Die Albtraumgruppe und andere Erzählungen - Ina Kramer - E-Book

Die Albtraumgruppe und andere Erzählungen E-Book

Ina Kramer

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Beschreibung

Elf Geschichten, die mit Humor und feiner Ironie von den Unwägbarkeiten erzählen, die das Leben bereithält.

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Ina Kramer wurde in Mülheim an der Ruhr geboren, machte Abitur in Essen, studierte Freie Kunst und Künstlerisches Lehramt an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, unterrichtete vier Jahre lang Kunst an einem Duisburger Gymnasium, malte und nahm an einigen Gruppenausstellungen teil, assistierte Ulrich Kiesow beim Erstellen des Regelwerks für das Fantasy-Rollenspiel Das Schwarze Auge, trug durch Texte, darunter vier Romane, und zahlreiche Illustrationen zur Ausgestaltung der Spielwelt Aventurien bei, betreute als freie Lektorin diverse Romanprojekte, schrieb Prosa und Gedichte und erhielt 2014 ihren ersten Literaturpreis.

Sie lebt und arbeitet in Düsseldorf.

Inhaltsverzeichnis

Karla

Das Gästeklo

Harald und die Spinnen

Die Torte im Parkhaus

Froschkönig e.V.

Die Albtraumgruppe

Eine Geschichte schreiben

Rüdigers Rache

Das Schützenfest

Vor Hagen wird gewarnt

Onkel Alfreds Beerdigung

KARLA

Heute habe ich Karla kennengelernt. Das heißt, ich habe ihren Namen erfahren (er stand auf dem kleinen Schild im Schaufenster), sie gesehen, sie angelächelt, ihr meinen Wunsch vorgetragen, bezahlt, die Ware in Empfang genommen, „danke“ und „auf Wiedersehen“ gesagt. In dieser Reihenfolge. Und auf dem Heimweg habe ich beschlossen, sie zum Gegenstand der folgenden Aufzeichnungen zu machen. Karla ist die Eigentümerin des neuen Zeitschriften- und Schreibwarenladens, der die Räume der früheren Bäckerei Schinkel bezogen hat.

Doch zunächst ein paar Worte zu meiner Person. Üblicherweise gehe ich bei meinen Texten gleich in medias res. Gelegentlich verspüre ich jedoch den Drang, so wie heute, mich einem eventuellen zukünftigen Leser vorzustellen, ein unerklärliches, abstruses Bedürfnis, da mir nichts ferner liegt, als die Veröffentlichung meiner Aufzeichnungen auch nur in Erwägung zu ziehen, und ich meine Notizbücher und CDs selbst vor meiner nigerianischen Zugehfrau, die des Deutschen nur sehr unvollkommen mächtig ist, sorgfältig verberge.

Ich bin Mitte vierzig und finanziell unabhängig. Meine früh verstorbenen Eltern haben mir, ihrem einzigen Kind, neben einem nicht unbeträchtlichen Vermögen an Geld und Wertpapieren ein Mietshaus hinterlassen, dessen Einnahmen allein, nach Abzug sämtlicher Kosten, ausreichten, mir ein komfortables Auskommen zu sichern. Da ich völlig ungebunden bin, weder für Frau und Kinder sorgen muss noch für meinen Lebensunterhalt, verbringe ich meine Tage frei von jeglicher Verpflichtung, aber nicht müßig.

Nach dem eher mäßigen Abitur versuchte ich mich in verschiedenen Studiengängen ohne Numerus clausus (Sinologie, Kunstgeschichte und Paläontologie zum Beispiel), gab das Studieren aber stets nach ein paar Semestern wieder auf, zum einen, da ich ohnehin nicht vorhatte, eines dieser Fächer später zum Beruf zu machen, zum anderen, da mein Interesse an allem, was nicht in direktem Zusammenhang mit meinem eigentlichen Interesse steht, ziemlich rasch erlahmt.

Und damit bin ich bei meiner Beschäftigung, meinem Hobby, meiner Obsession angelangt: Ich beobachte Frauen. Diese Tätigkeit füllt tatsächlich den Großteil meiner wachen Stunden aus. Und dennoch, auch wenn der Verdacht natürlich naheliegt, würde ich mich nicht als Voyeur bezeichnen. Eher schon als Forscher, mit leicht fetischistischer Neigung vielleicht. Aber ist die nicht allen Forschern eigen?

Wie gesagt, ich beobachte Frauen, sehe sie mir an, denke über sie nach, und damit erschöpfen sich an den unergiebigen Tagen, die leider die überwiegende Mehrheit darstellen, meine außerhäuslichen Aktivitäten. Wie man sich denken kann, komme ich recht viel herum; das Viertel, in dem ich wohne, habe ich längst abgegrast. Ich weiß inzwischen fast auf die Minute genau, welche Dame wann in welchem Feinkostladen anzutreffen ist, welche sich mit ihren Freundinnen beim Nobel-Italiener trifft, die Töchter zur Ballettstunde bringt, den Hund ausführt et cetera. Es waren ohnehin nie sehr viele Frauen in der hiesigen Gegend, die mein Interesse wecken konnten, und die wenigen erfreulichen Ausnahmen sind mittlerweile erforscht und zu den Akten gelegt oder fortgezogen. Hier wohnen Ärzte, Rechtsanwälte, Geschäftsleute, kurz Menschen mit einem ähnlichen finanziellen Hintergrund wie ich, und unter diesen hält sich hartnäckig der Irrglaube, dass schön nur sein kann, wer auch dürr ist.

Ich aber liebe dicke Frauen.

Selbstverständlich gefällt mir nicht jede Dicke oder besser: jedes Dicksein. Jogginganzüge, unter denen sich die Speckwülste abzeichnen, ausgeleierte T-Shirts über ungestützt bis zum Nabel baumelnden Brüsten, fettiges Haar, das fahle, aufgedunsene Gesichter umrahmt, ein schwerfällig watschelnder Gang – all das sind Anzeichen von Verwahrlosung, Körperfeindlichkeit und Undiszipliniertheit, die meinen Abscheu erregen. Eine Frau, die mir gefallen will, sollte auf eine gepflegte Erscheinung Wert legen und ihre Üppigkeit mit Stolz und Anmut tragen. Die Haarfarbe ist mir gleichgültig, aber ich gebe dem junonischen Typus eindeutig den Vorzug vor den Kleinen; optimal finde ich eine Körpergröße von etwa einem Meter fünfundsiebzig (meine beträgt exakt einseinundneunzig) und ein Gewicht von hundert bis hundertzehn Kilogramm.

Ich selbst hingegen, das scheint mir erwähnenswert, neige gar nicht zur Korpulenz; vermutlich ist das Schlanksein in meinem genetischen Programm festgeschrieben. Oder es liegt an meinem bewegten Leben; meine Arbeit verlangt halt, dass ich viel spazierengehe. Wie dem auch sei, die Waage, wenn ich einmal auf eine steige (was eher selten der Fall ist, da ich keine besitze), zeigt etwa dreiundachtzig Kilogramm an, und das seit fast dreißig Jahren. Mein Abituranzug sitzt immer noch tadellos.

