Der Wilde vom Yellowstone - Wolfgang Winning - E-Book

Der Wilde vom Yellowstone E-Book

Wolfgang Winning

0,0

Beschreibung

Im Grunde ist Jacob Mad Buffalo Cabe ein friedliebender Mann, jedenfalls so lange man ihn nicht reizt. Er führt ein ruhiges Dasein in der Abgeschiedenheit am Yellowstone River und ist mit sich und der Welt zufrieden. Doch eines Tages stolpert Nancy Blue in sein Leben, und mit einem Mal ist nichts mehr so wie es war. Schlimme Ereignisse wechseln einander ab und zwingen Mad Buffalo Cabe, zum erbarmungslosen Kämpfer zu werden. Er wird zum "Wilden" – schlimmer, als es das Land am Yellowstone je gesehen hat. Sein einst so beschauliches Leben wird zum Alptraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Ein spannender Roman aus der Zeit der "Mountain Men".

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 518

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Der Wilde vom Yellowstone

Historischer Roman

vonWolf G. Winning

Impressum

Der Wilde vom Yellowstone, Wolf G. Winning

TraumFänger Verlag Hohenthann, 2022

1. Auflage eBook September 2022

eBook ISBN 978-3-948878-25-2

Lektorat: Michael Krämer

Satz und Layout: Janis Sonnberger, merkMal Verlag

Datenkonvertierung: Bookwire

Titelbild: Alfredo Rodriguez

Copyright by TraumFänger Verlag GmbH & Co. Buchhandels KG, Hohenthann

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

1.

Der Fluss zieht stetig und ohne Eile dahin und nimmt keine Notiz von Wachstum und Verfall an seinen Ufern, nicht vom Kommen und Gehen und nicht vom Leben und Sterben. Er hat hier schon viele Meilen hinter sich, auf denen er wild und ungestüm über Steine rauschte, mal eingeengt und wieder frei, sich hier und da donnernd in die Tiefe stürzend, um weiterzueilen, auf seinem vorbestimmten Weg in die Plains, der ihn in weiter Ferne schließlich mit dem Missouri vereinen wird. Doch hier fließt er ruhiger unter dem duldsamen Blick des gewaltigen Berges, der einmal den Namen Mount Cowen erhalten soll, der sich majestätisch jenseits seines südöstlichen Ufers erhebt, als hätte er sich dazu auserkoren, über die kleine braune Hütte zu wachen, die sich etwa hundert Schritte vom nordwestlichen Ufer des Flusses entfernt zwischen mächtigen Bäumen niedergelassen hatte, als wollte sie sich von einem langen Marsch ausruhen.

Als Jacob Cabe zum ersten Mal in dieses Tal hinabgeblickt hatte, war er sofort wie verzaubert gewesen, und er hatte gewusst: Hier ist mein Zuhause, hier werde ich bleiben. Es war das Land der majestätischen Berge, der großen Flüsse, die man Missouri, Snake River und Yellowstone nannte, und der weiten Ebenen im Osten, wo die Welt zu enden schien.

Die Lakota-Indianer, bei denen er einige Zeit gelebt hatte, nannten ihn wegen seiner Größe und seiner Körperkräfte Tatanka witko, und bei den Weißen, die ihn kannten, war er Mad Buffalo, wozu letztlich auch sein unberechenbares Temperament und seine Wildheit beigetragen hatten. Und seither nannte ihn alle Welt so.

Als Mad Buffalo Cabe den Oberlauf des Green River erreichte, lagen die wilden Berge bereits hinter ihm, und das mit Fellen schwer beladene Muli schien wohl der Meinung zu sein, dass es nun weit genug sei, denn es trottete müde und widerwillig dahin. Ungeduldig zog Jacob Cabe an der Longe und blickte ärgerlich über die Schulter.

„Komm schon, altes Faultier, wir sind noch lange nicht da!“, brummte er. „Hast ’n ganzes Jahr Ruhe gehabt, verdammt noch mal, und solltest eigentlich froh sein, mal wieder Gesellschaft zu bekommen. Also beeil dich, und lass dich gefälligst nicht so ziehen!“

Der Fluss strömte leise rauschend zwischen den steinigen Ufern entlang und suchte sich seinen Weg nach Süden, um sich schließlich dort irgendwo in den Colorado River zu ergießen.

Das Muli hinter ihm schüttelte missbilligend den Kopf, so dass seine langen Lauscher nur so wackelten, und gab einen verächtlich klingenden Ton von sich. Ohne seine Gangart zu beschleunigen ließ es sich an der straff gespannten Longe zwischen den Bäumen hindurch zum Flussufer ziehen.

Jake Cabe hatte eigentlich vorgehabt, kurz anzuhalten und die Tiere zu tränken, aber das Auftauchen eines einzelnen Reiters auf der gegenüberliegenden Flussseite veranlasste ihn, seinen Ritt vorerst fortzusetzen.

„Jake“, murmelte er leise vor sich hin. Diesen Namen hatte er schon seit seiner Kindheit nicht mehr gehört. Damals hatte er auch noch nicht mit sich selber geredet. „Sei vorsichtig. Du hast eine gute Jagd gehabt in diesem Winter und bist mit deinem gesamten Ertrag an Fellen unterwegs.“

Dieser Indianer auf der anderen Seite war, so glaubte er, wohl ein Crow, aber was bedeutete das schon. Diesen Brüdern war der Tauschwert guter Pelze durchaus bekannt. Aber was, zum Teufel, beabsichtigte der Kerl damit, sich so offen sehen zu lassen?

„Die Händler beim großen Rendezvous am Unterlauf des Flusses zahlen jedenfalls mit Barem oder brauchbaren Waren und nicht mit Blei oder einem Pfeil in den Rücken wie diese roten Halsabschneider“, setzte Jake Cabe sein Selbstgespräch fort. „Und obendrein behältst du dort auch noch deinen Skalp.“

Das Klappern der Hufe auf dem steinigen, mit Geröll bedeckten Uferstreifen tönte durch das leise Rauschen des Wassers bis zu Cabe herüber.

Der Krieger schaute scheinbar ohne besonderes Interesse zu ihm her und ritt gemächlich mit ihm in gleicher Richtung. Die Federn am Schaft seiner Lanze tanzten leicht im schwachen Wind.

Cabes bärtiges Gesicht unter der Mütze aus Wolfsfell wandte sich hierhin und dorthin, und der hinten herabhängende Schwanz wischte dabei über seine breiten Schultern.

Diese Burschen streiften selten allein umher, und dass er nur einen von ihnen sah, ließ ihn Gefahr wittern. Er lebte lange genug hier draußen, um dafür ein Gespür zu haben. Ein einzelner Mann mit einer Ladung Felle stellte eine allzu lohnende Beute dar.

Er spuckte einen Strahl Tabaksaft zielsicher am Kopf seines Pferdes, das er Buddy nannte, vorbei und wollte gerade vom Ufer weg zu den Bäumen hinüberreiten, als von dort her ein Schuss fiel.

Das Muli hinter Mad Buffalo Cabe brach auf der Stelle zusammen. Das Echo des Schusses war noch nicht zwischen Wald und Felsen verhallt, da war der Mountain Man bereits aus dem Sattel und schwenkte sein altes, langläufiges Gewehr über den Pferderücken. In diesem Moment fiel ein weiterer Schuss, und die Kugel, die zischend die Mähne des Braunen streifte, erschreckte das Tier so sehr, dass es wiehernd davonstürmte. Diese plötzliche Bewegung riss Cabes Gewehr zur Seite, und das Vorbeizischen einer dritten Kugel veranlasste ihn, da er jetzt ohne Deckung war, sich einfach zu Boden fallen zu lassen, so, als sei er tödlich getroffen worden. Dabei achtete er darauf, dass seine Hand nahe der Kentuckypistole verblieb, die hinter seinem Gürtel steckte.

Er lag still und blinzelte zu dem lichten Baumbestand hinüber, der sich einen Hang hinaufzog und zwischen dessen Stämmen noch der graue Pulverrauch hing. Von dem Reiter jenseits des Flusses konnte er aus dieser Position nichts sehen, aber er würde ihn hören, wenn er herüberkäme.

Das tote Muli lag nur wenige Schritte von Mad Buffalo entfernt, und er hätte dahinter in Deckung gehen können. Jedoch hielt er es für besser, wenn sie glaubten, ihn erledigt zu haben, denn er befand sich zwischen zwei Feuern. Vielleicht hatte er noch eine Chance, wenn sie kamen, um ihre Beute zu holen. Es hing davon ab, wie viele es waren.

Es waren drei, und sie kamen durch den sich langsam auflösenden Rauch ihrer eigenen Schüsse. Ihre Gewehre konnten sie noch nicht nachgeladen haben, denn niemand, auch wenn er noch so geübt war, konnte in solch kurzer Zeit Pulver und Blei in den Lauf hinunterbringen. Offensichtlich handelte es sich um junge Krieger, die sich ihre erste Kriegsbeute und ihr erstes Ansehen erwerben wollten. Erfahrene Krieger hätten ihre Deckung nicht verlassen, ohne vorher ihre Waffen wieder zu laden. Leichtfüßig und schnell kamen sie näher, als wollte keiner dem anderen den Skalp dieses weißen Mannes überlassen, oder als hofften sie, noch einen Coup zu landen, bevor ihr Gegner tot war.

