eine gute Idee war und kramte schon seine geliebte Pfeife aus der Rocktasche hervor und tat so als paffe er. „Muss üben. Tut gut“, sagte er knapp. „Also gut“, entschied er, „fahren wir einkaufen, ich muss mich auf meinen Auftritt vorbereiten.“
Nach ein paar eingezogenen Erkundigungen wurde ihnen die Maßschneiderei Kleberer in der Füllschichtgasse empfohlen, das Geschäft, wo der Rossknödelmafioso höheren Ranges seine Uniform maßgeschneidert bekam. Ein legeres Beinkleid und Reiterstiefeln in des Oberhauptkommissar Brunzers Höhe und Breite von der Stange zu erstehen war schwierig, aber nicht unmöglich gewesen. Die Haartolle – in schwarz – machte Brunzer um einiges jünger und mit der Reitpeitsche in der Fleischhand sah er wie ein echter Rossknödelmafia-Ritter aus. Den gewünschten Stallgeruch hatte er von Natur aus.
„Stellts die Ross in Stall!“, wurde ihm vom Verkaufspersonal ehrfürchtig beim Hinausgehen hinterher gerufen.
Zurück im Kommissariat suchten sie die Adressen der Rossknödelmafia-Versammlungslokale herraus. Das nächste war in der Vollbadgasse. Oberhauptkommissar Brunzer warf sich in die Rossknödelmafiaschale und kaum saß die Haartolle an ihrem Platz, kamen zwei Damen bei der Türe hereingestürmt, und machten einen Aufstand.
„Wer von ihnen ist Oberhauptkommissar Brunzer?!“, zischte die wesentlich Ältere.
„Wo ist mein Vater?!“, zischte die wesentlich Jüngere.
Rossknödelmafiaritter Brunzer taxierte die Beiden und ließ seine Reitpeitsche knallen.
„Ich bin Ritter der Rossknödelmafiatafelrunde und Oberhauptkommissar Brunzer“, gab Brunzer Auskunft. „Wer sind Sie?“, fragte er unwirsch.
Die wesentlich Ältere musste sich schon räuspern, die wesentlich Jüngere schon husten.
„Ich bin Frau Hildegard Zinnkrug und das ist meine Tochter Almira“, antwortete kleinlaut Frau Operndirektor Zinnkrug. Ihr und Almira fiel das Herz in den Schlüpfer – Oberhauptkommissar Brunzer, ein Ritter! Brunzers Reitpeitsche schnalzte. „Wieso glauben Sie, der Operndirektor sei hier?“
„In der Oper ist er nicht. Wir dachten...“
„Gehen Sie nach Hause, Herr Zinnkrug wird schon auftauchen.“ tröstete baumlanger Rammelsbacher die Damen und öffnete ihnen die Tür. Mit einem „Stellts die Ross in Stall“ auf den Lippen gingen sie von dannen.
Oberhauptkommissar Brunzer wurde in seinem Aufzug beim Gang durch die Stadt von allen Leuten gegrüßt, indem sie mit dem Finger an ihre Wange tippten, den Ellenbogen dazu weg streckten und „Stellts die Ross in Stall!“ riefen. Brunzer war verblüfft, wie viele es waren, jeder Zweite im Durchschnitt. Als Antwort schnalzte er – so schrieb es die Vorschrift vor – mit der Reitgerte.
In der Vollbadgasse fand er das gesuchte Haus auf Anhieb, denn davor stand eine Traube Menschen und grüßte. Dazu muss gesagt werden, dass Leibesfülle als ein Statussymbol für Respekt und Loyalität angesehen wurde und Brunzer dadurch einen Zusatzbonus bekam.
„Stellts die Ross in Stall!“, riefen alle Rossknödelmafiosi unisono, als Brunzer heran spaziert kam und die Peitsche schnalzen ließ. Sogleich wurde er ehrfürchtig umringt.
„Bist ein Auswärtiger?“ Der Fragende war ein Zwerg gegen Brunzer.
„Nein“, gab sich Brunzer wortkarg.
„Bist ein Reitmeister?“, gab der Zwerg nicht nach.
„Kerl!“, herrschte ihn Brunzer an. Hat er keine Augen im Kopf?!“ Brunzer pokerte hoch. Der Zwerg rieb sich die Linsen. „Was?...Ein Ritter!“ Der Zwerg wurde um einen Kopf kleiner. „Ein Ritter ist er“, verkündete er der Rossknödelmafiositraube.
„Was? Ein Ritter?“, fragte die Traube ungläubig.
