Die Alzheimer-Lüge - Michael Nehls - E-Book
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Die Alzheimer-Lüge E-Book

Michael Nehls

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Beschreibung

Alzheimer ist kein Schicksal

Ist Alzheimer tatsächlich eine unvermeidliche Alterserscheinung, wie uns allenthalben erzählt wird? Nein, sagt der Mediziner und Molekulargenetiker Michael Nehls. Es handelt sich um eine Mangelerkrankung – und die lässt sich nicht medikamentös therapieren, aber vermeiden! Anhand von neuesten Studien belegt er: Ursachen sind zu wenig Schlaf, zu wenig Bewegung, ungesunde Ernährung und fehlende menschliche Wärme – kurz: unser heutiger Lebensstil. Eine bahnbrechende Erkenntnis, die unser Leben nachhaltig beeinflussen wird.

Die Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken, liegt heute bei über 50 Prozent, Tendenz steigend – eine schockierende Prognose! Seit Jahren wird uns weisgemacht, diese neue Volkskrankheit sei eine Begleiterscheinung der steigenden Lebenserwartung. Hinter dieser Irreführung verbergen sich jedoch milliardenschwere Interessen, allen voran die der Pharmaindustrie, sich zur einzig möglichen Retterin unseres angeblich unvermeidbar zugrunde gehenden Verstandes zu stilisieren. Dr. med. Michael Nehls entlarvt dieses Lügengebäude und erklärt, wie Alzheimer wirklich entsteht: Er zeigt, dass nicht Medikamente, sondern nur gezielte Vorbeugung und gesunde Lebensführung vor dieser furchtbaren Zivilisationskrankheit schützen können. Mit zahlreichen konkreten Tipps und Ratschlägen. Fundiert, aufklärend und aufrüttelnd!

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ZUM BUCH

Die Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken, liegt heute bei über 50%, Tendenz steigend – eine schockierende Prognose! Seit Jahren wird uns weisgemacht, die neue Volkskrankheit Alzheimer sei eine Begleiterscheinung der steigenden Lebenserwartung. Hinter dieser Irreführung verbergen sich jedoch milliardenschwere Interessen, allen voran die der Pharmaindustrie, die sich als einzig mögliche Retterin unseres angeblich unvermeidbar zugrunde gehenden Verstandes ausgibt. Dr. med. Michael Nehls entlarvt dieses Lügengebäude und erklärt, wie Alzheimer wirklich entsteht. Können Medikamente tatsächlich etwas bewirken? Nein, sagt Nehls. Anhand zahlreicher internationaler Studien zeigt er, dass nicht Medikamente, sondern nur gezielte Vorbeugung und gesunde Lebensführung vor der furchtbaren Zivilisationskrankheit schützen können. Mit zahlreichen konkreten Tipps und Ratschlägen. Fundiert, informativ und aufrüttelnd!

ZUM AUTOR

Dr. med. Michael Nehls ist Arzt und habilitierter Molekulargenetiker. Nach der Aufklärung verschiedenster Erbkrankheiten in akademischen Forschungseinrichtungen der USA und in Deutschland wurde er leitender Genomforscher einer US-Firma und später Vorstandsvorsitzender eines Münchner biopharmazeutischen Unternehmens. Heute schreibt Michael Nehls Sachbücher, produziert Filmdokus und hält Vorträge über Gesundheit. Er lebt mit seiner Familie bei Freiburg im Breisgau.

DR. MED. MICHAEL NEHLS

DIE ALZ-

HEIMER

LÜGE

Die Wahrheit über eine

vermeidbare Krankheit

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Copyright © 2014 Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Redaktion: Klaus Gabbert

Umschlaggestaltung: yellowfarm gmbh, Stefanie Freischem

Illustrationen: Henriette Rintelen GrafikDesign, Velbert

Satz: Leingärtner, Nabburg

ePub-ISBN 978-3-641-13929-2V006

www.heyne.de

Unseren Kindern gewidmet

Inhalt

Vorwort: Die Alzheimer-Erkrankung – ein unausweichliches Schicksal?

Einleitung

KAPITEL 1 – Unvermeidbar? Eine profitable Lüge

Morbus Alzheimer – die Pandemie des 21. Jahrhunderts

Ein genetisches Schicksal?

Ein altersbedingtes Schicksal?

Ein kulturelles Schicksal?

Der Lohn der Lüge

KAPITEL 2 – Das Selbst, vererbt und kultiviert

Das beschriebene Blatt

Vom genetischen zum kulturellen Gedächtnis

KAPITEL 3 –Erinnerung – die Essenz unseres Selbst

Auf der Suche nach dem Ort der Erinnerung

In Sachen Henry

Formen des Erinnerns

KAPITEL 4 – Grundbausteine des Geistes

Neurone und Synapsen

Selbstwerdung

KAPITEL 5 – Emotionale Selbstwerdung

Ich rieche, also bin ich

Datensicherheit

KAPITEL 6 – Das Alzheimer-Toxin

Von TAUisten und BAPtisten

β-Amyloid – ein zweischneidiges Schwert

Alzheimer-Gene

KAPITEL 7 – Die Verhaltenstheorie der Alzheimer-Entstehung

Das Tor zum Gedächtnis

Was wir selbst beeinflussen können

KAPITEL 8 – Wie bei Alzheimer unser Selbst verloren geht

Die Diagnose

Der Krankheitsverlauf

KAPITEL 9 – Alzheimer-Mäuse

Alzheimer aus der genetischen Trickkiste

Laboreffekte und Therapie-Enthusiasten

KAPITEL 10 – Wie krank ist das denn? Therapie zur Vorbeugung

Die Hoffnung auf eine chemische Waffe

Science-Fiction Teil eins: gezielte Selbstzerstörung

Science-Fiction Teil zwei: Die Laborratten sagen »Hallo«

Kranke Therapie

KAPITEL 11 – Die Grundbedürfnisse

Vom Traum zum Albtraum

Das Hexagramm menschlicher Bedürfnisse

Normalität und Natürlichkeit

KAPITEL 12 – Das Paradox der Zeit

Eine Frage der Balance

Zeit gewichten

Zeitnot und chronischer Stress

Angeborener Stress

KAPITEL 13 – Sinnfindung

Endlich Rente: Der Anfang vom Ende

Spiel des Lebens

Geistige Aktivität mobilisiert die kognitive Reserve

Der echte und der falsche Lebenssinn

KAPITEL 14 – Selbstschutz

Schlafen und Meditieren in Wellen

Der Sinn des Schlafens

Wie viel Schlaf braucht der Mensch?