Es kostete Nerven, einfach so dazuliegen und zu warten, während sie rasch näherkamen, aber Jacob Cabe hatte schon oft ähnliche Situationen durchgestanden. Kalten Blutes wartete er, sie mit blinzelnden Augen beobachtend, bis der Erste von ihnen nur noch zehn Schritte von ihm entfernt war. In diesem Moment riss er mit einer plötzlichen Bewegung seine Pistole heraus und schoss diesem mitten in die Brust. Der Getroffene stolperte in vollem Lauf und stürzte dicht vor Cabe hin, der die Pistole fallen ließ und mit einem Hechtsprung sein Gewehr erreichte.

Die anderen beiden stoppten ihren Lauf. Die Erkenntnis ihres verhängnisvollen Fehlers traf sie völlig unvorbereitet, und das war ihr nächster Fehler.

Cabe warf sich mit seinem Gewehr herum, während Feuer und Rauch den beiden Crow entgegenschossen. Den einen riss es mit einem gewaltigen Schlag nach hinten von den Beinen, und sein Tomahawk klirrte hell auf die Steine. Der andere rannte von Entsetzen gepackt zurück, den Bäumen entgegen. Mad Buffalo stieß das Messer in die Scheide zurück, aus der er es erst halb hervorgezogen hatte, grapschte nach dem Gewehr und kam blitzschnell auf die Füße.

Mit noch leicht zitternder Hand setzte er das Pulverhorn an die Mündung und ließ etwas Pulver in den Lauf rieseln. Mit schnellen, flüssigen Bewegungen, die langjährige Übung verrieten, setzte er die Kugel an und ließ sie in den Lauf hinabrollen, wobei er den Vorgang unterstützte, indem er den Kolben der Waffe auf den Boden zu seinen Füßen stauchte. Das Gewehr kam hoch, und er zog den Hahn mit dem Flintstein zurück und schüttete aus dem kleinen Horn, das an einer dünnen Lederschnur vor seiner Brust hing, eine Prise Zündkraut auf die Pulverpfanne, und während er sie zuklappte, hob er das Gewehr an die Schulter. Doch als er den Rücken des fliehenden Feindes im Visier hatte, zögerte er.

Der konnte ihm nicht mehr gefährlich werden, aber da war noch dieser Reiter jenseits des Flusses gewesen. Doch der schlug bereits hastig mit der Peitsche auf das Hinterteil seines Pferdes ein und machte sich ebenfalls aus dem Staub. Daraufhin setzte Jake Cabe die Flinte ab und brach in ein lautes, dröhnendes Gelächter aus, das seinem Namen alle Ehre machte.

Als der letzte Indianer längst zwischen den Bäumen verschwunden war und der Hufschlag des Reiters jenseits des Green River verklang, hallte sein bärenstarkes Lachen noch immer zum Wald hin und über den Fluss und zersprang in tausend Echos.

„Habt ihr euch so gedacht, Mad Buffalo Cabe seine Felle abzujagen, ihr Halunken“, murmelte er vor sich hin. „Mit euch werde ich noch allemal fertig, ihr rothäutigen Stümper!“, grollte es hinter ihnen her. Die mit vom Rauch unzähliger Feuer gegerbtem Hirschleder bekleideten Beine stemmten sich auf den Boden, und er feuerte die Kugel aus seinem Gewehr in den mit blassen Wolkenschleiern bedeckten Himmel. Dann drehte er sich um, schaute zu seinem toten Muli hin und murmelte ärgerlich: „Eins ausgewischt haben sie mir doch, diese verdammten Spitzbuben.“

Er lud Pistole und Gewehr wieder, diesmal mit Verdämmung und Schusspflaster, und schlurfte dann auf seinen aus dem dicken Nackenleder eines Elches gefertigten Mokassins um den Ballen Felle herum, unter dem nicht viel mehr als Kopf und Beine des erschossenen Tieres zu sehen waren, und zeterte: „Das hast du nun davon, weil du so langsam warst. Wir hätten schon längst bei Smoky Voice Turtle und seiner verflixten Fähre sein können. Stattdessen musst du dich von diesen schlitzohrigen Crow erwischen lassen. Und was jetzt? Soll ich diesen ganzen Kram vielleicht auf meinen Schultern tragen?“

Er stand einen Moment ziemlich ratlos da, dann wischte er sich schnaufend unter der Nase entlang und ließ einen aufmerksamen Blick über den Wald, die vereinzelten Büsche und die felsigen Hänge hinter dem anderen Ufer wandern. Möglich, dass noch andere Rothäute in der Nähe waren, und deshalb war es ratsam, nicht unnötig lange hier herumzustehen. Eigentlich war er mit den Crow ausgekommen, wenn sie ihre Nasen nicht zu dicht zusammenbrachten – genauso wie mit den Blackfeet, indem er es möglichst vermied, ihnen über den Weg zu laufen. Aber jetzt hatte er zwei dieser jungen Heißsporne der Crow getötet, und das könnte andere, die sich vielleicht hier herumtrieben, auf den Plan rufen.

Er wischte mit dem speckigen Ärmel seiner Jacke beinahe zärtlich den Schmutz vom Schaft seines langen Gewehres, das vor mehr als dreißig Jahren von einem Büchsenmacher in Pennsylvania gefertigt worden war und das er als einziges Erbstück von seinem Vater bekommen hatte, ehe er sich vor langer Zeit auf den Weg nach Westen machte. Dann holte er Buddy, der neben einem Felshöcker stehen geblieben war und aus dieser Entfernung den Verlauf des kurzen Kampfes beobachtet hatte, lud ihm die Last des Mulis auf und zog es am Zügel hinter sich her.

* * *

2.

Dort, wo der Green River eine seichte Schleife nach Süden beschrieb und sich nicht ganz so tief zwischen seinen Ufern eingefressen hatte wie anderswo, duckte sich zwischen einigen hohen Espen eine aus behauenen Stämmen erbaute Blockhütte von beachtlicher Größe, in der Caleb Smoky Voice Turtle seit unzähligen Wintern hauste. Das Innere dieser Hütte bestand aus einer kleinen Schlafkammer und einem größeren Wohnraum, der ebenso als Lager für alle möglichen Waren wie auch als Tausch- und Schankraum für selten durchziehende Reisende diente. Daneben befand sich noch eine Scheune, die mit einem Stall kombiniert war.

Caleb Turtle trieb Handel mit den Indianern und auch gelegentlich auftauchenden Trappern der Region, schenkte schlechten Whiskey aus und betrieb außerdem eine kleine, brüchige Fähre – nicht mehr als ein Floß mit niedrigen Seitenborden, das jedoch die meiste Zeit des Sommers vertäut am Ufer vor sich hin moderte, bis einmal jemand kam und sich auf seine verrotteten Planken wagte.

Jetzt schienen seine Dienste mal wieder gebraucht zu werden, wie der drängende Ruf vom anderen Ufer her verkündete. Turtle, der gerade beim Essen gewesen war, lief noch kauend nach draußen und wischte sich die fettigen Hände an seinen ohnehin schon speckigen Beinkleidern ab.

„He, was ist los?“, grollte er mit seiner rauen Stimme. „Seit letztem Jahr hat niemand mehr über den verdammten Fluss gewollt, und nun kann man nicht mal in Ruhe essen. Wer bist du denn, dass du es so eilig hast?“ Sein haariger Handrücken fuhr ihm über den glänzenden Mund, und er stapfte zum Ufer hinunter, beschattete dann mit der anderen Hand seine Augen und spähte zur gegenüberliegenden Seite hinüber. Die zu beiden Seiten herabhängenden Hosenträger hatten zwei dunkle Streifen auf seinem verblassten, jetzt hellroten Unterhemd hinterlassen. Jetzt, als er das Flussufer erreichte, erkannte er die verwilderte Gestalt mit dem struppigen Bart, der zerzausten Wolfsmütze und dem mit Fransen besetzten Hirschlederhemd und schlug sich krachend auf die Schenkel.

„Mad Buffalo Cabe! Da soll mich doch gleich der Geier fressen“, brüllte er mit einer Stimme, die seinem Beinamen alle Ehre machte, über den Fluss. „Alter Indianerfresser, wird langsam Zeit, dass du dich auf den Weg machst – sonst haben die Händler unten am Fluss ihre Wagen voll, ehe du mit deinen durchlöcherten, räudigen Stinktierhäuten dort auftauchst.“ Er machte ein verwundertes Gesicht. „Wo hast du denn das langohrige, zänkische Biest gelassen, das sonst immer deine Felle schleppen musste?“

„Hat sich mit einigen Crow angelegt und dabei den Kürzeren gezogen, ’nen halben Tag von hier“, brüllte Mad Buffalo zurück. „Nun lass endlich deinen Brennholzstapel zu Wasser! Will mich nicht gerade auf dem Fluss von ihnen erwischen lassen.“

Der Wind spielte mit Caleb Turtles schütterem Haar, während sich sein feistes Gesicht zu einem breiten Grinsen verzog.

„Kostet zwei Biberfelle. Hast du welche?“

„Hab’ ’ne ganze Ladung davon, aber letztes Jahr hast du dich noch mit zwei Wieseln begnügt, du Halsabschneider.“

Turtle ließ ein kehlig dröhnendes Lachen über den Fluss schallen. „Da waren auch keine Rothäute hinter dir her.“

Auf der anderen Seite schüttelte Mad Buffalo seine Faust. „Du bist ein ausgekochter Hundesohn! Man sollte dich windelweich prügeln.“

„Willst du nun herüber oder nicht?“, fragte Turtle ungerührt.

