Deutsche Grammatik: Eine Sprachlehre für Beruf, Studium, Fortbildung und Alltag - Rudolf Hoberg - E-Book

Deutsche Grammatik: Eine Sprachlehre für Beruf, Studium, Fortbildung und Alltag E-Book

Rudolf Hoberg

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Beschreibung

Diese kompakte Grammatik für Beruf, Studium, Fortbildung und Alltag stellt die Grundlagen von Aussprache und Schreibung, Wortarten, Formenlehre, Wortbildung und Satzbau des Deutschen allgemein verständlich dar. Zahlreiche Beispiele und Tipps zum angemessenen Sprachgebrauch runden das Buch ab. Es eignet sich für Muttersprachler und Deutschlerner.

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Vorwort

Es wird häufig beklagt, dass heute weniger geschrieben und gelesen wird als früher. Das trifft sicher nicht zu, wenn man an Kommunikation z. B. per E-Mail, WhatsApp®, SMS oder in sozialen Netzwerken und überhaupt an den Umgang mit Computer und Handy denkt. Vor allem aber gilt es nicht für das Studium und das Berufsleben: Immer mehr Menschen studieren an Universitäten oder anderen Hochschulen und arbeiten in Berufen, die einen korrekten und sicheren Umgang mit der deutschen Sprache erfordern. Auch über diese Bereiche hinaus – etwa in der Öffentlichkeit, im Alltag, in der Freizeit – kommt es darauf an, dass man seine Muttersprache (bzw. Deutsch als Zweitsprache) schriftlich und mündlich beherrscht. Und Voraussetzung dafür ist ein Grundwissen über den Aufbau unserer Sprache.

Die 5., überarbeitete Auflage der »Deutschen Grammatik« bietet zunächst eine ausführliche Einführung in die Grundfragen der Sprachbetrachtung (Sprache und Kommunikation; Verbreitung, Geschichte, Entwicklungstendenzen und Schichtung der deutschen Sprache). Der Hauptteil, die Grammatik, enthält – auf dem aktuellen Forschungsstand und in der bewährten Methode des Fortschreitens von den kleinsten zu den größeren Einheiten – verlässliche Grundinformationen über die Formen und die Struktur der deutschen Sprache. Neu in dieser Auflage ist ein kleines Kapitel über den Aufbau von Texten.

Es werden keine grammatischen Vorkenntnisse vorausgesetzt. Alle Zusammenhänge werden verständlich erklärt, an zahlreichen Beispielen illustriert und in tabellarischer Form übersichtlich dargestellt. In vielen Fragen des praktischen Sprachgebrauchs gibt die Grammatik Ratschläge für richtiges und gutes Deutsch.

Außerdem finden sich öfter vergleichende Hinweise auf andere Sprachen; sie sollen zum Nachdenken über Sprache generell anregen und das Bewusstsein für die eigene Sprache schärfen.

Die »Deutsche Grammatik« wendet sich vornehmlich an Erwachsene, sie kann aber auch von Schülern benutzt werden. Auch für den Fremdsprachenunterricht schafft sie die notwendigen Voraussetzungen. Sie ist sowohl zum Selbststudium wie auch als Grundlage für Kurse in der Fort- und Weiterbildung und im Studium geeignet. Sie kann als Lern- und Arbeitsbuch dienen, also ganz oder in Teilen systematisch durchgearbeitet werden, ist aber ebenso ein Nachschlagewerk für Einzelfragen. Mithilfe des Registers und der Querverweise (↑) kann der Leser leicht die Stellen finden, an denen ein gesuchter Begriff erklärt oder eine sprachliche Erscheinung näher behandelt wird.

Die Dudenredaktion und die Autoren

Berlin, Juni 2016

INHALT

EINFÜHRUNG

Sprache und Kommunikation

1 Was ist Sprache?

2 Was ist Kommunikation?

2.1 Allgemeines

2.2 Menschliche Kommunikation

Die deutsche Sprache

1 Deutsch und andere Sprachen in der Welt und in Europa

2 Die Entwicklung der deutschen Sprache

2.1 Allgemeines

2.2 Die Vorstufen des Deutschen

2.3 Das Wort deutsch

2.4 Epochen der deutschen Sprachgeschichte

2.5 Sprachverfall?

3 Die Gliederung der deutschen Sprache

3.1 Allgemeines

3.2 Die Gemeinsprache

3.3 Dialekte

3.4 Fachsprachen

3.5 Sondersprachen

Was ist Grammatik und wozu braucht man Grammatikkenntnisse?

