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Detektiv Klubeck sieht sich mit folgender Frage konfrontiert: Was haben ein Strauch, ein Papagei und ein adipöser Choleriker gemeinsam? Sie alle wurden tot in seinem Heimatort Nedda-Maikirchen aufgefunden. Um herauszufinden, wer hinter den Morden steckt, schiebt er seinen vorzeitigen Ruhestand auf, was bei seiner Frau jedoch auf größte Missbilligung stößt. Was ist Klaus Klubeck am Ende wichtiger - den Täter zu fassen oder seine Ehe? Oder ist er in der Lage, beides zu managen?
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Seitenzahl: 234
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Prolog
Montag, 13. Mai 2019.
Kapitel 1
Eine Woche zuvor – Montag, 6. Mai 2019
Kapitel 2
Donnerstag, 9. Mai 2019
Kapitel 3
Freitag, 10. Mai 2019
Kapitel 4
Samstag, 11. Mai 2019
Sonntag, 12. Mai 2019
Kapitel 5
Montag, 13. Mai 2019.
Dienstag, 14. Mai 2019
Kapitel 6
Mittwoch, 15. Mai 2019
Donnerstag, 16. Mai 2019.
Freitag, 17. Mai 2019
Kapitel 7
Samstag, 18. Mai 2019
Kapitel 8
Sonntag, 19. Mai 2019
Kapitel 9
Montag, 20. Mai 2019
Dienstag, 21. Mai 2019
Mittwoch, 22. Mai 2019
Zwei Minuten vor Sonnenaufgang. Wie jeden Morgen war Fatima Nomad, eine etwas ältere Dame mit portugiesischen Wurzeln, schon auf den Beinen. Sie betrieb die einzige Schneiderei in dem ruhigen, gemütlichen Örtchen Nedda-Maikirchen. Hinter ihrem Rücken wurde sie von den anderen Dorfbewohnern auch »Fatima die bärtige Nomadin« genannt. Üblicherweise öffnete sie um 07:30 Uhr den Laden, der sich – welch ein Glück – im selben Haus im Erdgeschoss befand. Darüber hatte sie ihre spartanische und leicht chaotische Wohnung. Es war also noch genug Zeit für ein ausgiebiges Frühstück.
Nachdem Fatima ihr morgendliches Speckbrot zu sich genommen hatte, ging sie wie gewohnt in den Garten zum Hühnerstall. Darin hielt sie vier Wachteln, um sich ein lukratives Nebeneinkommen zu generieren. Sie versuchte ständig, ihre Wachteleier zu Wucherpreisen zu verscherbeln, was ihr manchmal mehr und manchmal weniger gelang. Wie immer hatte sie eine Schüssel Körner dabei. Auch die Tiere sollten ein gutes Frühstück bekommen. Zu speziellen Anlässen hatte die gute Frau auch schon ihren Speck mit ihnen geteilt, die Wachteln schienen davon aber nicht sehr angetan zu sein. Insgeheim war Fatima ganz froh darüber. Während der Fütterung zählte sie den Bestand.
»Um, dois, três…, três?«
Drei Wachteln waren herausgekommen und pickten fleißig die Körner von der ausgefransten Wiese. Das vierte Tier namens Frida musste sich wohl noch im Stall befinden. Schwups, schon hatte Fatima die Tür dazu geöffnet und lugte hinein.
Keine Frida.
»Oh nãooo. Nich wieda Frida!«
Seit einiger Zeit büxte das Federvieh regelmäßig aus und die alte Frau Nomad musste es im ganzen Dorf suchen.
»Pock, pock.« Das kam von der Gartentür. Und tatsächlich, draußen sah Fatima die kleine Wachtel auf und ab spazieren. Doch als sie raus auf den Bürgersteig trat, machte sich Frida aus dem Staub. Frau Nomad lief dem Tier, so gut es mit ihren angeschlagenen Beinen eben ging, hinterher. Es war mittlerweile 06:00 Uhr und die Kapellenglocken läuteten im Hintergrund, als sie laut schnaufend die Steingasse erreichte. Hierhin verirrte sich kaum jemand. Einerseits stank es in dieser engen Sackgasse immer von den dort stehenden Müllcontainern, andererseits gab es dort einfach nichts. Niemand marschierte hier freiwillig rein, in das sogenannte »schändliche Eck von Nedda-Maikirchen«. Vorsichtig ging sie die schmale Straße entlang, bis sie ganz am Ende angekommen hinter einen der Container spähen konnte. Ein entsetzter Schrei verließ ihre zitternden Lippen, als sie die entflohene Wachtel auf der Leiche eines jungen Mannes entdeckte. Auch Frida erstarrte aufgrund des Schreies und ließ vor Schreck ein Ei aus ihrem Körper purzeln. Fatima stieß aufgewühlt einige portugiesische Flüche und Gebete aus, ehe sie sich dazu durchrang, die Leiche zu melden. Beide Damen wirkten von der Situation sehr mitgenommen, als die Polizei bei ihnen am Ort des Grauens eintraf. Kommissar Roding, wie er sich vorstellte, nahm die schockierte Frau samt Wachtel mit auf die Polizeistation in Oberpenzing zur Befragung.
