15,99 €
Mila, Felix und Julian verbringen den Sommer bei ihrer Großmutter mit Milas Freundin Emilia. Nachdem ihre Pläne vom schlechten Wetter durchkreuzt worden sind, durchstöbern sie kurzerhand den Dachboden, wo Mila ein altes, staubiges Spielbrett mit alten Karten findet, auf denen nichts steht. Doch als sie die erste Runde anfangen, erscheint plötzlich ein Schriftzug auf der Kartenrückseite … Als die Kinder die Augen wieder öffnen, ist ihre vertraute Umgebung verschwunden und sie befinden sich ausgerechnet im … Mittelalter! Hier herrscht Sigurd der Schreckliche, der seine Untertanen in Angst und Schrecken versetzt. Nicht einmal die Prinzessin kann sich ihm widersetzen. Was sollen vier Kinder ausrichten? Wäre da nicht die besondere Gabe der Kinder, Rätsel zu lösen und Pläne zu schmieden …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 166
Veröffentlichungsjahr: 2025
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
© 2025 novum publishing gmbh
Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt
ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0520-7
ISBN e-book: 978-3-7116-0521-4
Lektorat: Ilana Baden
Umschlagfoto: Ievgen Soloviov | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
Widmung
Für meine Familie – Danke für die Unterstützung und Inspiration
Kapitel 1:
Der Dachboden
Regen, Regen, Regen! Trübselig blickte Mila aus dem Fenster. Die erste Woche der Sommerferien war bereits vorbei und kein einziges Mal hatte sich die Sonne blicken lassen. Was hatten sie sich nicht alles vorgenommen! Mila seufzte. Zusammen mit ihren Brüdern Julian und Felix sowie ihrer gemeinsamen Freundin Emilia wollten sie am See zelten. Sie hatten es sich die ganze Schulzeit über so schön ausgemalt: tagsüber schwimmen im See, nachmittags bei einem kühlen Eis die Seele baumeln lassen, abends Gruselgeschichten am Lagerfeuer erzählen. Stattdessen verbrachten sie die Tage nun im Haus ihrer Oma, bei der sie die Ferien verbringen durften. Sie hatten eine Höhle gebaut und darin gelesen und Spiele gespielt. Auch ganz schön, aber kein Vergleich zu ihren ursprünglichen Plänen. Die Wettervorhersage für die nächsten Tage war auch hoffnungslos.
Da wurde plötzlich die Tür aufgerissen und Julian stürmte herein. Ihr Bruder war neun Jahre alt und damit ein gutes Jahr älter als seine Schwester. „Komm mit, Oma hat uns erlaubt, auf dem Dachboden zu stöbern! Bestimmt entdecken wir dort ein paar Sachen für unsere Höhle!“ Der Gedanke an den Speicher löste bei Mila weniger freudige Gefühle aus. Sie dachte dabei eher an eine Menge Staub und viele Spinnen. Als könnte er ihre Gedanken lesen, meinte Julian: „Jetzt komm schon, stell dich nicht so an, das könnte doch ganz lustig werden. Wer weiß, was es da oben alles zu entdecken gibt!“ Also gut, sie wollte ja kein Spielverderber sein. Außerdem war es immer noch besser, als hier zu versauern.
Zusammen gingen sie die Treppe hoch in die obere Etage. Felix, mit elf Jahren der älteste der Geschwister, war gerade dabei, die Dachluke zu öffnen und vorsichtig die daran befestigte Klapptreppe herabzulassen. Neben ihm stand die zehnjährige Emilia. Mit ihren blonden Haaren und den strahlend blauen Augen glich sie Mila sehr. Sie wurden oft für Schwestern gehalten, was beide freute. „Da seid ihr ja, ihr kommt genau zur rechten Zeit“, strahlte Emilia. Felix hatte es inzwischen geschafft, die Treppe herabzulassen, und so wagten sie sich nacheinander an den Aufstieg, Felix voran, Mila als Schlusslicht.