Achtsamkeit

KAPITEL 15 – Umfeld: Schutz und Risiken

»Lausen« gegen das Vergessen

Die Macht der Vorstellung

Stressreiches Affentheater

Wie unser Umfeld unser Erbgut prägt

Wie wir unser Umfeld prägen

KAPITEL 16 – Nahrung für den Geist

Ein grüner Daumen fürs Gehirn

Fett ist nicht gleich Fett

Fischfett macht klug

Ketogene Energie fürs Gehirn

Die Kokosnuss – eine Energiebombe

Gesättigt und gesund

Vom Kulturgut Butter zum Kunstprodukt Margarine

Der süße Weg zum Alzheimer

Weniger Gehirnschmalz durch Kohlenhydratmast

Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper

Cholesterin – ein lebenswichtiger Baustein

Wie wir den Alzheimer-Index beeinflussen

Homocystein – eine toxische Aminosäure

Bunter Schutz vor Alzheimer

Die Mischung macht’s

Aluminium, Nitrit und andere Gifte

KAPITEL 17 – Dem Alzheimer davonlaufen

Ich denke, also laufe ich

Dünger fürs Gehirn

Was rastet, rostet nicht nur, es schrumpft auch

Aktivität und Inaktivität

Wie alt können wir werden?

Depression, eine Bewegungsmangel-Krankheit?

Mythos Motivation

KAPITEL 18 – Keine Angst vor Alzheimer

Die fatale Akzeptanz der krank machenden Normalität

Alzheimer – eine Mangelkrankheit

Alt sein birgt verborgene Kräfte

Es ist Ihre Entscheidung!

Dank

Anmerkungen

Ausgewählte Literatur

Bildnachweis

Register

VORWORT

Die Alzheimer-Erkrankung – ein unausweichliches Schicksal?

»WUNDER GESCHEHEN NICHT IM WIDERSPRUCH ZUR NATUR, SONDERN IM WIDERSPRUCH ZU DEM, WAS WIR VON DER NATUR WISSEN.«

AUGUSTINUS (354–430 N. CHR.)

Die Angst, im Alter an Alzheimer zu erkranken, gehört mittlerweile zu den am häufigsten geäußerten Befürchtungen der Menschen in Deutschland. Als ganz besonders belastend wird dabei das vermeintlich schicksalhafte Ausgeliefertsein an diese Krankheit empfunden. Aber entspricht das der medizinischen Realität?

Aufgrund meiner Erfahrung aus Demenz-Präventionsprojekten und als ehemaliger Chefarzt der ersten deutschen Memoryklinik, die mittlerweile auch ein kombiniertes Rehabilitationsprogramm für Menschen mit Demenz und ihre pflegenden Angehörigen anbietet, stellt die Gewissheit der meisten Experten, dass praktisch jeder Alzheimer bekommt, der nur alt genug wird, eine dringend zu korrigierende Sicht- und Handlungsweise dar. Deswegen begrüße ich die Veröffentlichung dieses Buches. Der Mediziner und habilitierte Molekulargenetiker Michael Nehls weist darin die gängige Interpretation der Alzheimer-Entstehung als nicht haltbar zurück und stößt überzeugend ein Umdenken und einen längst fälligen Perspektivenwechsel in der Bewertung von Therapie und Prävention an.

Der berühmte griechische Arzt Galenos von Pergamon wusste schon etwa 200 v. Chr.: »Gesundheitsbewahrung geht über Krankheitsbewältigung.« Der Schwerpunkt der ärztlichen Tätigkeit liegt traditionell fast ausschließlich auf der Bewältigung von Krank heiten. Noch immer wird in unserem Alltag den präventiven Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit nicht die notwendige Bedeutung beigemessen, obwohl beim heutigen Spek trum der Zivilisationserkrankungen diese an erster Stelle stehen müssten: Nur präventives Handeln bewahrt uns vor dem als un ausweichlich empfundenen Krankwerden. Hier muss die Medizin meiner Meinung nach noch eine enorme Bringschuld leisten. Für das aktuelle Gesundheitssystem sind Aufklärung und Vorbeugung aus wirtschaftlicher Sicht weniger einträglich als die Therapie chro nischer Krankheiten. Aber für die betroffenen Patienten sind nicht wirtschaftliche Interessen von Bedeutung, sondern das Vermeiden von Erkrankungen und Leid.

Diese Schieflage im Gesundheitswesen und in der gesellschaftlichen Wertvorstellung wird von Nehls in wünschenswerter Klarheit diagnostiziert. Er entwirft eine umfassende und nachvollziehbare Theorie der Entstehung der Alzheimer-Demenz. Im Geiste einer humanistischen Ethik, mit großem wissenschaftlichen Fleiß und einer beeindruckenden Argumentationsfülle zeichnet er in seinem Buch einfache Wege auf, um der Entstehung der Alzheimer-Krankheit – dieser Pandemie des 21. Jahrhunderts – eine neue Bewertung zukommen zu lassen. Eindrücklich macht der Autor geltend, dass die Medizin zum Wohle der Patienten dringend die Erkenntnisse aus der Evolutionsbiologie und der Zellbiologie einbeziehen muss. Das wirklich Überraschende hierbei ist, dass sich die universitäre und die klinische Medizin kaum mit diesem syste mischen Ansatz auseinandersetzen. Durch diese Sichtweise gelangt der Autor jedoch zu völlig neuen Resultaten, die meines Erachtens unwiderlegbar sind.

Dieses wissenschaftlich breit abgesicherte und spannend zu lesende Buch vermittelt allen Lesern die befreiende Erkenntnis, dass die Alzheimer-Erkrankung eine Wohlstandskrankheit ist, der wir ebenso wenig schicksalhaft ausgeliefert sind wie allen anderen Wohlstandskrankheiten auch. Die vorliegende Veröffentlichung ist ein Plädoyer für die dringende Umsetzung einer uns Menschen gerechten Lebensweise, die in nichts anderem besteht, als sich unserer natürlichen Bedürfnisse bewusst zu werden und entsprechend zu handeln.

