Detektei Anton: Bombenstimmung - Petra Schwarzkopf - E-Book

Detektei Anton: Bombenstimmung E-Book

Petra Schwarzkopf

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Beschreibung

Onkel Anton stolpert im Familienwald über alte Munition aus dem Zweiten Weltkrieg. Außerdem gibt ein seltsamer Brief der Detektei Rätsel auf. Was hat die 92-jährige Frau Breuer damit zu tun, und warum ist die Geschichtslehrerin Angela Kragenbeck so furchtbar engagiert? Wie kann vergangenes Unrecht in Ordnung gebracht werden, und was verheimlicht Pastor Werner? Silas, Rahel, Ronny und Sophia suchen mit Onkel Anton nach Antworten und stoßen auf eine ganz andere Art von Sprengstoff, der bis heute brandgefährlich ist! Der dritte Band der "Detektei Anton"-Reihe für Jungen und Mädchen ab 11 Jahren

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Seitenzahl: 221

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Für meinen Ehemann, auf den ich nicht nur bei meinen Fragen zum Strafrecht bauen kann. Und für unsere schöne Wahlheimatstadt Sinzig. Möge die Erinnerung an vergangene Verbrechen uns Bürger und Bürgerinnen davon abhalten, dieselben heute oder in der Zukunft zu wiederholen.

Petra Schwarzkopf

Detektei Anton – Bombenstimmung

Band 3

Best.-Nr. 275510 (E-Book)

ISBN 978-3-98963-510-4 (E-Book)

Alle Bibelverse und die Kommentare auf den Seiten 152 bis 153 wurden zitiert nach:

Schlachter-Übersetzung – Version 2000

© 2000 Genfer Bibelgesellschaft

1. Auflage (E-Book)

© 2025 Christliche Verlagsgesellschaft mbH

Am Güterbahnhof 26 | 35683 Dillenburg

[email protected]

Satz und Umschlaggestaltung: Christliche Verlagsgesellschaft mbH

Bildquellen: © Saskia Klingelhöfer (Covermotiv)

© freepik.com (Holzschild, Bilderrahmen, Kalender, Foto), freepik/macrovector (Fingerabdruck, Kopf, Tasche), freepik/macrovector (zerkrumpeltes Papier, Pfeil), freepik/Harryarts (Uhr, Vögel), freepik/rocketpixel (Linien), freepik/kstudio (Schleife)

Wenn Sie Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehler entdeckt haben, können Sie uns gern kontaktieren: [email protected]

1. Fundsache

2. Schulbeginn

3. Cesare Lombroso

4. Lasse

5. Ein unscheinbares Kästchen

6. Deine Martha

7. Judengasse

8. Lieber Leopold

9. Schuld und Sühne

10. Die Stolpersteine-AG

11. Immer dieser Werner

12. Bombenstimmung

13. Happy End für Ruth

14. Der Besuch bei der alten Dame

15. Alles umsonst

16. Sonntagabend

17. Im Stadtrat

Nachwort

Glossar

… ist der Onkel von Silas und Rahel und speziell begabt. Er hat ein partiell fotografisches Gedächtnis, kennt sich mit Pflanzen und Pilzen aus und ist brutal ehrlich. Außerdem besitzt Anton einen Schwerbehindertenausweis, aber eigentlich ist er nur schwer in Ordnung.

Alter:

Das kommt darauf an:40 Jahre von außen, 8 Jahre von innen

Haarfarbe:

dunkelbraun

Beruf:

Gärtnergehilfe bei den Caritas-Werkstätten

Hobbys:

Borussia Dortmund, Holz hacken, sägen und verkaufen und sein Mini-Auto, den Ellenator, fahren

Beste Freunde:

Hund Caruso und ein paar Kumpels aus der Werkstatt

… ist die kleine Schwester von Silas und hat einen feinen Sinn für Details. Obwohl sie ihre Umwelt besonders aufmerksam wahrnimmt, bekommt sie vom Unterricht in der Schule manchmal nichts mit. Sie fürchtet sich vor Langeweile und möchte niemals so verrückt werden wie die anderen Mitglieder ihrer Familie.

Alter:

13 Jahre

Haarfarbe:

braun

Berufswunsch:

Polizistin

Hobbys:

Schwimmen, Nervenkitzel

Beste Freundin:

Sophia Mombauer

… ist der große Bruder von Rahel und nur etwas zu klein für sein Gewicht. Er hat Angst, dass er für immer ein paar Zentimeter kleiner bleibt als seine Schwester. Seine Haarfarbe nennt er erdbeerblond, und er trägt seine Sommersprossen mit Stolz.