AUSSPRACHE UND SCHREIBUNG

1 Die Aussprache

1.1 Der Laut

1.2 Die Silbe

1.3 Die Betonung

1.4 Standard- und Umgangslautung

2 Schrift und Rechtschreibung

2.1 Die Schrift

2.2 Die Rechtschreibung

DAS WORT

Zur Wortbedeutung

1 Das sprachliche Zeichen

2 Das Verhältnis von Ausdruck und Inhalt

3 Vom Ausdruck zum Inhalt

4 Vom Inhalt zum Ausdruck

Grundbegriffe der Formenlehre

1 Wortformen

2 Wortarten

3 Wortaufbau

4 Wortbildung

5 Wortgruppen

Die Wortarten

1 Das Verb

1.1 Untergliederung der Verben

1.2 Verbformen

1.3 Der Verbalkomplex

1.4 Tempus

1.5 Modus: Indikativ, Konjunktiv, Imperativ

1.6 Aktiv und Passiv

1.7 Valenz

1.8 Wortbildung

1.9 Verbtabellen

2 Das Nomen

2.1 Bedeutungsgruppen

2.2 Genus

2.3 Numerus

2.4 Kasus (und Deklinationstypen)

2.5 Wortbildung

2.6 Die Nominalgruppe

3 Der Artikel

3.1 Definiter und indefiniter Artikel

3.2 Weitere Artikelwörter

4 Das Pronomen

4.1 Das Personal- und Reflexivpronomen

4.2 Das Possessivpronomen

4.3 Das Demonstrativpronomen

4.4 Das Interrogativpronomen

4.5 Das Indefinitpronomen

4.6 Das Relativpronomen

5 Das Adjektiv

5.1 Bedeutung

5.2 Deklination

5.3 Steigerung

5.4 Wortbildung

5.5 Die Adjektivgruppe

5.6 Verwendung im Satz

5.7 Zahladjektive

6 Das Adverb

6.1 Form und Bildung

6.2 Bedeutung

6.3 Verwendung im Satz

6.4 Adverbgruppe und Adverbialkomplex

7 Die Präposition

7.1 Herkunft und Bedeutung

7.2 Rektion

7.3 Die Präpositionalgruppe

8 Die Konjunktion

8.1 Nebenordnende Konjunktionen

8.2 Unterordnende Konjunktionen

9 Partikeln

9.1 Partikelklassen

9.2 Partikelähnliche Wörter

DER SATZ

Grundbegriffe der Satzlehre

1 Bestimmung des Satzes

2 Einteilung der Sätze

3 Aufbau des Satzes

Die Satzarten

1 Der Aussagesatz

2 Der Fragesatz

3 Der Aufforderungssatz

4 Der Wunschsatz

5 Der Ausrufesatz

Der einfache Satz

1 Das Prädikat

2 Die Satzglieder: Ergänzungen

2.1 Einteilung der Ergänzungen

2.2 Das Subjekt

2.3 Die Kongruenz zwischen Subjekt und Prädikat

2.4 Die Akkusativergänzung

2.5 Die Dativergänzung

2.6 Die Genitivergänzung

2.7 Die Präpositionalergänzung

2.8 Adverbialergänzungen

2.9 Die Prädikativergänzung

3 Satzbaupläne

4 Die Satzglieder: Angaben

4.1 Verbbezogene Angaben

4.2 Situative Satzangaben

4.3 Modale Satzangaben

5 Wortstellung (Satzgliedstellung)

5.1 Allgemeine Wortstellungsprinzipien

5.2 Verbstellung, Satzklammer und Stellungsfelder

5.3 Das Mittelfeld

5.4 Das Vorfeld

5.5 Das Nachfeld

Der zusammengesetzte Satz

1 Satzreihe und Satzgefüge

1.1 Nebenordnung und Unterordnung

1.2 Die Satzreihe

1.3 Das Satzgefüge

1.4 Satzbau und Stil

2 Nebensätze

2.1 Bestimmung und Einteilung der Nebensätze

2.2 Ergänzungssätze

2.3 Adverbialsätze

2.4 Attributsätze

2.5 Zur Stellung der Nebensätze

3 Infinitiv- und Partizipgruppen

3.1 Infinitivgruppen

3.2 Partizipgruppen

Ausblick: Vom Satz zum Text

Register

EINFÜHRUNG

Sprache und Kommunikation

1Wer die grammatischen Zusammenhänge durchschaut, weiß damit viel über eine Sprache, aber nicht alles. Grammatik ist nur ein Bereich der Sprachlehre, allerdings ein sehr wichtiger. In diesem einleitenden Teil sollen einige Grundfragen und Grundbegriffe der Sprachbetrachtung erörtert werden, deren Kenntnis für ein umfassenderes Verständnis der Sprache notwendig ist. Es geht dabei z. B. um die Fragen, was man unter Sprache und Kommunikation versteht, welche Rolle Deutsch in der Welt und in Europa spielt, wie sich die deutsche Sprache entwickelt hat und wie sie sich heute gliedert. Im Anschluss daran soll geklärt werden, was man unter Grammatik versteht und wozu man Grammatikkenntnisse braucht.