„Das sage ich doch schon die ganze Zeit“, fauchte Mad Buffalo. „Haben die Rothäute dir die Ohren abgeschnitten, nachdem an deinem Skalp nicht mehr viel dran ist?“

Turtle kletterte auf das Floß und löste das Tau vom Haltepfahl.

„Noch eine solche Beleidigung, und du musst drei Biberfelle rausrücken“, brüllte er, dass das Fett an seinem Hals zitterte, und stieß sich mit der Stange vom Ufer ab.

Der Jäger aus den Bergen wartete schweigend, bis das Floß vor ihm ans Ufer stieß, und zog dann den schwer beladenen Braunen auf die in ihrer Altersschwäche bedrohlich ächzenden und schwankenden Planken. „Beim Leibhaftigen“, murmelte er, als das Floß wieder ablegte und in die Strömung gedrückt wurde, „eigentlich müsstest du dafür bezahlen, dass auf diesem Ding jemand sein Leben riskiert.“

„Red nicht so viel, und hilf mit lieber beim Ziehen“, brummte der Fährmann heiser. „Für das, was dein Gaul in diesem Jahr wiegt, sind zwei Felle noch zu wenig.“

Pferd und Mann waren heilfroh, endlich auf der anderen Seite wieder festen Boden unter sich zu spüren.

„Soso, die Crow.“ Turtle kratzte sich hinter dem Ohr. „Treiben sich schon ’ne ganze Zeit hier in der Gegend rum, haben aber bis jetzt nie die Zähne gezeigt.“ Er schaute in Mad Buffalos bärtiges Gesicht. „Willst du jetzt bis zum Rendezvous laufen?“

Cabes Grinsen war unter dem Haargeflecht nur am leichten Verengen seiner Augen zu erkennen. „Du könntest mir dein Kanu leihen. Dann lasse ich den Gaul so lange bei dir und fahre den Fluss hinunter.“

Der Fährmann grinste zurück und schlug dem Jäger auf die Schulter. „Komm rein, und lass uns erst mal darauf einen zu uns nehmen, dass du deine Haare noch bei dir hast.“

Draußen war es längst dunkel geworden. Der Whiskey hatte Jake Cabes Bauch gewärmt und seine Sinne umnebelt. Er warf den Kaninchenknochen, den er gerade abgenagt hatte, auf den Tisch und wischte sich die Finger an seinem Jagdhemd ab.

„Warum willst du dir überhaupt den weiten Weg bis zu diesem Treffen aufbürden?“, hatte Caleb Turtle gerade gefragt. „Du kannst den ganzen Packen hierlassen. Ich gebe dir ’nen guten Preis, und du brauchst dich nicht mit den Gaunern der American Fur rumärgern.“

Mad Buffalo Cabe ließ ein sattes Grunzen hören. „Diese Gauner zahlen immerhin beinahe doppelt so viel, wie du bietest, altes Whiskeyloch.“

Turtle schob ihm die Flasche über den Tisch und fegte mit einer Handbewegung die abgenagten Knochen auf den Fußboden. „Aber du bist jedes Risiko los und sparst obendrein noch die Miete für das Kanu. Du könntest unterwegs deine ganze Ladung verlieren und den Skalp dazu.“

Cabe nahm einen Schluck aus der Flasche, stellte sie wieder hin und reckte seinen mächtigen Körper etwas in die Höhe.

„Bis jetzt ist alles gutgegangen, und das wird auch so bleiben. Das hier ist nahe am Piegan-Land, und die Blackfeet haben bis jetzt Frieden gehalten.“

„Darauf würde ich mich nicht verlassen. Du hast doch gerade erlebt, wie die Roten reagieren, wenn sie einem einzelnen Mann begegnen, der so viele Felle und ein gutes Gewehr hat. Weiter südlich von hier könntest du noch öfter auf Crow treffen, die sich dort rumtreiben.“

„Mach dir nur darüber keine Sorgen. Mit denen wird Mad Buffalo schon fertig.“ Er rülpste laut und fuhr fort. „Gib dir keine Mühe, Smoky Voice, du kannst mir meine Felle doch nicht abluchsen.“

Caleb Turtle machte zunächst ein enttäuschtes Gesicht, dann wechselte der Ausdruck zu einem verschlagenen Grinsen. „Ich weiß schon, weshalb du unbedingt dahin willst.“ Er zog kurz die Nase hoch. „Wegen der Weiber.“

Mad Buffalo verzog die eine Gesichtshälfte und schenkte seinem Gegenüber einen listigen Blick. „Nun ja“, meinte er und zog die beiden Worte genüsslich in die Länge, „wenn man so lange da draußen in der Wildnis hockt, wo einem nur weibliche Geschöpfe mit vier Beinen über den Weg laufen, lässt man sich gern mal wieder mit einem dieser Shoshone-Weiber ein.“

Das Grinsen in Turtles Gesicht vertiefte sich. „Diese Art von Weibern meine ich nicht.“

„Andere gibt’s da nicht“, schnaufte Mad Buffalo. „Worauf willst du mit deinem Gefasel hinaus?“

„Spiel nicht den Unwissenden.“ Turtle beugte sich über den Tisch nach vorn. „Da kamen doch gestern zwei Figuren hier vorbei, und vielleicht sind sie dir auch begegnet …“

„Komm endlich zur Sache“, unterbrach ihn Mad Buffalo. „Mir sind keine Figuren begegnet.“

„Na schön, wie dem auch sei. Die beiden behaupteten jedenfalls, ein sehr findiger Pelzhändler hätte da eine clevere Idee gehabt und ’ne weiße Lady mitgebracht, die in einem Extra-Zelt wohnt. Und wer genügend Geld hat, könnte sie sogar besuchen. Verstehst du jetzt?“

In Mad Buffalos Bartgeflecht entstand ein dunkles Loch, als sein Unterkiefer herabsank.

„Ne richtige weiße Frau?“, fragte er schließlich, als hätte er den Mann auf der anderen Seite des Tisches nicht richtig verstanden. Dieser nickte jedenfalls eifrig.

„Das haben die beiden jedenfalls behauptet. Sie soll sogar schöne Kleider tragen und nach Parfüm riechen – und blaue Augen hätte sie, so groß wie Abalone-Muscheln.“

„Geld hätte ich wohl, wenn ich meine Felle verkauft habe“, sagte Mad Buffalo, indem er seine Augen irgendwohin richtete, wo es eigentlich nichts zu sehen gab. „Eine richtige weiße Frau, hast du gesagt?“

„Nicht ich. Die beiden Kerle haben das gesagt.“

„Allmächtiger, ich weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal eine gesehen habe. Ich glaube, es war damals, als ich in St. Lou war.“ Er schüttelte mit noch immer abwesendem Blick seinen bärtigen Kopf. „Mit richtiger weißer Haut?“

„Was für ’ne Haut soll denn ’ne weiße Lady sonst haben?“, fuhr Turtle seinen Gast an, offensichtlich genervt über dessen Begriffsstutzigkeit. „Die Welt verändert sich allmählich auch hier. Du solltest deine Nase mal wieder in sie hineinstecken.“

„Eben wolltest du mich noch daran hindern“, knurrte Jake Cabe. Er griff noch einmal zur Flasche und nahm einen kräftigen Schluck, während Turtle weiterredete.

„Es sollen sogar schon diese Dampfboote den Missouri hinauffahren.“

„Dampfboote?“

„Ja. Die Indianer nennen sie Feuerkanus. Sie werden mit Feuer und Dampf betrieben.“

„Wie soll man denn mit Feuer und Dampf fahren können?“

„Weiß ich auch nicht“, erklärte Caleb Turtle bedeutungsvoll. „Jedenfalls sollen sie über hundert Fuß lang sein und stoßen grässliche Wolken aus.“

Mad Buffalo strich sich mit den Fingern den Bart aus den Mundwinkeln und nickte, jetzt wieder auf Turtle konzentriert. „Ich glaube, ich habe solch ein Ding schon mal gesehen, unten in St. Louis. Jetzt, wo du es sagst, fällt mir’s wieder ein.“

* * *

3.

Am frühen Morgen schon hatte Jacob Cabe das leichte Rindenkanu beladen. Während er vom Ufer abstieß, rief Turtle ihm nach: „Gib auf das Boot Acht; der Fluss hat tückische Stellen. Und lass dich nicht von diesem Weib ausnehmen.“

Mad Buffalo Cabe winkte mit dem Ruder, ohne sich umzudrehen. Vor ihm stapelten sich die Bündel seiner Felle und drückten das leichte Boot tief ins Wasser. Seine lange Pennsylvania-Rifle lag griffbereit neben ihm auf dem Boden, und er beobachtete aufmerksam die Ufer, die rasch an ihm vorbeiglitten, da er mit der Strömung flussabwärts fuhr.