Alter:

14 Jahre

Haarfarbe:

blond mit rötlichem Schimmer

Berufswunsch:

Dolmetscher oder Krankenpfleger, Rahel behauptet: Pastor oder Lehrer

Hobbys:

Fremdsprachen, Erste Hilfe, Fast Food und möglichst wenig Sport, außerdem Klarinette spielen

Bester Freund:

Ronny Till

… ist der Freund und Klassenkamerad von Silas. Er lebt allein mit seiner Mutter, trägt seine Haare lang und hat eine feste Zahnspange. Ronny ernährt sich gerne von Fast Food und liebt T-Shirts mit coolen Sprüchen. Er versucht ständig, Geld zu verdienen, vielleicht, weil er nicht gerade viel davon hat.

Alter:

15 Jahre

Haarfarbe:

schwarz

Berufswunsch:

reicher Informatiker

Hobbys:

Computer und Sport

Bester Freund:

Silas Schmickler

… ist die beste Freundin von Rahel Schmickler, aber im Gegensatz zu ihr schafft sie es, auch im größten Dreck immer sauber zu bleiben. Sophia nennt ihre Mutter Maman, denn sie stammt aus Burundi, und da spricht man Französisch.

Alter:

13 Jahre

Haarfarbe:

so dunkelbraun, dass man es für schwarz halten könnte, wenn man kein Friseur ist

Berufswunsch:

keine Ahnung, aber auf keinen Fall Chemikerin!

Hobbys:

Zeit mit den anderen Detektiven verbringen, Ballett, afrikanisch kochen und bunte Kleider nähen

Beste Freundin:

Rahel Schmickler

… ist Onkel Antons Riesenschnauzer und kann wunderschön jaulen, wenn er jemanden singen hört. Leider klingt er nicht ganz so gut wie sein Namensvetter, der italienische Tenor Enrico Caruso (der ziemlich genau vor 100 Jahren starb).

Alter:

4 Jahre

Fellfarbe:

schwarz

Beruf:

Schutz- und Führhund, Suchtmittelspürhund

Hobbys:

nach Fressbarem suchen, im Wald herumstromern und Fangen spielen

Beste Freunde:

Onkel Anton und Opa Peter

Lieblingsfeinde:

Katzen, egal, welche

Egal, wie weit Leopold die Augen auch aufriss, es blieb dunkel um ihn herum. Schweiß lief ihm von der Stirn in die Augen und über das Gesicht. Mit zitternden Fingern tastete der Junge nach den steinigen Wänden und schob sich Stück für Stück vorwärts. Es war totenstill, die Dunkelheit wie in Watte gepackt. Kein Laut drang hier herunter in die Tiefe. Er hörte weder seinen schnellen Atem noch die eigenen Schritte auf dem Lehmboden. Nur sein Puls dröhnte in den Ohren, wie die Füße der Soldaten auf dem Kopfsteinpflaster. Nein, nicht ganz so. Sein Herz raste und stolperte von einem Schlag zum nächsten. Die Soldaten aber marschierten immer im Gleichschritt. Egal, was geschah. Nichts schien sie jemals aus dem Takt zu bringen.

Müde schloss Leopold die brennenden Augen. Trotzdem verschwanden die Uniformen nicht. Sie wohnten in seinem Kopf, und er trug sie mit sich. Immer waren sie da, bei Tag und bei Nacht. Nirgendwo hatte er Ruhe, nicht einmal hier unten im Schoß der Erde, im Keller unter dem Keller!

Der Junge hielt die Luft an, um sein Herz zu beruhigen. Tatsächlich verlangsamte sich der Schlag nach einigen Sekunden. Leopold schob sich vorwärts, die trockenen, aufgesprungenen Lippen fest aufeinandergepresst. Doch irgendwann musste er weiteratmen. Seine Lungen hielten sich nicht lange an den Befehl, den Dienst einzustellen. Sie forderten ihr Recht, und gierig wie ein Ertrinkender schnappte der Junge nach der kühlen, feuchten Luft. Sein Brustkorb weitete sich und sog alles auf, was er kriegen konnte, egal, ob der Nase der modrige Geruch gefiel oder nicht. War der eigentlich immer schon da gewesen? Als sie noch hier gespielt hatten? Wie lange war das her? Es musste eine Ewigkeit sein!

Als Leopold endlich an der Ecke angelangt war, in der Onkel Cohns Flaschen standen, wurde ihm schwindelig. Seine Beine gaben nach. Mit dem Rücken an der Wand ließ er sich langsam zu Boden gleiten. Die feuchten Hände des Jungen griffen nach dem Lehm. Er war kühl, aber trocken. Leopold stöhnte auf und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Hatte er es geschafft? War er endlich in Sicherheit oder nur lebendig begraben?