Meine Vorliebe für üppige Damen lässt sich mit der Binsenwahrheit, dass Gegensätze sich anziehen, nicht wirklich, allenfalls teilweise erklären (wie bereits erwähnt, interessieren mich nur großgewachsene Frauen, mit den Kleinen, ob dick oder dünn, niedlich, zierlich oder pummelig, kann ich nichts anfangen). Und auch den Hobbypsychologen, der jetzt Ödipuskomplex krakeelt, muss ich leider enttäuschen: Meine Mutter maß exakt einsachtundsechzig, trug Konfektionsgröße achtunddreißig, und ich hatte niemals den Wunsch, mit ihr zu schlafen. Viel eher vermute ich in diesem Drang zur Korpulenz das Fortwirken meiner seit frühester Kindheit bestehenden Faszination durch Stoffe und Faltenwurf. Wie oft habe ich nicht, statt den angeordneten Mittagsschlaf zu absolvieren, das Spiel von Licht und Schatten auf den Falten meiner Decke studiert und mir bizarre Landschaften, märchenhafte Architekturen oder gespenstische Wesenheiten zusammenphantasiert. Ja, damals wurde, da bin ich mir fast sicher, der Grundstein für meine Obsession gelegt. Denn mit der Zeit traten die Landschaften immer mehr in den Hintergrund, und die liegenden, kauernden, sich räkelnden Riesinnen gewannen, unterstützt durch die modellierende Arbeit meiner Beine und Hände, die Oberhand.

Um auf meine Tätigkeit zurückzukommen – das Viertel, in dem ich wohne, ist, wie gesagt, weitgehend abgegrast. Natürlich gibt es immer wieder einmal Neuzugänge, Karla zum Beispiel, aber dass sich unter ihnen eine Schönheit findet, ist eher die Ausnahme. Daher war ich in der Vergangenheit oft gezwungen, andere Gegenden aufzusuchen und weite Strecken zurückzulegen, meistens zu Fuß, manchmal mit öffentlichen Verkehrsmitteln, nur äußerst selten mit dem Auto (denn habe ich eine attraktive Dame erspäht, nehme ich, wenn irgend und so unauffällig wie möglich, die Verfolgung auf, und das geht mit dem Auto nun einmal schlecht).

Was will ich von den Frauen? Suche ich eine Gespielin? Eine Gefährtin? Eine Ehefrau? Nein, nichts von alledem. Zwar ist mein Treiben sexuell gefärbt oder vielmehr von Sexualität durchdrungen, aber ich sehne mich nicht nach geschlechtlicher Vereinigung; sie wäre mir auch schlecht möglich, da ich seit meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr praktisch impotent bin. Des weiteren drängt es mich nicht, die auserwählten Frauen nackt zu sehen. Der nackte korpulente Körper ist in der Regel unvollkommen, selbst bei sehr jungen Frauen, denen mein Interesse allerdings weniger gilt, und die Fotos in den Hochglanzmagazinen, die Männer meiner Veranlagung vom Gegenteil überzeugen wollen, spiegeln nur zu maximal fünfzig Prozent die Wirklichkeit wieder. Davon bin ich überzeugt. (Der Rest ist Manipulation; man braucht nur die entsprechende Software und einen leistungsstarken Computer.) Oft genug nämlich habe ich erlebt, dass eine Königin das Schwimmbad betrat – auch dort habe ich vor Zeiten gesucht, inzwischen weiß ich es besser –, die dann zu meinem Kummer als gar nicht mehr königliche Person mit Dehnungsstreifen, Krampfadern und Plattfüßen ins Wasser stieg. Ich begehre weder eine Domina noch möchte ich dominante Neigungen ausleben; allenfalls ein kleines neckisches Spanking liegt für mich im Bereich des Vorstellbaren. Und ganz gewiss suche ich niemanden, mit dem ich meinen Alltag teilen möchte (auch in meinem Leben gibt es nämlich einen Alltag: essen, einkaufen, fernsehen, lesen und so fort).

Ich möchte, und hier nun schlage ich den Bogen zurück zu meiner Kindheit, zum Spiel mit dem Faltenwurf meines Bettes, die auserwählten Frauen nicht entkleiden, sondern verhüllen. Natürlich nicht mit etwas Tschador- oder Burkaartigem, o nein, ihre Schönheit soll ja nicht verborgen werden! In Samt und Seide will ich sie kleiden, beobachten, wie die Stoffe über ihre Rundungen fließen, sich bauschen, straffen, knautschen, plissieren und so fort. Für alle Damen meiner Sammlung habe ich Kleider entworfen, die Zeichnungen füllen die Skizzenbücher in meinem Versteck, aber niemals ist es mir gelungen, mit einer von ihnen in so nahe Bekanntschaft zu treten, dass ich es gewagt hätte, ihr meine Entwürfe zu zeigen, einen der Stoffe aus meiner Truhe um sie zu drapieren oder gar, und das wäre für mich der Gipfel der Glückseligkeit, mit Stoffen und Skizzenbuch ein Schneideratelier aufzusuchen, um ihr meine Kollektion auf den Leib schneidern zu lassen.

Die Frau, bei der mir das gelingt, falls es mir jemals gelingen sollte, wird mein Idol sein, meine Göttin, die ich für den Rest meines Lebens anbeten werde.

Vielleicht habe ich sie ja in Karla endlich gefunden.

*

Als Karla zum ersten Mal drei Ziffern vor dem Komma entgegenleuchteten, wurde ihr für einen Augenblick schwarz vor Augen. Doch die Ohnmacht, halb gewünscht, blieb aus. Statt dessen zeigte, als der Schwindel vorüber war und sie wieder klar sehen konnte, das Display nur noch neunundachtzigkommazwei Kilo, eine Zahl, noch absurder und märchenhafter als die erste. Daher betrachtete Karla sie mit fast demselben ungläubig entsetzten Staunen wie zuvor die Hunderteins. Sie beugte sich vor, um das Wunder genauer in Augenschein zu nehmen, zog den Bauch ein, soweit das möglich war, presste die Hände vor die schweren Brüste, und da stand sie wieder, die grauenhafte Zahl (Karla hatte sich nämlich vor Schreck am Waschbecken abgestützt).

Das kann nicht sein! dachte sie. Entschlossen wiederholte sie den Wiegevorgang, aber die Waage ließ nicht mit sich handeln: hunderteinskommaeins. Vielleicht sind ja die Batterien nicht mehr frisch, ging es ihr durch den Kopf. Das wäre eine Erklärung. Voller Hoffnung setzte sie zwei neue ein und wagte einen dritten Versuch: hunderteinskommaeins.

