Die Abenteuer des Apollo 3: Das brennende Labyrinth - Rick Riordan - E-Book

Die Abenteuer des Apollo 3: Das brennende Labyrinth E-Book

Rick Riordan

0,0
13,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Apollo, leider immer noch menschlich – und auf direktem Weg ins Höllenfeuer!  Lester Papadopoulos, auch bekannt als ehemaliger Gott Apollo, hat kaum Zeit zum Durchatmen, da steckt er schon wieder bis zum Hals im nächsten Abenteuer: Dieses Mal führt es ihn hinunter zum magischen Labyrinth des Dädalus. Zusammen mit seiner Freundin Meg und dem unerschrockenen Satyr Grover machen sie sich auf die Suche nach einem uralten Orakel. Dabei müssen sie nicht nur vertrackte Worträtsel lösen, sondern sich auch weit größeren Gefahren stellen.  Die etwas andere Heldenreise: Zeit für Apollo, den egozentrischsten Gott aller Zeiten! Einmal Mist im Olymp gebaut und schon landet Gott Apollo auf direktem Wege in einer Gasse in New York. Ohne seine göttlichen Kräfte und im Körper eines Teenagers muss er sich der modernen Welt stellen. Dabei stolpert er von einem Abenteuer ins nächste und lernt, dass das Leben als Sterblicher nicht ganz so glamourös ist, wie er dachte – aber vielleicht viel bedeutungsvoller. "Die Abenteuer des Apollo" ist ein Spin-off von Riordans vorherigen Reihen "Percy Jackson" und "Helden des Olymp". In der fünfteiligen Fantasy-Buchserie überführt Rick Riordan alte Sagen und Legenden in moderne Geschichten und begeistert Leser*innen überall auf der Welt für seine Hauptfigur Apollo, dem seine maßlose Arroganz und Selbstverliebtheit immer wieder im Weg steht. ***Ein selbstverliebter Held, epische Abenteuer und viel Humor – für Leser*innen ab 12 Jahren und für alle Fans der griechisch-römischen Mythologie*** 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Rick Riordan: Die Abenteuer des Apollo. Das brennende Labyrinth

Aus dem Englischen von Gabriele Haefs

Lester Papadopoulos, auch bekannt als ehemaliger Gott Apollo, hat kaum Zeit zum Durchatmen, da steckt er schon wieder bis zum Hals im nächsten Abenteuer: Er muss hinunter in das magische Labyrinth des Dädalus und dort ein weiteres uraltes Orakel suchen. Zum Glück hat er seine Freundin Meg und den unerschrockenen Satyr Grover an seiner Seite. Zusammen müssen sie nicht nur vertrackte Worträtsel lösen, sondern sich auch weit größeren – und heißeren – Gefahren stellen …

Die Serie »Die Abenteuer des Apollo« ist auf fünf Bände angelegt, dieses ist der dritte Band.

Wohin soll es gehen?

 

  Buch lesen

  Glossar

  Vita

  Das könnte dir auch gefallen

  Leseprobe

 

Für Melpomene, die Muse der Tragödie.

Ich hoffe, jetzt bist du zufrieden!

 

Die dunkle Prophezeiung

Die Worte, von Erinnerung gewirkt, sie brennen

Eh sich der neue Mond am Teufelsberg erhebt.

Der edle Wechselbalg muss seine Gegner nennen

Bis Tibers Flut vor Leichen schier erbebt.

Die Sonne muss auf ihrem Weg nach Süden gehen

Durch dunklen Irrweg zu des Todes grimmem Land

Um dort des weißen Rosses Herrn zu sehen

Den Kreuzwort-Atem dann entreißt sie seiner Hand.

Zum westlichen Palaste gehen muss der Lester

Demeters Tochter findet ihren alten Keim

Behufter Führer kennt der Wege besten

Die Stiefel seines Feindes führn dich heim.

Wenn drei bekannt sind und der Tiber erst erreicht,

sodann beginnt Apollos wilder Jive

1

Einstmals Apollo

Jetzt Ratte im Labyrinth

Helft! Schickt Nussecken!

NEIN!

Ich weigere mich, diesen Teil meiner Geschichte mit irgendwem zu teilen. Es war die gemeinste, erniedrigendste, grauenhafteste Woche in meinem viertausend Jahre langen Leben. Tragödien. Katastrophen. Gebrochene Herzen. Ich werde euch nichts darüber erzählen.

Wieso seid ihr noch immer hier? Macht, dass ihr wegkommt!

Aber leider bleibt mir keine andere Wahl. Zweifellos erwartet Zeus von mir, dass ich euch die Geschichte meiner Bestrafung erzähle.

Es reicht nicht, dass er mich, den einst göttlichen Apollo, in einen sterblichen Teenager mit Akne, Schmerbauch und dem Decknamen Lester Papadopoulos verwandelt hat. Es reicht nicht, dass er mich auf einen gefährlichen Einsatz geschickt hat, bei dem ich fünf bedeutende antike Orakel vor einem Trio tückischer römischer Kaiser retten soll. Es reicht nicht einmal, dass er mich – seinen ehemaligen Lieblingssohn! – zum Sklaven einer nervigen, dreizehn Jahre alten Halbgöttin namens Meg gemacht hat!

Zu allem Überfluss will Zeus auch noch, dass ich meine Schande für die Nachwelt aufzeichne.

Na gut. Ich habe euch gewarnt. Auf diesen Seiten erwartet euch nur Leid.

Wo soll ich anfangen?

Bei Grover und Meg natürlich.

Wir durchwanderten seit zwei Tagen das Labyrinth – durch Schluchten der Finsternis und um Seen aus Gift herum, durch zerfallene Einkaufspassagen, in denen es nur spottbillige Halloweenläden und zweifelhafte chinesische Selbstbedienungsrestaurants gab.

Das Labyrinth konnte ganz schön verwirrend sein. Es war wie ein Gewebe aus Adern unter der Haut der sterblichen Erde und enthielt Keller, Kloaken und vergessene Tunnel in aller Welt, ohne Rücksicht auf die Regeln von Zeit und Raum. Man konnte das Labyrinth durch einen Gully in Rom betreten, drei Meter weit laufen und sich dann in einem Trainingslager für Clowns in Buffalo, Minnesota, wiederfinden (bitte, stellt jetzt keine Fragen. Es war traumatisch).

Ich hätte lieber einen gewaltigen Bogen um das gesamte Labyrinth gemacht. Leider war die Weissagung, die uns in Indiana zuteilgeworden war, da ganz eindeutig: Durch dunklen Irrweg zu des Todes grimmem Land. Was für ein Spaß! Behufter Führer kennt der Wege besten.

Nur schien unser behufter Führer, der Satyr Grover, überhaupt keinen Weg zu kennen.

»Du hast dich verirrt«, sagte ich zum vierzigsten Mal.

»Hab ich nicht!«, widersprach er empört.

Er trottete voraus in seinen ausgebeulten Jeans und seinem grünen Batik-T-Shirt, und seine Ziegenhufe wackelten in seiner Turnschuh-Spezialkonstruktion. Eine rote Wollmütze bedeckte seinen Lockenkopf. Wieso er sich einbildete, in dieser Verkleidung als Mensch durchgehen zu können, war mir schleierhaft. Seine Hörner zeichneten sich unter der Mütze deutlich ab. Mehrmals pro Tag fielen ihm die Schuhe von den Hufen und ich hatte es satt, als sein Turnschuhholer fungieren zu müssen.

Er blieb stehen, als sich der Gang teilte. In beiden Richtungen zogen sich grob behauene Mauern dahin. Grover zupfte an seinem dünnen Kinnbart.

»Na?«, fragte Meg.

Grover zuckte zusammen. Ebenso wie ich hatte er rasch gelernt, sich vor Megs Missbilligung zu fürchten.

Nicht, dass Meg McCaffrey beängstigend ausgesehen hätte. Sie war klein für ihr Alter und trug Kleider in Ampelfarben – grünes Kleid, gelbe Leggings, rote knöchelhohe Turnschuhe –, alles nach endlosen Kriechereien durch enge Tunnel zerfetzt und schmutzig. Spinnweben bildeten Strähnen in ihrer dunklen Pagenfrisur. Die Gläser ihrer Schmetterlingsbrille waren dermaßen verdreckt, dass ich nicht begriff, wie sie dadurch überhaupt etwas erkennen konnte. Alles in allem sah sie aus wie ein Kind, das gerade im Kindergarten einen wütenden Kampf um die Alleinherrschaft über eine Schaukel aus Autoreifen überlebt hat.

Grover zeigte auf den Tunnel, der nach rechts führte. »Ich – ich bin ziemlich sicher, dass es da nach Palm Springs geht.«

»Ziemlich sicher?«, fragte Meg. »Wie beim letzten Mal, als wir in ein Badezimmer gelatscht sind und einen Zyklopen auf dem Klo überrascht haben?«

»Das war nicht meine Schuld!«, wehrte sich Grover. »Außerdem riecht diese Richtung da richtig. Wie … Kakteen!«

Meg schnupperte in der Luft. »Ich riech hier keine Kakteen.«

»Meg«, sagte ich. »Der Satyr soll uns durch das Labyrinth führen. Uns bleibt kaum etwas anderes übrig, als ihm zu vertrauen.«

Grover schnaubte. »Danke für diese Vertrauenserklärung. Hier kommt die tägliche Erinnerung für euch: Ich habe nicht darum gebeten, auf magische Weise quer durch das ganze Land geschleift zu werden und in einem Tomatenbeet auf einem Dachgarten in Indianapolis zu mir zu kommen!«

Tapfer gesprochen, dabei starrte er die ganze Zeit die Zwillingsringe an Megs Mittelfingern an. Vielleicht hatte er Angst, Meg könnte ihre goldenen Krummschwerter herbeirufen und ihn zu Ziegenkebab zerhäckseln.

Seit Grover Underwood erfahren hatte, dass Meg die Tochter der Demeter war, der Göttin aller Gewächse, schien er vor ihr größere Angst zu haben als vor mir, dem ehemaligen olympischen Gott. Das Leben war nicht fair.