Für das Herausarbeiten folgerichtiger Thesen und für den Mut, sich in seinem Buch der vorherrschenden Meinung entgegenzustellen, gebührt dem Autor und Kollegen Michael Nehls meine aufrichtige Anerkennung.

Fortschritt bedeutet für mich: Schritte in die richtige Richtung. Die Alzheimer-Lüge weist uns den Weg – ein Leben im Einklang mit unserer Biologie.

Dr. med. Bernhard Dickreiter, Freiburg 2014

EINLEITUNG

»UNSINNIG IST ES, VON DEN GÖTTERN ETWAS ZU ERBITTEN, WAS MAN AUS EIGENER KRAFT ZU LEISTEN VERMAG.«

EPIKUR (341–271 V. CHR.)

Im Jahr 1907 veröffentlichte Alois Alzheimer in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medicin einen kurzen Artikel unter dem Titel »Über eine eigenartige Erkrankung der Hirnrinde«. Was damals noch völlig unbekannt war, soll heute natürlich sein. Laut vorherrschender Lehrmeinung hänge Alzheimer, Synonym für die Selbstzerstörung des Gehirns, unvermeidbar mit dem Älterwerden ursächlich zusammen. So soll mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jeder im Alter dement werden – wenn nicht vorher eine andere Krankheit das Leben beendet. Und da unsere Gesellschaft immer älter wird, prognostizieren Alzheimer-Spezialisten eine weltweite Katastrophe , eine Pandemie mit geradezu apokalyptischen Ausmaßen. Für die moderne Forschung ist die Frage also nicht, ob wir Alzheimer bekommen werden, sondern lediglich, wann ! Und dieses ebenso fatale wie falsche Denken beherrscht unser eigenes Tun und Trachten und wird gerade dadurch für viele von uns zur selbsterfüllenden Prophezeiung.

Populistische Bücher wie Cornelia Stolzes Vergiss Alzheimer erklären diese unnatürliche Entwicklung zur Normalität und bekräftigen so einen Volksglauben, der darauf hinausläuft, weiterzumachen wie bisher. Bücher wie der Ratgeber Das Herz wird nicht dement von Udo Baer und Gabi Schotte-Lange, so hilfreich sie für Betroffene und vor allem deren Angehörige sein mögen, bereiten uns darauf vor, sich mit dem scheinbar Unabwendbaren zu arrangieren. Dabei ist Alzheimer alles andere als ein natürlicher Prozess, sondern vielmehr eine Krankheit und schon heute mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermeidbar – ganz ohne Pillen!

Diese Aussage passt jedoch weder zu unserer Lebensweise, mit der wir uns vollends von chronischen Therapien abhängig gemacht haben und Selbstverantwortung weitgehend meiden, noch zur Intention der Forscher, die wegen dieser vermeintlich unvermeidlichen Not sich zu den einzigen Rettern hochstilisieren können und so ihren Forschungsetat immer gut gefüllt sehen.

Vor einigen Jahren zeigte ich in meinem Buch Die Methusalem-Strategie einen natürlichen Weg auf, wie wir Menschen auch ohne medikamentöse Dauertherapie weit über hundert Jahre alt werden können. Im Umkehrschluss heißt das nichts anderes, als dass de facto selbst hier in Deutschland ein Massensterben stattfindet, weil unsere Lebenserwartung noch um Jahrzehnte darunter liegt. Aber warum soll es überhaupt erstrebenswert sein, ein biblisches Alter zu erreichen, wenn wir ja doch nur, wie uns die Experten weismachen, auf dem Weg dahin unsere geistigen Kräfte komplett einbüßen? Schon meine damaligen Recherchen ergaben, dass hier ein entscheidender Denkfehler vorliegen muss. Denn ganz of fenbar hängt die Normalität zivilisatorischer Krankheiten, insbesondere derjenigen, die dem Älterwerden zugeschrieben werden, weniger mit dem Lebensalter als vielmehr mit der Lebensweise zusammen. Die Normalität ist jedoch nur das Resultat des Um standes, dass sich die Mehrheit gleichförmig verhält, und die daraus abgeleitete Unausweichlichkeit, wie etwa an Alzheimer zu erkranken, nur ein Fehler in der Interpretation der statistischen Zusammenhänge.

Ein Gedankenspiel: Dass die meisten Menschen im Bett sterben, heißt das etwa, dass unsere an sich als harmlos erscheinende Schlafstätte über tödliche Kräfte verfügt? Kann man aus der statistischen Beziehung zwischen der Zeit, die wir im Bett verbringen, und der Wahrscheinlichkeit, dort zu sterben, auf ein verursachendes Risiko schließen? Sicherlich nicht, aber nach eben dieser »Logik« postuliert etwa die Alzheimer Forschung Initiative e.V. stellvertretend für die Mehrheit der Experten: »Das Alter ist unbestritten der größte Risikofaktor« für die Alzheimer-Krankheit und suggeriert damit eine ursächliche Beziehung.1* Man fragt sich also: Wie töten die Lebensjahre unser Gehirn? Ist das Verdämmern der geistigen Kräfte im Alter tatsächlich ein unvermeidbares Schicksal? Muss man wirklich Angst vor dem Älterwerden haben? Auf diese Fragen liefert dieses Buch ein entschiedenes und wissenschaftlich begründetes Nein! Ich versichere Ihnen, dass Sie weder das Bett mei den noch sich Sorgen über Ihr natürliches Älterwerden machen müssen.

Als mir klar geworden war, dass der Begriff Risikofaktor – streng mathematisch gesehen – nur einen statistischen, aber eben keinen Kausalzusammenhang beschreibt, konnte ich mich befreit auf die Suche nach den wahren Gründen der Demenz-Epidemie machen. Und ich wurde fündig. Das ist auch gut, denn wenn das Lebensalter tatsächlich der größte Risikofaktor und Alzheimer dadurch unvermeidlich wäre, dann blieben uns nur zwei Optionen, um uns vor dieser Krankheit zu schützen: der rechtzeitige Freitod (funktioniert, ist aber keine gute Idee) oder ein rigoroses Anti-Aging-Programm auf Medikamentenbasis (gute Idee, funktioniert aber nicht).