In einem Anfall von Verzweiflung und Hass, gegen sich, das Fett, die Welt und die Waage, stampfte sie zweimal mit aller Kraft auf deren Trittfläche, rutschte aber beim zweiten Mal so unglücklich ab, dass sie sich äußerst schmerzhaft den kleinen Zeh prellte. Karla stöhnte, Tränen schossen ihr in die Augen. Sie versuchte, den verletzten Fuß mit der Hand zu erreichen, aber in ihrer momentanen seelischen Verfassung war es ihr unmöglich, dabei das Gleichgewicht zu halten. Also hüpfte sie, an Wand, Waschbecken und Badewannenrand Halt suchend, auf dem linken Fuß bis zum Klo und ließ sich schwer auf den Sitz fallen. Nun liefen die Tränen, aber sie kümmerte sich nicht darum. Erst als auch die Nase zu tropfen begann, riss sie unwirsch ein paar Blätter Toilettenpapier ab und schneuzte sich. Auch ohne Taschenrechner wusste sie, dass der Body Mass Index bei einer Größe von einsachtundsiebzig und einem Gewicht von hunderteins Kilogramm, ihrer Größe und ihrem Gewicht, die Dreißig überschritten hatte und sie somit von der Kategorie Übergewicht in die Kategorie schweres oder gar krankhaftes Übergewicht gewechselt war: Adipositas. So lautete der medizinische Fachterminus, und er klang gar nicht einmal so grauenhaft, dachte sie, aber er bedeutete Fettleibigkeit, und das abstoßende Wort traf es genau, es passte zu diesen abstoßenden Fleischmassen.

Nach ein paar Minuten begann sie zu frösteln, aber anstatt nun unter die Dusche zu steigen, wie sie es jeden Morgen nach dem Wiegen tat, drehte sie nur das Heizkörperventil, das sie von ihrem Platz aus mühelos erreichen konnte, bis zum Anschlag auf. Sie wollte nicht aufstehen, wollte sich nicht bewegen, wollte einfach nur hier sitzen bleiben, nichts tun und nichts denken, für den Rest ihres Lebens, dann wäre sie vielleicht irgendwann vertrocknet oder verschwunden und hätte ihre Ruhe.

Aber natürlich ging das nicht. In einer halben Stunde musste sie den Laden öffnen. Außerdem wurde ihr unbehaglich, so nah an dem glühenden Heizkörper. Also erhob sie sich seufzend, duschte und zog sich an. Immerhin passte das Kleid, das sie sich letzte Woche von Die starke Dame – Mode für Mollige hatte schicken lassen, noch ohne zu spannen. Eigentlich war es zu elegant für einen stinknormalen Dienstag, aber sie musste sich nach diesem Wiegeschock dringend etwas Gutes tun. Und dazu gehörte neben dem hübschen Kleid auch ein wenig Make-up und, leider, auch ein gutes Frühstück. Stress und Kummer hatten noch niemals ihren Appetit vertrieben, im Gegenteil. Auch jetzt verspürte sie plötzlich ein unbändiges Hungergefühl. Da die Zeit drängte, schlang sie nur hastig das Puddingteilchen, das sie gestern gekauft, sich aber verkniffen hatte, und einen Sahnejoghurt hinunter. Den Kaffe würde sie später im Hinterzimmer des Ladens trinken; zwischen halb zehn und elf war es in den letzten beiden Wochen immer sehr ruhig zugegangen.

Es wurde tatsächlich gegen halb zehn so ruhig, dass Karla es wagte, ihn für ein paar Minuten zu schließen, um sich beim nahen Metzger ein Mett- und ein Leberwurstbrötchen für ihr zweites Frühstück zu besorgen. Natürlich kannte sie die ungefähre Kalorienmenge des Imbisses, zu hoch, viel zu hoch, aber im Moment war ihr alles egal. Sie hatte sich die letzten beiden Tage fast ausschließlich von Kohlsuppe ernährt, nur ganz, ganz wenig Schokolade und Chips genascht, und dennoch zugenommen, da kam es auf zwei Brötchen auch nicht mehr an. Außerdem könnte sie ja das Mittagessen ausfallen lassen. Oder sich zu Tode fressen.

Das erste Brötchen und den Kaffee konnte Karla ungestört genießen; kein Kunde hatte vor dem Laden gewartet, und keiner betrat ihn währenddessen. Doch dann klingelte das Telefon. Es war ihre Freundin Elke, die unbedingt loswerden wollte, wieviel sie mit Hilfe von Trennkost in den letzten drei Wochen abgenommen hatte. Siebeneinhalb Kilo. „Mir passt jetzt wieder Größe zweiundvierzig“, erzählte sie stolz.

Die Nachricht, so erfreulich für Elke, war nicht dazu angetan, Karlas Laune zu heben. Fast wäre sie wieder in Tränen ausgebrochen, dabei gönnte sie ihrer Freundin doch den schönen Erfolg. Du ernährst dich zu ungesund, zuviel Süßigkeiten, zuviel Fertiggerichte, zuviel versteckte Fette, musste sie sich belehren lassen. Aber wo sollte sie die Zeit hernehmen, sich gesund zu ernähren, also zu kochen? Erstens hatte sie den Laden erst vor zwei Wochen eröffnet und trotz Inserat und Aushang noch keine Aushilfe gefunden, und zweitens konnte sie nicht kochen. Schon der Gedanke daran machte sie nervös. Wie langwierig und nervenaufreibend war allein das Bereiten der Kohlsuppe gewesen, kinderleicht laut Gitti, von der das Rezept stammte und die mit der Kohlsuppendiät immerhin fast sechs Kilo abgenommen hatte und ihr Gewicht durch regelmäßig eingeschobene Kohlsuppentage auch hielt. Karla hingegen wusste nicht, was sie von Mengenangaben wie vierhundert Gramm Möhren, zwei Paprikaschoten oder eine Stange Lauch halten sollte. Bezogen sich die vierhundert Gramm auf geschälte oder ungeschälte Möhren? Spielte es keine Rolle, ob die Paprikaschoten groß, gelb, grün oder klein waren? Und auch bei Porreestangen gab es eklatante Unterschiede, was Durchmesser und Länge betraf, wie sie in der Gemüseabteilung des Supermarktes zu ihrer Verwunderung festgestellt hatte. Wie sollte man da eine korrekte Suppe kochen?

Nun also Trennkost, die Wunderwaffe gegen Wülste. Nein, es hatte keinen Sinn, und das erklärte sie auch Elke, die anbot, das Kochbuch nach Büroschluss vorbeizubringen. „Ich komme mit Kochrezepten nicht zurecht, werde schon vom Lesen total nervös, und um mich zu beruhigen, muss ich dann Schokolade essen. Das ist das einzige, was hilft.“

„Du solltest endlich kochen lernen“, sagte Elke. „Mach doch mal einen Kurs, die werden ja jetzt überall angeboten, von der Volkshochschule, von der Kirchengemeinde, vielleicht auch von der Krankenkasse, und bei der Gelegenheit lernst du dann einen netten Mann kennen, der auch Gewichtsprobleme hat...“

Aber Karla hörte schon nicht mehr richtig zu; die Türglocke hatte gebimmelt. Sie verabschiedete sich rasch und eilte in den Laden.