Als Mad Buffalo am nächsten Tag das Gebiet erreichte, an dem das diesjährige Treffen der Trapper, Händler und anderer Abenteurer stattfand, stellte er fest, dass vor ihm schon viele der Jäger und Mountain Men angekommen waren. Auch die Agenten der meisten Fur-Companies waren bereits da, und abseits, ein Stück flussabwärts, bemerkte er eine Ansammlung von Tipis, zwischen denen zahlreiche Indianer verschiedener Stammeszugehörigkeit herumlungerten. Männer auf Pferden ritten hin und her, wohl auf der Suche nach jemandem, den sie hier zu treffen hofften. Auch etliche Trapper mit ihren indianischen Familien waren gekommen. Überall rauchten Feuer, von verwildert aussehenden Gestalten umlagert, die kräftig dem Alkohol zusprachen und ihre überstandenen Kämpfe zum Besten gaben; meistens fantasievoll ausgeschmückt oder sogar frei erfunden.

Am Rande des Geschehens bemerkte Jake Cabe, dass dieses Mal ein geräumiges Zelt aufgebaut war, in dessen Innerem es laut herging, und ständig gingen dort Männer ein und aus – einzeln oder zu zweit oder dritt – die sich lebhaft unterhielten. Ein Stück abseits bemerkt er ein noch seltsameres quadratisches Zelt, mit einem spitzen Dach, das offensichtlich von einem Mittelmast gestützt wurde, und senkrechten Wänden. Daneben befand sich ein kesselartig aussehender Ofen mit einem Kaminrohr, aus dem, so wie es aussah, Dampf aufzusteigen schien.

Mad Buffalo Cabe wurde seine Pelze zu einem achtbaren Preis an Chouteau & Company los. Nur für die Biber war der Erlös drastisch eingebrochen. Danach wollte er sich, von der Neugier angetrieben, die Smoky Voice Turtle in ihm geweckt hatte, unter das bunte Treiben mischen und sehen, was sich so bieten würde. Aber da er von seinem unberechenbaren Temperament wusste, wollte er zuerst jenen Teil seiner Waren, die er in Naturalien und die wichtigsten Dingen eingetauscht hatte, die er am meisten benötigte, in Sicherheit bringen. Darunter waren vor allem eine Menge Pulver und Blei. Er brachte es in seinem Kanu unter, das am Flussufer lag, und warf seine Decke darüber.

Als er schließlich zurückschlenderte, um sich bei anderen an irgendeinem Feuer niederzulassen und vielleicht nützliche Neuigkeiten zu erfahren, hörte er hinter sich eine tiefe Stimme, die ihn anrief: „He, Mad Buffalo!“– und jemand schlug ihm auf die Schulter, dass er das Gefühl hatte, ein Grizzly hätte ihn mit seiner Tatze erwischt. „Da will ich doch gleich verdammt sein!“

Cabe drehte sich um und sah sich einem seltsamen Paar gegenüber. Der eine trug eine abgeschabte und speckige Büffellederjacke und war ein Riese mit breiten Schultern, der sogar Crazy Cabe um einen halben Kopf überragte. Der andere war von eher kleiner und hagerer Statur, hatte ein spitzes Mäusegesicht und kleine, flinke Augen.

„Hallo, Big Holly“, entfuhr es Cabe, „willst du mir die Knochen zerschlagen?“

Holly ließ ein dröhnendes Lachen hören und zeige dabei eine Reihe gelber Zähne. „Warum hast du eigentlich deine Haare noch? Ich hörte, dich hätten letzten Sommer schon die Blackfeet erwischt.“

„Alles Gerüchte, wie du siehst.“ Cabe ließ sein langes Gewehr in die Armbeuge gleiten. „Aber wen hast du denn da bei dir?“

„Das ist Pelletier, er ist Franco-Kanadier. Wir waren mit ’ner Gruppe am Milk River unterwegs.“

„Bist du schon lange hier?“, wollte Cabe wissen.

Holly spuckte einen Strahl Tabaksaft auf den Boden. „Lange genug, um wieder zu verschwinden. Das hier wird immer größer und lauter. Ich will doch gleich verdammt sein, wenn ich so viele Menschen jemals schon auf einem Haufen gesehen habe.“ Er machte eine weit ausladende Armbewegung. „Und es zieht immer mehr Spitzbuben an, die dir mit allen möglichen Tricks das Fell über die Ohren ziehen, bevor du dich rumgedreht hast. Bin froh, wenn ich erst wieder da draußen bin, wo du den Wind hören kannst, der durch die Berge streicht, und wo dir nicht dauernd irgendwelche Leute über den Weg laufen. Du kannst mir glauben, ich bin nicht traurig, weil das hier das letzte Mal gewesen sein soll.“

„Wieso das letzte Mal?“, fragte Mad Buffalo verwundert.

Big Holly wies mit dem Kopf auf das Schankzelt am Rande des Lagerplatzes. „Da drin erzählen sie, die Aufkäufer hätten verlauten lassen, es lohne sich für sie der weite Weg nicht mehr. Es arte nur zu einem Saufgelage aus, und die Pelze würden immer weniger. Außerdem will niemand mehr Biberfelle haben, seitdem in London und Paris die Mode gewechselt hat und die Männer diese Hüte aus Raupengespinst vorziehen, statt einem ordentlichen Biberfilz.“

„Und wo sollen wir, verdammt noch mal, künftig unser Pelze verkaufen?“

Holly zuckte mit den breiten Schultern, und Pelletier meinte: „Bei den Trading Posts. Fort Union zum Beispiel.“

Holly nickte dazu. „Wie ich hörte, sollen sie am Oberlauf des Missouri einen neuen Posten planen. Dann können sie von dort aus die Pelze mit Booten nach St. Lou transportieren. Aber jetzt lass uns erst mal was zur Brust nehmen. Mir ist schon vom vielen Reden die Kehle ganz trocken, schätze ich.“

Sie wandten sich dem quirligen Treiben drüben beim Schankzelt zu.

„Was machen die Biber oben am Yellowstone?“, fragte Big Holly während er neben Cabe herlief.

„Wenn man die richtigen Plätze findet, geht’s noch“, brummte Mad Buffalo zurück. „Aber es sieht so aus, als wolle sie niemand mehr haben.“

Plötzlich blieb er stehen und starrte eine junge Frau an, die an ihnen vorbeikam. Sie war wohl fast noch ein Mädchen, und ihr goldblondes Haar, dessen Fülle sie im Nacken zusammengerafft trug, von wo aus es in neckisch tanzenden Locken über Schultern und Rücken fiel, glänzte in der Sonne.

Jake Cabe konnte sich nicht erinnern, jemals so blonde Haare gesehen zu haben. Sie kam so dicht an ihm vorbei, dass er den eigenartig fremden Duft riechen konnte, der sie umgab. Er gefiel ihm nicht besonders, denn er war so fremd und ungewöhnlich, dass man sich wohl erst daran gewöhnen musste – aber er betörte ihn, so wie Brandy, der die Sinne leicht macht.

Die Frau bemerkte seinen verwunderten Blick und verhielt kurz den Schritt vor ihm – mit ihren blauen Augen, die tatsächlich beinahe so groß wie Abalone-Muscheln waren und sonstige Unzulänglichkeiten in ihrem Gesicht vertuschten. Sie lächelte einladend zu ihm hoch, und Mad Buffalo spürte, wie ihm das Blut stockte. Sie war so nahe bei ihm, dass er in dem großzügigen Dekolleté ihres himmelblauen Kleides die zarte, weiße Haut ihres Brustansatzes sehen konnte.

Ehe seine Verwirrung schwand und er schlucken konnte, war sie schon wieder weg, und er starrte ihr nach, als sie zu diesem seltsamen quadratischen Zelt hinüberging.

„Allmächtiger!“, stöhnte Mad Buffalo.

Das enge Kleid ließ jede Form ihrer Figur erkennen, und sie bewegte sich in einer Weise, die dem Mann aus den einsamen und wilden Bergen den Hals strohtrocken machte.

Big Holly stieß ihn unsanft an und holte ihn somit wieder auf die Erde herunter. „Nun glotz nicht so. Das war Nancy Blue“, erklärte er beiläufig. „Blue wegen ihrer ungewöhnlich blauen Augen. Damit zieht sie den armen Hunden das Geld aus der Tasche. Sie kostet zehn Dollar, aber du kannst für ’ne alte Decke oder eine Handvoll bunter Perlen eine von den Shoshone-Weibern haben, die es genauso gut können.“

Natürlich glaubte Mad Buffalo ihm das nicht. Das, was er soeben gesehen hatte, konnte es kein zweites Mal geben.

Nancy Blue war längst in jenem Zelt verschwunden, als er Big Holly und Pelletier hinterhertrottete.

Rauch und Whiskeydunst umhüllten sie und machten den Duft von eben zur fernen, unwirklichen Erinnerung. Der Whiskey steigerte die Erregung noch, die von Mad Buffalo Besitz ergriffen hatte. Das Fantasiebild ihres entblößten Busens schwebte wie ein halb durchsichtiger Schleier vor seinen Augen, wohin er auch schaute.

„Hallo, Mad Buffalo Cabe!“, brüllte eine trunkene Stimme von irgendwoher. „Was machen die Squaws bei den Lakota? Sind sie noch immer so wild?“

Mad Buffalo nickte nur, ohne den Rufer zu beachten.

„Die sind jetzt bei ihm unten durch“, röhrte Big Holly heiser. „Er hat soeben Nancy Blue gesehen.“

Dröhnendes Gelächter umbrandete ihn wie eine Meereswoge.

