Deutscher Novellenschatz 2 - Karl Friedrich Rumohr - E-Book

Deutscher Novellenschatz 2 E-Book

Karl Friedrich Rumohr

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Beschreibung

Der "Deutsche Novellenschatz" ist eine Sammlung der wichtigsten deutschen Novellen, die Paul Heyse und Hermann Kurz in den 1870er Jahren erwählt und verlegt haben, und die in vielerlei Auflagen in insgesamt 24 Bänden erschien. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden in dieser Edition die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht. Dies ist Band 2 von 24. Enthalten sind die Novellen: Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. Stifter, Adalbert: Brigitta. Tieck, Ludwig: Die Gemälde. Wolf, August: Der Stern der Schönheit.

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Seitenzahl: 326

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Deutscher Novellenschatz

 

BAND 2

 

 

 

 

 

 

 

Deutscher Novellenschatz, Band 2

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849660956

 

Das Korpus „Deutscher Novellenschatz“ ist lizenziert unter der Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0) Lizenz und Teil des Deutschen Textarchivs. Eine etwaige Gemeinfreiheit der reinen Texte bleibt davon unberührt. Näheres zum Korpus und ein weiterführender Link zu den Lizenzbestimmungen findet sich unter https://www.deutschestextarchiv.de/novellenschatz/.  Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Die Gemälde. 1

Der letzte Savello. 63

Brigitta. 106

Der Stern der Schönheit. 152

 

 

Die Gemälde.

 

Ludwig Tieck

 

Vorwort

 

Johann Ludwig Tieck, geb. 31. Mai 1773 in Berlin, gest. 8. April 1853 ebendaselbst, Sohn eines wackeren Seilermeisters, zeigte schon auf dem Gymnasium ein frühreifes Talent, schrieb später für den alten Nicolai Erzählungen unbedeutender Art, wie „Peter Lebrecht“ u. dgl., aber auch Bedeutendes, wie den Roman „William Lovell“, lebte 1799—1800 zu Jena im Verkehr mit den Brüdern Schlegel, Novalis, Brentano, Fichte, Schelling, daneben auch mit Goethe und Schiller, und erwuchs zum dichterischen Haupte der romantischen Schule, in welcher Eigenschaft er mit der „Genoveva“, dem „Kaiser Octavianus“, dem späteren „Fortunat“ und mit den im „Phantasus“ gesammelten Märchen, Märchennovellen und Märchendramen geraume Zeit die deutsche Geisteswelt beherrschte. Er half die ersten kindlichen Anfänge des Studiums unserer mittelalterlichen Poesie heraufführen, das er nachher mit Shakespeareschen Stücken vertauschte, die jedoch ziemlich unfruchtbar geblieben sind. In der Mitte seines Lebens, 1819, ließ er sich dauernd zu Dresden nieder, wo er als Dramaturg am Theater wirkte, besonders aber durch seine berühmten abendlichen Vorlesungen einen von nah und fern um ihn versammelten Kreis begeisterte. Dort schrieb er die Novellen, welche die dritte Periode seiner schriftstellerischen Laufbahn bezeichnen. Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. wurde er von diesem Freunde der romantischen Dichtungen und Strebungen 1841 nach Berlin gezogen, wo ihm in heiterer, doch nicht ganz ungetrübter Muße sein Lebensabend verfloss. Ein Verdienst, das ihm bei keiner Gelegenheit vergessen werden darf, ist, dass er, neben den Schriften von Maler Müller, Lenz, Schröder, die Schriften Heinrichs v. Kleist herausgegeben hat, die ohne ihn vielleicht noch lange unbeachtet geblieben wären.

Treck ist nächst Goethe der Begründer derjenigen Gattung, die man die moderne oder auch die Gesellschaftsnovelle nennt. Er selbst hat sich über den Grund und Boden derselben klar ausgesprochen. „Alle Stände“, sagt er, „alle Verhältnisse der neuen Zeit, ihre Bedingungen und Eigentümlichkeiten sind dem klaren dichterischen Auge gewiss nicht minder zur Poesie und edlen Darstellung geeignet, als es dem Cervantes seine Zeit und Umgebung war, und es ist wohl nur Verwöhnung einiger vorzüglicher Kritiker, in der Zeit selbst einen unbedingten Gegensatz vom Poetischen und Unpoetischen anzunehmen. Gewinnt jene Vorzeit für uns an romantischem Interesse, so können wir dagegen die Bedingungen unseres Lebens und der Zustände desselben umso klarer erfassen.“

Die Forderung, welche Tieck an die Novelle stellt, ist die, dass sie, zum Unterschiede von Begebenheit, Erzählung, Geschichte, „einen großen oder kleineren Vorfall ins hellste Licht stelle, der, so leicht er sich ereignen kann, doch wunderbar, vielleicht einzig ist.“ „Diese Wendung der Geschichte, dieser Punkt, von welchem aus sie sich unerwartet völlig umkehrt und doch natürlich, dem Charakter und den Umständen angemessen, die Folge entwickelt, wich sich der Phantasie des Lesers umso fester einprägen, als die Sache, selbst im Wunderbaren, unter andern Umständen wieder alltäglich sein könnte. So erfahren wir es im Leben selbst, so sind die Begebenheiten, die uns, von Bekannten aus ihrer Erfahrung mitgeteilt, den tiefsten und bleibendsten Eindruck machen.“

Ein Beispiel dieses natürlich Wunderbaren, das ihm an die Stelle des romantischen Wunders getreten ist, findet er in der Novelle der Goetheschen Ausgewanderten von dem leichtsinnigen Sohne, der durch den aufspringenden Schreibtisch seines Vaters (Tieck sagt in der Zerstreuung „Ladentisch“, wodurch die Sache bedeutend unerbaulicher würde) zu schlimmen Griffen verleitet wird. Eine ähnlich wunderbare Fügung stellt auch er gleich in seiner ersten Novelle „Die Gemälde“ dar, indem dort die verloren geglaubten Kunstschätze durch einen ungemein sinnig angelegten Zufall wieder zu Tage gebracht werden und das Glück des Helden, eines jungen Mannes von freilich etwas zweifelhaftem Charakter, wieder herstellen.

