Der Yakuza - Leonard Schrader - E-Book

Der Yakuza E-Book

Leonard Schrader

4,5

Beschreibung

'Einer der besten Kriminalromane aller Zeiten' (Jury Deutscher Krimipreis), 1974 verfilmt mit Robert Mitchum in der Regie von Sydney Pollack. 'Leonard Schrader bietet in seinem Roman eine Innensicht Der Yakuza-Mythen: Er zeigt die äußeren Zwänge wie die moralische Größe, die dem rituellen Verhalten entspringt, und läßt so sein Action-Abenteuer zugleich zu einem Abenteuer werden, das von unseren Auffassungen von der Welt und vom Leben allgemein handelt. Was Schraders Roman auch so fesselnd und so berührend macht, ist die Art und Weise, wie der Amerikaner Harry Kilmer charakterisiert ist.' Norbert Grob Der ehemalige amerikanische Privatdetektiv Harry Kilmer kennt die Spielregeln der Unterwelt Japans und die Gangster, die Glücksspiel, Prostitution und Schutzgelder mit eiserner Hand kontrollieren. Als die Yakuza die Tochter seines alten Kollegen und Freundes George Tanner entführen, reist Kilmer in dessen Auftrag nach Tokio, um das Mädchen aus der Geiselhaft zu befreien. Kilmer wendet sich an den ehemaligen Yakuza Mann Tanaka Ken, der in seiner Schuld steht. Sie geraten in eine blutige Auseinandersetzung mit dem mächtigen Yakuza-Clan und sorgen mit Gewehr und Schwert dafür, daß sich die Reihen der japanischen Mafia dramatisch lichten. Der schwärzeste und bisher wohl beste Japan-Thriller, der dem Leser eine fremde Kultur näher bringt. Eine fesselnde Geschichte über Schuld, Ehre und den erbitterten Kampf gegen mächtige Mafia-Bosse. Die Yakuza sind Japans organisierte Gangster, die seit einigen hundert Jahren Mafia-Aktivitäten betreiben. Sie halten bis zum heutigen Tag an Kodizes fest und folgen einer strengen Hierarchie.

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Ähnliche


Leonard Schrader

DER YAKUZA

Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger

Mit einem Nachwort von Norbert Grob

Alexander Verlag Berlin | Köln

Die Originalausgabe erschien 1974 unter dem Titel The Yakuza.

Bearbeitete Übersetzung der deutschen Erstausgabe Yakuza, erschienen 1987 im

Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach.

Die Übersetzung wurde für diese Ausgabe von Jürgen Bürger neu durchgesehen.

Umschlag: Antje Wewerka

© 1974 and 2008 by Leonard Schrader und Paul Schrader

© für diese Ausgabe by Alexander Verlag Berlin 2008

Alexander Wewerka, Postfach 19 18 24, 14008 Berlin

info@alexander-verlag.com

www.alexander-verlag.com

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-89581-318-4 (eBook)

Der ehemalige amerikanische Privatdetektiv Harry Kilmer kennt die Spielregeln der Unterwelt Japans und die Gangster, die Glücksspiel, Prostitution und Schutzgelder mit eiserner Hand kontrollieren. Als yakuza die Tochter seines alten Kollegen und Freundes George Tanner entführen, reist Kilmer in dessen Auftrag nach Tokio, um das Mädchen aus der Geiselhaft zu befreien. Er wendet sich an den ehemaligen yakuza Tanaka Ken, der in seiner Schuld steht. Sie geraten in eine blutige Auseinandersetzung mit einem mächtigen yakuza-Clan und sorgen mit Gewehr und Schwert dafür, daß sich die Reihen der japanischen Mafia dramatisch lichten.

Der Regisseur Sydney Pollack hat daraus einen der »elegantesten und unterschätztesten Thriller der siebziger Jahre« (FAZ) gemacht.

Der amerikanische Drehbuchautor Leonard Schrader (1943–2006) lebte seit Mitte der 60er Jahre in Japan. Er galt als ein exzellenter Kenner der japanischen Geschichte und Kultur. Nach seinem ersten Erfolg mit Yakuza (1974) schrieb er weitere Drehbücher u. a. zu Blue Collar (mit dem sein Bruder Paul 1978 als Regisseur debütierte), Old Boyfriends (1979), Mishima (1985, Regie: Paul Schrader), The Man who stole the Sun (1983) und Der Kuß der Spinnenfrau (1985, Regie: Hector Babenco), der mit einem Oscar ausgezeichnet wurde.

