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Was tun, wenn die eigene Frau mit einem Schuhputzer fremdgeht? Juan Marsé gibt in seinem hinreißend komischen Roman darauf eine Antwort und bezieht ganz nebenbei auch noch ironisch Stellung zur katalanischen Sprachenpolitik. An dem Tag, an dem Marés seine Frau Norma, eine katalanische Patriotin aus gutem Hause, in flagranti mit einem andalusischen Schuhputzer erwischt, bricht für ihn eine Welt zusammen. Der gehörnte Ehemann gibt seine gesellschaftliche Stellung auf und verwandelt sich in einen Akkordeonspieler – nur, um als zweisprachiger Liebhaber die Ehefrau zurückzuerobern. Der Haken dabei ist jedoch, dass die neu geschaffene Persönlichkeit die eigene immer mehr in den Hintergrund drängt … Mit viel Humor und einer gehörigen Portion Sarkasmus nimmt Juan Marsé die katalanische Bourgeoisie aufs Korn. Dabei glänzt er nicht nur durch Situationskomik, sondern entwickelt auch einen umwerfenden Sprachwitz, der ständig zwischen Hochsprache, Dialekten und Akzenten hin und her wechselt.
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Seitenzahl: 246
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Für Berta. Und meine anderen Eltern und meine andere Schwester auf der anderen Seite des Spiegels.
Die spanische Originalausgabe erschien 1990 unter dem Titel El amante bilingüe bei Planeta in Barcelona. Die erste deutsche Ausgabe erschien 1990 im Elster Verlag in Brühl-Moos.
E-Book-Ausgabe 2022
© Juan Marsé, 1990 and Heirs of Juan Marsé
© 2007, 2011, 2022 für die deutsche Ausgabe: Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41,10719 Berlin
Covergestaltung Julie August. Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.
Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.
ISBN: 978 3 8031 4361 7
Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 2571 2
www.wagenbach.de
Das Wesentliche am Karneval ist nicht, sich eine Maske aufzusetzen, sondern sich von seinem Gesicht zu befreien.
Antonio Machado
Als ich an einem regnerischen Nachmittag im November 1975 unerwartet nach Hause kam, lag meine Frau mit einem anderen Mann im Bett. Ich erinnere mich, dass ich beim Öffnen der Schlafzimmertür als Erstes mich selbst sah, wie ich die Schlafzimmertür öffnete; noch heute, zehn Jahre nach dem Vorfall, da ich nur noch ein Schatten meiner selbst bin, wirft mir der Schrankspiegel jedes Mal, wenn ich ahnungslos das Schlafzimmer betrete, getreulich jenes zitternde Bild der Verzweiflung entgegen, jene vergangene Erscheinung, die meinen Niedergang herbeiführte: ein vom Regen durchnässter Mann an der Schwelle seiner unmittelbar bevorstehenden Vernichtung, gedemütigt von Eifersucht und der Gewissheit, alles, sogar seine Selbstachtung, verloren zu haben.
Um die Erinnerung an dieses Unglück zu bewahren, um in einer noch nicht verheilten Wunde zu bohren, werde ich in diesem Heft niederschreiben, was an jenem Nachmittag vorgefallen ist.
Ein Schlafzimmer, klein und behaglich. Ein niedriges Bett mit zerwühlten Laken. Von meinem Bild im Spiegel beim Eintreten sprach ich bereits. Norma hat sich ins Badezimmer geflüchtet und die Tür von innen verriegelt. Das Zweite, was ich sehe, ist die Dose Schuhcreme auf dem grauen Teppichboden und der halbnackte Kerl, der auf der Bettkante sitzt und fachmännisch mein bestes Paar Schuhe bürstet. Das Einzige, was er am Leibe trägt, ist eine verschlissene schwarze Schuhputzerweste. Seine Beine sind stark behaart und kräftig. Tiefe Falten durchfurchen sein Gesicht.
»Was zum Teufel machen Sie da mit meinen Schuhen?«, frage ich dümmlich.
Der Mann weiß nicht, was er machen oder sagen soll. Er murmelt mit andalusischem Akzent:
»Na ja, das sehn Sie doch ...«
Ehrlich gesagt, weiß auch ich nicht, wie man sich in einer solchen Situation verhält.
»Das ist unerhört, hören Sie, das ist der Gipfel.«
»Ja, das ist es ...«
»Das ist absurd, idiotisch.«
Am Fußende des Bettes stehend, während sich eine kleine Wasserlache um meine Füße bildet, beobachte ich den Fremden, der weiterhin meine Schuhe bürstet, und sage zu ihm:
»Und was jetzt?«
»Hab mich ein bisschen gelangweilt und mir gesagt: Wollen wir uns ein bisschen die Zeit mit Schuhputzen vertreiben ...«
»Das sehe ich.«
»Bin nämlich Schuhputzer, müssen Sie wissen. Immer zu Diensten.«
»Soso.«
»Gut, ich geh dann mal besser.«
»Nein, gehen Sie nicht. Meinetwegen können Sie bleiben.«
»Nehmen Sie’s nicht so tragisch«, rät er mir tröstend. »Sie sind doch wohl der Mann von der Señora Norma, nehm ich an ...«
Um irgendetwas zu tun, fährt er fort, den Schuh mit mechanischen Bewegungen zu putzen. Gleichzeitig führt er diese absurde Tätigkeit mit einer übertriebenen Sorgfalt aus.