FUNDSACHE

„D… Das E… E… Erdbeben heute N… Nacht war ganz schön heftig, Papa!“, erzählte Anton Schmickler seinem Vater Peter, der zügig an seiner Seite durch den Wald schritt.

Onkel Antons schwarzer Riesenschnauzer Caruso lief ohne Leine vor den beiden Männern her. Er hörte aufs Wort, und der Wald, in dem sie unterwegs waren, gehörte der Familie Schmickler. Ab und zu blieb der Hund sogar stehen und schaute, ob sein Herrchen ihm auch wirklich folgte.

„Ich weiß, Anton, ich war dabei“, sagte Peter Schmickler ungefähr zum zehnten Mal heute. „Deswegen sind wir hier, um überall nach dem Rechten zu sehen.“

Er liebte seinen jüngsten Sohn, auch wenn seine Geduld mit ihm so manches Mal auf die Probe gestellt wurde. Denn Anton sah nur von außen wie ein Vierzigjähriger aus. In dem erwachsenen Körper steckte immer noch ein achtjähriges Kind. Aber eines mit sehr viel Lebenserfahrung.

„Ge… Genau! B… Besonders am Hang“, bestätigte Onkel Anton. „G… Ganz schön heftig war das … “, murmelte er vor sich hin.

Opa Schmickler seufzte. Auch den sogenannten Sonnenhang hatte sein Sohn schon öfter erwähnt. Er lag am Rand des Familienwaldes, den Peter Schmickler von seinen Eltern geerbt hatte.

Kleinere Erdbeben sind in der Eifel nicht ungewöhnlich, denn die Region ist vom Vulkanismus geprägt, und Anton wusste das von klein auf. Überall fand man stumme Zeugen dieser Epoche. Selbst der größte See in Rheinland-Pfalz verdankte seine Existenz einem gewaltigen Vulkanausbruch vor einigen Tausend Jahren. Das hatte Anton in seiner Förderschule gelernt. Er hatte damals wochenlang schlecht geschlafen, weil sein Lehrer erzählt hatte, dass unter dem Laacher See immer noch eine riesige Magmakammer sei und ein neuer Ausbruch bevorstehen würde. Allerdings erst in mehreren Tausend Jahren. Doch für Anton waren tausend Jahre dasselbe wie ein Tag, und jedes Erdbeben beunruhigte ihn. Besonders ein so starkes wie das in der letzten Nacht.

„G… Ganz schön heftig!“, wiederholte Onkel Anton, um dann etwas Neues hinzuzufügen. „A… Aber unser Bus steht noch!“

„Ja, Anton!“

Anton Schmickler sprach von dem alten Caritas-Bus, den Opa nach dem Tod seiner Frau gekauft und für seine Enkel im Wald aufgestellt hatte. Silas und Rahel Schmickler trafen sich dort regelmäßig mit ihren Freunden Ronny Till und Sophia Mombauer. Sie nutzten das Auto als Hauptquartier für ihre Detektei, zu der auch ihr Onkel Anton samt Hund gehörte.

„Und meinen Bienen geht es gut. Die Stöcke stehen noch, und die Völker waren ruhig“, ergänzte Peter Schmickler. „Hoffentlich ist mit dem ehemaligen Weinberg auch alles in Ordnung.“

Die beiden Männer waren mittlerweile fast am Sonnenhang angekommen. Er hieß so, weil er den ganzen Tag in der Sonne lag, was optimal für die Rebstöcke gewesen war, als es dort noch welche gab. Noch heute konnte man die alte Terrassierung des früheren Weinbaus erkennen, und es standen auch noch ein paar von den Trockenmauern, auf denen sich bei gutem Wetter die Eidechsen sonnten. Antons Vater trat unter den Bäumen hervor und blieb stehen. Er musste seine Augen nicht lange umherschweifen lassen. Auch sein Sohn hatte die Lage mit einem Blick erfasst.

„Ach, du Kacke!“, sagte er. Bei solchen Ausdrücken stotterte er seltsamerweise nie.

Ein winziges Stück des alten Weinberges war abgerutscht. Ein winziges Stück Weinberg bedeutete allerdings immer noch ziemlich viel Erde. Einige Mauern waren eingestürzt, andere standen schief. Und direkt vor ihnen war der Fußweg auf einer Länge von etwa hundert Metern mit Steinen und Erde verschüttet. Antons Vater seufzte noch einmal, aber diesmal, weil er an die Aufräumarbeiten dachte, die ihm bevorstanden. Na ja, sicher würde die Detektei Anton mit anfassen, aber ganz ohne Maschinen würde man hier kaum zurechtkommen.