Diesen Umschlag, der keineswegs immer von außen kommen muss, sondern oft nur eine plötzliche eigentümliche Wendung des Gemütes sein kann, in welcher eine ursprüngliche Anlage hervorbricht, hat Tieck in den meisten seiner Novellen, jedoch mit sehr ungleichem Glücke durchgeführt. Aber nicht nur ist der Kern derselben von ungleichem Wert, sondern sie leiden auch fast ohne Ausnahme, auch die besseren, an dem gleichen Fehler. Fast nirgends kommt es zu einer vollen runden Gestaltung, die Figuren haben fast alle etwas Schattenhaftes, sie tun gelegentlich dieses oder jenes, aber meist ziehen sie es vor, sich gegeneinander auszusprechen. Und in diesem übermäßigen Gespräche, das die eigentliche Handlung vertritt, ja oft die ganze Handlung ist, führt der Dichter beständig durch den Mund seiner Personen mit wohlbekannter Stimme selbst das Wort. Hoch und Niedrig bekunden die gleiche Kulturstufe; die mittelalterlichen Figuren singen so gut wie die modernen das Lied des neunzehnten Jahrhunderts, und immer in den gewohnten Tieckschen Koloraturen. Dabei zeigt sich in der Charakteristik etwas Schwankendes, ein Übergehen von einer Richtung zu der andern, ja eine bedenkliche Hinneigung zu zweideutigen oder gar unzweideutig verwerflichen Charakteren, welchen mit einer gewissen ironischen Salbung Absolution erteilt wird; so dass man im Grunde wenig verändert in der neuen Form doch wieder das alte Wesen der Romantik zu erkennen glaubt, jener Welt des Unbestimmten, des ironischen Zerfließens aller Gedanken und Grundsätze.

So ist denn die Tat, mit welcher die neue Epoche begann, eigentlich nicht weit über den guten Vorsatz hinaus gekommen. Aber auch diese unvollkommene Stufe brachte einen Fortschritt von großer Wirkung, indem die Nachstrebenden ein Vorbild vor sich hatten, dessen richtiger Intention sie nur zu folgen brauchten, um über die mangelhafte Gestaltung hinweg zu künstlerischer Plastik zu gelangen; ein Vorbild, durch welches umso mehr das Bewusstsein geweckt werden musste, weil es von dem alten Zauberer selbst herrührte, der seinen Stab wegwarf und aus der „mondbeglänzten Zaubernacht“ hervor an das Licht des Tages trat.

Auch war das erste Auftreten ein glänzendes, ja glänzender als die meisten der späteren Hervorbringungen, sofern „Die Gemälde“ in Gehalt und Kraft der Behandlung sich mehr gleich bleiben, mehr aus Einem Gusse gearbeitet sind, als ihre jüngeren Geschwister. Die Redner sind noch frisch bei Atem, nicht so müde und ermüdend, wie sie im Laufe der Tieckschen Novellenproduktion immer mehr werden; sie sprechen sich so lebhaft aus, dass sie etwas lebendiger scheinen, als sie vielleicht in Wirklichkeit sind. Überdies erhebt sich das Gespräch mitunter zu dramatischem Leben, wenn z. B. Kunstkenner ein angeblich altes Gemälde preisen, von welchem der Leser im Voraus weiß, dass es untergeschoben ist, und wenn die komische Wirkung sich äußert, indem Derjenige, der in einem Falle als der größere Kenner den Betrug durchschaute und triumphierend aufdeckte, in einem andern Falle sich umso ärger prellen lässt. Zwar kündigt sich schon, mehr als zu wünschen, das ungebührlich viele Reden und dessen Manieriertheit an; auch steht dicht neben dem Geistreichen schon das Gegenteil desselben, so dass man voraussieht, was der Dichter nach beiden Seiten noch wird leisten können: aber Witz und Geist sind siegreich überwiegend; die wenige Handlung ist einfach und natürlich ; das Ganze voll heiterer Anmut; und die Glückskatastrophe bricht artig überraschend herein. Persönliche Anspielungen, die hier auf sich beruhen bleiben, mögen den Reiz der Novelle bei den Zeitgenossen geschärft haben. Was jedoch diesen Reiz und die Zeitgemäßheit erhöhte, das war, dass der alte Mystiker und Anhänger des ästhetischen Katholizismus, dem man selbst nachsagte, dass er katholisch geworden sei (Frau und Tochter waren übergetreten), hier auf einmal die Kunstjünger seines Franz Sternbald, die christlichen Maler „im sogenannten altdeutschen Rocke, die weißlichen Haare auf den Schultern hängend, und mit einem blonden Bärtchen“, aufs Entschiedenste verspottete.

Noch höher stieg das frohe Erstaunen, als im nächsten Jähre, 1823, die „Verlobung“ erschien, worin er von der Höhe des modernen Denkens herab dem Modepietismus den Krieg erklärte. Es war just die Zeit der falschen Wanderjahre, die er denn auch in dieser Novelle mit Worten der Verachtung geißelt; auch Fouqué, der in der Vorrede zum „Zauberring“ das Publicum unterrichtet, dass er vor dem Romanschreiben immer zu beten und hieraus seine Eingebungen zu schöpfen pflege, erhält einen gutgezielten Hieb. Um dieser Gesinnungsäußerung willen, fand die Novelle den lebhaftesten Beifall der Gleichgesinnten. Man fühlte es wie Befreiung von einem Alp, das der erste Dichter nächst Goethe, wofür Tieck ziemlich unbestritten galt, so offen und freisinnig in die geistigen Kämpfe der Gegenwart eintrat, dass er, auch innerhalb des Protestantismus und einem Auswuchse desselben gegenüber eine protestantische Gesinnung bekannte. Das ist aber auch alles, was sich zu Gunsten dieser Novelle sagen lässt: Handlung keine, die Figuren leblos, ja selbst ihre Reden so verschwommen und abgeblasst, dass man die Partei der Frommen, wenn sie nicht gelegentlich ein paar Schlagwörter zum Besten gäbe, aus ihren eigenen Äußerungen kaum als solche erkennen würde, sondern von ihrem Gegner auf Treu und Glauben hinnehmen müsste, dass sie es sei.

An den gleichen Mängeln leiden in verschiedenen Abstufungen seine übrigen Novellen, die in den zwanziger und dreißiger Jahren erschienen und von welchen die „Ahnenprobe“, die „Gesellschaft auf dem Lande“, der “15 November“ und etwa die „Wundersüchtigen“ dem Kerne nach die bedeutendsten sein dürften. Die Romane „Aufruhr in den Cevennen“ u. a., welche Tieck ebenfalls Novellen benannt hat, gehören nicht in dieses Gebiet., nur dass eben auch hier der Kern leider von keiner festen gesunden Frucht umschlossen ist. Besonders Schade ist um die zweite der genannten, um die zu ihrer Zeit mit Jubel begrüßte sogenannte Zopfnovelle, die einer ernstlichen schönen Verherrlichung der alten-Fritzischen Periode gleichwohl humoristischerweise zum Mittelpunkt einen Schwindler gibt, der alle Welt und zugleich sich selber anlügt, er sei ein Ziethenscher Husar gewesen, und er sich in die Illusion seiner Teilnahme an jener großen Zeit so tief hineingelebt, dass er, als ein mutwilliger Mensch, ihm den Zopf abschneidet, sich darüber zu Tode grämt. Aber auch hier schwimmt der treffliche Brocken in einer dünnen Brühe.