Der Mann hinter der Theke war groß und schlank und gefiel ihr auf Anhieb. Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen, also gehörte er nicht zu ihren Stammkunden, sofern man nach vierzehn Tagen von Stammkundschaft sprechen konnte. Seine Kleidung, lässig, aber nicht zu sehr, war teuer, wie sie mit Kennerblick registrierte, und er trug das dunkelblonde, kaum ergraute Haar länger als die meisten Männer seines Alters, was ihm ein attraktives, leicht bohèmehaftes oder künstlerisches Flair verlieh. Sie schätzte ihn auf Mitte vierzig. Dass er eine Zeit verlangte, passte zu dem künstlerisch-intellektuellen Eindruck. Und dann hatte er den Laden auch schon wieder verlassen. Alles war so schnell gegangen, das Überreichen der Zeitung, das Entgegennehmen des passend abgezählten Geldes, das Auf-Wiedersehen-Sagen, professionell eben, dass Karla, als die Türglocke zum zweiten Mal klingelte, nicht sicher war, ob sie überhaupt gelächelt hatte. Ärgerlich. Warum hatte sie ihn nicht in ein Gespräch verwickelt, über das Wetter zum Beispiel oder die Gel-Schreiber im Angebot oder seine anspruchsvoll-unhandliche Lektüre? Sie war doch sonst nicht auf den Mund gefallen! Andererseits, wozu? Vielleicht wohnte der Kerl gar nicht in der Gegend und würde ihren Laden sowieso nie wieder betreten. Außerdem war er vermutlich verheiratet oder in festen Händen, und wenn nicht, warum sollte er ausgerechnet ihr, einer unförmigen, unattraktiven Person, Beachtung schenken? Männer wie er nahmen Frauen wie sie gar nicht wahr, auch wenn sie noch so hübsche Sachen von Die starke Dame trugen.

Für den Rest des Tages herrschte kein Mangel an Kundschaft. Besonders nach Schulschluss ging es eine halbe Stunde lang recht turbulent zu, so dass Karla beschloss, ihr Sortiment um Schokoriegel, Kaugummis und dergleichen zu erweitern. Und die Stifte mit den Herzchen müsste sie gleich morgen nachbestellen. Aber es gab auch ruhige Phasen, und in denen kam ihr immer wieder der fremde Mann in den Sinn. Sie ertappte sich sogar dabei, dass sie nach ihm Ausschau hielt, erst verstohlen durchs Schaufenster und später im Supermarkt, wo sie nach Geschäftsschluss ihre Einkäufe erledigte. Albern war das, peinlich geradezu, besonders in ihrem Alter! Besonders mit so einer Figur!

Aber einen Kochkurs sollte sie vielleicht tatsächlich machen, überlegte sie, als sie später am Abend wieder einmal eine Tiefkühlpizza in den Backofen schob. Denn dass sie mit sechsunddreißig außer Spiegeleiern und Fertiggerichten nichts zustande brachte, war auch irgendwie peinlich.

*

Karla hat mir die ganze Nacht hindurch keine Ruhe gelassen; es passiert mir selten, dass ich schon nach dem ersten flüchtigen Kontakt von einer Dame derart gefesselt bin. Statt zu schlafen habe ich im Geiste an ihrer Kollektion gearbeitet – rot würde sie gut kleiden – und mir daneben diverse Varianten unserer nächsten Begegnung und der anschließenden behutsamen Annäherung ausgemalt. Zwar würde ich nicht soweit gehen zu behaupten, dass ich verliebt bin, aber es fehlt nicht viel dazu. Also beschloss ich beim Frühstück, zunächst dem Sonnenstudio, da mir mein Gesicht ein wenig fahl und übernächtigt erschien, und anschließend ihrem Laden einen Besuch abzustatten.

Ich war nicht der einzige Kunde, was mich freute, da es mir Gelegenheit gab, sie verstohlen zu beobachten, während ich vorgab, die Auswahl an Computermagazinen zu studieren. Unglaublich, wie sie sich bewegt! Weich, geschmeidig, katzenhaft träge. Das sollten sich die hageren Frauenspersonen, die sich nicht scheuen, im Stadtpark, also in der Öffentlichkeit „Nordic Walking“ zu betreiben, einmal ansehen! Sie trug dasselbe Kleid wie gestern, schwarz und ein wenig zu eng. Es kleidet sie zwar, aber Rot würde ihren südländischen Typus besser zur Geltung bringen – das Tageslicht bestätigte meine nächtliche Entscheidung –, ein kräftiges Rubinrot oder ein tiefes Burgunderrot. Schwarz bei fülligen Damen wirkt auf mich immer wie ein Tipp aus der Frauenzeitung: Querstreifen machen dick, Schwarz macht schlank. Ich werde sie jedenfalls, wenn ich jemals so weit bei ihr kommen sollte, zu Rot ermutigen.

Als ich an der Reihe war, sah ich ein Magazin aufgeschlagen am Rand der Theke liegen; offenbar hatte Karla darin geblättert, als gerade kein Kunde im Laden war. Nein, sie hatte nicht geblättert, sondern die Zeitschrift studiert, jedenfalls die aufgeschlagene Seite, Kleinanzeigen, und eine davon mit rotem Filzstift markiert. Meine Neugierde war geweckt.

Für die Ausübung meines „Berufs“ sind Geistesgegenwart und die Fähigkeit zu schnellem Handeln unerlässlich. Da ich Karla schlecht fragen konnte, was sie da angestrichen habe, da ich den Laden aber auch nicht verlassen konnte, ohne es in Erfahrung gebracht zu haben, lächelte ich sie an, fasste mir an den Kopf und ging mit den Worten „Ach, das hätte ich beinahe vergessen“ zum Zeitschriftenregal zurück. Ich entnahm ihm einen Spiegel und prüfte das Inhaltsverzeichnis; irgend etwas Kopierenswertes sollte sich wohl finden lassen. Zurück an der Theke, hatte ich die Seite bereits aufgeschlagen, ein Artikel über alternative Behandlungsmethoden bei Krebserkrankungen. „Den Spiegel nehme ich auch noch“, sagte ich, dann versuchte ich mich an einem verlegen-besorgten Lächeln: „Könnten Sie mir den Artikel eventuell kopieren?“ (Das Wort Fotokopien war auf die Schaufensterscheibe geklebt, aber es stand kein Gerät im Laden.) „Eine Bekannte erholt sich gerade in Dänemark von einer Chemotherapie, und sie hat mich gebeten, ihr alles Interessante zum Thema Krebs zu schicken. In ihrem Urlaubsort gibt es an deutschsprachigen Magazinen nur den ‚Focus’.“

„Gern.“ Karla nahm mit einem strahlenden Lächeln den Spiegel entgegen, hielt plötzlich inne, errötete, setzte eine ernste Das-tut-mir-aber-leid-Miene auf und verschwand im Hinterzimmer.

Während sie mit dem Kopierer hantierte, drehte ich blitzgeschwind das Magazin, eine Art regionaler Veranstaltungskalender plus Kontaktbörse, prägte mir Seite, Spalte und Position der markierten Kleinanzeige ein, brachte das Heft wieder in seine ursprüngliche Lage, trat zwei Schritte vom Tresen zurück und blickte mit auf dem Rücken verschränkten Armen zum Fenster hinaus. Ich bin wirklich ein Profi. Den Text zu lesen, hatte ich mir verboten; er war recht lang, ich hätte in Zeitnot geraten können.

