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Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Obwohl große Plakate in Diepholz darauf hinwiesen, daß der »weltberühmte Zirkus Mendoza« mit seiner ebenso »berühmten Tierschau« nur für eine Woche vor den Toren der Stadt gastieren würde, war die Besucherzahl weit unter der Erwartung des Zirkusdirektors Mendoza geblieben. Die Frau des Direktors, die aus längst verflossenen Jugendjahren noch immer als die »schöne Flora« auf den Plakaten bezeichnet wurde, obwohl sie ganz gehörig in die Breite gegangen war, schloß die Kassette mit der mageren Einnahme ab und verließ ihren Platz vor dem Eingang des Zeltes. Nach den »Vier Fantinis« war sie an der Reihe, eine Elefantengruppe vorzuführen. Vor Jahren noch hatte die Gruppe aus sechs Elefanten bestanden, doch jetzt mußte sich der Zirkus mit zwei begnügen, und zwar mit der schon alten Elefantenkuh Arabella und der jungen Miranda. Frau Mendoza bemühte sich zwar, mit diesem kärglichen Rest die alten Kunststückchen von früher vorzuführen, aber sie wußte, daß die Zugkraft der Nummer verlorengegangen war. Zirkus im Niedergang, dachte Flora Mendoza pathetisch und traurig zugleich, als sie ihren Wohnwagen betrat, um die Kasse in ein gutgetarntes Versteck zu stellen. Während sie ihre üppige Figur in ein enges, glitzerndes Kostüm zwängte, dachte sie an die Glanzzeit des Zirkus unter ihrem Schwiegervater zurück, der ihn aufgebaut und ihm Weltruhm verschafft hatte, während er jetzt unter der Leitung seines Sohnes ohne dessen Schuld immer mehr verfiel. Die Zeit der Wanderzirkusse ist eben vorbei, dachte sie resignierend und verließ den Wohnwagen. Im Zirkuszelt verbeugten sich die »Vier Fantinis«. Sie waren als Jongleure Könner in ihrem Fach, bekamen aber dennoch nur mäßigen Applaus. »Kein Wunder bei diesem Publikum«, zischte Emilio, der älteste der drei Brüder und Chef der Gruppe, zwischen den Zähnen hervor, während sie sich lässig verbeugten. Er blickte zu seiner Frau Lilli hin, die in ihrem mehr als knappen Kostüm nach allen Seiten tänzelte und Handküßchen verteilte. Zwei Clowns tauchten hinter ihnen auf. Sie bemühten sich, unter Stolpern und Grimassenschneiden die Jongleurutensilien hinauszutragen. Die Kinder bedachten sie mit jubelndem Beifall.
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Seitenzahl: 142
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Obwohl große Plakate in Diepholz darauf hinwiesen, daß der »weltberühmte Zirkus Mendoza« mit seiner ebenso »berühmten Tierschau« nur für eine Woche vor den Toren der Stadt gastieren würde, war die Besucherzahl weit unter der Erwartung des Zirkusdirektors Mendoza geblieben.
Die Frau des Direktors, die aus längst verflossenen Jugendjahren noch immer als die »schöne Flora« auf den Plakaten bezeichnet wurde, obwohl sie ganz gehörig in die Breite gegangen war, schloß die Kassette mit der mageren Einnahme ab und verließ ihren Platz vor dem Eingang des Zeltes.
Nach den »Vier Fantinis« war sie an der Reihe, eine Elefantengruppe vorzuführen. Vor Jahren noch hatte die Gruppe aus sechs Elefanten bestanden, doch jetzt mußte sich der Zirkus mit zwei begnügen, und zwar mit der schon alten Elefantenkuh Arabella und der jungen Miranda. Frau Mendoza bemühte sich zwar, mit diesem kärglichen Rest die alten Kunststückchen von früher vorzuführen, aber sie wußte, daß die Zugkraft der Nummer verlorengegangen war.
Zirkus im Niedergang, dachte Flora Mendoza pathetisch und traurig zugleich, als sie ihren Wohnwagen betrat, um die Kasse in ein gutgetarntes Versteck zu stellen.