In den späteren Novellen erscheint zum Teil an der Stelle des natürlich Wunderbaren, das der Dichter so richtig aufgestellt hat, das unnatürlich Wunderliche, wo nicht noch Schlimmeres. Vieles lässt sich wohl aus dem unbekümmerten Fluge der Feder erklären: denn man glaubt mitunter wahrzunehmen, wie die Blätter einzeln in die Druckerei gewandert sein müssen, so dass es z. B. vorkommen kann, dass eine Heldin auf einem folgenden Bogen unversehens einen ganz andern Namen führt als auf dem vorhergehenden. Nachgerade sind es nur noch in Gespräche eingekleidete Leitartikel, worin der Verfasser gegen literarische und soziale Richtungen polemisiert. Zuletzt griff er gar wieder in die alte romantische Rumpelkammer und putzte seine Gegner mit phantastischen Larven auf, die aber nur traurige Revenants sind und nicht einmal das eigentümliche Scheinleben der früheren Romantik haben.

Unerwartet jedoch trat er 1839 mit einer im Verhältnis zu dieser Umgebung allerliebsten Novelle hervor, in welcher wir zumal eine seiner spätesten Produktionen zu begrüßen haben: „Des Lebens Überfluss. “Folgt im 3. Bande. Ein schonungslos strenges Kunsturteil mag freilich auch von dieser sagen: „sie sei eben abermals mit der bekannten geschwätzigen Altklugheit behaftet; das reizende Motiv in allerlei säuerlicher Zutat verkocht; die Menschen unreal, wie er denn so selten ein lebendiges Wesen auf zwei gesunde Beine zu stellen vermocht habe“ : allein wenn man mit solchem Maße messen wollte, so müsste man das Unerhörte begehen, aus einer Novellensammlung, die zwar nicht unter literargeschichtlichen Gesichtspunkten angelegt, aber doch auf unsere Literaturgrößen möglichste Rücksicht zu nehmen verpflichtet ist, einen Tieck, und dazu den Vater der modernen Novelle, völlig auszuschließen. Lassen wir uns daher durch keine Schattenseite den unverwüstlichen liebenswürdigen Humor dieser Novelle verderben, zu dessen Empfehlung nichts weiter beizufügen nötig ist.

Das aber möchte noch hervorzuheben sein, dass er, der einst das Wesen der Novelle so scharf definiert hatte, gegen das Ende seines Lebens den merkwürdigen Ausspruch tut: „Es ist nicht leicht zu sagen, was eigentlich die Novelle sei, und wie sie sich von den verwandten Gattungen, Roman und Erzählung, unterscheide. — Es ist sehr schwer, hier einen allgemeinen Begriff zu finden, auf den sich alle Erscheinungen dieser Art zurückbringen ließen.“

K.

 

***

 

 

Treten Sie nur indes hier in den Bildersaal, sagte der Diener, indem er den jungen Eduard herein ließ, der alte Herr wird gleich zu Ihnen kommen.

Mit schwerem Herzen ging der junge Mann durch die Türe. Mit wie so andern Gefühlen, dachte er bei sich selbst, schritt ich sonst mit meinem würdigen Vater durch diese Zimmer! Das ist das erste Mal, dass ich mich zu dergleichen hergebe, und es soll auch das letzte sein. Wahrlich das soll es! Und es ist Zeit, dass ich von mir und der Welt anders denke.

Er trat weiter im Saale vor, indem er ein eingehülltes Gemälde an die Wand stellte. Wie man nur so unter leblosen Bildern ausdauern kann und einzig in ihnen und für sie da sein! so setzte er seine stummen Betrachtungen fort. Ist es nicht, als wenn diese Enthusiasten in einem verzauberten Reiche untergehen? Für sie ist nur die Kunst das Fenster, durch welches sie die Natur und die Welt erblicken; sie können beide nur erkennen, indem sie sie mit den Nachahmungen derselben vergleichen. Und so verträumte doch auch mein Vater seine Jahre; was nicht Bezug auf seine Sammlung hatte, war für ihn nicht bedeutender, als wenn es unter dem Pole vorfiele. Seltsam, wie jede Begeisterung so leicht dahin führt, unser Dasein und alle unsere Gefühle zu beschränken.

Indem erhob er sein Auge, und war fast geblendet oder erschrocken vor einem Gemälde, welches in der oberen Region des hohen Saales ohne den Schmuck eines Rahmens hing. Ein blonder Mädchenkopf mit zierlich verwirrten Locken und mutwilligem Lächeln guckte herab, im leichten Nachtkleide, die eine Schulter etwas entblößt, die voll und glänzend schien; in langen zierlichen Fingern hielt sie eine eben aufgeblühte Rose, die sie den glühend roten Lippen näherte. Nun wahrlich! rief Eduard laut, wenn dies Bild von Rubens ist, wie es sein muss, so hat der herrliche Mann in dergleichen Gegenständen alle andern Meister übertroffen! Das lebt, das atmet! Wie die frische Rose den noch frischeren Lippen entgegen blüht! Wie sanft und zart die Nöthe beider ineinander leuchtet und doch so sicher getrennt ist! Und dieser Glanz der vollen Schulter, darüber die Flachshaare in Unordnung gestreut! Wie kann der alte Walther sein bestes Stück so hoch hinauf hängen und ohne Rahmen lassen, da all das andere Zeug in den kostbarsten Zierden glänzt?

Er erhob wieder den Blick und fing an zu begreifen, welche gewaltige Kunst die der Malerei sei, denn das Bild wurde immer lebendiger. Nein, diese Augen! sprach er wieder zu sich selbst, ganz im Anschauen verloren; wie konnten Pinsel und Farbe dergleichen hervorbringen? Sieht man nicht den Busen atmen? die Finger und den runden Arm sich bewegen?

Und so war es auch in der Tat: denn in diesem Augenblick erhob sich das reizende Bild und warf mit dem Ausdruck schelmischen Mutwillens die Rose herab, die dem jungen Mann ins Gesicht flog, trat dann zurück und verschloss klirrend das kleine Fenster.