Meg wischte sich die Nase. »Schön. Ich hätte nur nicht gedacht, dass wir zwei Tage lang hier unten herumwandern müssten. Der Neumond ist in …«

»Drei Tagen«, fiel ich ihr ins Wort. »Ist uns bekannt.«

Vielleicht war ich zu schroff, aber ich brauchte nicht an den Rest der Weissagung erinnert zu werden. Während wir nach Süden reisten, um das nächste Orakel zu suchen, flog unser Freund Leo Valdez verzweifelt auf seinem Bronzedrachen zum Camp Jupiter, dem römischen Trainingslager für Halbgötter in Nordkalifornien, um die Campbewohner vor Feuer, Tod und anderen Katastrophen zu warnen, die ihnen angeblich zu Neumond bevorstanden.

Ich versuchte, einen versöhnlicheren Tonfall zu finden. »Wir müssen uns darauf verlassen, dass Leo und die Römer mit allem fertigwerden können, was bei ihnen im Norden passiert. Wir haben unsere eigene Aufgabe.«

»Und mehr als genug eigene Feuer«, seufzte Grover.

»Soll heißen?«, fragte Meg.

Wie immer in den beiden vergangenen Tagen antwortete Grover ausweichend. »Besser, wir reden nicht darüber … nicht hier.«

Er schaute sich nervös um, als ob die Mauern Ohren haben könnten, was ja auch durchaus möglich war. Das Labyrinth war ein lebendes System. Und nach dem Geruch zu urteilen, der aus einigen Gängen quoll, hatte es zumindest einen Dünndarm.

Grover kratzte sich die Rippen. »Ich versuche, uns schnell hinzubringen, Leute«, versprach er. »Aber das Labyrinth hat so seine eigenen Vorstellungen. Als ich zuletzt hier war, mit Percy …«

Er sah plötzlich sehnsüchtig aus, wie so oft, wenn er seine alten Abenteuer mit seinem besten Freund, Percy Jackson, erwähnte. Ich konnte ihm da keine Vorwürfe machen. Es war schon praktisch, einen Halbgott wie Percy zur Hand zu haben. Leider ließ der sich nicht so leicht aus einem Tomatenbeet rufen wie unser satyrischer Pfadfinder.

Ich legte Grover die Hand auf die Schulter. »Wir wissen, dass du dein Bestes tust. Also lasst uns weitergehen. Und wo du schon nach Kakteen schnüffelst: Wenn du deine Nasenlöcher auch für Frühstück offen halten könntest – vielleicht Kaffee und Walnusscroissants –, das wäre super.«

Wir folgten Grover in den Tunnel, der nach rechts abzweigte.

Bald wurde der Gang enger und niedriger und wir mussten die Köpfe einziehen und im Gänsemarsch weitergehen. Ich hielt mich in der Mitte, das war der sicherste Platz. Ihr findet das vielleicht nicht gerade mutig, aber Grover war ein Herr der Wildnis, ein Mitglied des Regierungsgremiums der Satyrn, nämlich des Rates der Behuften Älteren. Angeblich verfügte er über gewaltige Kräfte, auch wenn ich die an ihm noch nicht beobachtet hatte. Meg konnte nicht nur mit zwei goldenen Krummschwertern zugleich jonglieren, sondern auch umwerfende Dinge mit Samentütchen anstellen, von denen sie sich in Indianapolis einen Vorrat angelegt hatte.

Ich dagegen war mit jedem Tag schwächer und wehrloser geworden. Seit unserem Kampf gegen den Kaiser Commodus, den ich mit einem Ausbruch göttlichen Lichts geblendet hatte, hatte ich nicht den geringsten Anflug meiner früheren göttlichen Kraft herbeirufen können. Meine Finger bewegten sich nur noch träge über das Griffbrett meiner Kampfukulele. Meine Geschicklichkeit als Bogenschütze war geschrumpft. Ich hatte sogar den Zyklopen auf der Toilette verfehlt (ich bin nicht sicher, wer von uns die Situation peinlicher gefunden hatte). Gleichzeitig stellten sich die Wachvisionen, die mich manchmal lähmten, häufiger ein und wurden immer intensiver.

Ich hatte meine Sorgen nicht mit meinen Freunden geteilt. Noch nicht.

Ich wollte daran glauben, dass sich meine Kräfte einfach neu aufluden. Unsere Abenteuer in Indianapolis waren schließlich fast mein Tod gewesen.

Aber es gab noch eine andere Möglichkeit. Ich war im Januar vom Olymp gestürzt und in einen Müllcontainer in Manhattan gekracht. Jetzt war März. Das bedeutete, dass ich seit ungefähr zwei Monaten ein Mensch war. Es war möglich, dass ich immer schwächer werden würde, je länger ich sterblich blieb, und dass es immer schwerer werden würde, meinen göttlichen Status zurückzuerlangen.

War es die letzten beiden Male, als Zeus mich auf die Erde verbannt hatte, auch so gewesen? Ich konnte mich nicht erinnern. An manchen Tagen konnte ich mich nicht einmal an den Geschmack von Ambrosia, die Namen der Pferde vor meinem Sonnenwagen oder das Gesicht meiner Zwillingsschwester Artemis erinnern. (Normalerweise hätte ich es für einen Segen gehalten, dass ich mich nicht an das Gesicht meiner Schwester erinnerte, doch jetzt fehlte sie mir ganz schrecklich. Aber wagt ja nicht, ihr das zu erzählen!)

Wir schleppten uns durch den Gang, und der magische Pfeil von Dodona vibrierte in meinem Köcher wie ein lautlos gestelltes Telefon, als ob er unbedingt herausgezogen und um Rat gefragt werden wollte.

Ich versuchte, ihn zu ignorieren.

Die letzten Male, als ich ihn um Rat befragt hatte, war der Pfeil keine besondere Hilfe gewesen. Schlimmer noch, er war in altertümlicher Sprache keine besondere Hilfe, mit mehr fürwahr und sei’s drum und fürbass, als ich verdauen konnte. Ich hatte die Neunzigerjahre nie leiden können (und damit meine ich die Jahre nach 1590). Vielleicht würde ich den Pfeil ins Vertrauen ziehen, wenn wir Palm Springs erreichten. Falls wir Palm Springs je erreichten …

Grover blieb vor einer neuen Mauer stehen.

Er schnüffelte nach rechts, dann nach links. Seine Nase bebte wie bei einem Kaninchen, das gerade einen Hund gewittert hat.

Plötzlich schrie er »Zurück!« und sprang dann rückwärts. Der Gang war so eng, dass er gegen meinen Bauch knallte, worauf ich gegen Megs Bauch knallte, worauf sie mit einem verwirrten Grunzen zu Boden ging. Ehe ich mich beschweren konnte, weil ich so gar nicht auf Gruppenmassage stehe, hatte ich ein Gefühl von Watte in den Ohren. Die gesamte Feuchtigkeit wurde aus der Luft gesaugt. Ein scharfer Geruch hüllte mich ein – wie frischer Teer auf einem Highway in Arizona – und vor uns im Gang loderte eine Wand aus gelbem Feuer auf, eine pulsierende reine Hitze, die so schnell erlosch, wie sie aufgeflammt war.

Meine Ohren knisterten. Das kam vermutlich von dem Blut, das in meinem Kopf kochte. Mein Mund war dermaßen ausgetrocknet, dass ich unmöglich schlucken konnte. Ich wusste nicht, ob nur ich hemmungslos zitterte oder ob wir das alle drei taten.

»Wer – was war das?« Ich hätte gern gewusst, warum es mein erster Impuls gewesen war, »wer« zu fragen. Etwas an diesem Auflodern war mir schrecklich vertraut vorgekommen. In dem bitteren Rauch, der jetzt noch in der Luft hing, glaubte ich, den Gestank von Hass, Frustration und Hunger wahrzunehmen.

Grovers rote Strickmütze dampfte. Er roch nach versengtem Ziegenfell. »Das bedeutet«, sagte er mit schwacher Stimme, »dass wir näher kommen. Wir müssen uns beeilen.«

»Meine Rede«, knurrte Meg. »Und jetzt los!« Sie stieß mir ihr Knie in den Hintern.

Ich richtete mich mühsam auf, jedenfalls soweit ich das in dem engen Tunnel überhaupt konnte. Jetzt, wo das Feuer erloschen war, fühlte meine Haut sich feuchtkalt an. Der Gang vor uns war dunkel und still, als ob er nie im Leben ein Ventil für Höllenfeuer sein könnte, aber ich hatte genug Zeit im Sonnenwagen verbracht, um die Hitze von Flammen zu beurteilen. Wenn wir von diesem Auflodern erwischt worden wären, hätte es uns zu Plasma ionisiert.

»Wir müssen nach links«, entschied Grover.

»Äh«, sagte ich. »Links ist die Richtung, aus der das Feuer gekommen ist.«

»Und es ist der schnellste Weg.«

»Wie wäre es mit rückwärts?«, schlug Meg vor.

»Leute, wir sind bald da«, beharrte Grover. »Ich kann es fühlen! Aber wir sind in seinen Teil des Labyrinths geraten. Wenn wir uns nicht beeilen …«

Skriiiiieh!

Der Lärm hallte im Gang hinter uns wider. Ich wollte glauben, es sei nur ein zufälliges mechanisches Geräusch, wie es das im Labyrinth häufig gab: eine an rostigen Angeln schwingende Metalltür oder ein batteriebetriebenes Spielzeug aus einem Halloweenladen, das in eine bodenlose Grube gekullert war. Aber Grovers Gesichtsausdruck sagte mir, was ich ohnehin schon vermutet hatte: Dieser Lärm war der Schrei eines lebenden Wesens.

SKRIIIIIEH! Der zweite Schrei war wütender und viel näher.

Es gefiel mir nicht, was Grover darüber gesagt hatte, dass wir in seinen Teil des Labyrinths geraten waren. Auf wen bezog sich dieses sein? Ich wollte auf keinen Fall in einen Gang mit automatischer Grillfunktion rennen, aber andererseits erfüllte mich der Schrei hinter uns mit Entsetzen.

»Lauft!«, sagte Meg.

»Lauft!«, stimmte Grover zu.