Während des Kopierens hatte Karla offenbar darüber nachgedacht, wie sie eine unverfängliche, geschäftsmäßige, aber nicht nur geschäftsmäßige Teilnahme an der Krebserkrankung meiner Bekannten zum Ausdruck bringen könne. Denn als sie mit dem Spiegel und der Kopie in den Laden zurückkehrte, zeigte ihr Gesicht jenen zugleich besorgten und mutmachenden Ausdruck, wie man ihn von den Stationsärztinnen diverser Krankenhausserien her kennt. Auch sie ein Profi eben. „Ich hoffe, Ihrer Freundin geht es bald besser“, sagte sie, während sie die beiden Magazine und die Kopie in eine Plastiktüte steckte, „und dass der Artikel ihr irgendwie weiterhilft.“

Ich war gerührt und zugleich elektrisiert. Denn dass sie meine Bekannte in meine Freundin verwandelt hatte, konnte kein Zufall sein, keine Unaufmerksamkeit, kein Versprecher – das war Absicht! Sie wollte mir ein bisschen auf den Zahn fühlen, eine eventuelle Reaktion provozieren. Pure Neugierde? fragte ich mich. Oder steckte mehr dahinter? Wie dem auch sei, ich beschloss, so zu reagieren, wie sie es sich meiner Einschätzung nach wünschte.

„Die Dame ist keine Freundin; sie war eine Freundin meiner Mutter, zu der ich nach dem Tod meiner Eltern einen lockeren Kontakt aufrechterhalten habe. Für ihre bald siebzig Jahre ist sie noch wirklich fit, außerdem ein optimistischer, lebensbejahender Mensch, daher, denke ich, hat sie gute Chancen, den Krebs zu besiegen.“

Das sollte reichen, dachte ich, vielleicht war die Erklärung gar ein wenig zu lang geraten, zu geschwätzig. (Die Freundin meiner Mutter auszubauen, sie, auf eventuelle Nachfrage hin, aus dem Stegreif mit Eigenschaften, Eigenheiten, einem Beruf – jetzt natürlich Ruhestand – und einer Vergangenheit zu versehen, würde mir keine Probleme bereiten.) Auch so etwas beherrsche ich perfekt.

Meine Erklärung schien den richtigen Ton getroffen zu haben. Karlas Züge entspannten sich, die dezent geschminkten Lippen – sie könnten eine Spur mehr Farbe vertragen –, teilten sich zu einem Lächeln. Sie nickte. „Ja, positives Denken ist ganz wichtig bei Krebserkrankungen, das hört man immer wieder. Ich wünsche der Dame jedenfalls alles Gute.“

Ich hielt es nun für angebracht, den Laden zu verlassen, auch wenn es mir nicht leichtfiel, mich von Karlas Anblick loszureißen. Aber meine langjährige Erfahrung hatte mich gelehrt, dass es günstiger und erfolgversprechender sei, behutsam und schrittweise vorzugehen. Als ich nach dem Preis der Kopie fragte, schüttelte Karla nur kurz und energisch den Kopf. „Die kostet nichts“. Ich dankte und verabschiedete mich, fast hätte ich ihr die Hand gereicht.

Auf dem Heimweg erstand ich an einem Kiosk das Magazin, in dem Karla gelesen hatte; ich konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen, um endlich zu erfahren, was ihr Interesse geweckt hatte. Die Anzeige war schnell gefunden: Seite zweiundsiebzig, zweite Spalte von links, dritte Anzeige von oben. Als ich nun den Text las, war ich doch ein wenig überrascht. Dabei hätte ich nicht sagen können, was ich eigentlich erwartet (befürchtet?) hatte. Es ging um den Kochkurs einer städtischen Bildungseinrichtung, Gesund und rasch bereitet – Schnelle Küche für Singles, Berufstätige und Eilige, für den noch Teilnehmer gesucht wurden.

Dass Karla nicht kochen kann, ist kaum vorstellbar. Sie wirkt wie eine, die ihre Gäste mit den raffiniertesten Menus verwöhnt. Aber aus welchem Grund, wenn nicht, um kochen zu lernen, hätte sie die Anzeige umranden sollen? Etwa für eine Freundin? Oder ist sie mehr am Aspekt der Schnelligkeit und Gesundheit interessiert? Denn die Zubereitung von Gänsebraten mit Kartoffelklößen und Rotkohl wird in dem Kurs sicher nicht gelehrt. Vielleicht ist ihr auch das Wort „Singles“ ins Auge gesprungen. Sucht sie etwa einen Mann? Einen Ring trägt sie nicht, immerhin. Nun, mit ein wenig Glück werde ich bald eine Antwort auf meine Fragen erhalten. Ich habe fest vor, mich anzumelden. Hoffentlich ist noch ein Platz frei, und hoffentlich überlegt Karla es sich nicht anders. Da werde ich also auf die alten Tage kochen lernen, ich, ein eingefleischter Restaurantbesucher! Das Leben hält doch immer wieder Überraschungen bereit.

*

Nachdem der fremde Mann den Laden verlassen hatte, stand Karla eine Weile völlig reglos da, selbst das Lächeln verharrte auf ihren Lippen. Er war also wiedergekommen! Sie hatte ihn sofort bemerkt, auch wenn sie vorgab, ihre ganze Aufmerksamkeit der Kundin zu widmen, die sie gerade bediente. Seit gestern behielt sie ständig die Tür und die Straße vor dem Laden im Auge, ja, sie wartete auf ihn, hatte auf ihn gewartet.

War sie etwa verliebt? fragte sie sich irritiert. Gab es so etwas wie eine zweite Pubertät? Denn genauso wie damals in der Siebten fühlte sie sich im Moment: Herzklopfen, klamme Finger und vor allem die Sorge, ob sie auch alles richtig gemacht hatte. Nein, sie hatte nicht alles richtig gemacht, im Gegenteil: Sie hatte nicht genau zugehört, das Wort Chemotherapie war mit ein paar Sekunden Verzögerung in ihr Bewusstsein gedrungen, die geheuchelte Anteilnahme war zu spät gekommen und hatte exakt nach dem geklungen, was sie war: geheuchelte Anteilnahme. Die Bekannte des Herrn in seine Freundin zu verwandeln, war ebenfalls ein Fehler gewesen, er hatte den Trick ohnehin gleich durchschaut, und ... und zu fett war sie sowieso, zu fett, zu fett, zu fett!

Doch damit würde bald Schluss sein! In einer Anwandlung von Wut und Trotz ballte Karla die Fäuste. Sie würde kochen lernen! Elke hatte recht, sie müsste endlich kochen lernen, sie müsste lernen, sich gesund zu ernähren. Keine Schokoriegel, Chips und Mettbrötchen mehr, statt dessen – ja was? So sehr sie sich auch anstrengte, im Augenblick wollte ihr keine Speise einfallen, die das Prädikat gesund verdiente. Im Geiste ging sie die Mahlzeiten der letzten Woche durch, der vorletzten, des gesamten vergangenen Monats, doch soweit sie sich erinnern konnte, war, mit Ausnahme der Kohlsuppe vielleicht, nichts Gesundes darunter gewesen. Eigentlich hatte sie gar keine Ahnung, was unter gesunder Ernährung zu verstehen war. Rohe Möhren und Knäckebrot? Sie schauderte. Nein, dachte sie, so freudlos konnte gesunde Ernährung nicht sein. Aber wie sie war, das würde sie nur erfahren, wenn sie endlich den ersten Schritt täte. Sie las, nun schon zum fünften Mal, den Text der rotumrandeten Kleinanzeige. Warum rief sie nicht endlich dort an? Wenn sie noch lange wartete, wäre der Kurs vielleicht ausgebucht.

