Der Weg des Schicksals - Kim Leopold - E-Book

Der Weg des Schicksals E-Book

Kim Leopold

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Beschreibung

An Ruhe ist nach der ersten Ratssitzung nicht zu denken, denn schon erschüttern die nächsten Ereignisse die Lehrerschaft. Moose möchte jedoch nicht auf die Entscheidung des Rates warten, sondern macht sich selbst auf die Suche – und stößt dabei auf ein großes Geheimnis. Währenddessen quartieren sich Mikael und Farrah am Palast der Träume ein, um endlich eine Antwort auf Mikaels wichtigste Frage zu bekommen. Doch so kurz vor dem Ziel haben sie nicht damit gerechnet, dass sich Emmas Begeisterung darüber in Grenzen hält. Kim Leopold hat eine magische Welt mit düsteren Geheimnissen, nahenden Gefahren und einem Hauch prickelnder Romantik erschaffen, bei dem Fantasy-Lover voll auf ihre Kosten kommen. Der Weg des Schicksals – Band 13. der Urban Fantasy Serie Black Heart!

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Black Heart 13

Der Weg des Schicksals

 

 

Kim Leopold

 

[was bisher geschah]

 

1448 - Nachdem die Hexe Ichtaca ihren Vater von seiner tödlichen Krankheit geheilt hat, holt man sie in den Tempel, wo sie bald einem Gott geopfert werden soll. Ihr bester Freund und Geliebter Nanauatzin sucht nach einer Lösung, um sie zu befreien, und stößt dabei auf eine Magica, die auf der Durchreise ist.

 

2018 - Mikael und Farrah suchen den Cirque de la Sorcellerie auf, um dort Hilfe von Adele zu bekommen. Diese ist jedoch am Palast der Träume, um ihrer Tochter Hayet nach dem Angriff beizustehen. Mikael und Farrah nutzen die Gelegenheit und sehen sich eine Vorstellung des Cirque an, bevor sie von dort aus zum Palast weiterreisen.

 

Im Palast der Träume nimmt Emma die Redeposition im Rat an sich und manövriert die neuen Mitglieder durch die Wahlen. Zwischen Tür und Angel bricht sie den Bann, der Gestaltwandler vom Palast fernhalten soll, um ihre Freunde Mikael und Willem wieder hineinlassen zu können.

 

In der Zwischenzeit geraten Alex und Lotta in Panik, weil der Rat Zugriff auf Tyros’ Tagebuchaufzeichnungen hat und sich darin ein Hinweis auf Alex’ verbotene Beziehung zu Louisa finden könnte. Sie beschließen, die beiden leblosen Körper von Louisa und Ivan an einen anderen Ort zu schaffen, doch das geht gründlich schief.

 

[prolog]

Ichtaca

Norwegen, 1448

 

Ich tauche aus einem Strudel von Farben auf, die sich bald zu Gegenständen formen. Gegenständen, die sich bewegen, hin und her, langsam, als hätte ich zu viel Wein getrunken. In meinen Ohren rauscht es, und in dem Moment, in dem ich festen Boden unter den Füßen spüre, verliere ich den festen Halt an meiner Hand. Ich sinke auf die Knie und unterdrücke schwer atmend ein Würgen.

Was für eine Art zu reisen.

Es dauert eine Weile, bis ich mich so weit gefasst habe, dass ich mich umschauen kann. Nanauatzin kniet mir gegenüber. Er ist blass im Gesicht und wischt sich mit einem Arm über die Mundwinkel. Seine braunen Augen suchen mein Gesicht ab.

»Ist alles in Ordnung, Taca?« Seine Stimme ist kratzig und jagt mir einen Schauder über den Rücken.

Ich nicke und sehe mich nach der Magica um, doch sie ist verschwunden. »Wo sind wir?«

Nanauatzin zuckt mit den Schultern und blickt sich ebenfalls um. Wir sitzen in einer kleinen Hütte, die so unterschiedlich zu den Steinbauten in Mechtatitlan ist, dass mir ganz komisch wird. Hier ist so viel Holz und kein einziges Fenster, es sei denn, diese sind hinter den schweren Wandbehängen verborgen.

