Deutscher Novellenschatz 19 - Claire von Glümer - E-Book

Deutscher Novellenschatz 19 E-Book

Claire von Glümer

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der "Deutsche Novellenschatz" ist eine Sammlung der wichtigsten deutschen Novellen, die Paul Heyse und Hermann Kurz in den 1870er Jahren erwählt und verlegt haben, und die in vielerlei Auflagen in insgesamt 24 Bänden erschien. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden in dieser Edition die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht. Dies ist Band 19 von 24. Enthalten sind die Novellen: Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. Schefer, Leopold: Die Düvecke, oder die Leiden einer Königin. Scheffel, Joseph Victor von: Hugideo. Tesche, Walter: Der Enten-Piet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 316

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

Deutscher Novellenschatz

 

BAND 19

 

 

 

 

 

 

 

Deutscher Novellenschatz, Band 19

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849661274

 

Das Korpus „Deutscher Novellenschatz“ ist lizenziert unter der Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0) Lizenz und Teil des Deutschen Textarchivs. Eine etwaige Gemeinfreiheit der reinen Texte bleibt davon unberührt. Näheres zum Korpus und ein weiterführender Link zu den Lizenzbestimmungen findet sich unter https://www.deutschestextarchiv.de/novellenschatz/. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Die Düvecke, oder die Leiden einer Königin.1

Der Enten-Piet.60

Hugideo.118

Reich zu reich und arm zu arm.126

 

 

Die Düvecke, oder die Leiden einer Königin.

 

Leopold Schefer.

 

Vorwort.

 

Leopold Schefer, geb. am 30. Juli 1784 zu Muskau in der Niederlausitz, besuchte nach dem Tod seines Vaters, der Arzt gewesen, das Gymnasium zu Bautzen, das er jedoch nach fünf Jahren wieder verließ. Seitdem trieb er in seiner Heimat Mathematik, Philosophie und das Studium der griechischen und morgenländischen Dichter. Sechs Jahre lang versah er das Amt eines Generalbevollmächtigten bei dem Fürsten Pückler-Muskau, konnte dann aber seinem Verlangen, fremde Länder zu sehen, nicht widerstehen und bereiste England, Deutschland — (ein Aufenthalt von zwei Jahren fesselte ihn an Wien, wo er sich der Medizin und Musik widmete), dann Italien, Sizilien, Griechenland, die Türkei, die griechischen Inseln und Kleinasien. Von 1820 bis zu seinem am 13. Febr. 1862 erfolgten Tode beschäftigte er sich In dem heimatlichen Muskau, in edlem Freundschaftsverhältnis zu seinem fürstlichen Gönner, ausschließlich mit dichterischen Arbeiten. Seine "Gedichte mit Kompositionen" gab im Jahre 1811 der Graf Pückler heraus, der lange für den Verfasser galt. Seine Novellen erschienen einzeln in Zeitschriften und Taschenbüchern, dann gesammelt 5 Bände "Novellen" (1825—29), "Neue Novellen", 4 Bände (1831—35), "Lavabecher", 2 Bände (1833) und "Kleine Romane", 5 Bände (1837—39). Ferner "Die Göttliche Komödie in Rom" (1846), "Graf Promnitz" (1846), "Generion von Toulouse" (1846) und "Die Sibylle von Mantua" (1803). Von seinen zahlreichen spruchartigen oder Lehrdichtungen sind die bekanntesten "Das Laienbrevier" (1834) und "Der Weltpriester" (1846), denen 1854 zwei Bände "Hausreden", "Hafis in Hellas" und der "Koran der Liebe" folgten.

Aus den wunderlichsten Elementen gemischt steht die Erscheinung dieses reichbegabten Mannes vor uns und lässt uns in demselben Augenblick die lebhafteste Anziehungskraft empfinden, wo wir uns mit heimlichem Grauen und Widerwillen von ihr abwenden. Tiefe und zarte Weisheit, und eine im Irrgarten alles Wahnwitzes berauscht herumtaumelnde Phantasie; eine Fülle von Kenntnissen in Länder- und Völkergeschichten, und dabei der Hang, in der novellistischen Darstellung überall die richtigen Umrisse zu verwischen und statt der reinen Zeit- und Lokalfarben ein phantastisches Zwielicht oder eine ungewisse bengalische Beleuchtung um alle Gestalten zu ergießen; seine Empfindung für das Sittliche, gepaart mit einer wollüstig fiebernden Sinnlichkeit; seltenes Schönheitsbedürfnis und, dicht daneben die naivste Geschmacklosigkeit — Gegensätze, die es hinlänglich erklären, dass die novellistischen Dichtungen Leopold Schefers, einst in den Tagen der Romantik als ein hochbedeutsamer, völlig selbständiger Nebenschössling derselben bewundert, heutzutage fast vergessen, ja schlimmer noch, fast ungenießbar geworden sind. Und dies in so hohem Grade, dass kaum eine Wahl für den Novellenschatz länger hin und her geschwankt hat, als die aus der Überfülle der Scheferschen Werke, deren Platz in der Entwicklung der deutschen Novelle doch zu ansehnlich ist, um in einer Mustersammlung, die zugleich einen historischen Überblick gewähren soll, den einst gefeierten Namen ganz zu übergehen. Auch die endlich zur Aufnahme ausersehene Erzählung leidet an den Gebrechen der Familie, nur dass sie von der lyrischen Verschwommenheit und Überschwänglichkeit anderer sich freier gehalten hat. Zu ihrem Vorteil ist' sie schon durch den nördlichen Boden, auf welchem sie spielt, und den Hintergrund der weltgeschichtlichen Ereignisse vor dem Widerwärtigsten bewahrt geblieben, was die Scheferschen Gebilde sonst an sich zu tragen pflegen: vor jener nach Moschus, Ambra und Sandelholz duftenden schwülen und schmachtenden orientalischen Üppigkeit, jener von Koranweisheit und geheimnisvollen Sprüchen durchtönten Stickluft, in welcher das gesundere Geschlecht unserer Tage nicht mehr zu atmen vermag, während man vor dreißig Jahren dieses eben Mode gewordene Aroma begierig einsog. Einzelne ergreifende Momente der Handlung, die großenteils festumrissenen Charaktere und die reichlich eingestreuten geistvollen Reflexionen geben immerhin von dem bedeutenden Talent des Dichters Zeugnis und lassen deutlich erkennen, wie viel hohe Gaben der Natur hier einem falschen Kunstbegriff oder einer Krankheit der Zeit zum Opfer gefallen sind.

