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Auf den Spuren ihrer Urgroßmutter stößt eine junge Frau auf einen prächtigen Garten in Ligurien und auf ein dramatisches Geheimnis …
Als die fünfunddreißigjährige Gianna vom Tod ihrer Großmutter Luisa erfährt, ist sie erschüttert. Luisa war wie eine zweite Mutter für sie und hat Giannas Welt mit Geschichten erfüllt. Vor allem über ihre geheimnisumwobene Urgroßmutter Anice, die 1919 in Barcelona strandete und dort eigenhändig den seither familiengeführten Delikatessenladen eröffnete. In den Hinterlassenschaften Luisas stößt Gianna auf Anices Tagebuch sowie auf einen Schlüssel und beschließt, sich auf die Spuren ihrer mysteriösen Wurzeln zu begeben. Diese führen sie nicht nur zu einem Garten am Rand eines italienischen Dörfchens, sondern auch zur tragischen Geschichte Anices und der Wahrheit über sich selbst …
Packend, opulent und auf kunstvoll verflochtenen Zeitebenen erzählt – bester Schmökerstoff von Spaniens Königin der Familiengeheimnisromane!
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Seitenzahl: 735
Veröffentlichungsjahr: 2021
Der Wildblütengarten
Als die 35-jährige Gianna Verelli vom Tod ihrer geliebten Großmutter Luisa erfährt, ist sie tief erschüttert. Seit dem Tod ihrer Eltern war Luisa wie eine zweite Mutter für sie, und Luisa war es auch, die Giannas Welt mit Geschichten erfüllte. Vor allem über ihre geheimnisumwobene Urgroßmutter Anice, die eines stürmischen Tages im Jahr 1919 in Barcelona gestrandet ist und dort eigenhändig den seither familiengeführten Delikatessenladen eröffnet hat. In den Hinterlassenschaften Luisas stößt Gianna unerwartet auf Anices Tagebuch sowie auf einen alten Schlüssel und beschließt, sich auf die Spuren ihrer mysteriösen Wurzeln zu begeben. Diese führen sie nicht nur zu einem verwunschenen Garten am Rand eines kleinen italienischen Dörfchens, sondern auch zur tragischen Geschichte Anices und der Wahrheit über sich selbst …
Autorin
Carla Montero, geboren 1973, studierte Jura und BWL, bevor sie sich ihrer großen Leidenschaft, dem Schreiben, zuwandte. Heute ist sie eine der erfolgreichsten Autorinnen Spaniens, ihre Romane werden in mehrere Sprachen übersetzt. Nach »Das Mädchen mit den Smaragdaugen« ist »Der Wildblütengarten« ihr zweiter Roman bei Blanvalet. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und vier Kindern in Madrid.
Von Carla Montero bereits erschienen
Das Mädchen mit den Smaragdaugen
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Carla Montero
Der Wildblütengarten
Roman
Deutsch von Alexandra Baisch
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »El jardin de las mujeres Verelli« bei Plaza & Janés, Penguin Random House Grupo Editorial, S. A. U., Barcelona.Die Übersetzung dieses Romans wurde unterstützt durch Acción Cultural Española, AC/E.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Copyright der Originalausgabe © Carla Montero, 2019Translated from the original edition of Penguin Random House Grupo Editorial S. A. U., Barcelona, 2019This edition has been published through the agreement with Hanska Literary & Film Agency, Barcelona, Spain.Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2021 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenRedaktion: Anja RüdigerUmschlaggestaltung und - motiv: www.buerosued.deDN · Herstellung: samSatz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, MünchenISBN978-3-641-26011-8V004www.blanvalet.de
Für meine Großmütter Mercedes und Conchita
Es nennt sich Ruhe und hat mich viele Stürme gekostet.
Es nennt sich Ruhe, und wenn sie verschwindet, mache ich mich abermals auf die Suche nach ihr.
Es nennt sich Ruhe und lehrt mich zu atmen, zu denken und auch umzudenken.
Es nennt sich Ruhe, doch wenn der Wahnsinn sie verleitet, lassen sich die aufrührerischen Winde nur schwer bezähmen.
Es nennt sich Ruhe, und wenn wir lernen zu lieben, wenn der Egoismus durch Geben ersetzt wird, der Nonkonformismus verblasst und das Herz sich öffnet, gibt man sich völlig dem hin, der geben und empfangen will.
Es nennt sich Ruhe, wenn die Freundschaft so ehrlich ist, dass man alle Masken fallen lässt und man einander alles erzählen kann.
Es nennt sich Ruhe, und die Welt weicht ihr aus, ignoriert sie, erdenkt sich Kriege, die niemand jemals gewinnen wird.
Es nennt sich Ruhe, wenn man die Stille genießt, wenn die Geräusche nicht nur Musik und Wahnsinn sind, sondern aus Wind, Vögeln, angenehmer Gesellschaft und dem Rauschen des Meeres bestehen.
Es nennt sich Ruhe, und sie ist unbezahlbar, kein Geld, egal, welcher Form, könnte ihren Wert aufwiegen, wenn sie zur Realität wird.
Es nennt sich Ruhe und hat mich viele Stürme gekostet, und ich würde sie noch weitere tausend Male ertragen, bis ich sie wieder gefunden habe.
Es nennt sich Ruhe, ich genieße sie, respektiere sie und will sie nicht gehen lassen.
Dalai Lama
Barcelona, 1919
Anice blieb stehen, um nicht ins Meer zu stürzen. Sie keuchte vor Anstrengung und Angst und bekam kaum Luft. Niedergeschlagen sank sie auf dem nassen Kai auf die Knie. Das Kinn fest auf die Brust gepresst, meinte sie, in der Ferne eine Sirene zu hören, zwischen den Nebelschwaden, die über das Meer streiften. Doch als sie wieder aufsah, stellte sie fest, dass sich vor ihr nur der Schlund des dunklen, einsam daliegenden Wassers auftat, das von vereinzelten trüben Lichtflecken gesprenkelt war; in der Ferne blinkte der hohe Leuchtturm.
Das Schiff hatte abgelegt. Sie hatten es verpasst. Ängstlich wie ein Tier, das zwischen dem Meer und der unbekannten Stadt gefangen war, sah sie sich um; sie fand sich mitten auf dem menschenleeren Kai wieder, umgeben von Schatten – den Schatten der anderen Boote, der riesigen aufgestapelten Container, die wie eine unüberwindliche Wand vor ihr lagen, der Holzkisten, der schlangengleich aufgerollten Spulen und Taue, der hoch aufragenden Lastkräne. Nur das heranströmende Wasser gurgelte in den Kuhlen und Nischen des Hafenbeckens, ansonsten war alles still.
Sie hatten das Schiff verpasst.
Zwei dicke Tränen rannen über ihre Wangen. Das durfte einfach nicht wahr sein! Dieses Schiff hatte alles mit sich genommen: ihr Gepäck mit den wenigen Habseligkeiten und, was noch viel schlimmer war, die Gelegenheit, noch einmal neu anzufangen. Ihre Angst war so groß, sie schnürte ihr die Brust ein wie ein Strick, der sie am Atmen hinderte. Sie weinte hemmungslos. Was sollten sie jetzt tun? Sie konnten nirgendwo hin! Auf der anderen Seite des Meeres lag ihr inzwischen bedrohliches und von schrecklichen Erinnerungen heimgesuchtes Zuhause, aber es war zu nah an dem Ort, an dem sie sich gerade befand, als dass sie sich hier davor verstecken oder es vergessen könnte. Viel zu nah. Ihre Flucht war vergeblich gewesen. Sie würden sie finden und dann …
»Senyoreta, es troba bé? Necessita ajuda?«
Anice hob den Kopf. Sie hatte kein Wort von dem verstanden, was dieser Mann sie gerade gefragt hatte.
»Abbiamo perso la nave«, sagte sie schluchzend.
Der Garten der Verelli-Frauen
Meine Urgroßmutter hatte einst einen großen Garten, in Italien, dort, wo sie geboren wurde. Sie liebte ihn. Sie hatte ihn als Kind angelegt und sich hingebungsvoll um ihn gekümmert. Für sie war das nicht nur ein Stück bepflanzte Erde. Der Garten war eine Erweiterung ihres Seins, Teil ihrer ureigensten Essenz, als wäre sie selbst aus einem Samen in ihrem Garten hervorgegangen.
Doch meine Urgroßmutter musste nach Barcelona auswandern und sah sich gezwungen, ihren geliebten Garten aufzugeben. In dieser Stadt, direkt auf der gegenüberliegenden Seite des Mittelmeeres, fing sie ein neues Leben an. Aber niemals hatte sie wieder einen Garten wie diesen. Sie hatte keine andere Wahl, als sich mit ein paar wenigen Blumen und Pflanzen zufriedenzugeben, die in Blumentöpfen auf dem winzigen Balkon ihrer Wohnung im Zentrum der Stadt standen. Ihr kleiner Garten, ihr großer Trost.
Ich war noch sehr klein, als sie starb, und kann mich kaum an sie erinnern. Daher ist es eigenartig, dass ich so ein lebhaftes Bild von ihr auf diesem Balkon zurückbehalten habe, wo sie mit ihren Pflanzen flüsterte, mit den Fingerspitzen über die Blätter strich und ihnen leise italienische Lieder vorsang; wo sie mit geschlossenen Augen an einen weit entfernten Ort reiste, an dem es nach Gras und feuchter Erde roch.