Erschrocken und beschämt nahm Eduard die Rose vom Boden auf. Er erinnerte sich nun deutlich des schmalen Ganges, welcher oben neben dem Saale weglief und zu den höheren Zimmern des Hauses führte; die übrigen kleinen Fenster waren mit Bildern verhangen, nur dieses hatte man, um Licht zu gewinnen, in seinem Zustande gelassen, und der Hausherr selbst pflegte von dort oft die Gäste zu mustern, die seine Galerie besuchen wollten. Ist es möglich, sagte Eduard, nachdem er sich aller dieser Umstände erinnert hatte, dass die kleine Sophie in einem Zerrraume von vier Jahren zu einer solchen Schönheit hat erwachsen können? — Er drückte unbewusst und in sonderbarer Zerstreuung die Rose an den Mund, stellte sich dann, starr auf den Boden sehend, an die Mauer und bemerkte nicht, dass der alte Walther schon seit einigen Sekunden neben ihm stand, bis dieser ihn mit einem freundlichen Schlage auf die Schulter aus seiner Träumerei erweckte. Wo waren Sie, junger Mann? sagte er scherzend; Sie sind wie einer, der eine Erscheinung gehabt hat.

So ist es mir selbst, sagte Eduard; vergeben Sie, dass ich Ihnen mit meinem Besuche lästig falle.

Wir sollten uns nicht so fremd sein, junger Freund, sagte der Alte herzlich; es ist nun schon länger als vier Jahre, dass Sie mein Haus nicht betreten haben. Ist es recht, den Freund Ihres Vaters, Ihren ehemaligen Vormund, der es gewiss immer gut mit Ihnen meinte, wenn wir gleich damals einige Differenzen miteinander hatten, so ganz zu vergessen?

Eduard ward rot und wusste nicht gleich, was er antworten sollte. Ich glaubte nicht, dass Sie mich vermissen würden, stotterte er endlich. Es könnte vieles, alles anders gewesen sein; allein die Irrtümer der Jugend —

Lassen wir das, rief der Alte im frohen Mut; was hindert uns, unsre ehemalige Bekanntschaft und Freundschaft zu erneuern? Was führt Sie jetzt zu mir?

Eduard sah nieder, dann warf er einen eiligen, schnell abgleitenden Blick auf den alten Freund, zauderte noch, und ging nun mit zögerndem Schritt nach dem Pfeiler, wo das Gemälde stand, das er aus seiner Verhüllung nahm. Sehen Sie hier, sagte er, was ich noch unvermutet in der Verlassenschaft meines seligen Vaters gefunden habe, ein Bild, das in einem Bücherschränke aufbewahrt war, den ich seit Jahren nicht eröffnet hatte; Kenner wollen mir sagen, dass es ein trefflicher Salvator Rosa sei.

So ist es, rief der alte Walther mit begeisterten Blicken. Ei, das ist ein herrlicher Fund! Ein Glück, dass Sie es so unvermutet entdeckt haben. Ja, mein verstorbener lieber Freund hatte Schätze in seinem Hause, und er wusste selber nicht, was er alles besaß.

Er stellte das Bild in das rechte Licht, prüfte es mit leuchtenden Augen, ging näher und wieder zurück, begleitete aus der Ferne die Linien der Figuren mit einem Kennerfinger und sagte dann: wollen Sie mir es ablassen? Nennen Sie mir den Preis, und das Bild ist mein, wenn es nicht zu teuer ist.

Indem hatte sich ein Fremder herbei gemacht, der in einer andern Wendung des Saales nach einem Julio Romano zeichnete. Ein Salvator? fragte er mit etwas schneidendem Tone, den Sie wirklich als einen alten Besitz in einer Verlassenschaft gefunden haben?

Allerdings, sagte Eduard, den Fremden mit einem stolzen Blicke musternd, dessen schlichter Oberrock und einfaches Wesen etwa einen reisenden Künstler vermuten ließen.

So sind Sie selbst hintergangen, antwortete der Fremde mit einem stolzen, rauen Tone, im Fall Sie nicht hintergehen wollen; denn dieses Bild ist augenscheinlich ein ziemlich modernes, vielleicht ist es ganz neu, wenigstens gewiss nicht über zehn Jahre alt, eine Nachahmung der Manier des Meisters, gut genug, um auf einen Augenblick zu täuschen, das sich aber bei näherer Prüfung dem Kenner bald in seiner Blöße zeigt.

Ich muss mich sehr über diese Anmaßung verwundern, rief Eduard aus, ganz aus aller Fassung gesetzt. Im Nachlasse meines Vaters befanden sich lauter gute Bilder und Originale, denn er und der Herr Walther galten immer für die besten Kenner in der Stadt. Und was wollen Sie? Bei unserm berühmten Kunsthändler Erich hängt der Pendant zu diesem Salvator, für welchen vor einigen Tagen ein Reisender eine sehr große Summe geboten hat. Man halte beide zusammen und man wird sehen, dass sie von Einem Meister sind und zusammen gehören.

So? sagte der Fremde mit langgedehntem Tone. Sie kennen also oder wissen um jenen Salvator auch? Freilich ist er von derselben Hand, wie dieser hier, das leidet keinen Zweifel. In dieser Stadt sind die Originale dieses Meisters selten, und Herr Erich und Walther besitzen keines von ihm; aber ich bin mit dem Pinsel dieses großen Meisters vertraut und gebe Ihnen mein Wort, dass er diese Bilder nicht berührte, sondern dass sie von einem Neueren herrühren, der Liebhaber mit ihnen hintergehen will.

Ihr Wort? rief Eduard in glühender Röte; Ihr Wort! Ich sollte denken, dass das meinige hier eben so viel, und noch mehr gelte!

Gewiss nicht, sagte der Unbekannte, und außerdem muss ich noch bedauern, dass Sie Sich so von Ihrer Hitze übereilen und verraten lassen. Sie wissen also um die Fabrikation dieses Machwerks und kennen den nicht ungeschickten Nachahmer?

Nein! rief Eduard noch heftiger; Sie sollen mir diese Beschimpfung beweisen, mein Herr! Diese Anmaßungen, diese Unwahrheiten, die Sie so dreist herausstoßen, kündigen einen mehr als gehässigen Charakter an.

Der Geheimrat Walther war in der größten Verlegenheit, dass diese Szene in seinem Hause vorfallen musste. Er stand prüfend vor dem Bilde und hatte sich schon überzeugt, dass es eine moderne, aber treffliche Nachahmung des berühmten Meisters sei, die wohl auch ein erfahrenes Auge hintergehen konnte. Ihn schmerzte es innig, dass der junge Eduard in diesen bösen Handel verwickelt war; die beiden Streitenden aber waren so heftig erzürnt, dass jede Vermittlung unmöglich wurde.