 

***

 

 

I. Der goldene Elefant von Rotschild.

 

Am Ufer und auf der Rhede von Bergen in Norwegen wurde die seltsamste Doppelszene gespielt.

Eine davon war diese: auf dem Schiffe, das vor dem Hafen lavierte und bei heftigem Morgenwinde ihm nur sehr allmählich näher zu kommen vermochte, stand der Herzog Christian, Kronprinz von Dänemark, mit seinem Kanzler, Erik Walkendorp, Probst von Rotschild, in vertrautem Gespräch, die Augen nach der Stadt gerichtet.

Es ist eine Narrheit! sprach der Herzog.

Hierherzugehen? Hoheit! Finden Sie auf einmal Bedenken? Es wird Sie nicht gereuen! So ein Schatz ist unschätzbar!

Nein, Hochwürdiger, entgegnete der Herzog; ich meine, es ist eine Narrheit, dass wir unter dem Joche des Regierens nicht frei umherschauen, unter dem Wuste von Schein und Scheinen nicht das Wesen ergreifen, die Masse von Vergnügen, die uns so leicht und so gern auf goldenen Tellern überall von den sklavischen Seelen dargeboten wird! Es ist eine Narrheit, dass wir uns das Leben nicht gerade zu der Zeit süß machen, wenn man es uns sauer macht, nicht gerade das Vergnügen suchen, wenn uns die Unannehmlichkeiten bedrängen! Wir müssen ein Gegengewicht haben, um uns im Gleichgewicht zu halten! Also nur vorwärts, nur Land! Nur das schöne Mädchen! Lass Andere alljährlich nach Italien, nach Rom und Neapel, Palermo und Ischia, Nizza und den hierischen Inseln gehen — zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit — auch hier an dem nördlichen Strande waltet der Liebesgott, auch hier kann man seine Gesundheit herstellen! Aber der Wind ist rasend! widerwärtig, ein Feind, dem man den Hals brechen muss; lasst das Boot aussetzen, Hochwürdiger!

Zu Befehl! Jetzt ist mir wieder wohl, versetzte der Bischof aufatmend. Aber keine Übereilung, Gnädigster! Ich würde raten, selbst morgen, ja sogar übermorgen noch nicht in das Haus zu gehen! Denn das herrliche Mädchen ist so spröde als — jung, so feinfühlend — wie die erste Liebe oder ihre Ahnung. Sie hört noch kaum der Mutter Sigbritte schlau gewogene Worte an, aber im Stillen bedenkt sie sich wohl — denn die Mädchen sind nach Ehre, das heißt, nach Geehrtsein, begierig, und was sie mit einem König oder Königssohne verbrechen, das scheint ihnen löblich und wünschenswert, denn es erregt der andern Törinnen Neid; und mehr als beneidet sein will zuletzt Keine. Darum geht heute nicht gleich hin! Lasst eine Sinnesänderung in ihr vorgehen, nämlich, lasst sie denken: Ihr mögt sie nicht! lasst sie denken: Ihr kommt nicht! Und anstatt, dass sie heut was ihrer Gesinnung angemessen und vielleicht lieb fände, fängt sie an, morgen Zweifel zu empfinden, ihren Unwert einzusehen; und kommt Ihr noch eine Nacht, noch einen Tag und noch eine Nacht nicht, dann fängt sie wohl an zu weinen, sich zu sehnen, und dann kommt Ihr, dann seid Ihr da; nahe, Ihr wohnt ihr im Herzen. Durch verlorene Tage gewinnt man Jahre. Setzt die Nacht noch ein, Ihr gewinnt sie tausendfach, Gnädigster!

Ihr habt recht, Hochwürdiger! Aber ist sie denn wirklich so schön? fragte der fünfundzwanzigjährige Herzog, vor Ungeduld glühend.

Ach, dass Eure Augen einen Augenblick Falken- oder Wildenaugen wären; denn — ich irre mich nicht, dort steht sie mit ihrer Mutter Sigbritte auf dem Altan, der in die See hinaussieht! Die Abendsonne beleuchtet gerade das Haus — ihr Gasthaus. Die Mutter hat es gekauft und mit lauter Äpfeln bezahlt, womit sie in Holland gehandelt; aber das schadet dem Mädchen nicht; denn wie heutige Äpfel noch so schön sind wie Wachs und so rotwangig wie einst im Paradiese — so schön und frisch, ja frischer ist das junge Mädchen hier, als Eva im Paradies wäre! Ihr stoßt Euch daran nicht, Hoheit!

Narrheit! sprach der Herzog.

Ihr seid sehr gnädig, und die Mutter wird außer sich sein vor Freuden.

Narrheit! sprach der Herzog noch einmal vor sich hin.

Die andere Szene war diese: Auf dem Altan des Gasthauses stand die Jungfrau Düvecke, ein ungemein schönes Mädchen, mit niedergesenkten Augen, und ein anderer hätte gemeint, sie schlage sie vor dem kraftvollen goldenen Scheine der Abendsonne nieder; aber ihre Mutter wusste, ihre einzige liebe Tochter schlage sie vor dem Anblick des Schiffes nieder; denn Düvecke sprach leise und zaghaft zu ihrer Mutter: Der Himmel will selber nicht, dass der leichtsinnige Herr zu uns kommt! Sein Wind drückt ihn zurück! O, wenn er ihn doch verschlüge, fort, weit zurück nach Island oder unter die Eisschollen, wo — —

Wo ihn ein Eisbär zerrisse und fräße! nicht wahr, du junge Närrin! sprach ihre Mutter Sigbritte vor Unmut lachend.

Närrin? fragte Düvecke gleichsam den purpurnen Abendhimmel und die heilig und rein und groß und göttlich daher schauende Sonne mehr als ihre halsstarrige Mutter.

Sigbritte aber ergriff ihre Hand, drückte sie erst bis zum Wehtun, ließ dann allmählich nach und sprach sich bezwingend: Siehe, mein Kind, du bist mein Kind, meine einzige Tochter! Wir leben nicht im Himmel, sondern hier unter den Wolken auf Erden, am unwirtbaren Meer, in der Stadt Bergen, unter Menschen, die norwegisch sprechen und deren Zuspruch wir brauchen — sonst verhungern wir; denn dein Vater hat uns durch kein nachgelassenes Vermögen über die Sorge der Millionen gemeiner Menschen erhoben, die ohne Hände und Füße den Magen verfluchen müssten, und die Mäglein ihrer Kinder, und den Frost und den Schnee und den Regen und Wind!

