Der Wind in den Zypressen - Patricia Matthews - E-Book
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Der Wind in den Zypressen E-Book

Patricia Matthews

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Beschreibung

Gegen alle Widerstände geht sie mutig ihren Weg: Der spannende Schicksalsroman »Der Wind in den Zypressen« von Patricia Matthews als eBook bei dotbooks. Der malerische Südosten Amerikas im Jahre 1875. Wenn sie so schnell reitet wie der Wind, verspürt die junge Rebecca Hawkins das berauschende Glück der Freiheit. Auf ihrem Vollblut Black Prince will sie als einziger weiblicher Jockey das Kentucky Derby gewinnen. Doch schon bei ihrer Ankunft in Louisville beschleicht Rebecca eine dunkle Vorahnung: Einer der reichsten Männer der Stadt macht ihr unmissverständlich klar, dass Frauen nichts im Sattel zu suchen haben – und sein Pferd das Derby gewinnen wird. Bald häufen sich mysteriöse Unfälle auf der Rennbahn. Nur Glad Halloran, ein ebenso charmanter wie undurchsichtiger Halunke, scheint auf ihrer Seite zu stehen – aber darf Rebecca ihm wirklich vertrauen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Der Wind in den Zypressen« von Patricia Matthews verwebt den dramatischen Lebensweg einer unerschrockenen Frau mit einer großen Liebesgeschichte. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 417

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Über dieses Buch:

Der malerische Südosten Amerikas im Jahre 1875. Wenn sie so schnell reitet wie der Wind, verspürt die junge Rebecca Hawkins das berauschende Glück der Freiheit. Auf ihrem Vollblut Black Prince will sie als einziger weiblicher Jockey das Kentucky Derby gewinnen. Doch schon bei ihrer Ankunft in Louisville beschleicht Rebecca eine dunkle Vorahnung: Einer der reichsten Männer der Stadt macht ihr unmissverständlich klar, dass Frauen nichts im Sattel zu suchen haben – und sein Pferd das Derby gewinnen wird. Bald häufen sich mysteriöse Unfälle auf der Rennbahn. Nur Glad Halloran, ein ebenso charmanter wie undurchsichtiger Halunke, scheint auf ihrer Seite zu stehen – aber darf Rebecca ihm wirklich vertrauen?

Über die Autorin:

Patricia Matthews (1927–2006) wurde in San Francisco geboren, studierte in Los Angeles und lebte später viele Jahre in Prescott, Arizona. Nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe begann sie, sich intensiv dem Schreiben zu widmen – so lernte sie nicht nur ihren zweiten Ehemann, den Schriftsteller Clayton Matthews kennen, sondern legte auch den Grundstein zu einer internationalen Karriere. Patricia Matthews, die unter zahlreichen Pseudonymen veröffentlichte, schrieb zwischen 1959 und 2004 über 50 Bücher, vom Liebesroman bis zum Krimi. Für ihr Werk wurde sie mit dem »Reviewers Choice Award« und dem »Affaire de Coeur Silver Pen Readers Award« ausgezeichnet.

Patricia Matthews veröffentlichte bei dotbooks bereits »Wenn die Magnolien blühen«, »Der Traum des wilden, weiten Landes«, »Der Stern von Mexiko«, »Das Lied der Mandelblüten«, »Der Himmel über Alaska«, »Die Brandung von Cape Cod«, »Der Duft von Hibiskusblüten«, »Die Jasmininsel«, »Wo die Anemonen blühen« und die »Virginia Love«-Saga mit den Einzelbänden »Der Traum von Malvern Hall« und »Das Vermächtnis von Malvern Hall«.

***

eBook-Neuausgabe Juni 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1980 unter dem Originaltitel »Love’s Sweet Agony« bei Pyewacket Corporation, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1982 unter dem Titel »Des Herzens schrankenlose Sehnsucht« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1980 by Pyewacket Corporation, New York

Copyright © 2020 Robert Thixton

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1982 Wilhelm Heyne Verlag, München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Pinder Lane & Garon-Brooke Associates, Kontakt: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Kiselev Andrey / Mike Rcihter / Mike Mareen / Jag_cz / Smirnof / Sergey Lyashenko / Alexandr Vlassyuk / Simona Battone / MM_photos sowie © Fotolia / TEMISTOCLE LUCARELLI

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-605-7

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Patricia Matthews

Der Wind in den Zypressen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Hans-Erich Stroehmer

dotbooks.

Kapitel 1

Die Märzsonne stand blaß am Himmel. Ein kalter Wind ließ die Kleidung der Zuschauer flattern und rötete ihnen die Wangen. Aber selbst dieser kühle Nachmittag in Illinois dämpfte nicht die gute Stimmung der Besucher. Begeisterte Rufe begleiteten die Pferde auf der Rennbahn.

Einige Zuschauer hatten das Glück, alles von der Höhe ihrer Kutschen aus betrachten zu können; junge Männer und Kinder standen auf den Dächern nahe gelegener Schuppen. Die zweirädrigen Rennwagen donnerten über den Boden. Pferdehufe warfen Staubwolken hinter sich auf. Von den neun Teilnehmern trieb jetzt ein Fahrer in rotem Seidenanzug sein Sulky immer mehr zur Spitze.

Am Ziel stand Henry Hawkins und beobachtete das Rennen durch einen Feldstecher. Er war ein kleiner, drahtiger Mann von dreiundsechzig Jahren. Sein stahlgraues Haar schimmerte im Sonnenlicht. Alles an ihm wirkte entschlossen und kampfbereit wie bei einer Bulldogge.

»Schneller, Paddy Boy. Komm!« rief er jetzt. »Zeig ihnen, was du kannst!«

Jetzt erreichte das Pferd Paddy Boy die Spitze und ging mit einer Länge Vorsprung als Sieger durch das Ziel.

»Verdammt, du hast es geschafft!« schrie Henry Hawkins begeistert und sprang vor Freude hin und her. Diese Freudensprünge bedauerte er allerdings sofort. Ein scharfer Schmerz durchzuckte seine Hüfte und erinnerte ihn daran, daß er sich bei einem Unfall vor fünf Jahren den Gelenkknochen gebrochen hatte.

Der Fahrer des Sulkys lenkte sein Pferd jetzt nach links zu einem Zielpfahl und nahm eine dort hängende gelbe Handtasche mit dem Siegespreis an sich. Er warf sie Henry Hawkins zu und verließ dann die Rennbahn in Richtung auf die Stallungen.

Im Stall schirrte er Paddy Boy von dem Sulky ab, öffnete die Tür zu einer Box und führte das Tier hinein. Sorgfältig schloß er die Tür und ging zu einem großen Reisekoffer, der sich in einer Ecke befand. Er öffnete den Deckel und zog ein ordentlich zusammengefaltetes Frauenkleid hervor.

Nun streifte der Fahrer seine Rennkappe ab, und zum Vorschein kamen schulterlange schwarze Locken. Dann zog sie die Männerhosen und das verschwitzte rote Hemd aus. Anschließend mußte sie sich noch das Tuch abbinden, das sie sich um den Oberkörper gewunden hatte. Ihre kleinen, wohlgeformten Brüste erschienen jetzt, und sie streichelte darüber.

Diesen Teil ihrer Verkleidung haßte Rebecca Hawkins besonders. Es war nicht nur unbequem, es erschien ihr vielmehr auch als eine Verleumdung ihrer Weiblichkeit, die sich jetzt bei ihr immer stärker entwickelte.

Schnell zog sie sich nun ihren knöchellangen grünen Rock an und streifte ihre weiße Bluse über. Danach verschloß sie den Koffer wieder und wandte sich Paddy Boy zu. Rebecca rieb ihm das Fell ab und sprach mit liebevollen Worten auf ihn ein …

Am Schiedsrichtertisch der Rennstrecke sagte einer: »So schnell wie Paddy Boy ist in der Renngeschichte unseres Landes noch kein Pferd getrabt, Hawkins!«

»Wie war denn die Zeit?« erkundigte sich Hawkins.

»Zwei Minuten und zwei Sekunden«, erwiderte der Schiedsrichter.

»Na, das war ja gewiß nicht schlecht«, meinte Hawkins und rieb sich lächelnd die Hände.