Während sie ihre üppige Figur in ein enges, glitzerndes Kostüm zwängte, dachte sie an die Glanzzeit des Zirkus unter ihrem Schwiegervater zurück, der ihn aufgebaut und ihm Weltruhm verschafft hatte, während er jetzt unter der Leitung seines Sohnes ohne dessen Schuld immer mehr verfiel. Die Zeit der Wanderzirkusse ist eben vorbei, dachte sie resignierend und verließ den Wohnwagen.
Im Zirkuszelt verbeugten sich die »Vier Fantinis«. Sie waren als Jongleure Könner in ihrem Fach, bekamen aber dennoch nur mäßigen Applaus.
»Kein Wunder bei diesem Publikum«, zischte Emilio, der älteste der drei Brüder und Chef der Gruppe, zwischen den Zähnen hervor, während sie sich lässig verbeugten. Er blickte zu seiner Frau Lilli hin, die in ihrem mehr als knappen Kostüm nach allen Seiten tänzelte und Handküßchen verteilte.
Zwei Clowns tauchten hinter ihnen auf. Sie bemühten sich, unter Stolpern und Grimassenschneiden die Jongleurutensilien hinauszutragen. Die Kinder bedachten sie mit jubelndem Beifall.
»Ich glaube, das nächste Mal treten wir lieber als Clowns auf«, sagte Carlo wütend, nachdem sie die Manege verlassen hatten. Er war achtundzwanzig Jahre alt, zwei Jahre jünger als Emilio, und hatte sich seine Zukunft als Artist gänzlich anders vorgestellt. Die Konkurrenz war groß man mußte schon etwas Besonders leisten. Außerdem gehörte auch Geld dazu, um sich dafür die entsprechenden Geräte anschaffen zu können.
Carlo begleitete seine beiden Brüder und die Schwägerin zu ihrem Wohnwagen. Es war ziemlich eng in dem Mobil, denn außer dem Ehepaar hatte auch noch hinter einem Vorhang der jüngste Bruder Gero seinen Schlafplatz.
In ihren Kostümen setzten sich die Artisten um den kleinen Tisch herum. Es lohnte sich nicht, sich umzuziehen, denn bald würde die Abendvorstellung beginnen.
Lilli stellte Limonade und Gläser auf den Tisch, dazu reichte sie einen leichten Imbiß.
»Willst du nicht lieber zu deinem Wagen gehen, Carlo?« fragte sie. »Lori ist sonst wieder beunruhigt.«
»Dazu besteht wohl gar kein Grund.«
»Nun, sie wird denken, du bist wieder bei Rosita.«
»Na und? Die klagt mir wenigstens nicht ständig was vor. Ich hab’s satt, dauernd eine wehleidige Frau um mich zu haben.«
»Vielleicht ist sie wirklich krank«, meinte Lilli. »Sie sieht sehr schlecht aus.«
»Wenn du dich den ganzen Tag im Bett herumdrücken würdest, anstatt dich körperlich zu betätigen, sähest du auch schlecht aus«, erwiderte Carlo gereizt. »Ich habe sie vor einiger Zeit zum Arzt geschickt. Sie kam zurück und sagte, es wäre nichts Schlimmes. Warum also dann ihre Wehleidigkeit? In unserer Branche können wir keine Kranken, und besonders in unserem Fall, wo die Einnahmen immer schlechter werden, keine unnützen Kostgänger gebrauchen.«
»Ich kann Carlos Einstellung gut verstehen«, mischte sich jetzt Emilio ein. »Haben wir uns doch alle von ihrer Mitgift eine Sanierung des Zirkusses versprochen. Wir wären dann Teilhaber geworden und hätten das Unternehmen moderner aufbauen können.« Er wandte sich an seinen Bruder: »Ihr hättet erst heiraten und dann den Alten vor die vollendete Tatsache stellen sollen.«
»Das hatte ich ja auch vor«, erwiderte Carlo, »aber sie wollte unbedingt erst den Segen des Vaters. Sie meinte, er wäre zwar streng, aber auch sehr gerecht und würde keine Klassenunterschiede kennen. Von wegen! Er drohte uns, wenn sie mich heiraten würde, müßte sie das ohne die versprochene große Mitgift tun, und nicht nur das, er würde sie enterben.«
»Trotzdem hättest du sie heiraten müssen«, meinte Lilli. »Sie hat doch deinetwegen alles aufgegeben.«
»Na und? Was hab ich davon? Als ich sie kennenlernte, war sie so behende und beweglich, daß ich dachte, sie könnte eine echte Bereicherung für uns sein. Aber sie hat versagt.«
»Du bist ungerecht«, mischte sich jetzt Gero ein. »Mir tut sie leid. Sie kommt doch aus einem ganz anderen Milieu als wir. Wir sind von Kindesbeinen an Artisten und damit das harte Training gewöhnt, während sie in einem Schweizer Mädchenpensionat groß geworden ist.«
»Ich bin nicht ungerecht«, widersprach Carlo heftig, »sonst hätte ich sie schon längst zum Teufel gejagt, ohne Rücksicht darauf, daß sie damals ein Kind erwartete.