Was Sie da sprechen, mein Herr! rief der Fremde jetzt auch in erhöhtem Tone; Sie sind unter meinem Zorn, und ich bin erfreut, dass ein Zufall mich in diese Galerie geführt hat, um zu verhüten, dass ein würdiger Mann und Sammler hintergangen wurde.

Eduard schäumte vor Wut. So ist es nicht gemeint gewesen, sagte begütigend der Alte.

Wohl war das die Meinung, fuhr der Fremde fort; es ist ein altes wiederholtes Spiel, bei dem man es nicht einmal der Mühe wert gefunden hat, eine neue Erfindung anzubringen. Ich sah in der Kunsthandlung jenen sogenannten Salvator Rosa; der Eigentümer hielt ihn für echt und wurde noch mehr darin bestärkt, als ein Reisender, der, der Kleidung nach, ein sehr vornehmer Mann sein konnte, einen hohen Preis für das Bildchen bot; er wollte bei der Rückkehr wieder zusprechen und bat sich vom Kunsthändler aus, dass dieser das Gemälde wenigstens vier Wochen nicht aus den Händen geben sollte. — Und wer war dieser vornehme Herr? der weggejagte Kammerdiener des Grafen Alten aus Wien. So ist es klar, dass das Spiel, von wem es auch herrühre, auf Sie, Herr Walther, und Ihren Freund Erich abgekartet war.

Eduard hatte indessen mit zitternden Händen sein Bild schon wieder eingewickelt: er knirschte mit den Zähnen, stampfte mit dem Fuße und schrie: der Teufel soll mir diesen Streich bezahlen! So stürzte er zur Türe hinaus und bemerkte nicht, dass das Mädchen wieder von oben in den Saal herabschaute, die durch das Geschrei der Streiter herbeigezogen worden war.

Mein werter Herr, so wandte sich jetzt der Alte zu dem Unbekannten, Sie haben mir weh getan; Sie sind zu rasch mit dem jungen Manne verfahren; er ist leichtsinnig und ausschweifend, aber ich habe bis jetzt noch keinen schlechten Streich von ihm gehört.

Einer muss immer der erste sein, sagte der Fremde mit kalter Bitterkeit; er hat wenigstens heute Lehrgeld gegeben und kehrt entweder um, oder lernt so viel, dass man seine Sachen klüger anfangen und auf keinen Fall die Fassung verlieren muss.

Er ist gewiss selbst hintergangen, sagte der alte Walther, oder er hat wirklich das Bild, wie er sagt, gefunden, und sein Vater, der ein großer Kenner war, hat es schon deswegen, weil es nicht echt ist, beiseite geschafft.

Sie wollen es zum Besten kehren, alter Herr, sagte der Fremde; aber in diesem Falle wäre der junge Mensch nicht so unanständig heftig geworden. Wer ist er denn eigentlich?

Sein Vater, erzählte der Alte, war ein reicher Mann, der ein großes Vermögen hinterließ; er hatte eine so starke Leidenschaft für die Kunst, wie gewiss nur wenige Menschen ihrer fähig sind. Auf diese verwandte er einen großen Teil seines Vermögens, und seine Sammlung war unvergleichlich zu nennen. Darüber aber versäumte er wohl etwas zu sehr die Erziehung dieses seines einzigen Sohnes; sowie daher der Alte starb, war der junge Mensch nur darauf bedacht, Geld auszugeben, mit Schmarotzern und schlechtem Volke Umgang zu haben, sich Mädchen und Equipagen zu halten. Als er majorenn wurde, waren ungeheure Schulden bei Wucherern und Wechsel zu bezahlen, aber er setzte seinen Stolz darein, nun noch mehr zu verschwenden; die Kunstwerke wurden verkauft, da er keinen Sinn für diese hat; ich nahm sie für billige Preise. Jetzt hat er wohl, außer dem schönen Hause, so ziemlich alles durchgebracht, und auch auf diesem mögen Schulden lasten; Kenntnisse hat er sich schwerlich erworben, Beschäftigung ist ihm unleidlich, und so muss man mit Bedauern sehen, wie er seinem Untergänge entgegen geht.

Die alltägliche Geschichte von so Vielen, bemerkte der Unbekannte, und der gewöhnliche Weg unwürdiger Eitelkeit, der die Menschen lustig in die Arme der Verachtung führt.

Wie haben Sie sich nur dieses sichere Auge erwerben können? fragte der Rat; auch erstaune ich über die Art, mit der Sie dem Julio nachzeichnen, da Sie doch kein Künstler sind, wie Sie sagen.

Aber ich studiere seit lange die Kunst, antwortete der Fremde; ich habe die wichtigsten Galerien in Europa fleißig und nicht ohne Nutzen gesehen, mein Blick ist von Natur scharf und richtig und noch durch Übung gebildet und sicher gemacht, so dass ich mir schmeicheln darf, wohl nicht so leicht, am wenigsten über meine Lieblinge zu irren.

Der Fremde empfahl sich jetzt, nachdem er dem Sammler hatte versprechen müssen, am folgenden Mittage bei ihm zu essen, denn der Alte hatte vor den Kenntnissen des Reisenden große Achtung gewonnen.

 

Mit unbeschreiblichem Zorn ging Eduard nach Hause. Er trat wütend ein, warf alle Türen heftig hinter sich zu und eilte durch die großen Gemächer nach einem kleinen Hinterstübchen, wo in der Dämmerung der alte Eulenböck bei einem Glase starken Weines seiner wartete. Hier! schrie Eduard, du alter, schiefnasiger, weinverbrannter Halunke, ist deine Schmiererei wieder; verkauf sie an den Seifensieder drüben, der sie in die Lichte gießen kann, wenn ihm die Malerei nicht ansteht.

Wäre schade, sagte der alte Maler, um das gute Bildchen, indem er sich mit der größten Kaltblütigkeit ein neues Glas einschenkte. Hast dich erhitzt, Freundchen; und der Alte hat von dem Kauf nichts wissen wollen?

Schelm! schrie Eduard, indem er das Bild heftig hinwarf; und um deinetwillen bin ich auch zum Schelm geworden! Beschimpft, gekränkt! O und wie beschämt vor mir selber, glühend Kopf und Hals hinunter, dass ich mir aus Liebe zu dir solche Lüge erlaubte.