„D… Da ham wir was zu tun!“, brachte Onkel Anton es auf den Punkt.

Opa Schmickler nickte. Er blieb am Waldrand stehen, um das Ausmaß des Schadens abzuschätzen, während sein Sohn bereits zielstrebig auf den Hang zuging. Der arme Sonnenhang sah aus wie ein Riesenzahn mit Karies. Der Erdrutsch hatte ein hässliches, braunes Loch in der Wand hinterlassen. Vereinzelt lagen ein paar Büsche und kleinere Bäume übereinander. Anton begann, den Hang hinaufzusteigen. Nachdem er ihn zur Hälfte erklommen hatte, blieb er plötzlich stehen.

„D… Da is was!“, rief Onkel Anton aufgeregt.

Caruso lief ihm vor die Füße. Er winselte und bellte.

„Was denn?!“, fragte Peter Schmickler und setzte sich in Bewegung, um Anton zu folgen.

„Ei… Ein Eingang!“, antwortete sein Sohn.

Er wartete, bis sein Vater ihn erreicht hatte, und rührte sich nicht vom Fleck.

„Tatsächlich“, stellte Opa Schmickler fest. „Das gibt es doch nicht! Das ist aus Beton.“

„W… Was is das, Papa?“, fragte Onkel Anton.

„Wenn mich nicht alles täuscht, ist das ein alter Weltkriegsbunker, und er ist gar nicht mal so klein.“

Von unten war die freigelegte Betonwand nicht zu sehen gewesen, weil sie hinter den umgestürzten Bäumen verschwand. Aber nun, wenn man direkt davor stand, konnte man sogar durch den Eingang hineinsehen. Die fensterlose Wand war etwa sieben Meter lang. Natürlich guckte sie nicht ganz aus dem Berg, sondern nur zum Teil. Die Türöffnung war fast zur Hälfte frei, dann verschwand nach links immer mehr von der Wand im Erdreich.

„Is… Is der groß, der Bunker?“, fragte Onkel Anton.

Doch sein Vater antwortete nicht sofort. Er stützte sich mit der linken Hand an der Türzarge ab und beugte sich gerade vorsichtig in den Eingang hinein.

„W… Wie groß ist der denn?“, bohrte Anton noch einmal nach. Diesmal klang er fast etwas ungeduldig. Opa Peter drehte sich zu ihm um.

„Ich glaube, es sind zwei Räume“, sagte er, „jeder etwa so groß wie unsere Küche.“

„Wo… Wozu braucht man den Bunker hier?“, schob Anton die nächste Frage hinterher.

Sein Vater rieb sich die Hände mit einem Taschentuch ab, obwohl sie nicht besonders erdig waren.

„Heute braucht man den nicht mehr“, antwortete er. „Gott sei Dank. Aber im Krieg schon.“

„Im Zweiten Weltkrieg?“

„Ja, genau.“

Nachdenklich sah Peter Schmickler auf die Überreste des letzten großen Krieges. Erstaunlich stabil ragten sie ebenso stumm und stur wie alte Vulkane aus dem Erdreich. Was diese Mauern wohl erzählen würden, wenn sie reden könnten? Dann nahm er seine kleine Stabtaschenlampe aus der grünen Arbeitshose mit den vielen Taschen und leuchtete in den nur noch halb verschütteten Raum.

„Wow!“, sagte er, doch sein Sohn hörte es nicht mehr.

Anton hatte das Interesse bereits verloren. Er mochte keine Höhlen und hatte kein Verlangen, in den Bunker hineinzusehen, geschweige denn, hineinzugehen. Er drehte sich um und trat auf die abgerutschte Erde. Sofort gab sie nach, und sein Fuß rutschte ein Stück den Hang hinunter. Er konnte sich aber noch fangen und trat eilig auf den festen Boden zurück. Doch da, wo gerade noch sein Fuß gestanden hatte, war jetzt ein seltsamer Gegenstand zu sehen, der auch Caruso anlockte. Ein Stück Metall ragte etwa zehn Zentimeter in die Luft. Anton bückte sich neugierig, guckte es sich von allen Seiten genau an und streckte dann langsam die Hand danach aus. Caruso reckte die Nase in die gleiche Richtung. Er winselte wieder und tänzelte mit den Vorderpfoten auf der Stelle, als wolle er gleich auf die lose Erde springen und das Ding apportieren. Plötzlich hörte Anton seinen Vater rufen.