Oben angekommen sah Mila ihre Befürchtungen bestätigt: Hier war offensichtlich seit Jahren kein Mensch mehr gewesen. Sie musste erst einmal heftig niesen, als sie beim Betreten des Dachbodens Staub aufwirbelte. Unwillkürlich lief ihr ein Schauer über den Rücken bei dem Gedanken, dass sie mit den Haaren in ein Spinnennetz geraten könnte. So blieb sie erst einmal stehen und sah sich um. Düster war es hier oben, nur durch die geöffnete Luke drang von unten ein wenig Licht herauf. Außerdem gab es ein kleines, rundes Fenster unterhalb des Dachgiebels, das jedoch total verdreckt war, sodass nur wenig Sonnenlicht nach innen dringen konnte. Schemenhaft waren Kisten und Koffer zu entdecken, sicherlich allesamt mit einer dicken Staubschicht bedeckt. In einer Ecke stand ein altes Rad, daneben ein kleiner Schemel. Spinnweben gab es natürlich genug, und Mila fragte sich bereits, was sie hier oben sollte.
Die beiden Jungs jedoch waren ganz in ihrem Element, sie konnte es an der Begeisterung in ihren Augen und dem Tatendrang, mit dem sie sich auf die Suche nach was auch immer machten, unschwer erkennen. Felix hatte in weiser Voraussicht eine Taschenlampe mitgebracht, Emilia nutzte das Licht ihres Handys, um sich einen Überblick zu verschaffen, und schien ebenfalls auf irgendwelche grandiosen Entdeckungen zu hoffen. „Was sucht ihr eigentlich hier oben?“, fragte Mila genervt.
„Keine Ahnung“, erwiderte Julian, „aber hier stehen so viele Kisten herum, es würde mich nicht wundern, wenn wir auf was ganz Tolles stoßen würden, eine Schatzkarte vielleicht!“
Klar, eine Schatzkarte. Mila verdrehte die Augen. Sehr realistisch das Ganze. Felix hatte bereits eine der Kisten geöffnet. „Die hier ist voller Bücher“, meinte er. „Ziemlich alte Schinken, aber zumindest geht uns der Lesestoff nicht aus, falls die Ferien weiterhin ins Wasser fallen sollten.“
„Schaut mal her“, meinte Julian. Er hatte sich einen großen roten Hut mit Federn aufgesetzt, einen gestrickten Schal um den Hals gelegt und hielt sich ein Kleid mit grünen Pailletten vor den Körper. „Na, meine Lieben, sehe ich nicht umwerfend aus?“, quiekte er mit hoher Stimme. Die Freunde lachten und machten sich ebenfalls über die Kleiderkiste her, die Julian geöffnet hatte. Tatsächlich war das ein riesiger Fundus an den kuriosesten Kleidungsstücken, und die Kinder überboten sich wechselseitig mit den verrücktesten Kombinationen. Felix mit Stöckelschuhen, Lederhose und Rüschenbluse, Emilia mit Metzgersschürze, Taucherbrille und Turban. Mila entschied sich für eine Augenklappe, einen Tirolerhut, ein Sträflingshemd, das ihr bis zu den Knien reichte, und Flipflops. Sie lachten, als sie sich gegenseitig betrachteten. Emilia schoss ein paar Fotos mit dem Handy, die bei dem Dämmerlicht allerdings nicht besonders gut gelangen, aber das tat der guten Stimmung keinen Abbruch. Sie verbrachten einen vergnüglichen Nachmittag auf dem Dachboden, sodass Mila zwischenzeitlich die Spinnen gedanklich ausblenden konnte. Sie stöberten herum, bis sie ihre Großmutter hörten, die sie zum Abendessen rief. Gerade als sie sich zum Gehen wenden wollten, machte Mila plötzlich eine Entdeckung.
Kapitel 2:
Die geheimnisvolle Schachtel
„Wartet mal“, rief Mila, „hier liegt etwas, das ich mir gerade noch ansehen will.“ Die drei Freunde traten näher. In ihren Händen hielt Mila eine viereckige Schachtel. Sie drehte sich von den Freunden weg und pustete die dicke Staubschicht vom Deckel, dann wischte sie mit dem Ärmel darüber. Vier Köpfe beugten sich über die Schachtel. Sie war braun, vermutlich hatte es einmal Zeichnungen auf dem Deckel gegeben, aber sie waren mit der Zeit so verblasst, dass man nur noch wenige Konturen ausmachen konnte. Außerdem waren da noch sonderbare Zeichen, die Julian, der später mal Archäologe werden wollte und sich mit solchen Schriftzeichen auskannte, als Runen identifizierte. „Wo bleibt ihr denn? Das Essen steht schon auf dem Tisch!“, rief Oma von unten.
