2,99 €
Ständig verspüre ich dieses Verlangen, mich für Fehler zu bestrafen. Ständig begleitet mich dieses Gefühl, mich unsichtbar machen zu wollen. Ständig sagt mir eine innere Stimme, ich sei ein schlechter Mensch. Nur meine Grandma hält mich davon ab, mich selbst zu zerstören- schließlich braucht sie mich. Und während sie in ihrem Schaukelstuhl sitzt und ihren Joint raucht, sinniert sie gerne übers Leben. Sie ist der Auffassung, alles hat irgendwann ein Ende- nur meines sei eben noch nicht gekommen. Und wie sie Recht behalten wird! Denn da taucht plötzlich Evan in meinem Leben auf... Freut euch auf heiße Erotik mit Dominanz und bittersüßer Unterwerfung- mit Schmerz und Dankbarkeit! Wie immer beinhaltet dieses Buch explizite Szenen, die für Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren nicht geeignet sind. Ich weise euch darauf hin, dass die Protagonisten nicht auf Safer Sex achten- schließlich ist es nur ein Buch!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2020
Destroyed Girl
ChristinaDaron
1. Auflage - 2018
Copyright: Christina Daron, 2018, Deutschland
Christina Daron
c/o Autorenservice Patchwork
Schlossweg 6
A-9020 Klagenfurt
Coverfoto: covermanufaktur.de - Sarah Buhr
Korrektorat: www.korrekt-ac.com – Kristina Krüger
Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.
Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.
.
Lexie
„Willkommen zurück aus Ihrer Pause. Ich hoffe, das Buffet, welches das Hotel bereitgestellt hat, hat Ihnen gefallen?“, schallt es durch den Raum. „Ich brauche einen Freiwilligen hier vorne auf meiner Bühne. Schließlich wollen wir das heute Gelernte auch umsetzen.“
Ich stöhne und bin froh, dass ich mich in die hinterste Reihe gesetzt habe und der Lackaffe auf der Bühne mich nicht sehen kann.
Trotzdem wippt mein Fuß auf und ab, als stünde er unter Strom. Immer noch fassungslos darüber, dass mein Chef mich zu diesem Wochenendseminar angemeldet hat, schenke ich dem Typen da vorne keinerlei Beachtung.
„Ihr dürft mich Jim oder Jimmy nennen.“ – Das war das Erste, was er zur Begrüßung gesagt hat. Ich habe da ganz andere Vorstellungen, wie ich ihn nennen will, geht es mir durch den Kopf.
Plötzlich vibriert mein Handy in der Tasche meiner Jacke, die ich über den Stuhl gehängt habe.
Grandma.
Ich springe vom Stuhl und renne aus dem Saal, um den Anruf entgegenzunehmen. „Grandma, ist alles in Ordnung?“
„Wo bist du? Du bist die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen!“ Ihre Stimme zittert, mir bricht das Herz.
„Ich bin auf einem Seminar. Geh in die Küche zum Kalender … ja, zum Kalender …“ Ich lausche dem aufgeregten Atem meiner Granny. „Siehst du, was da steht? Genau, der große, gelbe Zettel.“
„Es tut mir leid. Ich habe vergessen, auf den Kalender zu schauen.“
„Ist schon in Ordnung. Das kann mir auch passieren. Wirst du gut versorgt?“
„Susie war heute Morgen hier. Sie hat gesagt, sie käme abends noch mal vorbei zum Kartenspielen.“
„Das freut mich zu hören.“ Erleichtert atme ich auf, dass Grandma nichts passiert ist. Ich verfluche meinen Boss, dass er mich hierhin geschickt hat.
Weder kann ich jetzt durch einen Wochenendjob Geld verdienen noch mich um meine Großmutter kümmern. Ich werde wahnsinnig. Automatisch beginne ich, meinen linken Arm zu kratzen, der über und über mit tätowierten Ornamenten übersät ist.
Zwar sind die Narben unter dem Tattoo verschwunden, aber zu spüren sind sie trotzdem.
Für einen winzigen Augenblick blitzt vor meinem inneren Auge ein Bild auf. Blut, wie es aus einer Wunde auf meinem Unterarm verläuft.
„Denk nicht daran, Kind.“
„Wie bitte?“ Grandma reißt mich aus meinen Gedanken.
„Du sollst nicht daran denken“, sagt sie ernst.
Erstaunlich, wie sie vergessen kann, dass ich auf einem scheiß Knigge-Seminar bin, aber ein untrügliches Gespür dafür hat, wie es ihrer Enkelin geht.