»Einer der besten Kriminalromane aller Zeiten.« Jury Deutscher Krimipreis

Inhalt

Impressum

Autoren

eins

zwei

drei

vier

fünf

sechs

sieben

acht

neun

zehn

elf

zwölf

Zwischen »giri« und »ninjo«

Für Chieko

eins

In Kalifornien läßt es sich wunderbar leben – falls man zufälligerweise eine Orange ist.

Fred Allen (1894-1956)

FREITAG, 13. JULI

Vierundzwanzig Stunden zuvor hatte ein mächtiger Tokioter yakuza Kato Sho engagiert, den besten Profikiller Japans, um einem amerikanischen Geschäftsmann in Südkalifornien eine Nachricht zu überbringen. Mr. Katos Dienste waren ungeheuer kostspielig, da der Ehrenkodex seines Berufsstandes bei Todesstrafe den erfolgreichen Abschluß eines jeden Auftrages zwingend vorschrieb. Doch der Tokioter yakuza war der Auffassung, daß der Ernst seiner Nachricht die zusätzlichen Kosten rechtfertigte, einen Mann zu engagieren, dem keine Fehler unterliefen.

Der heutige Tag schien dennoch vollkommen normal zu sein. Die Umweltverschmutzung verseuchte einfach alles. Die Luft war zum Schneiden dick, der dichte Verkehr quälte sich stoßweise durch die Straßen, und über allem schwebte der schmierigbraune Smog wie eine gigantische Scheibe Hamburger-Hacksteak. Es war alles so wie immer in Los Angeles, dem größten Selbstbedienungs-Drive-in der Welt.

Die großen Weltstädte wie Paris und Tokio haben ihre Lektion aus der Geschichte gelernt: Die Schonzeit war unwiederbringlich vorbei. Nur L. A. funktioniert nach einem selbst gebastelten Prinzip: Die nächste Schonzeit muß schon laufen, noch bevor die erste vorüber ist. Nur L. A. pulsiert, ohne jemals eine Pause zu machen, und lacht, ohne zuzuhören. Nur L. A., wo erwachsene Männer sich als Billy the Kid und Gypsy Rose Lee verkleiden, konnte eine mutierte Sonnenblume wie Dusty Newman hervorbringen.

In seinem neongrünen Datsun raste er über die Autobahn, drängelte und schob sich gekonnt durch den Nachmittagsverkehr. Dusty, sechsundzwanzig, war kräftig gebaut und auffallend gekleidet, er war angezogen wie ein Salat aus Zitrusfrüchten: Limonengrüne Hose mit weitem Schlag, dazu ein grünlich-zitronengelbes Hemd und eine Armeejacke, die die Farbe reifer Blutorangen hatte. Er war ungepflegt und schmierig, und es war ihm ziemlich gleichgültig, wer das mitbekam. Er war alles, was ein gutgekleideter Privatdetektiv genau nicht sein sollte.

Er verfolgte gerade einen kackbraunen Buick.

Mit achtzig Meilen pro Stunde schlängelten sich die beiden starkmotorigen Wagen über die vier Richtung Westen führenden Spuren des Santa Monica Freeway und donnerten aufs Meer zu, bis sie schließlich im dichten Rush-hour-Verkehr steckenblieben. Nur ein anderer Wagen befand sich zwischen ihnen. Die Luft war drückend, und die vom Smog verschleierte Sonne stach ihnen in die Augen. Doch Dusty genoß es. Er ließ seine Fenster heruntergekurbelt und die Klimaanlage ausgeschaltet. Er wußte weder wer hinter dem Steuer des Buick saß noch warum George Tanner wollte, daß er diesen Mann verfolgte. Er wußte nicht einmal, ob der Fahrer des Buick ihn schon entdeckt hatte. Und er war sich absolut der Tatsache bewußt, daß diese Schuljungen-Botengänge für Tanner nichts waren, was ein richtiger Privatdetektiv jemals tun würde. Doch nichts von alledem störte ihn weiter. Er genoß all das, genau wie eine Blume sowohl die Sonne als auch den Regen liebt.