In einer Ecke liegen Decken und Kissen auf dem Boden und bilden ein gemütlich aussehendes Nachtlager, auf der anderen Seite gibt es eine kleine Kochnische und einen Tisch, an dem man sitzen kann. Den meisten Platz nimmt die große Feuerstelle ein, in der bereits ein Feuer lodert.

Ich wiederhole meine Frage: »Wo sind wir?«

»In Sicherheit«, erwidert Nanauatzin ernst und steht auf. Er reicht mir eine Hand, und ich nehme sie zögernd an, um mir auf die Beine helfen zu lassen.

Meine Knie zittern immer noch, während ich die Nacht Revue passieren lasse. So fest habe ich damit gerechnet, den Morgen nicht mehr zu sehen. Und dann taucht er auf, mein Held in der Nacht, an seiner Seite eine Magica, deren Berührung mich in einen Strudel voll Farben zieht.

Egal, wie sehr ich mich bemühe, ich verstehe nicht, was geschehen ist. Wo sind wir? Was ist passiert? Und wo ist die Magica hin?

»In Sicherheit?«, frage ich argwöhnisch nach und gehe zur Wand, um einen der Teppiche zur Seite zu schieben.

Ich erstarre. »Was zum …?«

Wie vermutet befindet sich dahinter ein Fenster. Es ist die Welt dahinter, die mich zutiefst erschreckt. »Wieso ... wieso ist das alles weiß?«

»Hm?« Nanauatzin kommt zu mir und schaut ebenfalls hinaus. Ich spüre sein Erschaudern in meinem Rücken.

Es ist dunkel draußen, am Himmel stehen die Sterne und ein großer, voller Mond. Doch den bräuchte es überhaupt nicht, denn die Welt ist von einem so satten Weiß, dass alles hell ist.

»Was ist das?«, wispere ich nervös. So etwas kenne ich aus Mechtatitlan nicht.

»Ich glaube, das ist Schnee«, entgegnet Nanauatzin. »So sieht zumindest der Wipfel des Iztaccíhuatl aus.«

»Aber wir sind nicht auf einem Berg, oder?« Ich lasse den Wandbehang fallen und eile durch den Raum, um auch aus den anderen Fenstern zu blicken. Weit und breit keine Menschenseele zu sehen, aber auch kein Abhang. »Sieht nicht so aus.«

»Ich weiß nicht, wo wir sind.« Nanauatzin legt etwas Feuerholz nach. »Ich weiß nur, dass die Magica uns Sicherheit versprochen hat. Hier wird dich keiner wegen deiner Kräfte den Göttern opfern wollen, Taca.«

Ich lasse seine Worte auf mich wirken, kann immer noch nicht glauben, dass er mich tatsächlich fortgebracht hat. Dass wir hier sind, fernab von der Zeremonie, die mich mein Leben gekostet hätte. Wie ...?

Nanauatzin tritt auf mich zu und hebt eine Hand, um eine lose Strähne von meiner Wange zu streichen. Am liebsten würde ich mein Gesicht in seine Handfläche schmiegen, doch ich erinnere mich noch zu genau daran, dass er dabei zugesehen hat, wie ich aus meinem Haus gerissen wurde.

Ich mache einen Schritt zurück und sehe, wie ihm meine Reaktion das Herz bricht.

»Ich ... ich bin müde«, lüge ich und deute aufs Bett. »Lass uns schlafen. Morgen früh können wir die Gegend erkunden.«

Er nickt mit zusammengepressten Lippen, lässt mich aber in Ruhe mit meinen widerspenstigen Gefühlen. Ich wünschte, ich könnte Nanauatzin verzeihen und mich darüber freuen, dass wir hier gelandet sind. Aber das kann ich nicht.