„Tue ich doch gar nicht.“
„Lüg mich nicht an – und dich selbst genauso wenig.“
„Nein, Granny, du hast recht. Hab dich lieb.“
„Ich dich auch.“
„Ich bin morgen Abend wieder zurück. Bis morgen.“
„Bis morgen.“
Ich lege auf, schließe die Augen und lehne mich an die Wand. Meine Hände zittern; langsam zähle ich bis zehn.
„Alles in Ordnung?“, fragt mich eine dunkle Stimme.
Irritiert öffne ich die Augen und schaue in zwei dunkelbraune Augen, die mich besorgt anschauen. „Ähm … ja. Ja, alles gut.“ Ich stelle mich aufrechter hin und fahre mir durchs Haar. Der erste Gedanke, der mir in den Sinn kommt: Wie sieht der Typ nackt unter seinem Anzug aus?
„Sicher? Sie sehen ein bisschen blass um die Nase aus.“ Und du scheinst die Sonne magisch anzuziehen, so gebräunt wie du aussiehst.
„Ich sehe immer so aus … also nicht kränklich … nur ein bisschen müde“, stammle ich, als er skeptisch eine Braue hochzieht. „Hab nicht viel Schlaf bekommen.“
Seine Augenbrauen schießen noch weiter hoch. „Nun, wenn das so ist, ist es ja eine angenehme Müdigkeit.“
Ich starre ihn an und kann nicht glauben, was er da sagt. „Seh ich aus, als wäre ich angenehm müde?!“
Seine Augen verengen sich, als wäre er plötzlich wütend. Seine vollen Lippen, die meine Augen wie magisch anziehen, sowie sein kantiges Kinn mit dem Dreitagebart rücken näher in mein Gesichtsfeld. Sein ganzer Körper strahlt eine Kraft aus, die mich urplötzlich erfasst, als würde er mich anfassen.
„Dein Ton gefällt mir nicht“, brummt er. „Deinem Rumgezappel und deinem Gestottere zufolge schloss ich, dass du gestern Abend heißen und befriedigenden Sex hattest.“
Ich stelle mich kerzengerade hin, verschränke die Arme vor der Brust. Die Begegnung erscheint mir immer surrealer. „Das geht dich nichts an, wann ich zuletzt Sex hatte und was ich die Nacht so treibe“, fauche ich. „Ich muss wieder rein.“ Ich will mich an ihm vorbeizwängen, als er den Arm ausstreckt und mir den Weg versperrt.
Er wirft einen Blick aufs kleine Schild, welches neben dem Eingang hängt. Amüsiert grinst er mich an. „Knigge-Seminar. Vielleicht lernst du dann ein paar Manieren, wie du mit mir zu reden hast.“
„Jetzt reicht’s!“ Ich zwänge mich unter seinem Arm durch – dadurch quetsche ich mich eng an seine Seite, weil der Idiot nicht einen Zentimeter von der Stelle weicht. Ohne ihn noch einmal anzuschauen, reiße ich die Tür auf und verschwinde in den Saal.
Ich höre noch sein amüsiertes Lachen, ehe die Saaltür ins Schloss fällt.
Ich schleiche zurück auf meinen Platz. Vorne redet Jimmy ununterbrochen in sein Mikrofon. Aufgebracht über diese merkwürdige Begegnung muss ich plötzlich grinsen. Ein Kribbeln erfasst mich, das ich ewig nicht mehr verspürt habe und ich drehe mich zur Tür, in der Hoffnung, dass sie aufschwingt und der Unbekannte hereinkommt.
Natürlich ist es aus der Situation heraus eine Hoffnung, die verschwindet, als Jimmy das Wort Test in den Mund nimmt.
„Sehr verehrte Gäste, morgen früh gibt es einen Test, der ausgewertet und zu eurem Unternehmen gefaxt wird.“ Ein Raunen geht durch die Menge, das einstimmig unglücklich klingt.
„Habe ich das richtig verstanden?“ Jimmys Assistent geht Reihe für Reihe entlang und verteilt Hefte. Mein Sitznachbar wendet sich zu mir: „Ein Test?!“
„Ja, leider. Als wären wir Schulkinder.“ Murrend nehmen wir das Heft entgegen. Als ich darin herumblättere, stöhne ich. Da stehen ernsthaft Verhaltensregeln drin, die morgen abgefragt werden.