Ist keine Lüge, liebes Männchen, sagte der Maler, indem er das Bild auswickelte, ist ein so veritabler Salvator Rosa, wie ich nur noch je einen gemalt habe. Hast mich ja nicht daran arbeiten sehen, und kannst also nicht wissen, von wem das Bild herrührt. Du hast kein Geschick, mein Hänschen; ich hätte dir die Sache nicht anvertrauen sollen.

Ich will ehrlich sein, rief Eduard und schlug mit der Faust auf den Tisch; ich will ein ordentlicher Mensch werden, dass Andre und ich selber wieder Achtung vor mir haben! Ganz anders will ich werden, einen neuen Lebenswandel will ich anfangen!

Warum dich erbosen? sagte der Alte und trank. Ich will dich nicht hindern; mich wird's freuen, wenn ich das erlebe. Ich habe ja immer an dir ermahnt und dir vorgepredigt; ich habe dich auch an Beschäftigung zu gewöhnen gesucht, ich habe dir das Restaurieren lehren wollen, Firnisse bereiten, Farben reiben, in Summa, ich habe es an nichts bei dir fehlen lassen.

Hund von Kerl! rief Eduard, dein Junge, dein Farbenreiber sollt' ich werden? Aber freilich, ich bin ja heute noch tiefer gesunken, da ich mich zum Spitzbuben eines Spitzbuben habe gebrauchen lassen.

Was das Kind für ehrenrührige Ausdrücke braucht sagte der Maler und schmunzelte in sein Glas hinein; wenn ich mir so was zu Herzen nähme, so hätten wir die Schlägerei oder bittere Feindschaft hier zur Stelle. Er meint es aber gut in seinem Eifer; der Junge hat was Nobles in seinem ganzen Wesen, allein zum Bilderhändler taugt er freilich nicht.

Eduard legte sich mit dem Kopf auf den Tisch, und der Maler wischte schnell einen Weinfleck ab, damit der Jüngling nicht mit dem Ärmel hineinfahre. Der gute liebe Salvator, sagte er dann bedächtig, soll auch nicht das beste Leben geführt haben; sie geben ihm gar Schuld, er sei Bandit gewesen. Als Rembrandt sich bei lebendigem Leibe für tot ausgab, um den Preis seiner Werke zu erhöhen, war er auch nicht ganz der Wahrheit treu geblieben, ob er gleich wirklich einige Jahre später starb und sich also nur in der Jahreszahl etwas verrechnet hatte. So, wenn ich nun solch Bildchen in aller Liebe und Demut male, mich in den alten Meister und alle seine lieben Eigenheiten recht sanftselig und saumtunlich hineindenke, dass mir immer ist, als führte des Verstorbenen Seelchen mir Hand und Pinsel; und das Ding ist dann fertig und nickt mir mit rechter Herzlichkeit seinen Dank zu, dass ich auch was vom alten Virtuosen geliefert habe, der doch nicht alles hat machen und nicht ewig hat leben können, und ich mich nun, vollends nach einem Glase Wein, indem ich es mit tieferer Prüfung beschaue, rechtgläubig überzeuge, dass es vom alten Herrn wirklich herrührt, und ich übergebe es so einem andern Liebhaber des Seligen und verlange nur ein Billiges für die Mühe, dass ich mir die Hand habe führen, mein eignes Ingenium derzeit unterdrücken lassen, an der Verringerung meines eignen Künstlernamens zu arbeiten, — ist denn das so himmelschreiende Sünde, Freundchen, wenn ich mich selbst auf solche kindliche Weise aufopfere?

Er hob den Kopf des Liegenden auf, verwandelte aber seine grinsende Freundlichkeit in ebenso verzerrten Ernst, als er die Wangen des Jünglings voll Tränen sah, die in einem heißen Strome unaufhaltsam aus den Augen stürzten. O meine verlorene Jugend! schluchzte Eduard: o ihr goldenen Tage, ihr Wochen und Jahre! wie seid ihr doch so sündlich verschleudert worden, als läge nicht in euern Stunden der Keim der Tugend, der Ehre und des Glücks; als sei dieser köstliche Schatz der Zeit jemals wieder zu gewinnen. Wie ein Glas abgestandenes Wasser hab' ich mein Leben und den Inhalt meines Herzens ausgegossen. Ach! welch Dasein hätte mir aufgehen können, welch Glück mir und Andern, wenn ein böser Geist nicht meine Augen verblendete. Segensbäume wuchsen und schatteten um mich und über mir, in denen der Freund, die Gattin und die Bedrängten Hilfe, Trost, Heimat und Frieden fanden; und ich habe die Axt im schwindelnden Übermut an diesen Hain gelegt, und muss nun Frost, Sturm und Hitze dulden!

Eulenböck wusste nicht, welch Gesicht er machen, noch weniger, was er sagen sollte, denn in dieser Stimmung, mit solchen Gesinnungen hatte er seinen jungen Freund noch niemals gesehen; er war endlich nur froh und beruhigt, dass dieser ihn nicht bemerkte, so dass er in behaglicher Heimlichkeit seinen Wein ausleerte.

Tugendhaft also willst du werden, mein Sohn? fing er endlich an. Auch gut. Wahrlich! wenige Menschen sind für die Tugend so portiert, als ich selber, denn es gehört schon ein scharfer Blick dazu, um nur zu wissen, was Tugend ist. Knausern, den Leuten abzwacken, sich und unserm Herrgott etwas vorlügen, ist gewiss keine. Wer aber das rechte Talent dazu hat, der findet's auch. Wenn ich einem verständigen Mann zu einem guten Salvator oder Julio Romano von meiner Hand verhelfe, und er freut sich dann, so habe ich immer noch besser gehandelt, als wenn ich einem Pinsel einen echten Rafael verkaufe, den der Gimpel nicht zu schätzen weiß, so dass ihm im Grunde seines Herzens ein geschniegelter Van der Werst mehr Freude machen würde. Meinen großen Julio Romano muss ich nun wohl in eigner Person verkaufen, da du zu dergleichen weder Gaben noch Glück hast.

Diese armseligen Sophistereien, sagte Eduard, können auf mich nicht mehr wirken; diese Zeit ist vorüber, und du magst dich nur in Acht nehmen, dass sie dich nicht ertappen; denn mit Laien mag es dir wohl gelingen, aber nicht mit Kennern, wie der alte Walther einer ist.