Es war ein früher Montagmorgen. Zu früh für Klaus Klubeck, der um diese Zeit normalerweise noch nicht das Haus verließ. Doch die Nacht war diesmal unerträglich lang und der Schlaf fiel nur in kurzen Perioden über ihn herein. Klaus hielt es nicht mehr länger in seinem Bett aus und so befand er sich um 06:30 Uhr bereits in seinem Wagen. Der Schlafmangel machte ihm nichts aus, er fühlte sich wacher denn je. Es kam ihm vor, als wäre er heute in einem neuen Leben aufgewacht. Den alten Klaus Klubeck gab es nicht mehr. Ab dem heutigen Tag würde sich alles ändern.
Eine halbe Stunde lang fuhr er ziellos durch die Gegend, ehe der 49-Jährige sein Auto vor der Polizeibehörde von Oberpenzing platzierte. Er stellte den Motor ab und kramte im Handschuhfach herum, bis er fand wonach er suchte. Langsam riss er die Verpackung auf und holte den Inhalt hervor. Behutsam steckte er ihn in die innere Jackentasche, er würde ihm zum richtigen Zeitpunkt gute Dienste erweisen. Klaus atmete tief ein und aus. Endlich stieg er aus dem Wagen, knallte die Autotür hinter sich zu und betrat das Gebäude.
»Guten Morgen!«, schallte es aus einigen Ecken, als Klaus bestimmt den Gang entlang schritt. Er antwortete mit knappem Nicken, fokussierte aber weiterhin sein Ziel am anderen Ende des Raumes.
Es waren um diese unmenschliche Zeit bereits überraschend viele Polizisten an ihren Arbeitsplätzen und Klaus würde sie heute wohl alle verraten. In gewisser Weise tat es ihm leid. Auch wenn er nicht behaupten konnte sie zu mögen, respektierte er doch ihre Arbeit. Sie vertrauten ihm und trotz gelegentlichem Konkurrenzverhalten waren sie dennoch froh, den eigenbrötlerischen Mann auf ihrer Seite zu wissen. Doch die Grenzen zwischen zwei Seiten sind selten klar und heute würden sie endgültig gesprengt werden.
Klaus erreichte endlich den Lift. Der Weg erschien ihm unendlich lange, doch jetzt wo er davor stand, kam ihm das Ende zu plötzlich.
Leider befand sich der Lift bereits in Ebene 0 und somit blieb ihm nichts anderes übrig, als sofort einzutreten, wenn er kein auffälliges Verhalten zeigen wollte.
Kurz bevor sich die Türen wieder schlossen, eilte Kommissar Roding herbei. Darauf hätte Klaus gut verzichten können. Schon meldetet sich dieser zu Wort: »Sie sind heute ja früh dran, Klubeck.«
»In der Tat.«
»Schön zu sehen, dass Sie sich langsam an uns anpassen. Hat ja nur 15 Jahre gedauert.« Roding lachte.
Klaus blickte zur Anzeige – 1. Stock.
»Hat Ihre Frau zu laut geschnarcht?«
Klaus tastete an seine Jackentasche und überlegte, ob er von seiner Ausrüstung Gebrauch machen sollte.
»Gesprächig wie immer, was?« Roding wartete immer noch auf eine Reaktion.
Klaus’ Hand wanderte wieder zurück zur Seite und klopfte nervös gegen den Oberschenkel. Nein, es war noch nicht Zeit dafür.
2. Stock.
»Entschuldigen Sie mich«, antwortete Klaus und war in der nächsten Sekunde vom Lift geflüchtet.
Nach wenigen Schritten stand er vor dem Büro des Polizeidirektors.
Nun gab es kein Zurück mehr. Erneut griff Klaus in seine Jackentasche und holte das vertraute Werkzeug heraus. Es war ein Joghurt-Beeren-Müsliriegel – seine Lieblingssorte. Mit zwei Bissen war er verschwunden und Klaus fühlte sich etwas besser. Er atmete noch einmal tief durch und öffnete die Tür.