»Ich bin ganz ruhig«, sage ich zu mir selbst. »Mir geht’s gut.«
»Freut mich.«
»Könnten Sie vielleicht aufhören, den Schuh da zu bürsten?«
»Ist meine Aufgabe, Schuhe zum Glänzen zu bringen, wissen Sie? Aber vielleicht geh ich jetzt besser. Sie erlauben.«
Plötzlich erschreckt mich der Gedanke, mit Norma allein zu sein. Ich weiß, dass ich sie verlieren werde.
»Bleiben Sie noch ein bisschen«, sage ich zu ihm. »Es regnet sehr stark ...«
Leicht verlegen zieht er sich bereits die Unterhose an. Ich sehe flüchtig sein Geschlecht zwischen den Beinen baumeln. Es ist dunkelbraun, beachtlich. Eilig streift er seine Hose über, dann hebt er seine Socken vom Boden auf. Aus seinem etwas brutalen Gesicht ist der Schreck noch nicht gewichen, er scheint überfordert in seiner Rolle als Gelegenheitsliebhaber der Dame des Hauses, vom Gatten in flagranti ertappt. Es überrascht mich nicht, dass er ein gewöhnlicher Schuhputzer ist, wahrscheinlich Analphabet, der aussieht wie ein Ziegenhirte, aufgegabelt in irgendeiner Bar an den Ramblas. Als ich zu ahnen begann, dass Norma mich betrog, dachte ich an Eudald Ribas oder einen beliebigen anderen arroganten Kerl aus ihrem erlesenen Freundeskreis, aber es dauerte nicht lange, bis ich entdeckte, dass sie eine Schwäche für Männer aus Murcia mit dunklem Haar und kräftigem Gebiss hatte. Für Einwanderer aus Südspanien, charnegos, jeder Art. Taxifahrer, Kellner, Flamencosänger und Flamencogitarristen mit langen Fingernägeln und Katzenaugen. Murcianer, die unter den Achseln riechen, nach Schweiß, dreckigen Socken und billigem Wein. Hübsch, das schon. Obwohl dieser hier weder besonders jung noch besonders unwiderstehlich wirkt. Ein etwa vierzigjähriger Kerl, dunkle Hautfarbe, gebogene Nase, krauses Haar und lange Koteletten. Ein waschechter charnego, der mir nicht in die Augen zu sehen wagt.
Und ich weiß immer noch nicht, was ich machen soll.
»Nicht zu fassen, Mann«, murmele ich nachdenklich auf Katalanisch und betrachte den Boden. »Und was nun?«
»Nehmen Sie’s nicht so tragisch«, wiederholt der Mann. »So ein Mist aber auch ...«
Ich spüre, dass ich gleich explodieren werde. Ich öffne den Kleiderschrank und hole meine anderen Schuhe heraus, mehr als ein halbes Dutzend Paar, und auch die von Norma, und mit rasender Wut schleudere ich sie alle aufs Bett.
»Nehmen Sie, hier haben Sie meine Schuhe. Sie sind doch Schuhputzer, oder? Oder sagten Sie nicht, dass Sie Schuhputzer sind?! Dann bürsten Sie gut!«, schreie ich, damit Norma mich hört. »Zeigen Sie’s ihnen mit der Bürste!«
»Ja, Señor.«
Er beeilt sich, die Schuhe paarweise auf dem Bett zu sortieren, nimmt einen und beginnt, ihn mit der Bürste zu bearbeiten.
»So ist es richtig. Bürsten Sie, bürsten Sie ...«
Ich schaue zur Badezimmertür in der Hoffnung, Norma herauskommen zu sehen. Aber sie kommt nicht. Auf dem Nachttischchen sehe ich ihre Brille mit den dicken Gläsern. Sie zieht sich jetzt blind an, denke ich, ohne sich im Spiegel sehen zu können. Ich dagegen sehe sie, höre sie, rieche sie. Unsere Wohnung in Walden 7 ist klein und hat dünne Innenwände, ich kann hören, wie Norma sich im Badezimmer anzieht, gerade streift sie sich die Strümpfe über, das Knistern der Seide an ihren Beinen dringt zu mir, ich höre das Schnalzen des Strumpfbandes auf ihrer Haut.
Ich fühle mich erschöpft. Ich ziehe den nassen Regenmantel aus und setze mich auf die andere Seite des Bettes. Noch immer trommelt der Regen gegen die Fensterscheiben. Ein Hundewetter.