Einmal, als sie mich dabei ertappte, wie ich sie mit meiner kindlichen Neugier beobachtete, forderte sie mich auf, zu ihr zu kommen, winkte mich mit der Hand näher. Mit den für kleine Kinder typischen kurzen Trippelschritten lief ich zu ihr und setzte mich zwischen die Töpfe mit Basilikum, Oregano und Rosmarin, Brunnenkresse, Stiefmütterchen und Hauswurzen. Sie lächelte mich an. Dann nahm sie etwas von der schwarzen Erde und malte eine Spirale auf meine Stirn, während sie einen Namen murmelte, den ich nicht verstand.
Damals wusste ich es noch nicht, und es würde auch noch viele Jahre dauern, ehe ich es herausfand, aber meine Urgroßmutter war eine Fee der Tier- und Pflanzenwelt und gehörte in einen Garten.
Doch nun ist ihre geheime Geschichte endlich bis zu mir vorgedrungen. Jetzt ist sie auch meine Geschichte. Eine Geschichte von Frauen ohne Männer, von zweiten Chancen, von gemurmelten Weisheiten, die durch die Zeit gereist waren, von einem verlassenen Garten, der viele Jahre später wieder auflebte wie eine Spiegelung des Lebens selbst. Der Wildblütengarten der Verelli-Frauen.
Veilchenpralinen
Der Laden hatte schon geschlossen. Für gewöhnlich machte er später zu, so gegen neun Uhr, wenn nicht noch ein Nachzügler kam, weshalb sie dann ein paar Minuten länger warten mussten, ehe sie das Rollo herunterlassen konnten. Auch an diesem Trauertag war hier nichts anders gewesen. Andrea, der schon sein halbes Leben hier arbeitete, ging als Letzter, als die Nacht bereits hereingebrochen war.
»Buonanotte, bella … Versuch, dich etwas auszuruhen«, riet er mir mit traurigem Lächeln, drückte mir einen Kuss auf die Wange und den Schlüsselbund in die Hand.
So hätte Nonna es gewollt. Sie hatte immer voller Stolz erzählt, dass der Laden in den knapp hundert Jahren seines Bestehens nur an den Weihnachtstagen geschlossen gewesen war. Der Laden war ihr Heim, ihr Leben. Ich seufzte. Dieser Ort hier roch nach Zuhause, er roch nach ihr. Es war ein einzigartiger Geruch, salzig und süß zugleich; nach Holz und Kaffee, nach Gewürzen und Schokolade, nach Geräuchertem …
Meine langsamen Schritte hallten in dem leeren Raum wider. Im Vorbeigehen strich ich mit den Fingerspitzen über den kalten Marmor des Tresens. In diesen Räumen reiste ich in der Zeit zurück, nicht nur in meine Kindheit, sondern auch sehr viel weiter, in eine andere Epoche, in ein anderes Jahrhundert. Der Laden hatte sich in den letzten hundert Jahren nur wenig verändert. Alles war noch wie früher, die Zementfliesen, die verzierte Holzdecke, die Kristallleuchter, die Eichenwandschränke mit den Holztafeln im Art-déco-Stil, die von Hand bemalten Steindosen, die geflochtenen Körbe und die Holzkisten sowie die alte Waage und die von den Kunden bewunderte Kasse der Marke National mit ihrer filigranen Verzierung und den Tasten, die an die einer alten Schreibmaschine erinnerten.
»Komm, Gianna. Hilf mir, die Ravioli in die Theke zu stellen.« In meinem Kopf hörte ich die Stimme meiner Großmutter ganz deutlich, als stünde sie hier mit ihrer makellos weißen Schürze und den mehlbestäubten Händen, nachdem sie die Vitrine mit den frischen Nudeln bestückt hatte. Ich lächelte. Doch auch das Lächeln konnte meine Tränen nicht aufhalten. Es war mir egal; jetzt, da ich hier allein war, störten mich die Tränen nicht. Den ganzen Tag über hatte ich nicht geweint, hatte ich mich beherrscht, und ich spürte, wie das Weinen mich erleichterte. Da meine Nase lief, suchte ich in meiner Tasche nach einem Taschentuch. Die Tasche war viel zu klein und so voll, dass ich meine Hand kaum hineinbekam, um darin herumzuwühlen.
»Immer wenn man den Pflegestift sucht, findet man das Taschentuch, und mit dem Handy ist es das Gleiche.«
Ohne aufzusehen, erkannte ich Carlos Stimme und fühlte mich ein wenig beschämt. »Gianna, du bist hart wie Stein, du weinst nie.« Das hatte ich, seit ich denken konnte, so oft gehört, dass ich es inzwischen selbst glaubte oder zumindest vorgab, es zu tun.
»Scheißtasche …«, murmelte ich und zwang mich, meine Stimme fest und gelassen klingen zu lassen.
»Hier.«
Ich nahm das Taschentuch, das er mir reichte, sah noch immer verlegen nach unten, wischte mir unbeholfen über Nase und Wangen und meinte, diese Geste müsste ausreichen, um meine Tränen versiegen zu lassen. Wütend stellte ich dann aber fest, dass dem nicht so war, dass ich das Weinen nicht kontrollieren konnte; ich, die ich immer alles unter Kontrolle hatte, insbesondere was meine Gefühle betraf.
Während ich diesen angespannten Monolog mit mir selbst führte, nahm Carlo mich in den Arm.
»Komm schon … hör auf, immer die Starke zu spielen.«
Diese Worte reichten aus, dass ich mich von meiner Traurigkeit übermannen ließ. Ich kuschelte mich in die Arme meines Bruders und gab mich dem Schmerz hin, den wir beide empfanden.
Wenige Minuten später hatte ich mich beruhigt, auch ohne dagegen anzukämpfen, und war in einer Art Benommenheit versunken. Wir hatten uns auf den Boden gesetzt, an unseren Lieblingsplatz hinter den Gemüsekisten, den Rücken an die Schubladen mit den Klebebändern gelehnt, unter dem Regal mit den Konserven, die passata und anderes Gemüse enthielten. Hier hatten wir uns als Kinder versteckt, um uns Streiche auszudenken, hatten Kronkorken geschnippt oder gerätselt, welche Haarfarbe der nächste Kunde haben würde, der hereinkam.
Ich hatte die Schuhe ausgezogen. Mit Pfennigabsätzen über die Pflastersteine des Friedhofs zu laufen, war eine Tortur gewesen, und meine Füße schmerzten. Barfuß, kraftlos, die Schminke nach den Tränen im Gesicht verschmiert, als wäre ich nach einer durchzechten Nacht gerade aufgewacht, suchte ich Trost bei einem Teller Veilchenpralinen. Carlo hatte sie aus dem Kühlregal geholt und darauf vertraut, dass sie unseren Schmerz etwas lindern würden.
Wir beide liebten Veilchenpralinen, alle waren verrückt danach. Es waren die einzigen in Barcelona, vermutlich die einzigen weltweit. Früher, während der Glanzzeit des Ladens, waren die Leute, nur um Veilchenpralinen zu kaufen, aus allen Teilen des Landes und sogar aus dem Ausland angereist. Das Rezept dafür stammte von unserer Urgroßmutter, und sie hatte es ihrer Tochter, unserer Nonna, vererbt, genau wie fast alle anderen Rezepte. Jede Woche hatte Nonna sie in einer alten kupfernen Gussform zubereitet, und dann hatte das gesamte Hinterzimmer nach geschmolzener Schokolade und einer Veilchencreme geduftet, die einem Parfüm für Nase und Gaumen gleichkam.
Ich nahm eine Praline und biss mit den Schneidezähnen hinein, begann so mit dem Ritual, das ich mir angewöhnt hatte. Die dünne Schicht dunkler Schokolade splitterte mit einem Knacken und gab die samtweiche Creme frei, die in meinen Mund floss. Ich schloss die Augen und genoss den süßen Geschmack der Blumen und den leicht bitteren des Kakaos. Was für ein Genuss nach den salzigen Tränen!
»Wer wird jetzt die Pralinen machen? Wer wird sich um all das hier kümmern? Was sollen wir nur ohne sie tun?«
Diese letzte Frage kam höchst ungelegen. Ich wünschte, ich hätte sie nicht gestellt. Als könnte die Tatsache, es nicht auszusprechen, in diesem Moment die Realität des Todes meiner Großmutter zurückhalten. Als wäre nichts passiert. Als würde es weitergehen wie zuvor. Ich fürchtete, erneut loszuweinen. Also erstickte ich mein Schluchzen mit einer weiteren Praline.
Natürlich hatten wir beide gewusst, dass unsere Großmutter nicht für immer bei uns sein würde. Aber wir hatten diese Tatsache zum Schutz unserer eigenen naiven Gefühle verdrängt und unser Leben weitergelebt. Und nun wurden wir mit dieser Realität voll vertagter Entscheidungen konfrontiert, vor allem aber mit der bei Waisen typischen Sehnsucht und dem Gefühl des Verlassenseins, die es uns unmöglich machten, an etwas anderes zu denken. Schließlich war Nonna nicht nur unsere Großmutter gewesen, sondern auch unsere Mutter, unser Vater … unsere einzige Familie. Sie war die Säule, die das Geschäft am Laufen hielt: Die Cucina dei Fiori, ein geschichtsträchtiger Name für den hundertjährigen Laden italienischer Lebensmittel und Spezialitäten gegenüber dem Mercat de la Boqueria.