Wir stürzten in den linken Tunnel. Die einzige gute Nachricht: Er war ein wenig breiter und ließ uns mit größerer Ellbogenfreiheit um unser Leben rennen. Bei der nächsten Kreuzung bogen wir wieder nach links und danach gleich nach rechts ab. Wir sprangen über eine Grube, stiegen eine Treppe hoch und jagten durch einen weiteren Gang, aber das Wesen hinter uns schien keine Probleme mit der Verfolgung zu haben.

SKRIIIIIIIEH!, schrie es in der Finsternis.

Ich kannte dieses Geräusch, aber mein unzuverlässiges menschliches Gedächtnis konnte es nicht unterbringen. Es war irgendein vogelartiges Geschöpf. Nichts Niedliches wie ein Wellensittich oder ein Kakadu, sondern etwas aus höllischen Gefilden – gefährlich, blutrünstig und ungeheuer schlecht gelaunt.

SKRIIIIIEH!

Der Schrei kratzte an den Knochen in meinem Mittelohr. Das Flügelschlagen hallte aus dem Gang hinter uns wider – oder hörte ich da eine ganze Vogelschar? Standen diese Kreaturen auf Gruppenreisen? Verflixt, das alles hätte ich doch wissen müssen!

»Was jetzt?«, fragte Meg. »Rauf?«

Grover starrte in die Finsternis über uns und ihm klappte das Kinn herunter. »Das ergibt doch keinen Sinn. Das dürfte gar nicht hier sein!«

»Grover!«, sagte Meg. »Rauf oder nicht?«

»Ja, rauf«, wimmerte er. »Rauf ist gut.«

»Nein«, sagte ich und mein Nacken prickelte vor Angst. »Das schaffen wir nicht. Wir müssen diesen Gang blockieren.«

Meg runzelte die Stirn. »Aber …«

»Magischer Pflanzenkram!«, brüllte ich. »Beeil dich!«

Eins muss ich Meg lassen: Wenn man magischen Pflanzenkram braucht, ist sie genau die Richtige. Sie griff in ihre Gürteltaschen, riss eine Samentüte auf und schleuderte den Inhalt in den Tunnel.

Grover zog seine Panflöte hervor. Er spielte einen lebhaften Jig, um das Wachstum anzuregen, während Meg vor den Samen kniete und in tiefer Konzentration ihr Gesicht verzog.

Zusammen bildeten der Herr der Wildnis und die Tochter der Demeter ein gärtnerisches Superduo. Die Samen öffneten sich blitzschnell zu Tomatenpflanzen. Ihre Stängel wuchsen und verflochten sich miteinander im Tunneldurchgang. Blätter entfalteten sich im Eiltempo. Tomaten schwollen zu faustgroßen roten Früchten an. Der Tunnel war fast schon versiegelt, als eine dunkle gefiederte Gestalt durch eine Lücke im Netz der Zweige brach.

Krallen schrammten über meine linke Wange, als der Vogel vorüberflog, und verpassten mein Auge nur um Haaresbreite. Das Wesen kreiste durch den Tunnel, kreischte triumphierend, ließ sich dann auf der spiralförmigen Rampe drei Meter über uns nieder und schaute aus runden goldenen Augen wie Suchscheinwerfer auf uns herab.

Eine Eule? Nein, dieses Geschöpf war doppelt so groß wie Athenes größtes Wappentier. Sein Gefieder glitzerte schwarz wie Obsidian. Es hob eine ledrige rote Kralle, öffnete seinen goldenen Schnabel und leckte sich mit seiner dicken schwarzen Zunge das Blut von den Krallen – mein Blut.

Vor meinen Augen verschwamm alles. Meine Knie verwandelten sich in Gummi. Ich registrierte vage noch andere Geräusche aus dem Tunnel – frustriertes Kreischen, Flügelschlagen, als weitere dämonische Vögel sich gegen die Tomatenpflanzen warfen und versuchten, zu uns durchzudringen.

Meg tauchte neben mir auf, die Krummschwerter blitzten in ihren Händen und sie starrte den riesigen dunklen Vogel über uns an. »Apollo, stimmt was nicht?«

»Strix«, sagte ich, als der Name aus den Abgründen meines schwachen sterblichen Geistes auftauchte. »Das Ding da ist eine Strix.«

»Wie bringen wir das um?«, fragte Meg. Sie dachte eben immer praktisch.

Ich berührte die Kratzwunden in meinem Gesicht. Ich spürte weder meine Wange noch meine Finger. »Na ja, das Umbringen könnte problematisch werden.«

Grover wimmerte, als die Strigae draußen kreischten und sich gegen die Pflanzen warfen. »Leute, da wollen noch sechs oder sieben andere rein. Diese Tomaten können sie nicht aufhalten.«

»Apollo, sag es mir«, befahl Meg. »Was muss ich tun?«

Ich hätte ihr gern geholfen. Wirklich, das war mein Wunsch. Aber es fiel mir schwer, Wörter zu formen. Ich kam mir vor, als hätte Hephaistos mir gerade nach seiner berühmten Methode einen Zahn gezogen und ich stünde noch immer unter dem Einfluss seines Kichernektars.

»W-wenn du den Vogel umbringst, trifft dich ein Fluch«, brachte ich endlich heraus.

»Und wenn ich ihn nicht umbringe?«, fragte Meg.

»Dann wird er dich ausweiden, dein Blut trinken und dein Fleisch verzehren.« Ich grinste, obwohl ich so ein Gefühl hatte, dass diese Auskunft so gar nicht komisch war. »Und du darfst dich nicht von ihr kratzen lassen. Sonst wirst du gelähmt.«

Und wie das unter Beweis zu stellen, kippte ich zur Seite um.

Über uns breitete die Strix die Flügel aus und startete ihren Sturzflug.

2

Ein Koffer bin ich

Kleb fest am Satyrnacken

Nie so gelitten!

»Aufhören!«, rief Grover. »Wir kommen in friedlicher Absicht!«

Der Vogel war nicht beeindruckt. Er griff an und verpasste das Gesicht des Satyrn nur, weil Meg mit ihren Krummschwertern zuschlug. Die Strix geriet vom Kurs ab, flog zwischen Megs Klingen Pirouetten und landete unversehrt ein kleines Stück über uns auf der spiralförmigen Rampe.

SKRIEEH!, kreischte die Strix und brauste mit ihrem Gefieder.

»Was soll das heißen, dass du uns töten sollst?«, fragte Grover.

Meg runzelte die Stirn. »Du kannst mit der reden?«

»Na ja, sicher«, sagte Grover. »Das ist ein Tier.«

»Warum erzählst du uns erst jetzt, was sie sagt?«, fragte Meg.

»Weil sie bisher immer nur skrieh geschrien hat«, sagte Grover. »Jetzt sagt sie skrieh im Sinn von: Sie muss uns umbringen.«

Ich versuchte, meine Beine zu bewegen. Sie schienen sich in Zementsäcke verwandelt zu haben, was ich irgendwie komisch fand. Ich konnte die Arme noch heben und hatte eine Art Gefühl in meiner Brust, war aber nicht sicher, ob das von Dauer sein würde.

»Vielleicht könntest du die Strix fragen, warum sie uns umbringen muss?«, schlug ich vor.

»Skrieh!«, sagte Grover.

Ich hatte die Strixsprache schon fast satt. Der Vogel antwortete mit Krächzen und Klicken.

Draußen auf dem Gang kreischten die anderen Strigae und hackten gegen das Pflanzennetz. Schwarze Krallen und goldene Schnäbel wurden vorgereckt und machten aus den Pflanzen Tomatensoße. Ich ging davon aus, dass uns nur einige wenige Minuten blieben, bis die Vögel durchbrechen und uns allesamt umbringen würden – aber ihre rasierklingenscharfen Schnäbel waren wirklich süß!

Grover rang die Hände. »Die Strix sagt, dass sie geschickt worden ist, um unser Blut zu trinken, unser Fleisch zu verzehren und uns auszuweiden, nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge. Sie sagt, es tut ihr leid, aber es ist ein Befehl des Kaisers persönlich.«

»Blöder Kaiser«, knurrte Meg. »Welcher denn?«

»Ich weiß nicht«, sagte Grover. »Die Strix nennt ihn einfach Skrieh.«

»Du kannst ausgeweidet übersetzen«, stellte Meg fest, »aber den Namen des Kaisers schaffst du nicht?«

Mir persönlich war das ganz recht. Seit wir Indianapolis verlassen hatten, hatte ich immer wieder über die Weissagung nachgedacht, die uns in der Höhle des Trophonius zuteilgeworden war. Nero und Commodus waren wir bereits begegnet, und ich hatte einen grauenhaften Verdacht, was die Identität des dritten Kaisers anging, dem wir noch gegenübertreten mussten. Für den Moment brauchte ich keine Bestätigung. Die Euphorie, die das Strixgift ausgelöst hatte, verflog wieder und ich würde gleich bei lebendigem Leibe von einer blutsaugenden Rieseneule gefressen werden. Da brauchte ich nicht noch mehr Gründe, um vor Verzweiflung in Tränen auszubrechen.

Die Strix steuerte auf Meg zu. Meg wich aus, schlug mit der flachen Klinge auf das Schwanzgefieder der Strix, als die vorüberjagte, und schleuderte den unglückseligen Vogel damit an die Wand gegenüber, wo sie mit dem Kopf gegen die Backsteine knallte und sich zu einer Wolke von Monsterstaub und Federn auflöste.

»Meg!«, sagte ich. »Ich hab doch gesagt, du darfst sie nicht töten. Dann wirst du verflucht!«

»Ich hab sie nicht getötet. Sie hat sich gegen die Mauer geworfen, um Selbstmord zu begehen.«

»Ich glaube nicht, dass die Moiren das so sehen werden.«

»Wir brauchen es ihnen ja nicht zu erzählen.«

»Leute«, Grover zeigte auf die Tomatenpflanzen, die sich unter der Wucht von Krallen und Schnäbeln in schnellem Tempo ausdünnten. »Wenn wir die Strigae nicht töten dürfen, sollten wir die Sperre vielleicht verstärken?«

Er hob die Flöte und spielte. Meg verwandelte ihre Schwerter zurück in Ringe. Sie streckte die Hände nach den Tomatenpflanzen aus. Die Stängel wurden dicker und die Wurzeln versuchten eifrig, im Steinboden Halt zu finden, aber die Schlacht war bereits verloren. Zu viele Strigae warfen sich jetzt von der anderen Seite dagegen und zerfetzten die neuen Gewächse, sowie sie auftauchten.

