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Die 100 - Rebellion E-Book

Kass Morgan

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Beschreibung

100 jugendliche Straftäter wurden aus dem Weltraum entsandt, um die Erde neu zu besiedeln.

Inzwischen haben sie sich auf dem blauen Planeten behauptet, gegen die ihnen zunächst feindlich gesinnten Erdbewohner. Und gegen den Vizekanzler Rhodes, der sie einst als Straftäter brandmarkte und gnadenlos verfolgte. Doch nun droht der Erdkolonie neues Unheil: Eine Sekte hat sich in ihrer Mitte gebildet, die möglichst viele Anhänger gewinnen möchte - und alle anderen gewaltsam bekämpft. Vollkommen überraschend verwüsten sie das Lager und entführen mehrere Jugendliche. Clarke, Bellamy und die anderen müssen sie unbedingt retten, bevor Schreckliches passiert. Und plötzlich stehen die 100 vor der größten Herausforderung ihres Lebens ...

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ZUM BUCH

100 Jugendliche wurden einst auf der Erde ausgesetzt. Inzwischen haben sie sich auf dem blauen Planeten behauptet, gegen die ihnen zunächst feindlich gesinnten Erdbewohner. Und gegen den Vizekanzler Rhodes, der sie als Straftäter gebrandmarkt und gnadenlos verfolgt hatte. Ruhigere Zeiten scheinen anzubrechen, und die Jugendlichen erholen sich von den überstandenen Gefahren. Doch der Frieden ist trügerisch, und schon droht der Erdkolonie neues Unheil: Eine Sekte hat sich gebildet, die möglichst viele Anhänger gewinnen möchte – und alle anderen gewaltsam bekämpft. Vollkommen überraschend verwüsten sie das Lager und entführen mehrere Jugendliche, darunter Glas und Wells. Clarke, Bellamy und die anderen müssen sie unbedingt retten, bevor Schreckliches passiert. Nur gemeinsam haben sie eine Chance – eine kleine, denn ihr Feind ist völlig unberechenbar …

DIE AUTORIN

Kass Morgan studierte Literaturwissenschaft an der Brown University und in Oxford. Derzeit lebt sie als Lektorin und freie Autorin in Brooklyn. Noch vor Erscheinen ihres ersten Buches, Die 100, konnte sie bereits die Rechte der Serienverfilmung verkaufen. Die 100 schaffte es auf Anhieb auf die Spiegel-Bestsellerliste, und auch mit dem zweiten und dritten Band der Serie, Die 100 – Tag 21und Die 100 – Die Heimkehr, knüpfte Kass Morgan an ihren sensationellen Erfolg an.

LIEFERBARE TITEL

Die 100

Die 100 – Tag 21

Die 100 – Heimkehr

Kass Morgan

REBELLION

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Michael Pfingstl

Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel

The 100: Rebellion bei Little, Brown and Company, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Copyright © 2016 by Alloy Entertainment

Published by arrangement with Rights People, London

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte sind vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Key Artwork © Warner Bros. Entertainment Inc.

All Rights Reserved

Redaktion: Lars Zwickies

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-20851-6V003

www.heyne-fliegt.de

Für meine Leser: danke, dass ihr meine Raumdelinquenten

in euer Herz gelassen habt.

Eure Unterstützung bedeutet mir alles.

1

Clarke

Ein Windstoß fegte raschelnd durch die goldgelben Blätter am Rand der Lichtung und jagte Clarke einen kalten Schauer über den Rücken. Jemand rief leise ihren Namen. Seit sie auf der Erde war, hatte Clarke schon unzählige Male geglaubt, diese Stimme zu hören. Sie hatte sie im Rauschen des Baches gehört, im Stöhnen der Bäume, meistens aber im Rauschen des Windes, doch diesmal war es keine Einbildung. Sie sah ihre Mutter mit einem Korb voller Äpfel aus den Gärten der Erdgeborenen herankommen; Wärme breitete sich in ihrer Brust aus.

»Hast du die schon mal probiert? Sie schmecken wunderbar!« Mary Griffin stellte den Korb auf einem der langen Tische ab, nahm einen Apfel heraus und warf ihn Clarke zu. »Selbst nach dreihundert Jahren Gentechnik konnten wir auf den Kolonieschiffen nichts auch nur ansatzweise so Leckeres züchten.«

Clarke biss lächelnd hinein und ließ den Blick durch das geschäftige Lager schweifen: Überall trafen Kolonisten und Erdgeborene Vorbereitungen für das erste gemeinsame Fest. Felix und sein Freund Eric schleppten große Schalen mit Gemüse aus dem Dorf in die Küche. Zwei Dörfler brachten Antonio bei, aus Zweigen Kränze zu flechten, ganz am Rand des Lagers schliffen Wells und Molly, die im Dorf vor Kurzem eine Schreinerlehre begonnen hatte, einen der neuen Tische ab.

Nach allem, was sie während der letzten Monate durchgemacht hatten, konnte Clarke kaum fassen, wie weit sie es gebracht hatten. Sie gehörte zu den einhundert Jugendlichen, die auf die Erde geschickt worden waren, um festzustellen, ob der verstrahlte Planet inzwischen wieder bewohnbar war. Aber die Landung war gründlich schiefgegangen. Ihr Transporter stürzte ab, die Hundert verloren den Kontakt zur Kolonie. Während sie auf der Erde ums Überleben kämpften, mussten die auf den Schiffen Verbliebenen feststellen, dass die Lebenserhaltungssysteme versagten und ihnen langsam, aber sicher der Sauerstoff ausging. Panik brach aus, und jeder versuchte, sich einen Platz auf einem der viel zu wenigen Transporter zu erkämpfen.