Nachdem sie den San Diego Freeway überquert hatten, wurde der Verkehr wieder dünner und flüssiger. Dusty schob eine Rolling-Stones-Kassette in seine Autostereoanlage und donnerte weiter hinter dem Buick her. Kiss me, baby. You can be my partner in crime. Sein olivgrüner Stiefel trat rhythmisch das Gaspedal, seine Finger honkytonkten auf dem Lenkrad, und der Rest seines Körpers rüttelte und schüttelte sich wie ein Rockabilly-Pianist. You gotta call me the tumbling dice. Während seine Augen immer fest auf dem Buick klebten, summte und trällerte er mit einem verzückten Grinsen im Gesicht. You gotta roll me. Der Buick bog auf die zweispurige Ausfahrt nach Santa Monica ab. Dusty folgte ihm. Für einen kurzen Augenblick flatterten seine dunkelblonden Haare aus dem Seitenfenster. Keep on rolling.

Obschon der Datsun wie ein durchschnittlicher Mittelklassewagen aussah, blieb Dusty dem Buick mühelos auf den Fersen. Auf den Felgen hatte er Breitreifen, und unter der Haube steckte ein Corvette-Motor mit Turbolader. Nach monatelangem Üben konnte er das Tempo und die Bewegungen des Datsun mit jedem Song harmonisieren. Er liebte es, um Mitternacht auf das Spinngewebe der Freeways hinauszudonnern und bis zum Morgengrauen frei zum Radio zu improvisieren. Doch bei der Arbeit blieb er immer bei dem vertrauten Repertoire seiner Kassetten. Seine augenblickliche Spezialität waren die Stones. Und jetzt, als er auf die rechte Spur synkopierte, um den Buick nicht zu verlieren, war er gezwungen, einen knallroten Porsche zu schneiden, um den Rhythmus seines Finales nicht durcheinander zubringen. Noch während er seinen Datsun in einem furiosen Powerslide herumriß, hörte er die quietschenden Reifen des Porsches.

»Jesus!«

Vor der Ampel am Ende der meilenlangen Autobahnausfahrt blieb der Buick stehen, und Dusty hielt vorsichtig hinter ihm an, nutzte die erste sich bietende Gelegenheit, nahe an den anderen Wagen heranzukommen. Er klappte die Sonnenblende herunter, um sein Gesicht wenigstens zum Teil zu verbergen. Am Nummernschild erkannte er, daß der Buick ein Mietwagen war. Der Fahrer hatte pechschwarzes Haar wie ein Mexikaner. Seine weiße Anzugjacke und der Kragen seines roten Hemdes waren aus Seide. Er studierte gerade eine Straßenkarte von L. A.

Mit kreischenden Reifen hielt plötzlich das knallrote Porsche-Cabrio neben Dustys grünem Datsun. Der Fahrer des Porsches war ein stinksaurer Chicano von der knallharten Sorte. Ein ese bato mit modischer Plastik-Sonnenbrille. Er trug ein hautenges, lilafarbenes T-Shirt, und auf seinem Hals zeichneten sich deutlich wütend angeschwollene Adern ab. Er schaltete seine Stereoanlage aus und signalisierte Dusty, daß er es auch tun sollte. Seine Goldzähne blitzten, als er brüllte: »Cabrón! Du hast mich geschnitten!«

Dusty schaltete seine Anlage aus, beugte sich aus dem Seitenfenster und schenkte dem knallharten Burschen sein strahlendes, himmlisches Lächeln. »Du hast echt tolle Musik dabei, mano. Wie wär’s? Sollen wir tauschen? Meine schlechteste Kassette gegen deine schlechteste Kassette.«

Der knallharte Typ grinste breit. »Si, compadre. Wirf mir deine zuerst rüber.« Dusty nahm eine Kassette vom Armaturenbrett und warf sie zu dem Porsche hinüber. Der Chicano fing sie lässig mit einer Hand auf und grinste ihn wieder breit an. »Arschloch! Wie kommst du auf die Idee, daß ich dir eine von meinen gebe?«