»Entschuldigen Sie bitte, Mr. Hawkins«, erklang jetzt eine Stimme hinter ihm. »Ich bin Mr. Dennis von der Abendpost. Darf ich Ihnen für meine Zeitung einige Fragen stellen?«

Hawkins drehte sich herum und erblickte einen Mann mit einem schmalen Frettchengesicht. Stolz lächelnd erwiderte Hawkins: »Aber sicher.«

»War das Ihr erstes Wettrennen in Illinois?« erkundigte sich Dennis.

»Nein, nein, wir haben schon vier Rennen hier hinter uns. Und morgen nachmittag folgt ein weiteres.«

»Welche Erfolge hatten Sie?«

»Zwei Rennen gewannen wir«, erklärte Hawkins. »Wenn man das heutige dazurechnet, sind es drei.« Er grinste. »Aber hier machten wir unseren größten Gewinn!« Er schüttelte die gelbe Handtasche, daß die Goldmünzen klingelten.

Dennis blickte sich um. »Hoffentlich kommt Ihr Fahrer bald. Ich möchte nämlich eine Aufnahme von Ihnen beiden zusammen machen.«

Jetzt blickte Hawkins zur Seite. »Mein Fahrer ist sehr zurückhaltend. Er zieht es vor, nicht fotografiert zu werden. Außerdem beantwortet er kaum Fragen für Zeitungen.«

»Aber Sie werden doch wohl einen gewissen Einfluß auf ihn haben? Schließlich wird er doch von Ihnen beschäftigt.«

»Ja, das stimmt schon«, meinte Hawkins. »Aber über sein Privatleben will er nichts verlauten lassen. Verlieren möchte ich ihn auch nicht gern. Er ist der beste Sulkyfahrer, den ich jemals hatte.« Er lachte. »Schließlich kann ich ja selbst nicht mehr mitfahren.«

»Ja, Henry Hawkins! Natürlich!« rief Dennis plötzlich und schlug die Hände zusammen. »Das hätte mir auch schon eher auffallen müssen. Sie sind ja der berühmte Henry Hawkins!«

Nun mußte Hawkins grinsen. »Na ja, mag schon stimmen. Jedenfalls bin ich der einzige Henry Hawkins, den ich kenne.«

Das Gesicht des Zeitungsreporters Dennis rötete sich vor Eifer. »Ich weiß, was Sie meinen. Sie sind Henry Hawkins. Sie ritten auf dem englischen Lordderby in Epsom mit. Und Sie sind der einzige Amerikaner, der dort zwei Rennen gewann.«

»Einigen Erfolg hatte ich schon«, gab Hawkins bescheiden zu.

»Etwas verstehe ich allerdings nicht, Mr. Hawkins«, meinte nun Dennis. »Ein Mann Ihrer Qualität und mit solchem Ruhm macht hier so ein Rennen auf dem Land mit? Wie konnten Sie sich nur auf so was einlassen?«

Das Lächeln verschwand von Hawkins’ Gesicht und machte für einen Moment einem Ausdruck von Schmerz Platz. Dann beantwortete er die Frage von Dennis.

»Die Pferde ritt ich zwar, junger Mann«, erklärte er, »aber sie gehörten mir nicht. Ich hatte den Namen – jedoch nicht das Geld. Als ich nicht mehr reiten konnte, mußte ich mir einen anderen Lebensunterhalt suchen. Daher legte ich mir ein Sulky zu – gebraucht natürlich. Und auch ein Pferd, mit dem ich, obwohl es schon älter war, einige Rennen gewann. So verdiente ich mein Geld. Es handelte sich um einen guten Hengst. Er zeugte Paddy Boy, und der brachte mir noch größere Gewinne.«

»Ich muß mich entschuldigen«, sagte Dennis. »So neugierig durfte ich nicht sein.«

»Aber sicher müssen Sie das, Jungchen. Schließlich gehört es zu Ihrem Beruf.«

»Oh, da kommt mein Fotograf«, meinte der Zeitungsmann. »Sie erlauben uns doch sicher, von Ihnen ein Bild zu machen?«

Hawkins sah, wie der Fotograf sich näherte, und hinter ihm kam seine Enkelin Rebecca.

»Ich gestatte Ihnen, ein Bild zu machen. Aber meine Enkelin muß auch darauf erscheinen«, erwiderte Hawkins. »Ich weiß, daß Ihre Leser lieber das Bild eines hübschen jungen Mädchens sehen als so einen runzligen alten Knaben wie mich.«

Es stimmte schon – diese Rebecca Hawkins war schön. Ein schlankes Mädchen mittlerer Größe mit herrlich schwarzen Lokken, die ihr auf die Schultern fielen. Die Haut ihres Gesichtes wirkte wie Porzellan; lediglich die Wangen waren leicht gerötet. Ihre Augen besaßen eine ungewöhnliche Farbe. Ihr Großvater meinte immer, sie sähen aus wie funkelnder Sherry.

Und diese Augen strahlten jetzt. Rebeccas Zähne schimmerten, als sie ihrem Großvater ein triumphierendes Lächeln schenkte.

»Komm nur näher heran, Rebecca«, forderte Hawkins sie auf. »Unser Bild wird in der Lokalzeitung erscheinen. Findest du das nicht großartig? Kommt es heute schon in die Abendausgabe?« fragte er den Reporter.

»Leider wird das nicht möglich sein«, erwiderte Dennis. »Es dauert ja seine Zeit, bis wir das Klischee hergestellt haben. Jetzt bitte ganz ruhig stehen.«

Hawkins und Rebecca starrten auf die Kamera. Sie stand auf einem Dreifuß, und der Fotograf verschwand jetzt unter einem schwarzen Tuch. Dann ertönte ein lautes Klick; der Mann tauchte wieder unter dem Tuch auf, klappte das Stativ der Kamera zusammen und ging davon.

»Ich danke Ihnen für das Gespräch, Mr. Hawkins«, sagte Dennis. »Und für morgen nachmittag wünsche ich Ihnen viel Glück.«

»Sie sind als Zuschauer willkommen, junger Mann!«

Als Rebecca mit ihrem Großvater zu den Stallungen hinüberschlenderte, meinte sie: »Paddy Boy ist heute wirklich gut gelaufen. Er weiß das genau und benimmt sich eigensinnig.«

»Na so was!« meinte ihr Großvater. »Und damit steckt er auch unser anderes Pferd Black Prince an, was?«

Rebecca mußte lachen. »Nein, Black Prince ist zu vornehm, um sich von Paddy Boy anstecken zu lassen. Er benimmt sich wie immer. Als ich allerdings Paddy Boy als Belohnung Zucker gab, wurde Prince unruhig und wollte auch welchen.«

»Das hast du doch nicht etwa getan?« fragte Hawkins in scheltendem Ton.

»Aber, Großvater! Ich konnte ihn doch nicht zurückweisen.«

»Ach, Rebecca, du hast ein zu weiches Herz, um eine gute Trainerin zu sein. Black Prince muß lernen, daß er nur dann Zucker bekommt, wenn er ihn auch wirklich verdient hat.«

»Das halte ich für ungerecht, Großvater«, widersprach Rebecca. »Paddy Boy gewinnt ständig Rennen und erhält seine Belohnung, während Prince keine Chance dazu geboten wird.«

Henry Hawkins blinzelte ihr vertraulich zu. »Die bekommt er schon noch. Aber, Schätzchen, du kennst doch unsere Pläne.«

»Ich schon, Großvater. Aber auch unser Hengst Prince?«

»Black Prince wird der schnellste Renner von ganz Amerika. Aber wir dürfen ihn noch nicht laufen lassen. Wir halten ihn schön zurück. Wenn Colonel Clark sein Derby in Kentucky veranstaltet, lassen wir ihn los. Denn werden unsere ganzen Ersparnisse auf ihn verwettet. Nach dem Sieg besitzen wir dann genügend Geld, um uns die Farm zu kaufen, über die wir bereits sprachen …«

Wie schon so häufig, erklärte Henry Hawkins seiner Enkelin genau den Plan, den er mit den ländlichen Rennen verfolgte, und warum sie eins nach dem anderen zunächst besuchen mußten.