„Pass auf“, grölte jemand, „bei der kannst du mehr als nur den Skalp loswerden.“

Das raue Lachen schwoll zu einem Sturm an. Crazy Cabe goss den dritten Whiskey in sich hinein und schrie: „Macht eure dreckigen Mäuler zu, verdammt noch mal!“

„Zum Teufel, vergiss sie wieder“, grunzte Big Holly dicht neben ihm. „Du wirst bei ihr nur dein Geld los, und für uns taugen doch nur die Squaws was. Vor Jahren hatte ich eine von den Crow weiter im Süden, als ich in den Wind-River-Bergen war. Die war zehn Nancys wert. Ein bisschen fett, zugegeben, aber das ist gut für die kalten Winternächte, sage ich dir – und sie hat mich nur ’ne bunte Decke und ein Pound Pulver gekostet.“

Die Heiterkeit der anderen, die auf seine Kosten ging, reizte Jake Cabe. Fluchend riss er seine Pistole aus dem Gürtel und feuerte so dicht über ihre Köpfe, dass einige von ihnen zusammenzuckten, weil sie meinten, den Luftzug der Kugel zu spüren.

„Ich schieße euch Idioten die Köpfe von den Schultern, wenn ihr nicht eure gottverdammten Schnapslöcher zumacht!“, brüllte er wie ein wütender Grizzly und verließ das Zelt.

Draußen war die Luft besser, und er blieb einen Augenblick stehen. Der genossene Alkohol machte ihn unternehmungslustig; und wenn Nancy Blue das Doppelte kostete – verdammt noch mal, er wollte sie haben!

Hinter ihm blieb der Tumult zurück. „Der war schon immer ein bisschen verrückt“, knurrte Big Holly und wandte sich wieder seinem Glas zu.

* * *

4.

Cabes Mokassins tapsten wie die Tatzen eines großen Bären über den festgetrampelten Boden, während er zu diesem komischen Zelt hinüberlief, neben dem fortwährend dieser seltsame Behälter dampfte. Noch immer wütend über das dämliche Gelächter der anderen, wischte er den Zelteingang beiseite und schob sich hinein. Dort sah er sich unvermittelt einem etwas dürren Kerl gegenüber, der unschlüssig fast mitten im Raum stand und zu ihm herumfuhr. Mad Buffalo packte ihn kurzerhand am Kragen und beförderte ihn hinter sich in Richtung Ausgang. „Mach, dass du rauskommst!“, blaffte er ihn an, und der Kerl verschwand hastig wie eine verscheuchte Fliege.

Mad Buffalo schaute sich im Raum um.

Da befand sich rechts von ihm ein Holzbett mit einer richtigen Matratze, das ihn nebulös an seine Kindheit erinnerte. Links neben dem Eingang entdeckte er eine Zinkwanne, deren oberer Rand auf einer Seite in die Höhe ragte. An der Wand gerade ihm gegenüber bemerkte er in dem dämmrigen Licht, das hier drinnen herrschte, eine Art Kommode aus gehobelten Brettern und daneben ein Regal, in dem richtige Handtücher lagen.

Er holte tief Luft, und das Zelt schien zu erzittern, als er brüllte: „Nancy Blue!“

Hinter ihm wurde der Eingang aufgezogen, und das Gesicht des Kerls, den er kurz zuvor rausgeschmissen hatte, wurde sichtbar, und er schaute mit nervös flatterndem Blick herein.

„Heißt du Nancy Blue?“, donnerte Mad Buffalo los, und das Gesicht verschwand so hastig wie vorhin der ganze Kerl. Dann wurde der Eingang wieder geöffnet, diesmal mit einer energischen Bewegung, und Nancy trat herein. Die blauen Augen schauten ihn an, größer denn je, und sie stemmte die Fäuste in die Hüften.

„Musst du so herumbrüllen?“

Das undurchdringliche Bartgestrüpp zog sich etwas in die Breite und zeigte das Grinsen an, das sich darunter abspielte.

„Ich hatte keine Lust, lange nach dir zu suchen.“

„Nun, jetzt bin ich ja hier.“ Sie kam näher und schaute abschätzend an seiner großen, zottigen Gestalt hoch. Sein langes Haar trug er zu zwei Zöpfen geflochten, die ihm rechts und links bis auf die Brust hingen und unten mit roten Stoffstreifen zusammengehalten wurden. „Ein Leisetreter bist du nicht gerade, aber du scheinst aus der tiefsten Wildnis zu kommen.“

„Da, wo richtige Männer eben herkommen.“ Er nickte und lehnte sein Gewehr gegen die Kommode hinter sich. Dann wandte er sich ihr wieder zu. „Mein Name ist Jacob Cabe. Die Indianer nennen mich Tatanka witko, Verrückter Bison, weil ich manchmal über die Stränge schlage.“

„Mir scheint, diese Indianer haben einen Sinn für treffende Namen.“ Nancy Blue rümpfte die Nase. „Riechen tust du aber eher wie ein Ziegenbock. Ich werde dich zuerst mal in den Badezuber stecken müssen, um deine Flöhe zu ersäufen.“ Ihr Gesicht nahm schnell einen engelhaften Ausdruck an. „Hast du überhaupt Geld bei dir?“

„Das will ich doch meinen.“

„Dann zieh dich aus und wirf deine Sachen da hinten in die Ecke.“ Sie huschte mit graziösen Bewegungen zum Eingang und rief nach draußen: „He, Joe, bring heißes Wasser rein!“

„Zum Geier“, schnaufte Mad Buffalo unmutig, „ich habe mich den ganzen Winter nicht gewaschen, und ich bin nicht zum Baden hergekommen.“

Nancy Blue stieß abermals ihre kleinen Fäuste in die Seiten, so dass ihre Brüste im Ausschnitt ihres Kleides erbebten, und ihre Augen loderten ihn an. „Glaubst du vielleicht, ich lege mich mit jedem stinkenden Bock hin?“

„Tatsächlich. So groß wie Abalone-Muscheln“, grinste er.

„Was sagst du?“

„Nichts. Du gefällst mir.“

„Da bist du der Erste“, sagte sie und schenkte ihm ein ironisches Lächeln.

„Und ich werde sogar baden, wenn du es willst.“ Er löste den Gürtel, ließ Messer, Pistole und Tasche fallen und zog sich das abgewetzte Hirschlederhemd über den Kopf. „Sag mal, wie viel müsste man bezahlen, wenn man dich ganz haben will?“

Ein unsicheres Lächeln umspielte ihren Mund. „Du bekommst mich schon ganz für dein Geld.“

„Ich meine, wenn ich dich … mitnehme … für ganz. Verdammt, du wärst die richtige Squaw für meine Hütte.“

Nancy lachte und betrachtete seinen muskulösen Oberkörper, das Spiel der Muskeln und Sehnen unter der weißen Haut.

„Du bist wirklich stark wie ein Bulle, und verrückt bist du auch.“

„Also, kommst du mit?“ In seinen Augen leuchtete es hoffnungsvoll auf.

Aber Nancy lachte noch immer. „Wohin denn? Soll ich vielleicht in irgendeinem stinkenden Indianerzelt hausen und für dich Felle gerben und nachts dem Geheul der Wölfe lauschen und ein paar halbwilde Kinder großziehen, die rohes Fleisch essen wie Tiere?“ Sie drehte sich um und schob den Waschzuber ein Stück von der Wand weg. „Nein, großer Büffel, ich habe andere Pläne. Hast du schon mal von New Orleans gehört?“

Mad Buffalo schüttelte leicht den Kopf. „Nur ein bisschen“, gab er zu.

„Das ist eine Stadt am Mississippi, in der zivilisierte Menschen leben und die Damen in Kutschen spazieren fahren. Und im Winter wird es nicht so kalt, dass man sich die Zehen erfriert.“

„Entsetzlich“, stöhnte Mad Buffalo. „Dann ist diese Stadt wohl noch größer als St. Louis.“

Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als Joe mit zwei großen Eimern dampfenden Wassers hereinkam, sie keuchend zum Bottich schleppte, hineingoss und wieder verschwand.

Mad Buffalo streifte Mokassins und Hose von den Beinen und tapste unlustig auf das dampfende Gefäß zu.

„Bei mir brauchst du keine verdreckten Kerle zu baden, um leben zu können“, hielt er ihr vor. „Und niemand, den du nicht magst, geht dir auf die Nerven – und die Luft ist klar und still da oben, und niemand ist da, der dir vorschreiben könnte, was du tun und lassen darfst.“

„Gerade das würde mir bald auf die Nerven gehen.“

„Das verstehe ich nicht.“ Er stieg in den Zuber und setzte sich rasch hin, weil er sich vor dieser weißen Lady genierte. Aber mit einem kurzen, impulsiven Knurren fuhr er so heftig wieder auf, dass seine Männlichkeit in die Höhe hüpfte und das Wasser herumspritzte.

„Verdammt, willst du mich kochen!?“, schrie er. Aber ihr Lachen veranlasste ihn rasch, die Hände vor seinen Schoß zu halten. Nancy nahm einen hölzernen Eimer, der mit kaltem Wasser gefüllt bereitstand, und goss seinen Inhalt in das heiße Wasser. Sofort setzte Mad Buffalo sich wieder hin.