»Bringt nichts.« Meg taumelte rückwärts und ihr Gesicht war von Schweiß überzogen. »Ohne Erdreich und Sonnenlicht sind unsere Möglichkeiten begrenzt.«

»Da hast du recht.« Grover schaute hoch und seine Blicke folgten der Spiralrampe in die Finsternis. »Wir sind fast am Ziel. Wenn wir nur nach oben gelangen können, ehe die Strigae durchbrechen …«

»Los, klettern wir«, verkündete Meg.

»Hallo?«, sagte ich jämmerlich. »Gelähmter Ex-Gott zur Stelle.«

Grover schnitt eine Grimasse und sah Meg an. »Klebeband?«

»Klebeband«, sagte sie zustimmend.

Die Götter sollen mich vor Helden mit Klebeband beschützen! Und Helden scheinen immer Klebeband zur Hand zu haben. Meg zog eine Rolle aus einer der Taschen an ihrem Gärtnergürtel. Sie richtete mich auf, bis ich Rücken an Rücken mit Grover saß, dann fing sie an, das Klebeband unter unseren Armen durchzuwickeln, und band mich damit an den Satyrn, als ob ich ein Rucksack wäre.

Grover kam mit Megs Hilfe mühsam auf die Beine und schleuderte mich dabei umher, sodass ich mir die Mauern, den Boden, Megs Gesicht und meine gelähmten Beine ansehen konnte, die sich unter mir gewaltig breitmachten.

»Äh, Grover?«, fragte ich. »Bist du denn stark genug, um mich bis nach oben zu tragen?«

»Satyrn sind großartige Kletterer«, röchelte er.

Er fing an, die schmale Rampe hochzusteigen, wobei meine gelähmten Füße hinter mir herschleiften. Meg folgte und sah sich immer wieder nach den in hohem Tempo zerfallenden Tomatenpflanzen um.

»Apollo«, sagte sie. »Erzähl mir von den Strigae.«

»Die … sind Unglücksvögel«, sagte ich. »Wenn sie auftauchen, passiert etwas Schlimmes.«

»Ach was«, sagte Meg. »Und sonst?«

»Äh, die ernähren sich in der Regel von jungen und schwachen Wesen. Babys, alte Leute, gelähmte Götter … und so weiter. Sie nisten in den oberen Bereichen des Tartarus. Ich kann nur raten, aber ich bin ziemlich sicher, dass sie als Haustiere nicht zu empfehlen sind.«

»Wie können wir sie vertreiben?«, fragte Meg. »Wenn wir sie nicht töten können, wie halten wir sie auf?«

»Das – das weiß ich nicht.«

Meg seufzte frustriert. »Sprich mit dem Pfeil von Dodona. Vielleicht weiß der ja irgendwas. Ich versuche, uns ein bisschen Zeit zu erkaufen.«

Sie lief über die Rampe zurück nach unten.

Eine Unterhaltung mit dem Pfeil war so ungefähr das Einzige, was meinen Tag noch schlimmer machen könnte, aber ich stand unter Befehl, und wenn Meg mir etwas auftrug, musste ich gehorchen. Ich griff mir über die Schulter, suchte im Köcher und zog das magische Geschoss hervor.

»Hallo, weiser und mächtiger Pfeil«, sagte ich. (Immer gut, mit Schmeicheleien anzufangen.)

HAST FÜRWAHR LANG GEZAUDERT, sprach der Pfeil. SEIT UNGENANNTEN TAGDUTZENDEN GEHET MEIN STREBEN NUN SCHON DANACH, MIT DIR ZU SPRECHEN.

»Das waren höchstens achtundvierzig Stunden«, sagte ich.

WAHRLICH, ES KRIECHET DIE ZEIT DAHIN, WENN MAN EINGEKÖCHERT IST. DU SOLLTEST ES VERSUCHEN UND SEHEN, WIE ES DIR ZUSAGET!

»Alles klar.«

GESPROCHEN WERDEN MUSS NUN ÜBER – MOMENT MAL. STRIGAE? WESHALB TUST DU JENER ERWÄHNUNG VOR MEINEM OHRE?

»Weil sie begehren unseres Todes … also, die wollen uns umbringen.«

WEH UNS!, stöhnte der Pfeil. SOLCHEN GEFAHREN SOLLTEST DU WEICHEN!

»Auf die Idee wär ich nie gekommen«, sagte ich. »Hast du nun Strix-bezügliche Info oder nicht, oh weises Geschoss?«

Der Pfeil summte und versuchte zweifellos, zu Wikipedia durchzudringen. Er stritt immer ab, das Internet zu benutzen. Vielleicht war es also nur ein Zufall, dass der Pfeil immer dann eine viel größere Hilfe war, wenn wir uns in einem Bereich mit freiem WLAN aufhielten.

Grover schleppte tapfer meinen kläglichen sterblichen Leib weiter die Rampe hoch. Er keuchte und schnappte nach Luft und stolperte gefährlich nah am Rand entlang. Der Boden des Raums lag jetzt an die siebzehn Meter unter uns – gerade tief genug für einen netten tödlichen Absturz. Ich konnte sehen, wie Meg dort unten hin und herlief, vor sich hinmurmelte und immer neue Samentüten ausleerte.

Über uns schien die Rampe endlos weiterzugehen. Was immer uns oben erwarten mochte, gesetzt den Fall, dass es ein Oben gab, blieb in der Dunkelheit vollkommen verborgen. Ich fand es überaus rücksichtslos, dass das Labyrinth keinen Fahrstuhl oder zumindest ein kräftiges Geländer geliefert hatte. Wie sollten Helden mit Beweglichkeitseinschränkung diese Todesfalle denn eigentlich genießen?

Endlich fällte der Pfeil von Dodona sein Urteil:

STRIGAE SIND GEFÄHRLICH!

»Abermals«, erwiderte ich, »bringt deine Weisheit Licht in die Finsternis.«

SCHWEIG STILL, befahl der Pfeil. DIE VÖGEL KÖNNEN ERSCHLAGEN WERDEN, WAS JEDOCH DEN TÖTER VERFLUCHET UND WEITERE STRIGAE HERBEIRUFET.

»Ja, ja. Was noch?«

»Was sagt das Dings?«, fragte Grover keuchend.

Zu seinen vielen nervigen Eigenschaften gehörte es, dass der Pfeil nur in meinen Gedanken sprach, und deshalb sah ich nicht nur aus wie ein Verrückter, wenn ich mich mit ihm unterhielt, ich musste zudem immer wieder sein Gefasel meinen Freunden übermitteln.

»Es googelt noch immer«, sagte ich zu Grover. »Vielleicht, oh Pfeil, könntest du es mit Stichwörtern versuchen, Strix + Besiegen.«

SOLCH SCHÄNDLICHE TÄUSCHUNGEN SIND MIR FREMD, donnerte der Pfeil. Dann schwieg er lange genug, um Strix + Besiegen einzugeben.

BEZWUNGEN WERDEN KANN DIESES FEDERVIEH DURCH SCHWEINE-INNEREIEN, teilte er schließlich mit. HAST DU SOLCHE IN DEINEM MANTELSACK?

»Grover«, rief ich über meine Schulter. »Hast du zufällig irgendwelche Schweine-Innereien bei dir?«

»Was?« Er fuhr herum, was keine gute Methode war, um mir ins Gesicht zu schauen, da ich an seinem Rücken angeklebt war. Er hätte mir an der Backsteinmauer fast die Nase abgeschabt. »Wieso sollte ich Schweine-Innereien bei mir haben? Ich bin Vegetarier!«

Meg kam die Rampe hochgeklettert.

»Die Vögel sind fast durch«, teilte sie mit. »Ich habe es mit verschiedenen Sorten von Pflanzen versucht. Ich habe versucht, Pfirsich herbeizurufen …« Ihre Stimme brach vor Verzweiflung.

Seit wir das Labyrinth betreten hatten, war es ihr nicht mehr gelungen, ihren Pfirsichgeist-Beschützer herbeizurufen, der bei einem Kampf eine gute Unterstützung sein konnte, aber sehr wählerisch war, wenn es darum ging, wann und wo er sich blicken ließ. Ich ging davon aus, dass Pfirsich, wie die Tomatenpflanzen ja auch, unter der Erde nicht so gut funktionierte.

»Pfeil von Dodona, was sonst noch?«, brüllte ich die Pfeilspitze an. »Es muss doch noch etwas anderes geben außer Schweine-Innereien, mit dem man Strigae in Schach halten kann!«

WARTE!, sagte der Pfeil. UND NUN LAUSCHE! ES SCHEINET, DASS ARBUTUS VON NUTZEN SEI.

»Wieso Air Brutus?«, fragte ich verwirrt.

Zu spät.

Unter uns brachen die Strigae mit blutrünstigem Geschrei durch die Tomatenbarrikade und schwärmten durch den Gang.

3

Ich find Strigae doof

So glaubet meinen Worten

Saudoof sind jene

»Sie kommen!«, schrie Meg.

Ehrlich, immer, wenn sie etwas Wichtiges erzählen sollte, verstummte sie total. Aber wenn wir einer Gefahr gegenüberstanden, vergeudete sie ihren Atem mit dem Schrei Sie kommen.

Grover wurde schneller, er bewies heldenhafte Kraft, als er meinen schwabbeligen angeklebten Körper hinter sich herschleifte.

Da ich rückwärts schaute, hatte ich einen perfekten Blick auf die Strigae, die nun aus den Schatten schwärmten, während ihre gelben Augen funkelten wie Münzen in einem trüben Brunnen. Waren es ein Dutzend? Mehr? Da uns schon eine einzelne Strix so viel Mühe gemacht hatte, schätzte ich unsere Chancen einer ganzen Herde gegenüber nicht gerade rosig ein, vor allem, da wir jetzt wie saftige Ziele auf einem engen, glitschigen Sims aufgereiht waren. Ich glaubte nicht, dass Meg allen Vögeln zum Selbstmord verhelfen könnte, indem sie sie mit dem Gesicht zuerst gegen die Mauer knallte.