„Halt!“, befahl Opa Peter laut und deutlich. Caruso stand sofort still. „Nicht bewegen, Anton! Und nicht anfassen! Um Himmels willen! Nicht die Lage von dem Ding verändern!!!“

Rasch kam Herr Schmickler hinter den Zweigen hervor und rief seinen Hund zurück.

„Komm, Caruso! Hierher!“

Der schwarze Riesenschnauzer gehorchte aufs Wort. Auch Anton zog erschrocken die Hand zurück.

„W… Was ist das d… denn?“, stotterte er und richtete sich auf.

„Achtung, Anton!“, sagte sein Vater mit ruhiger Stimme, anstatt die Frage zu beantworten. „Komm her zu mir. Geh langsam rückwärts und sei vorsichtig!“

„W… Was ist das, Papa?“, fragte Onkel Anton, während er ein paar Schritte zurückwich.

„Pass auf, wo du hintrittst!“

Aufmerksam suchten Opa Schmicklers Augen den Boden ab.

„D… Das sieht aus wie ein Kegel v… vom Bowling!“, sagte Onkel Anton.

Sein Vater nickte und schluckte.

„Ja, aber es sieht nur so aus. Leider ist es nicht so harmlos, sondern gefährlicher Müll aus dem Krieg.“

Anton wurde blass.

„Ei… Eine B… Bombe!“, begriff er und blieb wie angewurzelt stehen.

„Nein, Anton, nicht unbedingt eine Bombe, aber möglicherweise genauso explosiv. Du kannst dich jetzt umdrehen und zu mir kommen.“

„W… Was ist das, Papa?!“, fragte Anton noch einmal.

Er wandte sich um und ging auf Zehenspitzen auf seinen Vater zu.

„Vielleicht eine Mörsergranate. Da drinnen liegen nämlich noch mehr davon“, sagte Herr Schmickler und zeigte mit der Hand auf den Bunker. Anton zuckte zusammen und sprang auf Opa Peter zu.

„D… Die explodiert gleich!“, murmelte er leise, als er neben ihm anhielt.

Sein Vater lächelte.

„Na ja, wahrscheinlich nicht“, beruhigte er, „aber so ein alter Munitionsfund ist auf jeden Fall mit Vorsicht zu genießen. Je länger das im Boden liegt, desto gefährlicher. Wenn auch nicht immer alles gleich in die Luft fliegen muss. Der Inhalt kann auch giftig sein oder nur in Brand geraten oder die Umwelt verschmutzen.“

„H… Hab ich das g… gut gemacht, Papa?“, fragte Onkel Anton immer noch leise.

„Ja, sehr gut! Du hast auf mich gehört und das Ding nicht angefasst. Aber normal sprechen kannst du ruhig!“, grinste er und klopfte seinem Sohn auf die Schulter.

„D… Die is ja nich so groß“, sagte der nun lauter und sehr erleichtert.

„Größe und Form sagen leider nichts über die Gefährlichkeit aus, Anton. Es ist von außen schwer zu erkennen, was sich hinter dieser Metallhülle oder in der Erde verbirgt. Der Verdacht, also die Möglichkeit, dass es lebensgefährlich sein könnte, besteht hier immer, und er reicht aus, um uns zum Handeln zu zwingen. Wir sind verantwortlich für unseren Grund und Boden.“

„W… Was machen wir jetzt, Papa?“

„Erst mal gehen wir zurück auf den Fußweg, und dann rufen wir die Polizei an.“

Herr Schmickler machte sich vorsichtig an den Abstieg. Er ließ Anton vorgehen, und auch Caruso trottete brav hinterher.

„D… Die Polizei“, murmelte Anton vor sich hin, während er Richtung Fußweg ging. „U… Und dann, Papa?“, fragte er.

„Hm?!“

„W… Was machen wir, w… wenn wir angerufen haben?“

Opa Peter steckte die Stabtaschenlampe im Gehen zurück in die Hosentasche und tastete bereits nach seinem Smartphone.