1  Was ist Sprache?

2Die Frage, was Sprache ist und welche Aufgaben sie für die einzelnen Menschen und für das menschliche Zusammenleben hat, gehört zu den Grundfragen der Menschheit. Schon in den ältesten uns erhaltenen Schriften – man denke etwa an die Bibel – wird diese Frage behandelt, und Dichter, Philosophen und Wissenschaftler haben sich immer wieder damit befasst.

Wenn man über das Wort Sprache nachdenkt, stellt man fest, dass es mehrdeutig ist, dass mit ihm unterschiedliche Sachverhalte bezeichnet werden. Das soll an folgenden Beispielsätzen verdeutlicht werden:

1.  Menschen verständigen sich durch Sprache.

2.  Die englische Sprache wird von mehr Menschen gesprochen als die deutsche.

3.  Ich bewundere vor allem seine Sprache.

In allen drei Sätzen kommt das Wort Sprache vor, es bedeutet jedoch in jedem Satz etwas anderes:

1. Im ersten Beispiel geht es um die Sprache im Allgemeinen, um die menschliche Sprachfähigkeit. Jeder Mensch ist, soweit nicht bestimmte körperliche oder seelische Schäden vorliegen, fähig, eine oder mehrere Sprachen zu erlernen. Es handelt sich hier um eine angeborene Fähigkeit, die nur der Mensch besitzt, die ihn also von allen anderen Lebewesen unterscheidet (auf die sogenannten Tiersprachen kann hier nicht eingegangen werden). Daher ist die Sprache ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste Kennzeichen des Menschen.

2. Nicht alle Menschen sprechen die gleiche Sprache; vielmehr haben sich im Laufe der Menschheitsentwicklung viele unterschiedliche Sprachen herausgebildet. Auf die Systeme und Strukturen solcher Einzelsprachen und nicht auf die Sprachfähigkeit im Allgemeinen bezieht sich der zweite Beispielsatz, und an solche Einzelsprachen – etwa die deutsche, englische oder chinesische – denkt man in der Regel, wenn man das Wort Sprache verwendet. Auch in diesem Buch wird es, wenn nichts anderes gesagt wird, um Sprache in diesem Sinne gehen.

3. Der dritte Beispielsatz verweist darauf, dass sich Menschen, die die gleiche Einzelsprache sprechen, die also etwa eine gemeinsame Muttersprache haben, beim Sprechen und Schreiben nicht völlig gleich verhalten. Sie unterscheiden sich etwa in der Aussprache, im Tonfall, in der Schrift, in der Wortwahl und dadurch, dass sie bestimmte grammatische Strukturen – beispielsweise bestimmte Nebensatzformen – bevorzugt verwenden. In diesem Sinne hat jeder Mensch seine Individualsprache, seinen persönlichen Sprachstil, der freilich vielfältigen Veränderungen und Abwandlungen unterliegt.

Wozu braucht der Mensch Sprache? Zum einen dient Sprache der Verständigung, der Kommunikation; dies wird im folgenden Kapitel näher behandelt. Sprache ist aber mehr als nur Verständigungsmittel; sie ist auch für das menschliche Wahrnehmen, Denken, Erkennen, Fühlen und Handeln notwendig, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann, was aber in verschiedenen Teilen dieses Buches zum Ausdruck kommt.