»Da stehen die beiden«, sagte Rebecca stolz, als sie mit ihrem Großvater den Stall betrat. »Meine zwei herrlichen Lieblinge.«

Black Prince und Paddy Boy erkannten natürlich ihre Stimme und wandten ihr erwartungsvoll den Kopf zu. Als Rebecca zu ihnen herantrat, hörte sie plötzlich das Stöhnen eines Pferdes, das Schmerzen erlitt. Dazu kam das pfeifende Geräusch von Peitschenschlägen.

»Was ist denn das, Großvater?« fragte Rebecca, griff nach seinem Arm und blickte erregt die lange Reihe von Pferdeboxen im Stallgebäude entlang.

»Hört sich so an, als ob irgendein Lump sein Pferd schlägt«, erwiderte Hawkins verärgert. »Da haben wir ihn ja schon!« rief er dann und lief zu der Box, wo das Tier stöhnte. »Verdammter Strolch! Hören Sie damit auf, das Tier zu quälen!«

»Bleib ruhig, Großvater!« rief Rebecca und lief ihm nach, als er zu der Pferdebox rannte.

Wieder war das knallende Peitschengeräusch zu hören, und das gequälte Tier stöhnte verzweifelt auf.

»Verdammt noch mal!« schrie Hawkins, riß die Tür zu der Box auf und ging hinein, ohne an eine mögliche Gefahr zu denken. »Mißhandeln Sie hier nicht Tiere!«

Inzwischen hatte Rebecca ihren Großvater eingeholt und sah den grausamen Tierquäler. Bei seinem Anblick stöhnte sie auf, und ein Frösteln überlief ihren Rücken. Einen so teuflisch erschreckenden Mann hatte sie noch nie gesehen. Mit einer Hand hielt er die Zügel des Pferdes, mit der anderen schwang er die Peitsche.

Es handelte sich um einen wuchtig großen Mann, der mindestens seine zweihundert Pfund wog. Er trug eine Glatze. Rebecca erschien es so, als ob sein Haar abrasiert war. Der Kopf sah aus wie eine polierte Kugel. Sein fetter Nacken und die bullenhaften Schultern wirkten wie aus Granit gemeißelt. Auf der linken Wange trug er eine rote Narbe. Als er jetzt Rebecca und ihren Großvater erblickte, streichelte er mit einer Fingerspitze wie kosend über diese Verunstaltung.

Vor der Box standen zwei weitere Männer. Der eine war klein und noch im gelb-schwarzen Reitdreß. Rebecca erkannte in ihm Timmie Bird, einen Fahrer – der andere Mann war ihr völlig unbekannt.

»Sie sind Henry Hawkins, nicht wahr?« stellte der große Kerl mit der Peitsche fest. »Ich darf mich wohl selbst vorstellen, mein Herr? Mein Name ist Oscar Stull, und ich bin Besitzer dieses Tieres.«

»Deshalb haben Sie trotzdem kein Recht, es zu schlagen«, sagte Rebecca erregt.

Stull lächelte sie eiskalt an. »Mein liebe junge Lady, mit dem Biest kann ich tun, was ich will. Wenn ich wollte, könnte ich es sogar töten.«

Henry Hawkins wandte sich an den Fahrer. »Timmie, ich kenne Sie ja schon einige Jahre. Aber daß Sie Pferde mißhandeln oder daß Sie so was zulassen, war mir bis jetzt nicht bekannt.«

»Auf meine Veranlassung geschieht das nicht«, erwiderte Timmie bedrückt. Ihm war die Angst vor Oscar Stull deutlich anzumerken. »Aber ich kann doch nichts dagegen tun.«

»Sie könnten diesem elenden Schurken sagen, daß Sie nicht mehr für ihn reiten oder fahren!«

Stull lachte höhnisch. »Nein, Mr. Hawkins, das kann er nicht. Lehnt er nämlich die Arbeit bei mir ab, sorge ich dafür, daß er für niemanden mehr reiten wird.«

»Und wie wollen Sie Ihre Drohung wahrmachen?« wollte Rebecca wissen. »Schlagen Sie ihn mit der Peitsche zusammen, wie Sie es mit Ihrem Pferd tun?«

»Junge Lady, ich gebe niemals leere Drohungen von mir.« Stull schnaufte verächtlich. »Ich habe hier einen Mr. Mercy, der meine Wünsche durchsetzt, ohne dabei Fragen zu stellen. So ist es doch, mein Freund? Übrigens ist Mr. Mercy mein Leibwächter. Leider benötige ich so einen Mann manchmal.«

»Das kann ich mir gut vorstellen«, bemerkte Rebecca voller Verachtung.

Sie blickte zu dem Mann, der von Oscar Stull als Mr. Mercy bezeichnet worden war. Gesehen hatte sie den Kerl noch niemals, und sie hielt es auch für besser, wenn er nie wieder ihren Weg kreuzte.

Neben Oscar Stull wirkte der Kerl fast klein und schmächtig. Als Leibwächter erschien er fast lächerlich. Einen farblosen grauen Anzug trug er, und so schmutziggrau blickten auch seine Augen. Dennoch ging von ihnen eine gewisse Bedrohung aus. Rebecca schien es, als ob sie von zwei Eisblöcken angestarrt würde. Gemütsregungen schien dieser Mensch nicht zu kennen.

Rebecca kam es so vor, als ob sie in das Antlitz des Todes starrte. Dieser Mann bot einen grauenerweckenden Anblick.

»Warum peitschen Sie eigentlich diese arme Kreatur aus?« fragte Hawkins jetzt.

»Warum wohl? Weil er beim Rennen geschlagen wurde, Mr. Hawkins. Na, Sie sollten das ja wohl besser wissen. Ihr Pferd vollbrachte nämlich diese Tat.«

»Und aus diesem Grund züchtigen Sie das arme Tier?« meinte Hawkins verächtlich. »Himmel, Mann, bei den letzten fünf Rennen verlor ich zwei. Glauben Sie vielleicht, ich hätte aus diesem Grund jemals Paddy Boy geschlagen?«

»Jeder hat so seine eigenen Methoden, Tiere zu trainieren«, entgegnete Stull gelassen.

»Na, wie Sie sehen, dürfte unsere Methode die bessere sein«, bemerkte Rebecca.

»Meine aber auch, junge Dame«, entgegnete Stull, und es schien so, als ob seine Augen sie zum erstenmal bemerkten.

Rebecca hatte gelernt, lustvolle Gier in Männeraugen zu erkennen. Zwar hatte es ihr niemand erklärt, und sie besaß in ihrer völligen Unschuld auch keinerlei Erfahrung. Jedoch wußte sie, wie ein Fohlen gezeugt wurde. Rebeccas Unschuld kam also nicht durch Unwissenheit.

Inzwischen war Rebecca zwanzig Jahre alt, und wenn sie manchmal an die Beziehungen zwischen Mann und Frau dachte, machte sie sich so ihre eigenen Gedanken, und es waren durchaus keine unerfreulichen. Der Mann, von dem sie jetzt allerdings mit brennenden Blicken verschlungen wurde, ließ sie unwillkürlich frösteln.

»Na ja«, fuhr Stull fort, »ich sehe schon, daß meine Trainingsmethoden – so erfolgreich sie auch sein mögen – nicht Ihren Beifall finden. Also beende ich sie.« Seine Worte klangen so, als ob er ihnen damit eine besondere Gunst erweisen wollte.

Wieder lächelte Oscar Stull gnadenlos und gab die Peitsche Timmie Bird, der sie mit einem beschämten Seitenblick auf Hawkins und Rebecca entgegennahm. Dann eilte er aus dem Stall.