„Hoffentlich ist das Wasser nicht kalt, ehe der Dreck an dir aufgeweicht ist“, schalt sie. Sie zog ihr himmelblaues Kleid aus und kam – nur mit Unterwäsche bekleidet und einer langstieligen Bürste in der Hand – zu ihm hin, um ihn abzuschrubben. Die zarten Spitzen, die ihre Hosenbeine dicht unterhalb der Knie abschlossen, fand er eigenartig und sehr reizvoll …

Innerhalb der nächsten Stunde entdeckte er noch mehr Reizvolles an ihr, und er wusste, dass er diese Stunde mit ihr in seinem ganzen Leben nicht mehr vergessen würde. Denn die Wildnis, in der er lebte, war am wenigsten geeignet, derartiges vergessen zu lassen. Doch Nancy hatte auch sein nochmaliges Angebot ausgeschlagen und stattdessen von einem grässlichen Leben zwischen Häusern und Menschen geschwärmt. Und so war er enttäuscht und missmutig in das Schankzelt zurückgekehrt, um seinen Kummer in einem See von Whiskey zu ersäufen.

Vom Himmel leuchtete tausendfach das Blau ihrer Augen auf ihn herunter, und an seinen Handflächen spürte er noch die warme Zartheit ihres Körpers. In einer Stimmung, am liebsten dieses ganze verdammte Schankzelt niederzureißen, drängelte er sich bis an den Tresen durch und rief laut nach einem Whiskey.

Nachdem er eine Flut davon durch seine Kehle geschüttet hatte, spottete jemand hinter ihm: „Sie scheint dich aber nicht glücklich gemacht zu haben, Mad Buffalo. War wohl nichts mit ihr?“

Cabe fuhr herum wie ein angeschossener Bär und schlug dem Sprecher seine Faust zwischen die Zähne. Der Mann fiel anderen gegen die Beine und blieb zu deren Füßen liegen. Cabe riss mit einer wütenden Bewegung sein Messer aus der Rohlederscheide und schrie: „Verschwindet, verdammte Schlangenbrut, oder ich schlitze ein paar von euch auf!“ Seine Augen funkelten böse wie die eines gereizten Bisonbullen, und die Männer wichen zurück. Niemand hatte Lust, herauszufinden, ob Mad Buffalo seine Androhung auch wirklich in die Tat umsetzen würde.

„Mad Buffalo spielt wieder mal verrückt“, murmelte jemand weiter hinten – so leise, dass der Gemeinte es nicht verstehen konnte. „Bei Gott, ich möchte nicht zu denen gehören, die ihm in den nächsten Tagen versehentlich auf den Fuß treten.“

Das Brett, das über einer Reihe von Fässern lag und somit als Bar diente, blieb für die nächste Zeit überwiegend Mad Buffalo vorbehalten. Er trank so lange, bis er schließlich beim Leeren des letzten Glases hintenüber fiel und kein Glied mehr rührte.

Big Holly und einige andere schleppten ihn hinaus und legten ihn und sein Gewehr unweit des Flusses unter einen Baum, wo er in der herabsinkenden Dunkelheit laut schnarchend liegen blieb.

* * *

5.

An diesem Abend verschaffte sich noch ein weiterer Besucher Zutritt zu Nancy Blues Arbeits- und Wohnbereich.

Brad Tucker war ein übler Bursche. Zusammen mit seinen beiden Brüdern Joshua und Angus und einem Partner namens Steve Fisher bildeten sie eine eigene Trappergruppe, die für die American Fur gearbeitet hatte, bevor diese in den Besitz von Pratte, Chouteau & Company übergegangen war. Seitdem, so wurde gemunkelt, hatten sie sich zusammen mit ihrem Vater verselbstständigt und weiter im Norden einen eigenen Handelsposten errichtet, der jedoch nicht viel abwerfen sollte, da sie alle im Grunde genommen faule Hunde waren.

Im Allgemeinen ging man dieser Gruppe aus dem Weg, denn es waren streitsüchtige Burschen, die schnell mit Messer und Pistole bei der Hand waren. Man munkelte, dass mancher Weiße, mit dessen spurlosem Verschwinden man das Konto der Indianer belastete, von ihnen umgebracht und ausgeraubt worden sei. Doch niemand sagte so etwas laut – es sei denn, er war gewillt, es mit diesen vier gefährlichen Männern aufzunehmen.

Jacob Cabe war mit ihnen vor ein paar Jahren oben am Milk River aneinander geraten, und es wäre zweifellos übel für ihn ausgegangen, wenn nicht just zu diesem Zeitpunkt einige Blackfeet aufgetaucht wären, die den Tucker-Brüdern plötzlich ihre ganz eigenen Probleme bereitet hatten.

Dieser Brad Tucker war nun, lange nachdem Jacob Cabe gegangen war, in Nancy Blues Zelt gekommen. Er hatte sich verächtlich lachend geweigert, ein Bad zu nehmen, und war mit der Brutalität eines Wilden über sie hergefallen und hatte sie genommen, so wie es ihm passte.

Nun hockte Nancy schluchzend und bebend vor Zorn auf ihrem Bett. Solch ein widerlicher Kerl war ihr in der ganzen Zeit, da sie diesem Gewerbe nachging, nicht begegnet. Wenn sie ein Mann wäre, hätte sie ihn zum Zelt hinausgeprügelt, anstatt ihn an sich heranzulassen. Doch stattdessen hatte er sie geschlagen, als sie sich gewehrt hatte, und sie angeherrscht: „Was glaubst du wohl, zu was eine Hure da ist!“

Die dunkle Schwellung neben ihrem linken Auge strahlte einen dumpf pochenden Schmerz aus, der das Brennen in ihrem Unterleib übertönte.

„Du bist mir noch das Geld schuldig“, sagte Nancy mit zitternder Stimme, während sie sich schließlich ankleidete. Obwohl sie alles an ihm hasste, wollte sie ihn nicht auch noch so davonkommen lassen.

Brad Tucker lachte ihr kalt ins Gesicht, doch seine Augen funkelten böse. „Bezahlen soll ich dich auch noch dafür, dass ich mir nehmen musste, was du mir hättest freiwillig geben müssen?“

Nancy Blue starrte diesen Kerl mit klopfendem Herzen an, während der Zorn über ihre Ohnmacht sie fast zu ersticken drohte. Sie musste sich Tag für Tag erniedrigen, sich mit Kerlen abgeben, die ihr nichts bedeuteten und oft auch noch zuwider waren. Und jedes Mal hoffte sie, ihrem Ziel ein Stück näher zu kommen, diesem Leben endlich den Rücken kehren und in der angenehmen eleganten Welt einer Stadt wie New Orleans oder Philadelphia neu beginnen zu können – als eine Frau, vor der die Männer den Hut zögen. Und dann kam so ein aufgeblasener, stinkender Widerling und versuchte, sie um ihren sauer verdienten Lohn zu betrügen.

„Du wirst noch mehr Arbeit bekommen“, erklärte Brad Tucker ihr hämisch. „Drüben in dieser Whiskey-Bude warten meine Brüder nur darauf, dass ich hier fertig bin. Vielleicht bezahlt dir einer von ihnen was, wenn du dich ein wenig besser anstellst.“

Er nahm seine schmutzige Hose vom Stuhl und stieg hinein, wobei er sie noch immer höhnisch angrinste.

Nancys Blick fiel dabei auf den Paterson-Colt, der unter der Hose gelegen hatte. Dort, woher sie kam, waren ihr solche Waffen, mit denen man mehrmals schießen konnte, bereits wiederholt zu Gesicht gekommen. Einmal hatte sie sogar beobachtet, wie jemand eine solche benutzt hatte.

Einem plötzlichen Impuls folgend, den die in ihr gärende Wut auslöste, beugte sie sich nach vorn und schnappte mit der Hand danach. Hastig fuhr sie etwas zurück und richtete die Waffe mit beiden Händen haltend auf den Mann, der schlagartig seine Tätigkeit unterbrach, und sein Grinsen huschte davon wie eine Maus vor dem Sturzflug eines Falken.

Nancy spürte mit ihrem Finger keinen Abzug an der Waffe, aber das störte sie nicht. Sie hatte nicht die Absicht, zu schießen, sondern setzte nur auf die Abschreckung.

„Leg das Ding weg!“, knurrte Brad Tucker drohend zwischen den Zähnen hindurch, und sein Blick schien sich in sie hineinbohren zu wollen.

Nancy fühlte, wie sie leicht zu zittern begann, und ihr Herz schlug bis zum Hals hinauf. Doch anstatt dieser Aufforderung nachzukommen, spannte sie den Hahn – und jetzt, durch diese Aktion, war plötzlich ein Abzugshahn da, der direkt unter ihrem Zeigefinger hervorgekommen war.

„Du wirst jetzt augenblicklich verschwinden“, sagte sie trotzig mit leicht zitternder Stimme, konnte aber dadurch ihre Unsicherheit nicht verbergen. „Diese Waffe wird wohl ihre zehn Dollar wert sein. Also hau ab!“

Ein Zug von kalter Bosheit ließ die Züge in Tuckers Gesicht erstarren. „Du bist übergeschnappt, du dreckige kleine Hure. Diese Waffe ist ein Vielfaches davon wert. Gib sie sofort her!“

„Hast du dreckig gesagt, du stinkender Köter?“, fragte Nancy mit schmalen Lippen.

