Die Abenteuer des Apollo 1: Das verborgene Orakel - Rick Riordan - E-Book
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Die Abenteuer des Apollo 1: Das verborgene Orakel E-Book

Rick Riordan

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Beschreibung

Einst war er ein unsterblicher Gott. Jetzt ist er ein 16-jähriger Teenager namens Lester.  Bei Zeus in Ungnade zu fallen hat Konsequenzen: Als Strafe für seine Arroganz wird Apollo aus dem Olymp verbannt und stürzt als sterblicher und pickliger Teenager vom Himmel. Doch damit will er sich auf keinen Fall abfinden! Er muss seine Unsterblichkeit zurückerlangen. Auf seiner Reise nach Camp Half-Blood trifft er neue Freunde, die ihn bei seiner Mission unterstützen. So lernt er auch die Halbgöttin Meg kennen, die sich frech und kampflustig in jedes Abenteuer stürzt. Zusammen nehmen sie es mit Göttern, alten Kaisern und mythologischen Monstern auf, bis sie feststellen müssen, dass das alte Orakel nicht mehr funktioniert. Es wird von Apollos altem Feind Python blockiert. Und nun? Die etwas andere Heldenreise: Zeit für Apollo, den egozentrischsten Gott aller Zeiten!  Einmal Mist im Olymp gebaut und schon landet Gott Apollo auf direktem Wege in einer Gasse in New York. Ohne seine göttlichen Kräfte und im Körper eines Teenagers muss er sich der modernen Welt stellen. Dabei stolpert er von einem Abenteuer ins nächste und lernt, dass das Leben als Sterblicher nicht ganz so glamourös ist, wie er dachte – aber vielleicht viel bedeutungsvoller. "Die Abenteuer des Apollo" ist ein Spin-off von Riordans vorherigen Reihen "Percy Jackson" und "Helden des Olymp". In der fünfteiligen Fantasy-Buchserie überführt Rick Riordan alte Sagen und Legenden in moderne Geschichten und begeistert Leser*innen überall auf der Welt für seine Hauptfigur Apollo, dem seine maßlose Arroganz und Selbstverliebtheit immer wieder im Weg steht.     ***Ein selbstverliebter Held, epische Abenteuer und viel Humor – für Leser*innen ab 12 Jahren und für alle Fans der griechisch-römischen Mythologie*** 

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Rick Riordan: Die Abenteuer des Apollo − Das verborgene Orakel

Aus dem Englischen von Gabriele Haefs

Der Gott Apollo fällt vom Himmel direkt in ein paar Mülltonnen – er ist bei Zeus in Ungnade gefallen und wurde zur Strafe seiner Unsterblichkeit beraubt! Prompt wird er auch noch überfallen, doch zum Glück springt ihm Meg zur Seite – frech, kampflustig, höchstens zwölf und zweifelsfrei eine Halbgöttin. Zusammen machen sie sich auf nach Camp Half-Blood, doch dort lauern weitere Gefahren. Und noch dazu funktioniert das Orakel von Delphi nicht mehr, denn es ist immer noch von Apollos altem Feind Python besetzt …

Neue Abenteuer aus der Welt der Götter, und auch mit Percy Jackson gibt es ein Wiedersehen!

Wohin soll es gehen?

  Buch lesen

  Glossar

  Vita

 

Für die Muse Kalliope.

Das hier war schon längst überfällig. Bitte, tu mir nichts.

1

Angriff der Schläger!

Könnte ich, schlüg’ ich zurück

Sterblichkeit ist Mist

Mein Name ist Apollo. Ich war mal ein Gott.

In meinen viertausendsechshundertundzwölf Jahren habe ich vieles geleistet. Ich habe die Griechen mit der Pest geschlagen, als sie Troja belagerten. Ich habe den Baseballspieler Babe Ruth in den World Series von 1926 mit drei Home Runs gesegnet. Ich habe Britney Spears bei den MTV Video Music Awards von 2007 mit meinem Zorn überschüttet.

Aber in meinem ganzen unsterblichen Leben habe ich erst einmal eine Bruchlandung in einem Müllcontainer hingelegt.

Ich weiß nicht mal genau, wie das passieren konnte.

Ich kam zu mir, als ich schon fiel. Wolkenkratzer wirbelten in mein Blickfeld und wieder hinaus. Flammen strömten aus meinem Körper. Ich versuchte zu fliegen. Ich versuchte, mich in eine Wolke zu verwandeln oder mich quer durch die Welt zu teleportieren. Ich versuchte, hundert andere Dinge zu tun, die mir eigentlich leicht gelingen müssten, aber ich fiel immer nur weiter. Ich stürzte in eine enge Schlucht zwischen zwei Häusern und BAMM!

Gibt es etwas Traurigeres als das Geräusch, mit dem ein Gott auf einen Haufen Müllsäcke knallt?

Und dann lag ich stöhnend und zerschlagen in dem Container. Meine Nasenlöcher brannten vom Gestank ranziger Wurst und benutzter Windeln. Meine Rippen schienen gebrochen zu sein, obwohl das eigentlich gar nicht möglich war.

Meine Gedanken kochten vor Verwirrung, aber dann tauchte eine Erinnerung auf – die Stimme meines Vaters Zeus: DU BIST SCHULD. DU WIRST BESTRAFT!

Ich begriff, was mir passiert war, und schluchzte vor Verzweiflung auf.

Selbst für mich als Gott der Dichtkunst ist es schwer zu beschreiben, wie mir zumute war. Wie solltet ihr – als gewöhnliche Sterbliche – das verstehen? Stellt euch vor, euch werden die Kleider vom Leib gerissen und ihr werdet vor einer feixenden Menge mit einem Schlauch abgespritzt. Stellt euch vor, wie das eiskalte Wasser euren Mund und eure Lunge füllt, wie der Druck eure Haut aufplatzen lässt und eure Gelenke in Kitt verwandelt. Stellt euch vor, wie hilflos, beschämt, ganz und gar verletzlich ihr euch fühlt – öffentlich und brutal um alles beraubt, was euch zu euch macht. Meine Erniedrigung war noch schlimmer.

DEINE SCHULD! Die Stimme des Zeus hallte in meinem Kopf wider.

»Nein!«, schrie ich verzweifelt. »Nein, so war das nicht. Bitte!«

Niemand antwortete. Zu beiden Seiten führten rostige Feuerleitern im Zickzack die Mauern hoch. Der Winterhimmel darüber war grau und erbarmungslos.

Ich versuchte, mich an die Einzelheiten meiner Strafe zu erinnern. Hatte mein Vater mir gesagt, wie lange sie dauern würde? Was konnte ich tun, um von ihm in Gnaden wieder aufgenommen zu werden?

Meine Erinnerung war zu verschwommen. Ich wusste kaum noch, wie Zeus aussah, geschweige denn, warum er beschlossen hatte, mich auf die Erde zu schleudern. Es hatte einen Krieg gegen die Riesen gegeben, das wusste ich noch. Die Götter waren kalt erwischt worden, beschämt, fast besiegt.

Nur einer Sache war ich mir sicher: Meine Bestrafung war unfair. Zeus brauchte einen Sündenbock, und da hatte er sich natürlich den schönsten, begabtesten, beliebtesten Gott des ganzen Olymp ausgesucht: mich.

Ich lag im Müll und starrte die Plakette an, die im Deckel des Containers befestigt war: FÜR ABHOLUNG – ANRUF GENÜGT. 1–555-STINKY.

Zeus wird sich die Sache noch mal überlegen, sagte ich mir. Er will mir nur Angst machen. Nicht mehr lange, dann holt er mich zurück auf den Olymp und lässt mich mit dem Schrecken davonkommen.

»Ja«, meine Stimme klang hohl und verzweifelt. »Ja, so wird es sein.«

Ich versuchte, mich zu bewegen. Ich wollte aufrecht stehen, wenn Zeus kam, um sich zu entschuldigen. Meine Rippen pochten vor Schmerz. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich packte den Rand des Containers und schaffte es, mich auf die andere Seite zu ziehen. Ich kippte heraus und landete auf der Schulter, was auf dem Asphalt ein knackendes Geräusch verursachte.

»Araggeeddeeee«, flüsterte ich durch den Schmerz. »Aufstehen. Aufstehen!«

Es war nicht leicht, auf die Füße zu kommen. In meinem Kopf drehte sich alles. Vor Anstrengung hätte ich fast das Bewusstsein verloren. Ich stand in einer schmalen Sackgasse. An die fünfzehn Meter weiter sah ich einen Durchgang auf eine Straße, flankiert von den verdreckten Ladenfenstern eines Kautionsvermittlers und eines Pfandleihers. Ich befand mich irgendwo auf der Westseite von Manhattan, tippte ich, oder vielleicht in Crown Heights in Brooklyn. Zeus war zweifellos richtig wütend auf mich.