»Mr. Stull, bei jedem Rennen kann immer nur ein Pferd gewinnen«, sagte Hawkins. »Auch Sie betrachten solche Rennen gewiß als ein sportliches Vergnügen, nicht wahr?«

»Leider bin ich kein Mann, der Niederlagen so einfach hinnimmt«, entgegnete Stull. »Wie Sie sagten, muß bei jedem Rennen einer gewinnen. Ich ziehe es vor, der Sieger zu sein.«

»Hallo!« rief eine Männerstimme draußen vor dem Stall. »Sind Sie hier, Mr. Hawkins?«

Rebecca und ihr Großvater traten auf den Gang hinaus, um zu sehen, wer da nach ihnen gerufen hatte. Ein großer, schlanker junger Mann mit sandblondem Haar stand vor ihrer Pferdebox und betrachtete Paddy Boy und Black Prince. Seine Kleidung wirkte so elegant, daß er gewiß nicht zu den arbeitenden Menschen gehörte, dachte Rebecca sofort. Eigentlich sah er wie ein Dandy aus. Jetzt streichelte er Paddy Boy liebevoll und sprach mit sanfter Stimme auf das Pferd ein.

»Ja«, erwiderte Hawkins und kam mit Rebecca am Arm auf ihn zu. »Ich bin Henry Hawkins. Was wünschen Sie bitte?«

»Aha, Mr. Hawkins!« rief der junge Mann. »Ich bin Gladney Halloran und möchte Sie zum Essen einladen.«

»Sie wollen Großvaters Essen bezahlen?« fragte Rebecca verwundert. »Um Himmels willen, warum denn das?«

Halloran grinste sie an, und sein Gesichtsausdruck wirkte ein wenig hinterlistig. Was wollte dieser Kerl eigentlich, überlegte Rebecca, und dann erkannte sie das verschlagene Glitzern in seinen Augen. Sofort ahnte sie, daß dieser Mann gefährlich sein konnte.

»Sie sind vermutlich seine Enkelin, Mädchen? Na sicher zahle ich auch das Essen für Sie. Mir wird das ein Vergnügen sein, denn Ihnen beiden verdanke ich ja einiges.«

»Uns etwas verdanken?« fragte Hawkins gelassen.

»Ja, sicher! Ihnen beiden und dem Herrn hier mit dem schönen irischen Namen Paddy Boy«, erklärte Halloran. »Übrigens gestehe ich ein, daß der irische Name mich verleitete, eine Wette auf ihn abzuschließen. Also muß ich mich doch erkenntlich zeigen.«

»Besten Dank, Mr. Halloran, das wird nicht …«, begann Rebecca.

Aber ihr Großvater unterbrach sie, schüttelte dem jungen Mann die Hand und sagte: »Wir nehmen Ihre Einladung gerne an, Mr. Halloran.«

»Großvater!« rief Rebecca bestürzt.

»Na, warum denn nicht?« meinte Hawkins. »Warum soll der Mann nicht unser Essen bezahlen? Wir sparen dabei Geld. Hältst du das für falsch?«

»Mädchen, Sie sollten auf Ihren Großvater hören. Der ist schon ein schlauer Kopf.«

Inzwischen war Oscar Stull herangekommen und betrachtete sich das Pferd Black Prince. Mit offensichtlicher Kenntnis betastete er den Körper des Tieres.

»Lassen Sie dieses Pferd morgen rennen, Mr. Hawkins?« fragte er.

»Nein«, entgegnete Hawkins kurz.

»Wirklich nicht?« Stull musterte Black Prince sehr sorgfältig, betrachtete die Brust und die schlanken Fesseln. »Wären Sie denn an einem gemeinsamen Wettkampf interessiert? Lediglich Ihr Pferd gegen meins? Der Sieger erhält als Preis das Pferd des anderen.«

»Nein, ich glaube nicht«, erwiderte Hawkins.

»Sie sollten ein solches Angebot nicht so schnell ablehnen. Erst schauen Sie sich mal mein Pferdchen an. Beste Rasse, aus William Astors Zucht. Vagrant heißt die Stute, und sie hat schon viele Rennen mit großer Überlegenheit gewonnen. Von dieser Stute stammt mein Tier ab.«

»Der Name Vagrant ist mir durchaus bekannt«, entgegnete Hawkins. »Und wie heißt Ihr Pferd?«

»Ich gab ihr den Namen Stolz«, sagte Stull. »Sie läuft gut, daran gibt es keinen Zweifel. Aber wenn ich mir Ihren Hengst so betrachte, muß sie sich nicht sehr anstrengen, um zu gewinnen. Ihr Gaul scheint mir lediglich als Zuchthengst zu taugen. Dafür würde ich ihn auch bei einem Sieg einsetzen. Ein so wenig versprechendes Tier würde ich niemals für Rennen benutzen.«

»So überzeugt würde ich davon nicht sein«, entgegnete Hawkins verärgert. »Black Prince könnte Ihnen einige Überraschungen bereiten.«

»Black Prince nennen Sie ihn? Was für ein vornehmer Name«, meinte Stull in verächtlichem Ton. »Wenn Ihr Gaul solche Ahnen hat …«

»Das wird sich beim Rennen erweisen!« fauchte Hawkins.

»Nein, es wird kein Rennen veranstaltet«, mischte sich Rebecca in das Gespräch. »Sag mal, Großvater, was ist eigentlich los mit dir?«

»Rebecca, du hörtest, was dieser Mann über Black Prince sagte! Das ist ja eine Beleidigung! Für wen hält der sich denn?«

»Er versucht doch nur, dich aufzustacheln«, meinte Rebecca.

Hawkins fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Wahrscheinlich hast du recht, Mädchen. Tut mir leid, Mr. Stull, aber es gibt kein Rennen.«

»Kein Wettrennen?« fragte Stull erbost. »Aber Sie stimmten doch eben noch zu!«

»Dann nehme ich diese Zustimmung hiermit zurück«, entgegnete Hawkins. »Es wird kein Rennen veranstaltet. Black Prince ist noch nicht genügend trainiert. Ich lasse ihn noch nicht antraben!«

»Mr. Hawkins, Sie genießen einen guten Ruf!« Stulls Zorn wuchs. »Sie siegten in England und überall in Amerika. Und jetzt lassen Sie sich von so einem Mädchen beeinflussen? Wo bleibt da Ihr Stolz als Mann?«

»Das Mädchen erinnerte mich nur an einen Entschluß, den ich schon vor langer Zeit faßte«, erklärte Hawkins geduldig. »Und es war völlig richtig von ihr. Warum Sie so aufgebracht sind, Mr. Stull, begreife ich allerdings nicht. Es gibt kein Wettrennen – und dabei bleibt es.«

»So leicht laß ich mich nicht vor den Kopf stoßen«, entgegnete Stull in drohendem Ton. »Ich warne Sie!«

»Mich warnen? Soll das etwa eine Drohung sein, Mr. Stull?« Hawkins pfiff leise vor sich hin.

»Nein, natürlich nicht«, entgegnete Stull schnell und trat etwas zurück. »Aber ich bin nun mal kein Mann, der …«

Plötzlich mischte sich Gladney Halloran in das Gespräch. »Sie sind kein Mann, der hier willkommen ist!« Zuvor hatte er Paddy Boys Nüstern gestreichelt und unbeteiligt zugehört. Seine Feststellung klang völlig gleichgültig.

»Was haben Sie gesagt?« Stull zuckte zusammen, und in seinen Augen flammte Wut. »Was geht Sie das überhaupt an? Einen feuchten Kehricht!«

Gladney Halloran zeigte mit einer Handbewegung auf Hawkins und Rebecca. »Wegen dieser netten Menschen sagte ich es nicht. Aber Paddy Boy, den ich eben streichelte – und ich finde ihn besonders nett –, sagte mir, daß Sie hier nicht willkommen sind. Ihr vorlautes Mundwerk und Ihre groben Umgangsformen stören ihn. Und er sagte mir auch noch, daß Sie sich schnellstens davonschleichen sollten!«

»Sie verdammter Affe!« fauchte Stull voller Wut. »Man sollte Sie zusammenschlagen!«

Gladney streichelte Paddy Boy noch mal über die Nüstern und trat dann aus der Box heraus. Leicht auf den Füßen hin und her wippend, blieb er vor Stull stehen. Die Hände waren nicht geballt, aber leicht gekrümmt. Er grinste Stull an, hob einen Arm, und seine Hand ballte sich zur Faust.

»Na, dann mal los, Mr. Stull«, forderte er ihn gelassen auf.

Stull trat einen Schritt auf Gladney zu, aber dann schien er zu zögern. Er blieb stehen und zwang sich zu einem Lächeln. Mit einer Hand griff er zu seiner Wange und betastete die Narbe.