Halten wir vorerst fest: Alzheimer ist zwar eine Gehirnkrank heit, aber, wie ich zeigen werde, ebenso eine Kulturkrankheit, denn bei ihrer Entstehung spielt unsere Lebensweise die entscheidende Rolle. Daraus folgt: Wenn wir an Alzheimer erkranken sollten, dann liegt das nicht daran, dass wir älter geworden, sondern daran, wie wir gealtert sind.

Um diese Wechselbeziehung zwischen Gehirn und Kultur besser zu verstehen, müssen wir zwei Reisen unternehmen: eine ent wicklungsgeschichtliche zum menschlichen Gehirn und eine durch die Geschichte der menschlichen Kultur. Interessanterweise enden beide am selben Ort, nämlich da, wo der Zerstörungsprozess der Alzheimer-Krankheit beginnt: exakt in dem daumengroßen und Hunderte von Millionen Jahre alten Bereich unseres Gehirns, in dem aus unserem Erleben Erinnerungen und aus Erfahrungen Einsichten gewonnen werden und letztendlich kulturelles Wissen entsteht, das wir weitergeben. Für mich war recht bald klar, dass dieses räumliche Zusammentreffen kein Zufall sein kann, und mit dieser Annahme hatte ich zugleich den logischen Ausgangspunkt für das Zusammensetzen des Alzheimer-Puzzles gefunden.

Alle Puzzleteilchen stammen aus der modernen Forschung, fast jedes aus einem anderen Labor. Oft erschien es mir jedoch, als begnügten sich die meisten Forscher bei der Suche nach der Krankheitsursache mit den von ihnen entdeckten molekularen Aspekten, sobald sie Optionen für die Entwicklung neuer Medikamente lieferten. Dabei suggerieren sie uns mit der Interpretation ihrer eigenen Ergebnisse, schon das komplette Bild in der Hand zu haben. Somit erscheint zunächst auch nur noch die Suche nach weiteren Pixeln sinnvoll. Das führt dazu, dass zwar der jeweilige Bildausschnitt ein wenig schärfer wird, doch immer neue Details in einem begrenzten Gebiet verhelfen nicht dazu, den wahren Ursachen der Krankheit entscheidend näher zu kommen; man sieht, wenn man so will, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Was wir dringend benötigen, ist ein Gesamtbild, ein Blick von ganz oben. Mit meiner Verhaltenstheorie der Alzheimer-Entstehung wage ich eine neue Sichtweise auf die bekannten Prozesse der Erkrankung und komme dabei ihrer wahren Ursache näher. Dabei ist mir klar geworden, dass Alzheimer zwar nicht behandelbar, aber vollends vermeidbar ist.

Dieses Buch ist ein Weckruf. Wenn wir erst einmal erkennen, dass wir unsere natürlichen Bedürfnisse nicht ohne Konsequenzen ignorieren können, und wenn wir anfangen, kleine, aber entscheidende Änderungen unseres Lebensstils vorzunehmen, wird die Bedrohung durch die Alzheimer-Krankheit wie eine schlechte, albtraumhafte Erinnerung verschwinden. Sie werden sehen, dass wir durch die ständige Verwendung des Begriffes Risikofaktor in Bezug auf das Lebensalter in die Irre geführt werden. Fear sells (Angst ist ein guter Verkäufer) heißt es in der englischsprachigen Geschäfts welt. Dabei ist das Einzige, was das Alter zum Prozess der Zerstörung des Selbst, also zur »Selbstzerstörung«, beiträgt, die Tatsache, dass mit jedem gelebten Jahr die Gefahr steigt, dass unser genetisches Programm die kulturbedingten Mängel, unter denen unser Gehirn leidet, nicht mehr kompensieren kann. Mit der erzeugten Angst vor dem unvermeidlichen Älterwerden und dem dadurch an geblich ebenso unvermeidlichen Alzheimer werden enorme Geldströme in eine Richtung gelenkt, die uns vordergründig helfen soll, aber insgesamt schadet. Denn die Gelder werden fast nur für die klinische Forschung und Behandlung, kaum aber für die Prävention eingesetzt, also für die Aufklärung über die wahren Ursachen dieser Erkrankung. Dabei ist eine bestimmte Lebensführung, wie Sie sehen werden, der einzig sinnvolle Weg, bis ins höchste Alter seinen Verstand zu behalten. Durch die Alzheimer-Lüge wird eine irrationale Abhängigkeit von der Pharmaindustrie geschaffen und zugleich die Chance auf eine Lösung vertan.

Während wir die Geschwindigkeit auf der kulturellen Datenautobahn und in nahezu allen Lebensbereichen immer weiter erhöhen, beschleunigt sich auch das Ticken unserer inneren biologischen Uhr. Wir altern mittlerweile schneller als noch vor Jahrzehnten, worüber die nahezu kontinuierlich steigende Lebens erwartung nicht hinwegtäuschen sollte. Denn wir verdanken diese fast ausschließlich einer immer besser werdenden Notfallmedizin und lebenserhaltenden Dauertherapien, und die werden nachgewiesenermaßen immer früher nötig. Anders ausgedrückt: Unsere Lebenserwartung würde mittlerweile sogar sinken, würden uns nicht die Medikamente der Pharmakonzerne am Leben erhalten. Chronische Krankheit bedeutet langfristige Einnahmen auf beiden Seiten, Geld auf der einen, Medikamente auf der anderen! Allerdings kann es für Alzheimer keine wirksamen Therapien geben, weil es sich dabei um eine kulturbedingte Mangelkrankheit handelt und weil kein Medikament einen Mangel ausgleichen kann (auch gegen Durst hilft nur Wasser, aber niemals eine Pille). Weil aber ihre wahren Ursachen nicht aufgedeckt werden, rückt die Krankheit in der Todesursachenstatistik immer weiter nach oben. Im Jahr 2012 lag beispielsweise in den USA die Alzheimer-Erkrankung schon auf Platz sechs, für über 65-Jährige sogar auf Platz fünf.2

Ich war selbst lange in der akademischen Grundlagen- und der patientenorientierten Pharmaforschung tätig. Deshalb sind es gerade wissenschaftliche Fakten, die mich zu der Überzeugung gebracht haben, dass eine naturgemäßere Lebensweise viel Leid verhindern kann. Wir werden zwar weiterhin den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess benötigen, die entscheidende Frage ist jedoch, in welche Richtung geforscht werden soll und wie wir neue Erkenntnisse interpretieren: Sollen die Erkenntnisse vornehmlich der profitablen Entwicklung von Medikamenten und dem Befördern von Karrieren dienen, oder nutzen wir sie schon heute, um die gesundheitsgefährdenden Mängel selbstverantwortlich zu beseitigen?

