Der Wintertransfer - Philip Kerr - E-Book

Der Wintertransfer E-Book

Philip Kerr

4,4
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Erstmals im Taschenbuch. Ein Grab mitten im Stadion, ein toter Trainer, eine erbarmungslose Jagd. Für Scott Manson, Co-Trainer und Ermittler wider Willen, steht alles auf dem Spiel. Vom internationalen Bestsellerautor Philip Kerr kommt ein Thriller aus der Welt des Profifußballs, bei dem aus der schönsten Nebensache der Welt blutiger Ernst wird. Scott Manson hasst Weihnachten: volle Spielpläne, die Hektik der Transfergeschäfte im Januar und Fußballspieler, die nur Drogen und Partys im Kopf haben. Sein Job als Co-Trainer ist es, die Mannschaft vom Erstligisten London City durch die Feiertage zu navigieren, und keiner macht ihn besser. Aber dann wird sein Boss, die portugiesische Trainerlegende Zarco, ermordet. Scott muss den Täter stellen, schneller als die Polizei und schneller als die Presse. Auf der blutigen Spur des Geldes gerät er immer tiefer in den Strudel von Hinterzimmerdeals und Bestechungen der Liga. Und schließlich heftet er sich dem Clubeigner mit seinen zwielichten Kontakten zur Russenmafia an die Fersen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 516

Bewertungen
4,4 (26 Bewertungen)
17
3
6
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Tropen

www.tropen.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»January Window« im Verlag Head of Zeus, London

Copyright © 2014 by thynKER Ltd

Für die deutsche Ausgabe

© 2015, 2016 by J.G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Umschlag: Herburg Weiland, München

Unter Verwendung eines Fotos von La Bombonera, Buenos Aires, 2010 © Reinaldo Coddou H.

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-50340-1

E-Book: ISBN 978-3-608-10815-6

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Dieses Buch erzählt eine erfundene Geschichte. Die Fehler darin sind meine eigenen und nicht die des Fußballtrainers, von dem ich meine Informationen habe. (Bitte fragen Sie nicht!)

An seine Adresse will ich hinzufügen: Ich versichere Ihnen meine vollste Diskretion. Ich werde Sie nicht feuern, versprochen – selbst wenn dieses Buch nichts gewinnt.

Philip Kerr

Für Paul Sidey

KAPITEL 1JANUAR 2014

Ich hasse Weihnachten. Ich bin vierzig Jahre alt, und ich hasse es schon mindestens mein halbes Leben lang.

Früher war ich Profifußballer. Heute trainiere ich andere in der Premier League, und deswegen denke ich bei dem Wort »Weihnachten« immer an einen Spielplan, der so vollgestopft ist wie ein Spielzeugladen. Weihnachten heißt frühmorgendliches Training auf gefrorenen Plätzen, schmerzende Adduktoren, die nicht genügend Zeit zum Regenerieren haben, betrunkene Fans, die Übermenschliches von ihrem Team verlangen – von den Erwartungen eines gnadenlosen Clubbesitzers oder Präsidenten ganz zu schweigen. Und nicht zu vergessen die ach so leichten Spiele gegen die Rumpelfußballer vom Tabellenende, die einem ziemlich heftig in den Hintern treten können.

Diese Saison ist alles wie immer. Am Boxing Day, dem zweiten Weihnachtsfeiertag, haben wir auswärts gegen Manchester United gespielt. Am ersten Feiertag, wenn neunundneunzig Prozent der Leute damit beschäftigt sind, Geschenke auszupacken, zur Kirche zu gehen, gemütlich vor einem hübschen Kaminfeuer fernzusehen oder sich still und leise volllaufen zu lassen, sind wir in Hangman’s Wood, unserem Trainingsgelände in Thurrock, gewesen. Am 28.haben wir dann gegen Newcastle gespielt, und am Neujahrstag zu Hause gegen die Tottenham Hotspurs. Drei Spiele in sieben Tagen. Das ist kein Sport mehr, das ist ein beschissener Ironman.

Wer im Profigeschäft von diesem Spiel schwärmt, meint damit sicher nicht die Weihnachtszeit. Und zu der alten Geschichte im Boy’s Own Magazine über die britisch-deutsche Partie im Niemandsland des Ersten Weltkriegs kann ich nur so viel sagen: Hey, sicher, ich will mal sehen, wie die das ohne einen fitten Torwart geschafft hätten und mit einem trägen Mistkerl von Mittelstürmer, der auf einen Wintertransfer hofft, um sein ohnehin bereits astronomisches Gehalt noch mal zu verdoppeln.

Wintertransfer – so nennen wir die vierwöchige Transferperiode mitten in der Saison, wenn europäische Clubs einen neuen Spieler verpflichten dürfen. Die ganze Idee ist selten bescheuert (und typisch FIFA). Dabei geht es nämlich zu wie auf dem Flohmarkt: Die Clubs versuchen, ihr Totholz loszuwerden, und zur gleichen Zeit legen sie übertrieben viel Schotter für irgendeinen angesagten goldenen Bubi hin. Der soll ihnen dann die Chance wahren, irgendwas zu gewinnen, oder einfach nur dabei helfen, den Abstieg zu verhindern.

Jeder Club versucht, Spieler zu kaufen: Der richtige Deal kann über den Titel entscheiden oder einem die Relegation ersparen. Man muss sich nur die Spieler ansehen, die in den vergangenen Wintertransfers gekauft wurden: Luis Suárez, Daniel Sturridge, Philippe Coutinho, Patrice Evra, Nemanja Vidic´ sind alle schon mal im Winter zu neuen Clubs gestoßen. Wer mal ein Glied in einer Kette von Hauskäufern war, die ihr neues Haus erst kaufen können, nachdem sie ihr altes verkauft haben, der ahnt, wie heiß es in der Endphase der Transferperiode zugeht.

Ich finde, früher war es besser, als es noch überhaupt kein Transferfenster gab, das man zumachen konnte. Überhaupt fand ich fast alles am Spiel früher besser, bevor Sky Sports, Zeitlupenwiederholungen und die Änderung der Abseitsregel 2005 es zu dem gemacht haben, was es heute ist.

Aber ich habe noch einen anderen, viel übleren Grund, warum ich Weihnachten hasse. Am 23.Dezember 2004 wurde ich der Vergewaltigung für schuldig befunden und zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Man muss nicht der Geist von Jacob Marley sein, um zu kapieren, wie einem so was die Lust an Weihnachten, egal ob vergangene, gegenwärtige oder zukünftige, verderben kann.

Aber dazu später mehr.

Mein Name ist Scott Manson, und ich bin Co-Trainer von London City. Ich trainiere mit den Jungs, und ich gehe mit gutem Beispiel voran. Heißt, keinen Alkohol ab dem 22.Dezember bis zum Neujahrsabend. Das ist so, als wäre man Zeuge Jehovas und zu Gast auf der protzigen Bilderbuchhochzeit einer dieser bekloppten Spielerfrauen. Kein Alkohol, kein Spätprogramm, gesundes Essen und definitiv keine Zigaretten. Und sollte ich – oder eher Maurice McShane, der Mann fürs Grobe bei London City – in einer Illustrierten das Foto eines meiner Spieler auf dem Weg von einem Nachtclub nach Hause entdecken, am besten noch mit einer Silk Cut in der Hand, dann ist die Hölle los. Ich habe schon einen Torjäger zur Sau gemacht, weil der sich am Abend vor dem Neujahrsderby ein Drachentattoo stechen ließ, ein Weihnachtsgeschenk seiner hirnamputierten Tussi. Nebenbei – ein frisches Tattoo tut höllisch weh, die Tinten und Pigmente sind manchmal verunreinigt, und außerdem verursachen sie gelegentlich Übelkeit, Granulome, Lungenerkrankungen, Gelenkentzündungen und Augenprobleme. Kennen Sie die Bibelstelle, wo es heißt, der Leib ist ein Tempel? Das trifft auf Profifußballer ganz besonders zu. Die tun gut daran zu beten, dass sie ihrem Tempel keinen verdammten Schaden zufügen, wenn sie auch in Zukunft hundert Riesen die Woche verdienen wollen. Ich meine das todernst. Sie wollen einem Fußballer was Schönes zu Weihnachten schenken? Kaufen Sie ihm eine DVD-Box und eine Flasche Acqua di Parma. Alles, bloß keinen Gutschein, um seinen Tempel mit Graffiti beschmieren zu lassen – zumindest nicht, bevor wir mit dem Spielplan durch sind.

Wir spielten also null-null gegen Manchester United, verloren drei-vier gegen Newcastle und gewannen zwei-eins gegen Tottenham. Damit stand London City in der Tabelle der Premier League auf dem neunten Platz. Außerdem spielten wir in der Hinrunde des englischen Ligapokals null-null gegen West Ham. Aber das war mir alles egal, weil Didier Cassell, unser Stammtorwart, in der fünften Minute des Spiels gegen die Spurs in Silvertown Dock eine schwere Kopfverletzung erlitt. Bei dem Versuch, einen Schuss von Alex Pritchard zu parieren, krachte er mit voller Wucht gegen den Pfosten.

Im Fernsehen sah schon allein der Aufprall übel aus. Und zuerst dachte ich, dass das Geräusch, das die Mikrofone neben dem Tor aufgefangen hatten, vom Einschlag des Balles in die Werbebande kam. Aber nachdem Sky Sports die Szene mehrmals in Superzeitlupe aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt hatte – sicher zur großen Freude von Didiers Familie –, kapierte ich, dass der dumpfe Schlag der Schädel unseres Torwarts war, der am Pfosten brach. Ich bin mir nicht sicher, wem das näher ging – unseren eigenen Jungs oder denen von Tottenham.