Ich sah mir meinen neuen Körper an. Ich war offenbar ein weißer Teenager und trug Turnschuhe, blaue Jeans und ein grünes Polohemd. Wie total öde. Mir war schlecht und ich kam mir schwach und durch und durch menschlich vor.

Ich werde nie begreifen, wie ihr Sterblichen das aushaltet. Euer ganzes Leben lang seid ihr in einem Sack aus Fleisch gefangen und könnt keine einfachen Freuden genießen, wie zum Beispiel euch in einen Kolibri zu verwandeln oder in pures Licht aufzulösen.

Und jetzt, die Himmel sollen mir helfen, war ich einer von euch – auch so ein Fleischsack.

Ich wühlte in meinen Hosentaschen, in der Hoffnung, dass ich die Schlüssel meines Sonnenwagens noch hätte. Aber so viel Glück hatte ich nicht. Ich fand eine billige Nylonbrieftasche, die hundert US-Dollar enthielt – dazu ein Führerschein des Staates New York mit dem Foto eines dämlich aussehenden lockigen Typen, der unmöglich ich sein konnte und den Namen Lester Papadopoulos trug. Die Grausamkeit des Zeus kannte keine Grenzen!

Ich holte tief Atem. Nicht verzweifeln, sagte ich mir. Irgendwelche göttlichen Fähigkeiten muss ich behalten haben. Es könnte schlimmer sein.

Eine raue Stimme rief: »He, Cade, kuck dir mal den Versager da an!«

Zwei junge Männer versperrten den Ausgang der Gasse: einer untersetzt und platinblond, der andere groß und rothaarig. Beide trugen übergroße Kapuzenpullover und Schlackerhosen. Schlangentattoos bedeckten ihre Hälse. Ihnen fehlte nur noch die Aufschrift ICH BIN EIN SCHLÄGER auf der Stirn.

Der Rothaarige starrte die Brieftasche in meiner Hand an. »Sei nett zu ihm, Mikey. Der Typ sieht doch freundlich aus.« Er grinste und zog ein großes Jagdmesser aus dem Gürtel. »Ich wette sogar, der will uns all seine Kohle geben.«

Was dann passierte, kann ich nur meiner Verwirrung zuschreiben.

Ich wusste, dass mir meine Unsterblichkeit genommen worden war, aber ich hielt mich noch immer für den mächtigen Apollo. Man kann sein Denken nicht so leicht ändern, wie man sich zum Beispiel in einen Schneeleoparden verwandelt.

Und wenn Zeus mich früher mal zur Strafe sterblich gemacht hatte (ja, das war schon zweimal passiert), hatte ich gewaltige Kraft und zumindest einige meiner göttlichen Fähigkeiten behalten. Ich ging davon aus, dass es jetzt wieder so wäre.

Ich würde nicht zulassen, dass zwei junge sterbliche Schläger sich die Brieftasche von Lester Papadopoulos krallten.

Ich richtete mich auf, in der Hoffnung, dass Cade und Mikey von meiner königlichen Haltung und meiner göttlichen Schönheit beeindruckt sein würden. (Diese Eigenschaften konnten mir ganz sicher nicht genommen worden sein, egal, wie das Foto in meinem Führerschein aussehen mochte.) Ich achtete nicht auf den warmen Müllsaft, der meinen Hals hinunterrann.

»Ich bin Apollo«, verkündete ich. »Ihr Sterblichen habt drei Möglichkeiten: mir Tribut zu zollen, zu fliehen oder vernichtet zu werden.«

Ich wollte, dass meine Worte in der Gasse widerhallten, dass sie die Türme von New York zum Beben brachten und dass sie rauchende Vernichtung vom Himmel regnen ließen. Nichts davon passierte. Bei dem Wort »vernichtet« kippte meine Stimme und wurde zu einem Quietschen.

Der rothaarige Cade grinste noch breiter. Ich dachte, wie lustig es wäre, wenn ich die Schlangentattoos um seinen Hals zum Leben erwecken und ihn damit erwürgen könnte.

»Was meinst du, Mikey?«, fragte er seinen Freund. »Sollten wir dem Kerl Tribut zollen?«

Mikey runzelte die Stirn. Mit seinen struppigen blonden Haaren, seinen grausamen kleinen Augen und seiner dicklichen Gestalt erinnerte er mich an das monströse Schwein, das in den guten alten Zeiten das Dorf Krommyon terrorisiert hatte.

»Keinen Bock auf Tribut, Cade.« Seine Stimme klang, als ob er brennende Zigaretten gegessen hätte. »Was waren noch mal die anderen Möglichkeiten?«

»Fliehen?«, schlug Cade vor.

»Nö«, sagte Mikey.

»Vernichtet werden?«

Mikey schnaubte. »Wie wärs denn, wenn wir stattdessen den da vernichten?«

Cade ließ sein Messer in der Luft herumwirbeln und fing es am Griff wieder auf. »Damit kann ich leben. Du zuerst.«

Ich ließ die Brieftasche in meine Gesäßtasche rutschen und hob die Fäuste. Der Gedanke, Sterbliche zu platten Waffeln zu hauen, gefiel mir zwar nicht, aber ich war sicher, dass ich es schaffen könnte. Sogar in meinem geschwächten Zustand würde ich viel stärker sein als irgendein Mensch.

»Ich hab euch gewarnt«, sagte ich. »Meine Kräfte sind größer, als euer Verstand erfassen kann.«

Mikey ließ seine Fingerknöchel knacken. »Eieiei.«

Er kam auf mich zugetrottet.

Sowie er in Reichweite war, schlug ich zu. Ich legte meine ganze Wut in diesen einen Schlag. Das hätte ausreichen müssen, um Mikey in Dampf aufgehen zu lassen und einen schlägerförmigen Abdruck auf dem Asphalt zu hinterlassen.

Stattdessen wich er aus, was mich ganz schön nervte.

Ich stolperte vorwärts. Ich muss sagen, als Prometheus euch Sterbliche aus Lehm geformt hat, hat er ziemlich schlampige Arbeit geleistet. Sterbliche Beine sind schwerfällig. Ich versuchte, das auszugleichen, meine grenzenlosen Reserven an Beweglichkeit zu aktivieren, aber Mikey versetzte mir einen Tritt in den Rücken. Ich knallte auf mein göttliches Gesicht.

Meine Nasenlöcher blähten sich wie Airbags. Meine Ohren schienen zu platzen. Mein Mund füllte sich mit dem Geschmack von Kupfer. Ich wälzte mich auf den Rücken, stöhnte und sah verschwommen die beiden Schläger, die auf mich herunterglotzten.

»Mikey«, sagte Cade. »Erfasst du irgendwas von der Kraft dieses Typen?«

»Nö«, sagte Mikey, »ich erfasse rein gar nix.«

»Ihr Toren!«, krächzte ich. »Ich werde euch vernichten!«

»Klar doch«, Cade ließ sein Messer fallen. »Aber erst mal wollen wir dich zertreten.«

Cade hob den Stiefel über meinem Gesicht und die Welt wurde schwarz.

2

Ein kleines Mädchen

macht meine Schande komplett

Blöde Bananen

Seit meinem Gitarrenduell gegen Chuck Berry 1957 war ich nicht mehr so übel fertiggemacht worden.

Als Cade und Mikey auf mich eintraten, rollte ich mich zu einer Kugel zusammen und versuchte, meine Rippen und meinen Kopf zu schützen. Der Schmerz war unerträglich. Ich würgte und zitterte, wurde bewusstlos und kam wieder zu mir, und vor meinen Augen flimmerten rote Flecken. Als meine Angreifer es satthatten, mich zu treten, schlugen sie mir einen Müllsack auf den Kopf, der platzte und mich mit Kaffeesatz und schimmeligen Obstschalen bedeckte.

Endlich traten sie keuchend zurück. Grobe Hände tasteten mich ab und nahmen mir meine Brieftasche weg.

»Sieh an«, sagte Cade. »Ein bisschen Kohle und ein Führerschein für … Lester Papadopoulos.«

Mikey lachte. »Lester? Das ist ja noch schlimmer als Apollo!«

Ich berührte meine Nase, die sich so anfühlte wie eine Luftmatratze und auch ungefähr so groß war. Als ich meine Finger zurückzog, glänzten sie rot.

»Blut«, murmelte ich. »Das kann doch nicht sein.«

»Das kann sehr wohl sein, Lester.« Cade hockte sich neben mich. »Und in deiner nahen Zukunft könnte es noch mehr Blut geben. Möchtest du erklären, wieso du keine Kreditkarte hast? Und kein Handy? Ich mag ja gar nicht daran denken, dass wir uns für hundert Kröten so verausgabt haben.«

Ich starrte das Blut auf meinen Fingerspitzen an. Ich war ein Gott. Ich hatte gar kein Blut. Wenn ich bisher sterblich gewesen war, war doch weiterhin goldener Ichor durch meine Adern geflossen. Ich war noch nie so … umgewandelt gewesen. Es musste ein Versehen sein. Ein Trick. Irgendetwas.