Direktor Ernst sah ihn verwundert von seinem Schreibtisch aus an: »Guten Morgen, Klu-«
»Ich beende hiermit offiziell meine Tätigkeit.«
Es war vollbracht. Sobald die Worte Klaus’ Mund verlassen hatten, fiel die Anspannung von ihm ab. Seine Pflicht war erfüllt und das Leben wie er es kannte von nun an vorbei.
»Was? Klubeck, was reden Sie denn da?«
»Ich habe beschlossen, frühzeitig in den Ruhestand zu treten und möchte Ihnen hiermit mitteilen, dass unsere Zusammenarbeit mit dem heutigen Tag endet.«
Direktor Ernst runzelte die Stirn.
»Schließen Sie die Tür und setzen Sie sich.« Er wies mit einer Handbewegung auf einen der schwarzen Stühle vor seinem Schreibtisch.
Klaus tat wie geheißen und Ernst schenkte währenddessen ein Glas Wasser ein. »Hier, bitte.«
In einem Zug war es leer.
»Ich brauche schon etwas Stärkeres«, entgegnete Klaus und beide grinsten gequält.
Der Direktor holte einen selbstgebrannten Obstler aus einer Vitrine hervor. Beide saßen sie da und starrten auf ihre Gläser, ehe Ernst das Schweigen brach:
»Herr Klubeck. Sie überleben keinen einzigen Tag ohne Ihre Arbeit.
Darauf verwette ich mein Pferd.«
»Sie haben ein Pferd?«
»Nein. Aber wenn ich eines hätte, würde ich es tun. Woher kommt dieses plötzliche Hirngespinst?«
»Es ist nicht plötzlich. Ich überlege schon seit längerer Zeit, den Job hinter mir zu lassen.«
Direktor Ernst hob eine Augenbraue. Das machte er oft.
»Sie denken schon länger darüber nach und haben es mir gegenüber in dieser Zeit mit keinem einzigen Wort erwähnt? Ich hatte nie das Gefühl, dass Sie Ihre Arbeit nicht mehr schätzen. Ich habe es auch jetzt nicht.«
»Dem ist auch nicht so. Ich könnte mir keine bessere Tätigkeit vorstellen.«
»Warum lassen Sie uns dann im Stich? Ihnen ist doch bewusst, welchen Sonderstatus Sie hier bei uns besitzen. Ihr Vertrag hat mehr Exklusivrechte als die Presse«, meinte der Polizeidirektor überspitzt.
»Das habe ich nicht vergessen und ich bin auch sehr dankbar dafür, dieselben Rechte zu genießen wie ein Kommissar. Aber es gibt noch andere Dinge im Leben. Man muss Prioritäten setzen.«
Ernst musste lachen. »Erzählen Sie mir nicht, Sie haben eine plötzliche Zuneigung zu gewöhnlichen Hobbys entwickelt! Tennis?
Golf? Angeln? Klaus Klubeck der vor dem Fernseher sitzt und Quizshows schaut? Ach, kommen Sie!«
Dem Detektiv war hingegen gar nicht zum Lachen zumute. Der Direktor traf einen wunden Punkt und Klaus ärgerte sich insgeheim darüber.
»Wieso sollte ich nicht Freude am Angeln haben können! Vielleicht entdecke ich eine neue Leidenschaft.« Kurze Pause ehe er fortfuhr: »Ein Privatleben ist als Detektiv kaum möglich. Ich denke meine Frau hat genug gelitten.«
Ernst nickte nun einsichtig. Daher wehte also der Wind. Er selbst war bereits seit knappen 10 Jahren geschieden und wusste, wie sehr diese Arbeit einen in Anspruch nehmen konnte. Er hatte sich damals jedoch dafür entschieden und somit in gewisser Weise gegen seine Familie. Manchmal fragte er sich, ob er richtig gehandelt hatte.
Klaus mochte den Direktor. Einer der wenigen Menschen, dessen Gegenwart er auch auf längere Zeit ertrug. Umso schwerer fiel es ihm heute, die traurige Botschaft zu verkünden.
»Klubeck, warum lassen Sie sich das Ganze nicht noch einmal durch den Kopf gehen? Reden wir morgen noch einmal darüber. Sie wissen, dass wir Sie brauchen. Die Zusammenarbeit mit Ihnen ist stets ein Erfolg, Sie haben uns gute Dienste erwiesen. Es wäre eine Schande, Sie zu verlieren.«
Der Detektiv nickte anerkennend und verabschiedete sich. Sein Entschluss stand jedoch fest, daran würde sich nichts mehr ändern.