„Ja, ein Ritter!“
„Das gibts ja nicht! Noch nie war a Ritter bei uns ...stellts die Ross in Stall!“, begrüßte die Traube standesgemäß Ritter Brunzer.
„Und Zinnkrug, der ist doch auch einer?“, fragte Brunzer ins Blaue hinein weil er wissen wollte, ob die Traube Zinnkrug kannte und auch, ob Zinnkrug tatsächlich einer von ihnen war.
„Ja schon, aber der lässt sich nie blicken“, sagte ein Lulatsch aus der Traube.
Aha, dachte Brunzer, Zinnkrug ist tatsächlich auch einer!
„Haben Sie das von der Schlager-Truppe gehört?“, fragte der Lulatsch plötzlich.
„Nein, was ist mit dem Schlager?“ Brunzer stellte sich dumm.
„Den hat der Blederer eingefasst, dass die Gipser nicht nachkommen sind und dann hat ihn der Brunzer anrennen lassen, dass er leicht 14 Tage im Koma liegen wird.“ Die Schadenfreude war ihm in die Visage geschrieben. „Wir haben nichts mit den Morden in der Oper zu tun!“, sagte der Lulatsch auf einmal. „So was würden wir nie machen, den Leichen falsche Rossknödel ins Maul stopfen!“ Es ging ihm der Lüfter, weil er ein so hohes Vieh von einen Ritter vor sich hatte.
„Nie, so was geht gar nicht!“, ereiferte sich die Traube. „Das war die Kellerer-Truppe. Ganz sicher.“
Brunzer, nun hellhörig, hatte von einer Kellerer-Truppe noch nie gehört. Dürfte relativ neu sein. Er setzte seine ernsteste Ritter-Miene auf.
„Die Ober-Ritter sind wegen der Sache ganz schön angestunken!“, versuchte Brunzer der Traube Angst einzujagen. „Sie haben mich hergeschickt, um aufzuräumen! Wo finde ich diesen Kellerer?“, fragte er barsch.
„Herr Dr. Dr. Dr. Ing. Rossknödelmafia-Univ. Prof. Sektionschef a. D. Prälat u. Rossknödelmafia-Parlamentsabgeordneter i. R. Wolfram Kellerer wohnt am Säuselbergplatz 1...“, beeilte sich der Lulatsch zu sagen. „Endlich räumt einer mit denen auf und steckt ihnen selber ihre falschen Rossknödel ins Maul!“
„Dann werde ich mal!“, maulte Brunzer, ließ die Peitsche schnalzen, dass der Lulatsch und die Traube zusammenzuckten wie ein Rudel Hirtenhunde beim Böllerschießen, dann warf er sein Lebendgewicht nach vorne und stiefelte von dannen. „Stellts die Ross in Stall!“, riefen ihm alle noch ehrfürchtig nach.
Ritter der Rossknödelmafiatafelrunde Oberhauptkommissar Brunzer holte in einer Einfahrt sein Telefon raus.
„Hier ist der Anschluss von den Fürbittern der Marienhöhle zum Hl. Servicius“, meldete sich die Stimme vom baumlangen Rammelsbacher, „was kann ich für Sie tun?“
„Ritter der Rossknödelmafiatafelrunde Brunzer hier...“
„Ah, Sie sind es, Chef...“
„Sie und Kollege Hinterleckner müssen mir den Rücken decken...“
„Und wie sollen wir das machen?“, erschrak baumlanger Rammelsbacher. Brunzers 3 Meter breiter Rücken jagte dem baumlangen Rammelsbacher schon so Angst ein, wie soll den einer decken?! Mit Spanplatten, Matratzen?
„Denken Sie nach, Kollege baumlanger Rammelsbacher!“
Ein kurzer Schnalzer aus der Muschel und Kollege baumlanger Rammelsbacher dachte nach.
„Verstehe, Chef. Wir sollen uns als Rossknödelmafiosi verkleiden und zu Ihnen kommen, weil wir Ihnen den Rücken decken sollen!“
„Ganz genau! In 1 Stunde, Säuselbergplatz 1!“
Brunzer wollte die Zeit nützen, etwas für sein leibliches Wohl zu tun. Die Gastwirtschaft an der Ecke des Säuselbergplatzes, direkt der Nr. 1 gegenüber, bot sich wunderbar dazu an.