Ich versuchte mich aufzusetzen.

Meine Hand traf auf eine Bananenschale und ich kippte wieder um. Meine Angreifer heulten vor Begeisterung.

»Ich liebe den Kerl!«, sagte Mikey.

»Ja, aber der Boss hat uns gesagt, er hätte volle Taschen«, beschwerte sich Cade.

»Boss …«, murmelte ich. »Boss?«

»Genau, Lester.« Cade schnippte mit einem Finger gegen meinen Kopf. »Geh in die Gasse, hat der Boss zu uns gesagt. Leichte Nummer. Er hat gesagt, wir sollten dich zusammenschlagen und dir alles wegnehmen, was du hast. Aber das hier«, er schwenkte die Dollars unter meiner Nase, »ist nicht gerade eine tolle Lohntüte.«

Trotz meiner Notlage verspürte ich plötzlich eine gewisse Hoffnung. Wenn diese Schläger auf mich angesetzt worden waren, dann musste ihr »Boss« ein Gott sein. Kein Sterblicher hätte wissen können, dass ich gerade hier auf die Erde fallen würde. Vielleicht waren auch Cade und Mikey keine Menschen. Vielleicht waren sie raffiniert getarnte Monster oder Geister. Das würde immerhin erklären, warum sie mich so leicht besiegt hatten.

»Wer … Wer ist euer Boss?« Ich kam mühsam auf die Beine und Kaffeesatz rieselte von meinen Schultern. Mir war so schwindlig, als wäre ich zu dicht an den Ausdünstungen des Urchaos vorbeigeflogen, aber ich weigerte mich, mich demütigen zu lassen. »Hat Zeus euch geschickt? Oder vielleicht Ares? Ich verlange eine Audienz.«

Mikey und Cade tauschten einen Blick, wie um zu fragen: Kannst du fassen, dass dieser Typ echt ist?

Cade hob sein Messer auf. »Anspielungen kapierst du wohl nicht, oder, Lester?«

Mikey zog seinen Gürtel ab – eine Fahrradkette – und wickelte ihn um seine Faust.

Ich beschloss, sie in die Unterwerfung zu singen. Meiner Faust hatten sie vielleicht widerstehen können, aber kein Sterblicher war meiner goldenen Stimme gewachsen. Ich versuchte, mich zwischen »You send me« und der Eigenkomposition »Ich bin dein Gott der Poesie, Baby« zu entscheiden, als eine Stimme schrie: »HEY!«

Die Schlägertypen fuhren herum. Über uns, am Ende einer Feuerleiter im zweiten Stock, stand ein Mädchen von vielleicht zwölf Jahren. »Lasst ihn in Ruhe«, befahl sie.

Mein erster Gedanke war, dass Artemis mir zu Hilfe gekommen war. Meine Schwester trat oft als Zwölfjährige auf, aus Gründen, die ich nie richtig begriffen hatte. Aber irgendwas sagte mir, dass sie es nicht war.

Das Mädchen auf der Feuerleiter war nicht gerade furchterregend. Sie war klein und rundlich, ihre dunklen Haare waren zu einer schlampigen Pagenfrisur geschnitten und sie trug eine schmetterlingsförmige schwarze Brille, die am Rand mit Strass besetzt war. Trotz der Kälte hatte sie keinen Mantel an. Ihre Kleidung sah aus wie von einem Kindergartenkind zusammengestellt – rote Turnschuhe, gelbe Strumpfhose und ein grüner Trägerrock. Vielleicht war sie unterwegs zu einem Kostümfest und ging als Ampel.

Trotzdem … in ihrem Gesichtsausdruck lag etwas Wildes. Sie hatte das gleiche starrköpfige Stirnrunzeln wie meine alte Freundin Kyrene, wenn sie mit Löwen rang.

Mikey und Cade wirkten nicht sonderlich beeindruckt.

»Verzieh dich, Kleine«, sagte Mikey zu ihr.

Das Mädchen stampfte mit dem Fuß auf, und die Feuerleiter bebte. »Meine Gasse, meine Regeln!« Ihre gebieterische nasale Stimme ließ sie klingen, als wollte sie Sandkastenkumpels zu einem Rollenspiel überreden. »Alles, was der Versager da hat, gehört mir, auch sein Geld.«

»Warum nennen mich hier alle Versager?«, fragte ich mit schwacher Stimme. Ich fand das total unfair, auch wenn ich zerschlagen und von Müll bedeckt war, aber niemand achtete auch nur im Geringsten auf mich.

Cade starrte das Mädchen wütend an. Die rote Farbe seiner Haare schien in sein Gesicht zu sickern. »Du machst wohl Witze. Verschwinde, du Göre.« Er hob einen verfaulten Apfel auf und warf damit nach ihr.

Das Mädchen zuckte nicht mit der Wimper. Der Apfel landete zu ihren Füßen, ohne irgendwelchen Schaden angerichtet zu haben.

»Du willst mit dem Essen spielen?« Sie wischte sich die Nase. »Okay.«

Ich sah nicht, wie sie gegen den Apfel trat, aber er flog mit tödlicher Genauigkeit zurück und traf Cade auf der Nase. Cade kippte auf seinen Hintern.

Mikey fauchte. Er marschierte auf die Feuerleiter zu, aber eine Bananenschale schien in seinen Weg zu gleiten. Er rutschte aus und knallte auf den Boden. »AUUUU!«

Ich wich vor den gefallenen Schlägern zurück und fragte mich, ob ich losrennen sollte, aber ich konnte nur mit Mühe humpeln. Außerdem wollte ich nicht mit gammeligem Obst angegriffen werden.

Das Mädchen kletterte über das Geländer, ließ sich mit überraschender Geschicklichkeit zu Boden fallen und zog einen Müllsack aus dem Container.

»Halt!« Cade versuchte, in einer Art schlingerndem Krebsgang von dem Mädchen wegzukommen. »Lass uns darüber reden.«

Mikey stöhnte und drehte sich auf den Rücken.

Das Mädchen machte einen Schmollmund. Ihre Lippen waren rissig und in den Mundwinkeln hatte sie schwarze Fussel.

»Ich mag euch nicht«, sagte sie. »Ihr geht jetzt besser.«

»Klar!«, sagte Cade. »Sofort. Nur …«

Er griff nach dem im Kaffeesatz verstreuten Geld.

Das Mädchen schwang den Müllsack. Der Sack platzte mitten in der Luft und setzte eine unvorstellbare Menge von verfaulten Bananen frei, die Cade zu Boden schlugen. Mikey war dermaßen von klebrigen Schalen bedeckt, dass er aussah, als wäre er von fleischfressenden Seesternen überfallen worden.

»Raus aus meiner Gasse«, sagte das Mädchen. »Sofort.«

Im Container barsten weitere Müllsäcke wie Popcorn in der Pfanne und überschütteten Cade und Mikey mit Rettichen, Kartoffelschalen und anderem angehenden Kompost. Wundersamerweise blieb ich davon verschont. Trotz ihrer Verletzungen kamen die beiden Schläger sehr rasch auf die Beine und stürzten schreiend davon.

Ich drehte mich zu meiner Miniatur-Retterin um. Ich kannte mich mit gefährlichen Frauen durchaus aus: Meine Schwester konnte tödliche Pfeile regnen lassen. Meine Stiefmutter Hera trieb in regelmäßigen Abständen Sterbliche dermaßen in den Wahnsinn, dass sie sich gegenseitig in Stücke hauten. Aber diese müllschwenkende Zwölfjährige machte mich nervös.

»Danke«, sagte ich vorsichtig.

Das Mädchen verschränkte die Arme. An ihren Mittelfingern trug sie identische Goldringe mit Halbmondmustern. Ihre Augen glitzerten düster wie die von Krähen (ich darf diesen Vergleich ziehen, weil ich die Krähen erfunden habe).

»Bedank dich nicht bei mir«, sagte sie. »Du bist noch immer in meiner Gasse.«

Sie drehte einen Kreis um mich und musterte mich von Kopf bis Fuß, als wäre ich eine Kuh auf einer Ausstellung. (Auch diesen Vergleich darf ich ziehen, weil ich früher Preiskühe gesammelt habe.)

»Du bist der Gott Apollo?« Sie klang alles andere als bewundernd. Sie zeigte auch keine Ehrfurcht angesichts eines Gottes, der unter den Sterblichen wandelte.