Clarke und der Rest der Hundert hatten es kaum fassen können, als sie Gesellschaft von den anderen Kolonisten bekamen. Weniger überraschend war, dass Vizekanzler Rhodes nach seiner Ankunft sofort versuchte, die Macht an sich zu reißen. Seinem brutalen Regime fiel unter anderem Sasha Wellgrove zum Opfer. Sie war die Tochter des Dorfvorstehers der Erdgeborenen gewesen und außerdem Wells’ Freundin. Nach ihrem Tod war es sofort zu Spannungen zwischen Kolonisten und Dörflern gekommen, die erst beigelegt wurden, als sie sich gemeinsam gegen einen gefährlichen Feind verteidigen mussten: die gewalttätige Fraktion der Erdgeborenen, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die Kolonisten aus dem All zu vernichten.

Seither kamen alle bestens miteinander aus. Rhodes hatte mit seinem Rücktritt den Weg für einen neuen Rat frei gemacht, in dem Kolonisten genauso wie Erdgeborene vertreten waren, und jetzt war es Zeit zum Feiern. Der neue Rat würde zum ersten Mal vor die vereinten Gruppen treten, und Clarkes Freund Bellamy würde sogar eine Rede halten.

»Die Vorbereitungen laufen gut«, kommentierte Clarkes Mutter, während ein Kolonist und zwei Mädchen von der Erde Blechteller und Holzbesteck auf den Tischen verteilten. »Was soll ich als Nächstes tun?«

»Du hast schon mehr als genug gearbeitet. Entspann dich einfach.« Clarke genoss das warme Lächeln ihrer Mutter. Obwohl Mary nun schon seit über einem Monat hier war, staunte Clarke immer noch darüber, dass ihre Eltern nicht wegen Hochverrats ins All geschossen worden waren, wie sie gedacht hatte. Stattdessen hatte man sie als eine Art Vorhut auf die Erde geschickt, und nun waren sie endlich wieder vereint. Da ihre Eltern Ärzte waren, hatten sie sich schnell als wichtige Mitglieder der neuen Gemeinschaft etabliert. Sie halfen beim Wiederaufbau des bei einem Überfall zerstörten Lagers und behandelten gemeinsam mit Dr. Lahiri die Verwundeten. Nicht zuletzt sorgten sie mit Clarke, Wells und Bellamy dafür, dass die Bande zwischen Kolonisten und Erdgeborenen immer enger wurden.

Zum ersten Mal herrschte so etwas wie Frieden in Clarkes Leben. Nach Monaten der Angst und des Leides war sie voller Hoffnung für die Zukunft – ihr war tatsächlich nach Feiern zumute.

Ihr Vater, David, kam nun ebenfalls auf die Lichtung. Er winkte Jacob, einem Bauern von der Erde, mit dem er sich angefreundet hatte, zum Abschied noch einmal zu, dann drehte er sich in Clarkes Richtung und zeigte ihr mit einem breiten Grinsen im Gesicht das Bündel saftiger Maiskolben, die Jacob ihm geschenkt hatte.

»Jacob meint, der Himmel bleibt noch eine Weile klar, sodass wir heute Nacht den Mond sehen können«, rief David ihr zu und kratzte sich nachdenklich an dem Bart, den er sich seit Neuestem wachsen ließ. »Angeblich soll der ganze Horizont in einem satten Rot erstrahlen. Jacob nannte es Jägermond, aber ich glaube, bei unseren Vorfahren hieß das Phänomen Erntemond.«

Als Kind waren Clarke die endlosen Geschichten über die Erde gehörig auf die Nerven gegangen. Aber jetzt, nach einem Jahr der schmerzlichen Trauer um ihre tot geglaubten Eltern, erfüllte Davids gut gelauntes Geplapper sie mit Freude und Dankbarkeit.

Noch während ihr Vater sprach, zog eine Bewegung zwischen den Bäumen Clarkes Aufmerksamkeit auf sich. Eine hochgewachsene Gestalt kam mit einem Bogen über der Schulter aus dem Wald und marschierte schnurstracks ins Lager.

»Irgendwie gefällt mir Jägermond besser«, erwiderte sie mit einem versonnenen Lächeln.

Bellamy verlangsamte seinen Schritt, und Clarkes Herz begann zu pochen. Sie wusste, er suchte nach ihr. Sie hatten so viele Gefahren gemeinsam bestanden, und ganz egal, welche Hindernisse dieser wilde Planet ihnen in der Zukunft in den Weg warf, sie würden sie meistern.

Als Bellamy näher kam, merkte Clarke, dass er außer dem Bogen noch etwas anderes über der Schulter trug. Es war ein erstaunlich großer Vogel mit grellem Gefieder und einem langen, dünnen Hals. Der Größe nach würde bestimmt ein Dutzend Leute davon satt werden, und das machte Clarke stolz. Zusammen mit den gut ausgebildeten Gardisten von den Kolonieschiffen hatte das Lager inzwischen über vierhundert Bewohner, und trotzdem war Bellamy nach wie vor mit Abstand der beste Jäger.

David warf um ein Haar einen der Tische um, so eilig hatte er es, Bellamys Beute genauer zu inspizieren.

»Ist das ein Truthahn?«, fragte er.

Mary kniff die Augen zusammen, damit die untergehende Sonne sie nicht blendete. »Wir haben letzten Winter ein Stück nordwestlich von hier welche in den Wäldern gesehen«, sagte sie. »Wegen der blauen Schwanzfedern dachte ich zuerst, sie wären Pfaue. Aber wir konnten so oder so keinen von ihnen erlegen. Sie waren einfach zu flink.«

»Bellamys Pfeile treffen alles«, sagte Clarke und wurde sofort rot, als ihre Mutter fragend die Stirn runzelte.