Aber wir haben ja gesunde Hände und Füße! meinte Düvecke.

Wir? fragte die Mutter. Du, ja; aber ich nicht. Mir kommen die berühmten Tage ganz leise geschlichen, die mir nicht gefallen und dir nicht gefallen sollten an mir! Hast du Sinn für die Wirtschaft im Hause? Schläfst du gern morgens, oder bist du die Erste auf? Geh' ich nachts zuletzt zu Bett, oder sitzest du bis tief in die Nacht bei den Gästen, selbst bei den rohen Matrosen, die ihren Brei oder ihr elendes Leben in aller Welt hier mit Faustschlägen auf unseren Tischen austun. Muss ich nicht hören, sehen, riechen, kochen, essen, ja verschweigen, was ich nicht mag! Und wenn die hiesigen alten Götter Bier getrunken haben, so sind es gewiss derbe Flegel gewesen, wie unsere Gäste tagtäglich und nachtnächtlich beweisen, die leider nicht die Eigenschaft an sich haben, am Morgen mit gesunden Knochen und heiler Haut wieder aufzustehen, wenn sie sich bei ihrem zum Vergnügen geführten Streit in der Nacht die Hälse gebrochen! Hast du denn gar kein Mitleiden mit mir, wenn ich Blut aufwasche, oder am Morgen nicht reden kann vor Heiserkeit, wenn ich am Abend zu viel geschrien und schreien und zutrinken müssen? Hast du kein Mitleid mit mir, wenn ich mir die blauen Flecke einreibe, oder wenn ich im Winter am Fenster sitze, barme und den lieben Gott bitte: wende doch den paar Bauern da draußen das Herz, dass sie hereinkommen und ihre Paar Pfennige bei uns verzehren? Mögen sie doch einen Trödel machen; denn Krieg muss sein im Ganzen oder im Einzelnen, und der Krieg ist größer im Frieden als im nur sogenannten Krieg! Tut dir das nicht leid? Sprich doch, rede etwas, meine gute Düvecke! Für dich will ich ja eben nur sorgen — und willst du nicht, je nun, ob ich ein Paar Jahre eher sterbe oder später, aus uns wird ja so nichts!

Oh, Mutter! bat die Jungfrau.

Mutter hin, Mutter her! zürnte Frau Sigbritte, was bin ich Mutter, wenn mir das Kind nicht folgt!

In allem Guten und Ehrbaren gern, liebe Mutter! Ja, ich will auch die Frau des Schlosshauptmanns werden und treu sein, treu wie Sie ihrem Manne, meinem Vater gewesen — —

Weißt du etwas von mir? fragte Frau Sigbritte, die Tochter groß ansehend. Und wenn du denn auch des vornehmsten Mannes Tochter wärest, wenn mein Mann je was Albernes, Eifersüchtiges geschwatzt hat, wie schwache, alberne Väter kleinen unverständigen Kindern oft ihre Not klagen, könntest du nicht desto eher des vornehmsten Mannes —

Frau sein — wollen Sie nicht sagen, gute Mutter, weil Sie es nicht können; denn der Herzog, dem ich zwar gehören soll, aber er mir nicht — —

Schweig! rief Frau Sigbritte. Sieh lieber, er winkt dir jetzt mit dem weißen Tuche, da er immer schräg fahrend uns jetzt gegenüber gekommen. — Sie verneigte sich tief und sprach dann zur Tochter: Kind, welche Ehre!

O, lächelte Jungfrau Düvecke, mit angetanen Ehren meinen die vornehmen Herrn ihre Lüste gar leicht zu kaufen und schwere Dienste gar leicht und gar reichlich zu bezahlen! Aber die falsche Münze gilt bei keinem redlichen oder vernünftigen Sinne. Eine arme Tagelöhnerfrau ist reicher und ehrenwerter in ihrer Armut und höher in ihrem niedrigen Stande, als ich — —

Du? Nun ja, du! trotzte Frau Sigbritte. Herzogin oder Königin gar einmal wärest du Närrchen freilich lieber, und so eine Närrin wäre ich auch, wenn ich's nicht besser wüsste aus Holland und aller Welt Land her! Prinzessinnenblut und Tränen sind bloßer Staatenkitt. Zum Glück sind der Prinzessinnen nur wenige gegen die Unzahl der Mädchen auf Erden. Prinzessinnen heiraten nicht, sondern werden geheiratet. Sie glauben nichts Bestimmtes, bis sie einen Gemahl haben; dann treten sie über zu dessen Glauben, des lieben albernen Volkes wegen, das da denkt: ein Herz ist ein Handschuh oder ein Polyp, der rechts und links gewandt, noch ein Handschuh oder Polyp ist und fortlebt; und wenn er umgekehrt ist — nicht mehr von dem vorigen Leder bleibt! Selbst die besten, vernünftigsten Prinzessinnen-Väter sind des Glaubens, weil sie so tun; besonders auch dieses: dass schöne Töchter in die Ferne geschickt und den Mann regierend, wie die Weiber überall, ihm wie Delilah dem Simson die Haare abschneiden, und dass man mit ihnen den fremden Boden pflügen könne. Sie haben nur Prinzen oder Prinzessinnen, aber keine Kinder; denn die Oberhofmeister und Meisterinnen haben sie. Sie verheiraten sie nicht, wie glückliche Bauern, aus das Nachbargut, wo sie an der Kinder und Kindeskinder Freuden und Leiden herzlichen Teil nehmen in allen Fällen des Lebens, sondern sie verlieren sie, hin über Länder oder Meere, und sehen sie nicht wieder und hören höchstens, wann und wie elend vor Gram sie gestorben sind mit gebrochenem Herzen, wie verkaufte Sklavinnen. Nun, da ist kein Rat, denn der Rang will behauptet sein. Aber die Männer, die Prinzen, wissen Rat. Da ist ihnen Eine die Liebe, Eine die Taube, die Krone, wie der weise Salomo sagt. Und die sollst du sein! und kein Leid von ihm erfahren dein Leben lang. Denn schöner und lieber wie du kann Niemand sein, und für alles andere lass mich sorgen und Gott im Himmel!

Gott im Himmel! sprach Jungfrau Düvecke mit gefalteten Häuten seufzend nach. Der hat schon gesorgt! fuhr sie weinend und bittend fort. Der Torbern Ore, der Schlosshauptmann, bestürmt mich seit gestern . . .