Die Wissenschaft ist zwar im Experiment weitgehend objektiv, aber welche Fragen gestellt und auch wie die Antworten interpretiert werden, unterliegt den subjektiven Motiven des jeweiligen Forschers und wird vom vorherrschenden Zeitgeist mitbestimmt. Und weil eine große Mehrheit der Wissenschaftler Alzheimer für unausweichlich hält (und dies die bequeme Haltung des »Weiter so« unterstützt), werden meines Erachtens nach wie vor zu viele falsche Fragen gestellt und vor allem die schon erhaltenen Antworten falsch interpretiert.

Zudem wird auf verhängnisvolle Weise immer wieder die Hoffnung auf eine alsbald verfügbare Therapie geschürt, die sich jedoch nicht erfüllen wird. Sämtliche Versuche der Pharmaindustrie (und es sind schon Hunderte), das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung medikamentös zu stoppen, sind bislang kläglich gescheitert. Und es ist – wie die hier erstmals vorgelegte Verhaltenstheorie der Alzheimer-Entstehung logisch begründet – sehr unwahrscheinlich, dass sich daran etwas ändern wird.

Meine neue Alzheimer-Theorie beruht auf evolutionsbiologischen Überlegungen und vereint in sich sämtliche anerkannten Ergebnisse der einschlägigen Forschung. Sie erklärt, wie und warum sich diese Krankheit entwickelt, weshalb wir die Informationen, die uns zum Beispiel Alzheimer-Tiermodelle liefern, anders interpretieren müssen, als es bisher die meisten Spezialisten getan haben, und warum sich die derzeit anbahnende Pandemie wohl nicht durch die Pharmaindustrie aufhalten lässt. Aber vor allem werden Sie aufgrund dieser neuen Theorie verstehen, warum manche Verhaltensweisen die Krankheitsentstehung fördern und andere sie verhindern. Daraus lässt sich dann ganz von allein ableiten, was Sie selbst tun können, um sich bis ins höchste Alter Ihre geistige Fitness zu erhalten. Deshalb ist meine Theorie zugleich auch eine Anleitung zur Änderung lebensgefährlicher Gewohnheiten.

Nachdem ich für dieses Buch viele Tausend wissenschaftliche Artikel analysiert habe, bleibt vor allem eines festzustellen: Die Natur hat für uns nicht den geistigen Verfall vorgesehen, sondern uns mit der Fähigkeit ausgestattet, bis ins höchste Alter lernen und immer neue Einsichten gewinnen zu können. Das war schon in prähistorischen Zeiten unerlässlich für das Überleben des Menschen. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Dieses Buch richtet sich somit an alle, die ihren Verstand behalten wollen, und insbesondere auch an diejenigen, die einen nahen, an Alzheimer erkrankten Angehörigen pflegen. Sie sind ganz besonders gefährdet, können und müssen sich aber auch ganz besonders schützen. Denn das ist meine eigentliche Botschaft: Alles ist veränderbar, nichts ist festgelegt.

Ich möchte Sie aber nicht überreden, sondern überzeugen. Deshalb soll Ihnen die erste Hälfte des Buches auf allgemein verständliche und möglichst unterhaltsame Weise einen Einblick in die Funktion unseres Gehirns und unseres Gedächtnisses geben. Sie werden zudem erfahren, warum die Natur es eingerichtet hat, dass wir bis ins höchste Alter Einsichten gewinnen können. Die dafür in unserem Gehirn angelegten Mechanismen sind jedoch empfindlich, und es wird für Sie leicht zu verstehen sein, wie sich aus diesen der Alzheimer-Prozess entwickelt, wenn sie durch unser Verhalten gestört werden.

In der zweiten Hälfte des Buches untersuchen wir mithilfe der zuvor gewonnenen Erkenntnisse unsere moderne Lebensweise. Sie können dann selbst entscheiden, welche unserer gesellschaftlichen oder Ihrer individuellen Verhaltensweisen es Ihnen wert sind, langfristig Ihren Verstand dafür zu opfern.

Weltweit über 20 000 Alzheimer-Forscher bearbeiten ein Gebiet, das sich jede Minute ausweitet. Allein in der United States National Library of Medicine sind, während ich diese Zeilen im Frühjahr 2014 schreibe, über 73 000 wissenschaftliche Artikel unter dem Stichwort »Alzheimer« verzeichnet. Deshalb habe ich aus dem gesamten Wissensschatz nur die Fakten herausgegriffen und zusammengefügt, von denen ich annehme, dass sie auch langfristig eine solide Basis für Empfehlungen darstellen, die eine gesunde geistige Fitness bis ins hohe Alter ermöglichen. Der Wissensschatz wird sich immer weiter vergrößern, aber ich kann Sie beruhigen, unsere natürlichen Bedürfnisse werden dieselben bleiben, daran können auch zukünftige Erkenntnisse nichts ändern.