Clarke hatte sich ein wenig davor gefürchtet, Bellamy ihren Eltern vorzustellen. Sie hatte einfach nicht einschätzen können, wie sie darauf reagieren würden, dass sie Wells – dem ehrenwerten Kanzlersohn von der Phoenix – den Laufpass gegeben hatte. Doch dann hatten ihre Eltern Bellamy sofort ins Herz geschlossen. Wie Bellamy hatten sie Schlimmes durchgemacht und fühlten mit ihm, wenn er nachts in der gemeinsamen Hütte von Albträumen geplagt wurde. Wenn er zitternd und schweißnass wach lag und Octavias Schreie hörte, als würde Rhodes’ Erschießungskommando ihn jeden Moment hinrichten.

In solchen Nächten standen Mary und David jedes Mal sofort auf und verabreichten Bellamy eine beruhigende Kräutermischung, während Clarke seine Hand hielt. Noch nie hatten sie auch nur ein Wort gegen ihren neuen Freund gesagt, und jetzt winkten ihm beide fröhlich zu. Dennoch spürte Clarke, wie ihre Schultern verkrampften. Etwas an Bellamys Gang war anders. Sein Gesicht war blass, und er schaute ständig nervös über die Schulter.

David merkte es ebenfalls, als Bellamy ihm den Truthahn wortlos auf die Arme legte.

»Clarke«, sagte Bellamy keuchend, als wäre er den ganzen Weg zurück zum Lager gerannt. »Ich muss mit dir reden.«

Noch bevor Clarke etwas erwidern konnte, packte er sie am Ellbogen und zog sie an der Feuerstelle vorbei bis hinter den Ring aus neu errichteten Hütten. Er ging so schnell, dass sie kaum Schritt halten konnte.

»Stopp«, sagte sie schließlich und machte sich los.

Bellamys Blick wurde von einem Moment auf den anderen wieder klar. »Tut mir leid«, stammelte er. »Hab ich dir wehgetan?«

Clarke schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Was ist denn los?«

Bellamy blickte sich hektisch um. Die Panik kehrte wieder in seine Augen zurück. »Wo ist O?«, zischte er.

»Sie kommt gerade mit den Kindern zurück.« Clarke deutete auf die schwarzhaarige Octavia, die mit ihren Händchen haltenden Schützlingen gerade die Lichtung betrat. Sie war mit den Kindern für ein paar Stunden zum Bach gegangen, um die Vorbereitungen für das Fest nicht zu stören. »Siehst du sie?« Bellamy entspannte sich einen Sekundenbruchteil lang, dann verfinsterte sich sein Gesicht wieder. »Mir ist etwas Seltsames aufgefallen, vorhin auf der Jagd.«

Clarke biss sich auf die Lippe. Es war nicht das erste Mal, dass er so etwas sagte – eher das zehnte. Trotzdem nickte sie verständnisvoll. »Erzähl’s mir.«

Bellamy trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen, eine Schweißperle lief ihm über die Stirn. »Vor ungefähr einer Woche habe ich auf dem Weg nach Mount Weather auf einer kleinen Lichtung einen großen Laubhaufen entdeckt. Er sah irgendwie … unnatürlich aus.«

»Unnatürlich?«, wiederholte Clarke und versuchte, nicht die Geduld zu verlieren. »Ein Laubhaufen. Im Wald, im Herbst.«

»Er war riesig, viermal so groß wie alle anderen darum herum. Groß genug, um etwas darin zu verstecken.« Bellamy ging jetzt ruhelos auf und ab, als spreche er mehr mit sich selbst als zu ihr. »Statt nachzusehen, bin ich einfach weitergegangen. Das war ein Fehler. Warum habe ich nicht nachgesehen?«

»Okay …«, sagte Clarke langsam. »Warum gehen wir nicht einfach hin und sehen jetzt nach?«

Bellamy grub die Finger in sein zerzaustes Haar. »Er ist nicht mehr da. Ich habe ihn ignoriert, und jetzt ist er weg. Als hätte jemand ihn weggeräumt, weil er ihn nicht mehr braucht.«

In seinem Gesicht stand eine eigenartige Mischung aus Angst und schlechtem Gewissen. Allein der Anblick tat Clarke weh. Sie wusste, was los war.

Kurz nach seiner Ankunft im Lager hatte Vizekanzler Rhodes Bellamy für Verbrechen, die er angeblich in der Kolonie begangen hatte, zum Tod verurteilt. Zwei Monate war das jetzt her. Bellamy hatte sich von allen, die er liebte, verabschiedet, dann hatte man ihn vor das Erschießungskommando geschleift. Auge in Auge stand er dem Tod gegenüber, absolut sicher, dass er seine Schwester Octavia endgültig im Stich lassen und Clarke für immer das Herz brechen würde. Nur der brutale Überraschungsangriff der gewalttätigen Splittergruppe der Erdgeborenen hatte die Hinrichtung im letzten Moment verhindert.

Mittlerweile hatte Rhodes ihn begnadigt, aber die Ereignisse hatten Spuren hinterlassen. Gelegentliche Anfälle von Verfolgungswahn waren vollkommen normal nach einem solchen Trauma, aber Bellamys Zustand schien nicht besser zu werden, sondern schlechter.

»Und dann noch all das andere Zeug«, sprach er immer aufgeregter weiter. »Die Wagenspuren am Fluss und die Stimmen, die ich in den Bäumen gehört habe …«

Clarke schlang ihm die Arme um die Hüfte. »Darüber haben wir doch schon gesprochen. Die Spuren stammen wahrscheinlich von den Wagen der Dörfler. Und die Stimmen …«

»Ich habe sie gehört, Clarke«, fiel er ihr ins Wort und versuchte sie wegzustoßen.

»Das weiß ich«, erwiderte sie und hielt ihn nur noch fester.