Wenn doch sie wenigstens danach bemüht gewesen wäre, sich bei uns einzuleben, mitzumachen, aber nein, seither spielt sie die kränkelnde, schwache, unverstandene Frau. Wir kämpfen um unsere Existenz, und sie führt sich als die nicht arbeitsfähige Tochter aus gutem Hause auf!« Carlo lachte bitter auf. Er sprang auf und verließ den Wohnwagen. Tief sog er draußen die frische Luft ein.
Es dämmerte bereits. Die Nachmittagsvorstellung war zu Ende, die spärlichen Besucher strömten aus dem Zirkuszelt.
Unschlüssig stand Carlo vor dem Wagen seines Bruders und blickte zu dem seinen hinüber. Ein kühler Wind strich plötzlich über den Platz, der Mann fröstelte in seinem dünnen Kostüm.
»Hallo, Carlo!« Aus einem Nebeneingang des Zirkuszeltes war die Seiltänzerin Rosita Corba gekommen. Über ihrem super kurzen Kostüm trug sie einen Sommermantel.
»Hallo, Rosita!« erwiderte Carlo. Verliebt sah er die junge Frau an. Rosita war zweiundzwanzig. Weißblonde Haare umrahmten ein apartes Gesicht mit dunken Augen.
Vor einem Jahr war sie beim Zirkus Mendoza gelandet.
Und seitdem liebte Carlo sie. Hatte er früher ab und zu ein schlechtes Gewissen gehabt, weil er Lori trotz ihres gemeinsamen Kindes nicht geheiratet hatte, war er jetzt froh darüber. Aber in letzter Zeit empfand er seine bisherige Lebensgefährtin nur noch als Belastung.
»Warst du bei deinem Bruder?« fragte Rosita. Leichter Spott schwang in ihrer Stimme mit. »Seht ihr euch nicht oft genug bei den Vorstellungen? Was macht deine Frau?«
»Lori ist nicht meine Frau, sie ist meine Lebensgefährtin«, stellte Carlo richtig.
»Kommt das nicht auf dasselbe hinaus?« fragte Rosita lachend. »Zumal ihr ein gemeinsames Kind habt.«
»Nein«, widersprach Carlo. Er wandte den Blick von ihr ab. »Ich geh noch rüber«, sagte er müde.
*
Karl Weber, im Zirkus bekannt als Carlo Fantini, betrat seinen Wohnwagen. Sein Blick fiel auf die sechsjährige Maria, die mit ihren blonden Haaren und dunklen Augen.
Maria war bei seinem Eintritt ängstlich zurückgewichen. Wieder wallte Bitterkeit in ihm auf. Sie ist genauso zimperlich wie ihre Mutter, dachte er. Carlo liebte seine Tochter auf seine Weise, nur ihretwegen hatte er mit Lori nicht Schluß gemacht. Aber er wollte sein Kind zu einer echten Artistin erziehen. Hannelore hinderte ihn seiner Meinung nach daran, indem sie Maria verweichlichte und sich stets schützend vor sie stellte, wenn er sie für eine Ungeschicklichkeit bei den Jonglierübungen bestrafte.