Ich gehe davon aus, dass dieses Buch für einige Empörung sorgen und viele Kritiker auf den Plan rufen wird. Das werden vor allem Vertreter der Pharmaindustrie sein, die von der Alzheimer-Lüge profitieren, und auch Alzheimer-Forscher, deren Forschungsgelder aufgrund der Angst vor einer vermeintlich unabwendbaren Geisteskrankheit kräftig fließen. Aber unter den Kritikern werden vermutlich auch viele Menschen sein, die mit der Hoffnung leben, durch einen glücklichen Zufall von Alzheimer verschont zu bleiben, und die dieses Buch als Kritik an ihrer bequemen Grundhaltung verstehen, man könne ja sowieso nichts machen und sei daher frei von Verantwortung. Denn hier ist nun zu lesen, dass diese fatalistische Freiheit, diese Lebenslüge, die in gewisser Weise unsere gesamte Gesellschaft durchdringt, ein Trugschluss ist. Auf vielleicht schmerzhafte Weise plädiere ich für eine neue Verantwortlichkeit für sich selbst, für andere und für die Welt, in der wir und unsere Kinder leben werden.

Die Entscheidung, sich »artgerechter« zu verhalten und auf diese Weise Alzheimer vorzubeugen oder gar zu verhindern, muss jeder bewusst und selbst treffen. Die Belohnung dafür können einige Jahrzehnte mehr an gesteigerter Lebensfreude und Lebensqualität sein.

Ich habe mich bemüht, nur wenige Fachbegriffe zu verwenden und diese so zu erklären, dass es Ihnen auch ohne biologische und medizinische Vorkenntnisse möglich sein sollte, die Zusammenhänge zu verstehen. Ausgewählte Literatur zum Thema Alzheimer finden Sie ebenfalls am Ende des Buches. Alle diejenigen, die gerne tiefer in die Materie eindringen möchten, verweise ich auf die Anmerkungen, die ich am Ende des Buches bzw. auf der Website zusammengestellt habe:

www.michael-nehls.de/die-alzheimer-luege-anmerkungen.htm.

*    Meine Anmerkungen beziehen sich überwiegend auf Fachpublikationen und Studien und sind vornehmlich von fachspezifischem Interesse. Sie finden sie kapitelweise zusammengestellt am Ende des Buches und darüber hinaus auf der Website www.michael-nehls.de/die-alzheimer-luege-anmerkungen.htm. Dort sind sie, wenn möglich, mit einem Link zum entsprechenden Artikel versehen. Ein- und weiterführende Bücher sowie allgemein interessierende Zeitschriftenartikel finden Sie am Ende des Buches in der Auswahlbibliografie.

KAPITEL 1

Unvermeidbar? Eine profitable Lüge

»DIE MENSCHEN HÄUFEN DIE FEHLER IHRES LEBENS AN UND ERSCHAFFEN DARAUS DAS UNGEHEUER, DAS SIE SCHICKSAL NENNEN.«

JOHN OLIVER HOBBES (1867–1906)

Morbus Alzheimer – die Pandemie des 21. Jahrhunderts

»Ich habe Alzheimer«, outete sich im Jahr 2012 Rudi Assauer, ehemaliger Manager des Fußball-Clubs Schalke 04. Er sprach stellvertretend für etwa eine Viertel Million Deutsche, die im selben Jahr wie er an Alzheimer erkrankten. Weltweit gibt es sogar über vier Millionen Neuerkrankungen jährlich, Tendenz steigend. Laut Experten wird nahezu jeder Mensch Alzheimer bekommen, der nur alt genug wird, um die Krankheit zu erleben. Glaubt man diese Botschaft, wird eines Tages Assauer auch stellvertretend für Sie gesprochen haben, vorausgesetzt, es wird eintreten, was Ihnen Ihre Familie, Ihre Freunde und sicherlich auch Sie selbst sich wünschen: ein langes Leben! Nach den Prognosen des Statistischen Bundesamtes steigt die Chance dafür zwar stetig; dass Sie dabei gesund bleiben, ist allerdings – nach Meinung der Experten – reine Glückssache.

In einem Interview mit der Zeitschrift Gehirn & Geist zeichnete auch der bereits angeführte Konrad Beyreuther, eine Autorität in der deutschen Alzheimerforschung, ein düsteres Bild: »Alzheimer wird uns Menschen wahrscheinlich immer begleiten. Es sieht danach aus, als sei Alzheimer unvermeidbar, wenn wir alt werden.«1 Auch in unseren Köpfen hat Beyreuthers Bild vom bedauernswerten Senilen schon längst das Bild vom ehrwürdigen Senior ersetzt. Kein Wunder also, dass wir, solange es irgendwie geht, mittels Anti-Aging-Maßnahmen dem Jugendwahn frönen.

In den ersten Jahrzehnten nach ihrer Erstbeschreibung durch Alois Alzheimer im Jahr 1906 wurde die Alzheimer-Erkrankung als seltene Form von »Altersschwachsinn«, wie man Erkrankungen des Gehirns damals noch nannte, wenig beachtet. Erst in den 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts rückte sie ins Blickfeld der medizinischen Fachkreise und auch zunehmend ins Bewusstsein der allgemeinen Bevölkerung. Inzwischen gelten neurodegenerative (nervenzerstörende) Erkrankungen im Allgemeinen und die Alzheimer-Krankheit im Besonderen als normale Konsequenz des Älterwerdens: Vor dem 65. Lebensjahr erkrankt laut Statistik nur jeder Tausendste an Alzheimer, danach steigt die Rate jedoch rapide an.2 So ist in allen Industrienationen schon jeder Fünfzigste der 65-Jährigen betroffen. In der Altersgruppe 66 bis 75 Jahre ist es dann schon jeder Sechste und bei den 76- bis 85-Jährigen schon fast jeder Zweite.3 Mit 90 dürfte demnach kaum noch jemand bei vollem Verstand sein.

Diese Entwicklung hat dramatische Konsequenzen. So frisst die Alzheimer-Erkrankung einen immer größer werdenden Teil der Arbeitskraft in den Industrienationen. Allein in den USA brachten im Jahr 2011 etwa 15 Millionen Familienmitglieder und freiwillige Helfer 17,4 Milliarden (!) Arbeitsstunden für die Pflege von etwa 5,4 Millionen Alzheimer-Patienten auf. Laut der US -amerikanischen Alzheimer’s Association hat dies einen finanziellen Gegenwert von über 210 Milliarden Dollar.4 Dabei erbringen Ehepartner oder die erwachsenen Kinder etwa 60 Prozent der Leistung. Unter Alzheimer leiden die Angehörigen nicht nur ökonomisch, sondern auch emotional: Sie haben durch die sowohl psychisch als auch physisch sehr belastende Betreuung ein um das Sechsfache (!) erhöhtes Risiko, selbst an Alzheimer zu erkranken5  – dazu später mehr.