Schließlich gab Bellamy es auf. »Ich möchte keine Szene machen«, sagte er mit einem Schlucken. Nicht schon wieder, brauchte er nicht eigens hinzuzufügen. »Aber ich sage dir, etwas stimmt nicht. Ich spüre es. Wir müssen die anderen warnen.«

Clarke warf einen Blick über die Schulter. Lila schleppte mit Graham Eimer voll Trinkwasser heran. Dabei ärgerten sie den Dritten im Bunde, der noch etwas jünger war und alle Mühe mit seiner Last hatte. Kinder kamen aus dem Dorf mit Essen für das Fest zurück und lachten fröhlich, während sich die Wachen ganz entspannt auf ihren Posten miteinander unterhielten.

»Und zwar noch vor dieser Feier«, schnaubte Bellamy verächtlich. »Was es da zu feiern gibt, ist mir sowieso ein Rätsel.«

»Es ist das Erntefest«, erwiderte Clarke. Die Vorstellung, an einer jahrhundertealten Tradition teilzuhaben, die es schon lange vor der Stunde Null gegeben hatte – dem schrecklichen Nuklearkrieg, der um ein Haar die gesamte Menschheit vernichtet hätte –, erfüllte sie mit purer Freude. »Max sagt, sie feiern es schon seit Generationen. Es ist eine gute Gelegenheit, sich einmal Zeit zu nehmen und …«

»Es ist genau die Gelegenheit, auf die die gewalttätigen Erdgeborenen warten.« Bellamy sprach jetzt deutlich lauter als noch gerade eben. »Wenn ich vorhätte, dieses Lager zu überfallen, dann würde ich es genau heute tun. Wenn wir alle wie auf dem Präsentierteller sitzen.«

Ein kleiner Junge kam aus einer der Hütten gehüpft. Als er Bellamys Worte hörte, wurde er bleich und drehte sofort wieder um.

Clarke nahm Bellamys Hände. Sie zitterten. »Ich glaube dir ja«, sagte sie mit festem Blick. »Ich glaube, dass du all das gesehen hast.«

Bellamy nickte stumm.

»Du musst mir vertrauen. Du bist hier in Sicherheit. Wir alle sind in Sicherheit. Der Waffenstillstand hält seit über einem Monat. Max sagt, die andere Gruppe ist nach ihrer Niederlage nach Süden gegangen und wurde seitdem nicht mehr gesehen.«

»Das weiß ich. Aber es geht nicht nur um diesen Laubhaufen. Ich kann regelrecht fühlen, wie sie uns bereits im Genick sitzen …«

»Dann ersetzen wir dieses Gefühl eben durch ein anderes.« Clarke stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Bellamy auf das Kinn, den Hals …

»So einfach ist das leider nicht«, flüsterte er, aber Clarke spürte, wie er sich bereits entspannte.

Sie legte lächelnd den Kopf in den Nacken. »Komm schon, heute ist ein Freudentag, Bel. Dein erster öffentlicher Auftritt als Mitglied des neuen Rates. Denk an deine Rede. Freu dich über all das Essen, das du für heute rangeschafft hast.«

Bellamy schlug sich stöhnend auf die Stirn. »Der Rat. Ich hab die verfluchte Rede vollkommen vergessen.«

»Das machst du schon«, beruhigte sie ihn und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Du bist gut im Improvisieren.«

»Richtig.« Er legte Clarke die Arme um die Hüfte und zog sie mit einem vielsagenden Grinsen an sich. »Und in was anderem bin ich noch viel besser …«

»Stimmt«, erwiderte sie lachend, »aber zuerst müssen wir das Essen vorbereiten. Unsere Privatfeier kommt danach.« Als Bellamy immer noch nicht loslassen wollte, zog sie ihn einfach hinter sich her.

»Danke«, flüsterte er, die Arme immer noch fest um sie geschlungen.

»Wofür?«, fragte sie unbekümmert und tat ihr Bestes, sich ihre wachsende Sorge nicht anmerken zu lassen.

Heute hatte sie ihn noch einmal beruhigen können. Genauso wie gestern und vorgestern. Aber dass Bellamys Zustand sich verschlimmerte, stand nun endgültig außer Frage.

2

Wells

Wells hievte das letzte Fass Apfelmost auf den Karren. Nach den tagelangen Vorbereitungen für das Erntefest waren seine Hände wund und voller Schwielen. Seine Füße brannten, und sein ganzer Rücken tat weh. Jeder Zentimeter seines Körpers schmerzte. Und er wollte mehr. Mehr Schmerz, mehr Arbeit, egal was, solange es ihn von den dunklen Gedanken ablenkte, die sich in seinem Innern ausbreiteten wie Fäulnis. Hauptsache, er konnte vergessen.

Eine Dörflerin ging mit ihrem Baby im Wickeltuch vorbei und lächelte ihm zu. Wells nickte höflich, während die Erinnerung, die der Anblick heraufbeschwor, ihn innerlich zusammenzucken ließ. Sasha, die mit genau diesem Baby spielte, während seine Mutter die Wäsche vor der Hütte zum Trocknen aufhängte. Sashas schwarzes Haar und das Leuchten in ihren grünen Augen, als sie Wells damit aufzog, er hätte mehr Angst vor Babys als vor Rhodes und seinen Gardisten.

Wells presste die Lippen aufeinander, nahm die Deichsel und zog. Wohltuender Schmerz verdrängte die ungebetene Erinnerung, während er den Karren über die Hauptstraße Richtung Wald zerrte, immer den anderen nach.

Paul, der Rotschopf, der selbst jetzt noch seine Schiffsuniform trug, war auf einen kleinen Felsen geklettert. Er hatte den Auftrag, die Umgebung im Auge zu behalten, während die Freiwilligen alles, was für das Fest gebraucht wurde, zum Lager transportierten.