— Seit er weiß, dass der ihm gefährliche, lebenslustige, keinen Spaß verstehende Herzog kommt! schaltete Frau Sigbritte ein.

. . . und lieber will ich mich entschließen, seine Frau zu sein, wozu es ohne das nie gekommen, lieber als — —

Dem Ore bin ich Dank schuldig; bemerkte Frau Sigbritte; um mit Anstand in mein Haus zu kommen und dich tagtäglich oder abendabendlich sehen und beschwatzen zu können, hat er es erst anständig und dadurch einträglich zu machen gewusst, dass er die deutschen Kaufleute der Stadt veranlasst hat, gleichsam ihre Börse in meinem Hause zu halten und auszuleeren in meine! Dafür verdient er ein gratias oder laus Deo — er soll anborgen, so hoch er will, denn zehn volle Beutel machen einen Windbeutel passierlich — aber meine Tochter verdient er nicht, noch dass ich ihm meine Pläne opfere! Denn, mein Kind, in mir steckt mehr als die demütige, untertänige Frau Sigbritte, die mit verbissener Wut Danziger Goldwasser einschenkt! Ich will nicht hoch hinaus, sondern ich bin hoch, und denke hoch, und hoch will ich handeln! Das wirst du mit deinen lieben, himmelblauen Augen mit ansehen und sagen: meine Mutter hatte doch Recht! — Und mehr als Recht haben soll kein Mensch.

Jetzt wollte Jemand die Tür des Zimmers aufklinken, vor welchem Mutter und Tochter auf dem Altane standen. Aber Frau Sigbritte hatte sie weislich verschlossen, weil sie im Angesicht des Schiffes mit dem Herzog zuerst ihrer Tochter die mütterlichen Absichten mit ihr hatte entdecken wollen, worauf sie sonst nur durch einzelne Reden bei schicklicher Gelegenheit angespielt.

Jetzt rief es mit sonderbarer Stimme durch das Schlüsselloch: Das eine Mal mache nur auf, liebe Düvecke! Ich sehe dich, du bist es! Tu auf! Oder siehst du nach dem Herzog?

Es ist der arme, unglückliche Torbern, sprach Düvecke leise, über seinen Verdacht empört.

Torbern Ore! zischelte oder züngelte die Mutter Sigbritte.

Düvecke! im Himmel vor Gott wirst du an diese Stunde gedenken! Ich komme dich zu retten! Der Wind ist uns günstig, die Nacht ist nahe, das Boot liegt fertig. Mein Gott, mir ist so Angst um dich, als rauschte ein Riesenhai auf dich zu, und du spieltest im Meerbad und hörtest und sähest ihn nicht! Doch ich rufe, ich schreie dir zu: er kommt, er . . . .

— will dich fressen! lachte die Mutter vor Zorn laut auf. Nehmt Euch in Acht, lieber Ore, dass er Euch nicht verschlingt! Nicht alle Menschen heißen Jonas!

Aber Jungfrau Düvecke trat an die Tür und sprach laut zu ihm: Dank Euch Gott, lieber Torbern, für Eure Guttat an mir! Euch kann es nur gut gehen — auch wenn Ihr leidet! Ich aber bin verloren — durch meine eigene Mutter, der es unvergolten bleiben möge und bleiben wird, da sie der katholische Bischof Erik Walkendorp umgarnt und verführt hat, der, da er selbst umsonst nach mir lechzte, nun einen Gewaltigen herführt, der mich bändigen soll!

Bist du rasend! schrie die Mutter darein, dass er die Worte nicht verstehen sollte. Doch sie riegelte die Tür auf und hieß den Schlosshauptmann Torbern hereintreten, einen gediegenen, schönen, jungen Mann, jetzt vor Adel der Seele noch einmal so schön, aber vor Glut und Wut, die er nicht äußern durfte, bald blass und bald rot. Doch er reichte seiner armen Düvecke die Hand von der Seite, lehnte sich mit dem Arm an die Pforte der Tür, sein Gesicht auf den Arm, und man sah es nicht, aber man hörte es — er weinte. Dann fasste er sich, stampfte mit dem Fuß auf die Erde, wollte die Mutter Sigbritte an der Kehle fassen; aber er streckte die Hand aus und griff in die offene See hinaus, als wollte er das klein erscheinende Schiff da draußen wie eine Meerspinne fassen und ohne die Gefahr zu scheuen wie einen Skorpion zerquetschen.

Frau Sigbritte sah das und verstand es wohl, doch sie drohte ihm nur mit dem Finger. Ich habe nichts gesehen! sprach sie zu ihm. Aber ich will schweigen, weil es mir und meiner Tochter einmal zum Übel werden könnte, dass ein gewisser Jemand erführe: Ihr habt sie geliebt. Denn Euch brächte es sichern Untergang! Darum Freundschaft in Feindschaft, Zorn in Güte, Liebe in Hass zwischen uns, armer Torbern! Ihr findet tausend Weiber, und ich gönne Euch die Schönste und Beste von Allen, außer meiner Düvecke, schon darum: weil sie Euch nicht will! Fragt sie selbst! Rede ich wahr?

Und die spröde Düvecke sank in seinen Arm; sie weinte; er weinte; sie küsste ihn nicht, er sie nicht. Sie wollte ihn nicht beleidigen dadurch, dass sie sich ihm zuerst entzog; er vermochte sie nicht von seinem Herzen zu stoßen. Und so blieben sie in der seltsamsten Umarmung, bis die Mutter zu ihnen sagte: Kinder, vergebt euch! trennt euch! und meinetwegen liebt euch; aber das müsste sein wie ein Irrlicht am Tage, das Niemand sieht, und die Sonne gar nicht! Ich bin zwar eisenfest; aber wenn ein ehrenwerter Mann die Tochter liebt, das hält keine Mutter aus; denn sonst hätte ich Euch die Augen ausgekratzt! Sie gab ihm nun selbst einen Kuss auf die Stirn und bat ihn heimlich, heimlich ihr Haus zu verlassen und in diesen Tagen sein Schloss wohl zu hüten!