Nonna war unsere einzige Bezugsperson gewesen. Genau wie unsere Urgroßmutter, die wir bisnonna nannten, denn wir unterhielten uns in der Sprache unserer Vorfahren. In unserer Erinnerung war sie immer schon sehr alt, aber voller Energie gewesen, wenn sie zwischen der Konditorei und dem Tresen des Ladens herumhantierte und den Angestellten oder auch ihrer Tochter Anweisungen erteilte, wie ihre Rezepte korrekt ausgeführt werden mussten. Sie verfügte über eine Autorität, die ihr die Gründung des Ladens in den 1920er Jahren verliehen hatte.
An unsere Mutter hingegen konnte vor allem ich mich nicht erinnern. Auch Carlo vermutlich nicht, obwohl er ein paar Jahre älter war. Sie war gestorben, als wir beide noch sehr klein waren. Von ihr wussten wir nur das, was Nonna uns erzählt hatte. Und unsere Großmutter hatte, was ihre Tochter anging, sehr klare Worte gefunden. Sobald wir Teenager waren und ein besseres Verständnis von der Welt und ihren Widersprüchen hatten, sobald Carlo begann, die Vergangenheit zu beschönigen, klärte sie uns nach und nach über unsere Mutter auf.
Sie erzählte uns davon, wie sie vor ihrem 18. Geburtstag von zu Hause abgehauen war. Wie es schien, war sie mit einem angeblich holländischen Freund durchgebrannt, um in einer Hippiekommune auf Formentera zu leben. Von dort war sie mit einundzwanzig Jahren zurückgekommen, den Namen des Holländers auf der Schulter tätowiert, im sechsten Monat schwanger, und jede ihrer Poren hatte den unangenehmen Geruch von Marihuana verströmt. Sie hatte ihr Kind zur Welt gebracht, angefangen, im Laden auszuhelfen, und mit den Drogen aufgehört. Es hatte ganz den Eindruck gemacht, als wäre sie zur Vernunft gekommen. Doch nach wenigen Monaten war sie erneut schwanger, wieder ohne jede Spur des Vaters. Daraufhin war ich zur Welt gekommen. Unsere Mutter hatte an postnatalen Depressionen gelitten. Sie war erneut verschwunden, zunächst nur für ein paar Tage, dann für mehrere Wochen. Sie war immer nur dann zurückgekommen, wenn sie Geld brauchte … Nonna hatte sofort gewusst, dass sie rückfällig geworden war. Eines Abends war dann das Auto, mit dem sie unterwegs war, von der Straße abgekommen und in eine Schlucht gestürzt, wobei es sich mehrfach überschlagen hatte, bis nur noch ein unförmiger Haufen Blech übrig war. Sie war mit einem Mann unterwegs. Beide hatten Kokain und Alkohol im Blut.
Das waren die unschönen Schilderungen von meiner Mama … Es fühlte sich eigenartig an, sie »Mama« zu nennen, das war ein viel zu inniges Wort für jemanden, der mir so fremd war, und doch war es alles, was uns von ihr geblieben war. Das und ein paar Fotos von einer hübschen, lächelnden Frau mit braun gelockter, hüftlanger Mähne.
»Was sollen wir ohne sie machen?«, wiederholte ich und dachte dabei an meine Großmutter.
Carlo nahm meine Hand und drückte sie.
»Ich weiß es nicht …« Seine Stimme zitterte, er war ebenso niedergeschlagen wie ich.
Kräutertee mit Kamille, Minze und Sternanis
Ich weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal Urlaub gemacht hatte. Richtigen Urlaub, mindestens zwei Wochen am Stück, anstatt mir nur ein paar Tage für ein langes Wochenende freizunehmen. Das lag wohl über zwei Jahre zurück. Überraschend daran war, dass ich es rückblickend auch gar nicht vermisst hatte. Mir gefiel meine Arbeit viel zu sehr; außerdem gab sie mir genügend Gelegenheiten zu reisen. Ich war so viel unterwegs, dass ich mir oft nichts anderes wünschte, als meine freie Zeit in Barcelona zu verbringen.
Ich hatte Architektur studiert und war eine der Glücklichen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienten. Nach dem Studium, den Praktika und den befristeten Anstellungen bei den unterschiedlichsten Firmen hatte ich einen unbefristeten Vertrag bei einem bedeutenden Architekturbüro erhalten, das eine Vielzahl internationaler Projekte abwickelte und mit einem angesehenen Preis ausgezeichnet worden war. Es war wirklich ein Traumjob, weshalb also sollte ich mich nach Urlaub sehnen?
Doch an diesem Morgen war ich schrecklich müde und mit Schwindel und Übelkeit aufgewacht – was bei mir nur äußerst selten vorkommt, denn ich wurde nie krank. Hinzu kam, dass ich mich seit Nonnas Tod mit einer Unmenge Papierkram herumschlagen musste, und, was noch viel schlimmer war, dass mir die unangenehme Aufgabe bevorstand, ihre Sachen und ihr Haus auszuräumen. Je schneller ich mich dieser Bürde entledigte, umso besser. Außerdem musste ich ausnutzen, dass Carlo hier war und mir helfen konnte, denn schon bald musste mein Bruder wieder zurück nach Paris, wo er lebte und arbeitete. Also hatte ich beschlossen, mir ein paar Tage freizunehmen.
Da ich mich gleich nach dem Aufstehen übergeben musste, ging ich nach dem Anruf bei meiner Chefin zurück ins Bett und schlief fast bis zur Mittagszeit. Als ich aufwachte, fühlte ich mich etwas besser, hatte aber noch immer keinen Appetit. Ich stellte mich lange unter die Dusche, schlüpfte in bequeme Klamotten und rief Carlo an. Wir vereinbarten, dass er zum Notar fahren und ich damit anfangen würde, die Sachen im Haus unserer Großmutter zu sortieren.
Nonna hatte in einer Wohnung direkt über dem Geschäft gewohnt. Es war das Haus unserer Familie, hier wohnten die Verelli, seit unsere Urgroßmutter es zusammen mit der Backstube und dem Verkaufsraum gekauft hatte. Es war eines dieser typischen Häuser der Jahrhundertwende: hohe Decken mit Stuckverzierungen aus Gips, viele Zimmer, dafür eher klein, und lange Gänge mit knarzenden Holzdielen. In all den Jahren war es kaum renoviert worden, nur die Elektroinstallation, Bäder und Küche wurden modernisiert, alles in allem war es jedoch noch genauso wie in den Siebzigerjahren. Darüber hinaus war es gerammelt voll mit alten Möbeln, schweren Teppichen auf dem Boden und an den Wänden, italienischen Büchern, allen möglichen Fotos, unzähligem Gerümpel und noch mehr Erinnerungen.
Ich entschied, mit dem Schlafzimmer zu beginnen. Ihr überquellender Schrank und die Kommode waren nicht nur mit Kleidung gefüllt, sondern auch mit Schuhen, Etuis, Unterlagen, Taschen, einfachen Schmuckstücken, Muscheln vom Strand, Streichholzschachteln und Postkarten. Lauter Dinge, die man in einer Schublade aufbewahrt und dann vergisst. Und alles, wirklich alles, roch nach Nonna. Nicht dass sie ein besonderes Parfüm benutzt hätte, der Duft war vielmehr eine Mischung aus Seife, Reispulver, Olivenöl und Rosmarin; so wie sie immer gerochen hatte. Dauernd kamen mir die Tränen. Ich weiß nicht, wann ich jemals so viel geweint habe. Vielleicht tat es deshalb so weh, weil ich nicht wusste, wie es war, wenn man jemanden vermisste.
Als Carlo eintraf – es wurde bereits Abend – , fand er mich auf dem Boden sitzend vor, umgeben von den Kleidungsstücken, die ich sortierte. Ich hatte den alten mezzaro von Urgroßmutter Giovanna gefunden, der mich daran erinnerte, wie ich als Kind Nonnas Schuhe mit den Absätzen angezogen, mir den mezzaro um den Kopf gewickelt und mir vorgestellt hatte, ich wäre eine Prinzessin. Ich mochte dieses riesige Baumwolltuch mit dem Muster in Blau- und Grautönen. Nonna hatte mir davon erzählt, wie die ersten mezzari im siebzehnten Jahrhundert im Hafen von Genua eingetroffen waren. Sie waren mit den Schiffen der Britischen Ostindien-Kompanie aus Indien gekommen. Die genuesische Aristokratie war begeistert, weil sie, im Gegensatz zu den bestickten Stoffen, die in Europa verwendet wurden, leicht und luftig waren; im Stil der spanischen Mantillas bedeckten die Damen zukünftig Kopf und Schultern damit. Später, als die Herstellungskosten für Spitze sanken, wurden sie auch von den bürgerlichen Schichten übernommen, bis sie Teil der regionalen Kleidung und der Identität von Ligurien waren, der kleinen italienischen Provinz, aus der die Verelli stammten. Dieser mezzaro war einer von Nonnas kostbarsten Besitztümern, eine Erinnerung an ihre Mutter und an ihre Wurzeln.
Ich hielt den Stoff an meine Wange, um seine Sanftheit zu spüren, und sog dabei den Geruch meiner Großmutter tief ein. Dann sah ich meinen Bruder an.