2  Was ist Kommunikation?

2.1  Allgemeines

3Kommunikation ist vom lateinischen Wort communicare abgeleitet, das ›gemeinsam machen‹, ›vereinigen‹, ›mitteilen‹ bedeutet. Nachdem man bis in die 1960er-Jahre im Deutschen kaum von Kommunikation gesprochen hat, gehört das Wort heute zu den zentralen Begriffen verschiedener Wissenschaften. Aber auch im öffentlichen und privaten Leben spielen Kommunikation, kommunizieren und kommunikativ eine große Rolle, häufig allerdings lediglich als Schlag- und Modewörter.

Kommunikation vollzieht sich immer zwischen zwei Seiten: Die eine – der Sender – teilt etwas mit, die andere – der Empfänger – nimmt die Mitteilung (die Information) auf.

Einen solchen Austausch von Informationen kann es zwischen Maschinen, zwischen Maschinen und Lebewesen, zwischen Lebewesen und besonders zwischen Menschen geben:

Ein Funkgerät sendet Signale aus, die von einem Radiogerät empfangen werden (Maschine – Maschine).

Eine Biene informiert andere Bienen durch einen Schwänzeltanz über eine Futterquelle (Tier – Tier).

Ein Autofahrer sieht, dass die Ampel einer Kreuzung auf Rot steht (Maschine – Mensch).

Jemand drückt auf einen Knopf der Fernbedienung, und der Fernsehapparat wird eingeschaltet (Mensch – Maschine, Maschine – Maschine).

Ein Kind spricht zu seinem Wellensittich (Mensch – Tier).

Eine Frau erzählt ihrem Mann von einem Treffen mit einer Freundin (Mensch – Mensch).

2.2  Menschliche Kommunikation

4Sprachliche und nichtsprachliche Kommunikation

Bei Menschen unterscheidet man zwischen sprachlicher (verbaler) und nichtsprachlicher (nonverbaler) Kommunikation. Wie etwa die Pantomime zeigt, kann sich der Mensch bis zu einem gewissen Grad ohne Sprache, nur durch Mimik, Gestik, Gebärden und andere Handlungen verständlich machen. Allerdings sind solche Handlungen oft mehrdeutig und nur aus dem Zusammenhang zu verstehen. So kann beispielsweise ein Achselzucken bedeuten: ›Ich weiß nicht.‹ / ›Es ist mir egal.‹ / ›Da kann man nichts machen.‹

Häufig kommt es zu einem Zusammenspiel sprachlicher und nichtsprachlicher Kommunikation:

Eine Frau begrüßt ihren Mann mit Worten und einem Kuss.

Ein Kind gratuliert seiner Mutter mit Worten und einem Blumenstrauß zum Geburtstag.

Ein Tourist lächelt einen Passanten an und fragt nach dem Weg zum Bahnhof. Der Passant beschreibt den Weg mit Worten und Gesten.

Ein Kollege entschuldigt sich, und man gibt ihm die Hand.

Sprechen und hören, schreiben und lesen

5Die längste Zeit ihrer bisherigen Entwicklung hat die Menschheit ohne Schrift gelebt; schriftliche Verständigung gibt es erst seit etwa 7000 Jahren. Und auch der einzelne Mensch lernt als Kind zunächst die mündliche Sprache, und erst wenn er dabei schon weit fortgeschritten ist, lernt er auch zu schreiben.

Mündliche und schriftliche Kommunikation unterscheiden sich in verschiedener Hinsicht:

Mündliche Kommunikation ist in der Regel ein Gespräch. Die beteiligten Personen sind wechselseitig Sprecher und Hörer, sie befinden sich im gleichen Raum, können sich und häufig auch die Gegenstände, über die sie sprechen, wahrnehmen. Sie können durch Gesten oder mit Worten (da, hier) auf etwas hinweisen, können Rückfragen stellen und zeigen, ob sie etwas verstanden haben oder nicht.

Von dieser für die mündliche Kommunikation typischen Form gibt es aber auch Abweichungen, etwa

– die Rede (z. B. im Parlament): Hier sind die Rollen von Sprecher und Hörer deutlich unterschieden; Möglichkeiten von Rückfragen sind nicht gegeben oder doch sehr eingeschränkt;

– das Telefongespräch: Die Gesprächspartner sind räumlich getrennt, können sich also gegenseitig nicht sehen; Mimik und Gestik spielen keine Rolle.