Der Alzheimer’s Association zufolge wird in den USA alle 68 Sekunden ein Mensch mit Alzheimer diagnostiziert, das sind etwa eine halbe Million neue Fälle pro Jahr. Bis 2050 wird sich diese Zuwachsrate voraussichtlich verdoppeln, weil bis dahin mehr Menschen ein »Alzheimer-Alter« erreicht haben werden.6 Laut epidemiologischen Untersuchungen wird sich der finanzielle Aufwand allein in den USA bis dahin auf etwa eine Trillion (tausend Milliarden) Dollar jährlich verfünffachen. Spätestens dann, im Jahr 2050, so erwarten Experten, wird das Gesundheitssystem der USA zusammengebrochen sein.

Der Begriff Epidemiologie kommt von griechisch logos »die Lehre«, epi »über«, demos »das Volk« und bedeutete ursprünglich »Seuchenkunde«. Epidemiologen untersuchen mittels Datenerhebungen unter Verwendung statistischer Methoden, ob zum Beispiel Beziehungen zwi schen sich ändernden Lebensgewohnheiten oder Umweltbedingungen und bestimmten Leiden bestehen. Ihre Risikoanalysen erlauben auch Aussagen über die sozialen und finanziellen Folgen solcher Entwicklungen.

Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Entwicklung in Deutschland eine andere sein wird! Allen Schätzungen zufolge werden hierzulande schon bis zur nächsten Generation mit etwa 2,5 Millionen mehr als doppelt so viele Menschen wie heute an Alzheimer erkrankt sein (Abbildung 1).7

In der Ursachenliste für Altersdemenz steht die Demenz vom Alzheimer-Typ mit einem Anteil von etwa 70 Prozent ganz oben, noch vor arteriosklerotischen Durchblutungsstörungen (Multiinfarkt-Demenz), dem Morbus Parkinson und anderen Gehirn erkrankungen. Demenz bedeutet »fehlender Geist« (lateinisch de mens ).

Abb. 1: Geschätzte Zahlen an Demenzerkrankungen in Deutschland. Etwa zwei Drittel aller Fälle werden durch Alzheimer verursacht.

Man kann kaum authentischer als Joanne K. Rowling die Auswirkungen einer Demenz beschreiben, auf die wir alle in der realen Welt zusteuern, entweder als Angehöriger eines Betroffenen oder als selbst Erkrankter. In ihrem Roman Harry Potter und der Gefangene von Askaban droht den Menschen durch Dementoren etwas »Schlimmeres als der Tod«. Die gefährlichsten aller magischen Wesen saugen durch einen Kuss ihren Opfern die Seele aus dem Leib, sodass nur noch ein leerer, aber funktionsfähiger Körper zurückbleibt, ohne Persönlichkeit, Erfahrungen und Gefühle. Harrys Lehrer erklärt: »Du kannst ohne deine Seele existieren, solange dein Gehirn und dein Herz noch arbeiten. Aber du wirst kein Selbstgefühl mehr haben, keine Erinnerungen, kein … nichts.« Und was laut Rowling noch schwerer wiegt und ebenfalls auf Alzheimer zutrifft: »Es gibt keine Chance, sich davon zu erholen. Du fristest nur dein elendes Dasein. Als leere Hülle. Und deine Seele hast du verloren … für immer.«

Ein genetisches Schicksal?

Man unterscheidet in Bezug auf die genetische Veranlagung zwei Formen von Alzheimer: die erbliche und die sporadische. Von den Symptomen und den Gewebsveränderungen des Gehirns her betrachtet, gibt es jedoch zwischen den beiden Formen keinen Unterschied.

Der erblichen Form liegen immer Mutationen in den sogenannten Alzheimer-Genen zugrunde. Wir werden einige dieser Gene später noch kennenlernen. Die jeweilige Mutation tritt manchmal spontan auf, wird aber meist von einem Elternteil weitergegeben, noch bevor dieser selbst erkrankt. Diese Form ist jedoch sehr selten, nur wenige Hundert Familien sind weltweit betroffen. Bei Menschen mit einem solchen Alzheimer-Gendefekt bricht die Erkrankung meist schon in relativ jungen Jahren aus (zwischen 40 und 55 Jahren), weshalb sie auch als Frühform bezeichnet wird. Der geistige Verfall schreitet sehr schnell voran, sodass Betroffene selten ein Alter von 65 Jahren erreichen.

Die sporadische Form hingegen kann uns alle treffen und macht die überwiegende Mehrheit aller Alzheimer-Fälle aus. Die Erkrankung beginnt meist erst nach dem 65. Lebensjahr und wird deshalb auch als Spätform bezeichnet. Beim sporadischen Alzheimer gibt es zwar keine eindeutige genetische Ursache, dennoch glauben viele Spezialisten, den Grund für die Erkrankung letztendlich doch im Erbgut finden zu können. Eine Erklärung dafür liegt für sie in der Beobachtung, dass das Risiko, an der sporadischen Form von Alzheimer zu erkranken, erhöht sein kann, wenn nahe Angehörige von der Krankheit betroffen sind oder waren. Die Familie wird somit, statistisch betrachtet, zu einem weiteren Risikofaktor. Aber weshalb?

Befürworter der therapeutischen Lösung erklären dies damit, dass eng verwandte Familienmitglieder sehr viele derselben genetischen Varianten von unzähligen Genen in ihrem Erbgut tragen. Es gebe zwar kein einzelnes Alzheimer-Gen, aber bei den Verwandten, über das gesamte Erbgut verteilt, doch genügend viele kleine genetische Risiken, die sich zu einem Gesamtrisiko aufsummieren würden.