»Ist er nicht wunderschön?«, fragte ich mit nach wie vor verquollenen, geröteten Augen und betrachtete die filigranen Blumen und den herrlichen Lebensbaum, die das Tuch zierten. »Den werde ich behalten.«
»Ich habe dir einen Kräutertee gemacht.« Carlo reichte mir eine große Tasse. »Sei vorsichtig, er ist noch sehr heiß.«
»Danke.« Ich seufzte, als mir das Aroma der Pflanzen in die Nase stieg. »Riecht sehr lecker …«
»Kamille, Minze und Sternanis. Nonnas Mischung gegen Übelkeit. Außerdem habe ich noch etwas frischen Ingwer und Zitrone hinzugegeben, die sind gut für den Magen.«
»Sieh an, sieh an, da kennt sich einer aber sehr gut aus. Das Heiler-Gen der Verelli-Frauen wurde endlich auch auf einen Mann übertragen«, meinte ich. Die Lippen schon am Rand der Tasse, wagte ich es noch nicht, einen Schluck zu nehmen, ehe das Gebräu nicht etwas abgekühlt war.
Mein Bruder nickte mir beipflichtend zu und setzte sich neben mich auf den Boden.
»Geht es dir etwas besser?«
Ich hatte keine Ahnung, wie ich diese Frage beantworten sollte.
»Schon … Wie war es beim Notar?«
»Gut. Ich habe alle Unterlagen hingebracht, die noch fehlten, und habe gleich einen Termin für uns beide ausgemacht. Ich sage dir später, wann genau das ist. Und wie läuft es bei dir hier so?«
Ich stieß einen Seufzer aus.
»Okay … ich kann es mir vorstellen.«
»Ich habe keine Ahnung, wann wir damit fertig sein werden.«
»Zusammen geht es doch schneller.«
Um eine Vorstellung vom Ausmaß dieser Aufgabe zu bekommen, sah er sich um. Dabei entdeckte er eine Schachtel zwischen einem Stapel Pullover und zog sie hervor. Es handelte sich um eine alte Hutschachtel eines Ladens namens Maison Germaine, wie auf dem an der Seite angebrachten Etikett im Stil der Dreißigerjahre zu lesen war, das zudem mit einem kessen Mädchen versehen war. An den Rändern war die Schachtel leicht eingedellt und hatte Feuchtigkeitsflecken. Sie war mit einem Geschenkband zusammengebunden, und auf dem Deckel stand undeutlich das Wort »mamma«.
»Was ist mit dieser Schachtel?«, fragte mein Bruder.
Bevor ich antwortete, nahm ich einen Schluck Kräutertee.
»Keine Ahnung. Ich nehme an, dass Sachen der bisnonna darin sind. Ich hatte sie zur Seite gestellt, um später mal hineinzuschauen …«
Das Rascheln des sich lösenden Geschenkbands unterbrach mich.
»… aber wie ich sehe, machst du sie gleich jetzt auf.«
Als Carlo den Deckel anhob, beugte ich mich neugierig zu ihm hinüber.
»Was ist drin?«
»Unterlagen.« Carlo konnte seine Enttäuschung nicht verbergen.
Genau danach sah es aus: nach einem Berg alter, zerknitterter, gefalteter, eingerissener Unterlagen … wahllos durcheinander. Carlos nahm sie in der Hoffnung heraus, weiter unten auf etwas Interessanteres zu stoßen. Gelbliche Rechnungen, Seiten aus einem Collegeblock, an denen noch die ausgefransten Papierschnipsel hingen, wo die Seiten abgerissen worden waren, Werbezettel, Papierservietten aus Bars, Süßigkeitentüten, Eintrittskarten fürs Kino …
»Wieso bewahrt jemand solches Zeug auf«, fragte er mich und legte es zurück in die Schachtel.
»Warte mal«, sagte ich und betrachtete die Rückseite eines Stücks Geschenkpapier mit weihnachtlichen Motiven. »Da steht was drauf …«
Ich nahm mir einen zweiten, dann einen dritten Schnipsel. Dann noch ein paar mehr. Auf allen stand etwas in derselben Schönschrift, die leicht antiquiert, fein und gut leserlich war. Alle Anmerkungen waren auf Italienisch.
»›Trotz allem vermisse ich Italien‹«, las ich vor. »›Aber Italien ist inzwischen nicht mehr als ein Stück Land, wo mein Haus und mein Garten sind. Sonst nichts.‹«
Verwirrt sah ich meinen Bruder an. An seinem Blick erkannte ich, dass es ihm ähnlich ging wie mir. Ich nahm ein weiteres Blatt zur Hand, die Rechnung einer Reinigung, und las: »›Ich habe den Seelenfrieden einem Versprechen geopfert.‹«
Nun nahm sich auch Carlo ein Stück Papier: »›Das Leid hat mich stark gemacht. Die Angst einfallsreich. Die Wut ausgeglichen. Allein die Schuld zerstört mich.‹«
»In jedem davon steckt eine Art … Zitat«, sagte ich, und wie um das zu bestätigen, wählte ich zufällig einen anderen Zettel aus: »›Man muss sich nicht dafür entschuldigen, dass man liebt.‹«
Ich ging die Unterlagen, die noch in der Hutschachtel lagen, weiter durch. Bis ich ganz unten anlangte und auf etwas anderes stieß.
»Was ist das? Noch ein Zitat?«
»Ich bin mir nicht sicher …«, antwortete ich, als ich das gelbliche, brüchige Din-A5-große Blatt mit äußerster Vorsicht auffaltete. Das Papier war so alt, dass es mir zwischen den Fingern zu zerfallen drohte.
Es sah aus wie ein Brief, auf Italienisch geschrieben, aber ohne Datum, auch ohne Anrede oder Schlusssatz. Die Schrift wirkte sorgsam, erweckte jedoch den Anschein, als sei der Brief mit zittriger Hand geschrieben worden; außerdem waren die Zeilen nicht gerade und ein Klecks verschmierte die Schrift. Auf den ersten Blick hatte dieses Schriftbild etwas Beklemmendes.
Carlo beugte sich über meine Schulter, und ich las laut vor:
Meine Liebe, mein Leben, mein Alles. Verzeih mir …
Ich ertrage die Angst nicht länger. Seit vielen Jahren ist sie nun schon in mir, zerfrisst mich, zerstört mich … Und Du bist nicht hier, um mein Leben zu erleichtern. Was für einen Sinn macht es, zwischen den Mauern dieses ewigen Gefängnisses weiterzuleben, wenn der Geist tot ist?
Meine Strafe ist auch Deine. Das kann ich nicht zulassen! Du bist alles, was ich habe, was ich liebe, was ich schütze. Du bist meine Erlösung.
Lache, singe, liebe … finde ein Zuhause für Dich auf dieser Welt, weit weg von diesem Gefängnis. Lebe, Anice. Deine Freiheit ist auch meine und Dein Seelenfrieden meine Ruhe.
Verzeih mir … Und sag unserem Kind, dass ich es schon geliebt habe, ohne es zu kennen. Weil es Dein Kind ist. Weil aus Dir nur das Gute und Schöne hervorgeht.
Weine nicht. Hab keine Angst. Der Tod ist meine Zuflucht, ich flüchte mich in seine Arme, er empfängt mich mit seiner Sanftheit, und ein eigenartiges Gefühl der Gelassenheit lässt mich lächeln. Lächle mit mir.
Meine Liebe, mein Leben, mein Alles … Unselige Worte, so unnütz, um auszudrücken, wie sehr ich Dich liebe.
Ich schließe die Augen und kehre zu Dir zurück. Endlich für immer. Mit Dir zusammen. Für immer.
Das Zimmer war übersät mit herumliegenden Dingen. Die Arbeit nur halb erledigt. Auf dem Küchentisch lag ein altes Blatt Papier. Ich betrachtete es schweigend, während Carlo sich einen Kaffee machte.
»›Lebe, Anice‹ … Wer ist Anice?«, fragte er mich, nachdem er den Brief noch einmal gelesen hatte.
Mit einer vollen Tasse starkem Espresso in der Hand zog mein Bruder einen Stuhl neben mich und versank zusammen mit mir in der Betrachtung der Vergangenheit.
»Keine Ahnung. Diejenige, an die sich der Brief richtet?«
»Nonna hieß Lucia und der Name der bisnonna war Giovanna … In unserer Familie gibt es keine Anice. Was hat dieser Brief bei unseren Sachen zu suchen?«
Ich streckte den Arm über den Tisch aus, als wollte ich nach dem Brief greifen, doch ich strich nur mit der Hand darüber.