Die geräumige Wirtsstube, ganz mit sündteurem Wubilanga-Tropenholz ausgekleidet, war gut besucht und als Ritter der Rossknödelmafiatafelrunde Brunzer eintrat, sprangen alle plötzlich hoch wie die Preiselbeeren aus dem Toaster und schrien unisono: „Stellts die Ross in Stall!“
Brunzer schnalzte gekonnt mit seiner Peitsche. Ja sag du mir, dachte Brunzer, war die ganze Stadt bei der Rossknödelmafia? Und nur er und seine Kollegen nicht? Kurz dachte er nach, ob er nicht selbst vielleicht auch dabei war und es nur vergessen hatte?...
Der Wirt, ein Reitmeister vierten Grades – also knapp vor dem 2. Unter-Ritter – servierte Brunzer seine Lieblingsspeise, Schweinssülzchen, das, wie Brunzer 2 Bissen später fand, das allerbeste war, das er jemals genießen durfte. Ein Pfeifchen nachher wäre die Krönung, also riss er das Streichhölzchen an und setzte den Tabak in Brand. Dazu sollte erwähnt werden, dass Pfeifen rauchende Ritter in der Hierarchie der Rossknödelmafia als besonders hochgestellt galten und ihnen allergrößter Respekt zustand. Brunzer brauchte natürlich auch nicht zu bezahlen. Ein schneidiges „Stellts die Ross in Stall!“ begleitete ihn hinaus. Als aber doch wenig später Rauch aus der Wirtshaustür und den Fenstern drang und sämtliche Rossknödelmafiosi hustend ins Freie stoben, kamen wie gerufen Feuerwehr und Rettung herangerast und leiteten alle hinter die Absperrungen, um die Löschmannschaften und Aufräumarbeiten nicht zu behindern. Natürlich brandete ein vielstimmiges „Stellts die Ross in Stall!“ auf, als sich herumgesprochen hatte, Ritter der Rossknödelmafiatafelrunde Brunzer sei anwesend. Dieser bedankte sich standesgemäß mit mehrmaligem Schnalzen der Reitpeitsche.
„Stellts die Ross in Stall!“, brüllte plötzlich wer hinter Brunzer, Es waren der 4. Vorstadt-Reitmeister Hinterleckner und Reitmeister in Vorbereitung, baumlanger Rammelsbacher.
„Wir sind es, Chef “, raunte baumlanger Rammelsbacher, der das Treiben beobachtete und schloss sofort: „Waren Sie das?“
„Stört es Sie?“, fragte Brunzer und ließ die Peitsche knallen.
„Nicht im geringsten.“ Reitmeister i. V. baumlanger Rammelsbacher, stellte sich vor Brunzer und drehte sich wie ein Model mit Oberschenkelhalsbruch um die eigene Achse.
„Na, was sagen Sie, Chef.“
Er trug halblanges Haar, einen grauen Vollbart bis zum Nabel, die pinkfarbene Knopfweste der Reitmeister i. V., dazu das obligatorische legere Beinkleid und den groben Rossknödelsammelbeutel – ein Überbleibsel der Standestracht aus vortestamentarischer Zeit.
Hinterleckner musste natürlich auch posen. Er hatte sich den Kopf rasieren müssen und trug darüber die hellgrüne Vorstadt-Reitmeistermütze mit der gestrickten Rossknödeldolde. Der ebenso für einen Vorstadt-Reitmeister erforderliche grobe Rossknödelsammelbeutel hing vorm Bauch, den ein hellgelber, knielanger Rock umschloss. Er durfte mit seinem Rang schon eine Reitpeitsche tragen, obzwar nur die kurze, die er auch sogleich zückte und mit ihrem charakteristischen hellen Knall erreichte, dass ein gaffender junger Stallbursche, der ihm zu nahe gekommen war, erschrocken zurück zuckte. „Chef, was machen wir hier?“ Hinterleckners Rossknödeldolde vollführte einen Eiertanz.
„Ich hatte erfahren“, klärte Brunzer auf, „dass ein gewisser Wolfram Kellerer für die Opernmorde zuständig war und dieser wohnt auf Nr. 1. Dem werden wir jetzt einen Besuch abstatten.“ Ritter Brunzer von der Rossknödelvogelweide erhob seinen Astralkörper und schnalzte mit der Gerte. Alle Bauarbeiter und Feuerwehrleute standen Habt acht und brüllten: „Stellts die Ross in Stall!“ 4. Vorstadt-Reitmeister Hinterleckner schnalzte hell hinterher. Er durfte schon. Baumlanger Rammelsbacher durfte nicht, aber stieg sich dafür beim Weggehen auf seinen Vollbart, dass er aufjaulte wie ein Katamaran im Stausee beim Wendemanöver.