Bei der schriftlichen Kommunikation besteht meist eine räumliche und zeitliche Trennung zwischen dem Sender (Schreiber) und Empfänger (Leser). Schnelle Rückfragen sind nicht möglich, Verständigungsschwierigkeiten können daher nur langfristig behoben werden. Andererseits hat ein Schreiber meist mehr Zeit als ein Sprecher; er kann seinen Text daher genauer planen, eventuell auch verbessern, und der Leser kann ihn mehrmals durchlesen.

6Aus den unterschiedlichen Kommunikationssituationen ergibt sich, dass sich gesprochene Sprache in verschiedener Hinsicht von geschriebener unterscheidet; es sei hier nur auf einige wesentliche Unterschiede hingewiesen:

– Gesprochene Sprache wird mit dem Ohr, geschriebene mit dem Auge wahrgenommen. Die Informationen werden dementsprechend durch Laute (↑ 36) oder Buchstaben (↑ 49) vermittelt.

– Da man im Gespräch auf etwas hinweisen und manches durch Mimik und Gestik ausdrücken kann, braucht man nicht alles in Sprache zu fassen. Oft genügen wenige Worte, kurze, auch unvollständige Sätze; Nebensätze werden weniger verwendet.

– Demgegenüber muss der Schreiber alles, was er mitteilen will, sprachlich ausdrücken. Dies und die Tatsache, dass für das Schreiben und Lesen eines Textes mehr Zeit zur Verfügung steht, haben zur Folge, dass der Satzbau der geschriebenen Sprache komplexer, stärker gegliedert ist, dass die Regeln der Grammatik mehr beachtet werden, dass Wörter, die als umgangssprachlich gelten, vermieden werden.

In diesem Buch wird verschiedentlich auf Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache verwiesen (z. B. ↑ 23, ↑ 403, ↑ 456, ↑ 573).

7Gesellschaftliche Regeln

Menschliche Kommunikation ist weitgehend durch Regeln bestimmt, die in einer Gesellschaft vorherrschen und die man Konventionen nennt.

Man spricht etwa in der Regel mit seinem Vorgesetzten anders als mit seinen Freunden, mit seinem Ehepartner anders als mit einer Kollegin oder einem Kollegen, mit Älteren anders als mit Kindern.

In manchen Kommunikationsformen, etwa in alltäglichen Gesprächen, sind die Gesprächspartner gleichrangig, gleichberechtigt, in anderen nicht (man spricht auch von symmetrischer bzw. asymmetrischer Kommunikation): So bestimmt im Klassenzimmer in der Regel der Lehrer, bei der Gerichtsverhandlung der Richter, bei der Prüfung der Prüfer den Kommunikationsverlauf.

Es hängt von den gesellschaftlichen Beziehungen ab, ob man jemanden siezt oder duzt (↑ 308) oder wie man jemanden in einem Brief anredet (sehr geehrter, lieber, hallo). Und es ist weitgehend gesellschaftlich festgelegt, worüber man mit bestimmten Personen und in bestimmten Situationen sprechen kann und welche Wörter man dabei verwenden darf. Einschränkungen (oder Tabuisierungen) gelten besonders für den sexuellen und den fäkalen Bereich. Aber gerade auf diesen Gebieten haben sich in den letzten Jahrzehnten auch große Veränderungen ergeben: Wörter wie ficken und bumsen werden immer häufiger in der Öffentlichkeit verwendet, etwa in modernen Theaterstücken oder Filmen; dasselbe gilt für Wörter wie Scheiße oder Arsch. Schwul war noch bis Ende der 1970er-Jahre ein sehr diskriminierendes Wort; heute bezeichnen sich die homosexuellen Männer selbst damit.

8Bedingungen der Situation

Wie ein Mensch spricht oder schreibt und wie jemand sprachliche Äußerungen versteht, hängt auch von Bedingungen ab, die in bestimmten Situationen vorherrschen, etwa von

– räumlichen Bedingungen: Wer einem Bekannten, der auf der gegenüberliegenden Seite einer sehr belebten Straße steht, etwas mitteilen will, muss schreien und wird sich daher kurz fassen;

– zeitlichen Bedingungen: Denselben Sachverhalt erzählt man, wenn man in Eile ist, anders, als wenn man genügend Zeit hat. Bei Zeitmangel spricht der Sprecher nicht nur kürzer, sondern er konzentriert sich auch auf das, was er für wesentlich hält. Die Möglichkeit des Hörers, Rückfragen zu stellen, sind eingeschränkt;

– körperlichen oder seelischen Bedingungen: Ein leidender Mensch spricht anders als ein fröhlicher, ein betrunkener anders als ein nüchterner. Wer konzentriert zuhört oder liest, versteht eine Mitteilung besser als jemand, der abgelenkt, zerstreut ist.