Cassell verlor augenblicklich das Bewusstsein und war reglos, als er von der St. John Ambulance vom Platz getragen wurde.

Vier Tage später lag er immer noch bewusstlos auf der Intensivstation. Niemand sprach von einem Koma – niemand außer den beschissenen Zeitungen natürlich. Die hatten ihn schon für das Ewige Team im Tor.

Wegen der dritten Runde im FA Cup am folgenden Wochenende versuchten wir, schnell einen Ersatzkeeper beim ehemaligen Club meines Vaters, Heart of Midlothian, zu kaufen. Die Gläubiger des Vereins meinten wohl, das Eintreiben ihrer Außenstände wäre wichtiger als ein sauberer Kasten. Kenny Traynor war für neun Millionen Mäuse geradezu ein Schnäppchen.

Unser Cheftrainer, João Gonzales Zarco, hatte das auf seine eigenwillige Art kommentiert, als er und ich Didier im Krankenhaus besuchen wollten und wir uns an der Schar von Kameras und Reportern vorbeidrängen mussten.

»Ich habe keine Lust, über einen Ersatzkeeper zu reden. Bitte keine Fragen, okay? Unsere Gedanken sind bei Didier und seiner Familie, und wir hoffen, dass er sich rasch erholt. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Egal, wie viele Pläne du machst oder wie sehr du dein Team unter Kontrolle hast, das Leben schiebt den Ball an dir vorbei ins Netz.«

Zarco war oft emotional, und auch diesmal wischte er sich eine Träne aus dem Auge, als er fortfuhr: »Wo Flutlicht ist, gibt es auch Schatten. Jeder in der Liga weiß, was es heißt, hin und wieder im Schatten zu spielen. Und noch was, und das gilt speziell für die unter Ihnen, die Kommentare gemacht haben, die man nicht machen sollte, wenn ein tüchtiger junger Mann um sein Leben kämpft: Ich bin ein Elefant. Ich vergesse nichts. Und wenn diese Sache ausgestanden ist, trample ich über Sie hinweg, wische meinen Hintern mit Ihren Parolen ab und pinkle auf Ihre Titelseiten, ist das klar? Bei London City sind wir eine Familie. Einer unserer geliebten Söhne ist schwer verletzt, ja. Aber wir stehen das durch, alle zusammen. Ich verspreche Ihnen, dieser Club wird wieder ins Licht zurückkehren. Genau wie Didier Cassell.«

Besser hätte ich es selbst nicht sagen können. Ich habe keinen Grund, die Zeitungen zu mögen, nicht einen einzigen. Die meisten Journalisten sind nichts als wichtigtuerische Unruhestifter, sie nennen das nur anders, nämlich »einer Story nachjagen«. Als würde das alles rechtfertigen. Das tut es nicht. Jedenfalls nicht, soweit es mich betrifft.

Natürlich konnten wir das damals noch nicht wissen, aber unsere Probleme in der Crown of Thorns fingen gerade erst an.

KAPITEL 2

Crown of Thorns, Dornenkrone, so nennen die Einheimischen das Stadion von London City am Silvertown Dock im Londoner East End. Maggi Hambling, Künstlerin und Beraterin der verantwortlichen Architekten Bellew & Hammerstein, hat den Namen erfunden. Ich mag ihre Arbeiten sehr und habe ein paar ihrer fantastischen Gemälde vom Meer. Ja, vom Meer. Das klingt bescheuert, ich weiß, aber wenn man sie sieht, kapiert man schon, dass sie etwas Besonderes sind.

Das Stadion ähnelt dem Vogelnest von Peking: Zwei unabhängige Strukturen, die in orangefarbenem Beton gehaltene Schale für die Tribünen (Orange ist unsere Farbe) und ein äußeres Stahlgerüst, das irgendwie an eine Dornenkrone erinnert. Es ist jedenfalls das markanteste Gebäude im Londoner Osten. Der Bau hat fünfhundert Millionen Pfund verschlungen, aber das spielt keine Rolle, weil der Club einem ukrainischen Milliardär gehört, der anscheinend Geld scheißt.

Das Forbes Magazine schätzt, dass Viktor Jewegenowitsch Sokolnikow zwanzig Milliarden Dollar schwer ist. Platz fünfzig der reichsten Menschen der Welt.

Fragen Sie mich nicht, wie dieser Sokolnikow seinen matterhorngroßen Haufen Geld gemacht hat. Ich will es gar nicht wissen. Ich weiß nur, was Sokolnikow mir erzählt hat: Sein Vater arbeitete in einer kleinen ukrainischen Stadt namens Schostka in einer Fabrik, in der fotografischer Film hergestellt wurde. Sokolnikow machte seine erste Million mit dem Handel von Holz und Kohle, und die steckte er wiederum in riskante Geschäfte, die sich ausgezahlt haben.

Keine Ahnung, wie er die Football Association und den Bürgermeister von London überzeugt hat, ihn die Schulden eines Quartetts alter, insolventer Fußballclubs aus dem East End übernehmen zu lassen, um alle vier als London City in der Second Division neu zu starten. Aber Geld, ganze Wagenladungen voll, könnte was damit zu tun gehabt haben.

Sokolnikow hat ein Vermögen ausgegeben, um die Silvertown Docks und die Region Thames Gateway aufzuwerten. Der Club – der nach nur fünf Jahren in die Premier League aufgestiegen ist – ernährt heute mehr als vierhundert Menschen. Ganz zu schweigen von dem Geld, das London City in einen Teil Londons spült, in dem »Investition« früher ein Schimpfwort war.

Außerdem hat Sokolnikow versprochen, dass seine Firma Shostka Solutions AG die neue Thames Gateway Bridge bauen wird. Boris Johnson hatte das Projekt 2008 gekippt, weil die Brücke zu teuer geworden wäre. Sokolnikow muss nur warten, bis die Flaschen von der Labour Party im Planungsausschuss aufwachen und den Kaffee riechen, den er kocht. Wie die Dinge stehen, ruht das Projekt derzeit.

Als ich aus dem Krankenhaus in meine Wohnung in der Manresa Road in Chelsea kam, begrüßte mich Sonja, meine Freundin, schon an der Tür. »Matt ist hier«, sagte sie leise.

»Matt?«

»Matt Drennan.«

»Oje! Und, was will er?«

»Ich glaube, das weiß er auch nicht. Er ist betrunken und ziemlich durcheinander.«

»Na, das ist ja mal eine Überraschung.«

»Er ist seit über einer Stunde hier, Scott. Ich hatte Mühe, ihn von der Hausbar fernzuhalten.«

»Jede Wette.«

Ich küsste sie auf die kühle Wange. Sie mochte Drennan nicht. Ich konnte es ihr nicht übel nehmen – sie hatte den Matt Drennan, den ich von früher kannte, schließlich nie erlebt.

»Scott, er wird aber nicht bleiben, ja? Nicht über Nacht. Er macht mir Angst, wenn er so betrunken ist.«

»Er ist harmlos, Engel.«

»Nein, ist er nicht, Scott. Er ist eine Ein-Mann-Katastrophe.«

»Überlass ihn mir, Liebes. Ich kümmere mich um ihn.«

Drennan stand unsicher wankend im Wohnzimmer und starrte eines meiner Hamblings an: eine riesige Welle, die an einen Tsunami erinnerte und kurz davor war, auf den Strand von Suffolk zu krachen.

Ich trat zu meinem alten Teamkameraden und legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zu stützen. Seit Sonja den Raum verlassen hatte, war es ihm gelungen, sich ein Glas Whisky einzuschenken. Ich spekulierte darauf, es ihm wegzunehmen, sobald er es absetzte. Sein Hemd war zerrissen und nicht sehr sauber, und sein Ohrläppchen zierte eine dicke, vertrocknete Blutkruste, wo normalerweise ein kleiner Diamant steckte.

»Genau so fühle ich mich«, sagte Drennan mit einem Nicken in Richtung Gemälde.

Sein Atem stank wie ein Altglascontainer.

»Du hast nicht vor zu kotzen, oder, Matt? Das ist nämlich ein neuer Teppich.«

Drennan lachte. »Keine Sorge. Dazu müsste ich erst was essen.«

»Wir könnten uns einen Kebab holen, wenn du magst«, schlug ich vor. »Und dann fahre ich dich nach Hause.«

Es war lange her, dass ich dem Kebab Kid in Parsons Green einen Besuch abgestattet hatte. Dieser Tage hatte ich mehr Appetit auf Sushi, aber wenn ich ihn damit glücklich machen konnte, kein Problem.

»Hab keinen Hunger«, sagte er.

»Was machst du hier? Du wolltest doch Neujahr mit Tiffany verbringen.«

Drennan musterte mich aus trüben Augen. »Ich wollte fragen, wie es deinem Franzosen so geht. Du weißt schon, der sich den Schädel eingerannt hat. Ich war im Krankenhaus, aber sie haben mich rausgeworfen, weil ich besoffen bin.«

»Ein Wunder, dass sie dich nicht gleich dabehalten haben. Ehrlich, Matt. Hast du’s dir vorher mal mit ihnen verdorben, oder ist unser Gesundheitssystem tatsächlich so schlimm, wie alle sagen?«

»Ich hatte Streit mit Tiff.« Das war nichts Neues; den Text hatte er mir schon häufiger erzählt. Ich hatte da noch keinen Schimmer, dass es diesmal viel mehr war als nur ein Streit, dass Tiff im gleichen Krankenhaus lag wie Didier und dass das der eigentliche Grund für Matt Drennans unverhofftes Auftauchen war.