Dusty grinste den Kerl schief an. »Tja, das liegt wohl an meinem festen Glauben an die Menschlichkeit.«

Nachdem der knallharte Bursche verächtlich ausspuckte, wurde Dustys Lächeln eine Spur finsterer, doch seine Stimme blieb ruhig und gelassen. »Darf ich dann vielleicht an deinen amerikanischen Sinn für Fairplay appellieren, mano?«

»Marcion!« Der knallharte Typ machte eine obszöne Handbewegung. »Du weißt absolut gar nichts von Amerika!«

Dustys Lächeln glühte finster, als er dem Kerl sein Wissen über Amerika zeigte. Er griff zu dem Schulterhalfter unter seiner blutorangenfarbenen Armeejacke, riß seine vernickelte .38er Automatik heraus und zielte ganz gemächlich auf den Chicano. »Vielleicht sollte ich dann besser an deinen Überlebenssinn appellieren, bato.«

Der knallharte Bursche fletschte die Zähne – »Bato loco!« –, packte eine Kassette und schleuderte sie mit aller Kraft nach Dustys Gesicht. Als Dusty sie auffing, schaltete die Ampel auf grün, und der Porsche raste in einer dicken Abgaswolke mit quietschenden Reifen davon.

Der Buick fuhr an. Nachdem er die .38er zurück in das Halfter gesteckt hatte, schaltete Dusty die Stereoanlage wieder ein und folgte auf vier Wagenlängen Abstand. Am Holiday Inn bogen die beiden Autos Richtung Süden ab und fuhren parallel zum Meer über den Pacific Coast Highway. Zwischen den zur Meerseite gelegenen Motels schimmerte hin und wieder ein Stück Strand und Wasser durch. Selbst jetzt noch übervölkerten die vor der drückenden Großstadthitze fliehenden Menschen den Strand. Die kupferfarbene Sonne trieb faul auf dem verschwommenen, grauen Horizont. Gedämpft durch den bräunlichgrauen Smog, erinnerte die Sonne an die Öffnung einer Messingtrompete.

Der Fahrer des Buick ließ sich von anderen Fahrzeugen überholen, so als wäre er für eine Verabredung zu früh dran. Bis zu Tanners Reederei am Coast Highway in Long Beach waren es jetzt nur noch zwanzig Meilen. Dusty folgte in sicherem Abstand. Seine Finger trommelten ungeduldig auf dem Lenkrad, der turbogeladene Motor röhrte unter der Kühlerhaube. Der vierspurige Highway war voller todschicker Wagen, hinter deren Steuer ebenso todschicke Miezen hockten. Dusty sah drei von ihnen an sich vorbeiziehen: Protzige, glänzende Sportwagen, gefahren von seidigen Blondinen mit rückenfreien Tops und pastellfarbenen Sonnenbrillen. You can be my partner in crime. Abgesehen davon, daß ihre Wagen verschiedene Geschmacksrichtungen repräsentierten, sahen sie alle absolut gleich aus. Keep on rolling.

Fünfundzwanzig Minuten später hatten der Buick und der Datsun Long Beach erreicht und warteten hintereinander an der letzten Ampel vor Tanners Büro. Auf der rechten Seite erstreckte sich die San Pedro Bay mit ihren Docks und den Schiffen im trüben Smogdunst. Auf der linken Seite des Highway drängten sich Fiberglas-Restaurants: Billige Imitationen Schweizer Chalets und tahitischer Hütten. Das kupferfarbene Licht der Sonne verlieh ihnen einen metallischen Glanz. Sie erinnerten an eine einzige, lange Reihe von Verkaufsautomaten.