»War es das erste Mal?«, frage ich, und der ruhige Ton meiner Stimme überrascht mich. »Antworten Sie. War es das erste Mal?«
»Ja, Señor.«
»Lügen Sie mich nicht an.«
»Ich schwör’s bei allem, was mir heilig ist.«
»Aber Sie kennen die Señora schon länger.«
»Na ja, ist nicht mal zwei Monate her, dass ich ihr zum ersten Mal die Schuhe geputzt hab, zufällig ... Gut, dann geh ich jetzt.«
»Immer mit der Ruhe!«
Der Schuhputzer legt seinen Kopf auf die Brust und seufzt aus tiefster Seele:
»Oh, mein Gott.«
»Wo arbeiten Sie?«
»Auf den Ramblas.«
»Wie haben Sie sich kennengelernt?«
»In der Bar vom Hotel Manila. Ich bin da immer nachmittags. Aber seien Sie nicht zu hart zu der Señora. Und lassen Sie mich bitte gehen ...«
»Sie bleiben. Wer hier geht, bin ich.«
Doch weder er noch ich, sondern Norma wird verschwinden, und zwar für immer. Bekleidet mit einem engen grauen Rock und einem blauen Rollkragenpullover kommt sie, ruhig und unnahbar, aus dem Badezimmer, fährt sich mit der Hand durchs Haar, nimmt, ohne uns eines einzigen Blickes zu würdigen, ihre Brille mit den dicken Gläsern vom Nachttisch und setzt sie auf, dann holt sie ihre Lederjacke und einen kleinen Regenschirm aus dem Schrank, öffnet die Schlafzimmertür, geht hinaus und schlägt die Tür hinter sich zu.
Bis heute hallt das Zuschlagen der Tür in meinen Ohren wider. Bis heute habe ich nicht darauf reagiert. Ich betrachte die Sammlung meiner Schuhe, die in einer Reihe auf dem Bett liegen. Norma liebte es, mir Schuhe zu kaufen, die allerbesten Schuhe. Sie glänzen makellos und blicken mich, banal und symmetrisch aufgereiht, heiter an. Der Schuhputzer hält einen von ihnen in der Hand und bürstet ihn sanft.
»Elegante Schuhe haben Sie da ...«
»Sie werden sich bestimmt fragen«, sage ich, ohne ihm Beachtung zu schenken, ohne meinen Blick von der Tür, durch die Norma hinausgegangen ist, abzuwenden, »wie eine Frau ihrer Klasse eine solche Null wie mich heiraten konnte ...«
»Nein, Señor, ich frag mich gar nichts.«
»Auch ich frage mich das manchmal.«
»Na ja, man kann nicht alles wissen ... Wird Zeit, dass ich gehe.«
»Moment. Ich würde Ihnen gerne etwas erzählen. Über mich und diese Frau, die soeben gegangen ist. Norma Valentí. Wir haben uns vor vier Jahren kennengelernt. Ich war siebenunddreißig und sie dreiundzwanzig. Ein Wunder hat uns zusammengeführt ...«
Ich bin im oberen Teil der Calle Verdi aufgewachsen, erzählte ich ihm, damals in den harten Jahren der Nachkriegszeit, zusammen mit den Straßenjungen, die nicht zur Schule gingen und sich im Parque Güell und im Guinardó herumtrieben. Norma war die einzige Tochter des inzwischen verstorbenen Víctor Valentí, eines Fabrikanten von Ledergürteln und anderen Lederartikeln, der in den vierziger Jahren ein Vermögen gemacht hat, weil es ihm gelang, Exklusivverträge mit der Armee abzuschließen. Das Mädchen wuchs wohlbehütet in einer prächtigen, von einem riesigen Park umgebenen Villa im Guinardó auf. Sie lebte dort mit ihren Eltern und zwei unverheirateten Tanten. Als sie fünfzehn Jahre alt war, kamen ihre Eltern bei einem tragischen Autounfall auf dem Montserrat ums Leben. Sie hatten an einem Abhang gehalten, um die Landschaft zu bewundern. Sie blieben im Wagen sitzen. Sie genossen gerade die Sicht auf den Cavall Bernat, da löste sich die Bremse und der Wagen rollte, ohne dass sie es bemerkten, langsam rückwärts und stürzte den heiligen Berg hinunter ...
»Die Firma wurde von Onkel Luis, Don Víctors Bruder, übernommen und Normas Erbschaft bestand aus einem monatlich ausgezahlten Betrag, der höher war als der beste Verdienst, den ich mir in meinem ganzen Leben jemals hätte erträumen können. Und ich habe viel geträumt, das können Sie mir glauben ...«
»Träumen ist prima, aber man muss mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben«, belehrt mich der Schuhputzer weise.