»Er ist wunderschön und zugleich so erschreckend … Ich weiß nicht, wer Anice ist, aber derjenige, der ihr diesen Brief geschrieben hat, hat sie wirklich geliebt.«
Carlo gab einen zustimmenden Laut von sich, während er einen Schluck Espresso nahm, und sagte dann: »So sehr, dass er sich für sie das Leben nimmt … Ich bin mir nicht so sicher, ob das Liebe oder Wahnsinn ist.«
»Anice«, murmelte ich. Wenn man es auf Italienisch aussprach, klang es wie Ánitsche. »Was für ein eigenartiger Name.«
»Anis«, übersetzte Carlo. »Das ist der Name eines Gewürzes. Als würde man eine Frau Salbei statt Sylvia nennen. Ja, es stimmt, es ist eigenartig. Und wenn es gar nicht der Name einer Frau ist?«
Kabeljaucarpaccio an Pesto Genovese
Auf Nonnas Nachttischstand ein altes Foto in einem angelaufenen Silberrahmen. Als Kind war ich häufig davor stehen geblieben und hatte es betrachtet. Das sepiafarbene Bild zeigte einen Mann und eine Frau, beide jung, die untergehakt in die Kamera blickten und dabei leicht angespannt lächelten, als wüssten sie nicht so recht, was sie von diesem Apparat vor ihnen halten sollten, dessen Objektiv auf sie gerichtet war. Ich hatte immer den Eindruck, als hätten sie für diese Gelegenheit ihre beste Kleidung angezogen: er mit Jackett, Krawatte, gestärktem Kragen und Hut; sie in einem einfachen hellen Kleid bis kurz über die Knöchel, mit kleinen Ohrringen in Form von Tränen als einzigem Schmuck, die Haare nach hinten gebunden und in Wellen gelegt. Beide sahen gut aus. Er stand aufrecht da, wirkte athletisch, sein Gesicht war kantig und seine Augen schmal. Ihre Augen waren im Gegensatz dazu groß, mandelförmig und von heller Farbe; ihr Gesichtsausdruck war sanft, genau wie ihre Gesichtszüge, mit den rundlichen Wangen, der kleinen Nase und den schön geformten Lippen, als wären sie gemalt. Da es ein Schwarz-Weiß-Foto war, war es schwierig, sich festzulegen, aber bestimmt war er dunkelhaarig, während ihre Haarfarbe eher heller wirkte. In eine Ecke des Fotos hatte Nonna mit ihrer feinen Handschrift geschrieben: »Mamma e papà, 1919.«
»War das dein Vater?«, hatte ich Nonna einmal gefragt, während sie sich die weißen Haare vor dem Spiegel kämmte.
Sie hatte genickt.
»Wie hieß er?«
»Luca.«
Ich weiß noch, dass ich den Namen schweigend ein ums andere Mal für mich wiederholte, während ich das Foto betrachtete.
»Wie war er?«, hatte ich schließlich gefragt.
»Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nicht gekannt. Er starb, bevor ich geboren wurde.«
»Bei einem Unfall?«
Damals dachte ich, dass alle jungen Menschen, die ums Leben kamen, einen Unfall hatten – wie meine Eltern.
»Nein … er ist einfach gestorben.«
In der Familie Verelli gab es nur Frauen; die Männer starben schlicht und einfach, so hatten sie es mir erzählt. In der Wohnung über der Cucina dei Fiori waren Carlos Sachen eigenartige männliche Gegenstände, die auf einmal dort auftauchten, wo es nie zuvor andere männliche Dinge gegeben hatte. Die Comichefte, der Fußball oder die abgewetzten Sporttrikots folgten nicht auf eine alte rußgeschwärzte Pfeife, auch nicht auf einen ausgefransten Rasierpinsel oder ein Sakko, das an den Ellenbogen durchscheinend war …
»Warum habe ich keinen Großvater?«, hatte ich Nonna gefragt.
Es war ganz normal, keinen Urgroßvater zu haben, aber die meisten meiner Schulkameraden hatten einen Großvater. Und natürlich einen Vater, auch wenn dessen Fehlen sich mit dem meiner Mutter erklärte.
»Weil er gestorben ist«, antwortete sie, als könnte es nicht anders sein.
Ende der Geschichte.
Doch die Toten verschwinden nicht vollständig, sie hinterlassen immer eine Spur: eine Erinnerung, eine Anekdote, ein Foto … Nicht jedoch mein Großvater oder mein Urgroßvater und auch nicht mein Vater.
Ich war bereits eine erwachsene Frau, als Nonna mir schließlich von meinem Großvater erzählte. Zu der Zeit beschäftigte er schon nicht mehr meine Gedanken, erkundigte ich mich nicht mehr nach den fehlenden Personen, hatte ich mich bereits damit abgefunden, dass meine Familie eben so war, wie sie war, klein und weiblich.
Es war an einem Sonntagabend, einem jener Frühlingsabende, die ich hin und wieder mit meiner betagten Großmutter verbrachte.
»Ich habe mich nur einmal verliebt«, verkündete sie mir überraschend, ohne dass ich sie danach gefragt hätte, als wir die Enten im Parc de la Ciutadella fütterten. »Damals war ich noch sehr jung und er auch. Er starb im Krieg. Sehr viele Jahre später gab es einen Mann und eine leidenschaftliche Nacht. Wir behaupteten, wir wären verheiratet, weil es zu jener Zeit mein Ruin gewesen wäre, ein uneheliches Kind zu bekommen. Aber wir hatten nie vor dem Altar gestanden und hatten auch nicht die Absicht, das jemals zu tun. Er verschwand bald. Und ich war ihm dankbar dafür.«
Das war die Geschichte meines Großvaters. Ich hatte keinen Namen und auch keine weiteren Unterlagen von ihm, ich wusste nur, dass er der Vater meiner Mutter war, doch wenigstens erklärten diese wenigen Sätze sein kurzes Zwischenspiel, so wie andere ebenso kurze Sätze vor Jahren das meines eigenen Vaters erklärt hatten.
Für Luca hingegen gab es keine ausführlichere Geschichte, sie schien in den Untiefen der Zeit verschwunden zu sein. Luca starb einfach. Und genau wie die anderen Männer der Familie wurde auch er kaum erwähnt. Eine weitere fehlende Person. Eine weitere verborgene Geschichte.
Sehr verborgen. Wir hatten das ganze Haus geleert und keine einzige Spur von Luca gefunden, dem Mann auf dem Foto auf Nonnas Nachttisch. Doch in der alten Hutschachtel mit den Sätzen, die unsere Urgroßmutter aufgeschrieben hatte, war ein Brief für eine gewisse Anice.
»Es ist ja nichts Neues, dass unsere Familie nicht so ist wie andere«, rief Carlo mir in Erinnerung, als ich mich in Grübeleien über diesen rätselhaften Brief verstrickte, als müsse er die definitive Antwort auf alle Fragen enthalten.
Dennoch war ich nicht der Meinung, es wäre damit getan, diese Geschichte einfach ad acta zu legen.
Wir hatten beschlossen, Nonnas Wohnung zu verkaufen, und sie war inzwischen völlig leer geräumt. Die Wände waren voller dunkler Flecke, die Böden staubig, die Schränke offen, und von den Decken hingen nackte Glühbirnen. Es standen nur noch wenige Möbel da, von denen wir uns nicht trennen wollten.
»Ich gehe heute Abend in Nonnas Wohnung. Die vom Möbellager holen das ab, was noch da ist«, teilte ich Carlo mit.
Mir war wohl anzuhören, wie unangenehm mir diese Aufgabe war, denn Carlo bot an, sie für mich zu übernehmen.
»Du hast schon genug unschöne Momente in diesem Haus zugebracht, lass mich das machen. Und heute Abend koche ich uns was Besonderes zur Feier, dass wir endlich alles erledigt haben. Lust auf Kabeljaucarpaccio an Pesto? Nonna verzeiht mir diesen Frevel hoffentlich …«
»Das echte Genoveser Pesto hat nichts mit dem Mist zu tun, den sie hier Pesto nennen«, hatte Nonna stets mit bitterer Kritik erklärt. Ihre Mutter hatte ihr beigebracht, dass der Schlüssel in den Zutaten liege, die ausschließlich ligurischen Ursprungs sein müssen: das Basilikum, angebaut in Prà, in der Provinz Genua, mit dem authentischen Geschmack nach Basilikum und nicht nach Minze; Olivenöl von Taggiasca-Oliven, mild und fast ohne Bitternote; Mittelmeerpinienkerne, die das Aroma und den Geschmack von Pinienharz in sich tragen, Pecorinokäse, hergestellt aus der Milch der Ziegen, die im Arroscia-Tal grasen; dazu der Knoblauch, der möglichst in Imperia gewachsen sein sollte. Das war wie ein Mantra für die Verelli gewesen, und zu Beginn hatten wir darauf geachtet, diese Produkte direkt aus Ligurien zu besorgen, sowohl für unseren eigenen Gebrauch als auch für den Verkauf im Laden. Bis Nonna irgendwann zu alt war und sich nicht mehr darum kümmern konnte.
Sicher war jedoch, dass dieses Dogma im Lauf der Zeit und mit den Generationen an Kraft verloren hatte. Zwar musste Carlo einräumen, dass kein Pesto dem Pesto Genovese unserer Urgroßmutter gleichkam, doch manchmal sah er sich gezwungen, die Zutaten zu verwenden, die er bekommen konnte, was dennoch zu ganz passablen Ergebnissen führte. Zudem verwendete er das Pesto in Rezepten, die streng genommen nicht der ligurischen Tradition unserer Urgroßmutter angehörten. Gut möglich, dass die Großmütter Verelli sich im Grab umgedreht hätten, hätten sie gewusst, dass er an diesem Abend ihr heiliges Pesto Genovese zusammen mit Kabeljau servieren wollte. Meinem Bruder wiederum hätte es gefallen, hätten sie sein Gericht probieren können. Denn er war sich sicher, dass er sie damit überrascht hätte. Außerdem war Kabeljau eine ziemlich geläufige Zutat in der ligurischen Küche, und somit war sein Vergehen nicht ganz so schlimm.
»Du müsstest nur zum Mercat de la Boqueria gehen und ein paar Zutaten kaufen, die mir noch fehlen«, bat mich Carlo im Gegenzug dafür, sich um die Leute vom Möbellager zu kümmern.