Die Ampel schlug auf grün um. Dusty beobachtete, wie der Buick die Kreuzung überquerte und dann, nachdem er vor Tanners Firma langsamer geworden war, nach rechts in die Einfahrt der Reederei einbog. Dusty stellte den Datsun am Bordstein ab und ging schnell zu der Telefonzelle direkt neben der Firmeneinfahrt. Durch die schmierige Glasscheibe sah er den braunen Buick neben Tanners taubenblauem Ferrari einparken. Die beiden Wagen standen allein unter dem Holzschild mit der Aufschrift: »Tanner Freight Shipping, Tokyo & Los Angeles.«

Der Mann in dem weißen Seidenanzug stieg langsam aus dem Buick und schaute sich um. Er war ein großer, muskulöser Japaner. Überhaupt nicht wie die freundlichen Japaner in Little Tokyo, die sich immerzu verbeugten und lächelten, die klein und sehr zerbrechlich aussahen. Dieser Bursche hier stand da wie ein stählerner Ladestock, und eine Seite seines Gesichts sah aus wie ein Stück Metallschrott. Unter der linken Achselhöhle zeichnete sich deutlich ein Schulterhalfter ab. Mit schnellen Schritten ging er zu der Fliegendrahttür hinüber, riß sie ohne zu zögern auf und verschwand im Gebäude.

Schnell überquerte Dusty den großen Parkplatz. Weit und breit waren keine anderen Autos oder Lastwagen zu sehen. Bis auf Tanner hatte bereits jeder Feierabend gemacht und war nach Hause gefahren. In dem Bürogebäude war es vollkommen still. Die einzigen Geräusche wehten vom Highway herüber. Nachdem Dusty das Gebäude erreicht hatte, schlich er dicht an der Wand entlang zu der Fliegendrahttür und warf mit einem Auge einen vorsichtigen Blick hinein: Der Korridor war dunkel und verlassen. Langsam zog er die Aluminiumtür auf und betrat den Flur, ohne das winzigste Geräusch zu machen. Die Tür zu Tanners Büro stand offen. Ein Rechteck von grellem, weißem Neonlicht fiel in den dunklen Korridor. Erregte Stimmen hörten auf zu sprechen. Dusty zog seine .38er Automatik. Lautlos und auf Zehenspitzen schlich er den Flur bis zu der hell erleuchteten Tür hinunter, warf vorsichtig einen Blick in den dahinterliegenden Raum und sah beide im Profil: Tanner saß hinter seinem wuchtigen Schreibtisch und der große Japaner stand davor.

Tanner hatte Angst, den Japaner direkt anzusehen. Er starrte auf die Wand am anderen Ende des Zimmers. Sein Gesicht war aschfahl, seine Augen klebten auf dem Modell eines Schiffes: No. 2 Tanner Maru. George Tanner war sechsundfünfzig Jahre alt, dünn und geistesgegenwärtig und bestimmt kein Mann, den man leicht einschüchtern konnte. Obschon körperlich nicht besonders kräftig, war er dennoch ein furchtloser Manager mit einem sehr starken Willen, der es zu beträchtlichem finanziellem Erfolg gebracht hatte, indem er große Risiken in einer risikoreichen Branche eingegangen war. Er wußte, wie man Geld einsetzte, Menschen führte und Schwierigkeiten in den Griff bekam. Zwanzig Jahre lang hatte er seine Firma allein geleitet, doch jetzt war er vor Entsetzen sprachlos. Er hatte sofort erkannt, daß sein Besucher kein gewöhnlicher Bote war, sondern ein yakuza- Mörder, ein Kamikaze-Killer. Gelähmt vor Angst wartete er auf jene eiskalten, brutalen Worte, auf die förmliche Verkündigung des Schicksals im Stil der yakuza: George Tanner, ich werde deinen Tod empfangen.

Plötzlich beugte der große Japaner sich aus der Hüfte heraus vor und nahm die formelle Einleitungshaltung des yakuza ein: Die linke Hand auf dem linken Knie, die rechte Hand mit der Handfläche nach oben ausgestreckt. Er sprach Englisch mit einer tiefen, schnarrenden Stimme.

»Beginnen wir noch einmal, Mr. Tanner. Ich bin Kato Sho. Ich bin ein freier Beauftragter ohne oyabun oder Clan. Ich überbringe eine Nachricht von Tono Toshiro, dem oyabun des Tono-Clans.«

Tanner schaute auf und biß sich heftig auf die Unterlippe. »Hat Tono Sie engagiert, damit Sie mich töten?«

»Noch nicht. Ich bin lediglich ein Bote. Ich spezialisiere mich auf Tätigkeiten internationaler Natur.«

Dusty hatte genug gehört. Er hob seine .38er, zielte auf Katos Kopf und trat in die Tür. »Keine Bewegung!«

Kato richtete sich auf, warf einen flüchtigen Blick auf die .38er, als wäre sie ein lästiger Moskito und funkelte Dusty an. Der harte Blick dieser stechenden, schwarzen Augen ließ Dusty unwillkürlich zusammenzucken. Dann drehte Kato sich wieder zu Tanner um. »Ist das nötig? Ich bin nur der Überbringer einer Nachricht.«

Tanner nickte. Langsam kehrte wieder Farbe in sein Gesicht zurück. »Steck sie weg, Dusty.«

Dusty senkte den ausgestreckten Arm und hielt die .38er locker neben seinem Bein. Kato ignorierte sie.