»Sie hat einen scheiß Reitstiefel nach mir geworfen.« Er lachte erneut. »Genau wie Fergie. Wir hätten sie in der Umkleide in Highbury gebrauchen können, was? Ehrlich, Scott, diese Frau hat ein Maul im Gesicht wie ein verdammter Gasbrenner. Nicht wie dein Mädchen. Sandra, ja? Bildschön. Was macht sie noch gleich?«

»Sie ist Psychotherapeutin, Matt. Und sie heißt Sonja.«

»Ja, richtig, ’ne Psychotussi. Dachte mir schon, dass mir das irgendwie bekannt vorkommt. Wie sie mich angesehen hat. Als wär ich ein verdammter Irrer.«

»Du bist ein verdammter Irrer, Matt. Ich habe Leute in der Klapsmühle gesehen, die mehr Tassen im Schrank hatten als du, du Mistkerl.«

Drennan grinste und schüttelte den Kopf wie das leutselige Schaf, das er war. Dann rieb er sich wie wild das Gesicht.

»Hat sie dich wieder rausgeworfen?«

»Yep. Und wie. Aber wir haben schon Schlimmeres durchgemacht. Wird schon wieder. Sie wird mir das Ohr abkauen, und ich muss in der Garage schlafen.«

»Sieht aus, als hätte sie das schon«, sagte ich. »Dir das Ohr abgekaut. Es blutet. Soll ich dir was drauftun? Wundsalbe und ein Pflaster?«

»Geht schon, keine Sorge. War nur eine Tracht Prügel mit dem Reitstiefel, das ist alles.«

»Normal, wie?«

»Yep. Alles ganz normal.«

Matt Drennan, übergewichtig und mit schütterem Haar, gab eine elende Gestalt ab. Er kam wie ich ursprünglich aus Schottland, aber da endeten die Gemeinsamkeiten auch schon. Wenn ich ihn jetzt ansah, konnte ich kaum glauben, dass wir beide vor zehn Jahren bei Arsenal in der gleichen Mannschaft gespielt hatten. Ein gebrochenes Bein hatte Drennos Karriere mit gerade mal neunundzwanzig Jahren beendet. Da hatte er schon mehr als einhundert Tore für die Gunners gemacht und war einer der Helden von Highbury. Selbst heute konnte er noch unangemeldet im Emirates Stadium auftauchen, und die Menge jubelte, sobald er den Rasen betrat.

Das ist mehr, als die Arschlöcher je für mich getan haben. Selbst die Fans der Spurs respektierten ihn, und das will was heißen.

Seit Matt nicht mehr spielte, war sein Leben ein Groschenroman von Fehlschlägen und Peinlichkeiten, von den Medien bis ins kleinste Detail ausgeleuchtet: Alkohol, Depressionen, Kokain und Nurofen, drei Monate im Bau wegen Trunkenheit am Steuer, sechs Monate wegen tätlichen Angriffs auf einen Polizeibeamten (was ich ihm nicht verübeln kann), ein Flirt mit Scientology, eine ebenso kurze wie unrühmliche Karriere in Hollywood, Privatinsolvenz, ein Wettskandal, die bittere Scheidung von seiner ersten Frau und eine zweite Ehe, die ebenfalls gerade zerbrach.

Zuletzt hatte ich gehört, dass er sich in die Priory Clinic eingecheckt hatte – nicht zum ersten Mal–, um sein Leben wieder auf die Reihe zu bringen. Nicht, dass ihm jemand auch nur die kleinste Erfolgschance eingeräumt hätte. Matt Drennan war öfter getrocknet worden als ein Badetuch im Holiday Inn. Er ist der einzige Fußballer, den ich kenne, dessen Autobiografie faszinierenden Lesestoff abgibt – meine eigene inbegriffen. Neben ihm sieht Syd Barrett aus wie der Sprecher der Kirche von Schottland.

Ich liebte ihn trotzdem, als wäre er – nun ja, nicht gerade meine Schwester, wir haben uns nicht mehr viel zu sagen. Aber jedenfalls war er ein sehr wichtiger Mensch in meinem Leben.

»Und? Wie geht es ihm? Jetzt sag schon.«

»Didier Cassell? Nicht gut. Überhaupt nicht gut. Er fällt für den Rest der Saison aus, so viel ist klar. Im Augenblick würde ich sagen, du hast größere Chancen, wieder aufzulaufen, als er.«

Drennan blinzelte, als wäre das eine Möglichkeit.

»Verdammt, was würde ich nicht geben, um noch eine Saison zu spielen.«

»Wir alle, mein Freund. Wir alle.«

»Wenigstens das Finale im FA Cup. An einem sonnigen Tag im Mai. Abide with Me singen. Wir gegen einen Gegner wie Tottenham oder Liverpool. Das komplette Wembley-Ding. So wie früher, bevor die Premier League und ausländische Trainer und Rupert Murdoch, der Idiot, den Fußball zu einer Nebenveranstaltung gemacht haben.«

»Ich weiß. So geht’s mir auch.«

»Ich will nur einen letzten ganz großen Auftritt in Wembley. Ein allerletztes Mal fette Schlagzeilen. Bevor ich endgültig Schluss mache.«

»Sicher, Matt, sicher. Du kannst die Gesänge der Fans dirigieren.«

»Ich mein’s ernst, Scott.«

Drennan setzte das Glas an die Lippen. Bevor er trinken konnte, nahm ich es ihm mit einer flinken Bewegung aus der Hand und stellte es weg.

»Komm schon, Matt«, sagte ich. »Der Wagen steht gleich vor der Tür. Ich würde dich ja hier pennen lassen, aber du trinkst mir nur die Bar leer, und dann muss ich dich rauswerfen. Besser, ich bring dich gleich nach Hause. Warum fahr ich dich nicht direkt zur Priory? Ist nicht mal ’ne halbe Stunde von hier. Ich sag dir was: Ich bezahl dir die erste Woche. Ein nachträgliches Weihnachtsgeschenk von deinem alten Kumpel bei den Gunners.«

»Ich würde ja, aber sie lassen einen nicht mal lesen da drin, und du weißt ja, wie das ist mit mir und den Büchern. Ich langweile mich ohne zu Tode.«

Wie zum Beweis warf er einen Blick auf ein eingerolltes Taschenbuch in seiner Jackentasche, als wollte er sich überzeugen, dass es noch da war.

»Warum? Warum lassen sie dich nicht lesen?«

»Die Mistkerle denken, dass man nicht aus seinem Schneckenhaus kommt und über seine beschissenen Probleme redet, wenn sie einen lesen lassen. Als würde das irgendwas besser machen. Ich versuche, wegzukommen von meinen Problemen und nicht mit dem Kopf voran gegen sie anzurennen. Außerdem muss ich nach Hause, wenigstens, um meinen Diamantstecker zu holen. Er ist mir rausgefallen, als Tiff mich verprügelt hat, und der dämliche Köter hat gedacht, er wär ein Bonbon, und hat ihn runtergeschlungen. Er mag Pfefferminz, okay. Ich hab den Hund in den Schuppen gesperrt, damit er den Stecker in Ruhe ausscheißen kann. Hoffentlich hat niemand die Töle rausgelassen. Der hat mich sechs Riesen gekostet.«

Ich lachte. »Und ich dachte, ich hätte die Scheißjobs bei London City.«

»Richtig.« Drennan grinste und stieß einen lauten Rülpser aus. »Ich mag das«, sagte er und deutete auf das Bild, bevor er sich im Wohnzimmer umsah und anerkennend nickte. »Gefällt mir. Deine Wohnung. Dein Mädchen. Du hast es geschafft, du altes Schlitzohr. Ich beneide dich, Scott. Aber ich freue mich auch für dich. Nach allem, was passiert ist, weißt du?«

»Komm jetzt, du Trottel. Ich bring dich nach Hause.«

»Vergiss es«, sagte Drennan. »Ich geh zur King’s Road und steig in ein Taxi. Vielleicht erkennt mich der Fahrer und nimmt mich umsonst mit. Passiert öfter.«

»Und so landest du in den Schlagzeilen, weil du mal wieder aus einem Pub geflogen bist.« Ich packte ihn beim Arm. »Ich fahr dich, basta.«

Drennan wand sich frei und schüttelte den Kopf. »Du bleibst hier bei deiner hübschen Lady. Ich nehm mir ein Taxi.«

»Auf direktem Weg nach Hause.«

»Versprochen.«

»Lass mich dich wenigstens zum Taxi begleiten«, sagte ich.

Ich brachte Drennan zur King’s Road, wo ich ein Taxi für ihn heranwinkte. Ich bezahlte den Fahrer im Voraus, und als ich Drennan beim Einsteigen half, steckte ich ihm zwei Hunderter in die Manteltasche. Ich wollte die Wagentür gerade schließen, als er sich umdrehte und meine Hand packte. In seinen hellblauen Augen standen Tränen.

»Danke, Scott.«

»Wofür?«

»Dafür, dass du ein Freund bist. Sonst hab ich ja nicht viele.«

»Dafür musst du mir nicht danken, Matt. Du am allerwenigsten.«

»Trotzdem. Danke.«

»Jetzt mach, dass du nach Hause kommst, bevor ich meine Violine hole.«

Vor dem Geldautomaten saß ein Mann auf dem Bürgersteig. Ich gab ihm einen Zwanziger, obwohl ich besser ihm die zweihundert gegeben hätte. Der Kerl war wenigstens nüchtern. Schon als ich das Geld in Drennos Tasche gesteckt hatte, war mir klar, dass ich einen Fehler machte. Genau wie ich wusste, dass es ein Fehler war, ihn nicht selbst nach Hause zu fahren. Aber man vergisst manchmal, wie schlimm Säufer sein können. Wie selbstzerstörerisch. Ganz besonders ein Säufer wie Drenno.