„Wir warten auf jeden Fall, bis die Polizei kommt. Nicht auszudenken, wenn hier Spaziergänger oder womöglich neugierige Kinder auf der Bruchstelle herumkraxeln.“ Opa Peter schüttelte sorgenvoll den Kopf. „Ich will mir gar nicht vorstellen, was alles passieren könnte, wenn sie den Haufen Granaten entdecken.“ Er zeigte mit dem rechten Daumen über die Schulter zurück zu dem Betonbunker hinter seinem Rücken. „Achtzig Prozent von diesen Kriegsgranaten waren immerhin funktionstüchtig, das heißt, die meisten von den Dingern da drinnen könnten höchstwahrscheinlich auch heute noch hochgehen. Sie müssen nur auf den Boden fallen.“

„Oh, oh!“, machte Onkel Anton. „Wie … wie viele sind denn da drin, Papa?“

„Ich weiß nicht, Anton, ich hatte keine Zeit zum Zählen.“ Antons Vater lächelte, aber sein Sohn reagierte nicht auf den Witz. Peter Schmickler seufzte. „Vielleicht noch hundert“, meinte er dann. „Es sieht so aus, als wenn sie nie abgeschossen wurden. Also, zumindest die da drinnen. Wahrscheinlich war das hier eine Verteidigungsstellung.“

Anton verstand sofort.

„Für die Brücke?“

„Ja, für die Brücke von Remagen. Irgendwann wurde die Stellung dann aufgegeben, als es keinen Sinn mehr machte. Wahrscheinlich, nachdem die Deutschen sich entschieden hatten, die Brücke selbst zu sprengen, um den von Westen kommenden Amerikanern den Weg über den Rhein abzuschneiden.“

„Ha… Hat aber nich geklappt“, wusste Anton, ebenfalls aus der Schule.

Opa schmunzelte. Manches blieb einfach im Gedächtnis seines Sohnes hängen, leider konnte man vorher nicht genau sagen, was das sein würde. Aber die Geschichte der alten, kriegsentscheidenden Eisenbahnbrücke war berühmt und hatte offensichtlich auch seinen speziell begabten Sohn beeindruckt. Die Deutschen hatten gegen Kriegsende nicht mehr genügend und dann auch nur zu schwachen Sprengstoff auftreiben können. Erst ein paar Tage nach der Sprengung war die Brücke eingestürzt. Doch da hatten die Amerikaner das andere Ufer längst erreicht. Ironie der Geschichte und gut für die Befreiung des Rheinlandes von der Nazidiktatur.

Mittlerweile hatten sie den Fußweg erreicht, und Opa wählte die Nummer der Polizeiwache in Brehlweiler. Hier war keine Verzögerung zu verantworten. Der Fundort musste sofort abgesperrt und der Kampfmittelräumdienst informiert werden. Der alte Bunker lag einfach zu nah am Wanderweg.

„Ja, guten Morgen. Peter Schmickler hier. Wir haben einen großen Munitionsfund zu melden in Burgenach. Das Erdbeben diese Nacht hat wohl eine alte Verteidigungsstellung am Sonnenhang in Brehl freigelegt.“

Er schwieg einen Moment.

„Ja, selbstverständlich. Wir warten hier. Bis gleich.“

Opa legte auf und wandte sich seinem Sohn zu.

„Unglaublich. Mir ist schon öfter alte Munition vor die Füße gekommen. Aber so ein großer Haufen …“

Er schüttelte schon wieder den Kopf.

„Unglaublich“, wiederholte er, „was da an brandgefährlichen Kriegsresten so alles unter der Oberfläche schlummert.“

„W… Wahnsinn“, bestätigte Anton. „Wahnsinn is das, oder, Papa?“

SCHULBEGINN

Silas öffnete die Tür zum Matthias-Claudius-Gymnasium (MCG) Burgenach. Sein Freund Ronny, der neben ihm stand, überragte ihn um neunzehn Zentimeter. Dass es nur noch neunzehn und nicht mehr zwanzig waren, war Silas sehr wichtig. Die seiner Meinung nach zu geringe Größe von nur einem Meter und einundsechzig Zentimetern störte ihn fast täglich. Besonders, weil seine jüngere Schwester Rahel immer noch vier Zentimeter größer war. Außerdem war er zu klein für sein Gewicht.

„Immer herein mit euch!“, sagte er und hielt die Schultür für die Mädchen offen, um ihnen den Vortritt zu lassen.

„Oh, danke!“

Sophia, die mit Rahel hinter den Jungs gegangen war, machte einen Schritt durch die Schultür. Auch Ronny war zurückgeblieben und legte seine Hand schnell weiter oben an die schwere Tür.

„Wie nett von euch!“, sagte Rahels Freundin.

Silas’ Schwester guckte erstaunt und zögerte, beschloss dann aber auch, schnell das Gebäude zu betreten.

„Danke“, murmelte sie ebenfalls.