»Mr. Tanner, Sie müssen innerhalb von drei Tagen nach Tokio zurückkehren, um Ihr bislang unerledigtes Geschäft mit Tono zu regeln. Das ist die Nachricht.«

Einen Augenblick lang erwiderte Tanner nichts. Er fand seine Fassung sehr schnell wieder. Dann stand er auf und sagte in einem nüchternen Geschäftston: »Ich verstehe. Und was ist, wenn ich nicht zurückfahre?«

»Tonos Nachricht läßt keinerlei Raum für Diskussion.« Kato griff in die Innentasche seines weißen Jacketts und zog einen grünen Stoffetzen heraus, den er auf den Schreibtisch fallen ließ. Hastig griff Tanner nach dem Stück Stoff. Ein ungläubiger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, dann ließ er sich in den Sessel zurücksinken. Der grüne Fetzen in seiner Hand zitterte.

Katos Stimme klang eiskalt und völlig unbeteiligt. »Ich nehme an, Sie erkennen die Bluse Ihrer Tochter. Tono hat auch nicht das geringste Bedürfnis, Ihrer Tochter etwas anzutun. Aber ich darf Ihnen versichern, daß dies durchaus nicht außerhalb seiner Fähigkeiten liegt. Sollten Sie also innerhalb der nächsten drei Tage nicht wieder in Tokio eintreffen, werde ich mit etwas anderem zurückkehren, das Ihrer Tochter gehört. Allerdings wird das kein Stück ihrer Kleidung sein.«

Mit zitternder Hand umklammerte Tanner den grünen Stoff.

»Drei Tage, Mr. Tanner.«

Kato verbeugte sich knapp, machte dann auf dem Absatz kehrt und ging mit schnellen Schritten zur Tür. Als er an Dusty vorüberging, sausten seine stählernen Hände wie Blitze durch die Luft. Drei blitzschnelle Karateschläge schickten Dusty in die eine und seine .38er in die andere Richtung. Es war eine saubere, hoch effiziente Demonstration grausamer Macht und Gewalt. Dusty flog über den Boden, bis er mit dem Kopf gegen die Wand schlug. Kato stand ruhig und gelassen in der Tür. »Tono wartet, Mr. Tanner.« Er verbeugte sich noch einmal und verschwand dann in den dunklen Flur.

Dusty umklammerte Hals und Bauch, verzog schmerzerfüllt sein Gesicht, schüttelte die Benommenheit aus seinem Kopf und rappelte sich mühsam auf. Schnell hob er seine .38er vom Boden und warf einen Blick in den Korridor: Leer. »Jesus!« Als er sich wieder in den Raum umdrehte, sah er, daß Tanner sich auf seinem Schreibtischstuhl gedreht hatte und durch das große Fenster aufs Meer hinausstarrte, reglos, wie in einem Schockzustand. Langsam durchquerte Dusty das Büro zu Tanners Schreibtisch. »Tut mir leid, Mr. Tanner.«

Tanner starrte auf den grauen Pazifik hinaus, als könne er bis nach Tokio sehen.