Klaus fuhr zurück zu seinem Haus in Nedda-Maikirchen. Es war allerdings immer noch relativ früh und er wusste nicht, was er in den eigenen vier Wänden machen sollte. Er machte keine Anstalten, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen und dann war es zu spät – das Haus lag hinter ihm. Er passierte das Grundstück und fuhr weiter in den Ort hinein. Es war kein großer Ort und obwohl Klaus sich selten unter die Einwohner begab, kannte er viele von ihnen.
Am Gehweg sah er den alten Herrn Maier, der seine übliche Morgenrunde mit Beißer dem Zweiten ging. Beißer der Erste war ein weißer Dobermann gewesen, bei dem es stets den Anschein hatte, als würde er sein Herrchen spazieren führen, statt umgekehrt. Die Leute in der Nachbarschaft hatten sich öfter darüber lustig gemacht und das Schauspiel mit »Oh, schau, Herr Maier wird wieder Gassi geführt«
kommentiert.
Vielleicht war das der Grund, warum Beißer der Zweite nur ein Drittel der Größe aufwies als sein verstorbener Vorgänger. Vielleicht hatte Herr Maier aber auch eine plötzliche Liebe zu süßen, kleinen Hunden entdeckt. Wer weiß das schon so genau.
Die Rollen sind jedenfalls getauscht worden und Beißer der Zweite war nun derjenige, der hinterher geschliffen wurde, weil er mit seinen kurzen Beinchen nicht mithalten konnte. Der Name war mehr als ironisch für dieses kleine, arme Tier. Das Hündchen konnte einem leidtun.
Zwei Straßen weiter spazierte Liesl, die für ihr hohes Alter noch viel zu lebendig war und ein sehr ausgeprägtes Sprechorgan besaß. Klaus versuchte ihre Gegenwart zu vermeiden. Einmal in ihrem Redeschwall gefangen, kam man nicht so schnell wieder von ihr weg. Eine Schande um die verlorene Zeit.
Bald hatte der Detektiv das andere Ende des Ortes erreicht. Was nun? Sein erster Tag in Freiheit und er hatte nicht die geringste Idee, was er mit sich anfangen sollte. Kurz kamen ihm Zweifel, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Klaus war ein guter Detektiv und liebte seine Tätigkeit. Doch in Nedda-Maikirchen passierte nichts Aufregendes und so musste er stets in anderen Städten ermitteln. Sein Talent brachte ihm lukrative Aufträge und er war in viele spannende Fälle involviert gewesen. Natürlich hielt sich die Begeisterung seiner Frau Anika in Grenzen, wenn er tagelang unterwegs war. Sie hatte es lange toleriert, doch Klaus merkte, wie unzufrieden sie mit dieser Situation war. Es war schon oft zum Streitthema geworden und in den letzten Monaten summierten sich diese unangenehmen Gespräche.
Die Zeit war mehr als reif, endlich etwas dagegen zu unternehmen.
Klaus wusste, dass es nicht lange so weitergehen konnte, ehe es zur Eskalation kam. Er wollte Anika keinesfalls verlieren.
Ein Kompromiss wäre gewesen, Klaus’ Tätigkeiten auf Nedda-Maikirchen zu beschränken, doch sie wussten beide, dass es hier keine Arbeit für ihn gab. Banale Ladendiebstähle und gelegentliche Auseinandersetzungen zwischen Nachbarn boten keine erfüllenden Aufgaben für einen Detektiv seines Niveaus.
Klaus stellte den Wagen ab und beschloss seinen ziellosen Weg zu Fuß fortzusetzen. Die frische Luft würde ihm gut tun. Er befand sich nun am Rande des Ortes, wo es unwahrscheinlich war, vielen Dorfbewohnern zu begegnen. Gedankenverloren schlenderte er umher und genoss die Gesänge der Vögel, die den Frühling begrüßten.
Er kam am Pfarrgebäude vorbei, wo der Pfarrer im bescheidenen Garten werkelte.
»Guten Morgen, Herr Klubeck!«, rief dieser ihm zu, während er seine Hände von Erde abklopfte.
»Guten Morgen, Pfarrer Benedikt. Was macht das Gemüse?«
»Es wächst und gedeiht!«, verkündete der Pfarrer fröhlich. Benedikt Pfusch versuchte schon seit Jahren, eigenes Gemüse zu pflanzen.
Leider hielten sich seine Fähigkeiten in Grenzen und die Ernte fiel immer sehr karg aus. Dennoch gab er nie auf und versuchte jedes Jahr erneut sein Glück.
»Ich bin diesmal guter Dinge«, fuhr er gut gelaunt fort, »Dank des neuen Gewächshäuschens könnte mir heuer im Herbst eine erfolgreiche Ernte gelingen.«
Die Begeisterung des Geistlichen hatte eine stimmungsaufhellende Wirkung auf Klaus. Für einen Moment vergaß er seine Sorgen.