»Arbutus!«, schrie ich. »Der Pfeil hat etwas darüber gesagt, dass Arbutus Strigae vertreiben kann.«

»Das ist eine Pflanze«, Grover schnappte nach Luft. »Ich glaube, ich bin einmal einem Arbutus begegnet.«

»Pfeil«, fragte ich. »Was ist ein Arbutus?«

SELBIGES GEWÄCHS IST MIR FREMD! ZWAR WARD ICH IN EINEM HAINE GEBOREN, DOCH MACHET DAS NOCH LÄNGST KEINEN GÄRTNER AUS MIR!

Genervt schob ich den Pfeil zurück in meinen Köcher.

»Apollo, gib mir Deckung!« Meg drückte mir eins ihrer Schwerter in die Hand, durchwühlte ihren Gärtnergürtel und schaute ständig nervös zu den immer höher fliegenden Strigae hinüber.

Wie Meg auf die Idee kam, ich könne ihr Deckung geben, wusste ich nicht so recht. Als Schwertkämpfer war ich Müll, selbst wenn ich nicht gerade einem Satyrn auf dem Rücken klebte und Ziele vor Augen hatte, die alle, die sie töteten, mit einem Fluch belegten.

»Grover«, schrie Meg. »Können wir irgendwie rausfinden, was Arbutus für eine Pflanze ist?«

Sie riss wahllos eine Samentüte auf und streute Samen in die Leere. Sie barsten wie heiße Popcornkörner und stürzten als handgranatengroße Yams mit blattreichen grünen Stängeln auf die Strigae hinunter. Einige trafen und verursachten erstauntes Krächzen, aber die Vögel kamen immer weiter auf uns zu.

»Das sind Knollen«, keuchte Grover. »Ich glaube, Arbutus ist eine Obstpflanze.«

Meg riss eine weitere Samentüte auf. Sie ließ eine Explosion aus Büschen voller grüner Früchte auf die Strigae hinabprasseln. Die Vögel wichen ihnen einfach aus.

»Trauben?«, fragte Grover.

»Stachelbeeren«, sagte Meg.

»Bist du sicher?«, fragte Grover. »Die Blattform …«

»Grover«, fauchte ich. »Bleiben wir mal bei militärischer Botanik. Was ist ein – runter!«

Nun, liebe Leserinnen und Leser, was meint ihr? Habe ich die Frage gestellt: Was ist ein runter? Natürlich nicht. Obwohl Meg sich später beschwerte, wollte ich ihr nur klarmachen, dass die nächstfliegende Strix genau auf ihr Gesicht zuhielt.

Meg verstand meine Warnung nicht, aber das war nicht meine Schuld!

Ich schwenkte mein geliehenes Krummschwert in dem Versuch, meine junge Freundin zu beschützen. Nur meine Unfähigkeit zu zielen und Megs rasche Reflexe hinderten mich daran, sie zu enthaupten.

»Aufhören«, schrie sie und schlug die Strix mit ihrem anderen Schwert zur Seite.

»Du hast gesagt, ich soll dich decken!«, beschwerte ich mich.

»Ich hab doch nicht gemeint …« Sie schrie vor Schmerz auf und geriet ins Stolpern, als eine Kralle ihre rechte Hüfte aufschlitzte.

Dann waren wir von einem wütenden Sturm aus Krallen, Schnäbeln und schwarzen Flügeln umgeben. Meg fuchtelte wütend mit ihrem Krummschwert. Eine Strix griff mein Gesicht an und wollte mir schon die Augen auskratzen, als Grover etwas völlig Unerwartetes tat: Er schrie auf.

Was ist daran überraschend?, fragt ihr vielleicht. Wann soll man denn aufschreien, wenn nicht beim Angriff eines Schwarms Innereien fressender Vögel?

Stimmt. Aber das Geräusch, das aus dem Mund des Satyrn kam, war kein normaler Schrei.

Der Schrei hallte im Raum wider wie die Schockwelle einer Bombe, trieb die Vögel auseinander, ließ die Steine erbeben und erfüllte mich mit kalter, sinnloser Furcht.

Wenn ich nicht am Rücken des Satyrn geklebt hätte, hätte ich die Flucht ergriffen. Ich wäre vom Sims gesprungen, nur um diesem Schrei zu entgehen. Da ich das nicht konnte, ließ ich Megs Schwert fallen und hielt mir die Ohren zu. Meg, die mit ausgestreckten Armen und Beinen auf der Rampe lag, blutend und zweifellos bereits teilweise vom Strixgift gelähmt, rollte sich zu einer Kugel zusammen und vergrub den Kopf zwischen ihren Armen.

Die Strigae flohen zurück in die Finsternis.

Mein Herz hämmerte. Adrenalin wurde durch meine Adern gespült. Ich musste mehrmals tief durchatmen, ehe ich sprechen konnte.

»Grover«, sagte ich. »Hast du da gerade Panik herbeigerufen?«

Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber ich konnte spüren, dass er zitterte. Er legte sich auf die Rampe und drehte sich auf die Seite, sodass ich die Mauer anschaute.

»Das wollte ich nicht«, sagte er mit heiserer Stimme. »Hab das seit Jahren nicht mehr gemacht.«

»P-Panik?«, fragte Meg.

»Der Schrei des verschollenen Gottes Pan«, sagte ich. Allein schon seinen Namen auszusprechen erfüllte mich mit Traurigkeit. Ach, wie köstlich hatten der Gott der Natur und ich uns in den alten Zeiten amüsiert, hatten getanzt und uns in der Wildnis getummelt. Pan war ein erstklassiger Tummler gewesen! Dann hatten die Menschen den größten Teil der Wildnis zerstört und Pan war ins Nichts verblichen. Ihr Menschen. Ihr seid der Grund, warum wir Götter nichts Schönes behalten können.

»Ich habe nie gehört, dass jemand anderes als Pan diese Kraft angewandt hat«, sagte ich. »Wie kann das sein?«

Grover stieß ein Geräusch aus, das ein halbes Schluchzen war und ein halber Seufzer. »Lange Geschichte.«

Meg knurrte: »Sind jedenfalls die Vögel losgeworden.« Ich hörte, wie sie Stoff zerriss, vermutlich, um einen Verband für ihr Bein zu machen.

»Bist du gelähmt?«, fragte ich.

»Ja«, murmelte sie. »Von der Hüfte abwärts.«

Grover bewegte sich in unserem Geschirr aus Klebeband. »Ich bin unversehrt, aber erschöpft. Die Vögel werden natürlich zurückkommen, und jetzt kann ich dich unmöglich weiter die Rampe hochtragen.«

Das glaubte ich ihm aufs Wort. Der Ruf des Pan konnte so ungefähr alles in die Flucht schlagen, aber er war ein ungeheuer anspruchsvoller Akt der Magie. Immer, wenn Pan ihn ausgestoßen hatte, hatte er danach ein drei Tage langes Nickerchen machen müssen.

Unter uns hallte das Geschrei der Strigae im Labyrinth wider. Ihr Kreischen klang, als ob es von Angst – schnell wegfliegen! – in Verwirrung umschlüge: Warum fliegen wir eigentlich weg?

Ich versuchte, meine Füße zu bewegen. Zu meiner Überraschung fühlte ich die Zehen in meinen Socken.

»Könnte mich wohl jemand losschneiden?«, fragte ich. »Ich glaube, das Gift verliert seine Kraft.«

Meg, die ja auf dem Boden lag, schnitt mich mit einem Krummschwert aus dem Klebeband frei. Dann saßen wir drei im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Rücken zur Wand da – drei verschwitzte, jämmerliche, traurige Stück Strixköder, die auf den Tod warteten. Unter uns wurde das Gekrächze der Unheilvögel lauter. Bald würden sie wieder da sein, wütender denn je. An die sechzehn Meter über uns, im trüben Funkeln von Megs Schwertern gerade zu erahnen, endete unsere Rampe an einer Kuppel aus Backsteinen.

»War wohl nix mit Ausgang«, sagte Grover. »Ich war so sicher … Dieser Schacht sieht doch aus wie …« Er schüttelte den Kopf, als ob er es nicht ertragen könnte, uns zu erzählen, was er gehofft hatte.

»Ich werde hier nicht sterben«, knurrte Meg.

Ihr Aussehen verhieß etwas anderes. Sie hatte blutige Fingerknöchel und zerschrammte Knie. Ihr grünes Kleid, ein Geschenk von Percy Jacksons Mutter, das sie sehr liebte, sah aus, als ob ein Säbelzahntiger es als Kratzbaum benutzt hätte. Sie hatte das linke Bein ihrer Leggings abgerissen und versucht, damit die Blutung an ihrer Hüfte zu stillen, aber der Stoff hatte sich bereits vollgesogen.

Dennoch leuchteten ihre Augen trotzig. Die Strasssplitter glitzerten noch immer in der Fassung ihrer Schmetterlingsbrille. Ich wusste inzwischen, dass man Meg McCaffrey niemals für besiegt halten durfte, solange ihre Strasssplitter noch glitzerten.

Sie wühlte in ihren Samentüten und musterte die Aufschriften aus zusammengekniffenen Augen. »Rose. Osterglocke. Kürbis. Karotte.«

»Nein …« Grover schlug sich die Faust an die Stirn. »Arbutus ist wie … ein blühender Baum. Arrrgh, ich müsste das doch wissen.«

Ich konnte gut nachvollziehen, wie sehr er sich über seine Gedächtnislücken ärgerte. Ich hätte so vieles wissen müssen: die Schwächen der Strigae, den nächstgelegenen Geheimausgang aus dem Labyrinth, die Privatnummer des Zeus, damit ich ihn anrufen und um mein Leben flehen könnte. Aber mein Gedächtnis war leer. Meine Beine zitterten jetzt – vielleicht bedeutete das, dass ich bald wieder gehen könnte –, aber das stimmte mich auch nicht fröhlicher. Es gab ja nichts, wohin ich gehen konnte, ich hatte nur die Wahl, ob ich oben in diesem Schacht hier sterben wollte oder unten.