»Wollen Sie wissen, durch welche glückliche Fügung oder seltsamen Zufall sich ein reiches Mädchen und eine Niete wie ich, Sohn einer alkoholabhängigen ehemaligen Opernsängerin und des Magiers Fu-Ching, eines armseligen Varieté-Künstlers, kennenlernen und ineinander verlieben konnten? Ich werde es Ihnen erzählen ...«
Wir lernten uns in der Zentrale der »Freunde der UNESCO« in der Calle Fontanella kennen, beginne ich zu erzählen, während eines Hungerstreiks gegen das Regime, der von einer Gruppe linker Anwälte und Intellektueller organisiert worden war. Ich geriet unter all diese Leute, als wäre ich vom Himmel gefallen ... Es war im Dezember neunzehnhundertsiebzig. Damals war die Fotografie meine große Leidenschaft, und ich besuchte regelmäßig Ausstellungen und Sammlungen. Eines Abends, ich kam gerade aus dem Kino, betrat ich das Lokal der »Freunde der UNESCO«, um mir die Fotos einer Ausstellung anzusehen. Die Öffnungszeit näherte sich dem Ende, und im Saal hielten sich ungefähr zwanzig Personen auf, die lebhaft miteinander redeten, ohne den Fotografien die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Schnell wurde mir klar, dass sie aus einem anderen Grund dort waren. Da niemand gegangen war, hatte ich nicht bemerkt, dass man das Lokal inzwischen geschlossen und uns alle eingesperrt hatte: Das war der Beginn eines Hungerstreiks aus Protest gegen die Prozesse von Burgos, bei denen man neun Todesurteile verhängt hatte, und alle Anwesenden wussten Bescheid, nur ich nicht. Neben Anwälten bestand die Gruppe aus Studenten, Ärzten und dem einen oder anderen Schriftsteller und Journalisten, deren Wortführerin eine energische Anwältin mit grünen Augen war. Meine Anwesenheit erweckte kein Misstrauen; da sich nicht alle untereinander kannten, dachten sie, ich sei ebenfalls einer von ihnen, und man stellte mir keine Fragen. Alle hatten die Anweisung, sich zur selben Zeit dort einzufinden und sich zu weigern, das Lokal zu verlassen, wenn es geschlossen würde. Ich durchschaute die Situation, als ich einige Bemerkungen hörte, vor allem aber, als ich mit einer jungen Studentin sprach, die mich fragte, durch wen ich hierhergekommen sei. Es war Norma. Ich nannte ihr den Namen eines katalanischen Theaterkollektivs, das damals für seine antifrankistische Haltung bekannt war. Norma faszinierte mich sofort, und ihretwegen beschloss ich, mich dem Streik anzuschließen. Es sollten vier unvergessliche Tage werden. Wir aßen nichts, tranken nur Wasser mit etwas Zucker und rauchten viel. Ich erinnere mich, dass Norma die Zigaretten mit Streichhölzern aus dem Bocaccio anzündete, jenem sagenumwobenen Lokal in der Calle Muntaner, das als geheimer Treffpunkt der demokratischen Linken galt ... Man besorgte uns Decken, und wir schliefen angekleidet auf dem Fußboden. Norma und ich waren während der ganzen Zeit unzertrennlich. Wir erhielten Solidaritätsschreiben von verbotenen Arbeiterkomitees, und das schwedische Fernsehen besuchte uns. Von der ersten Nacht an schlief Norma neben mir. In der frühen Morgenstunde des vierten und letzten Tages, als die Polizei die Tür gewaltsam aufbrach, um das Lokal zu räumen, befand sich meine Hand gerade unter der Decke zwischen Normas Schenkeln. Nie werde ich die warme Seide vergessen, die meine Hand gefangen hielt, ebenso wenig wie die Mischung aus Lust und Angst in Normas Augen, als die Tür nachgab und die Polizei Francos in den Saal eindrang ... Sie brachten uns alle auf das Präsidium, und Norma und ich hielten uns an der Hand.
»Eine sehr schöne Geschichte, wirklich, Señor ...«
»Sie studierte katalanische Philologie und war ein romantisches, aber modernes Mädchen«, redete ich weiter auf den benommenen Schuhputzer ein. »Fragen Sie mich nicht, warum sie sich in mich verliebte, wie es zu diesem Wunder kam. Womöglich denken Sie, so wie es damals Normas Tanten und Freunde taten, dass ich sie wegen des Geldes heiratete. Aber ich selbst bezweifle das, wenn ich bedenke, wie ich mich danach verhalten habe ... Die Geschichte von Joan Marés ist traurig, mein Freund. Es ist die Geschichte eines Mannes, der mit siebenunddreißig eine tolle Partie machte und sich danach nicht zu benehmen wusste. Ich war ein Mitgiftjäger ohne Überzeugung ...«
»Im Grunde sind Sie ein prima Kerl.«
»Wir wohnten ein paar Monate zusammen mit den beiden alten Tanten in der Villa Valentí, dem Märchenschloss im Guinardó. Ich habe die Kuppeln, die in der Abenddämmerung golden glänzten, und den lauschigen Fischteich mit seinem grünen Wasser nicht vergessen. Dann kaufte Norma, der Mode vieler fortschrittlicher Paare folgend, eine Wohnung in Walden 7, dem umstrittenen Gebäude des Architekten Bofill in Sant Just, genau die Wohnung, in der wir, Sie und ich, uns gerade befinden, auf einem Bett mit lauter Schuhen ...«
»Hörn Sie doch endlich auf, bitte.«
Der Mann legt den Schuh beiseite, steht auf, verstaut die Bürste und die Schuhcremes in seiner Kiste und sieht mich an, die Schuhputzerkiste in der Hand, und wartet darauf, dass ich zu Ende erzähle.