»Nein«, sagte er. »Warum eigentlich? Wozu habe ich Mr. Mercy? Er wird von mir bezahlt, damit Leute wie Sie mich nicht belästigen.«

»Wie Sie wollen«, erwiderte Gladney und lächelte. »Dann sollten Sie mal so freundlich sein und zu Ihrem Mr. Mercy laufen. Sagen Sie ihm, er soll Paddy Boy und mich zufrieden lassen.«

»Mr. Hawkins«, erklärte Stull. »Wir treffen uns wieder. Davon können Sie überzeugt sein.« Er blickte Rebecca mit einem verzerrten Lächeln an, verbeugte sich leicht und ging davon.

Rebecca fröstelte. »Dieser Mann macht mir Angst.«

»Mr. Halloran, es tat mir richtig gut, wie Sie diesen Stull behandelten«, meinte Hawkins lachend. »Jetzt lassen Sie mich Ihr Essen bezahlen.«

»Nein, Mr. Hawkins«, lehnte Gladney ab. »Wir feiern Paddy Boys Sieg und nicht die Vertreibung dieses bulligen Kerls.« Nun blickte sich Gladney suchend im Stall um. »Aber der Fahrer des Sulkys verdient natürlich auch meine Dankbarkeit.«

»Ja, der Meinung bin ich auch«, stimmte Hawkins zu.

»Dann kommt er also mit?«

»Leider nicht, Mr. Halloran. Er ist ein sehr schüchterner junger Mann und trifft eigentlich nie Fremde.«

Gladney Halloran mußte lachen. »Es dürfte sich um einen recht seltenen Mann handeln, wenn er auf Belohnung für gute Arbeit verzichtet. Meistens hält doch jeder die Hand auf.«

»Sie respektieren also seinen Wunsch?«

»Na sicher«, erwiderte Gladney. »Aber gern würde ich Ihnen das Geld für ein Essen geben. Dann kann er das gelegentlich allein nachholen.«

»Glauben Sie mir, das ist bestimmt nicht nötig.«

Gladney zuckte mit den Schultern. »Na schön … Können wir dann losgehen?«

»Rebecca, du hast nichts dagegen einzuwenden?« fragte Hawkins hoffnungsvoll.

Rebecca hatte sich Gladney Halloran genau betrachtet, während der junge Mann sich mit ihrem Großvater unterhielt. Irgend etwas an ihm verwirrte sie. Um die Furcht, die Oscar Stull in ihr erregte, handelte es sich nicht. Bei Stull zitterte sie innerlich schon, wenn sie ihn nur sah. Aber bei diesem jungen Gladney Halloran empfand sie etwas ganz anderes. Er war charmant, und er gefiel ihr einfach. Für eine junge Frau wie Rebecca waren das ganz neue Empfindungen, und sie erschienen ihr völlig unbegreiflich. Davor hatte sie Angst – vor der körperlichen Ausstrahlungskraft dieses Mannes. Dennoch überkam sie eine gewisse Neugier, wie dieser Mann Gladney Halloran nun wirklich war, und sie lächelte ihn an.

So sagte Rebecca: »Mr. Halloran, wenn Sie uns zum Essen einladen, so habe ich nichts dagegen.«

»Wunderbar!« Gladney strahlte.

»Oh, was ist das?« Rebecca keuchte und blickte an ihm vorbei. Dann legte sie ihre Hand auf den Mund, und ihre Augen wurden vor Angst groß.

»Was gibt’s denn?« wollte Gladney wissen.

Rebecca zeigte in eine Ecke des Stallgebäudes. »Ich glaube, ich sah erneut diesen furchtbaren Mann – diesen Mr. Stull.«

Ihr Großvater entgegnete: »Nun, unser Freund Mr. Halloran hat ihn schon mal davongejagt. Vermutlich wird er das wieder tun.« Er winkte Gladney zu.

Aber Rebecca starrte weiter in die Dunkelheit.

»Was ist denn, Mädchen? Du mußt dir doch keine Sorgen machen. Natürlich ist dieser Kerl wie ein wilder Bulle …«

Rebecca unterbrach ihn, indem sie ihre Hand auf seinen Arm legte: »Großvater, ich bin überzeugt, daß er eine Waffe bei sich hatte. Durch das Fenster fällt Licht, und ich sah sie glänzen!«

Kapitel 2

Dieses verdammte Weib, dachte Oscar Stull und zog seinen Kopf zurück, als er den Aufschrei von Rebecca Hawkins hörte. Natürlich hatte er einen Revolver in der Hand, und nun ließ er ihn schnell fallen. Dann schob er mit dem Fuß Heu und Pferdedung darüber. Anschließend kam er um die Ecke, als ob nichts geschehen sei.

Gladney Halloran hatte Rebeccas Warnung ernstgenommen und trat Stull sofort entgegen, als dieser um die Ecke kam.

»Warum lungern Sie hier herum?« fragte Gladney zornig.

»Aber bitte?« fragte Stull freundlich. »Was meinen Sie denn damit? In diesem Stallgebäude habe ich Pferde und daher auch ein Recht, mich hier aufzuhalten.«

»Aber Sie haben keinerlei Recht, hier mit einem Revolver herumzulungern!« fauchte Gladney ihn an. Dabei trat er drohend auf ihn zu.

»Ein Revolver?« fragte Stull und knöpfte seinen Rock auf. »Können Sie bei mir einen Revolver sehen? Zum Teufel! Wovon reden Sie überhaupt, Bursche?«

»Ich dachte, ich sah einen«, meinte Rebecca etwas verzagt.

Nun blickte Stull auf den Silbergriff seiner Reitpeitsche und lachte. »Meine liebe junge Lady, ohne Zweifel haben Sie dies hier gesehen.« Er hielt ihr den Griff entgegen.

Seine List schien zu wirken, denn Hallorans Ärger schwand, und er blickte Rebecca fragend an. »Der Knauf einer Reitpeitsche. Sahen Sie das?«

Rebecca war sich ihrer Sache nicht sicher. Sie hätte beschwören können, Stull mit einem Revolver in der Hand gesehen zu haben. Aber vielleicht hatte sie sich geirrt, und es war wirklich nur der Peitschengriff gewesen.

»Ich … ich weiß es nicht. Vielleicht war es wirklich so.« Sie machte einen bedrückten Eindruck.

»Und ich kann Ihnen versichern, Miß Hawkins, daß es so gewesen ist«, sagte Stull. »Diese Reitpeitsche bedroht niemanden von Ihnen. Ich entschuldige mich, falls ich Sie erschreckt habe.«

»Nein«, erwiderte Rebecca leise, »ich habe mich bei Ihnen zu entschuldigen, Mr. Stull, denn ich machte offenbar einen Fehler.«

Stull gab sein übliches freudloses Lachen von sich und tastete mit einem perfekt manikürten Finger über die leuchtende Narbe im Gesicht. »Wir alle machen Fehler, Miß Hawkins. Vergessen Sie’s.«

Gladney hatte zugehört, und sein Zorn legte sich etwas. Aber beruhigt war er noch längst nicht. Dieser Mann Stull wirkte nach wie vor bedrohlich auf ihn.

»Mag schon sein«, sagte Gladney daher. »Aber hier geschehen seltsame Dinge, Stull. Ihr aalglattes Benehmen beeindruckt mich gar nicht.«

»Mr. Halloran, ich kann Ihnen nur versichern, daß Ihre Ängste grundlos sind«, entgegnete Stull.

Gladney grinste verächtlich. »Oh, vor Ihnen habe ich keine Angst, Stull, das können Sie mir glauben. Und schätzen tue ich Sie auch nicht. So, nun gehen wir unsere eigenen Wege. Aber Ihr Herumlauern hier vergesse ich nicht. Versuchen Sie’s nicht noch mal.«

Stulls Narbe leuchtete dunkelrot auf. Die Adern an seinen Schläfen zuckten wie sich windende Schlangen. Da sein Kopf völlig haarlos war, konnte man das genau sehen. Aber es gelang ihm, den Mund zu halten, während die drei davongingen. Wütend starrte er ihnen nach und atmete schwer. Hätte er doch nur seinen Revolver nicht in der Hand gehabt! Solche Dinge sollte er lieber Mr. Mercy überlassen. Aber Mr. Mercy war mit einem Auftrag unterwegs, und Stulls Zorn über Hallorans hochnäsiges Benehmen hatte ihn nach der Waffe greifen lassen. Daher hatte Stull kalte Mordlust überkommen; er ging zu seiner Kutsche und holte den Revolver.