„Bitte“, sagte Ronny und folgte den Mädchen auf den Schulflur. „Noch habe ich gute Laune, mal sehen, wie lange die in der ersten Schulwoche nach den Sommerferien anhält.“

Er hatte den Satz kaum ausgesprochen, da wurde er von hinten angerempelt. Ein frischgebackener Oberstufenschüler, Nick aus der 11, schubste ihn unsanft zur Seite, um sich an ihm vorbeizudrängeln.

„Mann, aus dem Weg, du Jude“, raunzte er den größeren Ronny an.

Dem fiel die Kinnlade herunter, und auch die anderen drei Mitglieder der Detektei Anton waren für einen kurzen Moment sprachlos. Letztes Jahr hatte sich Sophia böse Bemerkungen über ihre Hautfarbe anhören müssen, und jetzt so etwas.

„Was soll das denn heißen?“, rief Rahel Nick hinterher, der schon fast um die nächste Ecke verschwunden war. Sie hatte zuerst ihre Sprache wiedergefunden.

„Na, siehst du nicht, dass Ronny eine Judennase hat?“, antwortete Nora, Nicks stark geschminkte Freundin, die jetzt ebenfalls an ihnen vorbeistolzierte. Und auch Viola, ihr genauso aufgetakelter, ständig folgender Schatten, musste noch einen Spruch draufsetzen.

„Genau, und zwar echt krass, deine Hakennase. Guck mal in den Spiegel!“, warf sie Ronny an den Kopf.

Die vier Detektive standen immer noch verblüfft auf derselben Stelle. Ronny fasste sich instinktiv ins Gesicht. Okay, seine Nase war lang, aber seine Arme und Beine schließlich auch. Passte doch.

„Ich fasse es nicht!“, empörte sich Rahel. „Haben die gerade ‚Jude‘ als Schimpfwort benutzt!?“

„Ja, haben sie und behauptet, man erkennt einen Juden an der Hakennase! Das geht gar nicht. Dass solche Sprüche immer noch kursieren!“

Silas schüttelte ungläubig den Kopf und setzte sich in Bewegung. Er ging als Letzter durch die Tür und ließ sie hinter sich zufallen.

„Der hat wohl in der 9 zu viel Unterricht verschlafen.“

Ronny betastete immer noch seine Nase. Deswegen klang seine Stimme etwas verschnupft.

„Wieso?“, fragte Sophia.

Sie war kurz vor den Sommerferien nach Burgenach gezogen und bis dahin von Privatlehrern zu Hause unterrichtet worden. Erst seit ein paar Tagen stand fest, dass sich ihr Wunsch erfüllen und sie mit ihrer Mutter hier wohnen bleiben würde. Der Vater, der einen erfolgreichen pharmazeutischen Betrieb in Ludwigshafen führte, wollte wenigstens an den Wochenenden zu seiner Familie stoßen. Maman, wie Sophia ihre Mutter nannte, würde das meiste ihrer Arbeit im Homeoffice erledigen können.

„Weil wir in der 9 erst die NS-Zeit und dann den Antisemitismus besprochen haben“, erklärte Ronny und ließ seine Nase endlich in Ruhe.

„Aha. Très bien“, nickte Sophia. Rahel guckte fragend.

„Anti… was?!“

„Semitismus“, wiederholte ihr Bruder. Er hatte eine Vorliebe für Sprachen und Fremdwörter. „Die Israeliten oder Juden werden auch Semiten genannt, weil sie nach der Bibel von Sem, einem Sohn Noahs, abstammen. Antisemitismus bedeutet Judenhass oder Feindschaft gegen Juden sowie ihre Verfolgung.“

Rahel stöhnte.

„Klingt wie eine Krankheit. Okay“, seufzte sie, „dann kriegen wir das dieses Jahr, Sophia.“

„Habe nichts dagegen. Hört sich spannend an.“

Rahel guckte zweifelnd.

„Habt ihr auch bei KZ-Angie?“, fragte Ronny.

„Das ist nicht lustig, Ronny“, tadelte Silas seinen Freund und sah ihn vorwurfsvoll an. „KZ ist die Abkürzung für Konzentrationslager. Dort wurden Millionen unschuldiger Menschen umgebracht“, erklärte er den Mädchen.

Sie standen mittlerweile vor dem Klassenraum der 9a, die Rahel und Sophia seit heute besuchten. KZ-Angie war der hässliche, inoffizielle Name für die Geschichtslehrerin Angela Kragenbeck. Die Schüler hatten ihn ihr verpasst, weil sie beim Thema Nationalsozialismus einen überdurchschnittlich großen Eifer an den Tag legte und Generationen von Burgenachern auf Klassenfahrten zu ehemaligen Konzentrationslagern begleitet hatte.