Lass gut sein, mein Kindchen, sagte der alte Maler, die Kenner sind gerade am besten zu betrügen, und mit einem Unerfahrenen möcht' ich gar nicht einmal anfangen. O dieser gute, alte, liebe Walther, dies feine Männchen! Hast du nicht den schönen Höllenbreughel gesehen, der am dritten Pfeiler zwischen der Skizze von Rubens und dem Portrait von Van Dyk hängt? Der ist von mir. Ich kam zu dem Männchen mit dem Gemälde: Wollen Sie nicht etwas Schönes kaufen? „Was! rief er; solche Fratzen, Tollheiten? Das ist nicht meine Sache; zeigen Sie doch. Nun, ich nehme sonst dergleichen Unsinn bei mir nicht auf, indessen weil in diesem Bilde doch etwas mehr Anmut und Zeichnung ist, als man sonst bei diesen Phantasien trifft, so will ich mit ihm einmal eine Ausnahme machen.“ In. Summa, er hat's behalten, und zeigt's den Leuten, um seinen vielseitigen Geschmack zu beurkunden.

Eduard sagte: aber willst du denn nicht auch noch ein rechtlicher Mann werden? Es ist doch die höchste Zeit.

Mein junger Bekehrer, rief der Alte, ich bin es längst; du verstehst das Ding nicht, auch bist du mit deinem heißen Anlauf noch nicht durch. Stehst du am Ziel und bist glücklich allen Klippen, Halseisen, Leuchtpfählen vorüber, dann winke mir nur dreist, und ich steure dir vielleicht nach. Bis dahin lass mich ungeschoren.

So trennt sich also unsre Laufbahn, sagte Eduard, indem er ihn wieder freundlich anblickte; ich habe viel versäumt, aber doch noch nicht alles, mir bleibt noch etwas von meinem Vermögen, mein Haus. Hier will ich mich einfach einrichten und beim Prinzen, der binnen kurzem hier ankommen wird, eine Stelle als Sekretär oder Bibliothekar suchen, vielleicht reise ich mit ihm; vielleicht, dass anderswo ein Glück — oder, wenn das nicht, so beschränke ich mich hier und suche Arbeit und Beschäftigung in meiner Vaterstadt.

Und wann soll das Tugendleben losgehen? fragte der Alte mit grinsendem Lachen.

Gleich, sagte der Jüngling, morgen, heut, diese Stunde!

Narrenspossen! sagte der Maler und schüttelte den greisen Kopf; zu allen guten Dingen muss man sich Zeit lassen, sich vorbereiten, einen Anlauf nehmen, die alte Periode mit einer Feierlichkeit beschließen und die neue eben so beginnen. Das war eine herrliche Sitte, dass in manchen Gegenden unsere Vorfahren das Carneval mit rechter echter Ausgelassenheit zu Grabe trugen, dass sie zuletzt noch einmal recht toll aufjubelten und sich in der Lust übernahmen, um nachher ungestört und ganz ohne Gewissensskrupel fromm sein zu können. Lass uns der verehrlichen Sitte nachfolgen; Brüderchen, sieh, ich bin dir so gut, gib uns und deinen Launen noch einmal so einen rechten ausgesuchten Weinschmaus, so einen hohen Valet- und Abschied-Hymnus, dass wir, besonders ich, deiner gedenken; lass uns beim besten Wein bis in die tiefe Nacht hinein jubeln, dann gehst du rechts ab zur Tugend und Mäßigkeit, und wir andern bleiben links, wo wir sind.

Schlemmer! sagte Eduard lächelnd: wenn du nur einen Vorwand findest, dich zu betrinken, so ist dir alles recht. Es sei also am heiligen Dreikönigs-Abend.

Da ist ja noch vier Tage hin, seufzte der Alte, indem er den letzten Rest ausschlürfte und sich dann schweigend entfernte.

 

Wir werden heut eine kleine Tischgesellschaft haben, sagte der Rat Walther zu seiner Tochter.

So? fragte Sophie. Und wird der junge Eduard auch herkommen?

Nein, antwortete der Vater. Wie fällst du auf diesen?

Ich dachte nur, sagte Sophie, dass Sie ihm vielleicht durch eine Einladung die unangenehme Szene etwas vergüten wollten, die er ohne Ihren Willen in Ihrem Hause hat erleiden müssen.

Heute würde es am wenigsten passen, erwiderte der Alte, da gerade der Mann mit uns speisen wird, von dem der junge Mensch beleidigt ward.

So? der? sagte das Mädchen mit gedehntem Tone.

Es scheint, der fremde Mann ist dir unangenehm.

Recht sehr, rief Sophie; denn erstlich kann ich es von Niemand leiden, wenn man nicht genau weiß, wer er ist; solch Inkognito ist in der Fremde allerliebst, um für etwas Besonderes zu gelten, wenn hinter dem Menschen gerade gar nichts steckt, und so ist es gewiss mit diesem Unbekannten, der ganz das Wesen eines vagierenden Hofmeisters oder Sekretärs hat, der sich gestern in Ihrer Gallerte ein Ansehen gab, als wenn er der oberste Direktor aller Heiden-Bekehrungsanstalten wäre.

Du sagtest: erstens! fragte der Vater lächelnd; nun also zweitens?

Zweitens ist er fatal, sagte sie lachend, und drittens ist er unausstehlich, und viertens hasse ich ihn wahrhaft.

Das ist freilich erstens und letztens bei euch, sagte der Alte. Übrigens erscheint noch mein Freund Erich und der junge Maler Dietrich, so wie der wunderliche Eulenböck.

Da haben wir ja alle Zeitalter beisammen, rief Sophie aus, alle Arten von Geschmack und Gesinnung! Kommt nicht etwa auch noch der junge Herr von Eisenschlicht, um mir das Leben recht sauer zu machen?

Der Vater hob den Finger drohend auf, sie ließ sich aber nicht irren, sondern fuhr schnell und unwillig fort: es ist ja wahr, dass ich in dieser Gesellschaft meines Lebens niemals froh werde; das schwatzt, und guckt, und ist artig, und lügt, und wird unausstehlich durcheinander, dass ich statt solcher Mahlzeiten lieber drei Tage hungern möchte. Solche verliebte Leute sind mir so zuwider, wie unreife Johannisbeeren! jedes Wort von ihnen schmeckt mir noch sauer nach acht Tagen und verdirbt mir auch die Zunge für alle besseren Früchte. Der alte krummnasige, kupfrige Sünder ist mir noch von allen der liebste, denn er denkt doch nicht daran, mich wie ein Möbel in seine Stuben hinzustellen.