Erst in der Mittagspause kam Karla dazu, wieder über den Kochkurs nachzudenken. Sie stand vor dem kleinen Wandspiegel im Hinterzimmer und unterzog ihr Gesicht einer kritischen Prüfung. Wirklich hässlich bin ich nicht, dachte sie, und wer nur mein Gesicht kennt, würde wohl nicht vermuten, dass der Rest von mir eher walrossartig geraten ist. Das elende Fett hatte sich, bisher jedenfalls, hauptsächlich am Körper angelagert, hauptsächlich, denn – sie drehte den Kopf ein wenig ins Profil – der Ansatz eines Doppelkinns war deutlich zu erkennen.

Gedankenverloren griff sie nach einer der Pralinen, die zwischen Lakritzkonfekt und Plätzchen auf einem Tellerchen bereit lagen, steckte sie in den Mund, kaute, schluckte – und ließ sich schwer auf den Stuhl fallen. Ich muss verrückt sein! dachte sie, ich habe es wieder getan. Ich stopfe das Zeug in mich hinein, ohne es zu merken. Ich bin süchtig, haltlos, undiszipliniert, ein abscheuliches Fett- und Fressmonster.

Wieder flammte die Wut auf, und diesmal verlieh sie Karla ungeahnte Entschlusskraft. Sie nahm den Teller, ging mit energischen Schritten zum Abfalleimer, trat den Fußhebel, um den Deckel zu öffnen, und – blickte mit einem Ausdruck tiefsten Bedauerns auf die bunten Köstlichkeiten, die sie im Begriff stand, dem unappetitlichen Inhalt des Eimers zuzugesellen. Es ist eine Schande, dachte sie. Ich muss das Zeug ja nicht essen, ich könnte es den Kindern anbieten, die in den Laden kommen. Anderswo auf der Welt hungern die Menschen, und ich will gute Lebensmittel wegwerfen, das ist doch ... Außerdem, wie kann ich sicher sein, dass ich nicht heute abend schon für Nachschub sorge? Sie holte tief Luft und leerte den Teller in die Tonne. Mit einem schmatzenden Geräusch schloss sich der Deckel.

Nachdem sie das geschafft hatte, fühlte Karla sich stark genug, die Nummer zu wählen, die unter dem Anzeigentext stand. Ja, wurde ihr beschieden, es seien noch Plätze frei. Zwar sei die Teilnehmerzahl auf sieben limitiert, aber bisher hätten sich erst drei Personen angemeldet, sie sei die vierte. Die freundliche Dame nannte auch den Kursbeginn, in acht Tagen, die Uhrzeit, neunzehn Uhr dreißig, und die Kursgebühr, erklärte aber sogleich, noch bevor Karla sich über deren Höhe wundern konnte, dass der Preis ja auch die Zutaten fürs Kochen einschlösse, dass also, und hier lachte sie, zum eigentlichen Unterricht noch zwölf warme Mahlzeiten kämen. Warme Mahlzeiten, also kein Knäckebrot mit roher Möhre, dachte Karla, und die Entscheidung war gefallen. Sie versprach, das Geld gleich morgen zu überweisen und bat, die telefonische Anmeldung als verbindlich zu betrachten.

Als sie aufgelegt hatte, blickte sie sich eine Weile unschlüssig, wie suchend im Zimmer um, dann fiel ihr ein, was sie vermisste, und auch, wo es sich jetzt befand. Gut so, dachte sie, der erste und der zweite Schritt sind getan, fehlt also nur noch der dritte. Wieder griff sie zum Telefon; diesmal wählte sie die Nummer ihrer Friseurin. Einen flotten neuen Haarschnitt würde sie sich für den Kurs verpassen lassen, beschloss sie, und sie würde kochen lernen, sich in Zukunft gesund ernähren, abnehmen, abnehmen, abnehmen, einen netten ungebundenen Hobbykoch kennenlernen und den fremden Mann vergessen.

*

Es hat geklappt, und sie ist dabei! Acht lange Tage musste ich auf diesen Augenblick der Gewissheit, der Erlösung, der Freude warten. Acht Tage, in denen ich mir versagte, ihrem Laden mehr als drei Besuche abzustatten, ihn jedoch keinmal verließ, ohne ein paar Worte über das Wetter oder die Unsitte des Zweite-Reihe-Parkens gewechselt zu haben, für das sie, da es unter anderem ihre Kunden sind, die sich dieser Ungezogenheit schuldig machen, natürlich Verständnis aufbringt. Und dann, heute abend, die große Überraschung: „Sie hier?!“ – „Sie hier?!“ – „Na, so etwas! Das ist ja eine Überraschung!“ und so weiter.

Wir sind zu acht, einschließlich Dörthe, unserer Lehrerin, sechs Frauen und zwei Männer. Und bis auf Dörthe und mich sind alle dick, auch Walter, der einzige männliche Mitstreiter. Ja, wir reden uns beim Vornamen an und duzen uns; ich hatte schon davon gehört, dass solche Umgangsformen gelegentlich in Volkshochschul- und volkshochschulverwandten Kursen gepflegt werden, war dann aber doch ein wenig überrascht, als Dörthe uns mit den Worten begrüßte: „Guten Abend, ich bin die Dörthe, und ich schlage vor, wir sagen du zueinander.“ Anschließend mussten wir uns der Reihe nach vorstellen und erzählen, was uns zur Teilnahme an dem Kurs veranlasst habe und was wir uns von ihm erhofften.

Nun weiß ich also ganz offiziell, dass Karla Karla heißt, und wir werden uns wohl in Zukunft auch außerhalb des Kurses duzen; alles andere wäre unpassend, künstlich (aber glücklich macht sie mich nicht, diese überstürzte Zwangsvertraulichkeit, da sie meine kultivierte Strategie der kleinen Schritte konterkariert). Sie war beim Frisör, und es gelang mir tatsächlich, leise und verschwörerisch, aber doch mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, den neuen Haarschnitt zu loben: „Schick, die Frisur, wirklich, sehr schick!“ Sie errötete, ja, sie errötete!

Karla ist übrigens die einzige Schönheit im Kurs; mit der neuen Frisur erinnert sie ein klein wenig an Liza Minelli, ist aber hübscher. Die anderen Damen, so füllig sie sind, bringen mich nicht zum Schwelgen. Sie entsprechen eher dem Typus Schützenkönigin, nein, Kleingartenvereinsvorsitzende, haben jedenfalls samt und sonders eine irgendwie kleinbürgerlich-ordinäre Ausstrahlung. Vielleicht liegt es am Einzugsgebiet; der Kurs findet in der Lehrküche einer Hauptschule in Bahnhofsnähe statt. Natürlich ließe sich mit etwas Geduld, fachkundiger Beratung und einer anderen Einstellung ihrer Körperlichkeit gegenüber das Aussehen von zweien deutlich verbessern (Sabrinas und Ankes nämlich, die Namen der anderen beiden konnte und wollte ich mir nicht merken), aber ich versage mir, über solche Verbesserungsvorschläge auch nur nachzudenken. Ich will mich ganz auf Karla und aufs Kochen konzentrieren.