»Du hast also zugehört?«

Sie nickte. »Du siehst nicht aus wie ein Gott.«

»Ich bin nicht in Bestform«, gab ich zu. »Mein Vater, Zeus, hat mich vom Olymp verbannt. Und wer bist du?«

Sie roch ein wenig nach Apfelkuchen, was mich überraschte, da sie so schmutzig aussah. Ein Teil von mir wünschte sich ein sauberes Handtuch, um ihr Gesicht zu säubern und ihr dann das Geld für eine warme Mahlzeit zu geben. Ein anderer Teil von mir wollte sie mit einem Stuhl abwehren, für den Fall, dass sie versuchte, mich zu beißen. Sie erinnerte mich an die Streuner, die meine Schwester immer adoptierte, Hunde, Panther, heimatlose Jungfrauen, kleine Drachen.

»Ich heiße Meg«, sagte sie.

»Abkürzung von Megara? Oder Margaret?«

»Margaret. Aber nenn mich ja nicht Margaret.«

»Und, bist du eine Halbgöttin, Margaret?«

Sie schob die Brille höher. »Wie kommst du denn auf die Idee?«

Auch diese Frage schien sie nicht weiter zu überraschen. Ich hatte das Gefühl, dass sie den Begriff »Halbgöttin« nicht zum ersten Mal hörte.

»Na ja«, sagte ich. »Du besitzt ja offenbar eine gewisse Kraft. Du hast diese Hools mit faulem Obst vertrieben. Vielleicht beherrschst du Bananenkinese? Oder du kannst Müll dirigieren? Ich kannte einmal eine römische Göttin, Cloacina, die über das Abwassersystem ihrer Stadt herrschte. Vielleicht bist du verwandt …«

Meg verzog den Mund. Ich hatte das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, was.

»Ich glaube, ich nehme einfach dein Geld«, sagte Meg. »Na los. Hau ab.«

»Nein, warte!« Verzweiflung stahl sich in meine Stimme. »Bitte, ich … ich brauche vielleicht ein bisschen Hilfe.«

Ich kam mir natürlich lächerlich vor. Ich – der Gott von Weissagung, Pest, Bogenschießen, Heilkunst, Musik und vielen anderen Dingen, die mir gerade nicht einfielen – bat eine knallbunt gekleidete Straßengöre um Hilfe. Aber ich hatte sonst niemanden. Wenn diese Kleine beschloss, mein Geld zu nehmen und mich mit einem Tritt in die grausamen winterlichen Straßen zu befördern, würde ich sie wohl nicht daran hindern können.

»Angenommen, ich glaube dir …« Megs Stimme ging in eine Art Sprechgesang über, als wollte sie Spielregeln verkünden: Ich bin die Prinzessin und du das Küchenmädchen. »Angenommen, ich will dir helfen. Was dann?«

Gute Frage, dachte ich. »Wir … wir sind in Manhattan?«

»Mm-hmm.« Sie wirbelte herum und machte einen Hüpfer wie beim Seilspringen. »Hell’s Kitchen.«

Es kam mir nicht richtig vor, dass ein Kind »Hell’s Kitchen« sagte. Aber es kam mir auch nicht richtig vor, dass ein Kind in einer Gasse lebte und Müllkämpfe mit Schlägern ausfocht.

Ich überlegte, ob ich zum Empire State Building gehen sollte. Das war das moderne Tor zum Olymp, aber ich bezweifelte, dass die Türsteher mich zum geheimen sechshundertsten Stock hochlassen würden. So leicht würde Zeus mir die Sache nicht machen.

Vielleicht könnte ich meinen alten Freund, den Zentauren Chiron, finden. Er hatte auf Long Island ein Trainingscamp und könnte mir Unterkunft und guten Rat bieten. Aber es würde eine gefährliche Reise sein. Ein wehrloser Gott ist eine verlockende Zielscheibe. Jedes Monster unterwegs würde mich mit Freuden zerlegen. Auch eifersüchtige Geister und zweit- und drittrangige Gottheiten würden die Gelegenheit willkommen heißen. Dann war da noch der geheimnisvolle »Boss« von Cade und Mikey. Ich hatte keine Ahnung, wer er war oder ob er noch andere, schlimmere Jünger hätte, die er auf mich hetzen könnte.

Selbst wenn ich es nach Long Island schaffte, würden meine neuen, sterblichen Augen Chirons Camp in seinem mit Magie getarnten Tal vielleicht gar nicht finden. Ich brauchte jemanden, der mich hinführte – jemanden mit Erfahrung, jemanden, der in der Nähe war …

»Ich habe eine Idee.« Ich richtete mich so gerade auf, wie meine Verletzungen es erlaubten. Es war nicht leicht, mit einer blutigen Nase und vor Kaffeesatz triefenden Kleidern zuversichtlich auszusehen. »Ich kenne jemanden, der mir vielleicht hilft. Er wohnt in der Upper East Side. Bring mich zu ihm, und ich werde dich belohnen.«

Meg stieß eine Mischung von Niesen und Lachen aus. »Womit denn belohnen?« Sie tanzte herum und fischte einen Zwanzig-Dollar-Schein aus dem Abfall. »Ich nehm mir ja schon dein ganzes Geld.«

»He!«

Sie warf mir meine Brieftasche zu, die jetzt leer war, bis auf den Führerschein von Lester Papadopoulos.

Meg sang: »Ich hab dein Ge-held, ich hab dein Ge-held!«

Ich unterdrückte ein Knurren. »Hör mal, Kind. Ich werde nicht ewig sterblich sein. Eines Tages werde ich wieder zum Gott. Dann werde ich die belohnen, die mir geholfen haben – und die bestrafen, die das nicht getan haben.«

Sie stemmte die Hände in die Seiten. »Und woher willst du wissen, was passieren wird? Warst du denn schon mal sterblich?«

»Ja, allerdings. Zweimal! Und beide Male hat meine Strafe höchstens ein paar Jahre gedauert.«

»Ach ja? Und wie hast du’s geschafft, dann wieder gottig zu werden?«

»Gottig ist kein Wort«, teilte ich ihr mit, obwohl meine poetischen Instinkte bereits überlegten, wie ich es verwenden könnte. »Normalerweise verlangt Zeus, dass ich der Sklave irgendeines wichtigen Halbgottes bin. Wie dieser Typ, den ich eben erwähnt habe. Er wäre perfekt! Ich werde einige Jahre lang alles tun, was mein neuer Herr von mir verlangt. Wenn ich mich brav verhalte, darf ich auf den Olymp zurückkehren. Aber erst muss ich wieder zu Kräften kommen und herausfinden …«

»Woher weißt du denn, welcher Halbgott?«

Ich blinzelte. »Was?«

»Welchem Halbgott du dienen sollst, du Blödmann.«

»Ich … äh. Na ja, meistens ist das ganz klar. Ich laufe denen einfach so über den Weg. Deshalb will ich doch in die Upper East Side. Mein neuer Herr wird mich in seine Dienste nehmen und …«

»Ich bin Meg McCaffrey!«, Meg machte einen Lippenfurz. »Und ich nehme dich in meine Dienste!«

Über uns grollte Donner am grauen Himmel. Das Grollen hallte in den Straßenschluchten wider wie göttliches Gelächter.

Was immer von meinem Stolz noch übrig war, verwandelte sich in Eiswasser und sickerte in meine Socken. »Ich bin voll reingefallen, was?«

»Jepp.« Meg hüpfte in ihren roten Turnschuhen auf und ab. »Das wird lustig.«

Mit großer Mühe unterdrückte ich den Drang zu weinen. »Bist du sicher, dass du nicht Artemis in Verkleidung bist?«

»Ich bin dieses andere«, sagte Meg und zählte mein Geld. »Das, was du eben gesagt hast. Halbgöttin.«

»Woher weißt du das?«

»Weiß ich eben.« Sie lächelte selbstzufrieden. »Und jetzt hab ich einen Hilfsgott namens Lester!«

Ich hob mein Gesicht zum Himmel. »Bitte, Vater, ich hab es ja verstanden. Bitte. Ich kann das nicht!«

Zeus gab keine Antwort. Er war vermutlich damit beschäftigt, meine Erniedrigung zu filmen und auf Snapchat hochzuladen.

»Nur Mut«, sagte Meg zu mir. »Wer ist denn dieser Typ, den du sprechen willst – der Typ in der Upper East Side?«

»Noch ein Halbgott«, sagte ich. »Er weiß den Weg in ein Camp, wo ich vielleicht Schutz, guten Rat, Essen …«

»Essen?« Megs Ohren wurden fast so spitz wie die Enden ihrer Brillenfassung. »Gutes Essen?«

»Na ja, normalerweise ernähre ich mich nur von Ambrosia, aber ich glaube schon.«

»Dann ist das mein erster Befehl. Wir gehen zu diesem Typen, damit er uns zu dem Camp führt.«

Ich seufzte verzweifelt. Es würde eine sehr lange Knechtschaft werden.