„Lasst uns die Schachtel mitnehmen“, schlug Emilia vor, „dann können wir sie nach dem Essen in Ruhe betrachten. Außerdem haben wir in unserem Zimmer auch besseres Licht, hier oben kann man ja kaum was erkennen.“ Gesagt, getan. Felix ging voran. Als er unten angekommen war, reichte ihm Mila die Schachtel von oben herunter, bevor auch sie und die beiden anderen Kinder vorsichtig rückwärts die kleine Treppe herabstiegen. Felix brachte die Schachtel noch schnell ins gemeinsame Schlafzimmer, dann folgte er den anderen ins Esszimmer, das mit dem wunderbaren Duft von Dampfnudeln mit Vanillesoße erfüllt war. Lächelnd reichte seine Oma auch ihm einen Teller mit der süßen Köstlichkeit. „Dann lasst es euch schmecken!“, meinte sie und strahlte übers ganze Gesicht, als die vier Kinder kräftig zulangten.
Eine Weile sprachen sie nichts, alle waren damit beschäftigt, Dampfnudelstücke tief in der Soße zu versenken und die warmen, salzig-süßen Bissen zu genießen. Erst jetzt fiel den Freunden auf, wie hungrig sie waren. Oma, die sich nichts aus süßen Leckereien machte, betrachtete wohlwollend die Jungs und Mädchen. Deren Appetit war das größte Lob für ihre Kochkünste, und sie war vollauf zufrieden. Dann zupfte sie eine Spinnwebe von Julians T-Shirt und fragte, was sie denn auf dem Dachboden so für Entdeckungen gemacht hätten, sie selbst sei schon mindestens fünfzehn Jahre nicht mehr da oben gewesen. Die Kinder erzählten munter von der Kleiderkiste und einigen anderen „Schätzen“, aber keines sprach die Schachtel an, deren Erkundung sie sich für den Abend aufgehoben hatten. Sei es, weil es da noch nichts Besonderes zu erzählen gab, schließlich konnte sie ja auch belangloses Zeugs enthalten, oder weil es ihr gemeinsames Geheimnis war, dass sie diese Schachtel mitgenommen hatten. Jedenfalls wurde in stiller Übereinkunft beschlossen, über diese Entdeckung Stillschweigen zu bewahren.
Satt und zufrieden machten es sich die vier Freunde nach dem Abendessen in ihrer Höhle gemütlich, die sie im gemeinsamen Zimmer gebaut hatten. Oma war einfach klasse: Nicht nur, dass sie das leckerste Essen zubereitete und sie so lange aufbleiben ließ, wie sie wollten. Ein weiterer Vorzug gegenüber ihren Eltern war der, dass sie nicht ständig das Zimmer aufräumen mussten. Und so glich dieses hier nun eher einer Räuberhöhle. Sie hatten sämtliche Decken, die sie finden konnten, kunstvoll über Stühlen drapiert, ihre Matratzen darunter geschoben, eine Vorratskammer angelegt, die mit Chips, Schokolade und Gummibärchen reich gefüllt war, Taschenlampen herbeigeholt und sich so ein rundum gemütliches Plätzchen erschaffen, auf das sie nicht zu Unrecht stolz waren.
Und inmitten dieser Höhle, erhellt vom Schein einer Schreibtisch- und zweier Taschenlampen, lag sie nun: die ominöse Schachtel. Felix, Emilia, Mila und Julian saßen im Kreis um sie herum und versuchten erneut, etwas auf dem Deckel zu entziffern, aber das war auch hier unten bei besserer Beleuchtung nicht möglich. Vorsichtig hob Julian den Deckel an, und vier Augenpaare starrten gebannt auf den Inhalt der Schachtel. „Sieht aus wie ein Spiel“, meinte Emilia. Sie sprach damit aus, was auch die anderen dachten. Da war so etwas, das aussah wie ein Spielbrett. Quadratisch, darauf ähnlich wie bei einem Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel runde Felder, von denen einige sich farblich von den übrigen abhoben. Jedes dieser besonderen Felder war mit einer der Runen beschriftet, wie sie auch auf dem Deckel noch ansatzweise zu erkennen waren. Außerdem befanden sich noch Karten in dem Karton. Auch sie waren mit Runen versehen. Dazu noch ein vergilbter Würfel. Felix nahm das Spielbrett heraus, ebenso die Karten und den Würfel, drehte und wendete die Schachtel, doch sie schien sonst nichts zu enthalten. „Mist, keine Spielanleitung“, fluchte er.