»Hört mal kurz her, Leute!«, rief er. »Ich war gerade auf Patrouille, die Luft ist rein. Trotzdem sollten wir schnell machen, nur für den Fall.« Er klatschte in die Hände und deutete auf den mittlerweile gut ausgetretenen Pfad zwischen den Bäumen. »Also beeilt euch, und haltet die Augen offen.«

Wells sah, wie mehrere Dörfler Paul einen fragenden Blick zuwarfen. Paul war erst seit Kurzem hier. Ihr Transporter war weit vom Kurs abgekommen, deshalb war seine Gruppe erst nach der blutigen Schlacht mit der gewalttätigen Fraktion der Erdgeborenen eingetroffen.

In der Kolonie hatte Wells Paul kaum gekannt. Er hatte ihn vage als umgänglichen und tatkräftigen Kollegen in Erinnerung, zuverlässig und kompetent, aber er war bestimmt kein geborener Anführer. Offensichtlich hatten sich die Dinge im Lauf des letzten Jahres drastisch verändert. Was auch immer Paul und den anderen Überlebenden nach dem Absturz ihres Transporters widerfahren war, es hatte ihn zu ihrem inoffiziellen Anführer gemacht, und diesen Posten füllte er nur zu gerne aus.

»Wer etwas Schweres zu tragen hat, soll aufpassen, dass er sich nicht übernimmt. Wenn ihr verletzt seid, seid ihr leichte Beute für den Feind.«

Wells verdrehte die Augen. Die gewalttätigen Erdgeborenen waren längst weitergezogen. Paul war nur sauer, dass er die ganze Aufregung verpasst hatte, und spielte sich jetzt umso mehr auf. Dafür hatte Wells kein Verständnis. Nicht, nachdem er am eigenen Leib erfahren hatte, was ein Kampf auf Leben und Tod bedeutete.

Paul runzelte die Stirn. »Was willst du mit dem Messer, Graham? Du bist heute nicht zur Jagd eingeteilt.«

»Sagt wer?« Graham zog sein langes Messer aus der Scheide und hielt es Paul demonstrativ unter die Nase.

Wells machte sich bereit dazwischenzugehen. Graham hatte sich während der letzten Monate zwar gebessert, aber das mordlüsterne Blitzen in seinen Augen, als er vor den versammelten Hundert Octavias Hinrichtung forderte, weil sie Medikamente gestohlen hatte, würde Wells so schnell nicht vergessen. Doch noch bevor Wells die Deichsel loslassen konnte, steckte Graham das Messer wieder ein und stapfte schnaubend weiter. Er nickte sogar Eric zu, der gerade vom Lager zurück ins Dorf kam.

Eric deutete auf Wells’ Karren. »Soll ich das machen?«, fragte er. »Nicht dass du dich übernimmst und zur leichten Beute für den Feind wirst«, fügte er mit einem Zwinkern hinzu.

Wells lachte gezwungen. »Sicher, danke. Ich mache nur noch ein bisschen Feuerholz und komme dann nach.«

Wells drehte sich um und machte sich auf den Weg zu der Stelle, wo das Brennholz lagerte. Sein Lachen verschwand augenblicklich. Alles fiel ihm unendlich schwer in letzter Zeit, bei jedem Schritt spürte er die Trauer wie eine tonnenschwere Last auf seinen Schultern. Aber er ging weiter, zog die Axt aus dem Hackstock und spaltete Holz, bis er eine ansehnliche Zahl an Scheiten beisammenhatte. Sorgfältig schichtete er sie übereinander und steckte sie in einen Sack, den er sich auf den Rücken hievte. Die Holzsplitter, die er sich dabei einzog, kümmerten Wells nicht.

Das Dorf war inzwischen so gut wie menschenleer. Alle waren zum Essen und Feiern ins Lager gegangen. Die Ernte war eingebracht, und jetzt begann etwas Neues. Ihre Gemeinschaft war größer geworden und hatte endlich Frieden gefunden.

Wells blickte sich seufzend um. Es war niemand mehr da. Gut so. Er würde ein bisschen später als die anderen im Lager ankommen und sich um das Feuer kümmern, dafür sorgen, dass es immer schön hoch brannte. Das war seine Aufgabe für heute Nacht und außerdem die perfekte Entschuldigung, um dem Festessen, den Ansprachen und all den Menschen aus dem Weg zu gehen, die um jene trauerten, die nicht mehr unter ihnen waren. Um Familienmitglieder und Freunde, die auf den Kolonieschiffen den Tod gefunden hatten. Wegen Wells.

Er hatte die Luftschleuse sabotiert und damit Hunderte, die keinen Platz auf einem der Transporter bekamen, zu einem langsamen Erstickungstod verurteilt – auch seinen eigenen Vater, den Kanzler. Wells hatte es getan, um Clarke vor ihrer bevorstehenden Hinrichtung zu retten. Es hatte geklappt, aber trotzdem wurde ihm nun jedes Mal schlecht, wenn er in den Spiegel sah. Alles, was er tat, führte zu Zerstörung und Tod. Wenn die anderen wüssten, was er getan hatte, würden sie ihn nicht nur vom Erntefest ausschließen, sondern ihn verbannen. Und das zu Recht.

Wells atmete tief durch. Mit einem Mal fühlten sich seine Beine unendlich schwach an, als könnten sie jeden Moment unter ihm wegknicken. Er rückte den Sack auf seinem Rücken gerade, da fiel sein Blick auf Max’ Hütte. Die Eingangstür stand offen.

Dies war Sashas Zuhause gewesen.