KAPITEL 3

Als ich nach Hause zurückkam, war Sonja in der Küche und machte das Abendessen. Sie war eine exzellente Köchin und hatte ein köstlich aussehendes Moussaka gezaubert.

»Ist er auf dem Heimweg?«

»Ja.«

Ich sog gierig den Duft des Moussaka ein. »Wir hätten Drenno zum Essen einladen sollen«, sagte ich. »Was Ordentliches im Magen ist wahrscheinlich genau das, was ihm fehlt.«

»Dem fehlt mehr als was zu essen«, erwiderte sie. »Zum Glück ist er weg.«

»Du solltest eigentlich die Mitfühlende sein.«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Ich dachte, das wäre Teil deines Jobs.«

»Meine Patienten brauchen kein Mitgefühl, sie brauchen Verständnis. Das ist ein Unterschied. Drenno will auch kein Mitgefühl. Er will etwas, das unmöglich ist. Er will die Zeit zurückdrehen. Sobald er das einsieht und sein Leben und sein Verhalten entsprechend korrigiert, haben sich seine Probleme erledigt. Bei dir war es doch das Gleiche. Wenn er das nicht schafft, kann man jetzt schon absehen, wo es endet. Das ist einer von denen, die wirklich den eigenen Untergang wollen. Ein Fall wie aus dem Lehrbuch.«

»Da könntest du recht haben.«

»Selbstverständlich habe ich recht. Ich bin Ärztin.«

»Das sagst du.« Ich schlang die Arme um sie. »Aber für mich bist du die attraktivste Spielerfrau, der ich je begegnet bin.«

»Ich nehme das als Kompliment, obwohl ich für Coleen Rooney und ihresgleichen wirklich nichts übrig habe.«

Wir aßen am Küchentresen und wollten gerade schlafen gehen, als das Telefon läutete. Das Display zeigte Corinne Rendall an, Viktor Sokolnikows Sekretärin. Ich hatte nicht viel mit Viktor zu tun, worüber ich manchmal froh war. Wie viele andere auch hatte ich das BBC Panorama Special über Sokolnikow gesehen. Angeblich hatte er sein Geschäft von einem ukrainischen Landsmann mit Namen Natan Fissanowitsch übernommen, einem Boss der Russenmafia in Kiew. Fissanowitsch war zusammen mit drei seiner Spießgesellen 1996 völlig unerwartet von der Bildfläche verschwunden. Die vier waren erst Monate später wieder aufgetaucht – in flachen Gräbern. Sokolnikow stritt vehement ab, irgendetwas mit Fissanowitschs Tod zu tun zu haben, aber was sollte er auch sagen.

Ich nahm den Hörer ab.

»Viktor Sokolnikow will wissen, ob Sie in zehn Minuten einen Anruf von ihm entgegennehmen können«, sagte Corinne.

Instinktiv warf ich einen Blick auf meine Uhr – eine brandneue Hublot – und überlegte, dass ich den Mann, der zehn Riesen für mein Weihnachtsgeschenk ausgegeben hatte, schlecht warten lassen konnte. Zarco, ich, jeder im Team hatte genau die gleiche Hublot bekommen.

»Ja, selbstverständlich.«

»Gut. Wir melden uns.«

Ich legte das Telefon zurück. »Ich frage mich, was er will…«

»Wer?«

»Sokolnikow.«

»Pass auf, Scott. Ich will nicht irgendwann morgens aufwachen und feststellen, dass ich mir die Zehen an einem abgetrennten Pferdekopf gewärmt habe.«

»Sokolnikow ist nicht so, Sonja.« Ich stellte die Teller in den Geschirrspüler. »Er ist überhaupt nicht so.«

»Wenn du mich fragst, sind sie alle so.« Sie schob mich in Richtung Wohnzimmer. »Geh und warte auf deinen Anruf, okay? Ich räume auf. Abgesehen davon musst du ziemlich erschöpft sein, nachdem du diese Uhr den ganzen Tag lang herumgeschleppt hast.«

Wenige Minuten später rief Corinne erneut an: »Scott?«

»Ja.«

»Ich habe Viktor in der Leitung.« Es klickte.

»Viktor! Ein frohes neues Jahr und noch mal danke für die Uhr! Das war sehr großzügig von Ihnen.«

»War mir ein Vergnügen, Scott. Freut mich, dass sie Ihnen gefällt.«

Sie gefiel mir gut, aber Sonja hatte recht: Es war ein ziemlich klobiges Ding.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte ich.

»Eine Menge, Scott. Zuerst zu Didier. Sie haben ihn heute besucht, richtig?«

»Er ist immer noch bewusstlos, leider.«

»Ein Jammer. Ich besuche ihn, sobald ich wieder in London bin. Im Augenblick bin ich in Miami, auf dem Weg zur Jacht in der Karibik.«

Mit ihren einhundertfünf Metern war die Lady Ruslana, Sokolnikows Jacht, vielleicht nicht die größte auf der Welt, aber immerhin genauso lang wie ein Standard-Fußballfeld – was den Zeitungen nicht verborgen geblieben war. Einmal war ich auf dem Schiff eingeladen und hatte schockiert erfahren, dass allein das Auftanken siebenhundertfünfzigtausend Pfund kostete – ein ganzes Jahresgehalt für mich.

»Er ist ein starker junger Kerl. Wenn sich jemand von so einer Verletzung wieder erholen kann, dann Didier Cassell.«

»Das hoffe ich.«

»Was ist mit Ayrton Taylor?«

»Der Kopfball, der sich als Hand herausgestellt hat?«

»Genau der.«

In der Partie gegen Tottenham hatte unser Mittelstürmer Ayrton Taylor einen Eckball scheinbar mit dem Kopf verwandelt, und der Schiedsrichter, Howard Webb, hatte das Tor gegeben. Aber während alle anderen gejubelt hatten, war Taylor zu Webb gegangen und hatte ihm gesagt, dass der Ball von seiner Hand abgesprungen war. Woraufhin Webb seine Entscheidung revidiert und Abstoß für Tottenham angezeigt hatte – Anlass für wütende Pfiffe und wüste Beschimpfungen gegen Webb und Taylor.

»War es richtig, was er getan hat? Was denken Sie?«, fragte Sokolnikow.

»Wer? Taylor? Na ja, in der Zeitlupe sah man deutlich, was passiert ist. Der Mann kriegt die volle Punktzahl für sportliche Fairness. Das schreiben jedenfalls sämtliche Zeitungen. Vielleicht ist es Zeit, dass es wieder fairer zugeht. Erinnern Sie sich noch, wie Paolo di Canio bei West Ham gegen Everton den Ball in die Hände nahm, anstatt ihn im leeren Tor von Everton zu versenken? Ich weiß, João sieht das anders, aber Sie haben ja mich gefragt. Ich war dabei, als Daniel Sturridge von Liverpool 2013 ein Tor gegen Sunderland gemacht hat, das ganz klar Handspiel war. So verstohlen, wie er zum Linienrichter geschielt hat, war es sonnenklar, dass er es auch wusste. Dass der Treffer nicht sauber war, meine ich. Aber er zählte, und Liverpool gewann das Spiel. Oder denken Sie an Diego Maradona bei der Weltmeisterschaft 1986 gegen England.«

»Die Hand Gottes.«

»Ganz genau. Maradona war einer der größten Spieler auf diesem Planeten, aber dieses eine Tor hat seinen Ruf ramponiert.«

»Guter Punkt. Aber Webb hatte das Tor bereits gegeben, oder? Und ein versehentliches Handspiel ist doch anders zu bewerten als ein absichtliches?«

»Regel fünf ist da ganz eindeutig. Der Schiedsrichter darf seine Meinung so lange ändern, bis er das Spiel wieder angepfiffen hat. Das hatte er noch nicht. Also war das nicht gegen die Regeln. Glauben Sie mir, so was braucht Mumm. Jeder andere außer Howard Webb hätte das Tor nicht zurückgenommen, trotz Taylors Geständnis. Die meisten Schiedsrichter sind zu feige, um sich zu korrigieren.

Außerdem war es wichtig, was Taylor hinterher gesagt hat. Dass das Team seinen Sieg Didier widmen wollte und es daher keinen Zweifel an diesem Sieg geben sollte. Es war vielleicht Glück, dass wir zwei-eins gewonnen haben. Ich wäre bestimmt nicht so gut drauf, wenn wir zwei Punkte liegen gelassen hätten. Andererseits wäre ich nicht überrascht, wenn Taylor jetzt zum Spieler des Monats gewählt wird. Diese Sorte Fairplay rückt die FA gerne ins Rampenlicht.«

»Okay. Überzeugt. Jetzt zu diesem schottischen Torwart, diesem Kenny Traynor. Zarco sagt, dass Sie ihn schon seit einer Weile beobachten.«

»Das ist richtig.«

»João will ihn kaufen.«

»Ich auch.«

»Neun Millionen Pfund sind kein Pappenstiel für einen Torhüter.«

»Sie werden noch froh sein, wenn wir beim Elfmeterschießen in einem europäischen Finale einen neun Millionen Pfund teuren Torwart zwischen den Pfosten haben. Einen wie Manuel Neuer, der hat 2013 Lukakus Elfmeter gehalten und den Deutschen den Sieg im UEFA Supercup gerettet. Im Jahr davor hätte Neuer beinahe die Champions League für Bayern München gewonnen. Herrgott, er hat sogar selbst beim Elfmeterschießen getroffen! Nein, Boss, wenn es hart auf hart kommt, dann wollen Sie bestimmt nicht Calamity James im Tor stehen haben.«

Calamity James war der Spitzname, den die Anhänger von Liverpool unfairerweise James Davis gegeben hatten, als der noch für Liverpool gespielt hatte.