»Ich hatte keine Arbeit«, fahre ich unbarmherzig fort. »Da ich mir meinen Lebensunterhalt nicht verdienen musste und mir daher die Motivation fehlte, gab ich meine Bemühungen um Arbeit schließlich auf. Bevor ich Norma kennenlernte, war ich in einem alten Handschuh- und Hutgeschäft im gotischen Viertel angestellt gewesen und hatte hin und wieder in Laientheatergruppen in Gràcia gespielt. Zu jener Zeit war meine Mutter bereits tot, ich hatte keine weiteren Angehörigen mehr (mein Vater, der Magier, ist von zu Hause fortgegangen, als ich zwölf Jahre alt war) und lebte mit einer unbekannten Schauspielerin in ihrer kleinen, dunklen Wohnung in der Calle Tres Señoras. Mit Norma, in dieser Wohnung hier, war alles anders. Norma und ich führten eine romantische, leidenschaftliche und unglückliche Ehe: eine Verbindung, die nicht von Dauer sein konnte, denn keiner von uns beiden wusste, wie zum Teufel wir es anstellen sollten, um ihr Dauer zu verleihen, außer im Bett ...«
»Weinen Sie doch nicht, um Gottes willen.«
»Es dauerte nicht lange, bis Norma ökonomische Unabhängigkeit mit emotionaler verwechselte, und so begann eine Reihe von Depressionen, die sie vor etwa einem Jahr in ein paar schäbige Abenteuer trieb, das erste mit einem Kellner und das zweite mit einem Taxifahrer.«
»Das passiert jedem mal, wissen Sie?«
»Und jetzt mit einem Schuhputzer, den sie irgendwo aufgelesen hat, in einer Kneipe ... Verdammt! Verdammt!«
»Lassen Sie sich nicht täuschen. Ihre Frau liebt Sie.«
»Ich komme zum Schluss. In den vier Jahren meiner Ehe bin ich immer früh ins Bett gegangen und habe wieder angefangen zu träumen. Schon als kleiner Junge habe ich davon geträumt, weit fortzugehen, fort aus dem Viertel und von zu Hause, fort von dem Geräusch der Singer-Nähmaschine, die meine Mutter mit den Füßen antrieb, ihren ranzigen Zarzuelas, ihren Besäufnissen und den schmutzigen Freunden aus ihrer Schauspieltruppe. Dank Norma hatte ich es geschafft. Und jetzt weiß ich, dass ich alles verloren habe.«
»Hörn Sie, ich muss los. Es regnet nicht mehr ...«
»Bleiben Sie noch einen Moment.«
»Das wäre nicht gut, Señor, gar nicht gut. Hier, die Schuhe sind sauber.«
Fasziniert betrachte ich die blankgeputzten Schuhe, die in einer Reihe auf dem Bett liegen. Sie sehen aus, als würden sie lächeln. Plötzlich denke ich, dass ich ihm für seine Arbeit etwas geben sollte. Er steht schon an der Tür.
»Ich glaube, ich sollte Sie für Ihre Arbeit bezahlen ...«
»Seien Sie nicht blöd, Mann.«
»Was kann ich denn sonst tun, außer mir eine Kugel in den Kopf zu schießen.«
»Reden Sie keinen Blödsinn. Los, Gott wird Ihnen helfen! Das Beste, was Sie machen können, ist Ihre Frau zu suchen.«
Aber ich würde mich stundenlang nicht von dort fortbewegen, und Norma würde niemals in die Wohnung in Walden 7 zurückkehren. Sie zog wieder in die Villa Valentí zu ihren Tanten, und am folgenden Tag schickte sie ein Dienstmädchen, das ihre Kleidung und ihre sonstigen Dinge holte. Mir gelang es ein paar Mal, mit ihr zu telefonieren, aber ich konnte sie nicht davon überzeugen, zurückzukommen. Sie sagte, ich könne in Walden 7 bleiben, solange ich wolle – noch heute ist die Wohnung auf ihren Namen eingetragen –, sie habe nicht die Absicht, mich auf die Straße zu setzen. Danach wollte sie nichts mehr von mir wissen.