»Dein Wunsch sei mir Befehl«, sagte ich. »Auf zu Percy Jackson.«

3

Einst war ich gottig

Jetzt fühl ich mich so grottig

Ein Haiku mit Reim!

Während wir die Madison Avenue hochwanderten, wirbelten mir jede Menge Fragen durch den Kopf: Warum hatte Zeus mir keinen Wintermantel mitgegeben? Warum wohnte Percy Jackson am anderen Ende der Stadt? Warum starrten mich dauernd irgendwelche Fußgänger an?

Ich fragte mich, ob meine göttliche Strahlkraft zurückkehrte. Vielleicht waren die Leute in New York beeindruckt von meiner offenkundigen Stärke und meinem überirdisch guten Aussehen.

Meg McCaffrey riss mich aus diesen Illusionen.

»Du stinkst«, sagte sie. »Du siehst aus, als wärst du gerade überfallen worden.«

»Ich bin ja auch überfallen worden. Und bei einem kleinen Kind in Sklaverei geraten.«

»Sklaverei ist ja wohl übertrieben.« Sie knabberte an ihrem Daumen ein Stück Nagelhaut ab und spuckte es aus. »Das ist eher eine Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen.«

»Gegenseitig insofern, dass du Befehle erteilst und ich zur Zusammenarbeit gezwungen bin?«

»Jepp.« Sie blieb vor einem Schaufenster stehen. »Guck mal, du siehst doch krass aus.«

Mein Spiegelbild starrte mich an, nur war es nicht mein Spiegelbild. Es konnte nicht mein Spiegelbild sein. Es war dasselbe Gesicht wie im Führerschein von Lester Papadopoulos.

Ich sah aus wie ungefähr sechzehn. Meine halblangen Haare waren dunkel und lockig – ein Stil, mit dem ich in den alten Zeiten in Athen und später noch mal um 1970 Furore gemacht hatte. Meine Augen waren blau. Mein Gesicht sah auf eine etwas unterbelichtete Weise gar nicht schlecht aus, aber es wurde entstellt von einer geschwollenen, auberginenfarbenen Nase, die einen grauenhaften Schnurrbart aus Blut auf meine Oberlippe getropft hatte. Und schlimmer noch, meine Wangen waren bedeckt von etwas, das verdächtig aussah wie … mir schlug das Herz bis in den Hals.

»Horror!«, schrie ich. »Ist das – ist das etwa Akne?«

Unsterbliche Götter kriegen keine Akne. Das ist eines unserer unveräußerlichen Rechte. Doch als ich mich weiter zu der Glasscheibe vorbeugte, sah ich, dass meine Haut wirklich eine narbige Landschaft aus Eiterpusteln und Pickeln war.

Ich ballte die Fäuste und heulte zum grausamen Himmel hoch: »Zeus, womit hab ich das verdient?«

Meg zupfte an meinem Ärmel. »Wenn du hier weiter so rumbrüllst, kommt noch die Polizei!«

»Was macht das schon? Ich bin zum Teenager geworden, und nicht mal zu einem mit makelloser Haut! Ich wette, ich habe nicht mal mehr …« Mit einem kalten Gefühl des Entsetzens hob ich mein Hemd. Mein Bauch war bedeckt von einem Blumenmuster aus blauen Flecken, von meinem Sturz in den Container und danach den Tritten. Aber schlimmer noch, ich hatte Speckwülste!

»Oh nein, nein, nein!« Ich taumelte über den Bürgersteig und hoffte, dass die Speckwülste mir nicht folgen würden. »Wo ist mein Waschbrettbauch geblieben? Ich hatte immer einen Waschbrettbauch. Ich hatte nie einen Rettungsring! In viertausend Jahren nicht!«

Meg stieß wieder ein schnaubendes Lachen aus. »Pssst, Jammerlappen, du bist in Ordnung so.«

»Ich bin fett!«

»Du bist einfach Durchschnitt. Durchschnittsleute haben keinen Waschbrettbauch. Komm schon.«

Ich wollte widersprechen, ich sei weder Durchschnitt noch gehörte ich zu den Leuten, aber mit wachsender Verzweiflung ging mir auf, dass diese Bezeichnung jetzt perfekt auf mich zutraf.

Auf der anderen Seite des Schaufensters tauchte das Gesicht eines Sicherheitsmannes auf und musterte mich stirnrunzelnd. Ich ließ mich von Meg weiter die Straße hochziehen.

Sie hüpfte voran und hielt ab und zu an, um eine Münze aufzulesen oder um eine Straßenlaterne zu kreiseln. Diesem Kind schienen das kalte Wetter, die gefährliche Reise, die vor uns lag, und die Tatsache, dass ich an Akne litt, nichts auszumachen.

»Wieso bist du so ruhig?«, fragte ich. »Du bist eine Halbgöttin, unterwegs mit einem Gott, auf dem Weg in ein Camp, wo du andere von deiner Art kennenlernen wirst. Überrascht dich denn das alles nicht?«

»Äh.« Sie faltete aus einem meiner Zwanzig-Dollar-Scheine einen Papierflieger. »Ich hab schon allerlei seltsamen Kram gesehen.«

Ich hätte sie gern gefragt, was denn seltsamer sein könnte als der Morgen, der hinter uns lag. Aber vielleicht würde ich dem Stress, das zu erfahren, nicht gewachsen sein. »Woher kommst du?«

»Hab ich dir doch gesagt. Aus der Gasse.«

»Nein, ich meine … wo sind deine Eltern? Verwandte? Freunde?«

Für einen kurzen Moment schien sie sich nicht wohl in ihrer Haut zu fühlen. Sie widmete ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Zwanzig-Dollar-Flieger. »Ist nicht so wichtig.«

Meine überaus hoch entwickelte Menschenkenntnis sagte mir, dass sie etwas verbarg, aber bei Halbgöttern war das ziemlich normal. Obwohl sie immerhin mit einem unsterblichen Elternteil gesegnet waren, waren sie seltsam empfindlich, wenn es um ihre Herkunft ging. »Und du hast nie von Camp Half-Blood gehört? Oder Camp Jupiter?«

»Nö.« Sie testete die Nase des Fliegers mit ihrer Fingerspitze. »Wie weit ist es noch bis zu Perry?«

»Percy. Ich bin nicht sicher. Noch ein paar Straßen weiter … glaube ich.«

Damit schien Meg sich zufriedenzugeben. Sie hüpfte wie bei Himmel und Hölle weiter, warf den Flieger und fing ihn wieder ein. Auf der Kreuzung mit der 72nd Street schlug sie ein paar Räder – ihre Kleider bildeten einen so leuchtenden Wirbel aus Ampelfarben, dass ich schon Angst hatte, die Autofahrer könnten in Verwirrung geraten und sie überfahren. Zum Glück waren die New Yorker Fahrer an herumwirbelnde, unachtsame Fußgänger gewöhnt.

Ich war jetzt sicher, dass Meg eine streunende Halbgöttin war. Die kamen selten vor, aber es gab sie. Sie hatte irgendwie überlebt, ohne ein Netzwerk, ohne von anderen Halbgöttern entdeckt oder zu einer richtigen Ausbildung geholt zu werden. Aber ihr Glück würde nicht von Dauer sein. Junge Helden wurden meistens erst mit dreizehn von Monstern gejagt und getötet, denn dann wurden ihre wahren Kräfte offenkundig. Meg blieb nicht mehr viel Zeit. Sie musste genauso dringend ins Camp Half-Blood gebracht werden wie ich. Es war ihr Glück, dass sie mir begegnet war.

(Ich weiß, diese letzte Aussage liegt eigentlich auf der Hand. Alle, die mir begegnen, können von Glück sagen, aber ihr wisst schon, was ich meine.)

Wenn ich mein übliches allwissendes Selbst gewesen wäre, hätte ich jetzt einen Blick in Megs Schicksal geworfen. Ich hätte in ihre Seele schauen und alles sehen können, was ich über ihre göttliche Abstammung, ihre Kräfte, ihre Motive und Geheimnisse wissen wollte.

Jetzt war ich für solche Dinge blind. Ich konnte nur deshalb sicher sein, dass sie Halbgöttin war, weil es ihr gelungen war, mich in ihren Dienst zu berufen. Zeus hatte ihr Recht mit einem Donnerschlag bestätigt. Ich spürte die Bindung wie ein Hemd aus dicht gewickelten Bananenschalen. Wer immer Meg McCaffrey sein mochte, wie auch immer sie mich gefunden hatte, unsere Schicksale waren jetzt miteinander verschlungen.

Das war fast so peinlich wie die Akne.

Wir bogen auf der Eighty-Second Street nach Osten ab.