Die Erwartungen der Damen und des Herrn an den Kurs glichen sich auf gespenstische Weise: Alle (bis auf Anke und eine namenlose Fleischereifachverkäuferin alleinstehend) behaupteten, sich endlich gesund ernähren zu wollen, und hofften, durch diese Ernährungsumstellung ein paar Pfunde loszuwerden. Karla machte da keine Ausnahme; ich hatte nichts anderes erwartet. Daher schreckte mich ihr Wunsch auch nicht sonderlich. Zudem, und das ist es, was mich wirklich beruhigt, sagen sämtliche Statistiken, dass nur ein verschwindend geringer Prozentsatz von Abnehmwilligen es tatsächlich schafft, sein Gewicht deutlich und dauerhaft zu reduzieren. Sollte Karla zu diesen Ausbünden an Diszipliniertheit und Willenskraft gehören, doch so wirkt sie eigentlich nicht auf mich, werde ich ihre Pläne schon zu durchkreuze wissen – falls der Kurs das hält, was ich mir von ihm verspreche: dass wir uns näherkommen.

Als es an mir war, mich vorzustellen, verspürte ich plötzlich ein solches Glücksgefühl, dass ich ohne nachzudenken sagte, mein Name sei Felix. Und als Begründung für meine Teilnahme an dem Kurs, behauptete ich, auch endlich etwas gegen mein Übergewicht unternehmen zu wollen, wofür ich, wie erhofft, allgemeines Lachen erntete, das herzlichste von Karla, wie ich mir einbilden möchte. Dann wurde ich ernst und erzählte, in den letzten fünf Jahren, seit der Trennung von meiner Lebensgefährtin, hätte ich mich fast ausschließlich von Tiefkühlpizza, Dosenravioli, Junk- und Fastfood ernährt, und damit müsse endlich Schluss sein, nicht nur aus kulinarischen, sondern auch und vor allem aus gesundheitlichen Gründen, Stichwort Cholesterin.

Meine kleine Rede galt allein Karla; sie soll wissen, dass ich erstens nicht beziehungsunfähig oder -willig bin – Lebensgefährtin! –, zweitens schon so lange allein, dass ich mich vielleicht nach einer neuen Bindung oder nach Sex sehne, und drittens, dass ich bereit bin, an mir zu arbeiten – kochen lernen, Cholesterinspiegel senken. Ich hatte auch das Gefühl, dass sie mich während meiner Ausführungen interessiert beobachtete.

Der folgende „theoretische“ Teil der Stunde erinnerte mich an meine Grundschulzeit. Dörthe befragte die Gruppe nach ihrem Wissen über Cholesterin, Vitamine, Mineralien, gute, böse und versteckte Fette, Geschmacksverstärker, Aromen und dergleichen. Es stellte sich heraus, dass bis auf Walter keiner meiner Kommilitonen korrekte Antworten zu geben wusste. Erstaunlich, wo man doch, sobald man die Zeitung aufschlägt oder den Fernseher anschaltet, mit diesbezüglichen Informationen geradezu überschüttet wird. Immerhin hatten die wilden Behauptungen und kuriosen Vermutungen, die Dörthe sammelte, an die Tafel schrieb, um sie dann zu korrigieren beziehungsweise von Walter korrigieren zu lassen, einen gewissen Unterhaltungswert. Auch Karla konnte nicht mit profunden Kenntnissen prunken. Aber da sie eine schöne warme Altstimme hat, klangen ihre falschen Antworten zumindest angenehm. Ich selbst versuchte mit meinen wenigen treffenden, aber bescheiden vorgetragenen Wortbeiträgen der Gruppe, Dörthe und vor allem natürlich Karla den Eindruck zu vermitteln, zwar einigermaßen informiert, aber kein solcher Klugscheißer wie Walter zu sein. Anschließend folgte der praktische Teil: Dörthe teilte jedem ein Häufchen Gemüse zu, das es zu putzen und in mundgerechte Stückchen zu zerteilen galt, um später eine gesunde Suppe daraus zu kochen. Bei dieser Aufgabe allerdings war es mit meiner Kompetenz nicht mehr weit her. Genau genommen stellte ich mich dermaßen ungeschickt an, dass mir Sabrina, die sich zumindest aufs Schnipseln hervorragend versteht, zu Hilfe kam. Und Karla, genauso tölpelhaft wie ich, erhielt Beistand von Walter, der zwar pausenlos schwadronierte, sich aber letztlich als echte Pfeife erwies. Ein Wunder, dass sich keiner der beiden ernsthaft verletzte. Walter war mir schon zu Beginn der Stunde unangenehm aufgefallen, weil er Karla auf irgendwie unbotmäßige Weise anstierte. Ich fürchte, ich habe einen Nebenbuhler. Er hintertrieb auch meinen Plan, Karla ganz nonchalant zu fragen, ob ich sie wohl nach Hause bringen oder ein Stück mitnehmen dürfe, da wir ja offenbar im selben Viertel wohnten; ich hatte sie bei der Parkplatzsuche aus dem Bus steigen sehen. Aber Walter hatte Karla in ein Gespräch verwickelt, und so blieb mir nur, ihr einen schönen Abend zu wünschen. Der Blick, den sie mir gönnte, als sie meinen Gruß erwiderte, schien mir Bedauern auszudrücken – über den vereitelten Plan, von dem sie nichts wusste? Oder darüber, sich mit einem Trottel wie Walter abgeben zu müssen? Ich weiß es nicht.

Unsere Suppe, eine Minestrone, schmeckte erstaunlicherweise gar nicht so schlecht, daher verzichtete ich darauf, an diesem Abend meinem Lieblingslibanesen noch einen Besuch abzustatten.

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Nach dem Kochkurs war Karla so aufgekratzt, dass sie es ganz schrecklich gefunden hätte, gleich nach Hause in ihre menschenleere Wohnung zu fahren. Nein, sie wollte jetzt nicht allein sein, sie wollte in netter Gesellschaft Wein trinken und über den Kurs reden. Vor allem wollte sie natürlich über Felix reden und diesen unglaublichen Zufall, dass ausgerechnet ihr Traummann zur selben Zeit und in derselben Einrichtung wie sie kochen lernen wollte. Ihn unter den Mitschülern zu entdecken, hatte ihr einen regelrechten Schock versetzt, und sie war fast erleichtert gewesen, als diese Sabrina – dicker als sie selbst, na jedenfalls nicht schlanker – ihn mit Beschlag belegt hatte; in seiner Nähe hätten ihr beim Gemüseputzen sicher die Hände gezittert, oder ihr wären keine adäquaten Erwiderungen auf seine klug-witzigen Bemerkungen eingefallen, allenfalls strunzdumme Banalitäten – zweite Pubertät eben. Aber er hatte, und das bildete sie sich ganz bestimmt nicht ein, sie des öfteren angesehen und ganz besonders lange und durchdringend, als er Walter und ihr auf Wiedersehen gesagt hatte, fast so, als täte es ihm leid, dass sie gerade mit jemand anderem in ein Gespräch verwickelt sei.