Wells hatte sie nur wenige Wochen gekannt, doch die Erinnerungen, die er in dieser kurzen Zeit angesammelt hatte, fühlten sich so lebendig an, als wären es Jahre gewesen. Er hatte es geliebt, gemeinsam mit ihr hier zu sein. Sasha war nicht lediglich die Tochter des Dorfvorstehers gewesen, sondern ein Teil der Lebenskraft dieser Gemeinschaft. Obwohl sie wusste, dass es sie das Leben kosten konnte, hatte sie sich freiwillig gemeldet, das Lager der Hundert auszukundschaften. Sie war immer die Erste gewesen, die mit anpackte, andere tröstete und Schwächeren ihre Stimme verlieh. Sie war ein wertvolles Mitglied der Gemeinschaft gewesen und von allen geliebt worden. Und nun war sie tot.

Wells ließ den Sack einfach zu Boden fallen und ging wie ein Schlafwandler auf die Hütte zu. Seit beinahe einem Monat hatte er sie nicht mehr betreten, um den Erdgeborenen aus dem Weg zu gehen. Und seinen Erinnerungen. Aber jetzt, da niemand hier war, zog die Hütte ihn an wie ein Magnet.

Er spähte durch den schmalen Türspalt in den schummrigen Innenraum, sah den Tisch mit den darauf verstreut liegenden elektronischen Bauteilen, die kleine Kochnische, Max’ Bett … und, ganz hinten, Sashas Bereich.

Ihr Bett, die Decke, der Strauß getrockneter Blumen, der Vogel, den sie in die Holzwand geschnitzt hatte, es war alles noch da.

»Ich habe es nicht fertiggebracht, irgendwas zu verändern«, sagte eine tiefe, raue Stimme.

Wells drehte sich um. Max stand direkt hinter ihm und blickte mit unergründlichem Gesichtsausdruck an ihm vorbei in die Hütte. Er trug seine besten Kleider, auch der Bart war frisch gestutzt, wie es sich für seinen Auftritt beim Erntefest gehörte. Im Moment sah er allerdings nicht aus wie ein Dorfvorsteher und Mitglied des neuen, vereinten Rates, sondern wie ein zutiefst verwundeter Mann. Wie ein trauernder Vater.

»Diesen Vogel hat sie in die Wand geschnitzt, als sie fünf war. Eine beachtliche Leistung für das Alter. Für jedes Alter, genau genommen.« Er lachte verhalten. »In der alten Welt wäre sie vielleicht Künstlerin geworden.«

»Sie hätte vieles werden können«, erwiderte Wells leise.

Max nickte und stützte sich am Türrahmen ab, als wäre ihm plötzlich schwindlig.

Ich sollte nicht hier sein, dachte Wells, doch noch bevor er sich aus dem Staub machen konnte, trat Max durch die Tür und winkte ihn herein. Er zog einen kleinen, bis zum Rand vollgeschriebenen Zettel aus dem Chaos auf seinem Tisch. »Ich habe eine kleine Rede vorbereitet und meine Notizen hier liegen lassen«, erklärte er. »Die Tafel füllt sich schnell. Du solltest dich beeilen.«

»Ist mir egal. Vielleicht gehe ich gar nicht hin.« Wells starrte seine Stiefel an und spürte, wie Max’ Blick auf ihm ruhte.

»Du hast das gleiche Recht wie alle, an dieser Tafel zu sitzen.« Max’ Stimme war leise, aber fest wie Granit. »Diese Leute … unsere Leute … haben das heutige Zusammensein dir zu verdanken. Genauso wie ihr Leben.«

Wells’ Blick sprang zu Sashas Ecke, und Max folgte seiner Blickrichtung. »Sie würde wollen, dass du hingehst«, sprach er etwas sanfter weiter. »Das Erntefest war ihr Lieblingsfeiertag.« Er legte Wells eine Hand auf die Schulter. »Es hätte ihr gefallen, wenn du dich dort amüsierst.«

Wells spürte die Tränen in seinen Augenwinkeln und nickte stumm.

»Ich sitze mit den anderen Ratsmitgliedern am Kopfende der Tafel«, fuhr Max fort und drückte ihn kurz. »Ich werde dir einen Platz neben mir frei halten. Du willst doch nicht Bellamys Rede verpassen, oder?«

Trotz allem musste Wells lächeln, als er sich vorstellte, wie sein Halbbruder als frischgebackenes Ratsmitglied vor Hunderten von Menschen eine Rede hielt. Sie hatten erst vor Kurzem herausgefunden, dass sie den gleichen Vater hatten. Seitdem war ihr Verhältnis schnell enger geworden, hatte sich von Neid über gegenseitigen Respekt zu Loyalität und echter Zuneigung entwickelt.

Wells folgte Max aus der Hütte und schloss leise die Tür, den Blick immer noch auf die kleine Schnitzerei über Sashas Bett gerichtet. Er konnte kaum glauben, dass sie damals erst fünf gewesen war. Der Vogel sah tatsächlich aus, als fliege er, federleicht und frei. Genau wie Sasha in den seltenen Momenten, wenn sie ihre Pflichten einmal vergaß. Ihm wurde klar, was für ein Privileg es gewesen war, dass er sie so hatte erleben dürfen. Zu sehen, wie sie aus einer Höhe, aus der er es niemals gewagt hätte, quiekend in den See sprang oder wie sanft der Blick ihrer grünen Augen wurde, wenn sie sich küssten. Wells’ Leichtsinn hatte sie beide ein Leben voller solcher Momente gekostet, aber die Erinnerungen, die er tief in seinem Herzen trug, blieben. Er hatte kein Recht, mit den anderen zu feiern, nicht nach allem, was er getan und verschuldet hatte, trotzdem gab es viel, wofür er dankbar sein konnte.