Noch nicht.

Also flechte ich mir in aller Ruhe die Haare neu, bevor ich mich auf unsere neue Bettstatt niederlasse und in die Kissen kuschle. Es ist warm und riecht nach Feuerholz und Natur.

Nach Sicherheit.

 

 

Es dauert einen ganzen Mondzyklus, bis das nagende Gefühl in meiner Magengrube verschwindet, wann immer Nanauatzin versucht, mir näherzukommen. Mittlerweile haben wir herausgefunden, dass wir uns in einem Land befinden, welches man Norwegen nennt. Hier ist es kalt und dunkel, aber die Dorfbewohner, die etwas abseits wohnen, sind freundlich und zuvorkommend.

Es ist, als hätten wir schon immer hier gewohnt.

Niemand stellt Fragen, niemand wundert sich darüber, dass wir so anders aussehen mit unserem dunklen Haar und der gebräunten Haut.

Doch es hat auch noch niemand mein Leuchten gesehen – und ich versuche, es so gut wie ich kann, vor ihnen zu verbergen. Es wird jedoch immer schwieriger, denn die Kräfte in mir wachsen mit jedem Tag weiter an.

Dass unser neues Zuhause noch nicht in Flammen aufgegangen ist, grenzt an ein Wunder.

»Du solltest lernen, damit umzugehen«, sagt Nanauatzin ernst, wenn er mitbekommt, wie die Kräfte unkontrolliert aus mir hervorbrechen. Ich weiß, er hat recht, aber ich habe doch keine Ahnung, wie ich etwas so Mächtiges jemals beherrschen soll – und so speise ich ihn jedes Mal mit einer schwachen Ausrede ab, während ich zu verbergen versuche, wie viel Angst mir das einjagt.

Nach dem Frühstück reicht mir Nanauatzin plötzlich meine neuen Stiefel. »Hier, zieh dich an.«

»Was? Warum?« Verwirrt nehme ich sie entgegen und schlüpfe hinein. Sie sind dick gefüttert und fühlen sich immer noch ungewohnt an meinen Füßen an, bin ich in Mechtatitlan doch die meiste Zeit barfüßig gelaufen. »Wohin gehen wir?«

»Ich möchte dir etwas zeigen.« Er lächelt mich warm an, und ich komme nicht umhin, mich zu fragen, wie er so viel Geduld mit mir haben kann. »Es wird dir mit Sicherheit gefallen.«

Er schlüpft in seine eigenen Stiefel und wirft sich ein warmes Fell über den Rücken, bevor er mir meins reicht. Ihn so warm angezogen zu sehen ist ebenfalls immer noch ungewohnt. Er sieht aus wie einer der Jäger aus dem Dorf, die uns gelegentlich Felle, Fleisch und Leder verkaufen.

Draußen ist es kalt. Der Schnee der letzten Tage hat sich zu riesigen Bergen aufgetürmt, doch heute ist der Himmel vergleichsweise ruhig. Wir marschieren in eine Richtung, die ich noch nicht kenne. Im Gegensatz zu mir hat Nanauatzin die letzten Tage genutzt, um die Gegend zu erkunden. Mir war es dafür oft zu kalt und ungemütlich, aber wenn ich die Dorfbewohner richtig verstanden habe, ist der Winter bald vorbei.

Wir laufen eine ganze Weile durch den tiefen Schnee, vorbei an immergrünen Bäumen, die sich relativ bald lichten und einer großen, freien Fläche Platz machen.

Ich bleibe stehen, weil ich so sehr mit der Aussicht beschäftigt bin, dass ich kaum auf meine Füße achten kann. Es ist atemberaubend.

Wasser und Eis, in allen erdenklichen Weiß- und Blautönen. So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen.