Indes waren die Flammen der Abendröte am Himmel erloschen, die Sichel des Neumonds blinkte schon silbern zwischen den düstern Gestalten der ziehenden Abendwolken, Nachtvögel schwirrten schon an der Küste; das Schiff musste gelandet sein, denn erschreckender Jubel erscholl ganz nahe drunten an den Häusern; Fackelschein floss hin und her — Er war da, sie war nötig, und so riss die Mutter ihre Tochter mit fort; Torbern aber blieb zurück, allein, voll Eifersucht, Liebe, Rache, Hass und Wehmut. Er kniete erst hin, dann sank er um, und so lag er vom Monde beschienen auf den kalten Steinen des Estrichs, unbekümmert um sich und die Welt. Und eine Eule setzte sich, nach Fraße spürend, auf das eiserne Geländer des Altans. Ihre Augen funkelten, sie kreischte drei Mal. Er erschrak, scheuchte sie fort und verließ mit Hast den ihm schrecklichen Ort.

Die bei Gelegenheit der Ankunft des Herzogs zusammengelaufenen Menschen waren nach seiner Begrüßung nicht wieder einzeln in ihre Häuser heimgegangen, sondern, aufgeregt wie sie worden, scharenweise in ihren sonntäglichen Vergnügungsorten eingekehrt. Und so war denn auch der Frau Sigbritte bestes Haus gedrängt voll bis in die Nacht gewesen.

Jetzt saß sie am Tisch vor dem Licht und zählte das aus der Tasche ausgeschüttete Geld. An einer andern Tafel fern hinter ihr saßen zwei einfach gekleidete Herren im Dunkeln, die unlängst erst gekommen waren. Frau Sigbritte schien sich nicht um sie zu bekümmern; ihre Züge waren aber seelenvergnügt.

Da öffnete sich die Tür der Nebenstube, und im weißen Nachtkleide, einen Leuchter mit brennendem Licht in der Hand, trat ihre Tochter Düvecke herein und leise an ihren Tisch. Das Gesicht der Mutter nahm gleichsam eine höchst unzufriedene, zornige Maske vor, und sie sah die Tochter nicht an. Dagegen lächelte das schöne Kind so sanft, so mild um Verzeihung bittend, auf sie hin, wartete geduldig, bis die Mutter sie ansehen würde, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Ihren Busen hob die schwere Beklemmung leis empor, denn die Mutter sollte gut sein, dass sie gut fein und bleiben wollte.

Da stand der eine, der jüngere Herr, auf und trat einen einzigen Schritt näher. Düvecke hatte wegen der Stille im Zimmer geglaubt, die Mutter sei ganz allein. Jetzt verscheuchte sie das Geräusch. Sie blickte sich nicht um, sondern verschwand wieder in ihr Gemach.

Jetzt stand die Mutter auf und verschloss die Tür. Die Herren kamen nun und setzten sich zu Frau Sigbritte. Sie flüsterten dann mit halber Stimme. Sigbritte schien viel zu erzählen, vieles schwer zu finden. Der Probst von Rotschild und Kanzler Erik Walkendorp schien mancherlei Rat zu geben; der junge Herzog Christian endlich zu dem Letzten seine Einwilligung zu geben. Ja, er reichte zuletzt Frau Sigbritte zum Scheiden die Hand; mit der andern aber ergriff er die Rechte des Erik Walkendorp und sagte ihm dankbar: Erik, Ihr habt vortreffliche Augen! Ihr habt brüderlich an mir gehandelt! Und zum Danke für den getreuen Dienst belohnt Euch der Herzog als Probst von Rotschild — und zum dankbaren Andenken derselben an Euch — alle künftigen Pröbste von Rotschild mit dem vorzüglichen Ehrenwappen im blauen Schilde, dem goldenen Elefanten der königlichen Brüderschaft!

Der Probst küsste dem Herzog die Hand.

Und der König ernennt Euch künftig zum Bischof von Trondheim! Glaubt mir das. Denn ich und der künftige König sind Eine Person, Ein Herz und Ein Sinn!

Der Probst war außer sich vor Vergnügen, und so sprach er etwas unvorsichtig die Worte: Hoheit, nehmt die Wahrheit als meinen größten Dank! — In diesen Zeiten, wo eine Reformation an Haupt und Gliedern der Kirche unfehlbar bevorsteht, tun die Glieder — gewiss auch das Haupt — sehr wohl, sich zeitig die künftigen Regenten, die Kronprinzen und Kronprinzessinnen zu verbinden, und Düvecke — —

Düvecke ist einzig auf Erden! Es gibt keine dergleichen schön und ehrbar! lächelte der Herzog. Gebt mir Euern Arm! mir schwindeln die Sinne.

Und als der Probst vor der Ehre anstand, sprach der Herzog: Tut mir den Gefallen! Ihr gehört ja zur königlichen Brüderschaft!

Frau Sigbritte verneigte sich stumm und leuchtete klug dem höchsten Gaste und dem Freunde nicht hinaus, die Beide draußen im Finstern einen plumpen Fall taten und dumpf brummten. Frau Sigbritte aber biss sich vor heimlichem Lachen die Lippen.

 

II. Düveckes Flucht.

 

Die gegründete Scheu, ja der gerechte Abscheu des ehrbaren Mädchens vor dem als locker bekannten Herzog schien für diesmal ganz überflüssig. Sie getraute sich nach und nach wieder in die Gaststube, weil sie gehört hatte — von ihrer Mutter —, der arme Herr sei krank oder doch unwohl von der Reise zur See, weil das ungehorsame, unbezwingbare Element da mit ihm verfahre, wie es wolle, und das ärgere ihn! Sie hörte nun von den Gästen, der Herr erscheine nirgends. Nur die deutschen Kaufleute habe er vorgelassen und ihre alten Begnadigungen des Comtoirs neu bestätigt. In Hedemarken drohe eine Empörung auszubrechen, und selbst der Bischof Karl von Hammer solle sie anspinnen und leiten wollen; und da dieser doch von des Herzogs Vater, dem König Christian I., zum Oberaufseher über den Sohn ernannt sei, so könne man denken, wie sehr der junge, trotzige, rücksichtslose Wildfang den Hass der Übrigen verdiene!

Als nun Düvecke eines Abends allein bei ihrer Mutter saß, kam ein Offizier in seinen Mantel gehüllt herein, grüßte Frau Sigbritte lächelnd, nahm den Schlüssel zu seinem Zimmer von dem ihm bekannten Schlüsselhakenbrette, zündete das ihm bereitstehende Licht an dem Lichte des Tisches an, woran Düvecke saß, grüßte, ja bemerkte sie kaum, sondern sah auf das Licht, das nicht anbrennen wollte, und nahm dann kurze gute Nacht.