Halloran war als Spieler und gewalttätiger Mann bekannt. Gewiß besaß dieser Kerl genug Feinde, die Gründe besaßen, ihn umzulegen. Stulls Absicht war es gewesen, ihn einfach totzuschießen. Aber dieses verdammte Mädchen und sein Großvater hatten den Plan vereitelt. Und dieses Weib hatte seine Absicht noch beinahe entdeckt!

An das Mädchen mußte Stull immer noch denken, als es längst außer Sicht war. In Gedanken sah er sie ständig vor sich. Ein recht erfreuliches Bild entstand vor seinem geistigen Auge. Sie war nackt und lag gefesselt vor ihm. Der Mund war mit einem Tuch zugebunden, damit sie nicht schreien konnte. Die Binde reichte allerdings nicht bis zu ihren Augen, weil er den Schrecken darin genießen wollte.

Wie eine Hitzewelle überflutete es Stulls Körper, und er vergaß seinen Zorn auf Halloran. Nun hatte er nur noch Hunger auf Rebecca Hawkins – einen Hunger, der sich nur auf seine eigene besondere Art stillen ließ.

Stulls Umgang mit Frauen wurde durch seine grausame Natur bedingt. Ihm bereitete es Genuß, Spielchen mit ihnen zu treiben, die Schmerzen und Erniedrigung bereiteten, bis sie um Gnade winselten und sich ihm hingaben. Sonst fand er keine Befriedigung.

Natürlich gab es nur wenige Frauen, die sich mit Stulls Grausamkeiten abfanden. Es handelte sich meist um Dirnen, die hinterher viel Geld verlangten und es dann ablehnten, ihn wieder zu besuchen. Das störte Stull wenig, denn er benötigte Abwechslung bei seinen Partnerinnen.

Jetzt allerdings wurde Stull klar, was für eine erregende Sensation es wäre, ein unschuldiges Mädchen wie Rebecca Hawkins zu besitzen. An ihr konnte er seine ganze Brutalität auslassen!

Und sie sollte es erleben, überlegte er wie außer sich. Sie und dieser Hawkins. Von ihm wußten die beiden bis jetzt noch nichts, aber Stull war Henry Hawkins als bekannter Name in amerikanischen Pferderennen durchaus bekannt. Er war ein Ehrenmitglied des Louisville Jockey-Clubs und beteiligte sich an Vorbereitungen für das Kentuckyderby.

Der Jockey Club war in diesem Jahr gegründet worden. Sein Leiter, ein gewisser M. Lewis Clark, hatte England besucht, um das Lordderby zu beobachten. Er kehrte nach Louisville zurück und war entschlossen, in dieser Art ein Derby in Kentucky zu beginnen.

Große Pferderennen waren in dieser Zeit ein schlechtes Geschäft; sie wurden durch ländliche Veranstaltungen und damit verbundene Wettrennen beeinträchtigt.

Clark setzte sich jedoch mit den bekanntesten Persönlichkeiten in Verbindung und holte sie in seinen Verein. An Oscar Stull wandte er sich allerdings nicht. Es kam sogar soweit, daß Stull bei einem Antrag auf Mitgliedschaft einfach abgelehnt wurde.

Das verbitterte Stull natürlich sehr. Erst versuchte er, sich die Mitgliedschaft zu erkaufen, und als das nicht klappte, wollte er sich mit Erpressungen und Zwangsmaßnahmen die Mitgliedschaft besorgen. Aber auch das gelang ihm nicht, und nun betrachtete man ihn als Außenseiter.

Ein Mann wie Stull ließ sich natürlich eine solche Ablehnung nicht gefallen. Niemand konnte ihn daran hindern, sein Pferd beim Kentuckyderby auf die Bahn zu schicken. Und das wollte er in jedem Fall. Das erste Rennen war für den 17. Mai 1875 festgesetzt, und Stull wollte es gewinnen.

Vor fünfundzwanzig Jahren war Stull im Hafenviertel von Boston geboren worden. Seine Mutter verdiente ihren Unterhalt in einer billigen Kneipe, sein Vater war ein Matrose – einer von den Hunderten von Seeleuten, die seine Mutter besuchten. Ihn lernte Stull daher niemals kennen. Seine Mutter nannte ihn Oscar, weil sie sich daran zu erinnern glaubte, daß einer der Matrosen ihr mal gesagt hätte, sein Name sei Oscar. Den Nachnamen Stull bekam er, weil sich gegenüber ihrem elenden Quartier ein Kramladen befand, der sich ›Stulls Warenhaus‹ nannte.

Jede Nacht betrank sich Stulls Mutter sinnlos, daran konnte er sich noch gut erinnern. Bereits als er sieben oder acht Jahre alt war, kümmerte sie sich nicht mehr um ihren Sohn. Oscar Stull mußte sich durch Betteln oder Diebstähle selbst durchbringen. Mit fünfzehn Jahren fand Stull seine Mutter tot in einer verrufenen Straße auf. Er starrte sie so gleichgültig an, als ob er eine streunende Katze entdeckt hätte, die von einer Kutsche überfahren worden war.

Stulls Lebensweg als Verbrecher war vorgezeichnet, und bei Beginn des Bürgerkrieges zählte er bereits zu den führenden Gaunern der Stadt. Beim Überfall auf einen Geldboten wurde er erkannt und mußte fliehen.

Als beste Möglichkeit erwies es sich, in der Armee unterzutauchen, und das tat er dann auch. Dort ergab sich wenig später für Stull eine einmalige Gelegenheit. Er begleitete einen Geldtransport von einhunderttausend Dollar in Gold. Der Transport wurde von einer Patrouille der Konföderierten angegriffen, aber den Nordstaatlern gelang es, sich erfolgreich zu wehren. Dabei wurden allerdings Stulls Offizier getötet und die drei anderen Soldaten verwundet.

Stull erkannte sofort seine Chance. Er beseitigte die drei verwundeten Männer, versteckte das Gold und berichtete hinterher, die Konföderierten hätten es mitgenommen.

Nach dem Krieg kehrte Stull zu dem Versteck zurück, grub das Gold aus und begab sich nach Kentucky, wo er das Leben eines Gentlemans zu führen begann. Obwohl sein verbrecherisches Leben in Boston lange Zeit zurücklag und er nun ein reicher Mann war, wurde er eigentlich von niemandem als wirklicher Gentleman anerkannt.

Um diese Zeit erkannte Stull, welch wichtige Rolle Pferde im Leben der Bewohner von Kentucky spielten. So legte er sich eine Zucht von Rassepferden zu und hoffte, die fehlende Anerkennung bei Pferderennen zu gewinnen. Für ihn gab es nur noch ein Motto – Sieg um jeden Preis!

Mit seinen Jockeys ging er genauso brutal um wie mit seinen Pferden. Daher blieben die Männer selten längere Zeit in seinem Dienst. Stulls Verhalten schuf ihm natürlich viele Feinde. Daher mußte er sich den Leibwächter Mr. Mercy zulegen.

Mr. Mercys eiskaltes Wesen erschreckte sogar manchmal Stull. Dieser Mann war zu jeder Tat fähig. Ohne jede Gewissensbisse tötete er. Seine Miene blieb stets ungerührt; lächeln konnte er nicht. Stull wußte, daß Mr. Mercy ihm treu ergeben war – allerdings nur so lange, wie dieser Mann dafür bezahlt wurde.

Selbst Stull kannte Mercys Vornamen nicht. Anfangs hatte Stull ihn mal gefragt und die Antwort erhalten: »Mr. Mercy reicht. Ein weiterer Name ist nicht nötig.«

Gerade als sich Stull in Gedanken mit Mr. Mercy beschäftigte, erschien dessen graue Gestalt in den länger werdenden Schatten des Abends.