„Jetzt ist’s aber genug!“ Tucker, schnappte seinen Gurt vom Stuhl und schlug Nancy das harte Leder mit einer blitzschnellen Bewegung seitlich ins Gesicht. Der Schlag ließ helle Funken vor ihren Augen aufsprühen. Sie zuckte zurück, und die Waffe in ihren Händen ging dabei los. Der Donner dröhnte hart in ihren Ohren, und sie riss erschrocken die Augen auf.

Hinter der Wolke beißenden Pulverrauches sah sie Brad Tucker mit weit aufgerissenen Augen rückwärts taumeln. Er krachte mit dem Rücken gegen die primitive Kommode, hatte die Hände auf seinen Magen gepresst und kreischte: „Du Miststück, du gottverdammtes, elendes …“ Er ging wie in Zeitlupe zu Boden, und sein Geschrei schmolz zu einem jammervollen Stöhnen zusammen, mit dem er sich am Boden herumwälzte. Blut quoll über seine zuckenden Lippen und zwischen seinen Fingern hervor, die er noch immer auf seinen Bauch gepresst hielt.

Vor Schreck stand Nancy wie erstarrt da. Sie hielt noch immer den rauchenden Revolver in den Händen, als wäre er der einzige Halt, an dem sie sich festklammern konnte. Mit offenem Mund starrte sie wie gebannt auf den sterbenden Mann hinunter, und der Gestank von verbranntem Schwefel und Salpeter erfüllte das kleine Zelt. Irgendjemand schrie draußen etwas, was sie nicht verstand.

Der Gedanke an Tuckers Brüder fuhr wie ein heißer Strom durch ihren gesamten Körper, und sie war durch eine zu harte Schule gegangen, um sich jetzt im Zustand des Entsetzens ihrem Schicksal zu ergeben wie eine zum Tode Verurteilte. Wenn diese Männer sie hier erwischten und von der Art ihres Bruder waren, dann würde man sie totschlagen wie einen tollwütigen Straßenköter. Denn mehr war sie in den Augen solcher Typen nicht wert.

Kaum, dass dieser Gedanke von ihr Besitz ergriffen hatte, war sie bereits draußen und huschte halbnackt in ihrer zerrissenen Unterwäsche in die Dunkelheit neben dem Zelt und hielt inne.

Wohin sollte sie …? Gab es überhaupt ein Entrinnen?

Dort, dieser Brennholzstapel – das Holz für die Heißwasserbereitung. Schnell huschte sie dorthin, wo man sie nicht sehen konnte. Aber wie lange noch? Sie hockte hinter dem Holzstapel und machte sich so klein, wie es ging.

„Das war Brads Revolver, oder ich will verdammt sein …“, hörte sie jemanden durch den allgemeinen Lärm rufen. Die Männer waren aus dem Schankzelt gekommen und liefen zu Nancys Behausung hinüber. „Hoffentlich hat er die Hure nicht abgeknallt. Wir wollten doch auch noch …“ Mehr konnte Nancy nicht verstehen, denn die Männer verschwanden in ihrem Zelt. Ihr eigener Herzschlag dröhnte in ihren Ohren, und ihre Gedanken jagten wie im Fieber durch ihren Kopf. Was sollte sie tun? Sie war eine Dirne, die einen Mann umgebracht hatte, der ein paar Brüder zurückließ. Es gab keine Hilfe für sie.

Oder doch …?

Dieser verrückte Kerl, der sie mitnehmen wollte! Der sie angestarrt hatte, als wäre etwas Geheimnisvolles an ihr, das nur er sehen konnte. Nur der wäre verrückt genug, einem des Mordes verdächtigten Straßenmädchen zu helfen und selbst dabei Kopf und Kragen zu riskieren. Zum Teufel mit New Orleans und all ihren Plänen; wenn sie tot war, dann blieben diese für immer begraben. Wie hieß er? Cabe oder so … Mad Cabe? Aber wo, um alles in der Welt, sollte sie ihn finden? Sie konnte doch nicht in ihrem jetzigen Aufzug in diese Schnapshöhle dort drüben gehen. Aber bestimmt war er dort drin! Vielleicht sollte sie mal heimlich einen Blick reinwerfen? Sie schaute verzweifelt in diese Richtung, doch dort fiel der schwache Lichtschein nach draußen, und man würde sie unweigerlich sehen.

Nach einem Moment gefährlicher Stille in ihrem Zelt brüllten alle durcheinander. „Das Luder hat ihn umgebracht“, hörte sie eine der Stimmen die anderen übertönen. „Mit seiner eigenen Kanone! Oder ist sie hier irgendwo …? Sieh mal nach, Josh!“

Das Geschrei ebbte ab. Dann kreischte jemand: „Diese Sau! Die muss ihn mitgenommen haben. Der Knaller ist jedenfalls nicht da.“

Ohne weiter nachzudenken huschte Nancy zum Schankzelt hinüber. Sie musste weg hier – egal wie. Ein Stück neben dem Eingang blieb sie stehen; hier schimmerte nur wenig Licht durch die Zeltwand, und die meisten Männer waren wieder nach drinnen gegangen. Dass hier geschossen wurde, war nichts Besonderes und schien niemanden aufzuregen. In diesem Moment kam ein riesiger Kerl nach draußen. Nancy schreckte zurück, wollte machen, dass sie wegkam – doch dann stutzte sie. Das war doch einer von denen, die sie am Nachmittag mit diesem Mad Cabe zusammen gesehen hatte. Als der Mann gerade an ihr vorbei wollte, griff sie instinktiv zu und hielt ihn am Ärmel fest.

Der Mann blieb mit einem Ruck stehen und starrte sie an. Aus dem Licht kommend hatte er sie offenbar nicht bemerkt.

„Ich brauche jemanden, der mir hilft“, flüsterte Nancy hastig.

„Ach, du bist das?“, knurrte der Mann verwundert. „Nancy Blue, nicht wahr?“

Sie nickte in der fast völligen Dunkelheit, nicht wissend, ob er es sehen konnte.

„Hast du da geschossen?“, fragte er in einem fast heiteren Ton. „Einer von den verdammten Tuckers, wie? Hoffentlich hast du dem Kerl die Eier weggepustet! Verdient hätte das ein jeder von dehnen.“

„Hör mal.“ Nancy rüttelte an seinem Arm. „Ich muss unbedingt wissen, wo Mister Cabe steckt. Ist er da drin?“

„Mad Buffalo?“ Big Holly ließ ein kurzes Lachen hören. „Was willst du denn von dem?“

„Ich habe keine Zeit für Erklärungen“, drängte Nancy. „Ich muss wissen, wo er ist.“

„Als ich ihn das letzte Mal sah, da lag er unter einem großen Hickory-Baum und schnarchte.“ Er wies mit einer Kopfbewegung zum Fluss hinüber.

Nancy wollte losrennen, doch dieses Mal hielt er sie fest. „Hör mal, Mädchen, das wird nichts. Der Kerl ist voll Whiskey bis unter die Schädeldecke.“

Gerade kamen die Tuckers aus dem Zelt ins Freie. „Die muss hier irgendwo sein“, sagte einer – mit einer Stimme, die nichts Gutes ahnen ließ. „Wir werden diese Kanaille finden, und wenn wir die ganze Nacht suchen.“

Nancy riss sich los, und rannte gehetzt in Richtung Fluss. Nur weg! Egal, was mich dort erwartet, dachte sie, weiter reichte es nicht.

„Sie ist bestimmt runter zum Fluss“, sagte Angus Tucker gepresst. „Nur dort kann sie versuchen, irgendein Boot zu klauen und zu verschwinden.”

„He, du!“, rief Joshua Big Holly an. „Hast du dieses Miststück Nancy Blue gesehen?“

„Weiß nicht. Habe da drüben nur jemanden rennen gesehen“, antwortete Big Holly und gab mit einer Handbewegung die entgegengesetzte Richtung an als die, in der Nancy Blue verschwunden war.

Joshua Tucker feuerte einen sinnlosen Schuss in diese Richtung ab und schrie: „Los, hinterher!“

* * *

6.

Nancy Blue stolperte in der Dunkelheit und schürfte sich auf dem steinigen Boden die Hände und Knie auf. Keuchend kam sie wieder auf die Beine und hastete weiter. Ein paar Gestalten, die hier unter freiem Himmel nächtigten, fuhren ihretwegen in die Höhe. Jemand fluchte und warf einen Gegenstand nach ihr. Irgendwo hörte sie Männer schreiend umherlaufen.

Nancy Blue hielt Tuckers Revolver noch immer in der Hand, und sie schaute nach rückwärts. Man suchte sie, und wenn diese Teufelsbrut sie fand, dann war es wohl das Beste, wenn sie die letzte Kugel für sich selbst aufhob. Noch aber war es nicht so weit, und sie hoffte inständig, diesen verrückten Kerl zu finden, der sie mit in die Wildnis nehmen wollte – sie, Nancy Blue! Bei diesem Gedanken erschauerte sie, aber nicht für lange. Vorläufig ging es ums nackte Überleben –und was tat man nicht alles dafür!

Sie erschrak als der Mond aufging, und vom instinktiven Verlangen nach Schutz getrieben, lenkte sie ihre unsicheren Schritte auf den schwarzen Schatten eines einzeln stehenden großen Baumes zu. Die Worte des riesigen Trappers fielen ihr wieder ein, aber sie konnte nicht sagen, ob es ein Hickory war. Doch irgendwo in dieser Richtung musste sich der Fluss befinden. Sie vernahm bereits ab und zu jenes leise Platschen, mit dem seine Wellen an das dunkle Ufer leckten.