Das hochherrschaftliche Eckhaus Säuselbergplatz 1 zeugte von reichlich Kohle im Silo. Herr Dr. Dr. Dr. Ing. Univ. Prof. Sektionschef a. D. Prälat u. Rossknödelmafiaparlamentsabgeordneter i. R. Wolfram Kellerer konnte sich immerhin ein Vorgartl mit 40 Mammutbäumen leisten. Brunzer und Hinterleckner ließen ihre Peitschen schnalzen, dass den Eichhörnchen die Haare ausgingen.
„Ja?!“, kam es autoritär schnarrend aus der Gegensprechanlage.
„Aufmachen! Hier ist Ritter Brunzer mit Reitmeister in Vorbereitung, baumlanger Rammelsbacher und 4. Vorstadt-Reitmeister Hinterleckner!“ Brunzer richtete sich rasch die verrutschte Haartolle zurecht, trommelte unwirsch gegen das schmiedeeiserne Protzprunkprahlstahlrohrtor und Hinterleckners kurze Reitpeitsche schnalzte im Takt mit. Das erzeugte Eindruck, das Tor schwang auf.
Die Haustür aus edelstem Buaramali-Tropenholz, dessen Baum nur in den Sümpfen des abgelegenen Walimarisees heimisch ist, öffnete ein mittelgroßer Seidenschlafrock mit einem feisten, hochroten Gesicht, in dem unter buschigen Brauen stechende Knopfaugen blitzten.
„Was will ein...ein Ritter von mir?“, stotterte der Schlafrock. Der Schlafrock
– das sah man an den aufgestickten drei Rossknödeln am Revers – hatte den Rang eines Unter-Ritters.
„Hergestellt, kann Er nicht grüßen?!“, fuhr ihn Brunzer an und schnalzte. Hinterleckner auch. Der Kater vom Schlafrock verfing sich sofort im Bart vom baumlangen Rammelsbacher und musste vorerst einmal umständlich herausoperiert werden – nachdem der Schlafrock standesgemäß „Stellts die Ross in Stall!“ gerufen, mit dem Finger auf die Wange getippt und dabei den Ellbogen zur Seite getreckt hatte. Kellerer schwor bei allem was ihm heilig war, dass die Morde in der Oper nicht auf sein Konto gingen und er gab auch zu, die Sache mit den falschen Rossknödeln eingeführt zu haben, da echte immer schwieriger zu beschaffen seien und außerdem auch umweltfreundlicher wären. Das ließ die Ritter-Truppe gnädig gelten, musste aber mehrmals die Peitschen sprechen lassen, was auch Kellerer gnädig gelten ließ. Die Ritter Brunzer-Truppe wurde zum Abschied mit einem kräftigen „Stellts die Ross in Stall!“ vom reuigen Unter-Ritter Wolfram Kellerer entlassen.
Der Weg zurück zum Kommissariat war ein Spießrutenlauf der Ehrerbietung. Die Stadt hallte wider von den nicht enden wollenden „Stellts die Ross in Stall!“ Grüßen und selbst der Überwachungs-Herr Brause, der zu Brunzers Verblüffung wieder seinen Posten bezogen hatte, brüllte „Stellts die Ross in Stall!“, als Ritter Brunzer von der Rossknödelmafiavondervogelweide mit seinen Mannen das Kommissariat betraten. Oberpolizeimafiapräsident Kubitscheks Nüstern blähten sich auf wie zwei Kugelfische in der Gemüsebrühe, als er die drei hochrangigen Rossknödelpolizeimafiosi in der Türe gewahrte. „Stellts die Ross in Stall!“, schmetterte er und zog den Schwanz ein wie eine beim Hänseln ertappte Gretel.
Auch der, dachte sich Brunzer und schnalzte mit Hinterleckner um die Wette.
„Ihr Dienstgrad?“, brüllte ihn Reitmeister in Vorbereitung, baumlanger Rammelsbacher an. Das durfte er.
„Einfacher Stiefelhalter...“, nuschelte einfacher Stiefelhalter Kubitschek und setzte sich, da ihm die Knie weich geworden waren. Der einfache Stiefelhalter sank in sich zusammen. Hinterleckners heller Peitschenknall brachte ihn wieder auf den Damm.
„Was lümmelt Er da herum?!“, schrie Hinterleckner. „Aufgestanden und Flossen an die Binsen!“
Kubitschek war schon alles egal und tat wie ihm geheißen. „Stellts die Ross in Stall“, schluchzte er.
„Na also. Geht ja.“ Brunzer war nicht so. „Rühren“, befahl er. Kubitschek rührte sich.
Es sah so aus, als gäbe es keinen, der nicht Mitglied bei der Rossknödelmafia war. Schlager etwa auch?