Der Mercat de la Boqueria ist eine der größten und ältesten Markthallen mit dem besten Sortiment von ganz Barcelona. Praktischerweise befindet er sich unweit der Cucina dei Fiori, und die Verelli kauften fast jeden Tag dort ein, um ihre Vorräte aufzufüllen. Mit der Zeit hatten sie ein ganzes Netz an zuverlässigen Lieferanten aufgebaut: Sie hatten ihren Obsthändler, ihren Metzger, ihren Fischverkäufer, ihren Geflügelhändler … All diese Händler boten regionale Produkte an und blickten auf eine lange Tradition zurück, weshalb sie inzwischen von den Söhnen oder Enkeln jener betrieben wurden, die die Verelli zu Beginn versorgt hatten. Ich kannte sie alle. Noch bis vor Kurzem hatte ich Nonna begleitet, wenn sie am Wochenende dorthin ging, und Obst und Gemüse für mich eingekauft; und danach hatten wir uns immer einen Aperitif genehmigt.
Ich mochte die Boqueria. Nicht nur ihre unverwechselbare Dachkonstruktion aus Metall, die großen Lampen im Industriedesign des Hauptganges, die dicken Pfeiler der Vorhalle oder die modernen Ladenschilder; vor allem gefiel mir das ansprechende Ambiente, die militärische Anordnung der Produkte, die frisch, farbenfroh und leuchtend aufgereiht waren, ebenso verlockend für die Augen wie für den Gaumen. Die Fülle von Aromen, die sich in den Gängen mischten; die unzähligen Emotionen, die Teil des Handels sind und sich im Gespräch, den Schmeicheleien, den Streitereien und dem Geplauder niederschlagen, jener Vereinigung aus lauter »multi« und »viel«: multikulturell, multiethnisch, vielfarbig, vielgestaltig, vielfältig.
Also nahm ich Carlos Vorschlag und seine Einkaufsliste gerne an. Natürlich würde mein Bruder das Pesto mit den Zutaten aus der Cucina dei Fiori zubereiten; von Hand, mit dem alten Mörser. Ich musste auch keinen Kabeljau kaufen, denn das hatte ich bereits getan, und ich hatte ihn auch schon entsalzt und eingefroren, um ihn später für das Carpaccio in schmale Streifen zu schneiden. Doch er wollte noch ein paar Rotgarnelen von Palamós für einen Tartar mit Ajoblanco als Vorspeise. Außerdem kaufte ich etwas Rucola – leckeren italienischen Rucola – für einen Salat mit Walnüssen, getrockneten Tomaten und Parmesan.
Es dauerte nicht lange, bis ich die gewünschten Zutaten der Einkaufsliste sowie ein paar weitere, denen ich einfach nicht widerstehen konnte, eingekauft hatte. Da ich früh fertig war, ging ich nach oben zu Nonnas Wohnung, um nachzusehen, ob ich Carlo helfen konnte.
Mein Bruder empfing mich mit einem spöttischen Lächeln.
»Sieh nur, was ich gerade gefunden habe.«
Castel’lupo, 14. Mai 1922
Meine liebe Anice,
mit diesem Brief antworte ich auf Deine bewegenden Zeilen und freue mich darüber, dass Deine Kleine und Du wohlauf seid. Hier hat sich nichts geändert, wie Du Dir schon denken kannst.
Dennoch machen mich Deine Worte traurig, wenn Du mir schreibst, dass Du nie wieder an den Ort zurückkehren willst, der so lange Dein Zuhause war. Ich möchte glauben, dass Du diese Entscheidung überstürzt getroffen hast, beeinflusst durch die tragischen, noch immer frischen Ereignisse, die zweifellos eine Wunde aufgerissen haben, die nur schwer heilen wird. Doch vergiss nicht, Anice, meine Seelenfreundin, Deine Wurzeln sind hier, und hier gibt es Menschen, die Dich lieben und Dir helfen können, Dir und Deiner Tochter. Denk daran, dass Du niemals allein sein wirst, weil Du mich hast. Ich vermisse Dich so sehr. Ich finde, dass der Wald traurig und düster geworden ist, seitdem Du nicht mehr da bist. Und ich bin es auch.
Ich vertraue darauf, dass Du Deine Entschlossenheit mit der Zeit überdenken wirst. Aus diesem Grund habe ich mir die Freiheit genommen, einen Ersatzschlüssel von dem anfertigen zu lassen, den Du mir geschickt hast. Ich schicke Dir hiermit das Original zurück. Gerne kümmere ich mich um Dein Haus, damit es in dem Moment, in dem Du Dich zur Rückkehr entschließt, in perfektem Zustand ist; sicherlich würde es Deiner kleinen Tochter gefallen, das Zuhause ihrer Familie kennenzulernen.
Sei mir bitte nicht böse, aber ich sehne mich danach, Dich wieder hierzuhaben. Du bist meine Herzensfreundin und wirst es immer sein.
Con tanto amore
MANUELA
Als die Männer des Lagerhauses die Schubladen der Kommode in Nonnas Schlafzimmer herausgezogen hatten, um diese einfacher transportieren zu können, hatten sie einen Umschlag zutage gefördert, der im Lauf der Jahre nach hinten gerutscht war und zwischen einer Schublade und der Rückwand des Möbelstücks festgesteckt hatte.
Beim Herunterfallen war ein metallisches Geräusch zu hören gewesen. Denn außer dem Brief hatte ein alter Schlüssel, groß und rostig wie ein mittelalterlicher Kerkerschlüssel, in diesem Umschlag gesteckt. Und zwischen Staub und altem Papier war erneut Anice aufgetaucht.
»Wer auch immer Anice war, diese Frau mit dem Namen eines Gewürzes, sie hat mal ein Haus in einem Ort namens Castel’lupo besessen, was, wie ich im Internet herausgefunden habe, ein Dorf in Ligurien ist. Und irgendwie ist der Schlüssel in die Kommode unserer Großmutter gelangt. Was für eine eigenartige Geschichte«, fasste Carlos das Ganze mit dem schweren Schlüssel in der Hand zusammen.
»Ich hätte gern mehr über sie erfahren.«
»Ja, aber ich fürchte, das ist alles. Denn jetzt gibt es keine Verstecke mehr für irgendwelche Überraschungen.«
Carlos Stimme hallte in dem leeren Zimmer wider.
Da ihm meine Enttäuschung nicht entging, legte mein Bruder mir einen Arm um die Schultern und versuchte, mich mit einer guten Geschichte zu trösten.
»Sei nicht enttäuscht. Solche Dinge sind weniger aufregend, als sie auf den ersten Blick scheinen. Bestimmt war Anice eine Freundin der Familie, eine alte Jungfer ohne Familie, die bei ihrem Tod ihren gesamten Besitz den Verelli vermacht hat: die Erinnerung an eine unglückliche Liebe und einen alten Schlüssel«, sagte er, während wir zum Ausgang gingen.
Einen Moment lang wollte ich dagegenhalten, dass Anice doch eine Tochter hatte – so stand es in dem Brief und auch auf dem Zettel. Aber ich tat es nicht.
Was soll’s. Das ist ja nicht weiter wichtig, dachte ich, als ich das Licht im Zimmer ausschaltete und das Haus meiner Großmutter verließ, um niemals wieder dorthin zurückzukommen. Mit schwerem Herzen.
Wir aßen in meiner Wohnung zu Abend und ruhten uns danach auf der Terrasse vom Essen aus. Die Nacht war kühl, aber angenehm; eine leichte Brise wehte vom Meer her und brachte einen salzigen Geruch mit sich. Wir zündeten ein paar Kerzen an, hörten leise Musik von James Morrison, machten es uns in den Stühlen gemütlich und legten uns dünne Decken über die Beine. Carlo machte sich einen Kaffee, ich wollte lieber ein leckeres Ingwerwasser mit Zitrone haben. Mein Magen war noch immer etwas durcheinander, und ich konnte kaum das Carpaccio essen, obwohl es köstlich war.
»Das geht jetzt schon seit mehreren Tagen so. Warum gehst du nicht zum Arzt?«, riet mein Bruder mir sichtlich besorgt.
Ich spielte die Sache herunter.
»Das ist nur der Stress. Das geht vorbei.«
Ich seufzte, um mir etwas Zeit zu verschaffen, ehe ich sagte: »Das Ganze ist schwieriger für mich, als ich erwartet habe. Heute Abend zum Beispiel, als wir Nonnas Wohnung verlassen haben … Die Vorstellung, dass es das letzte Mal war, dass es nicht mehr unsere Wohnung sein wird, dass nichts mehr von ihr oder von uns dort ist … Müssen wir sie wirklich verkaufen?«
Carlo sah mich liebevoll an. Ich glaube, am liebsten hätte er mich umarmt und zusammen mit mir geweint, aber einer musste die Nerven behalten. Er stärkte sich mit einem Schluck Kaffee.
»Wir haben doch schon darüber gesprochen … Was für einen Sinn hätte es, wenn wir die Wohnung behalten?« Er machte eine Pause, ehe er anzudeuten wagte: »Und das Gleiche gilt auch für den Laden …«
Bei dieser Erwähnung sackte ich niedergeschlagen in mich zusammen.