»Ich hoffe, du stellst dich morgen vormittag gescheiter bei den Übungen an, Maria«, sagte er. »Ich habe mit einem unnützen Esser genug.« Er warf einen bösen Blick auf Lori, die auf dem Bett lag und schwer nach Luft rang.
Freunde von früher hätten Hannelore von Lenau nicht mehr wiedererkannt. Aus dem einst schönen Mädchen war eine verhärmte Frau geworden. Ihr blondes Haar war glanzlos geworden, ihre blauen Augen trübe, sie war am Ende ihrer Kraftreserven. Wenn ihre Tochter Maria nicht gewesen wäre, hätte sie schon längst aufgegeben, aber so versuchte sie noch immer, mit jedem Atemzug ihr Leben zu verlängern. Sie wußte, daß sie Carlo, obwohl sie seinetwegen ihr gutes, gesichertes Leben aufgegeben hatte, nur noch im Wege war.
»Ich werde dir nicht mehr lange zur Last fallen«, sagte sie mühsam. »Mir tut nur die Kleine leid, die ich dir hilflos überlassen muß.«
Überrascht sah Carlo sie an. »Hat dein Vater etwa auf deine Lamentierbriefe geantwortet?« Er bemerkte ihr Zusammenzucken und lachte spöttisch. »Meinst du, ich weiß nicht, daß du an ihn geschrieben hast? Hat er dir endlich geantwortet? Will er seinem verlorenen Töchterchen ein Kalb schlachten, natürlich nur, wenn sie ohne das Kind der Sünde zurückkommt? Das kann mir nur recht sein, dann wird wenigstens aus Maria ein echtes Zirkuskind, so wie ich es mir vorstelle.«
»Ja, unter Angst und Schmerzen«, erwiderte Lori. Ihr Herz krampfte sich zusammen, das Atmen fiel ihr noch schwerer, und nun begannen erneut die Magenschmerzen, obwohl sie seit Tagen kaum mehr etwas gegessen hatte.
Aber Carlo, der in seinem Leben noch nie krank gewesen war, hatte dafür kein Verständnis. Er hielt sie noch immer für eine Simulantin, die ihm nur etwas vormachte, um nicht auftreten zu müssen.
»Ich bin von meinem Vater als Kind auch verprügelt worden«, sagte er mit einem scharfen Blick auf seine Tochter, die sich in eine Ecke zurückgezogen hatte und verängstigt ihren Vater ansah. »Hat mir das etwa geschadet? Nein, nur dadurch bin ich ein guter Jongleur geworden. Maria wird das später mal einsehen.« Vor Carlos Augen war die Welt der Realität versunken. Was er nicht geschafft hatte, würde seine Tochter noch erreichen.
Lori kannte ihn von dieser Seite zur Genüge. Trotz den Jahren, in denen die Fantinis schwer um ihre Existenz kämpfen mußten und es nur noch eine Frage der Zeit war, bis der Zirkus aufgeben mußte, unterlag Carlo seinen Wunschträumen, einmal weltberühmt zu werden.
»Bis dahin ist dein Zirkushimmel längst eingestürzt«, murmelte sie. Ein heftiger Hustenanfall schüttelte sie. Röchelnd rang sie nach Luft, ihre Lippen wurden blau, ihre Haut bedeckte sich mit kaltem Schweiß, Todesangst erfüllte sie. »Hol einen Arzt, bitte hol einen Arzt«, stammelte sie keuchend.
»Jetzt? Unmöglich! Die Abendvorstellung beginnt gleich, ich kann nicht weg!« Unsicher beobachtete er sie. War sie etwa doch krank? »Na ja«, meinte er dann, »vielleicht finde ich jemanden, der sich darum kümmert. Aber ich hab’s ja schon immer gesagt, anstatt faul hier herumzuliegen, hättest du dich körperlich betätigen sollen, dann hättest du keine Zeit gehabt, krank zu werden.« Trotz seiner Worte sah er Lori besorgt an, die immer verzweifelter um jeden Atemzug kämpfte. Er trat näher, um sie höher zu setzen, damit sie besser atmen konnte, doch Maria warf sich schützend über ihre Mutter, aus Angst, ihr Vater wollte die Mutter wieder schlagen.