Während sie durch den tiefen Schatten eilte, stießen ihre nackten, zerschundenen Füße gegen ein unsichtbares Hindernis. Sie stolperte und konnte sich gerade noch am Stamm des Baumes festhalten.

Jemand fluchte maulend vor sich hin, ohne dabei ein verständliches Wort herauszubringen. Nancy Blue hielt inne und versuchte, in der Finsternis zu ihren Füßen etwas zu erkennen.

„Wer bist du?“, flüsterte sie, bemühte sich, ihren keuchenden Atem zu unterdrücken, und lauschte. Aber es kam nur ein unartikuliertes Grunzen zurück, und dann war es wieder still. Sie tastete hastig nach der am Boden liegenden Gestalt. Widerlicher Whiskeygestank strömte ihr entgegen. Das konnte stimmen. Voll bis unter die Schädeldecke. So oder ähnlich hatte dieser Trapper sich ausgedrückt. Ihre zitternde Hand ertastete weichgegerbtes Leder, das sich speckig anfühlte, und dann ein bärtiges Gesicht unter dem Fell einer Mütze.

„Cabe, bist du das?“ Ihre Stimme klang wie ein Flehen, doch abermals folgte daraufhin lediglich ein unwilliger Grunzlaut. Sie rüttelte ihn verzweifelt. „So sag doch was! Du musst doch dieser stinkende Ziegenbock von heute Nachmittag sein.“

Wieder nichts. Was, wenn er es nun doch nicht war, und sie verlor hier wertvolle Zeit?

Die wütenden Stimmen der suchenden Männer schienen näher heranzurücken.

Nancy schob ihre Arme unter seinen Achseln hindurch und schleifte seinen schweren Körper keuchend aus dem Schatten in das hell schimmernde Mondlicht.

Kein Zweifel: Dieser Mann hier war Mad Buffalo Cabe, und er war so betrunken, dass er wohl vorläufig nicht aus seinem Koma wachzubekommen war. Sie schlug die Hände vors Gesicht und dachte: Alles aus!

Die Rufe, der nach ihr suchenden Männer, kamen tatsächlich näher.

Verzweifelt trommelte Nancy mit den Fäusten auf Mad Buffalos Brust. „So wach doch endlich auf, du verdammter Kerl!“, flehte sie mit zitternder Stimme und den Tränen nahe. „Weshalb, zum Teufel, musstest du dich so besaufen!“

Mad Buffalo jedoch wälzte sich nur lallend und fluchend hin und her, ohne dass sein Verstand zu begreifen schien, was ihn da gerade störte.

Wasser, schoss es ihr durch den Kopf. Der Fluss plätscherte ganz in der Nähe, aber es gab kein Gefäß, in dem sie welches hätte holen können. Ihr blieb, verdammt noch mal, keine Zeit mehr, um zu warten, bis diese Schnapsleiche wieder zu leben begann.

Als sie in ihrer Verzweiflung an seinem Ohr reißen wollte, fühlten ihre Finger erneut die Mütze aus Wolfsfell, und sie zerrte sie ihm entschlossen vom Kopf. Sie ließ den Revolver neben ihm liegen, rannte zum Ufer, schöpfte Wasser mit der Mütze und lief zurück. Ohne zu zögern goss sie dem am Boden liegenden Mann das kalte Wasser ins Gesicht.

Mad Buffalo fuhr prustend in die Höhe, spuckte Wasser aus und glotzte aus mühsam aufgerissenen Augen um sich.

„Was, zum Henker …!“, schnaufte er und wischte sich mit einer Hand ungeschickt über den triefenden Bart. „Wer bist du denn? Ich … ich kenne dich nicht“, lallte er, dann fiel sein Kopf wieder zurück, und die Augen schlossen sich.

Nancy schüttelte ihn heftig durch. „Ich bin Nancy Blue. Erinnerst du dich nicht? Du wolltest mich doch mitnehmen!“

Sie hielt ihr Gesicht so, dass es voll vom Mondlicht getroffen wurde. Doch es dauerte eine geraume Weile, bis er seinen fahrigen Blick darauf konzentrieren konnte und seine vom vielen Whiskey umnebelten Sinne etwas begriffen.

„Nancy … B…Blue“, stammelte der verwirrt – mit einer Zunge, die zu groß für seinen Mund zu schein schien. Dann bemerkte er die dunklen Schwellungen in ihrem Gesicht, und sein Verstand schien langsam klarer zu werden. „Was … was ist das für ein Gesicht …?“

„Na, meines! So begreif doch endlich – wir müssen hier weg!“

„W…weg? Was, zum … was ist denn passiert, verdammt?“

„Ein Kerl namens Brad Tucker“, versuchte sie zu erklären und schaute hastig nach rückwärts. „Wir haben keine Zeit zu verlieren! Schnell!“

Mad Buffalos Versuch, auf die Füße zu kommen, scheiterte kläglich.

„Ich bringe d-ie-s-en Sch … Sch-trolch um“, lallte er.

„Das habe ich schon getan. So hör doch …!“ Sie rüttelte ihn, und ihre Stimme klang verzweifelt. „Jetzt ist ’ne ganze Meute hinter mir her. Heilige Mutter, und du sitzt hier rum und bekommst deinen Hintern nicht hoch.“

Mad Buffalo riss ihr das triefende Wolfsfell aus der Hand und stülpte es sich über den Schädel. Es rutschte, als er es losließ, über sein Gesicht, und er schob es wieder hoch, glotzte sie unter der schief sitzenden Mütze hervor mit hochgezogenen Brauen an.

„Mann, tut das gut“, stöhnte er dabei. „Bei allen indianischen Geistern – ich war wohl schon lange nicht mehr so … so besoffen wie jetzt.“

„Du kannst dich später bemitleiden“, drängte Nancy. „Wo ist dein Kanu?“

„Im Fluss natürlich – wo … wo denn sonst?“ Er tastete mit seiner fahrigen Hand auf dem Boden herum. „Mein Gewehr … Ist mein Gewehr hier?“ Er begann auf allen vieren herumzukriechen. „Ohne mein Gewehr … kann ich nicht fort, nicht um … um alles in der Welt.“

Nancy hob den Revolver wieder auf.

„Wir haben jetzt keine Zeit, nach deinem Gewehr zu suchen. Vielleicht hat es jemand gestohlen, während du schliefst.“ Ihr Kopf ruckte herum, und sie blickte über die Schulter wie ein gehetztes Tier. „Dort kommen sie schon!“

„Hier ist es ja“, ächzte Mad Buffalo im selben Moment. Langsam wie ein alter Mann stemmte er sich an seiner langen Büchse in die Höhe.

„Wird auch höchste Zeit.“ Nancy fasste den schwankenden Mann am Arm und zog ihn mit sich fort. Doch bereits nach wenigen Schritten fiel Mad Buffalo wieder hin und riss Nancy Blue mit sich. Sein Gewehr schepperte auf den steinigen Boden.

„Da hinten!“, rief eine keuchende Stimme. „Sie läuft zum Fluss hinunter!“

Fluchend kam Mad Buffalo auf die Knie und richtete sich abermals an seinem Gewehr auf. „Da soll mich doch gleich der Geier fressen“, schnaufte er. „Diese verdammten Knochen sind doch noch nicht so alt, dass man sich nicht mehr auf sie verlassen kann!“

„Aber voll Whiskey“, stieß Nancy anklagend hervor und zog an seinem Arm.

„Du hast recht“, lallte Mad Buffalo. „Zur Hölle, wenn ich gewusst hätte …“

Ein Schuss donnerte durch die Nacht, und die Kugel prasselte durch die Weiden am Ufer. „So komm doch!“, flehte Nancy. „Wir schaffen es sonst nicht mehr.“

Mad Buffalo taumelte keuchend auf die Weidenbüsche zu und hatte Mühe, auf den Füßen zu bleiben. Dann blieb er plötzlich wieder stehen. Das Gewicht seines vom Alkohol umnebelten Kopfes zog ihn etwas zur Seite. Er drehte sich taumelnd entgegen Nancys eindringlichen Protest herum, und der noch immer triefend nasse Wolfsschwanz, der hinten von seiner Mütze herabhing, wischte kalt durch Nancys Gesicht.

„Es ziemt sich einfach nicht, dass Mad Buffalo Cabe vor ein paar Aasgeiern davonläuft“, knurrte er eigensinnig und hob seine lange Büchse, wobei er mit dem Daumen das Schloss spannte.

„Was tust du, um Himmels willen?“, zeterte Nancy von Panik getrieben und zog an seinem Ärmel. „Sie bringen mich um – und dich noch dazu.“

Er riss sich mit einem Ruck los und fuhr sie mit der Trotzigkeit eines Betrunkenen an: „So kann ich nicht schießen, ver… verdammt noch mal!“

Nancy stampfte bebend vor Angst und Wut mit dem Fuß auf. „Heute Nachmittag dachte ich noch, dir läge was an mir, du verdammter, betrunkener Hinterwäldler.“

Das Aufflammen des Zündkrauts riss für einen winzigen Moment sein verkniffenes Gesicht aus der Schwärze der Nacht. Der Schuss löste sich mit brüllendem Donner, schleuderte Feuer und Rauch in die Dunkelheit und trieb ein paar huschende Schatten in die Deckungen. Dann wandte er den Kopf nach ihr.