»Wunderschön, nicht wahr?« Nanauatzin kommt zu mir zurück. In seinen Augen steht ein Funkeln, das der Natur Konkurrenz machen könnte. »Im Dorf nennt man das Breen.«

»Breen? Das Wort wird der Schönheit gar nicht gerecht«, murmle ich und gehe ein paar Schritte weiter, um noch mehr von dieser Naturgewalt in mich aufzunehmen. Auf der anderen Seite des Wassers befindet sich ein riesiger Berg aus Eis. Ich bezweifle, dass selbst der stärkste Krieger dieser Welt ihn bezwingen könnte.

Je weiter ich mich aufs Eis hinauswage, umso mehr spüre ich die Natur auch in mir. Es ist, als würde mein Leuchten auf den Zauber reagieren, der im Eis innewohnt.

»Spürst du das auch?«, frage ich dennoch sicherheitshalber nach. »Dieses Summen in dir?«

Nanauatzin schüttelt lächelnd den Kopf. »Das ist ganz allein deine Kraft, Taca. Versuch, sie zu benutzen.«

»Wie denn?« Unsicher hebe ich die Hände vor meine Augen und überlege, was ich ausprobieren könnte. Ich habe schon Feuer wie aus dem Nichts erschaffen und einen Sturm, der einen Baum entwurzelt hat. Aber das waren Versehen. Nichts davon habe ich wirklich gewollt.

»Nun, ein Feuer würde sich hier nicht ausbreiten«, schlägt Nanauatzin vor und zieht ein paar Holzscheite aus seinem Beutel. Erst da wird mir klar, dass er von Anfang an geplant hat, mich mit meinen Kräften zu konfrontieren.

Aber statt mich über ihn zu ärgern, füllt sich mein Herz mit Wärme. Er würde mich niemals aufgeben.

Zögernd nehme ich einen Holzscheit entgegen und halte ihn ausgestreckt vor mir in die Luft. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll, also schließe ich einfach die Augen und konzentriere mich auf das Summen in mir. Es wird lauter, schwillt an, bis mir davon beinahe schwindelig wird. Erst da stelle ich mir vor, wie das Holz in meinen Händen zu brennen beginnt.

Ein leises Knistern. Als wenn man es an der Feuerstelle entzündet. Ein Knacken. Wärme, die durch meine eiskalten Fingerspitzen gleitet. Kleine Flammen, die sich an meinen Handflächen emporschlängeln.

»Taca!« Nanauatzins alarmierte Stimme dringt zu mir durch, und ich öffne die Augen. Mit einem leisen Schrei werfe ich das brennende Holzscheit vor mir auf das Eis und falle auf die Knie, um die Flammen an meinen Händen im Schnee zu ersticken.

Mein Herz rast.

»Bist du in Ordnung?« Nanauatzin hockt sich neben mich und berührt mich an der Schulter. »Das ging so schnell.«

»Es ist alles gut«, stelle ich verwundert fest und betrachte erstaunt meine unversehrten Hände. Das Feuer hat keine Spuren hinterlassen. »Es tat nicht weh.«

Ich sehe ihn mit großen Augen an, und wir müssen beide lachen. Es ist das erste Mal, seit wir in Norwegen sind, dass sich die Schwere in meinem Herzen löst.

 

 

Von da an wird es Tag für Tag besser. Immer häufiger kehren wir zum Breen zurück, um dort in Ruhe mit meinen Kräften zu arbeiten. Sie wachsen an, lassen sich aber auch besser beherrschen. Die Unfälle in der Hütte werden weniger, dafür kann ich mein Leuchten nun auch benutzen, um unsere Feuerstelle zu entzünden, nachdem wir den ganzen Tag im Dorf gewesen sind, oder das Essen warm zu halten, wenn Nanauatzin länger auf der Jagd braucht, als ich vermutet habe.

Der Schnee wird merklich weniger, und auch die Jagden sind häufiger erfolgreich. Ob es daran liegt, dass die Tiere zurück in die Wälder kehren oder daran, dass Nanauatzin mehr Übung hat, weiß ich nicht.