»Wenn man es so betrachtet – ja, vermutlich haben Sie recht.«

»Traynor ist die schottische Nummer eins. Nicht, dass die da oben die große Auswahl hätten. Aber ich habe selbst gesehen, wie er beim Spiel gegen Portugal in Hampden spektakulär gehalten hat. Die Schotten reden heute noch davon. Cristiano Ronaldo hatte aus achtzehn Metern abgezogen, und der Ball wäre genau in der oberen rechte Ecke gelandet. Ich schwöre Ihnen, Traynor hat einen Satz von fast sechs Metern gemacht, um den Ball noch über die Latte zu lupfen. Es sah aus, als könnte er fliegen, wie Superman. Schauen Sie’s auf YouTube an. Die Jocks nennen ihn nicht umsonst Clark Kent. Er ist ein netter Kerl, ruhig und nicht launisch wie viele oben im Norden. Im Training ist er immer top, und er ist gesegnet mit den größten, sichersten Händen im gesamten Fußball. Hat sie von seinem Vater, einem Metzger aus Dumfries. Die sind so groß wie ein ganzer verdammter Schinken. Seine Hand-Auge-Koordination ist sensationell. An der Batak-Maschine hat er hundertsechsunddreißig Punkte geschafft. Der Rekord steht bei hundertneununddreißig.«

»Keine Ahnung, wovon Sie reden…«, sagte Viktor.

»Ganz zu schweigen von seinem Abschlag. Der Junge hat einen Bums, fragen Sie nicht nach Sonnenschein.«

»Ich habe mir einige Clips angesehen, ja, der Junge ist gut. Wenn nur nicht ausgerechnet Denis Kampfner sein Agent wäre. Der Mann ist ein Gangster.«

Ich biss mir auf die Zunge. Beinahe hätte ich »Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen« gesagt.

»Agenten sind alle Gangster, Viktor. Wenigstens ist Kampfner ein offiziell bei der FIFA registrierter Gangster.«

»Als würde das einen Unterschied machen.«

»Es ist wie bei der Evolution, Viktor. Agenten sind wie die Vögel, die auf dem Rücken von Nashörnern sitzen und ihnen die Zecken aus den Ohren picken.«

»Zehn Prozent von neun Millionen sind mehr als ein paar Zecken.«

»Das ist richtig.«

»Vielleicht schalte ich meinen eigenen Agenten ein. Zarco meint, das sollte ich.«

»Ich dachte, dafür haben wir einen Sportdirektor? Für solche Deals.«

»Trevor John ist eher ein Botschafter, kein Einkäufer. Sein Job ist es, den Club gut aussehen zu lassen, wenn ich – dank der BBC – wieder einmal alles andere als gut dastehe. Unter uns: Trevor könnte nicht mal eine Tüte Kartoffelchips kaufen, ohne sich über den Tisch ziehen zu lassen.«

»Verstehe. Ist natürlich Ihre Sache, wem Sie den Abschluss zutrauen, Viktor. Ihre Entscheidung, Ihr Geld.«

»Absolut richtig. Haben Sie eigentlich die Sendung gesehen? Panorama?«

»Ich? Ich sehe nie fern, außer Fußball oder mal einen netten Film. So einen Mist wie Panorama sehe ich mir ganz bestimmt nicht an. Warum?«

»Nur damit Sie Bescheid wissen – ich werde die BBC verklagen. Nicht ein wahres Wort in der ganzen Sendung. Nicht mal meinen Vaternamen haben sie richtig recherchiert. Er lautet Jewegenowitsch und nicht Sergejewitsch.«

»Oh. Verstehe. Diese Fernsehfritzen sind Idioten, das stimmt. Sind Sie am Sonntag eigentlich zum Spiel gegen Leeds hier?«

»Vielleicht. Ich weiß es noch nicht. Kommt auf das Wetter in der Karibik an.«

KAPITEL 4

Das Trainingsgelände von City in Hangman’s Wood war das beste seiner Art in ganz England, mit mehreren großen Plätzen, einer Trainingshalle, Behandlungsräumen und einer Reha-Abteilung, Saunen, Dampfbädern, Fitnessräumen, Physiotherapie und Massage, mehreren Restaurants, einem Röntgen- und einem MRT-Gerät, Hydrotherapiebädern, Eisbädern und einer Akupunkturabteilung, Basketballfeldern und einem Velodrom. Es gab sogar ein Fernsehstudio, wo Spieler und Trainerstab für den clubeigenen Sender interviewt werden konnten.

Für die Öffentlichkeit war Hangman’s Wood Sperrzone – was die Medien natürlich hassten. Hohe Mauern und Natodraht umgaben unsere Fußballfelder, so dass die Kameraleute der Boulevardpresse unser Training nicht verfolgen konnten. Nicht zuletzt, um Auseinandersetzungen zwischen Spielern oder sogar zwischen Spielern und Trainern, wie sie in der emotional aufgeladenen Welt des modernen Sports manchmal unvermeidlich sind, geheim zu halten. (Wer könnte die in sämtlichen Medien breitgetretene Rangelei zwischen Roberto Mancini und Mario Balotelli 2013 je vergessen?)

Und im Hinblick darauf, was an diesem speziellen Morgen auf dem Gelände von Hangman’s Wood passieren sollte, war das nicht die schlechteste Maßnahme.

Nicht, dass es viel zu sehen gegeben hätte; João Zarco zog es vor, mir die Trainingseinheiten zu überlassen. Er beobachtete das Geschehen normalerweise von der Seitenlinie oder sogar durch das Fernglas vom Fenster seines Büros aus. Für Fitness und Fußballunterricht war ich verantwortlich, und deshalb hatte ich auch eine engere Beziehung zu den Spielern. Ich war zwar keiner von ihnen, aber ich war ihnen von allen im Verein am nächsten.

João Zarco war zuständig für die Spielphilosophie, die Aufstellung, die Motivation des Teams am Spieltag, die Transfers, die Taktik, Entlassungen und Einstellungen. Er wurde auch ein ganzes Stück besser bezahlt als ich – ungefähr zehnmal besser. Aber mit seinem Stil, seiner Ausstrahlung und seinem unglaublichen Fußballverstand war er in diesem Moment wahrscheinlich der beste Fußballtrainer in ganz Europa. Ich liebte ihn, als wäre er mein älterer Bruder.

Wir fingen um zehn Uhr an, wie üblich draußen auf dem Platz. Es war ein bitterkalter Morgen, und das Spielfeld war hart gefroren. Einige Spieler trugen Schals und Handschuhe, manche sogar Leggins. Während meiner aktiven Zeit hätte ihnen das hundert Liegestütze eingebracht, zwei Runden um das Feld und einen schiefen Blick vom Vereinspräsidenten. Aber manche Jungs tauchen heute mit mehr Cremes und Haarprodukten in ihren Louis-Vuitton-Kulturtäschchen auf, als meine erste Frau auf ihrem Schminktisch stehen hatte. Ich kenne Fußballer, die sich weigerten, am Kopfballtraining teilzunehmen, weil sie am Nachmittag ein Shooting für Haarshampoo hatten. Bei solchen Gelegenheiten kommt bei manchen Trainern schon mal der Sadist durch. Ich glaube, dass man mit einem Tritt in den Hintern und einem Witz weiter kommt als nur mit einem Tritt in den Hintern. Das Training muss hart sein, der professionelle Fußball ist schließlich noch härter.

Ich hatte gerade das Paarlaufen mit den Jungs absolviert, was jedes Mal eine Menge Laktat in den Kreislauf spült – eine schnelle Methode, um herauszufinden, wer wirklich fit ist und wer nicht. Paarlaufen ist eine Art Zwei-Mann-Fahrtspiel – ein Mann sprintet zweihundert Meter die Aschebahn entlang und klopft seinen Partner ab, der gemütlich quer über den Rasen gejoggt ist und anschließend sprintet, während der erste über den Rasen zurückjoggt, und so weiter. Irgendwann japsen alle, besonders die Raucher.

Ich habe nur während meiner Zeit im Kittchen geraucht. Man hat schließlich nichts anderes zu tun im Knast.

Dann machten wir eine Runde Kopf-und-Schwanz, bei der ein Spieler so schnell er kann mit dem Ball auf das Tor zustürmt und schießt, bevor er sich umdreht und zum Verteidiger wird. Er soll dann den Nächsten aufhalten und so weiter. Es klingt einfach und ist es auch, aber wenn man es schnell spielt und die Spieler müde sind, ist es ein echter Test. Es ist schwer, den Ball zu kontrollieren, wenn man am Tempolimit sprintet und völlig erledigt ist.

Nebenbei erklärte ich ihnen, warum wir das machten. Das Training ist leichter, wenn man weiß, worum es geht.