Diese Art und Weise, sagte der Vater, ist mir an dir selbst leid, ja recht verdrießlich, weil ich bei deinem starren Eigensinn noch gar nicht absehen kann, wie du dich je ändern möchtest. Du weißt nun, wie ich über die Ehe und die sogenannte Liebe denke, wie sehr du mich glücklich machen würdest, wenn du deinen Willen brechen wolltest —

Ich muss nach der Küche sehen, rief sie plötzlich; ich muss Ihnen heute Ehre machen; vergessen Sie nur nicht die guten Weine, damit der rötliche Eulenböck nicht Ihren Keller in schlechten Ruf bringt. So lief sie hinaus, ohne eine Antwort abzuwarten.

Der Alte ging an seine Geschäfte, indessen die Tochter Küche und Tisch besorgte. Sie hatte jenes Gespräch so plötzlich abgebrochen, weil es der Wunsch des Vaters, den sie nur gar zu gut kannte, war, sie mit seinem Freunde Erich zu verheiraten, der zwar nicht mehr jung, indessen auch noch nicht so sehr in Jahren vorgerückt war, dass ein solcher Plan lächerlich gewesen wäre. Erich hatte bei seinem Handel ein ansehnliches Vermögen erworben; in diesem Augenblicke besaß er eine Sammlung ganz vorzüglicher Bilder aus den italienischen Schulen, und Walther hatte den Gedanken, dass, falls seine Tochter sich noch zu dieser Heirat bereden ließe, Erich alsdann seinen Handel einstellen und diese vorzüglichen Gemälde seiner Galerie einverleiben solle, damit der Schwiegersohn diese dann nach seinem Tode als eine recht ausgezeichnete besäße und erhielte. Denn es war ihm fürchterlich, sich diese treffliche Sammlung einst wieder zerstreut zu denken, vielleicht gar unter dem Preise verkauft und an Menschen vergeudet, bei denen die Bilder durch Unverstand zu Grunde gehen könnten. Seine Leidenschaft für Malerei war so groß, dass er auf jeden Fall seines Freundes Bilder für eine sehr große Summe gekauft haben würde, wenn ihn nicht der Erwerb eines ansehnlichen Gutes und großen Gartens, die er seiner Tochter zurücklassen wollte, gehindert und ihm jetzt jede Auslage, vorzüglich aber eine so bedeutende, unmöglich gemacht hätte. Indem er seine Briefe schrieb, zerstreuten ihn diese Gedanken unaufhörlich. Er gedachte dann des jungen Malers Dietrich, eines hübschen blonden Jünglings; und ob ihm gleich dessen Art, die Kunst auszuüben, so wenig wie die, sich zu kleiden, recht war, so hätte er doch auch diesen gern als Schwiegersohn umarmt, weil er überzeugt sein konnte, dass der junge Mensch für sein Kunstvermächtnis die höchste Ehrerbietung hegen würde. Der alte Maler Eulenböck konnte ihm für seine Plane nie in die Gedanken kommen; aber seit gestern hatte er den fremden Kunstkenner mit väterlichem Auge gemustert, und die schnippische Antwort der Tochter, mit der sie sich über diesen geäußert hatte, war ihm daher umso empfindlicher. Er mochte es sich nicht gestehen, aber er dachte, wenn er in die Zukunft schaute, weit mehr an das Heil seiner Sammlung, als an das Glück seines Kindes. Selbst der junge Herr von Eisenschlicht, der Sohn eines Wucherers, wäre ihm zum Eidam erwünscht gewesen, weil der junge Mensch auf Reisen sich ziemlich gebildet hatte; und da dieser zugleich die Neigungen seines Vaters besaß, so ließ sich wohl erwarten, dass er aus jeder Rücksicht eine so kostbare Sammlung in Ehren halten würde.

So war der Vormittag verstrichen, und die Gäste fanden sich nach und nach ein. Zuerst der jüngste, Dietrich, im sogenannten altdeutschen Rocke, die weißlichen Haare auf den Schultern hängend, und mit einem blonden Bärtchen, das sein rosenrotes durchsichtiges Antlitz nicht entstellte. Er erkundigte sich sogleich angelegentlich nach der Tochter, und diese erschien, geschmückt, in einem grünseidenen Kleide, das den Glanz ihres Gesichts und Nackens wunderbar erhob. Der Jüngling begann sogleich ebenso verlegen als zudringlich ein Gespräch mit Sophien, das umso trockner wurde, umso mehr er es überschwänglich zu machen suchte. Gestört und getröstet wurden beide durch das Erscheinen des alten Eulenböck, der mit seinem braunroten Gesicht wunderlich aus einer hellgrünen Weste und weißlichem Frack heraus schien, da er es, wie viele ausgemacht hässliche Menschen, liebte, sich in auffallende Farben zu kleiden. Die jungen Leute konnten kaum das Lachen unterdrücken, als sie ihn sich linkisch hereindrehen, grimassierend grüßen und mit falscher Artigkeit stolpern sahen, wobei sich sein schiefes Gesicht, die kleinen grellen Augen und die seitwärts gedrehte Nase noch wunderlicher ausnahmen. Der Fremde ließ lange auf sich warten, und Sophie spöttelte wieder über die Anmaßung, den vornehmen Mann zu spielen, bis er endlich, schlicht gekleidet, erschien und es der Gesellschaft möglich machte, sich in das Speisezimmer zu begeben, in welchem sie Erich schon fanden, der dort ein Gemälde befestigt hatte, welches der Fremde und die Maler in Augenschein nehmen sollten.

Sophie saß zwischen Erich und dem Unbekannten, obgleich Dietrich einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, sich an ihre Seite einzuschieben. Eulenböck, der alles bemerkte, und der am liebsten seine Bosheit in das Gewand der Gutmütigkeit hüllte, drückte dem jungen Menschen die Hand und dankte ihm wie gerührt, dass er so lange herum gekreuzt sei, um nur neben einem alten Manne zu sitzen, der zwar auch die Kunst liebe und ausübe, indessen freilich mit seinen abnehmenden Kräften dem Fluge der neueren Schule nicht mehr nachstreben könne, an deren Enthusiasmus er aber doch sein altes Feuer wieder anzünde und seine schon kalten Lebensgeister erwärme. Dietrich, der noch jung genug war, um alles dies für Ernst zu halten, wusste nicht Dankbarkeit genug auszudrücken noch hinlängliche Bescheidenheit aufzutreiben, um diese Demut aufzuwägen. Der alte Schelm freute sich, dass ihm seine Verstellung gelang, und machte den gutmütigen Jüngling immer treuherziger, der in diesem alten Knaben schon einen Schüler von sich zu sehen wähnte und dabei im Stillen berechnete, wie er dessen praktische Kenntnisse zu höheren Zwecken brauchen wolle, ohne dass der Alte merken müsse, wie der neue Lehrer wieder zugleich sein Schüler sei.