Dafür hatte Düvecke Gelegenheit gehabt, den schönen jungen Mann zu betrachten, wie sie noch keinen gesehen. Seine Erscheinung hatte sie tief getroffen — dass sie ein Weib sei. Sie war errötet und saß jetzt ganz still und sann einem unergründlichen Geheimnisse nach, das ihr anbrach wie Morgenröte eines Festtages — der Liebe. Sie war siebzehn Jahr auf der Erde; die Gestalt aber, die sie gesehen, schien sie ewig, ewig, wie einen aus dem unendlichen Himmel her wandelnden Stern erwartet zu haben, und nun war er da, aufgegangen, und das sonst nicht genug bedachte und empfundene Wunder, dass zwei Menschen sich treffen, war ihr ein Wunder!

Sie schwieg aber weislich, obgleich die Mutter darüber sie mit forschenden Augen ansah.

Am folgenden Abend kam der Fremde wie vor. Heute aber schien er sehr entrüstet auf das Leben am Hofe, die Langeweile, das Warten und die erbärmlichen Geschäfte, die alle Ein Fleißiger gut verrichten könnte, und die des Anstandes wegen von zehn Faulenzern schlecht verrichtet werden, weil Keiner was tun mag, und Jeder sich auf den Andern verlässt. Er setzte sich in Gedanken an den Tisch und richtete seine Worte bloß an die Mutter. Da jedoch der schönen Tochter vor Allem seine Gesinnung innig gefiel, weil sie, wie ihr Gemüt, feindlich gegen den Herzog war, so schien er das desto lieber zu sagen, was ihn zu drücken schien; und so fuhr er fort: Unser einziger, allerbester König, Christian I., hat uns das liebe Söhnlein bloß hergeschickt in das Land, weil er zu Hause nicht mehr gewusst, wie er ihn bändigen sollte! Zu den Wissenschaften hatte der Sausebraus keinen Gedanken; Waffenruhm, Fausttaten, das war sein Begehr. Und doch dauert mich das arme junge Blut!

Das meine ich auch! schaltete Frau Sigbritte ein.

Nicht von Natur war er so eigensüchtig und wollte Alles auf seinen Kuchen schaben, was in der Welt süß ist; und der Kuchen der Großen ist groß und ihr Messer lang. Aber seine ersten Erzieher waren Schwachköpfe, und wenn eines Kindes Gemüt in den ersten fünf Jahren nicht schon völlig gerichtet und gestimmt ist, so helfen alle späteren Helfershelfer nichts. Also sein Kern ward verdorben; denn selbständige, selbstwollende, großherzige Prinzlein hat man nicht gern, und so verdarben ihn die Schmeicheleien und die Reizungen der Hofbedienten und Hofbedientinnen zu Stolz und — Reizen, als wären sie vom Volke oder von auswärtigen Feinden dafür mit goldenen Bergen belohnt worden! Und ob unsers Herrn Herzogs Erziehung Sr. Majestät gewiss tausend Sorgen gemacht, so war sie doch schlecht, wie ausgesucht. Denn nachdem der Kern vergiftet war, gab ihn sein mildgesinnter Vater, der ein Bürgerfreund sein und scheinen wollte, den Knaben, zu dem Bürger Hans Vogebinder in Kopenhagen ins Haus und an den Tisch, und der Chorherr Georg Hinze leierte ihm etwas von der Lyra am Himmel vor — aus der neuen Lehre des wahren und bleibenden Gegenpapstes Tycho de Brahe —, da doch die Sternkunde alle großen Menschen klein macht, und was sie sich etwa einbilden, auf Erden Wichtiges oder Nachhaltiges vollbringen zu können, in ihrer Seele zu Baldvergangenem und Nichtswürdigem macht. Wäre der Himmel Homers nicht nahe und ehern gewesen, es hätte keinen Göttersohn Achill, oder wie sie alle heißen mögen, gegeben bis auf den heutigen Tag.

Frau Sigbritte sah ihn mit einiger Beklemmung an.

Lasst das gut sein, Frau Sigbritte, fuhr er fort, Wir leben, das ist gewiss; und wir wollen leben, das ist noch gewisser. Aber der Hinze war zu schlecht bezahlt von Seiner Majestät, er konnte vom Unterrichten allein nicht leben, und nahm den jungen Wildfang in sein Haus, um neben ihm seine Nahrungsgeschäfte betreiben zu können; durch diese aber war er verhindert ihn unter seinen zwei Augen zu haben, indem der immer neu unartige Bursche tausend Augen zum Hüten bedurfte, Tag und — Nacht, wo Aller Augen schlafen. Und so ward er die Beute Derer, die auch des Nachts umherschwärmten, und ein Geselle oder Meister und Anführer der gemeinen Brut, die mit in dem Neste jeder Stadt jung wird, und vor der Zeit alt, und niemals was wert. Als ihm aber der schlaue Herr Hinze einst auf die Sprünge gekommen, musste der junge Patron ihn nun stets begleiten, wie sein kleinerer Mittagsschatten, und in seinen Chorstunden mit unter den Chorknaben singend stehen, wo denn dem albernen Volke sein künftiger König so leid tat — besonders aber darum, weil er unter armen Knaben singen musste, die sich ihr Brot vor den Türen ersangen — dass sich der König dadurch gerührt fühlte und das unfolgsame Thronfolgerlein zweier Königreiche wieder in sein Schloss nahm.

Da war er zu Hause, meinte Frau Sigbritte.

Aber er blieb nicht, wenigstens nur am Tage, dann schlich er aus — und wohin? Überall hin! Denn Meister Konrad, welchen der Vetter Churfürst von Brandenburg ausgesucht und gesandt, war eben — ausgesucht nachsichtig, oder vermutete vom Knaben noch nicht, so zu sagen: Junggesellenstreiche . . . . für welche denn der Vater höchst eigenhändig die Hetzpeitsche in Schwung brachte.

Mein Gott, das arme junge Blut! seufzte Sigbritte.

Freilich floss das! Nur bei dem Bischof Jens Anderson in Norwegen ward er seinem wahren Geiste und Mute gemäß erzogen, denn dem Beldenack oder Kahlkopf — so war des staats- und kirchenklugen Bischofs Zuname — fehlte nichts als — die Haare. Und man muss gestehen, nun ja, da hat der Herzog Andern Anleitung gegeben, einige Tausend Leute zu erschlagen . . . .

Mein Gott! rief erschrocken Düvecke aus.