»Nein … Nein, bitte nicht. Ich will jetzt nicht darüber reden.«
»Gia …«, er sprach mich in seinem väterlichsten Tonfall an und benutzte die Kurzform meines Namens, wie er es immer machte. Gianna nannte er mich nur, wenn er sauer auf mich war. »Du führst dich auf wie ein Kind. Glaubst du etwa, das Problem erledigt sich von selbst, wenn wir nicht darüber sprechen? Das Gegenteil ist der Fall: Es wird jeden Tag, an dem wir es aufschieben, größer. Ich habe mir die Kassenbücher angesehen, und es ist eine einzige Katastrophe. Seit Monaten gehen die Einnahmen stetig zurück, die Lieferanten dagegen werden immer teurer; die Verkaufspreise wurden seit Jahren nicht erhöht, die Kosten für Wasser, Strom und Gas sind hingegen in die Höhe geschossen, und wir sind mit mehreren Steuerzahlungen im Rückstand …«
»Du bist derjenige, der sich mit den Zahlen auskennt, ich habe davon keine Ahnung.«
»Mag sein. Aber du kennst dich mit Renovierungen aus. Im Laden ist schon seit einer Ewigkeit nichts mehr gemacht worden, die Fassade blättert ab, zwei der Kühlschränke müssten repariert werden … ganz zu schweigen davon, dass es nicht schlecht wäre, wenn die Wände mal wieder gestrichen oder, besser noch, eine Renovierung mit allem Drum und Dran durchgeführt würde. Das Rathaus hat eine Inspektion innerhalb der nächsten zwei Monate angekündigt. Wenn bis dahin nicht alles den Vorschriften entspricht, können sie den Laden dichtmachen, das weißt du besser als ich. Das wiederum bringt mich zu einem anderen Thema: Andrea und Nelson, zwei Menschen, die von dem Gehalt abhängig sind, das sie für ihre Arbeit im Laden bekommen, die dürfen wir auch nicht vergessen.«
Untröstlich dachte ich an Andrea und Nelson. Nelson mochte ich sehr gern, er war ein netter Kerl, liebenswert und fleißig; er kümmerte sich um die Heimlieferungen. Aber Andrea … Das mit Andrea tat mir in der Seele weh. Er gehörte quasi zur Familie! Seit vielen Jahren arbeitete er in der Cucina dei Fiori; tatsächlich konnte ich mir den Laden ohne Andrea gar nicht vorstellen. Er war immer schon Nonnas rechte Hand gewesen, und in den letzten Monaten, als meine Großmutter schon sehr gebrechlich gewesen war und sich kaum noch bewegen konnte – ich weiß nicht, was wir da ohne ihn gemacht hätten …
»Und wenn es nur für sie ist, wir müssen bald eine Entscheidung fällen«, drängte Carlo.
Meine Angst wurde übermächtig, ich konnte die Tränen nicht länger zurückhalten, also versuchte ich, meinen Kummer mit Wut zu unterdrücken.
»Na, wenn es so ist, dann verkaufen wir doch einfach alles! Was soll ich dir sonst sagen?«, fuhr ich meinen Bruder an. »Keiner von uns beiden kann sich darum kümmern, also müssen wir doch gar nicht weiter darüber reden!«
Carlo nickte langsam. Er ließ den Kopf hängen, starrte in seine Tasse und nahm lustlos einen Schluck.
Das gab mir Zeit, das Gesagte zu überdenken.
»Es tut mir leid …« Ich hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, als ich wieder losweinte. »Es ist nur so … Je mehr ich darüber nachdenke, umso weniger finde ich eine Lösung, und das ist … das ist, als würden wir alles, was uns von Nonna noch bleibt, zerstören, und das … das tut einfach weh.«
Crema catalana mit Lavendel
Inmitten all der unangenehmen Formalitäten, die auf den Tod eines Familienangehörigen folgen, der Gespräche über das Haus, die Cucina und Nonna, der Erinnerungen, die allesamt wie Stachel waren, und den unmöglichen Entscheidungen, musste ich mich plötzlich mit etwas befassen, was mich völlig unvorbereitet traf, als hätten die Gestirne sich dazu verschworen, mit aufeinanderfolgenden Erschütterungen das Fundament meiner, wie ich meinte, solide errichteten Existenz ins Wanken zu bringen.
Wie naiv ich doch war, als ich dachte, ich könnte mein Leben bis ins kleinste Detail planen, als wäre es nichts anderes als eines meiner beruflichen Projekte. Berechnungen und Entwürfe erstellen, exakte Pläne zeichnen und das Geplante dann umsetzen. Natürlich hatte jedes Projekt seine Risiken, doch selbst dafür konnte man schon im Vorfeld nach Lösungen suchen. Was hingegen das Leben betraf …
»Es geht darum, vorausschauend die Kontrolle zu behalten und unangenehme Überraschungen im Vorfeld auszuräumen. Genau darin besteht Intelligenz«, wiederholte Carme immer wieder.
Carme war meine Chefin. Eine brillante Architektin und vorbildliche Geschäftsführerin. Ich betrachtete sie als meine Mentorin und hatte viel von ihr gelernt. Carme wandte ihre beruflichen Dogmen auch im privaten Bereich an, vermutlich, weil in ihrem Fall das Berufliche das Private gewissermaßen verschlang. Und es funktionierte. Es war ihr gelungen, eine rundum erfolgreiche Frau zu werden. Das machte aus ihr ein Vorbild für mich. Sicher, sie war nicht die mitfühlendste, warmherzigste oder liebenswerteste Person, die ich kannte, aber ich verstand, dass bestimmte Erfolge nach gewissen Opfern verlangten, und das Opfer von Carme war es, mit einem Panzer zu leben.
Ja, damals wollte ich genau wie sie sein …
»Du hast ein Problem. Dann such nach einer Lösung«, würde sie mir sagen, so kaltschnäuzig wie eine künstliche Intelligenz.
Und ich hätte ihren Rat befolgt, wie ich es immer machte. Doch irgendetwas war passiert.
Bei diesem Problem, meinem Problem, war die Fragestellung nicht ganz so einfach. Auf einmal verloren die beruflichen Dogmen ihren Sinn im Privaten, weil Emotionen ins Spiel kamen und mein Panzer nicht ganz so dick war wie der von Carme. Ich entdeckte Risse und bekam es mit der Angst zu tun, war verwirrt und blockiert.
»Manchmal muss man sein Herz aufs Spiel setzen, mia bambina. Nicht alles lässt sich mit dem Verstand lösen.«
Diese Worte von Nonna, denen ich damals vermutlich nicht viel Beachtung geschenkt und an die ich seitdem nicht mehr gedacht hatte, tauchten unvermittelt klar und deutlich in meinem Kopf wieder auf, als würde ich hören, wie sie es mir sagte; und sie rüttelten ziemlich vehement an meinem Gewissen.
Was war vorgefallen, dass mein lebenswichtiges Projekt in Scherben lag, dass ich plötzlich völlig unkontrolliert von Gefühlen übermannt wurde?
Mit derartigen Überlegungen war ich in den Tagen beschäftigt, bevor ich Pau traf. Dabei vertraute ich in letzter Instanz darauf, dass er der Pfeiler war, der mich stützen würde, damit wir gemeinsam eine Entscheidung fällen konnten. Für mich entsprach das der Vorstellung von einer gefestigten, reifen und ausgeglichenen Beziehung. Und ich hatte mir eingeredet, dass ich eine solche Beziehung mit Pau führte.
Ich wusste nie, als was ich Pau bezeichnen sollte. »Mein Freund« erschien mir zu unverbindlich. »Lover« klang für mich zu formlos und modern. Ich konnte auch nicht sagen, dass er mein »Partner« war, weil er offiziell der Partner der Frau war, die er geheiratet hatte.
Ja genau, ich hatte eine Beziehung mit einem verheirateten Mann. Ich hatte mir geschworen, mich niemals auf dergleichen einzulassen. Und jeder hatte mir davon abgeraten.
Wir lernten uns bei der Einweihung eines Concept Store im Barri Gòtic – dem Gotischen Viertel – kennen, einem Geschäft, in dem man eine Vase von einem nordischen Designer kaufen, einen Gin Tonic mit Ingwer und Eisbergwasser trinken, eingelegte und vakuumierte Lotuswurzeln erstehen oder eine französische Maniküre bekommen konnte, alles, was das Herz begehrt. Dort drängten sich Hipster, Influencer, YouTuber, Foodies und Frauen mit sehr langen Beinen und überaus kurzen Kleidern. Das war nicht das Ambiente, in dem ich mich am wohlsten fühlte, doch ich hatte Carme den Gefallen getan, sie zu begleiten; sie hingegen war an diesem Ort ganz in ihrem Element. Kaum dass wir angekommen waren, ließ diese Verräterin mich am Rand der Theke mit den Gin Tonics und dem Eisbergwasser stehen, um sich unter die Menge zu mischen, die sie als supercool bezeichnete.
Gelangweilt beschloss ich, nach dem ersten Glas zu gehen. Doch als ich mir einen Weg zwischen den Leuten bahnte, bekam ich einen Stoß, worauf ich einen Kellner anrempelte, der daraufhin die Getränke auf seinem Tablett über einem Mann vergoss, von dem sich später herausstellte, dass er Pau hieß. Das Ganze endete damit, dass Pau und ich danach gemeinsam zu Abend aßen.
Hätte ich die Zeit, oft ins Kino zu gehen oder täglich fernzusehen, dann wäre mir vielleicht gleich zu Beginn, direkt nachdem sich die sieben randvollen Gläser Gin Tonic über ihn ergossen hatten, aufgefallen, dass Pau Schauspieler war. Keiner von diesen superbekannten Schauspielern, über die ständig in den Zeitschriften berichtet wird (in diesem Fall hätte sogar ich ihn vielleicht erkannt), sondern einer von den typischen Nebenrollendarstellern in spanischen Filmproduktionen. Er hatte sogar in einer amerikanischen Netflix-Serie mitgewirkt und darin einen mexikanischen Dealer gespielt, obwohl er weder wie ein Dealer noch wie ein Mexikaner aussah und sein Spanisch darüber hinaus einen katalanischen Akzent hatte.