»Wenn wir fit sind, können wir das Spiel breit machen und Räume erzeugen. Räume erzeugen heißt, dem Gegner den Wind zu nehmen, seinen Geist zu brechen. Ihr müsst Augen im Hinterkopf haben, ihr sollt sehen, wer im freien Raum steht. Dahin sollt ihr passen und nicht zum nächsten Mitspieler. Der Ball muss laufen. Leeds stellt sich hinten rein und verteidigt schmutzig. Seid geduldig mit dem Ball. Wenn ihr nicht abwartet, verliert ihr den Ball.«

Zarco mischte sich mehr ein als sonst. Er brüllte von der Seitenlinie Anweisungen und kritisierte einige Spieler, weil sie ihm nicht schnell genug rannten. So heruntergemacht zu werden ist schlimm genug, wenn man außer Atem ist, aber es ist noch fieser, wenn man vor Anstrengung fast kotzt.

Nach der Übung kam Zarco auf das Spielfeld. Instinktiv versammelten sich die Spieler um ihn. João Zarco war groß und hager. Er sah immer noch wie der furchtlose Innenverteidiger aus den Neunzigern aus, der für Porto, Inter Mailand und Celtic gespielt hatte. Er war auf rustikale Weise attraktiv, mit Dreitagebart, schläfrigen Augen und einer gebrochenen Nase so dick wie ein Torpfosten. Sein Englisch war gut, er redete mit dunkler, monotoner und matter Stimme. Wenn er lachte, dann in einem hellen Falsett, beinahe mädchenhaft, was die meisten Menschen – mich ausgenommen – bedrohlich fanden.

»Herhören, Gentlemen«, begann er leise. »Meine Philosophie ist ganz einfach. Ihr spielt Fußball so gut ihr könnt, so hart ihr könnt. Immer und für alle Zeit. Amen.«

Ich begann, seine Ansprache für unsere beiden spanischen Spieler Xavier Pepe und Juan-Luis Dominguín zu übersetzen – ich spreche ziemlich gut Spanisch und Italienisch, und mein Deutsch ist nahezu fließend, kein Wunder bei einer deutschen Mutter. Ich ahnte, dass den Jungs eine üble Standpauke bevorstand. Zarcos schlimmste Anschisse fingen immer im ruhigsten und traurigsten Tonfall an.

»Diese Philosophie lässt euch nicht im Stich, im Gegensatz zu Lenin oder Marx oder Nietzsche oder Tony Blair. Aber nicht mal sie kann mir erklären, wie man es fertigbringt, drei-vier zu verlieren, wenn man zur Halbzeit drei-null vorne liegt. Ausgerechnet gegen Newcastle!«

Die weniger Schlauen im Kader fingen an zu grinsen. Ein unverzeihlicher Fehler.

»Ich dachte, es wäre unerklärlich.« Er lächelte niederträchtig und wedelte mit dem Finger. »Bis ich eure Vorstellung von einer Trainingseinheit heute Morgen gesehen habe. Scott, nichts gegen dich, mein Freund – du hast wirklich alles versucht, um aus einem Schweineohr eine Seidentasche zu machen, wie immer.

Jedenfalls ist mir ein Licht aufgegangen. Wie aus heiterem Himmel. Jetzt kenne ich den Grund – ihr seid eine Bande von faulen Arschlöchern. Und wisst ihr, warum ein faules Arschloch faules Arschloch genannt wird? Weil es nicht mal zum Scheißen taugt. Und ein Arschloch, das nicht mal zum Scheißen taugt, taugt zu überhaupt nichts.«

Jemand kicherte.

»Findest du das lustig, Arschloch? Ich mache keine Witze. Oder siehst du mich lachen? Glaubst du, Viktor Sokolnikow zahlt mir Millionen, damit ich hier unten auf dem Platz beschissene Witze mache? Nein. Die Einzigen, die hier unten Witze machen, seid ihr, wenn ihr so tut, als würdet ihr Fußball spielen. Null-null gegen Manchester United? Das war ein Witz. Ich sage euch mal was: Die Natur verabscheut sinnlosen Kraftaufwand. Und ich auch. Solange wir keine Tore schießen, gewinnen wir nicht, und das ist alles, Gentlemen, das ganze Geheimnis dahinter.

Ihr wisst, dass eine Menge über dieses Team geredet wird. Was verrückt ist, ihr könnt ja noch nicht mal den Tee im Bus nach Hause kochen, geschweige denn Geschichte schreiben. Im Ernst, ich sehe euch an und frage mich, was mich geritten hat, diesen Club zu trainieren, wenn ihr hier Däumchen dreht. Gestern hat mich so ein Scheißkerl von einem Reporter gefragt, was einen guten Trainer ausmacht. Und ich habe geantwortet: ›Gewinnen, Idiot! Gewinnen ist das, was einen guten Trainer ausmacht. Und jetzt fragen Sie mich was Besseres. Fragen Sie mich, was das Ziel eines guten Trainers sein sollte, und ich gebe Ihnen eine ausführlichere Antwort für Ihre Leser. Ich schreibe sie sogar für Sie auf, Arschloch!‹

Wie immer habe ich seine Arbeit für ihn gemacht, okay? Ich helfe ja gerne. Das Ziel eines guten Trainers ist es, elf Arschlöchern zu zeigen, wie man wie ein Mann spielt. Aber wenn ich euch so anschaue, kommen selbst mir Zweifel. Jeder Trainer in dieser Liga ist das Produkt seiner Zeit. Aber mal ehrlich: Ich bin der Einzige, der herausragt. Ich kann das Unmögliche möglich machen. Aber ich bin nicht Jesus, und wenn ich euch so anschaue, fürchte ich, dass nicht einmal ich das Wunder vollbringen kann, elf Arschlöcher wie einen Mann spielen zu lassen.

Das größte Arschloch, das ich heute Morgen auf dem Platz gesehen habe, bist du, Ron. Und du, Xavier. Und du, Ayrton. Stinkfaul! Das heißt, du bist noch fauler als die anderen. Faul mit dem Ball und noch fauler ohne. Wenn du den Ball nicht findest, dann such Raum, verdammt! Ihr kennt doch Gordon Gekko in diesem Film? Gier ist gut, hat er gesagt. Meine Rede! Du musst den Ball vom Gegner zurückerobern, als ginge es um dein Leben, Xavier. Ron, du musst so heiß sein auf den Ball wie auf die Titten deiner Mama, als du ein Säugling warst.«

»Jawohl, Boss«, sagte Ron Smythson.

»Was in deinem Fall wahrscheinlich keine Woche her ist, Ayrton. Du spielst wie ein Kleinkind, nicht wie ein Mann. Guck dich mal an! Die Schnürsenkel offen, die Socken auf halb acht – warum nuckelst du nicht am Daumen wie Jack Wilshere, das Baby? Du bist nicht mal außer Atem, du Arschloch! Du bist ein Arschloch, das nicht mal zum Scheißen taugt. Ein Arschloch, das nicht mal wert ist, gefickt zu werden. Und noch eins, Ayrton: Fußball zu spielen, weil’s so schön ist und weil du mal irgendwann ein Gedicht darüber gelesen hast, wie es ist, ein englischer Gentleman zu sein, ist ein Luxus, den sich nicht mal Viktor Sokolnikow leisten kann. Wenn du das unter Fußball verstehst, dann geh nach Eton oder Harrow oder zu einer der beiden anderen schwulen Schulmannschaften, wo sie Fußball spielen, weil sie in Wirklichkeit die Schlacht von Waterloo gewinnen wollen. Aber nicht zu London City. Geh und lutsch Schwänze bei der FIFA, vielleicht kriegst du von denen einen Fairplay-Preis. Das ist mir scheißegal.

Wenn du einen Steifen brauchst, um den beschissenen Ball ins Netz zu stochern, dann nur zu! Solange du ein Tor machst, ist es mir völlig egal, ob das deine Chancen aufs Kinderkriegen ruiniert. Das ist nämlich dein Job, mein Freund. Dafür kriegst du hundert Riesen in der Woche! Um zu gewinnen. Wenn also der Ball das nächste Mal von deiner Hand ins Netz geht, dann wirst du auf einen Stapel Bibeln schwören, dass du ihn mit dem Kopf oder dem Fuß getroffen hast, oder du bist raus aus dieser beschissenen Mannschaft, ist das klar?«

»Leck mich!«, sagte Taylor. »Ich muss mir diesen Mist nicht bieten lassen, nicht von Ihnen und von niemand anderem.«

Ich schloss die Augen. Ich wusste, was als Nächstes kommen würde. Dachte ich zumindest.

»Doch, das musst du.« Zarco machte zwei Schritte vor, baute sich vor dem armen Taylor auf und versetzte ihm einen Stoß. »Und wie du das musst, du dummer kleiner Junge. Ich rede, und du hörst zu. Selbst wenn es dir nicht passt. Ganz besonders, wenn es dir nicht passt. Und jetzt häng dich gefälligst mehr rein.«

»Leck mich!«

Es war eine Weile her, dass ich erlebt hatte, wie Zarco die Stimme erhob. Das Ergebnis war – Phil Spector möge es mir verzeihen – eine Wand aus Lärm. Vielleicht kam es mir auch lauter vor, weil Zarco sonst sehr leise redete. Aber wenn er direkt vor einem stand und man sein Gaumenzäpfchen sehen konnte, ganz zu schweigen von dem, was er zum Frühstück gegessen hatte, dann war es verdammt laut.

»Streng dich mehr an!«, brüllte er. »Streng dich an! Reiß dir den Arsch auf, verdammt!«

In so einem Moment sollte man die Augen schließen und den Orkan über sich hinwegfegen lassen. Ich habe Spieler gesehen, die hinterher geweint haben. Große, harte Kerle. Taylor war einer der Stammspieler, ein harter Typ aus Liverpool, der es nicht gewohnt war, dass Leute ihm ins Gesicht brüllten. Er drehte sich um und wollte gehen – eine noch schlechtere Idee als zurückzubrüllen.