Wir verstehen immer mehr von der Sprache, die man hier spricht, und schließen die ersten Freundschaften. Manchmal bleiben wir sogar bis zum Einbruch der Dunkelheit und trinken etwas mit den anderen, bis Nanauatzin uns zum Gehen ermahnt, damit wir auf dem Rückweg nicht Opfer wilder Tiere werden.

Ich habe das Gefühl, seit wir in Norwegen sind, hat sich unsere Beziehung zueinander verändert. Er ist nicht mehr der große Krieger, der er in Mechtatitlan gewesen ist, und ich bin nicht mehr das junge Mädchen, das für ihn schwärmt. Nein, wir sind erwachsen geworden und leben wie Mann und Frau auf engstem Raum zusammen – nur, dass wir uns nicht wie Mann und Frau verhalten, sondern umeinander rumtänzeln, aus Angst, einander zu verletzen.

Eines Tages im Frühling nimmt er mich wieder mit auf Wanderschaft. Entgegen meiner Erwartungen gehen wir nicht den üblichen Weg zum Breen, sondern schlagen uns weiter durch die Wälder. Mein Herz flattert, während ich rätsle, wo er mich dieses Mal hinführt. Auf meine Fragen bekomme ich bloß dieses geheimnisvolle Lächeln, das er mir immer dann schenkt, wenn er eine Überraschung für mich hat.

»Es ist nicht mehr weit«, verspricht er mir – und tatsächlich: wenige Augenblicke später lichtet sich der Wald und macht Platz für eine weite Fläche, auf der sich der letzte Schnee mit dem Grün der Wiesen abwechselt. Zwischendrin befinden sich ein paar kleinere Seen, manche davon bloß so groß wie unsere Hütte.

Und sie dampfen.

»Was ist das?«, frage ich argwöhnisch.

Nanauatzin dreht sich zu mir um und grinst breit. »Das, meine liebe Taca, wird dein nächstes Bad.«

Er nimmt meine Hand und zieht mich über die Wiese, bis hin zu dem See, der uns am nächsten ist. Dort angekommen legt er seinen Beutel und das Fell ab, bevor er fröstelnd aus seiner Kleidung schlüpft.

»Was tust du da?«, frage ich panisch und wende beschämt den Blick ab, als er auch seine Hose fallen lässt. Hitze steigt mir in die Wangen, und obwohl ich die Augen schließe, fällt es mir schwer, das Bild seines starken Körpers aus meinen Gedanken zu vertreiben.

Es plätschert laut. »Na los, komm rein. Es ist herrlich!«

»Was?« Schockiert drehe ich mich um und blinzle durch meine Finger hindurch. Nanauatzin ist tatsächlich in den See gestiegen und schwimmt entspannt auf dem Rücken. Er beobachtet mich belustigt. »Ist das nicht sehr kalt?«, frage ich ihn kritisch.

»Fühl doch mal.«

Immer noch skeptisch trete ich näher ans Ufer und hocke mich hin, um meine Hand ins Wasser zu halten. Es ist verdammt warm. So warm, dass man gut darin baden könnte.

»Das gibt’s doch nicht«, wispere ich verblüfft. »Dreh dich um. Na los, ich will nicht, dass du mir etwas wegguckst.«

Nanauatzin lacht, dreht sich aber tatsächlich um. Ich lege meine Kleidung so schnell wie möglich ab, denn außerhalb des Wassers ist es wirklich frisch. Dann hocke ich mich ans Ufer, um mich ins Wasser gleiten zu lassen.

Das Gefühl ist unbeschreiblich. So lange war ich nicht mehr in der freien Natur baden. Mich immer nur an dem nahegelegenen Bach zu waschen, ist einfach nicht das Gleiche.

»Bei den Göttern, tut das gut«, japse ich und mache ein paar Züge durch das warme Wasser. Es ist sogar noch schöner als der Fluss in Mechtatitlan, denn es zerrt nicht an den Gliedern, sondern erwärmt die Haut und das Herz. »Ich glaube, ich habe meinen neuen Lieblingsort gefunden.«

Nanauatzin dreht sich um und lächelt mich an. »Ich wusste, du würdest es lieben.«

»Und wie.« Eine Welle der Dankbarkeit überrollt mich und treibt mir beinahe die Tränen in die Augen.