»Es ist getan«, erklärte Mr. Mercy ruhig.

»Getan?«

»Den Auftrag, den Sie mir gaben.«

Plötzlich erinnerte sich Stull. In seiner Verärgerung über Gladney Halloran hatte er einen Augenblick lang vergessen, welchen Befehl er Mr. Mercy gab.

Nun lächelte Stull. »Gut! Ausgezeichnet!« Er tastete sich über die rote Narbe im Gesicht. »Über das heutige Rennen freute sich Hawkins. Nun wollen wir mal sehen, wie er es morgen genießt, wenn er verliert.«

Gladney Halloran hatte eine Kutsche gemietet, und so war es ihm möglich, Rebecca und ihren Großvater vornehm in die Stadt zu fahren. An der Uferstraße fand er einen Platz, wo man die Kutsche abstellen konnte. Von hier aus sah man den Ohiofluß. Gladney band die Zügel an einem Gitter fest, um dann Rebecca beim Aussteigen behilflich zu sein.

»Sehen Sie sich das an!« rief Rebecca begeistert und zeigte auf den Fluß. »Ist das nicht ein herrlicher Anblick?«

Die letzten Sonnenstrahlen vergoldeten das Wasser des Ohios. Eine Anzahl von Flußbooten lag hier am Ufer vertäut. Ein Schiff erregte jedoch sofort die Aufmerksamkeit – nämlich die Ohio Queen. Es handelte sich um einen großen weißen Raddampfer mit blauen Verzierungen. Das Treibrad und die Verbindungsstangen waren rot angestrichen. Die Sonne war jetzt fast untergegangen, und alle Fenster und Luken des Schiffes strahlten in goldgelbem Licht. Überall an Bord schwankten leuchtende Laternen leicht im Wind.

»Und dort werden wir essen«, erklärte Gladney, als er bemerkte, mit welcher Bewunderung Rebecca das Schiff betrachtete.

»Wir essen auf einem Flußdampfer?«

»Na sicher tun wir das«, erwiderte Gladney und grinste listig. »Sagen Sie mal, hörten Sie eigentlich noch nie davon, was für ein gutes Essen auf solchen Dampfern serviert wird?«

»Ja, sicher«, entgegnete Rebecca. »Aber schließlich gehören wir doch nicht zu den Passagieren. Wird denn hier jeder Fremde bedient?«

»Nicht jeder wird hier bedient, Mädchen«, sagte Gladney. »Aber ganz bestimmt Gladney Halloran und seine Freunde. Kommen Sie mit.«

Rebecca und ihr Großvater folgten Gladney zum Laufsteg des Schiffs. Der Uferweg war mit Kopfsteinen gepflastert, und Gladney bot Rebecca seinen Arm an, aber sie lehnte ab. Das allerdings mußte sie sofort bereuen, denn sie rutschte auf einem feuchten Stein aus und wäre fast ins Wasser gefallen. Aber Gladney griff noch rechtzeitig nach ihrem Arm.

Er lachte leise. »Ich bin nicht zu stolz, meine Hilfe noch einmal anzubieten – sofern Sie nicht zu stolz sind, diese anzunehmen.«

Wortlos gab Rebecca ihm ihre Hand, richtete sich auf und ließ sich von ihm zur Laufplanke führen.

Oben an Bord war ein großer Neger damit beschäftigt, ein Seil aufzurollen. Als er Gladney sah, ließ er das Seil fallen, stieß einen Pfiff aus und grinste.

»Mister Gladney! Was für ein herrlicher Anblick für meine alten Augen! Willkommen an Bord der Ohio Queen. Begleiten Sie uns auf der ganzen Reise nach New Orleans?«

»Hallo, Sam!« erwiderte Gladney und lachte fröhlich. »Kapitän Jenkins hat Sie also offenbar noch nicht an einen anderen verkauft?«

Sam lachte laut. »Aber, Mr. Gladney, Sie wissen, daß es keine Sklaverei mehr gibt. Den großen Sam kann niemand verkaufen, wenn dieser nicht einverstanden ist.«

»Niemand würde für Sie auch nur einen Penny bezahlen, Sam! Wissen Sie auch den Grund? Sie sind zu schwächlich. Meine Großmutter – Gott hab sie selig! – könnte Sie mit einer Hand umwerfen.«

Der große Neger lachte schallend. Dann hob er eine Eisenstange vom Deck auf. Rebecca starrte ihn ungläubig an, als er das Eisen zu einem Ring zusammenbog. Dabei quollen seine Muskeln an Armen und Schultern hervor.

»Mr. Gladney, könnte Ihre gesegnete alte Oma das auch?« fragte er. »Jetzt müssen Sie aber die Wahrheit sagen.«

»Na sicher könnte sie das«, entgegnete Gladney. »Sogar mit einer Hand auf dem Rücken!«

»Sie sind ein fröhlicher Mensch, Mr. Gladney«, meinte Sam. »Mir macht es Spaß, wenn Sie die Ohio Queen besuchen.«

»Ist eigentlich dieser alte Flußpirat Jenkins noch an Bord?« erkundigte sich Gladney.

»Na sicher ist er das«, erwiderte Sam. Er bog die Eisenstange wieder auf und zeigte damit zum Heck des Schiffes. »Noch vor zehn Minuten sah ich Kapitän Jenkins bei den Schaufelrädern.«

»Na, dann will ich mal einige Worte mit ihm wechseln«, sagte Gladney. »Kümmern Sie sich inzwischen darum, daß meinen Freunden nichts passiert.«

»Mr. Gladney, selbst wenn plötzlich der Teufel persönlich aus diesem alten Fluß auftauchen sollte, werde ich für Ihre Freunde kämpfen!« erklärte Sam feierlich. »Niemals könnte ich den Tag vergessen, an dem Sie mein Fell retteten.«

»Ja, und es war schon eine Rettung wert.« Gladney legte einen Arm um die Schultern des großen Negers und drückte ihn kurz an sich. »Ich bin gleich zurück«, versicherte er dann Rebecca und ihrem Großvater.

Gladney marschierte flott über das Deck und ließ seine Hand lässig über die Reling gleiten. Vor einem Jahr war er zum erstenmal an Bord der Ohio Queen gekommen, mit der Absicht, lediglich von New Orleans nach St. Louis zu fahren. Kapitän Jenkins zuliebe blieb er jedoch drei Monate an Bord. Nun konnte Jenkins ihm als Gegenleistung auch mal eine Gunst erweisen.

Kapitän Jenkins war fast siebzig Jahre alt. Groß und hager stand er an der Reling und betrachtete das Schaufelrad, während sein weißer Bart im Wind flatterte.

Gladney trat heran. »Was hat es denn für einen Zweck, das Ding so genau zu studieren, Kapitän? Wie so was funktioniert, übersteigt wohl das Vorstellungsvermögen von Typen Ihres Schlages.«

Jenkins zuckte zusammen und blickte sich zornig um. Dann überzog ein Lächeln des Erkennens sein Gesicht. Beide Männer schüttelten sich die Hände. Der Druck von Jenkins’ knochigen Fingern war überraschend kräftig.

»Hören Sie mit diesen irischen Scherzen auf, Gladney!« sagte der Kapitän. »Außerdem versteht hier niemand Ihren Dialekt. Sprechen Sie wieder königliches Englisch. Kapitän wären Sie auch nie geworden, obwohl Sie einiges können. Aber ich verdanke Ihnen allerhand.«

»Ach, reden wir doch nicht davon!«

»Es stimmt aber, Gladney. Die Kerle hatten ihre Zähne schon fest in mir. Alles hätte ich verloren, wenn Sie nicht gekommen wären! Aber sagen Sie mal, wieso sind Sie an Bord? Wollen Sie mit uns nach New Orleans?«

»Diesmal nicht, obwohl das ein hübscher Vorschlag ist«, erwiderte Gladney. »Man bekommt ja richtiges Heimweh, wenn man die Füße wieder auf die alten Planken hier setzt.«

»Also machen Sie nur einen Besuch. Ich finde das nett von Ihnen, Gladney.«

»Besuch schon – aber noch ein bißchen mehr«, erklärte Gladney. »Zwei freundliche Bekannte begleiten mich, und ich möchte ihnen gern das beste Essen bieten, das es auf dem ganzen Ohio gibt – im Speisesaal der Queen. Falls es uns gestattet wird.«

»Natürlich sind Sie alle willkommen. Jederzeit!« versicherte ihm Kapitän Jenkins herzlich. »Und Sie werden an meinem Tisch sitzen. Wer sind denn Ihre Gäste?«

»Henry Hawkins und seine Enkeltochter Rebecca.«

»Henry Hawkins? Den Namen hörte ich schon mal.«

»Durchaus möglich. Vor einigen Jahren machte er sich einen guten Namen als Jockey – hier in den Staaten und auch in England«, sagte Gladney.