Dann stehen alle gleichzeitig auf, schnappen sich ihre Jacken. Einige von ihnen zerren grob Zigarettenschachteln aus den Taschen und können es kaum abwarten, sich eine Kippe anzuzünden.
Genervt verlasse ich den Saal und schaue mich verstohlen um. Aber nirgends ist der Unbekannte zu entdecken.
Es ist halb vier nachmittags, draußen regnet es. Also beschließe ich, mich aufs Zimmer zurückzuziehen und ein wenig im Heft zu blättern.
Seit zwei Stunden blättere ich in diesem scheiß Heft herum, aber es bleibt nichts haften. Ich gebe auf und schleudere es vom Bett.
Obwohl ich müde bin, bin ich zu unruhig, um schlafen zu können. Zudem ist es noch zu früh.
Ich mache mir Sorgen um Grandma. Seit neun Jahren lebe ich bei ihr. In den letzten zwölf Monaten hat sie erheblich abgebaut, was mir den Schlaf raubt.
Die Pflegerin, die zusätzlich zu meiner Nachbarin meine Großmutter umsorgt, legt mir nahe, sie in ein Pflegeheim zu geben. Dort sei sie rundum versorgt.
Verbittert habe ich aufgelacht und sie gefragt, wer das zahlen soll. Die Pflegeheime, die in der Nähe meines Wohnortes sind, sind zudem restlos überfüllt.
Die anderen sind zu weit weg, um sie besuchen gehen zu können. Ich besitze keinen Wagen mehr, da ich das Geld für die Pflegekraft brauche.
Und ohne Wagen muss ich so schon schauen, wie ich zurechtkomme. Als ich merke, dass ich wieder meinen linken Arm kratze, höre ich sofort auf, obwohl der Drang übermächtig ist.
Spontan beschließe ich, nach unten zur Bar zu gehen. Schließlich bin ich auf Kosten meines Bosses hier- er hat gesagt, ich solle alles aufschreiben lassen. Die Rechnung würde dann nur gefaxt zu werden brauchen.
Für den Ausflug in eine Bar habe ich eigentlich nicht die richtigen Sachen dabei, aber ich will ja nur ein oder zwei Drinks einnehmen. Dafür muss ich kein Kleid anziehen, aber Make-up kann ich auflegen.
Über meine H&M-Bluse werfe ich einen Blazer, damit ich nicht friere. Im November sinken die Temperaturen in Jersey schlagartig. Und keine Ahnung, wie warm es in dieser Bar sein wird.
Meinen blond-silbergrau gefärbten Bobschnitt nochmals mit Haarspray eingesprüht, verlasse ich das Zimmer und fahre mit dem Aufzug hinunter zum Erdgeschoss.
Eine angenehme Lautstärke erfüllt den Raum, als ich die urige Bar betrete. Viele der Leute erkenne ich wieder, denn es sind auch Seminarteilnehmer. Aber ich verspüre keine Lust, mich mit ihnen zu unterhalten.
Ich will für mich sein, suche einen Platz in einer Ecke, die etwas abseits vom Geschehen ist und bestelle bei der Bedienung einen Whiskey.
Meine Großmutter trinkt ihn gerne. Sie war diejenige, die ihn mir auch zum ersten Mal vorgesetzt hat, als ich sechzehn gewesen bin.
Heute trinke ich ihn, ohne daran zu ersticken oder zu husten.
„Dankeschön.“ Ich lächle die Frau an, die ihn mir serviert. Wie immer halte ich das Glas hoch, schwenke die bernsteinfarbene Flüssigkeit darin, horche dem Klackern der Eiswürfel.
Wehmütig schaue ich ins Glas, als ich den ersten Schluck nehme. Jedes Mal erinnert mich dieser Whiskey an meine dunkelste Zeit, in der meine Großmutter eine große Stütze in meinem Leben gewesen ist.
Nun scheint es andersrum, und ich fühle mich überfordert. Fühle die Anspannung, den Druck, meiner Großmutter nicht gerecht zu werden.
Ich versuche schon, Geld vom Staat zu bekommen, aber das, was mir angeblich für die Pflege meiner Granny zusteht, ist ein Witz.
Darum gehe ich nach meinem Hauptberuf noch putzen und am Wochenende nehme ich kleine Arbeiten an, wie das Kellnern, Babysitten oder das Ausführen von Hunden.
Es ist ein Moment der Stille und Ruhe, die ich verspüre, als ich den Whiskey trinke. Ein kleiner Augenblick, in dem ich die Last nicht spüre.