Schluss mit den müßigen Spekulationen, entschied Karla. Das alles würde sie gleich in Ruhe mit Elke besprechen. Daher holte sie, kaum dass sie das Gebäude verlassen hatte, ihr Handy aus der Tasche und wählte Elkes Nummer. Aber Elke war nicht zu Hause, und Gitti anzurufen hatte keinen Sinn, da sie in einem entlegenen Vorort wohnte und bestimmt keine Lust hätte, jetzt noch in die Stadt zu fahren. Gitti zu Hause aufzusuchen und dort, womöglich im Beisein ihres Mannes, den sie nicht ausstehen konnte, über Felix zu reden, war das Letzte, wonach Karla der Sinn stand. Enttäuscht machte sie sich auf den Weg zur Haltestelle.

Da fahre ich einmal mit Öffentlichen, weil sich nach dem Kurs vielleicht noch etwas ergeben könnte, man weiß ja nie, und dann so etwas, dachte sie. Beim nächsten Mal würde sie den Wagen nehmen, auch wenn es in dieser Gegend mit Parkplätzen nicht zum besten stand. Die Tatsache, dass der nächste Bus erst in vierzehn Minuten zu erwarten war, bestärkte sie in dem Entschluss. Hoffentlich gäbe es wenigstens etwas Nettes im Fernsehen, einen richtig schönen altmodischen sentimentalen Liebesfilm, dachte sie, und dazu ein Glas Wein und vielleicht ein paar von den leckeren dänischen Butterkeksen, die sie in ihrem größten, nie benutzten Kochtopf versteckt hatte...

In ihre Überlegungen erklang ein kurzes Hupen, ein Auto hielt neben der Haltestelle, das Fenster auf der Beifahrerseite wurde heruntergelassen, und Walter beugte sich über den Beifahrersitz. Ob er sie ein Stück mitnehmen könne, fragte er. Nachdem geklärt war, dass von ein Stück mitnehmen keine Rede sein konnte, da ihrer beider Heimwege sich nicht im mindesten deckten, schlug Walter vor, Karla entweder nach Hause zu bringen oder noch irgendwo hinzugehen, auf ein Glas Bier oder Wein.

Karla fand an dem zweiten Vorschlag spontan Gefallen. Zwar könnte sie mit Walter selbstverständlich nicht über Felix reden, aber vielleicht war es ganz gut, diese postpubertäre Felix-Schwärmerei für eine Weile zu vergessen. Außerdem hatten sie beim Gemüseputzen viel Spaß miteinander gehabt; Walter war genauso witzig wie ungeschickt.

Das Lokal, das sie auf Walters Vorschlag hin aufsuchten, nur wenige Autominuten von der Schule entfernt, erwies sich als gemütlicher Szene- oder Künstlertreff, jedenfalls machten Gäste und Einrichtung auf Karla diesen Eindruck. Ihr letzter Kneipenbummel lag schon Jahre zurück – wenn sie mit Elke ausging, dann meistens ins Restaurant –, und als sie nun in diese fremd gewordene, aber doch von früher her vertraute Atmosphäre eintauchte, das Stimmengewirr, die Hintergrundmusik, als sie die alten Filmplakate an den Wänden entdeckte und mindestens drei Hunde, fühlte sie sich irgendwie verjüngt und seltsam abenteuerlustig.

Walter schien Stammgast zu sein. Er grüßte den Zapfer, wechselte ein paar Worte mit der Kellnerin und führte Karla zu einem der wenigen freien Tische. „Und, gefällt es dir hier?“, fragte er. Obwohl Karla nickte, glaubte er wohl, sich für den etwas zu hohen Geräuschpegel entschuldigen zu müssen. Normalerweise sei es um halb zehn nicht so voll, erklärte er. Zu Karlas Verwunderung empfahl er ihr nicht nur den offenen Hauswein – „der ist wirklich gut“ –, sondern orderte, als sie sich mit seiner Empfehlung einverstanden erklärte, eine Halbliterkaraffe für sie beide. Sie hatte ihn, aufgrund seiner Fülle und seiner extrovertierten, etwas lauten Art, für den klassischen Biertrinker gehalten.

Der Wein war gut, die Stimmung auch, und der Kochkurs bot ausreichend Gesprächsstoff. „Bis auf, wie heißt der Dünne gleich? Felix? Richtig, bis auf Felix sind wir ja alle recht gut im Futter“, konstatierte Walter sachlich. „Ich bin mal gespannt, ob es einer von uns Dicken wirklich schafft abzunehmen.“

„Alkohol hat auch Kalorien, und nicht zu knapp, das haben wir ja gerade gelernt“, sagte Karla. Zwar hätte sie, da der Name nun einmal gefallen war, Walter gern ein wenig über Felix ausgehorcht, aber sie wusste nicht, wie sie das auf unbefangene, lässige Art bewerkstelligen sollte. Außerdem schien Walter mit den Gedanken ganz woanders; er lächelte sie irgendwie schelmisch oder verschwörerisch an.

„Ja ja, aber Rotwein, in Maßen getrunken, ist gesund, heißt es. Wieviel Kilos hast du dir denn vorgenommen?“ fragte er. „Oder willst du nicht darüber reden? Ich meine, du hast es ja auch nicht so nötig wie ich, bei dir stimmen die Proportionen noch, aber sieh dir meine Plauze an. Die muss weg, zwanzig Kilo sind mein Fernziel. Das schaff ich natürlich nicht bis zum Kursende, auch nicht bis zum Beginn der Weihnachtsferien, aber zehn Kilo muss ich bis dahin runterhaben.“

„Wieso musst du?“ fragte Karla. “Sagt das dein Arzt, oder hast du ein Gelübde abgelegt oder eine Wette am Laufen?“

Eine Wette, erklärte Walter, und zwar mit seinen Schülern aus der Neunten. Wenn er verliere, müsse er die ganze Klasse zu McDonald’s einladen, und wenn er gewinne, werde bis zu den Osterferien in seinem Unterricht absolute Ruhe herrschen. Er lachte: wer es glaubt ... Aber er wolle trotzdem gewinnen, sagte er. So erfuhr Karla, dass Walter Lehrer war, Mathematik und Physik.

„Ich will auch zehn Kilo abnehmen, mindestens, und zwar bis zum Ende des Kurses, und ich werde es schaffen“, erklärte Karla mit Bestimmtheit. „Ich habe letztens schon die Hälfte meiner Süßigkeiten weggeworfen und keine neuen gekauft, und die Kekse im Versteck – ja, ich verstecke manchmal Sachen vor mir selbst, albern, nicht? – werde ich an die Schulkinder verfüttern, die in meinen Laden kommen; ich habe einen kleinen Schreibwarenladen. Vielleicht können wir uns ja gegenseitig helfen, uns kontrollieren, wie bei den Weight Watchers? Alles aufschreiben, was wir so essen, auch die Sünden, und täglich das Gewicht notieren. Was hältst du davon?“

Walter fand den Vorschlag ausgezeichnet. Ein Kilo pro Woche sollte dann ja wohl zu schaffen sein, sagte er, und der Pakt wurde mit Handschlag besiegelt.

Eine Stunde, nachdem sie das Lokal betreten hatten, verließen sie es wieder. Walter, der nur ein Glas Wein getrunken hatte, erbot sich erneut, Karla nach Hause zu bringen. Aber da er schon die Zeche gezahlt hatte und überdies direkt vor der Kneipe ein freies Taxi stand, schlug Karla das Angebot aus.

„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du Liza Minelli ähnlich siehst“, sagte er, bevor sie ins Taxi stieg.

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