Als wir die Second Avenue erreichten, kam mir die Gegend vertrauter vor. Reihen von Wohnblocks, Haushaltswarenläden, Lebensmittelgeschäften und indischen Restaurants. Ich wusste, dass Percy Jackson hier irgendwo wohnte, aber von meinen Fahrten über den Himmel in meinem Sonnenwagen hatte ich eher eine Art Google-Earth-Orientierung. Ich war nicht daran gewöhnt, mich auf Straßenebene zurechtzufinden.

Und in meiner sterblichen Gestalt hatte mein makelloses Gedächtnis gewisse … Makel entwickelt. Sterbliche Ängste und Bedürfnisse vernebelten meine Gedanken. Ich wollte etwas zu essen. Ich wollte zur Toilette. Mein Körper tat weh. Meine Kleider stanken. Ich kam mir vor, als wäre mein Gehirn mit feuchter Watte ausgestopft worden. Ehrlich, wie könnt ihr Menschen das ertragen?

Nach einigen weiteren Blocks setzte ein Eisregen ein. Meg versuchte, die Mischung aus Regen und Hagel mit der Zunge aufzufangen, was ich für eine wenig wirkungsvolle Weise hielt, sich was zu trinken zu besorgen – zumal, wenn es schmutziges Wasser war. Ich zitterte und konzentrierte mich auf schöne Dinge: die Bahamas, die Neun Musen in perfekter Harmonie, die vielen furchtbaren Strafen, die ich für Cade und Mikey bereithalten wollte, wenn ich erst wieder ein Gott wäre.

Ich fragte mich noch immer, wer wohl ihr Boss war und woher er gewusst hatte, wo ich auf die Erde fallen würde. Kein Sterblicher hätte das wissen können. Je mehr ich darüber nachdachte, umso weniger konnte ich mir vorstellen, dass irgendein Gott (außer meiner Wenigkeit) die Zukunft so genau hätte voraussehen können. Ich war schließlich der Weissagungsmeister des Orakels von Delphi gewesen und hatte jahrtausendelang hochwertige Sneakpreviews des Schicksals geliefert.

Natürlich mangelte es mir nicht an Feinden. Eine der natürlichen Folgen davon, dass man einfach hinreißend ist, besteht darin, dass man überall Neid erregt. Aber ich konnte mir nur einen einzigen Widersacher vorstellen, der fähig wäre die Zukunft vorherzusagen. Und wenn der sich bei meinem geschwächten Zustand auf die Suche machte …

Ich unterdrückte diesen Gedanken. Ich hatte auch so schon Sorgen genug. Kein Sinn, mich mit Was-wäre-wenn zu Tode zu ängstigen.

Wir fingen an, die Nebenstraßen abzusuchen und uns die Namen an Briefkästen und Klingelleisten anzusehen. In der Upper East Side wohnten erstaunlich viele Jacksons. Das ärgerte mich.

Nach mehreren vergeblichen Versuchen bogen wir um eine Ecke, und dort – unter einer Kräuselmyrte – stand ein blauer Prius älteren Baujahrs. Die Motorhaube zeigte unverkennbare Spuren von Pegasushufen. (Wieso ich so sicher war? Ich kenne mich mit Hufspuren eben aus. Und normale Pferde galoppieren nicht über Toyotas. Pegasi tun das oft.)

»Aha«, sagte ich zu Meg. »Wir nähern uns.«

Einen halben Block weiter erkannte ich ein Haus. Ein fünf Stockwerke hohes Klinkergebäude mit verrosteten Belüftungsanlagen, die aus den Fenstern herabhingen. »Voilà«, rief ich.

Vor der Vordertreppe zuckte Meg zurück, als sei sie gegen eine unsichtbare Sperre gestoßen. Sie starrte zur Second Avenue und ihre dunklen Augen schauten besorgt.

»Was ist los?«, fragte ich.

»Dachte, ich hätte sie wieder gesehen.«

»Wen?« Ich schaute in dieselbe Richtung wie sie, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken. »Die Schläger aus der Gasse?«

»Nein. So eine Art …«, sie bewegte die Finger. »Leuchtende Blasen. Die waren auch schon vorhin in der Park Avenue.«

Mein Puls steigerte sich vom Andante zum lebhaften Allegretto. »Leuchtende Blasen? Warum hast du nichts gesagt?«

Sie tippte an die Seite ihrer Schmetterlingsbrille. »Ich habe schon ziemlich viel komische Sachen gesehen. Hab ich dir doch gesagt. Meistens ist mir das egal, aber …«

»Aber wenn sie uns folgen«, sagte ich, »dann ist das gar nicht gut.«

Ich sah mich wieder in der Straße um. Mir fiel nichts auf, aber ich bezweifelte nicht, dass Meg leuchtende Blasen gesehen hatte. Viele Geister konnten so erscheinen. Mein eigener Vater Zeus hatte einmal die Gestalt einer leuchtenden Blase angenommen, um eine Sterbliche zu umwerben. (Wieso die Sterbliche das attraktiv fand, weiß ich wirklich nicht.)

»Wir sollten ins Haus gehen«, sagte ich. »Percy Jackson wird uns helfen.«

Noch immer hielt Meg mich zurück. Sie hatte keine Angst gezeigt, als sie die Schläger in der Sackgasse mit faulem Obst beworfen hatte, aber jetzt schien sie nicht so recht zu wissen, ob sie wirklich an einer Tür klingeln wollte. Ich überlegte, ob ihr vielleicht doch schon Halbgötter begegnet waren. Vielleicht waren diese Begegnungen nicht so gut verlaufen.

»Meg«, sagte ich. »Mir ist schon klar, dass manche Halbgötter nicht gut sind. Ich könnte dir Geschichten von all denen erzählen, die ich töten oder in Gewächse verwandeln musste …«

»Gewächse?«

»Aber Percy Jackson war immer zuverlässig. Du hast nichts zu befürchten. Und außerdem mag er mich leiden. Ich habe ihm alles beigebracht, was er weiß.«

Sie runzelte die Stirn. »Echt?«

Ich fand ihre Unschuld irgendwie rührend. Es gab so viele selbstverständliche Dinge, die sie nicht wusste. »Natürlich. Und jetzt gehen wir hoch.«

Ich klingelte. Gleich darauf hörte ich die verzerrte Stimme einer Frau. »Ja?«

»Hallo«, sagte ich. »Hier ist Apollo.«

Rauschen.

»Der Gott Apollo«, sagte ich, weil ich dachte, ich müsste mich vielleicht klarer ausdrücken. »Ist Percy zu Hause?«

Noch mehr Rauschen, gefolgt von zwei Stimmen in gedämpftem Gespräch. Der Summer ertönte. Ich stieß die Tür auf. Ehe ich ins Haus ging, sah ich aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung. Ich schaute den Bürgersteig entlang, konnte aber wieder nichts entdecken.

Vielleicht war es ein Lichtreflex gewesen. Oder der Schneeregen. Oder vielleicht auch eine leuchtende Blase. Meine Kopfhaut prickelte Unheil verkündend.

»Was?«, fragte Meg.

»Vermutlich nichts.« Ich zwang mich, fröhlich zu klingen. Ich wollte nicht, dass Meg davonrannte, wo wir schon fast in Sicherheit waren. Wir waren jetzt aneinandergekettet. Ich würde ihr folgen müssen, wenn sie mir den Befehl erteilte, und ich hatte gar keine Lust, für immer mit ihr in der Müllgasse zu hausen. »Gehen wir hoch. Wir dürfen unsere Gastgeber doch nicht warten lassen.«

Nach allem, was ich für Percy Jackson getan hatte, hatte ich einen begeisterten Empfang erwartet. Ein tränenreiches Willkommen, ein paar Brandopfer und ein kleines Fest zu meinen Ehren wären nicht fehl am Platze gewesen.

Stattdessen riss der junge Mann die Wohnungstür auf und fragte: »Warum?«

Wie immer war ich betroffen von der Ähnlichkeit mit seinem Vater Poseidon. Er hatte die gleichen meergrünen Augen, die gleichen dunklen Strubbelhaare, die gleichen gut aussehenden Züge, die so schnell zwischen Munterkeit und Zorn wechseln konnten. Percy Jackson trug aber selten Strandshorts und Hawaiihemden, die Lieblingskleidung seines Vaters. Er war gekleidet in löchrige Jeans und einen blauen Kapuzenpullover mit der gestickten Aufschrift AHS SCHWIMMTEAM.

Meg wich zurück ins Treppenhaus und drückte sich hinter mich.