„Ist hier frei?“
Überrascht schaue ich auf, und ehe ich antworte, setzt sich mir gegenüber ein Mann hin.
„Du trinkst Whiskey?“
„Ja.“ Ich starre ihn ungläubig an- das ist doch der Typ von vorhin. Offensichtlich hat er Feierabend oder macht für heute Schluss – mit was auch immer – da er keine Krawatte mehr trägt und sein Hemd locker aufgeknöpft hat.
Er rutscht auf die lederne, gepolsterte Bank. Er kommt mir so breit und riesig vor, als er so vor mir sitzt.
Er legt den Kopf ein wenig schräg, lehnt sich vor, nimmt meinen Raum ein und lächelt mich leicht an. „In der Bar würde ich mich ungerne ausziehen wollen.“
„Was?“
„Deine Augen scheinen mich ausziehen zu wollen.“
Oh mein Gott! Mein Gesicht muss doch die Bar erleuchten, selbst die dunkelste Ecke dürfte ausgeleuchtet werden. „Nein! Ich will dich nicht nackt sehen … ähm … ausziehen.“ Kann ich mich nicht einfach in Luft auflösen? Seine Augenbrauen schießen amüsiert nach oben. „Ich meine, ich will dich nicht ausziehen.“
„Du kränkst mich. Bisher habe ich das noch nie gehört.“ Er gibt der Kellnerin ein Zeichen, dass sie uns nochmals Whiskey bringen soll.
Statt ihm zu antworten, schlucke ich gierig den Rest Whiskey aus meinem Glas runter. „Es gibt immer ein erstes Mal.“ Ich zucke lässig mit den Schultern- zumindest glaube ich, dass es lässig ist.
Nervös fahre ich mir durchs Haar.
Die Kellnerin serviert uns den Whiskey und nimmt mein Glas mit. Der Unbekannte macht mich nervös, ich weiche seinem Blick aus, schaue stattdessen ins Glas, während ich den Whiskey schwenke.
„Du magst nicht gerne in Gesellschaft sein.“
Ich runzle bei seiner Aussage die Stirn, schaue ihn fragend an.
„Ich hab da hinten gesessen.“ Mit dem Zeigefinger deutet er die Stelle an. „Aber du hast dich lieber schnurstracks an den anderen Teilnehmern vorbeigedrängt. Den Kopf nach unten gehalten, als wolltest du dich unsichtbar machen.“
Schlagartig spüre ich die vertraute Einsamkeit, die ich immer wieder verdrängen muss. Dieser Mann versetzt mich in eine Gefühlslage, die für mich gefährlich wird.
„Ich muss gehen.“ Ich schiebe mich von der Bank, warte seine Antwort nicht ab und verschwinde in Richtung der Fahrstühle.
Ich kämpfe gegen Tränen an, die ich mit Gewalt zurückdränge. Wieso ich weinen muss?Wieso ich mich angegriffen fühle? – Man will die Wahrheit nicht laut hören.
Ich bekämpfe und ignoriere die Einsamkeit, indem ich mich um Grandma kümmere und arbeiten gehe. Ablenkung ist perfekt, um sich nicht mit seinen Gefühlen auseinandersetzen zu müssen.
Ich drücke noch zweimal auf den Pfeil nach oben, auch wenn es sinnlos ist – der Fahrstuhl kommt dadurch nicht schneller.
Erneut bemerke ich zu spät, dass ich meinen linken Unterarm kratze. Verflucht!
Erleichtert atme ich auf, als endlich die Türen des Lifts aufgehen und die Fahrgäste aussteigen. Glücklicherweise steige ich allein ein, als plötzlich jemand seine Finger zwischen die Türen steckt, um diese zu öffnen. Der Fremde!
Ich stelle mich ganz eng in die Ecke, um ihm auszuweichen. „Hau noch einmal ab und du wirst es bereuen, mir über den Weg gelaufen zu sein“, knurrt er.
„Ich habe nicht drum gebeten, dir zu begegnen.“ Ich verschränke die Arme vor der Brust. Das Gefühl der Einsamkeit weicht meiner Wut. Ich fühle mich stark, lebendig.
Mein Blick wandert über die Türen, wo sich die leuchtende Anzeige der einzelnen Etagen befindet. Noch wenige Sekunden und ich kann aussteigen. Die Vier leuchtet auf. Wortlos drücke ich mich an ihm vorbei.
Mit geradem Rücken laufe ich den Flur entlang, der mit Teppich ausgelegt ist und meine Schritte verschluckt.