Stattdessen war seine Konzentration auf das eben erwähnte Gewächshäuschen gerichtet, das er nirgends entdecken konnte.
»Was denn für ein Gewächshäuschen? Ich sehe gar keines.«
Benedikt Pfusch schluckte. Er lächelte nervös. »Oh ja, ja, aber natürlich. Das neue Alte sozusagen.« Etwas ungelenk fuhr er sich mit der noch dreckigen Hand durchs Haar. Kleine Erdklümpchen zierten nun sein offensichtliches Toupet. »Ein Geschenk der Familie Heiß.
Die Frau Sabine brauchte es nicht mehr. Und da äh, ja, da dachten sie an mich und meine Freude zum Gärtnern. Haha. So war das und nicht anders. Jawohl.«
»Und wo ist es jetzt, das Gewächshäuschen?«
Der Pfarrer begann zu schwitzen.
»Im Keller«, sagte er dann sich seiner Sache sicher, »es muss erst noch aufgebaut werden. Die Heiß’ konnten es doch nicht im Ganzen hierherfahren.«
»Verstehe«, sagte Klaus und überlegte, ob er der Sache nachgehen sollte. Immerhin gab es seit einiger Zeit die Gerüchte, dass Ronald Heiß in krumme Dinge verwickelt sei. Aber in so kleinen Orten wie Nedda-Maikirchen wurde schnell mal gesprochen und vor allem auch viel dazu gedichtet. Pfarrer Pfusch unterbrach seinen Gedankengang.
»Was führt Sie eigentlich zu mir, Herr Klubeck? Möchten Sie die Kirche unterstützen?«
Eigentlich war Klaus nicht bewusst hergekommen, doch wenn er schon einmal hier war, konnte er sich des Pfarrers Meinung einholen.
»Was halten Sie von Nedda-Maikirchen? Ist es ein friedlicher Ort?
Wissen Sie, ob irgendwo schwarze Schafe lauern, die in nächster Zeit aus ihrem Versteck hervorkriechen könnten?«
Die Augen des Pfarrers verzogen sich für eine Sekunde zu misstrauischen Schlitzen.
»Herr Klubeck, Sie wissen ich unterliege der Schweigepflicht«, er wirkte nun wieder sehr gefasst, blickte aber kurz zu beiden Seiten bevor er leise weitersprach. »Wenn Sie mich fragen, gibt es eine Menge schwarzer Schafe, die ihren Beitrag zur Kirche nicht leisten wollen! Aber wenn Sie auf der Suche nach anderen kriminellen Taten sind, sollten Sie sich keine Sorgen machen. Nicht hier. Nicht in unserem kleinen, feinen Ort. Sie können natürlich trotzdem zu noch mehr Frieden beitragen – möchten Sie vielleicht die Kirche mit einer Spende unterstützen?«
»Welche Kirche?« wollte Klaus schon fast entgegnen, konnte es sich aber noch verkneifen. Es war bekannt, wie sehr Pfarrer Benedikt unter der Abwesenheit einer Kirche litt. Hinter dem liebevoll angelegten Garten reckten sich noch ein paar der alten zerfallenen Gemäuer in die Höhe. Wo einst mal eine schöne Kirche stand, war heute nur mehr eine Ruine, deren unterirdisches Gewölbe aber vollkommen in Takt geblieben war. Die Gemeinde hatte nicht genug Geld für einen Wiederaufbau der Kirche – oder setzte einfach auf andere Prioritäten.
Die Ruine wurde gerne auch von Touristen besucht, ein Grund mehr die Sanierung aufzuschieben. Pfarrer Benedikt war es leid, die spärlich besuchten Messen in der kleinen Kapelle gegenüber dem Pfarrgebäude zu halten. Natürlich verloren in derartigen Umständen die Menschen den Zugang zum Glauben! Es war grausam, wie die Leute darüber scherzten. »Ned-amoi-a-Kirchn« war mittlerweile ein geläufiges Synonym für den Ortsnamen geworden. Man munkelte, dass dieser Name sogar aus dem Kreise des Gemeinderats entsprungen war. Ein guter Marketingtrick wäre es jedenfalls – gefundenes Fressen für den Tourismussektor.
Klaus teilte die kirchliche Begeisterung des Pfarrers nicht und ging nicht weiter auf dessen Bitte ein. Er setzte sich wieder in Bewegung.
Der Detektiv hatte seine vermutete Antwort erhalten und wurde in seiner Annahme bestätigt, dass Ruhestand eine bessere Option war, als auf spannende Aufträge in Nedda-Maikirchen zu hoffen.