Meg war noch immer mit ihren Samentüten beschäftigt: »Steckrübe, Glyzinie, Feuerdorn, Erdbeere …«

»Erdbeere!« Grover schrie so laut auf, dass ich schon glaubte, er wollte es noch einmal mit dem Panikruf versuchen. »Genau! Arbutus ist ein Erdbeerbaum!«

Meg runzelte die Stirn. »Erdbeeren wachsen nicht auf Bäumen. Sie gehören zu der Art Fragaria, und die wiederum ist eine Untergattung der Rosenfamilie.«

»Ja, ja, weiß ich doch!« Grover fuchtelte mit den Händen, als ob er die Wörter gar nicht schnell genug loswerden könnte. »Und Arbutus gehört zu den Heidekrautgewächsen, aber …«

»Worüber redet ihr hier eigentlich?«, wollte ich nun wissen. Ich fragte mich, ob sie sich in die WLAN-Verbindung des Pfeils von Dodona eingeloggt hatten, um Botanik-Webseiten zu googeln. »Wir müssen gleich sterben und ihr streitet euch über Pflanzenarten?«

»Fragaria könnte funktionieren«, meinte Grover. »Arbutusfrüchte sehen schließlich aus wie Erdbeeren. Deshalb heißt es ja auch Erdbeerbaum. Ich bin einmal einer Arbutus-Dryade begegnet. Wir hatten darüber eine heftige Auseinandersetzung. Außerdem bin ich doch Erdbeerspezialist. Das sind alle Satyrn aus Camp Half-Blood!«

Meg starrte ihre Tüte mit den Erdbeersamen skeptisch an. »Ich weiß ja nicht.«

Unter uns schoss ein Dutzend Strigae aus der Tunnelöffnung und kreischte in einem Chor aus Ausweidungsankündigungswut.

»VERSUCH ES MIT DER FRAGEREI!«, schrie ich.

»Fragaria«, korrigierte Meg.

»VON MIR AUS!«

Statt ihre Erdbeersamen ins Leere zu werfen, riss Meg die Tüte auf und schüttelte sie mit irritierender Langsamkeit über den Rand des Simses.

»Beeil dich!« Ich versuchte, meinen Bogen zu fassen zu bekommen. »Wir haben vielleicht dreißig Sekunden.«

»Moment noch.« Meg klopfte die letzten Samen aus der Tüte.

»Fünfzehn Sekunden!«

»Warte!« Meg warf die Tüte weg. Sie legte die Hände über die Samen, als ob sie Keyboard spielen wollte (was sie gar nicht gut kann übrigens, obwohl ich mir alle Mühe gebe, es ihr beizubringen).

»Na gut«, sagte sie. »Los.«

Grover hob seine Flöte und begann eine hektische Version von »Strawberry Fields Forever« im Dreiertakt. Ich vergaß meinen Bogen, schnappte mir die Ukulele und stimmte in das Lied ein. Ich wusste nicht, ob es helfen würde, aber wenn ich schon in Stücke gerissen werden sollte, dann wollte ich wenigstens als Letztes noch etwas von den Beatles spielen.

In dem Moment, in dem die Welle aus Strigae über uns hereinbrach, explodierten die Samen wie eine Batterie von Feuerwerkskörpern. Grüne Luftschlangen wogten durch den Schacht und verankerten sich jeweils an der gegenüberliegenden Mauer, sodass sie mich an die Saiten einer riesigen Laute erinnerten. Die Strigae hätten problemlos durch die Lücken fliegen können, doch sie drehten durch, irrten hin und her, um den Pflanzen zu entgehen, und stießen mitten in der Luft aneinander.

Die Schlingpflanzen dagegen wurden immer dicker, Blätter öffneten sich, weiße Blüten leuchteten auf und Erdbeeren reiften und füllten die Luft mit ihrem süßen Duft.

Der Schacht grollte. Wo immer die Erdbeerpflanzen die Mauer berührten, bekamen die Backsteine Risse und lösten sich auf, was es den Erdbeeren leichter machte, Wurzeln zu schlagen.

Meg hob die Hände von ihrem nicht vorhandenen Keyboard. »Will das Labyrinth … helfen?«

»Ich weiß nicht«, sagte ich, während ich verzweifelt einen f-Moll-Septakkord klampfte. »Nur nicht aufhören!«

In unvorstellbarem Tempo verbreiteten sich die Erdbeeren wie eine grüne Flut über die Mauern.

Ich dachte gerade, Mann, was diese Pflanzen erst bei Sonnenlicht schaffen könnten, als das Deckengewölbe wie eine Eierschale barst. Leuchtende Strahlen durchdrangen die Dunkelheit. Felsbrocken stürzten herab, zerschmetterten die Vögel und zerrissen die Erdbeerlianen (die, anders als die Strigae, aber sofort nachwuchsen).

Sowie die Vögel vom Sonnenlicht getroffen wurden, kreischten sie auf und zerfielen zu Staub.

Grover ließ seine Panflöte sinken. Ich legte meine Ukulele auf den Boden. Wir sahen voller Staunen zu, wie die Pflanzen immer weiterwuchsen und sich miteinander verflochten, bis sich zu unseren Füßen ein Trampolin aus Erdbeertrieben durch den gesamten Schacht zog.

Die Decke war zerfallen und wir sahen einen leuchtend blauen Himmel. Heiße, trockene Luft fegte durch den Schacht wie der Hauch aus einem offenen Ofen.

Grover hob sein Gesicht ins Licht. Er schnupperte, und auf seinen Wangen glitzerten Tränen.

»Hast du dich verletzt?«, fragte ich.

Er starrte mich an. Seine verzweifelte Trauer zu sehen, tat noch mehr weh, als ins Sonnenlicht zu blicken.

»Der Duft warmer Erdbeeren«, sagte er. »Wie in Camp Half-Blood. Es ist so lange her …«

Ich verspürte ein seltsames Zucken in der Brust und streichelte Grovers Knie. Ich war nicht lange in Camp Half-Blood gewesen, dem Trainingslager für griechische Halbgötter auf Long Island, aber ich wusste, wie ihm zumute war. Ich fragte mich, wie es wohl meinen Kindern dort erging. Kayla, Will, Austin. Ich dachte daran, wie wir am Lagerfeuer gesessen und »Meine Mutter war ein Minotaurus« gesungen hatten, während wir angebrannte Marshmallows von einem Stöckchen aßen. Dermaßen perfekte Kameradschaft ist selten, sogar in einem unsterblichen Leben.

Meg lehnte sich gegen die Mauer. Ihr Gesicht war teigig-blass, ihr Atem abgehackt.

Ich wühlte in meinen Taschen und fand ein zerbrochenes Stück Ambrosia, das in eine Serviette gewickelt war. Ich trug es nicht für mich mit mir herum. In meinem sterblichen Zustand könnte mich schon ein Bissen dieser Götterspeise in Flammen aufgehen lassen. Aber Meg ließ sich Ambrosia meiner Erfahrung nach nicht immer ohne Gegenwehr verabreichen.

»Iss.« Ich drückte ihr die Serviette in die Hand. »Dann legt sich die Lähmung schneller.«

Sie verzog den Mund, wie um zu brüllen WILL NICH!, dann aber schien ihr die Vorstellung, wieder funktionierende Beine zu haben, doch zu gefallen. Sie fing an, an der Ambrosia zu knabbern.

»Was ist das denn da oben?«, fragte sie und schaute stirnrunzelnd zum blauen Himmel hoch.

Grover wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Wir haben es geschafft. Das Labyrinth hat uns zu unserem Stützpunkt gebracht.«

»Unserem Stützpunkt?« Ich hörte nur zu gern, dass wir einen Stützpunkt hatten. Ich hoffte, das bedeutete Sicherheit, ein weiches Bett und vielleicht eine Espressomaschine.

»Na ja.« Grover schluckte nervös. »Falls davon noch etwas übrig ist. Wir gehen mal nachsehen.«

4

Mein schöner Stützpunkt

Es gibt Sand, Felsen, Steine –

Den Sand schon erwähnt?

Sie behaupten, ich sei an die Oberfläche gelangt.

Ich kann mich nicht erinnern.

Meg war teilweise gelähmt, und Grover hatte mich schon die halbe Rampe hochgetragen, also wirkt es seltsam, dass ausgerechnet ich bewusstlos geworden sein soll, aber was kann ich sagen? Dieser f-Moll-Septakkord in »Strawberry Fields Forever« hatte mir wohl doch mehr Kraft abverlangt, als mir klar gewesen war.

Ich erinnere mich immerhin an Fieberträume.

Vor mir ragte eine elegante Frau mit Olivenhaut auf. Sie hatte ihre langen kastanienbraunen Haare zu einem Dutt mitten auf den Kopf gesteckt und ihr ärmelloses Kleid war so hell und grau wie Mottenflügel. Sie sah aus wie zwanzig, aber ihre Augen waren wie schwarze Perlen – ihr harter Glanz war von Jahrhunderten geprägt, eine Schutzschicht, um ungenannte Sorgen und Enttäuschungen zu verbergen. Es waren die Augen einer Sterblichen, die den Fall gewaltiger Zivilisationen gesehen hatte.

Wir standen zusammen auf einem steinernen Sockel, am Rand von etwas, das aussah wie eine mit Lava gefüllte Schwimmhalle. Die Luft flimmerte vor Hitze. Asche stach mir in die Augen.

Die Frau hob die Arme zu einer beschwörenden Geste. Glühend rote Eisenfesseln umschlossen ihre Handgelenke und geschmolzene Ketten hielten sie an der Plattform fest, wobei das heiße Metall sie offenbar nicht verbrannte.

»Es tut mir leid«, sagte sie.

Aus irgendeinem Grund wusste ich, dass nicht ich gemeint war. Ich beobachtete diese Szene durch die Augen eines anderen. Sie hatte diesem anderen gerade eine schlechte Nachricht überbracht, eine niederschmetternde Nachricht, wenn ich auch keine Ahnung hatte, worum es sich handelte.

»Ich würde dich verschonen, wenn ich könnte«, fügte sie hinzu. »Ich würde auch sie verschonen. Aber das kann ich nicht. Sag Apollo, dass er kommen muss. Nur er kann mich befreien, auch wenn das hier eine …« Sie würgte, als ob ihr eine Glasscherbe in der Kehle stecken geblieben wäre. »Fünf Buchstaben«, krächzte sie. »Erster ein F.«

Falle, dachte ich. Die Antwort ist Falle!