Beruhigt Euch, schöne Jungfrau! tröstete sie Jener, das geschah nur — im Kriege und gegen bloße Empörer. Aber wehe, wer ihn erzürnt und beleidigt — denn seine Rache ist wirklich furchtbar. Ich habe auch ungefähr — und wer kann das wissen — sieben bis acht in Eisen maskierte Menschen hier mit dem Schwerte erlegt . . . schaudert nicht, liebes Mädchen . . . .

Ach, ich bewundere Euch nur! entgegnete Düvecke. . . . . aber den Anführer der Feinde hinstrecken und halbtot noch mit den Händen ganz tot würgen, wie der Herzog dem tapferen Herlof Hyddefad getan, oder wie er die Besatzung des Schlosses Elfsburg — weil sie sich gar so tapfer ihrer Haut gewehrt — niederhauen lassen, das tut Faaburg nicht!

Schämt Euch, Herr Faaburg, sagte Frau Sigbritte. Ihr seid sein Geheimschreiber, und solltet dergleichen bloße Staatsaffären nicht einmal geheim denken, geschweige laut sagen . . . und hier vor dem Mädchen — Ihr wisst nicht, was Ihr mir für Schaden dadurch tut!

O, wenn ich so unedel dächte, erst Alles laut und offenbar zu schreiben in die Welt hinaus, da gäb' es viel andere Dinge! Ich aber schreibe sein Wesen seiner Frau Mutter zu, die auch erst mit Attestaten ihrer guten Frauenaufführung aus Stockholm nach Hause zu ihrem Manne oder Könige kam aus der Gefangenschaft. Genug, ich bin fest entschlossen — ich nehme den Abschied . . . . nehme mir ein braves Weib, das denkt wie ich, und bleibe ein braver Mann bei ihr und durch sie!

Düvecke sah beschämt in den Schoß und wagte kein Auge aufzuschlagen, damit nicht ihr Anblicken ihm zu verstehen geben möchte, sie fühle sich getroffen, sie werde ein braves Weib sein. Und doch war ihr so zu Mut. Aber eine bescheidene Jungfrau scheut nichts so sehr, als ihren Wert zu zeigen oder zu sagen; sie wäre lieber nicht da, und unsichtbar, und bloß ihren Geist, den Geist der Liebe fände ein Mann liebenswert, und er beschwüre sie aus ihrem geheimnisvollen Dasein in das schöne Leben, und dann erschiene sie ihm schön und unsterblich, reich ausgestattet mit allen Schätzen des Himmels und allen Reizen der Erde zugleich. So ein holder Widerspruch liegt in dem Herzen der Frauen; und ob die Gewöhnlichen unter ihnen gleich die Schönheit als ihren höchsten Wert sowohl sich und Andern anrechnen, so liegt doch noch ein Himmlisches in ihnen — nicht der Stolz, sondern das Gefühl: dass sie Natur sind, die sicher in ihrem Dasein ist, und ruhig in ihrer schönen Erscheinung.

Düvecke schwieg also. Aber ihr Schweigen war einer allmächtigen Rede gleich für diesen Herrn Faaburg, ja es war eine Herausforderung für ihn, da es auch kein Zurückweisen bedeutete. Denn er schien ein großer, das heißt, ein erfahrener Weiberkenner; und diese Erfahrung macht nicht groß, höchstens eitel, frei im Betragen, ja auch wohl frech. Er kam manche Nacht gar nicht aus dem Kloster, worin der Herzog wohnte, und welches nicht alle seine Leute fasste. Er entschuldigte sich mit Arbeiten — bei Düvecke. Aber seiner Sache sicher schon auf den ersten Blick, sprach er in den folgenden Tagen zu Düvecke wie ein Doktor mit einer Kranken, deren Leiden er alle aus ihren Worten oder Verschweigungen kennt, die erhellen will und kann, weil sie herzlich Hilfe von ihm begehrt. So, wie aus einem Geheimnis sprechend, oder von einem Schatze, den sie bewahrte, und wozu sie ihm die Schlüssel anvertraut, traf er oft mit einem Wort das Rechte — ihr Herz; eilig vorschreitend sprach er nicht vom kurz vorhergegangenen Zustande, noch erörterte er den, der sich eben gelöst, sondern er stellte durch ausgesprochene Gedanken dasjenige Bild klar und klarer in ihrer Seele — wie in seinem Tempel — auf, welches, wie er zu wissen schien, nun in dem bunten Bildersaal der Liebe an der Reihe war, betrachtet, empfunden und auch wieder zurückgeschoben zu werden — zu den schon beschauten, gelebten, belächelten oder beweinten. Ein stilles Handreichen, wenn vor den Liebenden ein festlicher Brautzug vorüber zur Trauung zieht — ein Lächeln der Geliebten, wenn kleine holde Kinder vor ihr in Blumen spielen — das sind Bilder, ja Taten, welche sie in vielen Nächten nicht verwindet, sondern welchen sie, wie ein mit dem dreizackigen Eisen verwundeter Aal, zwar entschlüpft und sich ihm entwindet, aber mit der Wunde in den Grund des Lebensstromes hinuntersteigt, und wo ihr die Sonne darüber Alles wunderlich groß und zauberhaft schön das süße Geheimnis erleuchtet.

Also solche kleine Hilfen und Liebesrechtsmittel und -Wohltaten wandte Faaburg redlich an; vor allen aber das größte, die Vorspiegelung der Ehe; die größte Schandtat und Sünde für den Unrechtschaffenen, und die himmlischste Gefangennehmung der Geliebten von dem Redlichliebenden. Dieses Alles aber kam noch zu dem Hass und der Furcht Düveckes, welche sie schon bei Nennung des Namens des Herzogs empfand. Christian bedeutete ihr keinen Herzog, keinen Christen, noch Menschen. Ihr wäre schon Jemand fast unentbehrlich gewesen, dem sie nur ihre Angst mitteilen dürfen; aber Jemand, der sie aus derselben erlösen wollte, war ihr mehr; und Alles war ihr der Geliebte durch seinen entschiedenen Willen, seine fast unabweisliche Kraft der Liebe, seine kaum anblickbare Schönheit.