Gerade als Regine Söse, die örtliche Frisörin, ihre Wohnung verlassen und zu einem Massagetermin bei ihrer besten Freundin Anika Klubeck aufbrechen wollte, klingelte das Telefon.
»Das kann doch wohl nicht wahr sein!«, schimpfte sie. »Immer dann, wenn man den Arsch bei der Türe draußen hat. Ich könnte ausrasten!«
Schnell huschte sie zurück ins Haus, um den ungebetenen Anruf entgegenzunehmen.
»Hallo, hier Söse.«
»Guten Tag Frau Söse. Haben Sie kurz Zeit für eine Umfrage?«
»Nein tut mir leid, ich muss zu einem Termin.«
»Es wird auch nicht lange dauern.«
»Ich bin schon spät dran, tut mir wirklich leid.«
»Zwei Minuten, nicht länger. Sie können die Zeit mitstoppen.«
»Hören Sie, ich muss jetzt wirklich los. Ein anderes Mal wieder.«
»Sind Sie in Ihrer Beziehung glücklich?«
»Was?!«
»Ob Sie in Ihrer Beziehung…«
»Ja, ja ich habe schon verstanden, nur nicht was diese sehr persönliche Frage soll«, unterbrach Regine die aufdringliche Dame am anderen Ende der Leitung.
»So lautet die erste Frage. Das Thema der Studie dreht sich darum, ob es mehr glückliche oder unglückliche Paare gibt.«
Tut…tut…tut…
»Hallo? Sind Sie noch dran?«
Regine hatte einfach aufgelegt. So etwas Dummes. Das brachte sie gerade richtig auf die Palme. Was bildete diese Kuh sich nur ein? Sie sagte doch bereits, dass sie keine Zeit hätte.
Außerdem war ihr Liebesleben momentan ein heikles Thema.
Vor zwei Tagen erst hatte sie mit ihrem Mann Sven eine so heftige Auseinandersetzung, dass es sogar manche Nachbarn mitbekommen hatten. Seither waren sie Gesprächsstoff Nr. 1 in Nedda-Maikirchen.
Und es wurden bereits Wetten darauf abgeschlossen, wer von den beiden als erstes die Scheidung einreichen würde, was ihr nicht sonderlich gefiel. Aber irgendwann kam der nächste Skandal und ihre Geschichte würde dann sowieso aus den Gedanken der Leute verschwinden. Alles nur eine Frage der Zeit.
Regine machte sich schleunigst zu Fuß auf den Weg zu ihrem Termin.
Anika hatte ihre kleine feine Praxis am Dachboden ihres Hauses und das lag glücklicherweise nicht länger als fünf Gehminuten entfernt.
Eine wunderbare schöne kleine Ortschaft.
Bei Anika angekommen nahm sie diese tadelnd in Empfang.
»Hallo Regine. Spät wie immer, was?«
»Hi, ja sorry wurde leider noch aufgehalten. Erkläre ich dir dann.«
»Kein Problem. In weiser Voraussicht habe ich heute keine weiteren Termine ausgemacht. War logisch, dass du es wieder mal nicht rechtzeitig schaffen würdest.«
Anika kannte die Unpünktlichkeit ihrer Freundin schon bestens und war in dieser Hinsicht sehr verständnisvoll.
»Und wie läuft’s mit dem Frisiersalon?«, fragte sie nachdem sich Regine bereits gemütlich auf die Liege gelegt hatte.
»Soweit ganz gut. Kann echt nicht klagen. Die Leute hier im Dorf achten sehr auf ihre Frisuren.«
»Warum auch nicht, wenn es so eine tolle Frisöse wie dich hier gibt.
Meine Lockenpracht bringt keiner so gut unter Kontrolle wie du.«
»Danke, aber das hast du selber auch schon sehr gut im Griff.«
»Ich frage mich ja immer, wie Frisörinnen sich selbst ihre Frisuren machen.«
»Das ist und bleibt ein Geheimnis. Wobei im Frisiersalon vieles ausgeplaudert wird. Manche der Leute kommen hauptsächlich, um sich nebenbei zum Tratschen zu treffen. So wie du hin und wieder«, ein Grinsen huschte über ihr Gesicht.
»Tja, so ist das mit den Frisiersalons und den Cafés, immer ein guter Treffpunkt um die neuesten Neuigkeiten in Erfahrung zu bringen.«
»Ja. Und Tanja ist mir nach wie vor eine große Hilfe. Ich bin echt wahnsinnig froh, dass sich das damals so ergeben hat. Immerhin ist sie jetzt auch schon wieder im dritten Lehrjahr und fast fertig. Ich hoffe, sie will danach bei mir bleiben.«
»Davon gehe ich fest aus. Du hast sie bei dir aufgenommen und ihr einen Job gegeben. Du bist für sie zu einer Ersatzmutter geworden.