Ich freute mich einen Moment lang, wie bei einem Fernsehquiz, wenn man die richtige Antwort weiß. Ich wünschte, ich wäre der Kandidat, denkt man, dann würde ich sämtliche Preise abräumen.

Dann ging mir auf, dass dieses Quiz mir nicht gefiel. Vor allem dann nicht, wenn die Antwort Falle war. Vor allem dann nicht, wenn diese Falle der Hauptpreis war und auf mich wartete.

Das Bild der Frau löste sich in Flammen auf.

Ich fand mich an einem anderen Ort wieder – einer überdachten Terrasse mit Blick auf eine vom Mond beschienene Bucht. In der Ferne, in Dunst gehüllt, erhob sich der dunkle, vertraute Umriss des Vesuv, aber so, wie er ausgesehen hatte, ehe der Ausbruch im Jahre 79 Allgemeiner Zeitrechnung seinen Gipfel in Fetzen riss, Pompeji auslöschte und Tausende von Römern umkommen ließ. (Dafür könnt ihr Vulcanus verantwortlich machen. Der hatte damals wirklich eine miese Woche.)

Der Abendhimmel war grau-violett, die Küste nur von Feuern, Mond und Sternen erhellt. Unter meinen Füßen funkelte der Mosaikboden der Terrasse, gelegt aus goldenen und silbernen Steinen, wie sie sich nur sehr wenige Römer leisten konnten. An den Mauern prangten bunte Fresken und Seidenvorhänge, die Hunderttausende von Denarii gekostet haben mussten. Ich wusste, wo ich mich befand: in einer kaiserlichen Villa, einem der vielen Vergnügungspaläste, die es in den frühen Tagen des Kaiserreichs rund um den Golf von Neapel gegeben hatte. Normalerweise hätte ein solcher Bau nachts vor Licht gelodert, als Zeichen von Macht und Reichtum, aber die Fackeln auf der Terrasse waren dunkel und in schwarze Tücher gehüllt.

Im Schatten einer Säule stand ein schlanker junger Mann und schaute hinaus aufs Meer. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber seine Haltung verriet seine Ungeduld. Er zupfte an seinen weißen Gewändern, verschränkte die Arme vor der Brust und tippte mit der Sandale auf den Boden.

Ein zweiter Mann tauchte auf, ein muskulöser Kämpfer, der mit klirrender Rüstung und angestrengt keuchend auf die Terrasse marschierte. Ein Helm der Prätorianergarde verbarg sein Gesicht.

Er kniete vor dem jüngeren Mann nieder. »Es ist vollbracht, Princeps.«

Princeps. Das lateinische Wort für Erster in der Reihe oder Erster Bürger – dieser reizende Euphemismus, den die römischen Kaiser benutzten, um herunterzuspielen, wie absolut ihre Macht wirklich war.

»Bist du diesmal sicher?«, fragte eine schrille junge Stimme. »Ich will keine weiteren Überraschungen.«

Der Prätorianer streckte seine kräftigen behaarten Unterarme aus. Blutige Striemen leuchteten im Mondlicht, als ob verzweifelte Fingernägel seine Haut zerkratzt hätten.

»Was hast du benutzt?« Der jüngere Mann schien fasziniert zu sein.

»Sein eigenes Kissen«, sagte der kräftige Mann. »Kam mir am leichtesten vor.«

Der jüngere Mann lachte. »Das alte Schwein hatte es nicht besser verdient. Ich warte Jahre, bis er endlich stirbt, endlich können wir verkünden, dass er die Cochlea abgegeben hat, und er besitzt die Frechheit, wieder zu sich zu kommen? So nicht, Freundchen. Morgen wird ein neuer, besserer Tag für Rom sein.«

Er trat ins Mondlicht und zeigte sein Gesicht – ein Gesicht, das ich niemals wiederzusehen gehofft hatte.

Er sah auf eine dünne, kantige Weise gut aus, obwohl seine Ohren ein bisschen zu weit abstanden. Sein Lächeln war grausam. Seine Augen besaßen die Wärme eines Barrakudas.

Selbst wenn ihr ihn nicht erkennt, liebe Leserinnen und Leser, so seid ihr ihm bestimmt begegnet. Er ist der Schultyrann, aber so charmant, dass er nie erwischt wird; der, der sich die grausamsten Streiche ausdenkt, der andere seine Drecksarbeit machen lässt und der bei den Lehrern weiterhin hoch angesehen ist. Er ist der Junge, der Insekten die Flügel ausreißt und streunende Tiere foltert, und der dabei so lacht, dass er euch fast davon überzeugen kann, dass es nur ein harmloser Spaß ist. Er ist der Junge, der aus der Tempelkollekte Geld stiehlt, hinter dem Rücken alter Damen, die ihn loben, weil er so ein reizender junger Mann ist.

So einer ist er, so ein übler Typ.

Und in dieser Nacht bekam er einen neuen Namen, der Rom keinesfalls einen besseren Tag verhieß.

Der Prätorianer senkte den Kopf. »Ave, Cäsar!«

Ich fuhr zitternd aus meinem Traum hoch.

»Gutes Timing«, sagte Grover.

Ich setzte mich auf. Mein Kopf dröhnte. Mein Mund fühlte sich an, als sei er voller Strixstaub.

Ich lag in einem improvisierten Unterstand – unter einer blauen Plastikplane, die auf einem Hügel mit Blick auf die Wüste aufgespannt war. Die Sonne ging gerade unter. Neben mir hatte sich Meg im Schlaf zusammengerollt, ihre Hand ruhte auf meinem Handgelenk. Das war schon irgendwie süß, aber leider wusste ich noch, wo ihre Finger gewesen waren. (Tipp: in ihren Nasenlöchern.)

Grover saß nicht weit entfernt auf einem Felsblock und trank Wasser aus einem Kanister. Seine müde Miene ließ mich annehmen, dass er unseren Schlaf bewacht hatte.

»Ich bin ohnmächtig geworden?«, vermutete ich.

Er warf mir den Kanister zu. »Und ich dachte immer, ich hätte schon einen tiefen Schlaf. Du warst stundenlang weg.«

Ich trank einen Schluck, dann rieb ich mir den Sand aus den Augen und wünschte, ich könnte mir die Träume ebenso leicht aus dem Kopf reiben: eine in einem flammenden Raum angekettete Frau, eine Falle für Apollo, ein neuer Cäsar mit dem reizenden Lächeln eines jungen Psychopathen.

Nicht daran denken, sagte ich mir. Träume müssen ja nicht wahr werden.

Nein, antwortete ich mir. Nur die bösen. Wie die von eben.

Ich konzentrierte mich auf Meg, die im Schatten unseres Unterstandes schnarchte. Ihr Bein war frisch verbunden und sie trug ein sauberes T-Shirt über ihrem zerfetzten Kleid. Ich versuchte, mein Handgelenk aus ihrem Zugriff zu befreien, aber sie packte es nur noch fester.

»Ihr geht es gut«, versicherte mir Grover. »Körperlich jedenfalls. Ist eingeschlafen, nachdem wir dich hier untergebracht hatten.« Er runzelte die Stirn. »Es schien ihr hier allerdings nicht zu gefallen. Sagte, sie könnte diesen Ort hier nicht ertragen. Wollte weg. Ich hatte schon Angst, sie würde wieder ins Labyrinth springen, aber ich konnte ihr klarmachen, dass sie zuerst Ruhe braucht. Ich habe Musik gemacht, damit sie sich entspannt.«

Ich sah mich um und fragte mich, was Meg so zu schaffen gemacht hatte.

Unter uns erstreckte sich eine Landschaft, die nur um weniges gastfreundlicher war als der Mars (ich meine den Planeten, nicht den Gott, obwohl sie beide wohl keine besonders fürsorglichen Gastgeber sind). Von Sonne verbrannte ockergelbe Berge umgaben ein Tal, das aussah wie ein Flickenteppich aus unnatürlich grünen Golfplätzen, staubigen Brachen und zersiedelten Ortschaften mit weißen Stuckmauern, roten Dachziegeln und blauen Swimmingpools. Am Straßenrand ragten verkommene Palmen auf wie ausgefranste Rocksäume. Asphaltierte Parkplätze flimmerten in der Hitze. Ein brauner Dunst hing in der Luft und füllte das Tal wie wässrige Bratensoße.

»Palm Springs«, sagte ich.

In den Jahren nach 1950 hatte ich diese Stadt gut gekannt. Ich war ziemlich sicher, dass ich am Ende der Straße dahinten, bei dem Golfplatz, zusammen mit Frank Sinatra eine Party gegeben hatte, aber das kam mir vor wie ein anderes Leben. Vermutlich, weil es das gewesen war.

Jetzt wirkte die Gegend viel weniger gastlich – die Temperatur war viel zu heiß für einen Abend im Frühling, die Luft zu schwer und scharf. Etwas stimmte hier nicht, etwas, das ich nicht so ganz identifizieren konnte.

Ich musterte unsere unmittelbare Umgebung. Wir befanden uns auf einem Hügelkamm, hinter uns im Westen lag die San-Jacinto-Wüste, im Osten zu unseren Füßen dehnte sich das Gewimmel von Palm Springs aus. Ein Kiesweg führte unten am Hügel entlang und schlängelte sich zu der einen knappen Kilometer entfernten nächstgelegenen Ansiedlung, aber ich konnte sehen, dass auf unserem Hügel irgendwann einmal ein großes Gebäude gestanden haben musste.

In den felsigen Hang war ein halbes Dutzend hohler Zylinder aus Backsteinen eingesunken, jeder vielleicht zehn Meter im Durchmesser, wie die Trümmer aufgegebener Zuckerfabriken. Sie waren unterschiedlich hoch und in unterschiedlichen Stadien des Zerfalls begriffen, aber ihre Oberkanten befanden sich alle auf gleicher Höhe, deshalb hielt ich sie für massive Stützpfeiler eines Stelzenhauses. Nach dem Abfall zu urteilen, der auf dem Hang herumlag – Glasscherben, verkohlte Bretter, rußschwarze Backsteinklumpen –, nahm ich an, dass dieses Haus schon vor vielen Jahren abgebrannt war.