Ich versuchte ein Lächeln zustande zu bringen. »Percy Jackson, sei mir gesegnet. Ich brauche Hilfe.«

Percys Blicke wanderten von mir zu Meg weiter. »Wer ist deine Freundin?«

»Das ist Meg McCaffrey«, sagte ich. »Eine Halbgöttin, die ins Camp Half-Blood gebracht werden muss. Sie hat mich vor Straßenschlägern gerettet.«

»Gerettet …« Percy musterte mein zerschundenes Gesicht. »Soll das heißen, der Teenie nach einer Prügelei-Look ist nicht nur eine Tarnung? Mann, was ist dir denn passiert?«

»Ich dachte, ich hätte die Schläger schon erwähnt.«

»Aber du bist ein Gott.«

»Was das betrifft … ich war ein Gott.«

Percy blinzelte. »Du warst ein Gott?«

»Außerdem«, sagte ich, »bin ich ziemlich sicher, dass wir von boshaften Geistern verfolgt werden.«

Wenn ich nicht gewusst hätte, wie heiß Percy Jackson mich verehrte, hätte ich schwören können, dass er Lust hatte, mir noch einen auf meine ohnehin schon zerschlagene Nase zu geben.

Er seufzte. »Ihr solltet vielleicht besser reinkommen.«

4

Casa de Jackson

Kein goldener Gästethron

Ist das dein Ernst, Mann?

Auch das gehört zu den Dingen, die ich noch nie verstanden habe: Wie könnt ihr Sterblichen in so winzigen Wohnungen leben? Wo bleibt euer Stolz? Euer Gefühl für Stil?

Die Wohnung der Jacksons hatte keinen prachtvollen Thronsaal, keine Säulengänge, keine Terrassen oder Banketthallen und nicht mal ein Thermalbad. Es gab ein winziges Wohnzimmer mit einer angrenzenden Küche und einen einzigen Flur, der vermutlich zu den Schlafzimmern führte. Sie lag im fünften Stock, und wenn ich auch nicht so anspruchsvoll war, einen Fahrstuhl zu erwarten, so fand ich es doch seltsam, dass es keine Landebahn für fliegende Wagen gab. Was machten sie bloß, wenn Gäste vom Himmel her zu Besuch kamen?

In der Küche stand eine attraktive Frau von um die vierzig und bereitete einen Smoothie zu. Ihre langen braunen Haare wiesen einige graue Strähnen auf, aber ihre leuchtenden Augen, ihr Lächeln und ihr buntes Batikkleid ließen sie jünger wirken.

Als wir hereinkamen, schaltete sie den Mixer aus und trat hinter der Anrichte hervor.

»Heilige Sibylle!«, rief ich. »Gnädige Frau, mit Ihrer Mittelpartie stimmt etwas nicht!«

Die Frau blieb stehen, machte ein verdutztes Gesicht und schaute dann auf ihren stark geschwollenen Bauch hinunter. »Na ja, ich bin im achten Monat schwanger.«

Ich hätte ihretwegen weinen mögen. Ein solches Gewicht tragen zu müssen, kam mir nicht normal vor. Meine Schwester Artemis war eine fähige Hebamme, aber das war ein Bereich der Heilkunst, den ich lieber anderen überließ. »Wie können Sie das ertragen?«, fragte ich. »Meine Mutter Leto musste eine endlos lange Schwangerschaft durchstehen, weil Hera sie verflucht hatte. Sind Sie auch verflucht?«

Percy trat neben mich. »Äh, Apollo? Sie ist nicht verflucht. Und könntest du bitte Hera unerwähnt lassen?«

»Arme Frau«, ich schüttelte den Kopf. »Eine Göttin würde sich eine solche Belastung nie gefallen lassen. Sie würde gebären, wann es ihr passt.«

»Das muss schön sein«, sagte die Frau zustimmend.

Percy Jackson hustete. »Also, Mom, das ist Apollo mit seiner Freundin Meg. Leute, das ist meine Mom.«

Die Mutter des Jackson lächelte und schüttelte unsere Hände. »Nennt mich Sally.«

Sie kniff die Augen zusammen, als sie meine misshandelte Nase ansah. »Meine Güte, das muss doch wehtun. Was ist passiert?«

Ich versuchte eine Erklärung, aber die Wörter blieben mir im Hals stecken. Ich, der silberzüngige Gott der Dichtkunst, brachte es nicht über mich, dieser freundlichen Frau meinen Niedergang zu schildern.

Ich konnte verstehen, warum Poseidon sich so in sie verliebt hatte. Sally Jackson besaß genau die richtige Mischung aus Mitgefühl, Stärke und Schönheit. Sie war eine der seltenen sterblichen Frauen, die ebenbürtigen geistigen Kontakt zu einem Gott aufnehmen konnten – die weder Angst vor uns haben noch gierig nach den Möglichkeiten sind, die wir zu bieten haben, sondern die eine echte Gefährtin für uns sein können.

Wenn ich noch immer unsterblich gewesen wäre, hätte ich vielleicht selbst mit ihr geflirtet. Aber ich war jetzt ein sechzehn Jahre alter Junge. Meine sterbliche Gestalt beeinflusste meinen geistigen Zustand. Ich sah Sally Jackson als Mutter – eine Tatsache, die mich verwirrte und in Verlegenheit stürzte. Ich dachte daran, wie lange ich meine eigene Mutter schon nicht mehr besucht hatte. Ich sollte sie vielleicht mal zum Essen einladen, wenn ich erst wieder auf dem Olymp wäre.

»Ich mach euch einen Vorschlag«, Sally streichelte meine Schulter. »Percy kann dir helfen, deine Wunden zu verbinden und dich zu waschen.«

»Kann ich das?«, fragte Percy.

Sally hob mütterlich und ganz leicht die Augenbrauen. »Im Badezimmer gibt es einen Erste-Hilfe-Kasten, mein Schatz. Apollo kann duschen, und dann leihst du ihm etwas zum Anziehen. Ihr habt ja ungefähr die gleiche Größe.«

»Das«, sagte Percy, »ist wahrlich deprimierend.«

Sally legte Meg die Hand unters Kinn. Glücklicherweise biss Meg nicht zu. Sallys Miene blieb sanft und ermutigend, aber ich konnte die Sorge in ihren Augen sehen. Zweifellos dachte sie: Wer hat dieses arme Mädchen denn bloß wie eine Ampel angezogen?

»Ich hab ein paar Sachen, die dir passen müssten, Liebes«, sagte Sally. »Keine Schwangerschaftskleidung, natürlich. Jetzt wollen wir euch erst mal was Sauberes anziehen. Und dann kriegt ihr etwas zu essen.«

»Essen find ich gut«, murmelte Meg.

Sally lachte. »Na, dann haben wir immerhin eine Gemeinsamkeit. Percy, du gehst mit Apollo. Wir treffen uns dann wieder hier.«

Ich wurde in kürzester Frist geduscht, verbunden und in abgelegte Jacksonsachen gekleidet. Percy ließ mich dabei im Badezimmer allein und dafür war ich dankbar. Er bot mir Ambrosia und Nektar an – Speise und Trank der Götter –, um meine Wunden zu heilen, aber ich war nicht sicher, ob die mir in meinem sterblichen Zustand nicht schaden würden. Ich wollte mich nicht selbst entzünden, und deshalb blieb ich bei den sterblichen Erste-Hilfe-Maßnahmen.

Als ich fertig war, starrte ich im Badezimmerspiegel mein zerschundenes Gesicht an. Vielleicht hatte der Teenager-Frust meine Kleider durchtränkt, denn ich kam mir mehr denn je vor wie ein schlecht gelaunter Highschooljunge. Ich dachte daran, wie unfair es war, dass ich so schwer bestraft wurde, wie gemein mein Vater war und dass niemand in der Geschichte der Zeit jemals solche Probleme gehabt hatte wie ich.

Natürlich war das alles empirisch belegbar. Übertreibung war gar nicht nötig.

Immerhin schienen meine Wunden schneller zu verheilen als die von gewöhnlichen Sterblichen. Meine Nase war schon nicht mehr so geschwollen. Meine Rippen taten zwar noch weh, aber ich hatte nicht mehr das Gefühl, dass jemand in meiner Brust mit heißen Nadeln einen Pullover strickte.

Die Heilung zu beschleunigen war wirklich das Mindeste, was Zeus für mich tun konnte. Schließlich war ich der Gott der Heilkunst. Zeus wollte sicher nur, dass ich schneller wieder in Form kam, damit ich noch mehr Schmerzen ertragen könnte, aber ich war trotzdem dankbar.

Ich fragte mich, ob ich in Percy Jacksons Waschbecken ein kleines Feuer entfachen und vielleicht zum Dank ein wenig Verbandszeug verbrennen sollte, aber ich beschloss, dass das die Gastfreundschaft der Jacksons vielleicht überstrapazieren würde.