Der geduldige und liebenswürdige Schuhputzer geht hinaus, und ich höre, wie die Wohnungstür ein zweites Mal geschlossen wird, diesmal sehr behutsam. Gleichzeitig öffnet sich vor mir eine andere Tür: diejenige, die das Elend und das Scheitern meines Lebens hereinlassen wird, meinen schwindelerregenden Sturz in die Einsamkeit und Verzweiflung.
Vor vielen Jahren, als er ein einsamer Junge war und sich mit seiner schwarzen Maske an die sonnigen Straßenecken seines Viertels setzte, um alte Comics und Romane zu verkaufen, träumte Marés davon, als Erwachsener ein wunderbares Buch zu schreiben, das so beginnen würde: Vor vielen Jahren, als ich ein einsamer Junge war und mich mit meiner schwarzen Maske an die sonnigen Straßenecken meines Viertels setzte, um alte Comics und Romane zu verkaufen, träumte ich davon, eines Tages ein wunderbares Buch zu schreiben, das so beginnen würde ...
Heute saß er zerlumpt an einer schmutzigen und zugigen Ecke im Raval, weit weg von seinem Viertel, und spielte Akkordeon. Auf dem Boden zwischen seinen Füßen lag eine ausgebreitete Zeitung, auf die Passanten ein paar Münzen geworfen hatten. Marés war ein Mann von zweiundfünfzig Jahren, wirkte jedoch jünger, seit ihn eine Gruppe aufgebrachter katalanischer Nationalisten vor drei Jahren feurig liebkost hatte. Sie hatten auf den Ramblas demonstriert, während er an der Ecke von Sant Pau saß, und einen Molotowcocktail Marke Tío Pepe so unglücklich geworfen, dass er auf dem Bürgersteig vor ihm explodierte und seine Haut auf Gesicht und Händen in Seide verwandelte. Das Feuer brannte ein dauerhaftes und spöttisches Lächeln in die Haut seiner Wangen ein, einen Ausdruck verträumter Ironie. Seitdem hatte er keine Augenbrauen mehr, und er malte sie sich mit einem schwarzen Schminkstift mit groben Strichen nach; nur zwischen den Augenbrauen wuchsen ihm, sobald der Frühling kam, ein paar lange, schwarze Haare. Um seinem Gesicht ohne Falten und Vergangenheit an Tagen voller Melancholie und sehnsüchtiger Erinnerungen Leben zu verleihen, klebte er sich einen vornehmen, blonden Schnurrbart über seiner strengen Oberlippe an. Marés hatte hohe, feine Backenknochen, lichtes Haar und honigfarbene, kleine Raubvogelaugen. Auf seinem alten Akkordeon spielte er schwungvolle Pasodobles, und vor seiner Brust hing ein Schild, auf dem stand:
BETTELNDER CHARNEGO OHNE ARBEIT
BIETET IN KATALONIEN
EIN TRAURIGES DRITTE-WELT-SCHAUSPIEL
BITTE UM UNTERSTÜTZUNG
Nach anderthalb Stunden hatte er erst vierhundert Pesetas zusammen. Er wechselte auf den Mittelstreifen der Ramblas, setzte sich neben den Eingang der Metrostation Liceo auf den Boden, breitete die Zeitung aus, drehte die Pappe vor seiner Brust um und begann mit viel Gefühl den Cant dels ocells zu spielen. Auf dem Schild war jetzt zu lesen:
UNEHELICHER SOHN VON
PAU CASALS
SUCHT EINE CHANCE
Die berühmte Melodie von Casals bedrückte ihn. Einige Passanten blieben stehen, um ihn zu betrachten, und lasen misstrauisch, was auf dem Schild stand. Einer von ihnen trat näher an ihn heran, rundlich, tadellos gekleidet, mit blankgeputzten Schuhen, die bei jedem Schritt knarrten, die rechte Hand in der Hosentasche. Doch er holte keine Münze hervor.
»Escolti, perdoni«, sagte er mit einem Kaninchenlächeln. »Aquest rètol està mal escrit.«
»Was sagen Sie, guter Mann?«
»Oh!«, rief der Passant mit den glänzenden Schuhen ganz überrascht. »Das ist wirklich gut: ein Sohn von Pau Casals, der kein Katalanisch spricht? Allerhand!«
»Sehen Sie, ich bin in Algeciras aufgewachsen, bei meiner Mutter, die als Dienstmädchen im Hause des Meisters und großen Patrioten gearbeitet hat ...«
»Allerhand!«, wiederholte der Mann, während er sich mit skeptischer Miene entfernte. »Ja, ja.«
Trotz dieses kleinen Vorfalls kassierte Marés in weniger als zwei Stunden dreitausend Pesetas, fast alles in Hunderter- oder Zweihundertermünzen.