„Kannst du aufhören, vor mir wegzulaufen?“
„Ja. Ich gehe auf mein Zimmer!“ Ich zücke die Zimmerkarte aus meiner Jeans und stecke sie in den dafür vorgesehenen Schlitz. Es ist ein Piepen zu hören und die Tür ist entriegelt.
„HEY!“ Plötzlich schubst er mich ins Zimmer und tritt die Tür mit seinem Fuß zu. Er wirbelt mich herum, die Schlüsselkarte fällt aus meiner Hand. „Verschwinde!“ Ich will die Tür aufziehen, doch er presst mich dagegen.
„Jetzt, da du nicht mehr verschwinden kannst, können wir uns doch in Ruhe unterhalten.“
„Unterhalten?“, fauche ich. „Unterhalten?! Das soll wohl ein Witz sein.“
„Offensichtlich hast du keine Lust zu reden.“ Ich höre den Spott aus seiner Stimme. Ich kann nur seine Silhouette ausmachen. Selbst von draußen dringt kaum Licht ins Zimmer. Wir haben November, die Sonne geht früh unter in Jersey, und die Karte, die ich brauche, um das Licht einzuschalten, liegt irgendwo auf dem Boden.
Ich sollte mich wehren, schreien, nach Hilfe rufen. Aber er berührt mich nicht, seine Hände sind rechts und links von mir an die Wand gelehnt.
Von ihm geht etwas aus, das mein Inneres in Aufruhr versetzt. Die Kälte in mir weicht einer Aufregung, einer Lebendigkeit.
Ich habe keine Ahnung, wie er heißt, was er macht, woher er kommt.
„Ich bin nicht sehr gesprächig“, sage ich bissig. Er muss ja nicht wissen, was in mir vorgeht. „Und jetzt will ich, dass du mein Zimmer verlässt“, ergänze ich bestimmt und in aufrechter Position.
Er rückt näher, sein Oberkörper berührt leicht meine Brust. Mein Herz schlägt heftig in meiner Brust, mein Puls flattert.
Sein Gesicht kommt näher, hauchzart berühren seine Lippen meine. Ich kann mich nicht bewegen. Soll ich ihn wegstoßen, ihn gewähren lassen?
Sein Duft, ein Rest vom Parfum, welches er aufgelegt haben muss, lullt mich ein. Es kommt mir sehr bekannt vor. Ein klassisches Männerparfum.
„Du hast mich nicht weggestoßen“, raunt er. Ein Kribbeln erfasst meine Haut, das ich bis in die Fingerspitzen fühle. Er presst seine Lippen auf meine, erst sanft, dann gröber.
Seine Zunge fordert Einlass. Ich keuche, als seine Zunge meine berührt. Vorsichtig lege ich meine Hände auf seine Brust. Flach bewege ich meine Handfläche auf und ab, weder will ich ihn wegstoßen noch mich an ihn krallen.
Seine Hand spüre ich an meinem Hinterkopf. Er positioniert meinen Kopf in eine Schräglage, um mich tiefer küssen zu können.
Dieses Mal drängt er seinen Körper ganz an meinen und meine Finger vergrabe ich in seinem Hemd. Der Fremde vertieft den Kuss, er wird grob, was mir gefällt. Ich knabbere an seiner Unterlippe und helfe ihm dabei, als er mir den Blazer ausziehen will.
Ich zerre an den Ärmeln und lasse ihn zu Boden gleiten. Seine Finger umschließen meine Handgelenke, ziehen meine Arme über den Kopf, wo er sie festhält.
Nach Luft ringend löst er sich von meinen Lippen, knabbert an meinem Ohrläppchen. „Bist du noch weiter tätowiert?“, flüstert er fragend. Er küsst sich meinen Hals entlang, beißt zärtlich hinein.
Ich schüttle den Kopf. „Nein, nur der linke Arm.“
Er schaut hoch, obwohl er nur die Umrisse meines Tattoos erkennen kann. Vorsichtig fährt er mit seiner Hand meinen linken Arm entlang. „Ich steh eigentlich nicht auf Tattoos. Wie gut, dass du keine weiteren hast.“
Eine eisige Wut erfasst mich. Was mache ich hier eigentlich? „HAU AB!“
Auch wenn ich ihn nur undeutlich erkenne, merke ich, wie es in ihm rotiert. „Wie bitte?“
„Du hast mich schon verstanden. VERSCHWINDE!“, schreie ich.