Wir albern eine Weile ausgelassen herum und genießen die Natur, die uns diesen Moment überhaupt erst ermöglicht. Ich bespritze Nanauatzin mit Wasser, bis er meine Hand abfängt und mich an sich heranzieht.

»Taca«, beginnt er und legt meine Hand auf seinem Herzen ab. Ich spüre den beschleunigten Herzschlag, als wäre es mein eigener. Seine braunen Augen suchen mein Gesicht nach einem Zeichen der Ablehnung ab, doch heute findet er es nicht. Heute habe ihm endlich verziehen.

 

[1]

 

Moose

Österreich, 2018

 

Ein Schrei reißt mich aus dem Schlaf. Ich schlage die Decke zurück und lausche mit rasendem Herzen in die Dunkelheit. Da höre ich Stimmen und Gepolter auf dem Flur.

Nicht schon wieder ein Angriff, schießt es mir durch den Kopf, während ich schon hochspringe, mir die Hose von gestern schnappe und hineinschlüpfe, bevor ich mir die Glock aus meiner Nachttischschublade nehme und rausrennen will. Dabei stolpere ich über einen Haufen Akten, der sich in meinem gesamten Wohnzimmer verteilt.

»Shit«, murmle ich, doch die Akten sind gerade nicht wichtig. Ich reiße die Tür auf, die Waffe im Anschlag, und blinzle gegen das grelle Licht der Neonröhren. Als sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt haben, kann ich kaum glauben, was ich vor mir sehe.

Ein umgekippter Wäschewagen, ein schwarz angelaufener Körper. Alex, mit erhobenen Händen. Lotta, die eine Hand in die Luft hält und mit der anderen hektisch versucht, ihre Tränen zu trocknen. Um sie herum versammeln sich die Männer, die von dem Tumult ebenfalls wach geworden sind. Wie ich sind einige von ihnen bewaffnet. Und genau wie ich scheinen sie alle nicht zu wissen, wie sie handeln sollen.

»Was zum …« Ich blinzle noch einmal, aber das absurde Bild vor mir verschwindet nicht. Lotta fängt meinen Blick auf, was ihre Tränen nur zu verstärken scheint. Verständnislos sehe ich von ihr zu dem leblosen Körper auf dem Boden.

Johann kniet neben ihn, fasst ihn an den breiten Schultern, die mir irgendwie bekannt vorkommen, und rollt ihn auf den Rücken. Ich weiche keuchend einen Schritt zurück.

»Das ist Ivan.«

»Ist er tot?«

»Oh, fuck.«

»Was ist mit ihm geschehen?«

»Was machen wir jetzt?«

Die Stimmen um mich herum vermischen sich mit dem Chaos in meinem Kopf. Was zur Hölle ist hier passiert? Was ist mit Ivan? Und warum sehen Alex und Lotta aus, als hätten sie vorgehabt, eine Leiche zu vergraben?

Johann steht auf und fährt sich mit beiden Händen durch die Haare. Er ist blass. Der Schock steht ihm ins Gesicht geschrieben. »Wie … was …«

»Wir können das erklären«, bringt Alex heiser über die Lippen. Ich mustere den Mann, von dem ich dachte, er wäre einer meiner besten Freunde. Erst jetzt fällt mir auf, wie blass und müde er aussieht. Seine Augen leuchten nicht mehr, sie sind matt und abgeschlagen. Wie konnte mir nicht auffallen, dass er so dicht am Abgrund wandelt?