Hätte ich es gewusst, hätte ich dieses gemeinsame Abendessen vermutlich abgelehnt. Aus irgendeinem Grund habe ich immer gedacht, mit einem Schauspieler auszugehen müsse ziemlich lästig sein – aufgrund der Paparazzi, der durchgeknallten Fans, der Egos in der Filmindustrie und all dieser Dinge. Jedenfalls hatte ich Pau auf den ersten Blick nicht als Schauspieler erkannt, zumindest entsprach er nicht der Vorstellung eines Schauspielers, die ich hatte: Pau war natürlich, unkompliziert, liebenswert und lustig … Sein Ego schien dem eines Durchschnittsmenschen zu entsprechen, und zunächst fielen mir keine Paparazzi in seiner Nähe auf. Allerdings war er nicht ehrlich, oder zumindest nicht von Anfang an. Welchen Beruf Pau ausübte, erfuhr ich erst, als meine Freundin Núria mich darüber informierte, die bei drei Fernsehplattformen angemeldet ist und jeden Freitag ins Kino geht.
»Ich habe es dir nicht gesagt, weil genau das eines der Dinge war, die mir an dir gefallen haben, nämlich dass du nicht wusstest, wer ich bin«, brachte er als eine Art Entschuldigung vor. »Für gewöhnlich kippen die Frauen nur deshalb Tabletts über mir aus, weil sie mich im Fernsehen gesehen haben.«
Zugegebenermaßen habe ich nicht lange über den Wahrheitsgehalt seiner Entschuldigung nachgedacht. Paus Beruf war auch nicht gerade das Schlimmste, was ich ihm vorwerfen konnte. Allerdings entdeckte ich gleichzeitig, dass er mit einer anderen Schauspielerin verheiratet war, über die wiederum ständig in den Zeitschriften berichtet wurde. Doch da war es längst zu spät, denn wir hatten uns schon mehrfach getroffen, und der Schaden war bereits angerichtet: Ich hatte genug Gefallen an Pau gefunden, dass ich ihn nicht postwendend zum Teufel schickte, sondern ihm die Gelegenheit für eine Erklärung gab.
»Unsere Ehe funktioniert schon seit Langem nicht mehr. Ich bin nicht glücklich mit Sandra. Ich habe sie schon mehrmals um die Scheidung gebeten, aber sie dreht jedes Mal durch und will nichts von diesem Thema hören. Sie fleht mich an, sie nicht zu verlassen, wickelt mich jedes Mal mit ihrer emotionalen Erpressung ein. Das letzte Mal hat sie eine halbe Schachtel Tabletten geschluckt, gerade genug, um mir einen Wahnsinnsschrecken einzujagen und mir klarzumachen, wozu sie imstande ist. Ich fühle mich wie im Gefängnis. Aber jetzt … jetzt habe ich dich kennengelernt, und ich bin wahnsinnig glücklich mit dir. Ich weiß, dass das nicht gut ist, dass es dir gegenüber nicht fair ist, aber gib mir eine Chance. Ich finde schon einen Weg, wie ich mich scheiden lassen kann. Ich will nur, dass wir zusammen sind.«
An diesem Abend schliefen wir miteinander, und keuchend vom Orgasmus, stieß er ein leidenschaftliches »Ich liebe dich« aus. Ich schenke derartigen Bekundungen inmitten der Ekstase für gewöhnlich nicht viel Glauben; sexuelle Trunkenheit löst häufig die Zunge. Doch wenige Wochen später gestand auch ich ihm meine Liebe.
Es war am Tag von Sant Jordi, dem Welttag des Buches. Wir schlenderten zwischen den Säulen und Spitzbögen des Kreuzgangs der Santa-Ana-Kirche herum, ein verstecktes Schmuckstück mitten im Barri Gòtic, weit weg vom Lärm und dem Treiben der Rambla. Hin und wieder sog ich den Duft meiner Rose ein, die er mir der Tradition gemäß geschenkt hatte, und Pau blätterte in seinem Buch: einer Anthologie südamerikanischer Gedichte. Laut las er ein Gedicht von Gabriela Mistral vor. »›Es gibt Küsse, die selbst aussprechen …‹«
Während ich zuhörte, wie er die Strophen mit seiner tiefen, samtenen Schauspielerstimme vortrug, übermannte mich eine Welle der Emotion. Ich blieb vor ihm stehen und sah ihn an.
»Ich liebe dich.«
Pau lächelte. Er umfasste mein Gesicht mit beiden Händen und küsste mich über die aufgeschlagenen Seiten des Gedichtbandes hinweg.
»Ich liebe dich auch.«
Wahrscheinlich gibt es auf der ganzen Welt keine schöneren Sätze als ein »Ich liebe dich«, gefolgt von einem »Ich liebe dich auch«.
Seitdem waren drei Jahre vergangen, und nichts hatte sich geändert: Pau war nach wie vor mit Sandra verheiratet, liebte aber mich. Und während ich diesem Umstand zunächst keine große Bedeutung beigemessen hatte, verliebte ich mich immer mehr in ihn und steckte Hals über Kopf in einer heimlichen ehebrecherischen Beziehung – beides überaus unschöne Umstände.
Tatsächlich fiel mir diese Geheimnistuerei sehr schwer. Wir konnten uns nur verstohlen treffen, um zu verhindern, dass die Paparazzi uns zusammen erwischten. Nicht um Sandras willen, der Pau ja längst gestanden hatte, dass er eine andere Frau liebte, und die sich dennoch weigerte, einer Scheidung zuzustimmen, sondern auch um Paus und um meinetwillen. Sollte unser Verhältnis bekannt werden, wäre er der Mistkerl, der die wunderbare, engelsgleiche und von den Fans geliebte Sandra Forn betrogen hatte, und in den Augen der Öffentlichkeit wäre ich die Schlampe, die sich zwischen das perfekte Ehepaar gedrängt hatte. Unter den gegebenen Umständen konnten wir uns also nur bei mir zu Hause oder an abgelegenen und wenig frequentierten Orten treffen, die wir getrennt aufsuchten, oftmals außerhalb von Barcelona oder außerhalb von Spanien, wo man Pau nicht kannte. Früher waren mir Bilder berühmter Menschen, die sich hinter Sonnenbrillen, Mützen und Mänteln mit hochgeklapptem Kragen versteckten, leicht grotesk, fast schon lächerlich erschienen, und doch hatte sich eine solche Tarnung als sehr viel notwendiger herausgestellt, als ich zunächst angenommen hatte.
Wenn ich schon mit der Heimlichtuerei nicht sonderlich gut zurechtkam, so setzte mir die Sache mit dem Ehebruch noch mehr zu, sosehr ich auch versuchte, das vor mir selbst zu leugnen.
»Ich mag es nicht, die andere zu sein«, beschwerte ich mich hin und wieder bei Pau.
Daraufhin sah er mich mit einem Blick voller Liebe an, der auch das kälteste Herz zum Schmelzen gebracht hätte, und versicherte mir: »Du bist nicht die andere, du bist die Einzige.«
»Mag sein«, sagte ich wenig überzeugt. »Aber letztlich bin ich diejenige, die sich in eure Ehe gedrängt hat. Ich bin in allen Darstellungen dieser Geschichte die Böse. Und das gefällt mir nicht. Manchmal versetze ich mich an die Stelle deiner Frau, und wenn ich sie wäre … Ich denke, dass sie mir leidtut …«
»Gigi … Ich empfinde nichts mehr für Sandra, und das weiß sie auch, aber sie will es nicht wahrhaben. Ich war ehrlich. Was kann ich noch tun? Diese Situation hat sie sich zuzuschreiben. Wir beide sind die Opfer ihrer Unvernunft und ihrer Drohungen.«
Und ich glaubte ihm, ich wollte ihm glauben, denn wenn die Liebe die Vernunft vernebelt, verliert man sein Urteilsvermögen und den Durchblick.
Unsere Beziehung war nicht perfekt, aber es war unsere Beziehung, meine, alles, was ich in einem Leben, das ich meiner Karriere widmete, hinbekommen hatte. Ich war bereit, so viele Kompromisse einzugehen, wie notwendig waren; sogar mich selbst zu belügen, wenn das für ihren Fortbestand vonnöten war. Ich sagte mir: »Es ist egal, es ist so okay für mich. Das ist alles, was ich momentan brauche und was ich zu bieten habe, eine Beziehung, die meiner Karriere genug Raum lässt.« Das sagte ich mir, um mich davon zu überzeugen, dass es besser wäre, eigennützig als dumm zu sein.
Im Grunde genommen unterschied ich mich nicht sehr von Sandra, vielleicht empfand ich deshalb Mitleid für sie. Wir beide waren verliebt, und jeder, der schon einmal hoffnungslos verliebt war, kann mich vielleicht verstehen. Die Liebe ist bisweilen ein Gefängnis, dessen Riegel sich im Inneren befindet.
Was ich in diesem Zustand der Selbstbetrachtung jedoch niemals hätte vorhersagen können, war die Art und Weise, wie mir schließlich deutlich wurde, dass der Schlüssel, um mich aus diesem Gefängnis zu befreien, letztlich in meiner Hand lag.
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