3

Glass

Die Stille lag über ihrem Bett wie eine zweite Decke. Niemand hielt sich mehr auf dieser Seite des Lagers auf. Alle halfen bei den Vorbereitungen für das Erntefest, doch Glass hatte den ganzen Nachmittag hier in der kleinen Hütte am Rand der Lichtung verbracht, allein mit Luke. Eine seltene und kostbare Gelegenheit. Seit Luke sich von seiner lebensbedrohlichen Verletzung erholt hatte, war er beschäftigter denn je, ging in der Morgendämmerung und kam erst nach Sonnenuntergang vollkommen erschöpft zurück. Und jedes Mal, wenn Glass sein leichtes Hinken sah, versetzte es ihr einen Stich im Herzen.

Luke wollte sich gerade auf den Ellbogen stützen, doch Glass zog ihn wieder zu sich herunter. Sie küsste ihn auf die Schulter, den Oberarm, die Brust und bewegte den Kopf dann neckend weiter nach unten.

Luke stöhnte lächelnd. »Ich muss zum Dienst.«

Sie küsste sein Kinn, dann den Hals. »Noch nicht.«

»Ich komme noch zu spät wegen dir.« Er ließ die Hand über ihren Rücken gleiten und machte keinerlei Anstalten aufzustehen.

»Sie werden es dir schon nicht übel nehmen«, erwiderte sie und kuschelte sich an ihn. »Du erledigst in deinen Schichten mehr als jeder andere. Außerdem hast du die Hälfte dieser Hütten ganz allein gebaut.« Glass neigte den Kopf zur Seite und lächelte ihn stolz an. »Mein genialer Ingenieur.«

Luke hatte zwei Gebäudetypen entworfen: einen kleineren mit einer erhöhten Schlaffläche für Familien und ein Langhaus für große Gruppen wie die Waisenkinder im Lager und die Wachen. Nur die Hütte, die er sich mit Glass teilte, war anders. Sie stand ganz am Rand der Lichtung, die kleinen Fenster zeigten genau in die Richtung, in der zu dieser Jahreszeit die Sonne aufging. Es gab sogar eine Feuerstelle und einen kleinen Küchenbereich mit Tisch und Stühlen. Niemand machte sich etwas daraus, dass die beiden zusammenlebten – eine höchst willkommene Abwechslung zu der Heimlichtuerei auf dem Schiff, zu der sie die strikte Sozialhierarchie und dann auch noch Glass’ Flucht aus dem Arrest gezwungen hatten.

»Ich habe einen Teil der Bauarbeiten geleitet«, korrigierte er Glass. »Alle haben ihren Beitrag geleistet. Außerdem bin ich heute nicht auf der Baustelle eingeteilt, sondern zum Wachdienst.« Luke fuhr durch Glass’ blondes Haar, das ihr Gesicht einrahmte wie ein Schleier, und seufzte.

Sie kannte diesen Seufzer. Er bedeutete, dass die Zeit abgelaufen war. Mit einem etwas traurigen Lächeln setzte sie sich auf, damit er aus dem Bett kriechen und sich anziehen konnte.

»Warum musst ausgerechnet du Wache schieben, wenn alle anderen feiern?« Glass zog ihr T-Shirt an und tastete mit den Zehen nach der irgendwo auf dem Boden liegenden dicken Wolljacke, die sie von den Erdgeborenen als Willkommensgeschenk bekommen hatte. In der Hütte war es eisig kalt, dabei war die Sonne noch nicht einmal untergegangen. Es würde bald Winter werden.

Unser erster Winter auf der Erde. Eine aufregende Vorstellung, bei der Glass an Kaminfeuer, blendend weißen Schnee und kuschelige Nächte in Lukes Armen dachte.

»Irgendjemand muss es nun mal tun.« Luke zog seine Stiefel an und dehnte den schmerzenden Rücken. »Du wirst dich doch nicht langweilen ohne mich, oder?«, fragte er und setzte sich neben ihr auf das schmale Bett. »Clarke und Wells sind auch da.«

Glass rempelte ihn spielerisch mit der Schulter an. »Ich komme schon zurecht.« Ihre Stimme klang unbekümmert, dabei hatte sie weit größere Probleme als Luke, sich an das Leben auf der Erde zu gewöhnen. Auf dem Schiff hatte er zum Ingenieurskorps gehört. Allein seine Ausbildung machte ihn zu einem wichtigen Mitglied ihrer neuen Gemeinschaft. Glass hingegen konnte sich anstrengen, wie sie wollte, um sich irgendwie nützlich zu machen, aber sie war weder eine geborene Anführerin noch Medizinerin wie Clarke, die während der vergangenen Monate zahllose Leben gerettet hatte. Clarke war zwar stets freundlich und geduldig mit ihr, aber Glass wurde das Gefühl nicht los, dass ihre alte Schulkameradin in ihr immer noch die oberflächliche Göre sah, die nichts anderes im Kopf hatte, als auf der Tauschbörse billigen Plunder abzugreifen und mit ihren Freundinnen über andere zu lästern.

Schließlich stand sie mit einem gezwungenen Lächeln auf. »Gehen wir. Ich habe Clarke versprochen, mit ihr das Essen zur Krankenhütte zu bringen, also …« Sie deutete mit dem Kinn zur Tür. »Raus mit dir.«

»Ja, Ma’am!«, erwiderte Luke und hob lachend die Hände, während sie ihn durch die Tür schob.

Glass folgte ihm nachdenklich über die Lichtung. Dr. Lahiri behauptete zwar, Luke hätte sich sensationell schnell erholt, aber jedes Mal, wenn ihr Blick auf Lukes Oberschenkel fiel, sah sie wieder diese grässliche Speerwunde. Sie hatte Luke in einem Boot über den Fluss transportiert, ihn dann auf einem Schlitten kilometerweit durch den Wald gezogen und es gerade noch rechtzeitig zum Lager geschafft, bevor ihn der Wundbrand umbringen konnte. Wells hatte ihren Mut bewundert, dabei hatte sie aus purer Angst und Verzweiflung gehandelt. Nach allem, was sie zusammen durchgemacht hatten, nach all den Opfern, die sie gebracht hatte, konnte Glass sich ein Leben ohne Luke nicht einmal mehr vorstellen.