„Denken wir uns doch einfach was aus“, schlug Emilia vor. „Wir würfeln. Wer zuerst eine Sechs würfelt, fängt an. Wer auf eines dieser Sonderfelder kommt, zieht eine entsprechende Karte.“
Da niemand eine bessere Idee hatte, wurde der Vorschlag angenommen. Nach wenigen Minuten war es Julian, der auf eines der Runenfelder kam. Gemeinsam durchsuchten sie die Karten, bis sie auf das übereinstimmende Zeichen stießen. „Ich lese dir vor, was du machen musst“, meinte Felix, drehte die Karte um und blickte verdutzt in die Runde. „Da steht ja gar nichts drauf.“ Zur Bestätigung legte er die umgedrehte Karte in die Mitte.
„Da!“, schrie Mila plötzlich schrill auf und zeigte auf die eben noch komplett weiße Kartenrückseite. Die Kinder hielten die Luft an, als sie sahen, wie nach und nach, wie von Geisterhand geschrieben, eine blutrote Schrift erschien und sogleich wieder verblasste, nachdem das letzte Wort geschrieben war:
Beendet das waltende Unrecht. Stellt das Recht wieder her.
Während sie noch überlegten, was diese Worte wohl zu bedeuten hatten, blendete sie ein gleißendes Licht. Schützend hielten sie sich den Arm vor die Augen. Als sie es wieder wagten, einen Blick zu riskieren, waren die Höhle, ihr Zimmer, ihre gesamte Umgebung verschwunden.
Kapitel 3:
Im Mittelalter
Es dauerte einen Moment, bis sie sich wagten, vorsichtig unter ihren Armen hindurchzublicken. Was sie sahen, verschlug ihnen den Atem: Sie befanden sich offensichtlich auf einer kleinen Lichtung, die ihnen jedoch völlig unbekannt war. Besonders kurios war allerdings auch die Kleidung der Kinder. Hatten sie bis eben noch Jeans und T-Shirt getragen, so trugen die Jungs nun bräunliche Leinenhosen und ein grobmaschiges Oberteil, ebenfalls in Erdfarben gehalten. Die Mädchen fanden sich in braunen Kleidern mit einer kleinen Kordel um die Hüfte wieder. Alle vier waren barfuß. Nachdem sie sich einige Minuten wortlos um- und angesehen hatten, fand Mila als erste die Sprache wieder: „Was ist passiert? Das ist alles nur ein böser Traum, oder? Julian, kneif mich mal!“
„Wenn ich nicht wüsste, dass es völlig abwegig ist, würde ich sagen, wir befinden uns im Mittelalter“, erwiderte Julian. Sein Blick fiel auf die Spielkarte, die noch immer in ihrer Mitte lag, inzwischen aber wieder ohne Schrift und nur mit der Rune auf der Rückseite versehen.
„Es muss mit dem Spiel zusammenhängen“, meinte Emilia, die seinem Blick gefolgt war. „Das Letzte, an das ich mich erinnere, ist diese Art Auftrag, der auf der Karte erschienen war. Habt ihr das auch gelesen? Ich meine, da stand, wir sollten das Unrecht beenden und das Recht wieder herstellen. Was damit wohl gemeint ist?“
„Ist mir egal“, jammerte Mila, „ich will nach Hause!“ Tränen standen ihr in den Augen. Da vernahmen sie ein Geräusch ganz aus der Nähe. Mit dem Finger an den Lippen bedeutete Felix ihnen, leise zu sein. Vorsichtig pirschten sich die Freunde zu den Büschen vor, die die Lichtung umgrenzten. Das Geräusch, das sie vernommen hatten, wurde von einem Mönch verursacht, der einen kleinen Ziehwagen hinter sich herzog. Was sich darauf befand, war nicht zu erkennen, da es von einer Plane bedeckt war. Weil es leicht bergauf ging, hatte der Mönch einige Mühe, mit seiner Last voranzukommen. Plötzlich ließ ein anderes Geräusch die Kinder aufmerken, auch dem Mönch entging es nicht: Aus der anderen Richtung war das schnelle Getrappel von Pferdehufen zu vernehmen, die sich unaufhaltsam und in großem Tempo näherten. Staub aufwirbelnd und in schnellem Galopp raste einen Augenblick später ein schwarzes Ross heran, dessen Reiter, ein schwarzer Ritter, ihm die Sporen gab. Auch wenn er den Mönch wohl erst spät bemerkt haben mochte, er machte keinerlei Anstalten, das Tempo zu drosseln oder ein Ausweichmanöver einzuleiten. Mit einem gewagten Sprung in die Büsche rettete der Mönch sich in letzter Sekunde. Der schwarze Ritter preschte weiter voran, als sei nichts geschehen.