Da kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie nach ihrer Lehrzeit alles hinschmeißen und sich etwas anderes suchen will.«
»Naja, ganz so sicher wäre ich mir da jetzt wieder nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Vor einiger Zeit hat sie im Internet so einen Typen kennengelernt.
PASCAL. Ein 27-jähriger Student, der bereits zweimal ein Semester wiederholen musste und nun das dritte Studium angefangen hat, da ihm bisher noch nicht das Richtige untergekommen ist. Angeblich kommt er sie in den nächsten ein, zwei Wochen mal besuchen. Davor graut mir jetzt schon.«
»Das glaub ich dir gern. Der Typ könnte quasi jederzeit vor deiner Haustüre stehen. Zumindest wettermäßig werden sie Glück haben.
Dieser Sommer soll sehr sonnig und schön sein.«
»Hab ich auch schon gehört. Der Sommer, beziehungsweise die Urlaubszeit an sich, ist die beste Zeit für meinen Salon. Extra Kundschaft von nah und fern. In dem Fall finde ich es ja wieder gut, dass wir ein kleines Touristendörfchen sind. Da tut sich zumindest zwei bis drei Mal was im Jahr.«
»Vor allem dieses Jahr bei dir, falls dir Tanja ihre Internetbekanntschaft vorstellt.«
»Das erwarte ich von ihr. Sie ist für mich die Tochter, die ich mir immer gewünscht habe.«
Tanja Franzen hatte bereits mehrere Pflegefamilien hinter sich, ehe sie mit 15 Jahren bei den kinderlosen Söse’s in Nedda-Maikirchen landete. Wie durch ein Wunder schien sie sich hier endlich zuhause zu fühlen. Auch für das Ehepaar Söse schien ein Traum in Erfüllung gegangen zu sein. Zumindest was Regine betraf. Tanja und sie verstanden sich von Anfang an prächtig, sogar noch als die beiden zusammen im Frisiersalon arbeiteten und praktisch von früh bis spät aufeinander klebten. Doch dieser Kleber schien sich nun langsam durch das Lösungsmittel »Pascal« zu verflüchtigen.
Regine stöhnte kurz auf, als ihre Freundin eine verspannte Stelle erwischte.
»Und wer oder was hat dich heute aufgehalten?«
Die Frage ließ Regine erneut aufstöhnen.
»So eine dämliche Telefonumfrage.«
»Bei der du hoffentlich nicht mitgemacht hast.«
»Nein, das Thema war mir ohnehin zu blöd. Es ging darum, ob man in seiner Beziehung glücklich ist.«
»Oje, das ist ja gerade überhaupt nicht dein Thema.«
»Genau, und die am anderen Ende der Leitung wollte nicht aufhören zu reden.«
»Ja die sind immer so aufdringlich. Aber wenn wir schon dabei sind, wie läuft’s grade zwischen dir und Sven?«
»Es ist kompliziert. Nein halt, eigentlich ist mein Mann es, der kompliziert ist. Er will immer noch keine eigenen Kinder haben und ich weiß nicht genau, warum. Dauernd meint er, es ist noch zu früh für ihn, er weiß nicht, ob er sich ein Leben mit mehr als einem Kind unter dem Dach überhaupt vorstellen kann. Die ganze Verantwortung würde ihm sicher zu viel werden und so weiter und so fort. Er hat immer eine Ausrede parat.«
»Und wenn es ihm wirklich einfach nur Angst macht?«
»Soll ich dir mal sagen, was mir Angst macht? Die Tatsache, dass ich 35 Jahre alt bin und immer noch kein leibliches Kind habe.«
»Naja, ein bis zwei Jahre könntest du dir damit sicher noch Zeit lassen.«
»Das will ich aber nicht. Ich bin jetzt schon fast zu alt. Wenn nicht sogar schon zu alt.«
Anika war am Ende mit ihren Ratschlägen. Was Kinder betraf, konnte sie dazu leider nicht viel beitragen.