Dusty schob seine .38er zurück ins Schulterhalfter, wartete einen Moment und sagte schließlich: »Wer war dieser Kerl überhaupt?«

Tanner rührte sich nicht. »Er ist ein yakuza. Ein gottverdammter japanischer Gangster.«

»Soll ich weiter an ihm dranbleiben?«

Einige Minuten lang antwortete Tanner nichts. Sein angespanntes Gesicht blieb regungslos, seine dunklen Augen fixierten weiter die vom Smog verschleierte, dicke Kupfer-Sonne, die träge auf dem grauen Wasser trieb. Dusty wartete. Schließlich begann Tanner zu sprechen. Nichts außer seinen dünnen, schmalen Lippen bewegte sich. »Das ist ein Job für Harry Kilmer. Er ist meine einzige Chance.«

»Hab’ schon von ihm gehört.«

Tanner blickte mit funkelnden Augen aus dem Fenster. Sein schmales, bleiches Gesicht reflektierte das kupferfarbene Licht der Sonne. Seine Miene drückte jetzt angespannte, feste Entschlossenheit aus. »Kilmer ist meine einzige Chance.«

»Die Jungs auf der Polizeiakademie sagen, daß er sich aus dem Geschäft zurückgezogen hat.«

»Meine absolut letzte und einzige Chance«, wiederholte Tanner mit größerem Nachdruck, dessen Stimme die Autorität des erfolgreichen Managers wiedererlangt hatte. Dusty zuckte die Achseln und schob die Hände lässig in die Gesäßtaschen.

»Und du wirst Kilmers Assistent sein. Ich rufe dich morgen früh an. Du kannst jetzt gehen.«

»Alles klar, Mr. Tanner.«

Tanners Augen blieben auf der kupferfarbenen Sonne kleben. Dusty warf noch einen kurzen Blick aus dem Fenster. Die Öffnung der Trompete war mit Rauch gefüllt.

zwei

Liebe deinen Nachbarn, aber reiß trotzdem

den Zaun nicht ab.

Benjamin Franklin (1706–1790)

SAMSTAG, 14. JULI

Um zehn Minuten nach Mitternacht bog Harry Kilmer, hungrig und erschöpft, schließlich mit seinem grauen Mercedes in die Auffahrt zu seinem Haus in Brentwood ein. Er hatte den ganzen Abend damit verbracht, dafür zu sorgen, daß sich seine drei Anlageberater vor ihm auf dem Boden wanden, hatte ihnen klipp und klar ihre zahllosen Fehler vor Augen gehalten und ihre aalglatten und raffinierten Entschuldigungen und Ausreden einfach ignoriert. Unfähigkeit widerte ihn immer an, doch jetzt war er soweit, daß er sich entspannen und völlig abschalten konnte. Nachdem er die Küchentür aufgeschlossen hatte, machte er sich sofort daran, zwei Sandwichs mit Schinken und Käse zuzubereiten. Vor der Arbeitsfläche in seiner Küche stehend schnitt er fachmännisch Scheiben von dem geräucherten Schinken ab, wobei seine Finger das große Schlachtermesser mit chirurgischer Präzision führten.

Wie die meisten amerikanischen Männer war auch Kilmer sehr lange Kind gewesen, doch anders als die meisten war er schließlich doch noch erwachsen geworden. Er war zweiundfünfzig, groß und breitschultrig, und mit zunehmendem Alter war er attraktiver geworden. Sein kastanienbraunes Haar gewann durch die silbergrauen Strähnen. Doch sein erfahrenes Gesicht war immer noch das Gesicht eines Privatdetektivs: Die sonnengebräunte Haut hatte Falten wie gebogenes Leder, die hohe Stirn und das energische Kinn waren aus Stein. Und seine körperliche Erscheinung war auch jetzt noch die gebieterische Erscheinung eines Detektivs: Die kühne, kraftvolle Selbstsicherheit des Profis, die permanente Wachsamkeit eines Exsoldaten und die lauernde Wildheit eines Raubtieres. Doch Kilmers auffälligstes äußerliches Merkmal, seine tiefliegenden nachtblauen Augen, deuteten auf ein Engagement mit dem Leben hin, das weit über die Grenzen seines Berufes hinausging. Manchmal waren diese Augen wie stechender blauer Stahl, die Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit verabscheuten, bereit, eiskalt und unbarmherzig zuzuschlagen. Und manchmal waren sie wie kristallklares blaues Wasser, die Integrität schätzten, bereit, mit warmer, offenherziger Großzügigkeit zu helfen. Aber diese tiefliegenden Augen verrieten niemals, auf welche nackte, krasse Weise er die Welt einschätzte, und ebensowenig die rücksichtslose, harte Art, wie er mit sich selbst umging.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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