Entsetzt stürmten die Kinder aus den Büschen hervor. „Ist Ihnen etwas passiert?“, fragte Emilia den Mönch und reichte ihm die Hand, um ihm aufzuhelfen. Auch Julian und Felix halfen mit, da sich die Kutte des Mönchs in einem Dornbusch verfangen hatte.
„Danke, es geht schon“, meinte der Mönch. Der Schreck stand ihm noch ins Gesicht geschrieben. Mit zitternden Knien ließ er sich auf einem Stein nieder.
„Was für eine Ungeheuerlichkeit! Sie hätten vom Pferd überrannt werden können, viel hat nicht gefehlt. Sie könnten verletzt, wenn nicht gar tot sein!“, rief Julian entrüstet aus.
„Ja, ich weiß“, erwiderte der Mönch mit matter Stimme. „Das war einer der Ritter von König Sigurd dem Schrecklichen. Das Leben eines einfachen Mönchs zählt für diese Barbaren nichts. Wir sind ihren Schikanen schutzlos ausgeliefert, genau wie die Dorfbevölkerung. Aber wir können nichts gegen sie ausrichten. Es müsste schon ein Wunder geschehen. Dafür beten nicht nur wir Mönche, das könnt ihr mir glauben. Sonst können wir nichts tun. Hoffen und beten.“
Mit diesen Worten setzte der alte Mann sich auf und ging zu seinem Karren, der halb im Graben gelandet war. Die Jungen halfen ihm, ihn herauszuziehen und auf dem Weg zu platzieren. „Habt Dank für eure Hilfe! Gott segne euch!“, sprach der Mönch und setzte seinen Weg fort.
Die Kinder blieben nachdenklich zurück. „Ich glaube, wir können erahnen, was mit dem ‚waltenden Unrecht‘ gemeint ist, das auf der Spielkarte angesprochen wurde“, seufzte Emilia. „Das stimmt“, bestätigte Julian, „aber wie um alles in der Welt sollen wir vier das Unrecht beheben und das Recht wieder herstellen? Ich meine, wir sind doch nur vier Kinder. Wenn ich das richtig sehe, regiert hier ein ganz übler König, gegen den niemand etwas auszurichten vermag. Wie sollen wir es dann anstellen? Vier Kinder gegen ein ganzes Heer von Rittern …“
Mutlos ließen sie die Köpfe hängen. Mila fing an zu schluchzen. „Das ist ein einziger Albtraum! Ich will einfach nur nach Hause!“
Emilia nahm sie in den Arm. „Ich kann dich so gut verstehen. Mir geht es ganz genauso. Aber ich fürchte, Jammern hilft uns jetzt nicht weiter. Wir brauchen einen Plan.“
Kapitel 4:
Auf dem Marktplatz
„Julian, du bist doch unser Geschichtsexperte“, meinte Emilia. „Was schlägst du vor?“
„Wir sollten uns erst einmal einen Überblick über die Lage verschaffen. Bis jetzt wissen wir ja nur, dass wir in der Ritterzeit gelandet sind und dass hier der böse König Sigurd der Schreckliche regiert – den Namen habe ich übrigens noch nie gehört. Lasst uns dem Mönch folgen. Ich vermute, dass er mit seinem Wagen auf dem Weg zu einer Stadt ist, möglicherweise um dort Waren auf dem Markt zu verkaufen. Dort können wir uns umhören und in Erfahrung bringen, was genau es mit diesem König auf sich hat. Bevor wir dies tun, sollten wir uns jedoch andere Namen zulegen, denn unsere sind zu modern, wir würden direkt auffallen.“
„Guter Einwand“, stimmte Felix ihm zu. „Ich hätte auch schon einen Vorschlag für dich: Wie wäre es mit Giselbert?“
Die Mädchen lachten, Julian knuffte ihm unsanft in den Arm. „Au, was soll das? Ist doch ein cooler Name! Ich weiß gar nicht, was du hast! Und Emilia, wäre Kunigunde nicht ein hübscher neuer Vorname?“
„Gerne, wenn ich dich ab jetzt Wolfram nennen darf.“
Nachdem sie sich noch eine Weile mit neuen Namensvorschlägen geneckt hatten, einigten sie sich darauf, dass Mila ab jetzt Ida heißen sollte, Emilia entschied sich für Katharina, Julian für Johannes und Felix für Andreas. Damit war der erste Teil des Plans in die Tat umgesetzt. Man verständigte sich noch kurz darauf, bei möglichen Nachfragen zu antworten, sie seien aus ihrem Dorf weggegangen, um in der Stadt Arbeit zu finden. Dies erschien ihnen zunächst abwegig, aber Julian hatte ihnen versichert, dass im Mittelalter Kinderarbeit an der Tagesordnung war und sich keiner darüber wundern würde. Dann machten sich die vier auf den Weg zur Stadt. Tatsächlich war es kein weiter Weg, trotzdem taten ihnen bald die Füße weh, da sie es nicht gewohnt waren, ohne Schuhe über Stock und Stein zu laufen. Natürlich liefen sie auch zu Hause oder im Schwimmbad immer mal wieder barfuß, aber auf diesem Weg sehnten sie sich schon bald nach ihren bequemen Turnschuhen.