„’Tschuldigung“, meinte Ronny. „Dann eben Juden-Angie.“

„Das ist auch nicht besser.“

Silas wurde rot.

„Frau Kragenbeck setzt sich wenigstens für ihre Überzeugung ein“, verteidigte er die Lehrerin. „Außerdem passt ‚Juden-Angie‘ nicht, denn es wurden auch Sinti und Roma verfolgt oder geistig Behinderte umgebracht.“

Er hatte den Unterricht eigentlich ganz interessant gefunden. Vielleicht, weil ihn das Judentum als Vorläufer des Christentums sowieso interessierte. Er hatte da schon einiges aus dem Alten Testament gelernt und den Klassenkameraden erklären können. Außerdem musste er immer an Onkel Anton denken. Was hätten sie ihm wohl angetan, wenn er damals gelebt hätte?

„Ja, schon gut, dann eben nur Angie“, lenkte Ronny ein. „Also, habt ihr die Kragenbeck denn überhaupt?“

Rahel zuckte die Schultern.

„Ich denke, schon. Sie ist jedenfalls für die nächsten zwei Jahre unsere Klassenlehrerin“, beantwortete sie Ronnys Frage.

Sie sollte recht behalten. Als Ronny und Silas gerade am Klassenraum der 10b angekommen waren, tauchte Frau Kragenbeck in der 9a auf. Wie sich herausstellte, würde sie in Sophias und Rahels Klasse nicht nur Geschichte, sondern auch Deutsch unterrichten.

Angie, wie auch Rahel sie von diesem Moment an bei sich nannte, war eine unspektakuläre Erscheinung. Sie trug keine hohen Stöckelschuhe und hatte auch keinen lustigen Akzent wie Madame Müller, die Französischlehrerin. Ihre Figur, Frisur und Kleidung waren durchschnittlich unauffällig, und sie war sicher auch kein geheimer Bodyguard wie Herr Schöne, der kurz vor den Sommerferien für ein paar Tage an der Schule aufgetaucht war. Das einzige besondere Kennzeichen, wenn man es denn so nennen wollte, war ihre dunkle, große Brille mit den dicken Gläsern. Sie rückte sie auf der Nase zurecht, räusperte sich und begrüßte ihre neuen Schüler. Nachdem sie den Stundenplan für das erste Halbjahr verkündet hatte, kam sie sofort auf ihr Lieblingsthema zu sprechen, genau wie Ronny es angedroht hatte.

„In diesem Schuljahr befassen wir uns mit der dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte. Laut Lehrplan steht der Nationalsozialismus zwar erst im zweiten Halbjahr der Jahrgangsstufe 9 auf unserer To-do-Liste, trotzdem möchte ich einige Aspekte aus gegebenem Anlass bereits etwas früher beleuchten. Das werden die ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus sowie der Weg zur ‚Machtergreifung‘ Adolf Hitlers sein. Mit den Unterthemen Außenpolitik, Widerstand, Schoah sowie dem Kriegsverlauf beschäftigen wir uns dann von Januar bis zu den Sommerferien.“

Rahel stöhnte innerlich. Das hörte sich noch langweiliger an, als sie befürchtet hatte. Wenn Ronny weiter recht behielt, würde Angie sie gleich bestimmt zu ihrer Geschichts-AG einladen, die freitags in der siebten Stunde stattfand. Das war vielleicht ein möglicher Termin für alle Streber, die das schulfreie Wochenende so lange wie möglich hinauszögern wollten, aber ganz bestimmt nicht für einen normalen Schüler. Und tatsächlich fügte Frau Kragenbeck jetzt einen Werbeblock ein.

„Freitags in der siebten Stunde biete ich eine AG an, die sich mit dem Antisemitismus in unserer eigenen Stadt befasst, unserem schönen Städtchen Burgenach. Wie ihr vielleicht schon in der Zeitung gelesen habt …“

Einige Jugendliche kicherten bei dem Gedanken an Zeitunglesen oder Nachrichtengucken. Frau Kragenbeck stoppte kurz und räusperte sich erneut, bevor sie fortfuhr.

„… diskutiert unser Stadtrat zurzeit die Verlegung der sogenannten ‚Stolpersteine‘ vor den Häusern, die einmal Juden gehört haben, bevor ihre Eigentümer deportiert und umgebracht wurden.“

Jetzt kicherte niemand mehr. Annalena meldete sich.

„Ja, bitte?“, rief Frau Kragenbeck sie auf.

„Was genau sind denn Stolpersteine?“, fragte sie.