Luke hatte inzwischen mehrere Schritte Vorsprung und blickte sich fragend nach ihr um.

»Ich genieße nur die Aussicht!«, rief sie fröhlich.

Als Luke die Augenbrauen hob, holte sie ihn mit ein paar schnellen Schritten ein und nahm seine Hand. Vor ihnen erstreckte sich ein großer Kreis aus Tischen. Sie waren mit Kränzen geschmückt und bogen sich förmlich unter den vorbereiteten Speisen. So viel Essen hatte Glass noch nicht gesehen, seit sie auf der Erde war.

»Dazu gibt es auch allen Grund«, erwiderte Luke etwas wehmütig. »Irgendwie ist es unfair, dass ausgerechnet ich heute Abend Wachdienst habe.«

»Ich heb dir was auf, versprochen. Sogar von der Nachspeise.«

Luke winkte ab. »Lass mal.« Er hauchte Glass einen Kuss auf die Wange und beugte sich ganz nahe an ihr Ohr. »Es gibt nur eins, von dem ich nicht genug kriegen kann.«

Lukes warmer Atem an ihrem Hals jagte Glass einen Schauer über den Rücken.

»Vorsicht, Soldat!«, rief Paul ihnen mit gespielter Strenge zu. »Im Dienst Zärtlichkeiten auszutauschen ist streng untersagt, schon vergessen? Paragraf 42 der Gaia-Doktrin.« Dann zwinkerte er und ging lachend weiter.

»Paul ist in Ordnung«, sagte Luke, als Glass genervt die Augen verdrehte. »Man muss sich nur an ihn gewöhnen.«

»Das sagst du über alle«, erwiderte sie und drückte seine Hand. »Du siehst in jedem nur das Beste.« Glass bewunderte diese Eigenschaft aufrichtig, auch wenn sie Luke manchmal blind für die wahren Absichten der Menschen machte, wie im Fall seines widerlichen Mitbewohners Carter.

Ein Stück weiter weg ragte der neu errichtete Wachturm auf, der auch als Waffenlager diente. Er war das am schwersten befestigte Gebäude im ganzen Lager. Willa, eine der jüngeren Wachen, kam gerade gähnend aus der Tür.

»Hast du die nächste Schicht, Luke?«, rief sie ihnen von Weitem entgegen. »Es ist alles ruhig, nichts zu tun. Nicht einmal auf die Waffen müssen wir aufpassen.«

»Wie meinst du das?«, fragte Luke.

Willa zuckte die Achseln. »Anscheinend hat jemand sie woanders hingebracht. Ich habe mein Gewehr unten im Ständer gelassen, aber jetzt ist es weg.«

»Okay …« Luke blieb stehen. »Danke für die Information, Willa. Ich sehe gleich mal nach.«

Glass stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Luke einen letzten Kuss, bevor der Geruch von gebratenem Fleisch ihre Aufmerksamkeit zurück zu den sich schnell füllenden Tischen lenkte. In der Mitte standen die neuen Ratsmitglieder beisammen und sprachen miteinander. Bellamy hielt sich ein Stück abseits und blickte alle paar Sekunden nervös über die Schulter. Clarke war gerade mit einem Stapel Tabletts auf den Armen unterwegs zur Lazaretthütte.

Glass trabte los und holte sie schnell ein. »Kann ich dir helfen?«, fragte sie und machte Anstalten, ihr eines der Tabletts abzunehmen.

Clarke warf ihr einen erschöpften Blick zu. »Ich schaff das schon. Aber du kannst mir einen Riesengefallen tun. Könntest du auf der Wiese neben dem Teich ein bisschen Kamille sammeln? Ein paar der Patienten können ohne einfach nicht einschlafen, und es dauert ewig, sie auszukochen.«

»Klar.« Glass war froh, sich endlich nützlich machen zu können. »Wie sieht Kamille denn aus?«

»Kleine Sträucher mit weißen Blüten. Bring so viele mit, wie du findest, und die Wurzeln auch.«

»In Ordnung. Und wo finde ich den Teich?«

»Es sind nur zehn Minuten. Du musst nach Osten gehen, Richtung Dorf. An der Kiefer biegst du links ab, dann noch ein Stück geradeaus, gleich neben dem Brombeerstrauch.«

»Tut mir leid, aber wie sehen Kiefern noch mal aus?«

Clarke warf ihr einen leicht irritierten Blick zu. »Das sind die Bäume, die Nadeln statt Blätter haben.«

Glass nickte. »Ach ja, stimmt. Und den Brombeerstrauch erkenne ich an …«

»Vergiss es«, fiel Clarke ihr ins Wort. »Ich hole sie selbst.«

»Nein, bitte lass mich gehen.« Glass glaubte sich zu erinnern, wie Luke ihr den Brombeerstrauch einmal gezeigt hatte. »Ich finde ihn schon.«

»Es geht einfach schneller, wenn ich es mache«, sagte Clarke seufzend. »Trotzdem danke. Nächstes Mal vielleicht.« Dann hetzte sie weiter.

Glass stand da, die Röte stieg ihr in die Wangen, und sie fragte sich zum x-ten Mal, wie lange es noch dauern würde, bis sie sich nicht mehr wie eine Außenseiterin vorkam. Schlimmer noch, wie eine Last.

Niedergeschlagen beobachtete sie, wie Max die aufgeregten Gespräche an den Tischen mit einer Geste zum Verstummen brachte. Dann hieß er alle willkommen und erklärte, dass sich das Fest im Lauf der Jahrhunderte zwar verändert habe, aber immer noch vor allem eine Gelegenheit sei, Danke zu sagen.