»Auf die Erklärung bin ich gespannt.« Eine Stimme mit russischem Akzent mischt sich ins Gespräch. Ein paar der Männer treten zur Seite und lassen Jegor Stanislav in den engeren Kreis treten. Es fühlt sich merkwürdig an, dass er das Kommando an sich reißt, aber andererseits: er ist jetzt Mitglied des kleinen Rates. Wenn nicht er, wer dann? »Ich glaube, wir können die Waffen runternehmen. Ihr werdet sicher kooperieren.«

Alex nickt, und Lotta schnieft.

Ich sichere meine Waffe und stecke sie in meinen Gürtel.

»Herr Kavanagh«, richtet Stanislav das Wort an mich. »Benachrichtigen Sie bitte den kleinen Rat.«

Ich nicke sprachlos und öffne die Tür zu meiner Wohnung, um mein Handy zu holen, während er weitere Anweisungen gibt. Drinnen gestatte ich mir einen Moment des Luftholens. Ich habe keine Ahnung, was mit Ivan geschehen ist oder wie Alex und Lotta in diese Lage kommen konnten. Ich weiß nicht, was sie im Schilde führen, aber so schuldig wie sie dreingeblickt haben, kann es nichts Gutes bedeuten.

Wie konnte ich mich so sehr in ihnen täuschen?

Meine Hände zittern, während ich Emmas Nummer wähle. Es klingelt ein paar Mal, bevor sie drangeht.

»Moose? Was ist passiert?« Sie klingt alarmiert. Kein Wunder, wenn ich sie mitten in der Nacht anrufe. Dann kann es sich nur um einen Notfall handeln.

»Du musst sofort in den Männerflur kommen«, erwidere ich. »Ich … Gott, ich kann nicht mal erklären, was passiert ist. Das musst du mit eigenen Augen sehen. Beeil dich. Stanislav übernimmt das Kommando.«

Sie stellt keine Fragen, sondern bedankt sich bloß für den Anruf, bevor sie auflegt und ich die übrigen Mitglieder des kleinen Rates informiere.

Wenn Emma da ist, wird sich alles aufklären. Das ist das Einzige, was ich denken kann. Emma wird wissen, was zu tun ist.

 

 

Mir schießen die unterschiedlichsten Möglichkeiten durch den Kopf, während ich darauf warte, dass es Nachricht von Emma und dem kleinen Rat gibt. Vielleicht haben meine Freunde uns nur einen Streich gespielt, einen bösen zwar, aber einen, in dem niemand zu Schaden gekommen ist. Vielleicht war Ivan nur bewusstlos. Vielleicht … Nein, dieser schwarze Körper … das ist nicht gesund.

So sahen diejenigen aus, die beim Angriff auf den Palast von einem Fluch getroffen wurden. Mit dem Unterschied, dass sich Ivans Augen noch bewegt haben, als würde er bloß träumen. Ich erschaudere. Was ist passiert? Wo war er? Wer hat ihn … getötet? Und was haben Alex und Lotta damit zu tun?

Ich beschließe, nicht länger vor der Tür zum Ratssaal zu warten, sondern stattdessen in mein Büro zu gehen, um die Bänder der Überwachungskameras zu überprüfen. Vielleicht kann ich darauf etwas finden, was mir eine Erklärung gibt, mit der ich nachts noch einschlafen kann.

Mittlerweile ist es drei Uhr früh. Zeit für den ersten Kaffee. An Schlaf ist heute Nacht sowieso nicht mehr zu denken.

Im Sekretariat vermeide ich es, Lottas Schreibtisch allzu genau zu betrachten. Solange ich nicht weiß, was los ist, will ich nicht drüber nachdenken, wer sie wirklich ist.

Ich schalte die Kaffeemaschine ein, bevor ich die Tür zum Kontrollraum aufschließe und meinen Rechner hochfahre. Die neuen Bildschirme zeigen Ausschnitte aus dem Palast, in dem alles ruhig ist. Die gesamte Schülerschaft schläft noch, niemand ahnt etwas von dem, was sich gerade auf dem Flur der Lehrer ereignet hat.

---ENDE DER LESEPROBE---