Gegen Mittag begann er, Melodien von Edith Piaf zu spielen, und seine Traurigkeit ließ etwas nach, begnügte sich mit den huschenden, schwankenden Schatten, die die Ramblas und seine Erinnerung bevölkerten. Den Kopf auf das Akkordeon gestützt, interpretierte er C’est à Hambourg und beschwor die Schiffssirenen und den Nebel an den Molen herauf, eine melancholische Prostituierte, die, an eine Laterne gelehnt, Matrosen anlockt, und dieses Bild eines verrufenen Hafenmilieus erinnerte ihn schmerzhaft an seine ehemalige Frau – Norma Valentí, achtunddreißig Jahre alt, Soziolinguistin, mit einer Brille so dick wie der Boden eines Glases und wunderschönen Beinen –, die in diesem Augenblick hinter irgendeinem Schreibtisch eines Büros der Kommission saß, die für die linguistische Verbreitung und Vereinheitlichung des Katalanischen zuständig war. Er sah sie vor sich, wie sie mit übereinandergeschlagenen Beinen telefonierte, in einem schwarzen Satinrock und schwarzen Netzstrümpfen. Er spielte die Melodie dreimal hintereinander, wobei er an seine Exfrau dachte und sie in seiner Phantasie in die verdorbenen und lasterhaften Abgründe Hamburgs stürzen ließ, und er hörte das Wehklagen der Schiffe und das Klimpern der fallenden Münzen zu seinen Füßen.
Seit zehn Jahren wollte Norma nichts mehr von ihm wissen und schon gar nicht mit ihm reden oder ihn sehen. Marés hatte sich in die Bettelei und in die Anonymität geflüchtet, war jedoch noch immer wahnsinnig verliebt in sie und hatte eine List ersonnen, die es ihm gestattete, hin und wieder mit ihr zu sprechen, ihre Stimme zu hören, ohne sich dabei zu erkennen zu geben. Er stellte das Akkordeon auf den Boden, nahm ein paar Münzen, stand auf und lief zur nächsten Telefonzelle.
»Assessorament lingüístic. Digui?«
Es war Normas Stimme. Nicht immer war sie es, die die Anrufe entgegennahm, aber diesmal hatte er Glück. Marés konnte einen Moment lang nicht sprechen, hatte einen Kloß im Hals.
»Digui ...«
»Ist dort das Zentralbüro für Sprachpolitik?Hören Sie mich?«
Er räusperte sich und gab seiner Stimme eine verruchte Heiserkeit und einen leichten südlichen Akzent:
»Ich rufe wegen einer Auskunft an. Wissen Sie, ich habe einen Laden für Kleidung und Unterwäsche mit Schildern auf Spanisch für jede Abteilung, und ich möchte alles auf Katalanisch haben, für alle Fälle ... Sie wissen ja, wie diese Nationalisten von Terra Lliure so sind ...«
»Posi’s en contacte amb Aserluz i li faran ...«
»Was sagen Sie?«
»Rufen Sie Aserluz an. Dieser Verband bietet zehn Prozent Rabatt für alle Geschäfte an, die Schilder auf Katalanisch anfordern. Wir arbeiten mit ihm zusammen.«
»Aber für so etwas hab ich kein Geld. Mein Laden ist sehr bescheiden, Señora, und ich mach die Schilder selbst, von Hand. Mir reicht es, dass Sie mir sagen, wie man einige Kleidungsstücke auf Katalanisch nennt ...«
»Also gut, was wollen Sie wissen?«
»Ich hab hier eine Liste. Ein bisschen lang, aber ...«
»Sagen Sie mir die Wörter auf Spanisch und ich übersetze sie Ihnen. Aber beeilen Sie sich bitte.«
»Gut. Ich fange an: Mäntel.«
»Abrics.«
»Jacketts.«
»Jaquetes.«
»Gürtel.«
»Corretges oder cinyells.«
»Verdammt, klingt das komisch!«
»Ach! Was wollen Sie hören?!«
»Entschuldigung, wo Sie doch so nett zu mir sind. Ich stehl Ihnen so viel Zeit mit meinen dummen Fragen ...«
»Digui, digui.«
»Blusen.«
»Bruses.«
»Unterhemden.«
»Samarretes.«
»Unterhosen.«
»Calçotets. Schreiben Sie auch alles richtig?«
»Ja, Señora. Büstenhalter oder BHs.«
»Ajustadors.«
»Strumpfbänder und ... Strapse.«
»Lligacames.«
Nach jedem Wort machte Marés eine kleine Pause, so als würde er es notieren. In Wirklichkeit jedoch sog er die angebetete Stimme wie in Ekstase in sich auf.
»Slips.«
»Bragues«, sagte sie sanft.
»Bademantel.«
»Barnús.«
»Hörn Sie, das klingt ja wie eine Beleidigung.«
»Auf Katalanisch heißt es aber so, mein Herr.« Norma seufzte. »Gut, sind Sie fertig?«
»Nein, warten Sie ...«
Verzweifelt biss sich Marés in die Faust, ihm fielen keine weiteren Kleidungsstücke ein, sein Kopf war wie leergefegt.