Für jede Kommunikation ist also der Rahmen, der außersprachliche Kontext (Zusammenhang) wichtig, in dem sie stattfindet.

9 Sprachliches Handeln

Wenn zuvor gesagt wurde, Kommunikation sei Austausch von Informationen, so bedeutet das nicht, dass es sich dabei immer um bestimmte »Themen« handeln muss. Jeder kennt Kommunikationsformen, bei denen es nicht in erster Linie »um die Sache« geht:

Menschen sagen bei der Begrüßung »Wie geht es Ihnen?« oder »Das Wetter will aber auch gar nicht besser werden.«

Eine Frau beginnt ein Gespräch mit einem Mann, den sie näher kennenlernen möchte.

Jemand meldet sich in einer Diskussion zu Wort, weil er denkt, er müsse endlich auch einmal etwas sagen, oder weil er einen Kollegen ärgern will.

Jemand spricht auf einem Empfang mit möglichst vielen Leuten, um zu zeigen, dass er kontaktfreudig ist, und sagt der Frau seines Chefs ein paar nette Worte.

Jemand spricht betont kühl, um seine sachliche Überlegenheit zu zeigen.

Eltern trösten mit Worten ihr weinendes Kind.

Aus diesen Beispielen wird deutlich, dass es bei der menschlichen Kommunikation oft gar nicht so sehr auf den eigentlichen Inhalt des Gesagten ankommt, sondern darauf, zu anderen Menschen in Beziehung zu treten, auf sie einzuwirken.

Sprechen und Schreiben ist auch immer ein Handeln gegenüber anderen Menschen; beispielsweise kann man jemanden loben oder tadeln, trösten, beruhigen oder beleidigen, sich selbst »in Szene setzen« oder angeben.

Solche Handlungen haben Folgen:

Ich kann jemanden mit Worten verletzen, und solche Verletzungen sind oft schlimmer als körperliche.

Ich kann wegen einer Beleidigung angeklagt und verurteilt werden.

Ich kann etwas versprechen und gehe damit eine Verpflichtung ein.

Ich kann jemanden loben oder trösten und ihn dadurch verändern.

Sprachliche Handlungen vollziehen sich nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich; man denke etwa an die Wirkungen, die Briefe oder Bücher auf Leser ausüben können.

Was ist Grammatik und wozu braucht man Grammatikkenntnisse?

32Wörter bilden die »Bausteine« von Sprache und Kommunikation. Aber Sprechen und Schreiben besteht, wie jeder weiß, nicht in einer willkürlichen Aneinanderreihung von Wörtern. Man vergleiche folgende Wortfolgen:

1.  Haus der mit sprechen das Besitzer der gestern Mieter.

2.  Der Besitzer das Haus sprechen gestern mit der Mieter.

3.  Der Besitzer des Hauses sprechen gestern mit der Mieter.

4.  Der Besitzer des Hauses sprechte gestern mit der Mieter.

5.  Der Besitzer des Hauses sprach gestern mit den Mieter.

6.  Der Besitzer des Hauses sprach gestern mit dem Mieter.

7.  Der Hausbesitzer sprach gestern mit dem Mieter.

In der ersten Folge stehen neun Wörter beziehungslos nebeneinander; sie ergeben zusammen keinen Sinn.

In Folge 2 sind die Wörter in eine Wortfolge (Wortstellung) gebracht, wie sie im Deutschen möglich ist; man kann jetzt erraten, was der Satz bedeuten soll.

In Folge 3 wird die Beifügung (das Attribut) zu Besitzer in den richtigen Fall, nämlich den Genitiv (des Hauses), gesetzt.

In Folge 4 steht eine falsche Form für das Präteritum. Die Endung -te ist zwar für die meisten Verben möglich (fragte, sagte, siegte, lebte), nicht aber bei unregelmäßigen Verben wie sprechen (sprach), rufen (rief), tun (tat) oder laden (lud).