Von einer kleinen Anhöhe aus erkannten sie schon von Weitem die Stadtmauer, durch deren Tor mehrere Leute strömten, viele davon hatten Tiere oder Wagen mit dabei. Julian sah seine Vermutung, dass Markttag sein könnte, bestätigt. „Wir werden uns möglichst unauffällig unter die Leute mischen. Mit etwas Glück fallen vier Kinder da nicht sonderlich auf. Ich fürchte, dass wir nicht locker reinmarschieren und unseren Auftrag erfüllen können. Wir sollten uns darauf einstellen, dass wir längere Zeit hier sein werden. Das heißt, wir sollten zusehen, möglichst bald ein Dach über dem Kopf zu haben und Geld für Nahrungsmittel aufzutreiben. Wenn ihr eine Chance seht, bei jemandem unterzukommen, nutzt sie!“
Mila schluchzte wieder auf.
„Keine Sorge, Mila, du bist nicht allein!“, tröstete Emilia sie und Felix ergänzte: „Genau, du bist die Jüngste von uns. Einer von uns wird auf jeden Fall bei dir bleiben und dich beschützen. Dass wir alle vier irgendwo Unterschlupf finden, wage ich jedoch zu bezweifeln. Lasst uns die Hoffnung aber nicht aufgeben. Wir halten zusammen und werden dieses Abenteuer bestehen!“ Er klang zuversichtlicher, als er sich fühlte, als er dies sagte. Aber hatten sie eine andere Wahl?
Mit mulmigem Gefühl betraten sie in einem Pulk von Leuten gemischten Alters die Stadt. Tatsächlich hatten sie Glück und wurden von den Wachposten nicht näher zu ihrem Anliegen befragt. Staunend sahen sie sich um. Natürlich kannten sie das, was sie sahen, aus Büchern über das Mittelalter, aber das Leben hier mit eigenen Augen zu sehen, die Gerüche wahrzunehmen, das war doch etwas ganz anderes. Marktstände standen dicht aneinandergereiht, es wimmelte von Menschen und Tieren. Hier wurden alle möglichen Waren feilgeboten, es gab Stände mit Gemüse, mit Töpferwaren, mit Fellen und Lederwaren. Der Geruch war äußerst gewöhnungsbedürftig und schwer zu beschreiben. Es roch nach menschlichen Ausdünstungen, nach Gras, Tierkadavern und tierischen Ausscheidungen, eine extrem unangenehme Mischung. Es dauerte eine Weile, bis sie sich an den beißenden Gestank gewöhnt hatten.
Neben einem Stand, an dem verschiedene Felle verkauft wurden, entdeckten sie den Mönch, der ihnen zuvor begegnet war. Er schien verschiedene Tinkturen zu verkaufen. Er hatte die Kinder ebenfalls entdeckt und winkte ihnen freundlich zu. Sie gingen zu ihm und betrachteten seine Auslagen genauer. „Ah, Sie verkaufen Johanniskrautöl“, meinte Julian.
„Das hast du gut erkannt, mein Sohn. Erkennst du es, weil du es selbst schon benutzt hast?“
„Das nicht, aber es steht doch drauf.“