Sigbrittens Stillschweigen zur Anknüpfung dieses Verhältnisses, das ihren schlauen Voraussetzungen, die nur der Erfahrene macht, nicht entgehen konnte, hätte der armen Düvecke, als der vorigen Willensmeinung ihrer Mutter durchaus widersprechend, bedenklich erscheinen müssen — wenn sie nicht geliebt hätte. Und die Mutter schien oft zürnend und argwöhnisch sie zu beobachten. Argwöhnisch sein will Argwohn unterdrücken. Auch in dem Wesen ihres Hans Faaburg würde ihr etwas Schadenfrohes, Hinterlistiges, Verstecktes aufgefallen sein, wenn sie nicht geliebt hätte. Ja, selbst eher ergeben hätte sie sich dem kühnen Manne, dessen Blicke sie schon beherrschten — wenn sie nicht geliebt hätte; denn es gibt keine zuverlässigere Freundin der Tugend, als die wahre Liebe, weil sie sich und den Geliebten ans ewig verloren glaubt und mit Recht glauben muss, wenn das Antlitz der Tugend nur einmal finster wird, oder gar ihre Augen sich mit Tränen füllen.

Daher erschrak Düvecke, als sie einmal ihren vorigen Liebhaber, den edlen Torbern Ore, blass wie einen Geist im Zimmer sah. Er wollte mit ihr reden; aber die Gegenwart der Mutter verhinderte jedes Wort. Er blieb lange. Sigbritte wich nicht. Und so konnte der redliche Freund hinter der Mutter Rücken seiner Geliebten nur warnend mit dem Finger drohen, und dann einmal flüchtig die Hände brechen, und sie flehentlich anblicken.

Sie verstand aber am Morgen das Leid des armen Torbern so, als sei es nur Eifersucht gewesen über den Hans Faaburg, oder Warnung vor dem Herzog Christian; denn die Vorsteher der deutschen Kaufleute waren gekommen und unterhandelten mit ihrer Mutter Sigbritte über ein großes Gastmahl und prachtvolles Fest, das sie aus Dankbarkeit dem Herzog zu Ehren in dem großen Hause derselben geben wollten — in drei Tagen. — Düvecke bebten die Knie; sie verließ das Zimmer wie eine Kranke. So fand sie Faaburg, der ihr traurig die Nachricht mitteilte, er müsse morgen zu Nacht nach Oslo reisen in wichtigen Geschäften des Herrn, und sie beschwur, ihm treu zu bleiben. Das bedrängte Mädchen empfand die ganze Macht dieses geforderten Schwures, der, von falschen Herzen gefordert, die größte Schlauheit und Falschheit ist, nicht sie verrät noch verraten soll. Sie empfand die Schrecken und den Schmerz einer Trennung vom Geliebten mit der Stärke, die alles Erste auf ein zartes Gemüt übt; ihn zu verlieren schien ihr unmöglich; und doch vermochte sie nicht das Wort zu sagen: Nimm mich mit! nimm mich mit dir! — sondern er sagte ihr mit der weichen, schmelzenden Stimme der Liebe, als sie mit dumpfen Sinnen und düstern Schmerzen zum ersten Mal an seiner Brust lag: Komm du mit mir, meine Düvecke! — Und ihr erster Kuss war ihre stumme, schwere, bange und süß bezaubernde Einwilligung. Und während er sie an sich presste, bedeuteten die wenige Worte, die wie erquickender Regen in das erweichte Herz fielen. Sie blickte seitwärts von ihm zum Himmel — und auf schweren, finstern Regenwolken stand ein prangender Regenbogen — sie nahm ihn für ein Zeichen der Hoffnung — sie drückte ihm die Hände — er erstickte ihre Lippen mit Küssen — und die Stadt und die Mutter und Torbern . . . . aber auch der ihr entsetzliche Herzog, waren schon im Geiste verlassen.

Der folgende Tag war ein Sonntag. Sie ging in die Kirche, gleichsam von dem lieben Gott in Bergen Abschied zu nehmen, still noch einmal alle guten Freundinnen und Freunde zu sehen und zu grüßen, auch wohl sich noch einmal hier sehen und bewundern zu lassen, damit sie in geehrtem Andenken bleibe, und alle Rechtschaffenen und alle Kenner und Gönner des Schönen sie entschuldigten, ja belobten. Sie betete dann inbrünstig, mit der Gemeinde hinkniend, und bat Gott, ihre Mutter für Alles zu segnen, was sie Gutes an ihr getan, und sie selbst auf ihrem Gang in die weite Welt zu beschützen, da er überall sei, und die ihn Liebenden liebe, ja die ihn Hassenden schone und nähre. Und sie schied aus dem Gotteshause, das sie nie wieder betreten sollte, mit dankbarer Innigkeit und seliger Wehmut.

Zu Hause fiel sie der Mutter um den Hals, wie im Scherz; und wenn sie ihr nachher so unbemerkt nachsah, brach sie in Tränen aus, die sie gewaltsam unterdrücken musste. Die Mutter fragte sie am Nachmittag, was ihr fehle, nahm sie in ihre Arme und tröstete sie. Dann gab sie ihr einen Brief mit den Worten: Vom Herzog an dich! Er hat dich in der Kirche gesehen!

Düvecke nahm ihn, aber sie las ihn nicht. Denn ein Weib, die Liebesbriefe erbricht und liest, hat Lust zu sündigen, denn sie hat Freude an törigem Lob von einem Sünder. Düvecke aber betrachtete sich als Faaburgs Weib; und jede ehrbare Jungfrau betrachtet sich schon als das Weib eines ehrbaren Mannes, dem sie einst gehören wird, auch wenn sie ihn noch nicht gesehen. Das ist der Unterschied zwischen gemeinen und reinen Seelen.

Endlich nahte der Abend der Flucht heran. Ein Gewitter verhing den Himmel wie ein schwarzer Mantel. Es donnerte nicht, aber es wetterleuchtete breit und schwebend und verzückend, als spielten himmlische kleine Götterkinder mit Flämmchen, zündeten sie schnell an und bliesen sie sich einander aus. Auch der Wind war nicht stärker, die Nacht nicht furchtbar, sondern erhaben und für eine reine, heitere Seele schön. Die Stunde war bestimmt, in welcher Düvecke am Strande sein sollte. Faaburg hatte ihr seinen Mantel und Hut dagelassen, auch schwedische Halbstiefeln, die Stulpen breit und umgelegt, wie welke Tulpenblätter. Sie zog sie über die Schuhe an. Es kam ihr während dem vor, als hätte die Mutter durch die Spalte der kaum geöffneten Türe gesehen. Aber sie konnte sich aus Furcht getäuscht haben. Doch auch ihre Wäsche lag fertig, zwar nicht ausgewählt und in ein Tuch geschlagen, aber auch das Tuch fehlte nicht. — Sie nahm das für glücklichen Zufall.