Zarco packte den nächstbesten Gegenstand – einen Trainingskegel aus Plastik – und schleuderte ihn Taylor hinterher. Der Kegel traf Taylor zwischen den Schulterblättern und hätte ihn fast von den Beinen gerissen. Wutentbrannt, mit Mordlust in den Augen, fuhr er herum und wollte Zarco an die Gurgel.

»Du verdammtes Arschloch!«, brüllte er, während ihn seine Kameraden an den Armen packten und festhielten. »Ich bring den Kerl um! Ich bring den selbstgefälligen Wichser um!«

Zarco stand da, als könnte ihn nichts auf der Welt weniger interessieren als Taylors Drohungen. Jetzt fragte ich mich nicht mehr, wie er in seiner Zeit als Innenverteidiger bei Celtic ohne mit der Wimper zu zucken einen Schlag von Billy Gibson, dem Mittelstürmer von Hibernian Edinburgh, eingesteckt hatte, der ihn zwei Zähne kostete. Gibson war vom Platz geflogen, und Zarco hatte sich nicht nur das Revanchefoul verkniffen, sondern bis zum Ende weitergespielt und mit einem Kopfball das Siegtor gemacht. Allerdings war er seinerzeit berüchtigt dafür, seine Gegner brutal umzumähen. Er hatte eine Menge Stürmer zu Tätlichkeiten provoziert, die daraufhin vom Platz geflogen waren. Wenig überraschend, dass der Bleacher Report »Zarco, die Sense« immer noch als einen der härtesten Spieler listete.

»Das war’s«, sagte Zarco. »Du bist raus, du Arschloch. Deine siebentausend Follower brauchen neue Tweets? Twittere ihnen das, du kindisches Arschloch.«

Aber das war noch nicht alles. Noch am gleichen Nachmittag setzte Zarco Taylor auf die Transferliste. Mir dämmerte, dass der machiavellistische Portugiese den ganzen Zwischenfall von Anfang an provoziert hatte, um ein Exempel zu statuieren und die anderen Stammspieler anzuspornen.

So viel zum Sportsgeist in unserem schönen Spiel, könnte man jetzt sagen. Aber Zarco hatte in einer Hinsicht recht: Ayrton war in der Tat faul, wahrscheinlich der faulste Spieler in der ganzen Mannschaft. Wir waren überzeugt, dass Didier Cassell sich gar nicht erst verletzt hätte, hätte Taylor Alex Pritchard nicht den Raum zum Schuss gelassen und ihn stattdessen angegriffen, wie man es eigentlich hätte erwarten können. Abgesehen davon hatten wir jüngere Stürmer, die genauso gut waren wie Taylor und nur halb so viel verdienten. Um eine Mannschaft zu verbessern, ist es manchmal genauso effektiv, einen Spieler auszusortieren, wie einen neuen Spieler hinzuzukaufen.

Zurück in meinem Büro schrieb ich auf, was Zarco gesagt hatte – nicht, weil ich anderer Meinung gewesen wäre, sondern weil ich alles notierte, was er über Fußball sagte. Eines Tages würde ich ein Buch über ihn schreiben. Die meisten Fußballer-Biografien sind langweilig wie nur irgendwas, aber das konnte man über meinen Boss beim besten Willen nicht sagen. Neben Matt Drennan war João Gonzales Zarco sicher die faszinierendste Gestalt im englischen Clubfußball, möglicherweise sogar im gesamten europäischen Fußball. Er sah das natürlich nicht so, und wahrscheinlich hätte er sich nicht gerade gefreut, dass ich jedes kleine Detail notierte. Zarco konnte im Job sehr direkt sein, aber er war ein ausgesprochen verschwiegener Mensch.

Zu Hause sah ich mir an diesem Abend Match of the Day2 an, und da war er wieder, direkt und unverblümt wie eh und je, nur dass Zarco – der jüdisch war – diesmal nach seiner Meinung zur Weltmeisterschaft 2022 in Katar gefragt wurde.

»Ich habe keine Lust, ein Land zu besuchen, wo ich nicht mit einem Freund aus Israel ein Glas Wein trinken kann. Oder mit einem schwulen Freund. Ja, ich habe schwule Freunde. Wer nicht? Ich bin eben zivilisiert. Und dann muss man nun mal tolerant sein, anderen gegenüber. Die gerne Alkohol trinken. Vielleicht sogar zu viel Alkohol. Das ist Privatsache – es sei denn, man ist in Katar. Vielleicht ist das in zehn Jahren anders, aber ich bezweifle es. Angeblich sind ja inzwischen fast einhundert nepalesische Arbeiter auf WM-Baustellen in Katar gestorben, schreibt der Guardian. Das muss man sich mal vorstellen! Einhundert Menschen sind tot, damit so ein winziges Land ein völlig belangloses Fußballturnier austragen kann.

Das ist Irrsinn! Mit Fußball hat das nichts mehr zu tun. Da geht es nur noch um Geld und Politik. Die letzte richtige Weltmeisterschaft war 1974, als Deutschland der Gastgeber war. Seit Argentinien 1978 war alles nur noch ein einziger verdammter Witz! Man hätte niemals eine WM in einem Land mit einer Militärdiktatur wie der argentinischen ausrichten dürfen. Das war doch alles Betrug und Bestechung.

Und jetzt ist Katar Gastgeber. Alles daran ist falsch. Man weiß doch, dass Frauen es nicht leicht haben in einem arabischen Land. Da ist es ja schon ein Glück, dass das größte Stadion in Katar wie eine riesige Vagina aussieht. Was für eine Ironie, dass die größte Vagina der Welt jetzt in Katar steht. Ich mag Vaginas ja sehr. Mein Leben hat in einer angefangen, wissen Sie? Ist ja nichts Besonderes. Aber es wird allmählich Zeit, dass die arabischen Länder die Tatsache akzeptieren, dass die halbe Menschheit eine Muschi hat.

Außerdem: Warum will ein Land, in dem man ausgepeitscht werden kann, weil man Alkohol getrunken hat, unbedingt Gastgeber einer Horde englischer, niederländischer oder deutscher Fußballfans sein? Ob ich überrascht bin, dass die FIFA Katar gewählt hat? Nein, nicht im Mindesten. Nichts an der FIFA könnte mich je überraschen. Vielleicht hat ja niemand der FIFA gesagt, dass es in Katar im Sommer ziemlich heiß ist. Dass es selbst im Winter noch zu heiß ist, um irgendwas anderes zu tun, als ein paar arme Kerle auszupeitschen, weil sie schwul sind. Oder getrunken haben. Ich habe gehört, dass die Katarer ihre Stadien mit Solarzellen klimatisieren wollen. Aber ich habe so meine Zweifel, ob Sonnenenergie ausreicht, um die Bestechungsvorwürfe loszuwerden. Übrigens, wenn Sie wollen, dass ich in Zukunft den Mund halte, zahlen Sie mir einfach eine Million Dollar wie den FIFA-Leuten. Wobei – wenn ich’s mir genau überlege, besser zwei Millionen. Dann erzähle ich Ihnen sogar, wie wunderbar alles sein wird bei der WM 2022 in Katar!«

Typisch João Zarco. Der Mann war einfach guter Stoff. Auch wenn er gelegentlich zu viel redete, wie er selbst einräumte, und die Leute sich wehrten und zurücktraten. Buchstäblich. In einem legendären Interview bei Sky Sports nannte Zarco den irischen Fußballexperten und früheren Spieler Ronan Reilly – der zu diesem Zeitpunkt neben ihm saß – »ein Stück Scheiße« und unfähig, eine Spielzeugeisenbahn zum Laufen zu kriegen, geschweige denn eine Fußballmannschaft.

Woraufhin Reilly sagte, dass Zarco die größte Klappe der Fußballwelt habe und dass er sich eines Tages ordentlich den Mund verbrennen würde. Und wenn es so weit wäre, würde Reilly mit Freuden vorbeikommen und ihm den Rest geben.

Ein oder zwei Wochen später gerieten die beiden nach der Verleihung des BBC Sports Personality of the Year Award erneut aneinander und mussten von Sicherheitsleuten getrennt werden.

Aber nicht alle seine Opfer konnten sich wehren. Lionel Sharp zum Beispiel, der als Schiedsrichter im vergangenen Oktober ein UEFA-Match von London City gegen Juventus Turin geleitet hatte – ein Auswärtsspiel, das City null-eins verlor. Beim anschließenden Interview auf ITV deutete Zarco an, dass Juve – nicht gerade eine kleine Nummer, wenn es um Einflussnahme durch Bestechung und verschobene Spiele ging – Sharp in der Halbzeit geschmiert hätte, so dass er in der zweiten Hälfte einen Strafstoß gegen City pfiff. Sharp wurde danach auf Twitter massiv beschimpft und bedroht, weswegen er schließlich eine tödliche Überdosis Schlaftabletten schluckte.

Man konnte ihn lieben oder hassen, interessant war João Zarco immer.

KAPITEL 5

Nach einer harten Trainingseinheit in Hangman’s Wood gehe ich in die Eistonne, und dann folgt manuelle Therapie. Eine Massage von Jimmy Gregg, dem Masseur des Clubs, ist unerträglich schmerzhaft. Jimmy hat Finger wie Feuerzangen. Deswegen heißt es Sportmassage: Man muss ein verdammt guter Sportsmann sein, um das auszuhalten, ohne Jimmy in die Fresse zu hauen. Je älter ich werde, desto schlimmer kommt es mir vor. So sehr ich mich auch zusammenreiße, die Prozedur stoisch wie ein Spartaner zu ertragen, am Ende quieke ich jedes Mal wie ein verängstigtes Meerschweinchen. Das geht aber nicht nur mir so. Und weil Fußballer auf alles und jeden wetten, schließen die Jungs untereinander oft Wetten ab, wer es dreißig Minuten ohne einen Mucks auf Jimmys Tisch aushält. Bis jetzt hat es noch niemand geschafft.