Er lässt mich los, tritt einige Schritte zurück, hebt die Hände hoch, als wolle er zeigen, dass er nicht bewaffnet ist. „Ich werde gehen.“ Seine Stimme klingt ruhig, seine Körperhaltung spricht eine ganz andere Sprache.
Ich reiße die Tür auf, drehe das Gesicht weg, damit mir das Licht vom Flur nicht direkt in die Augen leuchtet.
„Ich habe keine Ahnung, was los mit dir ist, aber man sieht sich immer zweimal im Leben.“ Sein Gesicht gleicht einer Maske, aber es steht außer Frage: Er ist stinksauer.
Dafür muss ich nicht in seinem Gesicht lesen können wie in einem Buch.
„Lass mich einfach in Ruhe“, sage ich leise und schließe die Tür.
Evan
„Ich gratuliere Ihnen. Ab dem ersten Dezember heiße ich Sie herzlich willkommen in unserem Unternehmen.“ Mr. Childs reicht mir seine Hand, die ich ergreife. Kräftiger Händedruck. Imposante Ausstrahlung.
„Ich habe zu danken, Mr. Childs.“
Ich hebe mein Weinglas zum Prost und nippe daran. Mr. Childs ist der CEO einer Gourmet-Restaurantkette. Natürlich bin ich auch in eines dieser Restaurants eingeladen worden, und in vierzehn Tagen werde ich die Personalabteilung leiten.
Gerade servieren uns zwei Kellner den Hauptgang – endlich. Nach zwei Vorspeisen sollte man meinen, ein Sättigungsgefühl würde sich melden.
Aber offensichtlich sollen die Vorspeisen nicht sättigen, sondern dir ein Gefühl von dem Essen geben. Anders kann ich mir die winzigen Happen auf den Tellern nicht erklären.
Na, wenigstens hat der Hauptgang eine ordentliche Portion. Und der Rotwein ist ein Traum.
Mr. Childs redet unablässig von seinem Unternehmen, was ich ihm nicht verübeln kann. Schließlich hat er sich ein kleines Imperium innerhalb dieser Branche aufgebaut.
In den nächsten zwei Stunden schmiere ich ihm Honig ums Maul und höre mir an, welche Vorstellungen er hat, um Personalkosten einzusparen.
Solange ich keine genauen Zahlen vor mir liegen habe, hüte ich mich davor, zu schnell miteinzustimmen.
Endlich ist das Essen zu Ende. Ich verabschiede mich von ihm und seinem Assistenten sowie seinem Stellvertreter.
Ich knöpfe mir meinen Mantel bis oben zu, als ich das Restaurant verlasse. Es muss in der letzten Stunde angefangen haben zu schneien. Die Straßen und Gehwege sind mit einer hauchdünnen Schicht bedeckt.
Ich winke einem Taxifahrer, als ich am Straßenrand stehe. Ich nenne ihm meine Adresse und ziehe mein Handy aus der Jackentasche.
Meine Schwester hat angerufen.
„Und, Evan? Ist das Gespräch gut gelaufen? – Ja, Schatz, das ist Onkel Evan“, höre ich sie sagen.
Ich grinse, als ich meine Nichte Mia im Hintergrund höre. „Das Gespräch ist verdammt gut gelaufen und ich habe einen mega Stundenlohn aushandeln können.“
Sie jubelt. „Herzlichen Glückwunsch!“
„Herzlichen Glückwunsch auch von mir“, höre ich Mia im Hintergrund rufen.
„Muss sie nicht schon längst im Bett sein? Es ist halb zwölf.“
„Mom, wann kapiert mein Onkel endlich, dass ich keine zehn mehr bin?“
Adele lacht. „Das wird noch eine ganze Weile dauern.“ Dann höre ich die beiden noch quatschen.
„Würdet ihr bitte auch noch mit mir reden?“, brumme ich.