»Natürlich! Dieser Hawkins! Ich gewann mal einige Dollar bei einer Wette auf ihn«, rief der Kapitän. »Und seine Enkeltochter, sagten Sie?«

»Ein so liebliches Wesen, wie Sie es noch niemals in Ihrem Leben sahen, Kapitän«, versicherte ihm Gladney überraschend ernst.

Jenkins lachte schallend. »Oho! Sie muß ja wohl wirklich eine Schönheit sein, denn sie gefällt Ihnen offenbar.«

»Was ich wirklich tue, dürfen Sie nicht verraten, Kapitän. Versprechen Sie mir das?« bat Gladney und grinste etwas verschlagen. »Aber ich möchte wirklich ein gutes Abendessen für meine Gäste. Mit Ihrer anderen Vermutung könnten Sie vielleicht recht haben. Jetzt aber das Beste für Halloran und seine Freunde auf die Tafel!«

»Wovon Sie überzeugt sein können, Gladney. Ich verspreche es Ihnen und unterhalte mich persönlich mit dem Koch.« Er winkte mit der Hand. »Nun holen Sie Ihre Gäste. Sie werden wie eine königliche Gesellschaft behandelt. Aber falls Sie gedenken, für das Essen zu bezahlen, hole ich Sam, damit er Sie im Fluß versenkt!«

»Also, nun drohen Sie mir mal nicht mit Sam. Eine Einladung zum Essen wurde von mir noch nie zurückgewiesen.«

Jenkins blickte auf seine Taschenuhr. »Wissen Sie übrigens, daß wir heute abend auch Musik hier haben?« Er legte eine Hand hinter das Ohr, und Gladney hörte leise Klänge aus dem Speisesalon. »Die Unterhaltung hat bereits begonnen.«

Gladney hatte plötzlich eine Idee. »Kapitän, können Sie die Kapelle nicht anweisen, ein bestimmtes Stück zu spielen, wenn wir den Speiseraum betreten? Nämlich ›My Old Kentucky Home‹. Wäre das möglich?«

Kapitän Jenkins kicherte. »Sie irischer Schlingel! Ich hoffe nur, daß der Großvater weiß, was er tut, wenn er Sie an seine Enkeltochter heranläßt.«

Nach dieser hinterlistigen Bemerkung ging der Kapitän fort, um alle Vorbereitungen zu treffen. Gladney eilte zu Hawkins und Rebecca. Er fand die beiden an Deck, wie sie einer Geschichte von Sam zuhörten.

»… ja, Miß, ich spürte das Seil um meinen Nacken«, sagte Sam gerade. »Da gab es etwa fünfzehn Weiße, die sich vorgenommen hatten, mich für etwas aufzuhängen, das ich gar nicht getan hatte. Ich bemühte mich, ihnen zu erklären, daß ich als Täter gar nicht in Frage kam, weil ich in der vergangenen Nacht an Bord der Ohio Queen gearbeitet hatte. Aber sie behaupteten, die weiße Lady sei von einem großen Neger umgebracht worden – und ich sei der größte Nigger, den sie bis jetzt gesehen hätten.«

Sam nickte und fuhr fort: »Kurz bevor sie mir dann die Kiste unter den Beinen wegreißen wollten, damit ich baumelte, erschien Mister Gladney mit einer Ladung Sprengstoff. Die Lunte brannte bereits. Er sagte ihnen, daß er alle in die Luft jagen würde, wenn sie mich nicht freiließen. Und er sagte ihnen auch, daß ich nicht der Täter sei.«

»Und was geschah dann?« fragte Rebecca atemlos.

Sam lächelte. »Die Weißen wurden noch bleicher als die Sprengstoffladung in Mister Gladneys Hand. Nach allen Richtungen stoben sie davon. Mister Gladney trat ruhig heran, nahm das Seil von meinem Nacken. Dabei hielt er den Sprengstoff mit der glimmenden Lunte in der Hand, als sei es eine Zigarre. ›Meine Herren‹, sagte er dann, ›ziehen Sie sich zurück, und lassen Sie mich und meinen Freund an Bord des Schiffes zurückkehren, wo wir hingehören. Sonst fliegen Ihre Köpfe durch die Luft!‹«

Rebecca lauschte erregt diesem Bericht, und nun sagte Sam: »Schließlich sagte ich zu Mister Gladney, er möge doch die Lunte ausmachen. Aber der lachte nur und meinte: ›Das sind ja nur Tauenden, die ich so zusammendrehte, daß sie wie eine Bombe aussehen.‹ Damit hatte er diesen weißen Henkersknechten einen herrlichen Streich gespielt!«

Gladney hatte im Schatten der Decksaufbauten gewartet, bis Sam seine Geschichte beendete. Nun trat er hervor. »Aber, Sam, Sie müssen doch zugeben, daß diese Henkersknechte einen spaßigen Anblick boten, als sie darauf warteten, in die Luft zu fliegen.«

»Mister Gladney, ich erzählte Ihren Freunden soeben, wie Sie mir das Leben gerettet haben.«

»Das hörte ich«, entgegnete Gladney. »Warten Sie nur mal ab, bis die erfahren, was für ein großer Lügner Sie sind, Sam Tally.«

Unbeeindruckt erwiderte Sam: »Aber ich habe doch Ihre Freunde gut unterhalten, nicht wahr?«

»Ja, sicher, Sam, und dafür bin ich Ihnen dankbar. Also, Mister Hawkins und Miß Hawkins, würden Sie mich jetzt bitte begleiten. Ich bestellte beim Kapitän für uns ein Galadiner.«

Rebecca fragte: »Log dieser Sam eigentlich, um uns zu amüsieren? Oder erzählte er die Wahrheit?«

Gladney grinste. »Wenn Sie sich tatsächlich amüsierten, spielt das wohl keine Rolle, nicht wahr?«

Als Gladney sie nun über das Deck führte, beobachtete Rebecca ihn mit großem Interesse. Die Geschichte von Sams Rettung – auch wenn der Neger alles etwas aufgebauscht hatte – zeigte doch, daß es sich bei Gladney um einen tapferen Mann handeln mußte. Mit einem vorgetäuschten Bündel Sprengstoff fünfzehn andere Männer in die Flucht schlagen, das bedeutete schon etwas. Dieser Gladney Halloran schien ihr schon ein erstaunlicher Mann zu sein.

»Na, wie gefällt es Ihnen hier?« fragte Gladney, als sie den Speisesalon betraten.

Rebecca sah zum erstenmal in ihrem Leben den Salon eines Flußdampfers. Auf Fährbooten war sie schon häufig über den Fluß gefahren, und auch bei ihrem Besuch in England benutzte sie einen guten Dampfer. Was sie jedoch hier erblickte, übertraf alle ihre Erwartungen. Der Speisesalon war so groß, wie sie es sich niemals vorgestellt hatte. Kristalleuchter hingen von der Decke herab und an den Wänden leuchtende Laternen. Den Boden bedeckte ein dichter blauer Teppich. Auf allen Tischen stand Geschirr aus feinstem chinesischen Porzellan. Daneben lagen natürlich silberne Bestecke.

Dann ereignete sich etwas Seltsames. Das Orchester an der hinteren Wand des Salons unterbrach sein Spiel und begann ein neues Stück. Es war das herrliche Heimatlied ›My Old Kentucky Home‹. Die anderen Gäste starrten den neuen Besuchern entgegen und begannen zu applaudieren.

»Was bedeutet denn das?« fragte Rebecca leicht verwirrt.