Ich sah mir das schwarze T-Shirt an, das Percy mir gegeben hatte. Vorne war das Logo von Led Zeppelin aufgedruckt: der geflügelte Ikarus, der vom Himmel stürzt. Mit Led Zeppelin hatte ich kein Problem. Ihre besten Songs waren von mir inspiriert. Aber ich hatte den nagenden Verdacht, dass Percy mir dieses T-Shirt als Witz gegeben hatte – der Sturz vom Himmel. Ja, ha, ha. Ich brauchte nicht der Gott der Dichtkunst zu sein, um die Metapher zu erkennen. Ich beschloss, die Sache nicht zu kommentieren. Diese Befriedigung gönnte ich ihm nicht.

Ich holte tief Atem. Dann hielt ich vor dem Spiegel meine übliche Motivationsrede: »Du bist wunderbar und die Leute lieben dich!«

Ich ging hinaus, um der Welt gegenüberzutreten.

Percy saß auf seinem Bett und starrte die Spur aus Blutstropfen an, die ich auf seinem Teppich hinterlassen hatte.

»Tut mir leid«, sagte ich.

Percy hob die Hände. »Ich hatte eigentlich gerade daran gedacht, wie ich zuletzt Nasenbluten hatte.«

»Oh …«

Die Erinnerung stellte sich ein, wenn auch vage und unvollständig. Athen. Die Akropolis. Wir Götter hatten Seite an Seite mit Percy Jackson und seinen Gefährten gekämpft. Wir hatten eine Armee aus Riesen besiegt, aber ein Tropfen von Percys Blut war auf die Erde gefallen und hatte die Erdmutter Gaia geweckt, die gar nicht gut gelaunt gewesen war.

Und dann hatte Zeus sich gegen mich gewandt. Er hatte mir vorgeworfen, die ganze Sache ausgelöst zu haben, nur weil Gaia einen meiner Nachkommen, einen gewissen Octavian, dazu gebracht hatte, die Camps der römischen und griechischen Halbgötter in einen Krieg zu treiben, der fast die menschliche Zivilisation ausgerottet hätte. Ich meine: Wieso sollte ich denn daran schuld gewesen sein?

Aber egal. Zeus hatte mich für Octavians Größenwahn verantwortlich gemacht. Zeus schien den Egoismus des Jungen für etwas zu halten, das er von mir geerbt hatte. Was doch lächerlich ist. Ich habe eine viel zu hohe Meinung von mir selbst, um egoistisch zu sein.

»Wo hast du dich denn die ganze Zeit rumgetrieben, Mann?« Percys Stimme riss mich aus meiner Träumerei. »Der Krieg hat im August geendet. Jetzt ist Januar.«

»Wirklich?« Ich vermute, das winterliche Wetter hätte ein Hinweis sein können, aber ich hatte nicht weiter darüber nachgedacht.

»Als ich dich zuletzt gesehen habe, hat Zeus dich auf der Akropolis zusammengestaucht. Dann – bamm – hat er dich in Luft aufgelöst. Seit sechs Monaten hat dich niemand gehört oder gesehen.«

Ich dachte scharf nach, aber die Erinnerungen an mein göttliches Vorleben wurden immer verworrener statt klarer. Was war in den vergangenen sechs Monaten passiert? War ich in einer Art von Schockstarre gewesen? Hatte Zeus so lange gebraucht, um sich zu entscheiden, was er mit mir machen wollte? Vielleicht gab es einen Grund, warum er bis jetzt gewartet hatte, um mich auf die Erde zu schleudern.

Vaters Stimme hallte noch immer in meinen Ohren wider: Deine Schuld. Deine Strafe. Meine Schande kam mir neu und frisch vor, als hätten wir dieses Gespräch gerade erst geführt, aber sicher war ich mir da nicht.

Nach all den Jahrtausenden fiel es mir selbst unter den besten Umständen schwer, die Zeiten richtig zuzuordnen. Es kam vor, dass ich auf Spotify ein Stück hörte und dachte: Endlich mal was Neues! Dann ging mir auf, dass es Mozarts Klavierkonzert Nr. 20 in d-Moll und zweihundert Jahre alt war. Oder ich fragte mich, warum der Historiker Herodot nicht auf der Liste meiner Kontakte stand. Dann fiel mir ein, dass Herodot kein Smartphone hatte, weil er schon seit der Eisenzeit nicht mehr lebte.

Es ist überaus nervig, wie schnell ihr Sterblichen sterbt.

»Ich – ich weiß nicht, wo ich so lange gewesen bin«, gab ich zu. »Ich habe so einige Gedächtnislücken.«

Percy zuckte zusammen. »Ich hasse Gedächtnislücken. Voriges Jahr habe ich ein ganzes Semester verloren, und das verdanke ich Hera.«

»Ach ja.« Ich wusste nicht so ganz, worüber Percy Jackson da redete. Während des Krieges gegen Gaia hatte ich mich vor allem auf meine eigenen Heldentaten konzentriert. Aber ich nahm an, dass Percy und seine Freunde auch ein paar Unannehmlichkeiten erlebt hatten.

»Na, macht doch nichts«, sagte ich. »Es gibt immer wieder neue Möglichkeiten, Ruhm zu erlangen. Und deshalb wollte ich dich um Hilfe bitten!«

Er machte wieder dieses verwirrende Gesicht, als ob er mir am liebsten einen Tritt versetzt hätte, dabei wusste ich doch, wie schwer es ihm fiel, seine Dankbarkeit zu verbergen.

»Hör mal, Mann …«

»Würdest du bitte aufhören, mich Mann zu nennen?«, fragte ich. »Es erinnert mich auf schmerzliche Weise daran, dass ich einer bin.«

»Na gut … Apollo, ich habe nichts dagegen, dich und Meg zum Camp zu fahren, wenn du das willst. Ich würde niemals einen Halbgott abweisen, der Hilfe braucht …«

»Wunderbar! Hast du etwas anderes als den Prius? Einen Maserati vielleicht? Aber ich würde mich auch mit einem Lamborghini zufriedengeben.«

»Aber«, Percy redete einfach weiter, »ich kann mich nicht mit einer neuen Großen Weissagung oder was auch immer abgeben. Ich habe ein Versprechen abgelegt.«

Ich starrte ihn an und verstand nicht so ganz. »Versprechen?«

Percy verschränkte die Finger. Sie waren lang und geschmeidig. Er hätte einen hervorragenden Musiker abgegeben. »Ich habe durch den Krieg gegen Gaia fast ein ganzes Schuljahr verloren. Ich habe den ganzen Herbst mit dem Versuch verbracht, den Unterrichtsstoff nachzuholen. Wenn ich im nächsten Herbst mit Annabeth aufs College gehen will, muss ich jedem Ärger aus dem Weg gehen und mein Examen machen.«

»Annabeth«, ich versuchte, diesen Namen unterzubringen. »Das ist die blonde Beängstigende?«

»Genau die. Ich habe ihr vor allem versprochen, mich nicht umbringen zu lassen, während sie weg ist.«

»Weg?«

Percy zeigte vage nach Norden. »Sie ist für einige Wochen in Boston. Irgendeine Familienkrise. Es geht darum …«

»Du willst sagen, dass du mir nicht deine ungeteilten Dienste anbieten kannst, um mich auf meinen Thron zurückzuschaffen?«

»Äh … ja.« Er zeigte zu dem Flur mit den Schlafzimmertüren hinüber. »Außerdem ist meine Mom schwanger. Bald habe ich eine kleine Schwester. Ich möchte gern da sein, um sie kennenzulernen.«

»Na, das kann ich verstehen. Ich weiß noch, wie Artemis geboren wurde …«

»Ihr seid doch Zwillinge!«

»Ich habe sie immer als meine kleine Schwester betrachtet.«

Percys Mund zuckte. »Jedenfalls, das passiert jetzt bei meiner Mom, und im Frühling kommt außerdem ihr erster Roman heraus, deshalb möchte ich lange genug am Leben bleiben, um …«

»Wunderbar!«, sagte ich. »Sag ihr, sie soll ja die entsprechenden Brandopfer bringen. Kalliope ist ganz schön empfindlich, wenn Romanautoren vergessen, sich bei ihr zu bedanken.«

»Okay. Aber was ich sagen wollte … Ich kann nicht wieder auf einen welterschütternden Einsatz ausziehen. Das kann ich meiner Familie nicht antun.«

Percy schaute zum Fenster hinüber. Auf der Fensterbank stand eine Topfblume mit zarten Silberblättern – vermutlich Mondspitze. »Ich habe meiner Mom schon genug Herzanfälle für ein ganzes Leben beschert. Sie hat mir mit Mühe und Not verziehen, dass ich voriges Jahr verschwunden bin, aber ich habe ihr und Paul geschworen, so etwas niemals wieder zu tun.«

»Paul?«

»Mein Stiefvater. Er ist heute auf einer Fortbildung für Lehrer. Er ist total in Ordnung.«