Wieder höre ich sie lachen. „Gute Nacht, Onkel Evan.“„Wird auch Zeit, dass du ins Bett kommst.“
Meine Schwester stellt den Lautsprecher aus, wartet wohl, bis Mia den Raum verlässt, dann redet sie: „Das freut mich für dich. Ehrlich.“
„Ich weiß. Wie geht es dir, Adele?“
Sie schweigt. „Es geht mir gut. Man kommt immer irgendwie klar.“
„Hat dieses Arschloch wieder nicht bezahlt?“
„Es ist noch nichts auf meinem Konto eingegangen.“
„Also nein. Wie viel brauchst du noch für den Monat?“
„Evan, ich brauche kein Geld. Ich gehe auch arbeiten, vergiss das nicht.“
„Gut, wenn du es mir nicht sagen willst, dann überweise ich dir, was ich meine, was dir zusteht.“
Sie flucht. „Ich rufe dich nicht an, damit du mir jedes Mal Geld gibst.“
„Lass das mal meine Sorge sein. Schließlich bin ich …“
„… der große Bruder“, äfft sie. „Ich weiß.“
„Hab dich auch lieb.“
„Blödmann“, brummt sie. „Ich dich auch.“
Damit hat sie aufgelegt. Der Taxifahrer hält soeben vor dem Gebäude, in dem meine Wohnung ist.
Ich stecke ihm ein paar Scheine zu, steige aus und verfluche den Schnee.
Als ich unten durch die Haustür gehe, bleibe ich vor dem Briefkasten stehen und schaue rein, aber dieses Mal findet sich keine Rechnung, die ich zahlen muss. Oh Wunder!
Oben in meiner Wohnung ziehe ich im Flur die Schuhe aus und hänge die Jacke auf. Ich zücke erneut mein Handy und überlege, ob ich meinem Schwager nicht einen Besuch abstatten soll. – Oder ihm zumindest einen Anruf widmen soll.
Aber letzten Endes bringt es unnötigen Ärger mit sich, den Adele nicht gebrauchen kann. Sie hat so schon seit der Trennung mit ihm nur Ärger.
Im Schlafzimmer ziehe ich mir eine Jogginghose und ein Achselshirt über. Auch wenn ich teils dem Rotwein die Rastlosigkeit verschulde, komme ich nicht umhin, wieder an diese Fremde zu denken.
Es ist schon einige Zeit her, dass ich in diesem Hotel gewesen bin. Da habe ich zum ersten Mal ein Gespräch mit Childs‘ Stellvertreter gehabt.
Diese Fremde mit ihrem Tattoo, welches selbst ihre Fingerknöchel geziert hat.
Tatsächlich habe ich es nicht negativ oder irgendwie gehässig gemeint, als ich ihr gesagt habe, dass ich nicht so auf Tattoos stehe.
Schließlich ist es sehr ungewöhnlich für eine Frau, die nach außen so unscheinbar gewirkt hat, sich den kompletten linken Arm samt ihrer Hand tätowieren zu lassen.
Immer und immer wieder gehe ich diesen Abend durch.
Aber ich kann nicht erkennen, welchen Grund sie gehabt haben muss, um so zu reagieren.
Jedes Mal, wenn ich an diesen Abend, an diese Frau denke, spüre ich eine Wut in mir.
Ich lege mich auf die lederne Liege, stelle die Füße auf den Boden und hebe die Stange aus der Halterung, an deren Ende sich Gewichte befinden.
Angesäuert stemme ich die Gewichte. Ihre grau-blauen Augen, die so viele Emotionen widergespiegelt haben, verfolgen mich in Gedanken.
Sie hat sich am liebsten verkriechen und unsichtbar machen wollen. Ihr außergewöhnliches Verhalten hat mich auf sie aufmerksam gemacht. Schon morgens beim Check-in ist sie mir aufgefallen.
Sie hat sich so bemüht, so weit wie möglich vom Grüppchen abseits zu stehen und auf ihr Handy gestarrt, als wolle sie darin verschwinden wollen.
Nicht einmal hat sie aufgeblickt, nicht einmal gespürt, dass ich sie beobachtet, ja sogar angeglotzt habe, um überhaupt eine Reaktion von ihr zu sehen.
Anfangs habe ich angenommen, sie wäre zu überheblich, um sich mit den Leuten abzugeben. Aber ihre Bewegung hat nicht zu einer Person gepasst, die den Raum und die Situation bestimmen will.
Die ersten Schweißtropfen bilden sich auf meiner Stirn, das anfängliche Pochen in meinen Armen macht sich bemerkbar. – Das fühlt sich gut an.
Ihr schien die Aufmerksamkeit gar nicht bewusst gewesen zu sein, die ihr von den Männern zuteil geworden ist. Oder sie hat sie gekonnt ignoriert, denn Augenkontakt meidet sie.
Obwohl es nun vierzehn Tage her ist, flimmert sie vor meinem inneren Auge auf, als hätte mein Gehirn eine Art Bildstörung.
Meine Arme zittern, als ich die Stange noch einmal hochhebe und diese wieder in die Halterung befördere.