»Slips und Büstenhalter.«
»Das hatten wir schon.«
»Ach ja ... Sie wissen ja gar nicht, wie sehr ich Ihnen danke, dass Sie sich so viel Mühe mit so einem armen charnego wie mir gemacht haben ...«
»Nichts zu danken. Also, machen Sie’s gut.«
»Tausend Dank, Señora ...«
»Adéu, adéu.«
Glücklicherweise ist heute Donnerstag, sagte sich Marés. Donnerstags, so gegen halb zwei, ging Norma in das Bürogebäude an der Plaza Sant Jaume, und eine halbe Stunde später verließ sie es wieder in Begleitung des berühmten Soziolinguisten Jordi Valls Verdú, eines gefährlichen Kulturaktivisten. Valls Verdú war ihr unmittelbarer Vorgesetzter und derzeitiger Liebhaber, und er bekleidete einen verantwortungsvollen Posten in der Kommission, die das Projekt zur linguistischen Verbreitung und Vereinheitlichung des Katalanischen im Auftrag der Landesregierung, der Generalitat, durchführte. Marés hatte ihn vor zehn Jahren kennengelernt, als er gerade dabei war, Bücher von Bernat Metge aus der umfangreichen Bibliothek des verstorbenen Víctor Valentí, Normas Vater, zu stehlen.
Seine einzigartige, kunstvolle Abgerissenheit zur Schau stellend – er war in die peinlich sauberen und ausgewählten Lumpen eines Bettlers gehüllt: eine zerschlissene, graue Flanellhose, ein zerfranster Pullover, ein geflicktes Sakko, ein zerfetztes Halstuch und alte Schuhe ohne Schnürsenkel; ein offensichtlich heruntergekommener, verlauster Straßenmusikant –, kniete Marés auf einer Zeitung an der Ecke der Plaza Sant Jaume und der Calle Ferran, direkt neben dem mit Fläschchen Eau de Cologne, Zahnpflegemitteln und Seifenstücken gefüllten Schaufenster einer Parfümerie. Er verbarg seine Augen hinter einer dunklen Brille und beglückte die Ohren der Vorübergehenden mit einer tadellosen Version von Suspiros de España, die er mit Akkorden und geschmacklos-kitschigen Trillern bereicherte. Zu seinen Füßen glänzten sechs Fünfziger- und vier Hundertermünzen. Gerade gingen fünf langhaarige Jugendliche mit Geigen- und Gitarrenkästen an ihm vorbei. Hin und wieder verließ ein Dienstwagen inmitten eines großen Pulks von motorisierten Polizisten den Platz.
Gleich würde es zwei Uhr schlagen. Aus dem Gebäude der Generalitat kamen mehrere Beamte, um zum Mittagessen zu gehen. Heute finde ich mein Publikum nicht, sagte sich Marés. Er sah, wie eine burschikose und geschwätzige Beamtin, die aussah wie ein als Putzfrau verkleideter Mann, das Rathaus verließ. Marés wurde ungeduldig. Jeden Augenblick musste Norma Valentí in Begleitung von Valls Verdú, den sie in seinem Büro abgeholt hatte, auf ihrem Weg zum nahegelegenen Restaurant L’Agout d’Avignon an ihm vorbeikommen. Er fragte sich, wie lange Normas schmutziges, einsprachiges Abenteuer noch andauern würde, wie viele weitere Donnerstage er noch hierher kommen müsse, um sich an dieser Ecke aufzubauen, einzig um das Objekt seiner Begierde vorübergehen zu sehen und gelegentlich ein paar Geldstücke zu bekommen. Wie viele Pesetas mochte Norma ihm schon zugeworfen haben? Ein lächerlicher Preis für eine Leidenschaft ohne Hoffnung. All diese Münzen bewahrte er, nachdem er sie gezählt hatte, zu Hause in einem Goldfischglas auf.
Plötzlich sah er das Paar aus der Generalitat heraus- und auf sich zukommen, um in die Calle Ferran einzubiegen. Und einmal mehr dachte er an ihre Vorlieben, an ihre Verehrung des Meisters, und er brach den Pasodoble ab und begann den Cant dels ocells, nachdem er das Pappschild vor seiner Brust umgedreht hatte, um sich wieder als unehelicher Sohn von Pau Casals auf der Suche nach einer neuen Chance auszugeben. Als Norma Valentí an ihm vorbeiging, wühlte sie, ohne stehenzubleiben, in ihrer Tasche. Sie trug einen grauen Faltenrock, einen schwarzen Pullover und hatte ihren weißen Regenmantel über den Arm gelegt. Ihr Begleiter grinste spöttisch, als er das Schild las, trällerte zwischen den Zähnen die heilige Melodie und warf eine Handvoll Kleingeld auf die Zeitung. »Etwas zu witzig, Mann!«, sagte er beim Vorbeigehen auf Katalanisch. Auch Norma hatte die Absicht, ihm eine Münze hinzuwerfen, was der Soziolinguist