»Meine Mama ist nicht faul, sie ist krank«, weinte sie auf.
»Du mußt es ja wissen«, rief Carlo voller Zorn, wie immer, wenn sich das Kind gegen ihn stellte. Er riß das Mädchen zurück und hob dann drohend die Hand. Angstvoll duckte es sich.
»Laß mein Kind in Ruhe!« schrie Lori auf. Ihre Stimme war auf einmal wieder klar, sie konnte sich sogar selbst aufrichten, der Anfall schien vorüber zu sein.
Konsterniert sah Carlo sie an. »Ach nee, Madame geht’s ja wieder gut, Madame hat wieder mal nur Theater gespielt«, sagte er, wütend darüber, daß er sich erneut hatte reinlegen lassen.
»O Carlo, warum bist du mir gegenüber nur so mißtrauisch?« Lori umklammerte seinen Arm. »Wir haben uns doch einmal geliebt.«
»Das war wohl der größte Fehler meines Lebens«, stieß er brutal hervor. »Laß mich los, ich habe deine Schauspielerei jetzt restlos satt.« Er riß sich von ihr los, dabei gab er ihr ungewollt einen heftigen Stoß. Ohne sich noch mal umzusehen, lief er aus dem Wohnwagen.
Die Kranke war nach hinten zurückgesunken, ihr Gesicht wurde leichenblaß. Vor ihren Augen flimmerte es, dann wurde sie ohnmächtig.
Erschrocken hatte Maria auf ihre Mutter gestarrt, doch plötzlich schlug das Entsetzen über ihr zusammen. Schreiend stürzte sie aus dem Wohnwagen.
»Meine Mama stibt«, schrie sie, »mein Papa hat sie totgemacht!« Weithin hallten ihre Schreie. Die Leute, die sich vor der Kasse des Zirkuszeltes angesammelt hatten, um sich eine Eintrittskarte für die Abendvorstellung zu besorgen, drehten sich erstaunt um.
Ein Clown war auf das schreiende Mädchen zugeeilt und zerrte das sich heftig wehrende Kind in den Wohnwagen zurück.
»Es ist nichts«, sagte Frau Mendoza geistesgegenwärtig zu den Zuschauern. »Die Kleine macht das öfter, sie ist leider nicht ganz richtig im Kopf.« Erst als die Leute im Inneren des Zeltes verschwunden waren, erhob sich Flora Mendoza und winkte dem mit einer goldstrotzenden Uniform angezogenen Pförtner, ihren Platz einzunehmen.
Als sie Carlos Wohnwagen betrat, kam ihr der Clown entgegen. »Lori hat einen Blutsturz gehabt«, sagte er leise zu ihr. »War sie denn lungenkrank?« Grenzenloses Erstaunen lag in seiner Stimme. Hatte er sie doch wie alle anderen nur für zimperlich gehalten.
»Keine Ahnung«, erwiderte die Direktorin. »Aber warum behauptet Maria, Carlo hätte ihre Mutter umgebracht?«
»Ich bekomme kein Wort aus ihr heraus«, sagte der Clown. »Nachdem sie zu schreien aufgehört hat, ist sie jetzt stumm wie ein Fisch.«
»Und was ist mit Lori?« Frau Mendoza trat an das Bett. Die junge Frau war aus ihrer Ohnmacht aufgewacht, aber sie erkannte niemanden mehr. Ihre Augen waren angstvoll aufgerissen, mühsam rang sie nach Atem.
»Ich habe einen Arzt aus der Stadt benachrichtigen lassen«, sagte der Clown. Ungeduldig trat er von einem Fuß auf den anderen. »Hoffentlich kommt er bald.«
»Weißt du, wo Carlo ist?« fragte Flora Mendoza.
»Wahrscheinlich bei Rosita«, vermutete der Clown. »Soll ich ihn holen?«
»Nein! Wenn er mit dieser Sache hier nichts zu tun hat, ist es besser, wenn die Fantinis vor ihrem Auftritt nichts erfahren, sonst verpatzen sie noch die Show, und das können wir uns wahrhaftig nicht leisten. Geh’ und sag’ den anderen Bescheid, wer etwas mitbekommen hat, soll vorerst den Mund halten. Und du geh’ auch wieder an die Arbeit.«
»Ist gut, Chefin.«
Frau Mendoza setzte sich neben die Kranke, doch sie konnte nichts anderes für sie tun, als sie etwas aufzusetzen, damit ihr das Atmen leichter fiel.