»War das für dich und Klaus nie ein Thema?«
»Doch schon, aber es hat eben einfach nicht geklappt. Vielleicht auch wegen dem ganzen Stress und der vielen Arbeit. Es hätte bei uns nicht wirklich gepasst. Eine viel wichtigere Neuigkeit ist, dass Klaus heute das Ende seiner Karriere bekannt gibt oder schon bekanntgegeben hat. Aber psst! Das ist noch geheim. Also nicht weitererzählen.«
»Was?!«
»Ist das nicht toll? Wir werden endlich wieder mehr Zeit für uns haben.«
»Aber…, aber was ist mit all den guten Dingen, die Klaus getan hat? Was er noch alles tun und aufklären könnte…«
»Unsere Ehe wäre in letzter Zeit fast daran zerbrochen. Für uns ist es besser so. Außerdem wird der Platz dann wieder für jüngere Leute frei, die auch eine Chance haben wollen.«
»Die paar Jahre, die er offiziell noch hätte, hätte er doch durchaus noch machen können.«
»Ist das gerade dein Ernst? Hier geht es um meine Ehe!«
»Ja und die ist doch super. Du hast einen tollen Mann mit einem tollen Job und Heldenstatus.«
»Du hörst mir wohl nicht richtig zu. Wir haben keine Kinder, wir haben nur uns und da hätte ich gerne noch etwas mehr Zeit mit meinem Mann, solange es uns noch gut geht. Du hast ja immerhin noch die Zeit und die Chance auf ein Kind.«
»Jetzt wirst du echt unfair.«
»Nein, du bist unfair.«
Auf einmal war es still zwischen den beiden. Regine hatte sich erzürnt aufgesetzt.
»Ich denke wir sind für heute fertig«, sagte sie schließlich und verließ mit einem Knall das Massagestudio.
Regine Söse war stinksauer. Auf ihre Wut fokussiert, blendete sie ihre Umgebung vollständig aus. Plötzlich krachte sie mit der 71-jährigen Liesl zusammen.
»Oh, Verzeihung Frau Heller. Ich habe sie nicht gesehen.«
»Sie sind vielleicht um die Ecke gestürmt. Ich habe mich richtig erschrocken.«
»Tut mir wirklich leid. Ist irgendwie nicht so mein Tag heute. Ich hoffe, ich habe Sie nicht verletzt.«
»Keine Sorge. Ist nichts passiert. Ich bin eine robuste, alte Dame.«
Regine hob rasch die Einkaufstüte von Frau Heller auf, die sie aus Schreck hatte fallen lassen.
Liesl fragte erwartungsvoll: »Wollen Sie mich ein Stück begleiten und darüber reden?«
»Sie meinen, ob ich Ihnen helfe Ihren Einkauf nach Hause zu schleppen?«
»Wenn Sie es so formulieren wollen«, grinste die alte Frau.
»Na schön. Geben Sie mir die Tüte.«
»Ausgezeichnet. Dann fangen Sie mal an. Was hat Sie so aus der Fassung gebracht?«
◊ ◊ ◊
Zwei Stunden später saß Liesl mit ihren beiden bezaubernden, fast gleich alten Freundinnen Waldtraud Fritsch »Traudl« und Josefine Sperrer »Fini« in der Konditorei Mairinger zusammen.
»Dürfen es wie immer drei Cappuccinos sein?«, fragte die Kellnerin höflich.
»Ja bitte, Sophie. So wie immer.«
»Sag mal Fini, was für einen grauenhaften Schirm hast du denn da heute mit? Der ist ja grellpink«, stellte Liesl entsetzt fest.
»Den habe ich vorhin von meiner Enkelin geschenkt bekommen, weil mein alter auf einmal ganz viele Löcher hatte«, seufzte Fini, »Ich fürchte, den haben die Motten zerfressen.«
»Iiih Motten, da würde ich an deiner Stelle aber ganz schnell dagegen vorgehen, sonst hast du bald keine Haare mehr am Kopf.«
»Was!?«
»Nur ein Witz, beruhig dich. Liesl macht nur etwas Spaß«, erklärte Traudl. »Trotzdem solltest du schleunigst was gegen die Motten unternehmen.«
»Werde ich auf jeden Fall.«
Sophie kam mit einem gefüllten Tablett vorbei und servierte die Cappuccinos.
Die Runde war vollständig, der Kaffee am Tisch, nun konnte die »Klatsch & Tratsch«-Stunde eröffnet werden.
»Was gibt’s Neues?«
Liesl machte gleich den Anfang: »Ihr werdet nicht glauben, was ich heute zufällig in Erfahrung gebracht habe.«
»Was denn?«
»Der Klubeck verabschiedet sich in den Ruhestand.«
»Nein, wirklich? Das ist ja unglaublich. Und warum?«
»Weil er zu alt ist. Da muss wieder was Junges her.«
»Dein Enkel vielleicht?«, wollte Traudl von Liesl wissen.
»Der Fritz? Hoffentlich bleibt uns das erspart. Da würde hier alles im Chaos versinken.«
»Ach, rede doch nicht so schlecht über ihn«, meinte Traudl.