Jimmy ist stolz auf seine Kunst, die Massage ist oft schlimmer als das Training. Kein Wunder, dass wir Jimmys Behandlungszimmer das »Verlies von London City« nennen.

Manchmal, wenn ich abends vom Training nach Hause komme, stellt Sonja einen Massagetisch im Bad auf und schlüpft in High Heels und einen kleinen weißen Kittel, der kaum den Saum ihrer Strümpfe und ihren winzigen Stringtanga bedeckt. Sie macht einen auf Masseuse – Happy Ending inklusive. Sie hat wunderbar sensible Finger und beherrscht die Technik des Berührens, ohne wirklich zu berühren, perfekt. Aber die liebkosende Berührung ihrer Hände ist nichts im Vergleich zu ihrem wunderbaren Mund. Sie trinkt gerne einen Schluck eiskalten Martini, bevor sie meinen Schwanz in den Mund nimmt, und die Kombination von Alkohol, ihren Lippen und ihren Zähnen schießt mich jedes Mal zurück ins Paradies. Christus bei seiner Auffahrt in den Himmel kann sich nicht besser gefühlt haben.

»Das nenne ich eine Massage«, sagte ich, als ich an dem Abend nach Zarcos Ausraster vom Tisch kletterte und zu ihr in die Dusche stieg. »Wenn es das jemals auf Krankenschein gibt, können wir uns vor Einwanderern gar nicht mehr retten.« Hinterher schlief ich wie ein überwinternder Bär in seiner Höhle. Bis mein iPhone kurz nach Mitternacht wütend zu summen anfing.

Normalerweise schalte ich es nachts aus und stelle beim Festnetz den Anrufbeantworter an. Sportreporter denken sich nämlich nichts dabei, wenn sie zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen und einem Fragen über dies und jenes stellen. Seit Twitter ist das besser. Heutzutage ist die Presse fauler und hält sich für Zitate einfach an die Tweets der Spieler.

Aber im Januar bin ich auch nachts erreichbar, für den Fall, dass es um einen Spielertransfer geht. Spieleragenten sind nachtaktiv, passend zu ihrer blutsaugenden Natur. Einige der besten Transfers, bei denen ich mitgeholfen habe, waren das Ergebnis nächtlicher Verhandlungen.

Natürlich habe ich unterschiedliche Klingeltöne für verschiedene Anrufer. Viktor Sokolnikow ist Kalinka, gesungen vom Chor der Roten Armee. Zarcos Klingelton ist London Calling von The Clash. Sonja hat die Pointer Sisters, I’m So Excited. Der Stranglers-Hit Peaches kündigte Maurice McShane an, die erste Verteidigungslinie des Clubs bei jeder Krise jenseits des Spielfelds. Es war sein Job, unseren überbezahlten und oft unterbelichteten Spielern bei allen möglichen Dingen zu helfen. Das ging los bei der Eröffnung eines Bankkontos im Ausland bis hin zu Geldzahlungen an irgendeine Schlampe, die sie flachgelegt hatten. Was bedeutete, dass Maurice einer der meistbeschäftigten Männer im Club war.

Oft kommen Spieler mit einem Problem zum Co-Trainer, das sie gegenüber dem Trainer nicht einmal im Traum erwähnen würden – nur, dass sich unsere Jungs jetzt an Maurice wenden. Aber wenn es wirklich ernst ist, sagt er mir Bescheid.

Maurice war meine Idee gewesen. Ich hatte ihn im Knast kennengelernt, und in den letzten fünf Monaten hatte er uns mehrere Skandale erspart. Ich will jetzt nicht ins Detail gehen, nur so viel: Illegales Zeug war nicht dabei. Wir haben nur ein paar zurückgebliebene Trottel aus den Schlagzeilen gehalten.

Ich ging ins Bad, schloss die Tür und setzte mich auf die Toilette. Multitasking. Ich hatte mehrere Textnachrichten von Sportreportern, die mich um Rückruf baten.

Ich ignorierte sie – besser, wenn ich mich direkt an die Quelle wende, dachte ich und stellte mir einen Skandal vor, in den Ayrton Taylor verwickelt war. Vielleicht hatte er sich bei einer Zeitung ausgeheult. Oder er hatte sich Ärger eingehandelt, weil er die Finger nicht von der Frau eines anderen Spielers gelassen hatte – da war er kein Musterbeispiel für Fairplay.

»Was gibt’s, Maurice?«

»Ich wollte dir so schnell wie möglich Bescheid sagen«, antwortete Maurice. »Ein Freund bei der Metropolitan hat mich eben informiert. Mach dich auf was gefasst. Die Polizei hat eine Leiche gefunden. Baumelte am Geländer von Wembley Way.« Er zögerte. »Es ist Drenno. Er hat sich aufgehängt.«

»Oh verdammt, nein… Dieser dämliche, dämliche Bastard!«

Wir schwiegen beide sekundenlang.

»Du weißt, dass seine Frau im gleichen Krankenhaus liegt wie Didier?«, fragte Maurice.

»Nein, wusste ich nicht.«

»Drenno hat sie ziemlich übel zugerichtet.«

»Himmel. Weiß sie schon Bescheid?«

»Ja. Die Presse ist da. Und es wird wohl nicht lange dauern, bis sie auch vor deiner Hütte auftaucht.«

»Wie die Geier«, sagte ich. »Machen sich über die Eingeweide her, noch bevor sie kalt sind.«

»So läuft es eben.«

»Hör zu, ich gebe ein Statement auf Twitter ab, okay? Und schicke eine Pressemeldung an unser Büro. Und an Arsenal. Scheiße. Er war hier, weißt du? Vorgestern Abend. Besoffen, wie üblich.«

»Soll ich’s der Polizei erzählen?«

»Nein, das mache ich selbst. Aber finde heraus, wer die Ermittlungen leitet, geht das? Und kannst du mir die Nummer schicken? Ich habe keine Lust, das mehrmals zu erklären.«

»Sie werden dir die Frage stellen, deswegen frage ich dich – war er suizidal, als du ihn gesehen hast?«

»Nicht mehr als sonst.« Ich seufzte, weil mir in diesem Moment einfiel, was Drenno gesagt hatte. »Er meinte nur, er wolle einen letzten großen Auftritt in Wembley… Ich Idiot. Das hat er also gemeint. Mein Gott. Dieser dämliche Bastard.«

»Scott?«

»Ja?«

»Es tut mir leid. Ich weiß, dass du ihn sehr gemocht hast.«

»Nein«, sagte ich. »Ich habe ihn nicht gemocht, Maurice. Überhaupt nicht. Aber ich habe diesen Mistkerl geliebt.«

Ich legte auf, wischte mir die Tränen aus den Augen, wusch mir das Gesicht und musterte mich im Badezimmerspiegel. Ich wusste, was der Typ dachte, der mir entgegenstarrte. Er sah wütend aus. Drenno ist zu dir gekommen, weil er Hilfe gebraucht hat, aber du warst zu dumm, um das zu erkennen. Zu dämlich oder einfach nur zu faul. Du hast geglaubt, du wärst ein Held, mit deinem Angebot, ihn zur Priory zu bringen und die erste Woche seiner Behandlung zu bezahlen, wie? Scheiße, war das großzügig, Scott. Der Mann brauchte einen Freund! Einen Unterschlupf, wo er sich für ein paar Tage verkriechen konnte, bevor er seine Suppe auslöffelt. Er muss gewusst haben, dass man ihn wegen der Geschichte mit Tiffany festnehmen würde. War ja nicht das erste Mal. Und du hast ihn im Stich gelassen. Als du einen Freund gebraucht hast, war Drenno für dich da. Als kein Schwein mehr was von dir wissen wollte. Und wo warst du, als er selbst jemanden gebraucht hat? Verdammt, er hat dich sogar im Knast besucht! Anne nie. Deine eigene Frau. In den zwei Jahren im Bau war Drenno dein einziger Besucher, abgesehen von deinen Eltern und den Anwälten. So einer war er. Er hat dich sogar dann noch besucht, als jeder im Verein ihm gesagt hat, er soll sich fernhalten.

»Es tut mir leid«, sagte ich zu dem Kerl im Spiegel und wünschte mir inständig, es wäre Drenno. »Es tut mir so unendlich leid.«

Das bringt ihn nicht zurück, du Idiot. Einer der besten, begabtesten Mittelfeldspieler, die dieses Land je hervorgebracht hat – ganz sicher der beste, mit dem du je spielen durftest–, und jetzt ist er nicht mehr da, weg, mit gerade mal achtunddreißig Jahren. Was für eine verdammte Verschwendung.

»Es tut mir leid, Matt«, sagte ich und fing wieder an zu heulen.

»Was ist denn los?«

Ich drehte mich um. Sonja stand in der Tür. Sie war nackt und so perfekt, wie eine Frau nur aussehen kann. Ich fühlte mich wie Caliban neben Miranda. Kaltherzig. Hässlich.

»Matt«, sagte ich. »Er hat sich erhängt.«

»O mein Gott, Scott! Das tut mir so leid.«

Sie umarmte mich kurz und setzte sich auf die Toilette.

»Das ist furchtbar.«

»Er war erst achtunddreißig«, sagte ich, als machte das alles noch schlimmer.