Während in der Manege die Vorführungen begannen und die Töne einer Marschmusik herüberklangen, starb Hannelore von Lenau in den Armen der Zirkusdirektorin.
Sanft ließ Flora die Tote auf das Bett zurückgleiten und drückte ihr die Augen zu. Dann ging sie zu der Kleinen, die auf dem Boden kauernd eingeschlafen war, um sie in ihren eigenen Wohnwagen hinüberzutragen.
Als der Arzt kam, konnte er nur noch den Tod der jungen Frau feststellen.
*
Als Denise von Schoenecker die Halle des Kinderheims Sophienlust betrat, liefen ihr die fünfjährige Heidi Holsten, das jüngste der Dauerkinder und die sechsjährige Felicitas, die Tochter der Ärztin Anja Frey, entgegen.
Heidi schlang impulsiv die Ärmchen um Denises Taille. »Fein, daß du kommst, Tante Isi«, sagte sie strahlend. »Tante Doktor hat uns weggeschickt. Das ist ungerecht, wo ich doch Erikas beste Freundin bin. Das mußt du ihr sagen.«
Denise zog die Kleine an sich. »Nein, Heidi, die Tante Doktor hat schon richtig gehandelt. Sieh mal, höchstwahrscheinlich hat Erika Grippe, und die ist ansteckend.«
»Tante Isi, ich bin auch da«, sagte Felicitas, genannt Filzchen, vorwurfsvoll, weil Denise noch immer die kleine Heidi in ihren Armen hielt. Verlangend streckte die Sechsjährige ihr die Arme entgegen.
Die Verwalterin lachte, ließ Heidi los und zog das andere kleine Mädchen an sich. »Verzeih, Filzchen, daß ich dich als unseren Gast hier nicht zuerst begrüßt habe«, scherzte sie.
»Nun bin ich wieder dran«, sagte Heidi eifersüchtig und drängte Filzchen beiseite.
»Ich muß jetzt erst nach unserer kleinen Patientin sehen«, sagte die Verwalterin des Kinderheims Sophienlust.
»Das darfst du nicht, Tante Isi«, meinte Heidi und hielt sich an Denises Rock fest, um sie zurückzuhalten. »Du darfst dich nicht anstecken, sonst mußt du dich auch ins Bett legen.«
»Muß sie nicht, wenigstens nicht lange«, behauptete Filzchen. »Meine Mutter macht sie doch ganz schnell wieder gesund. Komm, wie spielen weiter.« Sie zerrte an Heidis Arm.
Felicitas’ Spaniel, der bis dahin auf dem Bärenfell vor dem Kamin gelegen hatte, glaubte, daß seine Herrin in Gefahr war und stürmte mit wütendem Bellen heran, um nun seinerseits an Filzchens Kleid zu zerren.
Heidi ließ Denise Rock los und wandte sich dem Hund zu. »Aber Stoffel, man darf doch nicht so ’n Krach machen, wenn jemand krank ist«, sagte sie empört.
Denise von Schoenecker benutzte die Gelegenheit, um schnell ins Krankenzimmer zu flüchten.
»Guten Morgen, Anja«, begrüßte sie die Ärztin, die gerade dabei war, ihren Arztkoffer zu schließen. Dr. Frey erwiderte den Gruß freundlich. »Was macht unser krankes Häschen?« Denise trat an das Bett heran und strich dem vierjährigen Mädchen über das dunkle Haar.
»Tante Isi, Tante Doktor hat mir ein Bonbon geschenkt«, sagte Erika strahlend trotz ihrer Heiserkeit. »Willst du’s mal sehen?« Sie zog aus ihrem Mund eine weiße Tablette heraus.
»Ja, ganz toll«, sagte Denise, »aber nun steck es schnell wieder ins Mündchen, damit es auch hilft.«