Dann begriff ich: Wir waren offenbar durch einen dieser Zylinder geklettert, um aus dem Labyrinth zu entkommen.

Ich drehte mich zu Grover um. »Wo sind die Strigae?«

Er schüttelte den Kopf. »Wenn überhaupt welche überlebt hätten, würden sie sich nicht ans Tageslicht wagen, sogar wenn sie durch die Erdbeeren hindurchkämen. Die Pflanzen haben den gesamten Schacht ausgefüllt.« Er zeigte auf den hintersten Ring aus Backsteinen, dem wir offenbar entstiegen waren. »Da kommt niemand mehr rein oder raus.«

»Aber …« Ich zeigte auf die Ruinen. »Das ist doch wohl nicht dein Stützpunkt?«

Ich hoffte, dass er mir widersprechen würde. Aber nicht doch, unser Stützpunkt ist das hübsche Haus da hinten, mit dem Schwimmbecken von olympischen Dimensionen, gleich neben dem fünfzehnten Loch!

Stattdessen besaß er die Frechheit, zufrieden auszusehen. »Doch. Dieser Ort hier besitzt eine mächtige natürliche Energie. Es ist der perfekte Zufluchtsort. Kannst du die Lebenskraft nicht spüren?«

Ich hob einen verkohlten Backstein auf. »Lebenskraft?«

»Du wirst schon sehen.« Grover nahm die Mütze ab und kratzte sich zwischen den Hörnern. »So, wie sich die Dinge entwickelt haben, müssen die Dryaden bis Sonnenuntergang schlafen. Nur so können sie überleben. Aber sie werden bald aufwachen.«

So, wie sich die Dinge entwickelt haben.

Ich schaute nach Westen. Die Sonne war soeben hinter den Bergen verschwunden. Der Himmel war in Schichten aus Rot und Schwarz marmoriert, was besser zu Mordor gepasst hätte als zu Südkalifornien.

»Was ist denn passiert?«, fragte ich, aber ich war nicht sicher, ob ich die Antwort wirklich hören wollte.

Grover schaute traurig in die Ferne. »Du hast wohl keine Nachrichten gesehen? Die größten Waldbrände in der Geschichte des Staates. Zusätzlich zur Dürre, zu den Hitzewellen und den Erdbeben.« Er schüttelte sich. »Tausende von Dryaden sind umgekommen. Tausende andere haben sich in eine Art Dämmerschlaf begeben. Wenn das nur normale Naturkatastrophen wären, wäre es ja schon schlimm genug, aber …«

Meg wimmerte im Schlaf. Sie fuhr hoch und blinzelte verwirrt. Der Panik in ihren Augen entnahm ich, dass ihre Träume noch schlimmer gewesen waren als meine.

»W-wir sind wirklich hier?«, fragte sie. »Ich habe das nicht geträumt?«

»Ist schon gut«, sagte ich. »Du bist in Sicherheit.«

Sie schüttelte den Kopf und ihre Lippen bebten. »Nein. Nein, bin ich nicht.«

Mit zitternden Fingern nahm sie ihre Brille ab, als ob sie ihre Umgebung besser ertragen könnte, wenn sie nur verschwommen zu sehen war. »Ich will hier nicht sein. Nicht schon wieder.«

»Wieder?«, fragte ich.

Eine Zeile aus der Weissagung von Indiana meldete sich in meiner Erinnerung zu Wort: Demeters Tochter findet ihren alten Keim. »Du meinst, du hast hier gelebt?«

Meg musterte die Ruinen. Sie zuckte unglücklich mit den Schultern, aber ob das Ich weiß es nicht oder Ich will nicht darüber sprechen bedeutete, konnte ich nicht sagen.

Die Wüste schien mir als Zuhause für Meg ziemlich abwegig – für eine Straßengöre aus Manhattan, die in Neros kaiserlichem Haushalt aufgewachsen war.

Grover zupfte nachdenklich an seinem Kinnbart. »Demeters Tochter – das ergibt wirklich sehr viel Sinn.«

Ich starrte ihn an. »Hier? Ein Kind des Vulcanus, vielleicht. Oder ein Kind von Feronia, der Wüstengöttin. Oder von mir aus sogar eins von Mefitis, der Göttin der giftigen Gase. Aber Demeter? Was soll ein Kind der Demeter denn hier wachsen lassen? Felsbrocken?«

Grover sah verletzt aus. »Du verstehst das nicht. Wenn du erst die anderen kennengelernt hast …«

Meg kroch unter der Plane hervor. Sie kam unsicher auf die Beine. »Ich muss weg hier!«

»Warte!«, flehte Grover. »Wir brauchen deine Hilfe. Sprich wenigstens einmal mit den anderen!«

Meg zögerte. »Den anderen?«

Grover zeigte nach Norden. Ich konnte zuerst nicht sehen, worauf er zeigte, aber als ich aufstand, entdeckte ich halb versteckt hinter den Backsteinruinen eine Reihe von sechs weißen kistenartigen Bauten, die aussahen wie – Vorratsschuppen? Nein. Gewächshäuser. Das nächststehende war schon vor langer Zeit zusammengefallen, zweifellos ein Opfer des Feuers. Wände und Dach des zweiten, das aus gewellten Polycarbonatplatten bestanden hatte, waren wie ein Kartenhaus eingestürzt. Aber die anderen vier schienen unversehrt zu sein. Draußen waren Blumentöpfe aus Ton aufgestapelt. Die Türen standen offen. Von innen pressten sich grüne Pflanzen gegen die durchscheinenden Wände – Palmwedel, wie riesige Hände, die versuchten, sich einen Weg nach draußen zu bahnen.

Ich konnte nicht verstehen, wie irgendetwas in diesem kargen, ausgebrannten Ödland überleben konnte, schon gar nicht in einem Gewächshaus, in dem es doch immer noch wärmer ist. Ich wollte diesen klaustrophobischen Schwitzhütten jedenfalls um keinen Preis näher kommen.

Grover lächelte ermutigend. »Inzwischen sind bestimmt alle wach. Kommt mit, dann stell ich euch die Bande vor.«

5

Sanitätskaktus,

heil bitte meine Wunden!

(Nur ohne Schleimspur.)

Grover ging vor uns her zu dem ersten unversehrten Gewächshaus, vor dem es roch wie aus Persephones Mund.

Das ist kein Kompliment. Frau Frühling saß bei Familienessen immer neben mir und sie hatte keine Hemmungen, wenn es darum ging, ihren Mundgeruch zu verbreiten. Stellt euch den Duft einer Tonne voller feuchter Lauberde vermischt mit Regenwurmkacke vor. Genau. Ach, ich liebe den Frühling.

Im Gewächshaus hatten die Pflanzen die Herrschaft ergriffen. Ich fand das beängstigend, zumal die meisten von ihnen Kakteen waren. Neben der Tür hockte ein Ananas-Kaktus von Bierfassgröße, seine gelben Stacheln sahen aus wie Schaschlikspieße. In der hinteren Ecke stand ein majestätischer Josua-Baum. Vor der gegenüberliegenden Wand blühte eine gewaltige Opuntie. Sie hatte Dutzende von dornigen löffelartigen Auswüchsen voller lila Früchte, die köstlich aussahen, nur hatte jede einzelne noch mehr Stacheln als die Lieblingskeule des Ares. Metalltische stöhnten unter dem Gewicht weitere Kakteenpflanzen – Salicornia, Escobaria vivipara, Cylindropuntia und noch Dutzende andere, deren Namen ich nicht kannte. Umgeben von so vielen Dornen und Blüten und in dieser drückenden Hitze fühlte ich mich zurückversetzt zu Iggy Pops Auftritt 2002 in Coachella.

»Ich bin wieder da!«, verkündete Grover. »Und ich bringe lieben Besuch mit!«

Schweigen. Selbst nach Sonnenuntergang war es hier noch so heiß und drückend, dass ich bestimmt in ungefähr vier Minuten an einem Hitzschlag sterben würde. Und dabei war ich doch ein ehemaliger Sonnengott!

Endlich tauchte die erste Dryade auf. Eine Chlorophyllblase blähte sich an der Seite der Opuntie auf und zerplatzte zu grünem Nebel. Die Tropfen verdichteten sich zu einem kleinen Mädchen mit smaragdgrüner Haut, gelben Stachelhaaren und einem aus Kakteenstacheln geschneiderten Fransenkleid. Ihr Blick war fast so spitz wie ihr Kleid. Zum Glück richtete sie den auf Grover, nicht auf mich.

»Wo hast du dich denn rumgetrieben?«, fragte sie anklagend.

»Äh«, Grover räusperte sich. »Ich wurde abgerufen. Magische Mobilmachung. Erzähl ich dir später genauer. Aber sieh mal, ich habe Apollo mitgebracht. Und Meg, die Tochter der Demeter!«

Er zeigte Meg vor wie den Hauptgewinn an einer Losbude.

»Hmpf«, sagte die Dryade. »Töchter der Demeter sind in Ordnung. Ich bin Opuntie. Oder abgekürzt Punzi.«

»Hallo«, sagte Meg mit schwacher Stimme,

Die Dryade sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. Ihr Stachelkleid ließ mich hoffen, dass sie nicht auf Umarmungen stand. »Bist du Apollo wie in der Gott Apollo?«, fragte sie. »Ich glaub es nicht.«

»Geht mir an manchen Tagen auch so«, gab ich zu.

Grover sah sich im Gewächshaus um. »Wo sind die anderen?«

Wie aufs Stichwort barst über einem Kaktus eine weitere Chlorophyllblase. Eine zweite Dryade tauchte auf – eine große junge Frau in einem knöchellangen, weiten Kittel von Artischockenfarbe. Ihre Haare waren ein Wald aus dunkelgrünen Dreiecken. Ihr Gesicht und ihre Arme glänzten, als wären sie eben eingeölt worden (ich hoffte jedenfalls, dass es Öl war und kein Schweiß).

»Oh!«, rief sie, als sah, wie zerschunden wir waren. »Seid ihr verletzt?«

Punzi verdrehte die Augen. »Al, hör doch auf.«