In Folge 5 steht nach der Präposition mit der Akkusativ statt des im Deutschen notwendigen Dativs (mit dem Mieter).

Folge 6 schließlich enthält einen grammatisch richtigen deutschen Satz.

Auch Folge 7 stellt einen korrekten Satz dar, in dem zwei Wörter zu einem neuen Wort zusammengesetzt sind (der Besitzer des Hauses – der Hausbesitzer).

Aus dem »Wortsalat« der 1. Folge können noch weitere grammatisch richtige Sätze gebildet werden, etwa:

Der Mieter des Hauses sprach gestern mit dem Besitzer.

Mit dem Besitzer des Hauses sprach gestern der Mieter.

Gestern sprach der Besitzer des Hauses mit dem Mieter.

Sprach der Besitzer des Hauses gestern mit dem Mieter?

Die Wörter müssen also in bestimmter Weise geformt und angeordnet werden, damit richtige Sätze entstehen, und dies geschieht nach bestimmten Regeln. Die Gesamtheit dieser Regeln nennt man Grammatik.

33Nun ist die Beschäftigung mit Grammatik aber keineswegs die Voraussetzung dafür, dass man richtige Sätze bilden kann. Von einem bestimmten Alter an weiß jeder Deutsch Sprechende, dass der Satz Gestern sprechte er mit ihm einen Fehler enthält, und er weiß auch, dass es der Besitzer des Hauses heißt und dass man nicht sagen kann er sprach mit ihn.

Im Großen und Ganzen beherrschen die Deutsch Sprechenden also die grammatischen Regeln ihrer Sprache, die sie nach und nach unbewusst gelernt haben. Vor allem als Kinder haben sie Fehler gemacht, man hat sie verbessert, und sie haben mehr und mehr gemerkt, welche Regeln in ihrer Muttersprache gelten. Wenn beispielsweise ein Kind sagt er sprechte oder er gehte, so kann man daraus ersehen, dass es eine Regel gelernt hat, nämlich die, dass häufig -te an den Stamm des Verbs gehängt wird, wenn man über Vergangenes spricht. Allerdings gibt es von dieser Regel Ausnahmen, und die hat das Kind noch nicht gelernt.

Die Tatsache, dass man beim Sprechen und Schreiben die grammatischen Regeln seiner Muttersprache im Großen und Ganzen beherrscht, bedeutet jedoch nicht, dass man über diese Regeln Bescheid weiß. Man kann beispielsweise die Formen des Präteritums (er sagte, sprach, lief) richtig gebrauchen, ohne zu wissen, dass es sich um das Präteritum handelt, ohne überhaupt über die Tempusformen des Deutschen (Präsens, Präteritum, Futur usw.) Bescheid zu wissen und ohne sich klargemacht zu haben, welche Möglichkeiten es im Deutschen gibt, Vergangenes auszudrücken. Die Beschäftigung mit Grammatik führt also dazu, dass man sich Regeln bewusst macht, die man unbewusst weitgehend beherrscht.

34Welchen Sinn hat es nun, sich solche Regel bewusst zu machen? Oder anders ausgedrückt: Wozu braucht man grammatische Kenntnisse?

Es lassen sich folgende Gründe für die Beschäftigung mit Grammatik angeben.

Grammatische Kenntnisse fördern die Kommunikationsfähigkeit; das soll heißen, dass jemand, der über grammatisches Wissen verfügt, besser sprechen, schreiben und verstehen kann. Gegen diese Begründung könnte man anführen, dass von den vielen, die sprechen und schreiben, hören und lesen, nur wenige solide Grammatikkenntnisse besitzen. An diesem Einwand ist richtig, dass man, wie bereits zuvor gesagt, im Großen und Ganzen richtig sprechen kann, ohne sich intensiver mit Grammatik befasst zu haben, da man die grammatischen Regeln unbewusst zum großen Teil beherrscht. Dies gilt aber schon nicht mehr für das Schreiben: Wer die Regeln der geltenden Orthografie richtig anwenden will, braucht grammatische Kenntnisse. Wer beispielsweise Nomen großschreibt, wer zwischen seid und seit und das und dass unterscheiden kann, wer zwischen Haupt- und Nebensätzen Kommas setzt, muss zumindest ungefähr wissen, was man unter »Nomen«, »Verb«, »Konjunktion«, »Präposition«, »Hauptsatz« und »Nebensatz« versteht.