Vorsichtig setze ich mich auf, wische mir mit dem Handtuch die Stirn sauber.
Ach, verdammt!
Ich zupfe an meiner Sporthose, als mein halberigierter Schwanz gegen sie drückt.
Gierig trinke ich Wasser aus der Flasche, entsorge diese und verschwinde ins Bad. Unter der Dusche stelle ich mir vor, wie sie mit ihrem Mund meinen Schwanz fickt.
Wie ihre tätowierten Finger mich umschließen und auf und ab gleiten und sie gierig die Zunge rausstreckt, um mein Sperma aufzufangen. Fuck!
Ich stütze mich an der gekachelten Wand ab, als ich komme. Das warme Wasser prasselt auf mich nieder; es lockert meine strapazierten Schultern und Oberarme.
Ich trockne mich danach schnell ab, ziehe mir eine Boxershorts über und lege mich ins Bett, wo mich wieder dieser Blondschopf heimsucht.
Es ist der erste Dezember, als ich aus dem Taxi steige und vor dem Hochhause stehe, in dem ich nun arbeiten werde.
Dieses Gebäude wird schätzungsweise fünfzehn Etagen haben. So wie mir Mr. Childs erklärt hat, verwaltet er aber nicht alle Etagen.
Als er vor einigen Jahren mitbekommen hat, dass die obersten drei Etagen frei werden, hat er die Chance ergriffen und sich diese gemietet.
Nicht weit von hier ist das große Logistikzentrum; von dort aus wird die frische Ware zu den Gourmetrestaurants geliefert. – Aber damit habe ich nichts zu tun.
Heute ist mein erster Arbeitstag. Man hat mir versichert, dass ich in den ersten vier Wochen nicht alleine laufen werde und man mir jemanden zur Seite stellen wird, um mich einzuarbeiten.
Diese Zeit werde ich nutzen, um mich ausführlich mit den Zahlen zu beschäftigen und die Abläufe kennenzulernen.
In etwa dreißig Minuten erst beginnt offiziell mein erster Arbeitstag. Mr. Cooper, so aus der E-Mail zu entnehmen, ist der Herr, der mich einarbeiten wird. Er ist der Stellvertreter dieser Abteilung. Ich frage mich, wie er auf mich reagieren wird. Schließlich scheine ich ihm seinen möglichen Karrieresprung weggenommen zu haben. Mr. Childs hat mir erzählt, dass Mr. Cooper zuvor schon der Stellvertreter meines Vorgängers gewesen ist. Armer Cooper.
In der Nacht hat es schon geschneit, doch zum Glück ist nicht mehr viel vom Schnee übrig. Aber soeben beginnt es wieder zu schneien, sodass ich gezwungen bin, ins Gebäude zu gehen, obwohl ich mich noch genauer draußen umschauen will.
Aber gut – dann verlege ich es auf ein anderes Mal.
Ich betrete das Gebäude, in dem schon reger Betrieb herrscht. Die ersten Männer wie Frauen in ihrem Businessoutfit laufen entweder an mir vorbei in Richtung der Fahrstühle oder gehen zügig hinaus, weil sie pünktlich zu einem Außentermin müssen und nicht wissen, von welcher Seite sich das Wetter noch zeigen wird.
Das Foyer ist beeindruckend: Der helle, blankpolierte Fliesenspiegel auf dem Boden spiegelt die Lampen von der hohen Decke wider.
Statt riesigen, kalten Neonröhren gibt es an den Wänden viele kleine Strahler, die das Foyer in ein sanftes, warmes Licht tauchen.
Ein junger Bursche mit blonden Haaren, welche modisch in alle Richtungen abstehen, kommt auf mich zu. Vom Nahen sehe ich, dass seine Wangen mit Sommersprossen übersät sind.
Voller Energie streckt er die Hand aus. „Mr. Mitchell nehme ich an? Ich bin Sandy Cooper. Nennen Sie mich einfach Coop.“
„Evan Mitchell. Freut mich.“ Unterwegs scheint die Energie von seinem Körper absorbiert worden zu sein. Sein Händedruck ist lasch, kalt. Schnell lasse ich seine Hand los, ehe ich ihm die Finger breche.
„Das gebe ich Ihnen schon einmal. Den Chip brauchen Sie, um in die oberste Etage gelangen zu können. So brauchen Sie nicht erst im dreizehnten Stock auszusteigen, um sich vom Empfang nach oben fahren lassen zu müssen.“
Ich nicke. Coop redet wie ein verfluchter Wasserfall.