Dieselbe Begründung wenden viele auch für das generelle Risiko an, am sporadischen Alzheimer zu erkranken. Aber es ist ebenso möglich, dass die häufigste Form von Alzheimer überhaupt keine genetische Grundlage hat. Denn schließlich teilen die meisten Menschen innerhalb einer kulturellen Gemeinschaft, und noch mehr innerhalb einer Familie, viele ihrer Lebensgewohnheiten, sodass eine vermeintlich genetische »Belastung« rein nichtgenetische Ursachen haben kann.

Hätten die Gengläubigen jedoch recht, dass auch die sporadische Form, wenn auch auf bislang ungeklärte Weise, von unserem Erbgut ausgelöst wird, dürften wir streng genommen Alzheimer überhaupt nicht als Krankheit betrachten. Alzheimer wäre dann schlichtweg eine natürliche Konsequenz des »Mensch-an-sich-Seins«, also nur die Ausführung unseres genetischen Programms. Laut Evolutionstheorie ist aber darin nur programmiert, was der Fortpflanzung dient – jede andere Programmierung dient keinem Zweck, liefert keinen Überlebensvorteil. Da ein vermeintliches »Alzheimer-Programm« sicher nicht zweckdienlich ist, könnte es sich dabei – falls es überhaupt existiert – nur um eine im Alter in Kraft tretende, fehlerhafte Konsequenz aus anderen Programmierungen handeln. Aber auch dies ist nicht logisch. Später, wenn wir auf die »Evolution der Großmutter« eingehen, werden Sie sehen, dass wir über unsere geistige Leistungsfähigkeit im hohen Alter die Überlebenschance unserer Nachkommen erhöhen, und damit das unseres eigenen genetischen Erbes. Aus diesem Grund kann Alzheimer ebenfalls nicht Teil unseres genetischen Programms sein. Es ist genau das Gegenteil zu erwarten: eine Programmierung, die uns geistige Fitness bis ins hohe Alter ermöglicht!

Wie weit sind wir tatsächlich unserem Erbgut, also einem genetischen Schicksal, ausgeliefert? Legt unser Erbgut fest, welchen Weg wir gehen müssen, oder haben wir selbst einen Einfluss darauf, wohin unsere Reise geht? In Bezug auf Alzheimer versuchten Epidemiologen, dies herauszufinden. Knapp 500 schwedische Zwillinge, sowohl ein- als auch zweieiige, die mindestens ab dem elften Lebensjahr getrennt aufwuchsen und kein spezifisches Alzheimer-Gen in ihrem Erbgut trugen, wurden ab dem 50. Lebensjahr über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren regelmäßig untersucht. Gemessen wurden die sozialen Einflüsse auf die Entwicklung ihrer mentalen Leistungsfähigkeit. Beim Vergleich der eineiigen (die dasselbe Erbgut besitzen) mit den zweieiigen Zwillingen (die statistisch nur zur Hälfte dasselbe Erbgut haben) zeigte sich, dass das Umfeld in etwa zu 50 Prozent zum Alzheimer-Risiko beitrug und somit für das Erbgut nur noch die restlichen 50 Prozent übrig blieben.8 Ein deutlicher Hinweis darauf, dass wir unserem Erbgut bezüglich Alzheimer eben nicht vollkommen ausgeliefert sind. Aber wie viel sind 50 Prozent erbliche Belastung?

Nicht viel, wie ein Beispiel aus einem anderen Bereich geistiger Entwicklung illustriert: Der Volksdurchschnitt des Intelligenzquotienten (IQ) liegt bekanntlich bei 100 Punkten. Trotz eines hohen Grads an genetischer Veranlagung – vergleichbar mit dem, den die schwedische Zwillingsstudie für den sporadischen Alzheimer errechnete – wird der IQ entscheidend durch das soziale Umfeld geprägt. Eine Beispielrechnung: Nehmen wir für das soziale Umfeld nur einen Spielraum von 30 Punkten an, also plus oder minus 15 Punkte, die es im Laufe der Entwicklung jedes Einzelnen zu dessen IQ beiträgt. Bei einem Durchschnitt von 100 wäre das Resultat bei guter oder bei schlechter Förderung entweder ein IQ von 115 oder einer von 85 Punkten. Im einen Fall wäre ein Universitätsstudium gut machbar, im anderen Fall reichte es vermutlich gerade zu einem Hauptschulabschluss – und das bei gleicher genetischer Grundausstattung! Fazit: Selbst bei einer großen genetischen Komponente nimmt unser Umfeld entscheidenden Einfluss auf unsere geistige Entwicklung. Dasselbe gilt auch für Alzheimer.

Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass bei so gut wie allen Zwillingsstudien der Einfluss des Umfelds unter- beziehungsweise der des Erbguts überschätzt wird. Der Grund für diese Annahme? Die einzelnen Zwillinge solcher Studien wachsen zwar immer getrennt in verschiedenen Familien auf, sie leben dennoch meist im selben Kulturraum, der wiederum das soziale Umfeld, das Verhalten und selbst die Ernährung prägt. Dadurch ist nicht zu unterscheiden, was auf dieselben kulturellen und was auf die genetischen Einflüsse zurückzuführen ist. Nur anhand eineiiger Zwillinge, die in komplett verschiedenen Kulturen aufwachsen, in denen ein unterschiedliches Alzheimer-Risiko vorherrscht, könnte der tatsächliche Einfluss des Erbguts auf diese Erkrankung bestimmt werden.

Wenn nun bei der sporadischen Form von Alzheimer das Erbgut weniger, möglicherweise sogar weit weniger als 50 Prozent zum Risiko beiträgt, dann stellt sich weiterhin die Frage, wie es zur senilen Demenz kommt.

Ein altersbedingtes Schicksal?

Auf der Suche nach weiteren Risikofaktoren glauben die Epidemiologen, mit dem Lebensalter einen wesentlichen Faktor ausgemacht zu haben. Da wir das Älterwerden ebenso wenig wie unser Erbgut durch unser Verhalten beeinflussen können, scheint uns das vermeintliche Lebensalter-Risiko zusammen mit dem vermeintlichen Erbgut-Risiko nun vollends vom (zukünftigen) Erfolg der pharmazeutischen Forschung abhängig zu machen. Diese scheinbare Logik wird inzwischen so oft wiederholt, dass man sie kaum noch hinterfragt.

Ein lehrreiches Beispiel für ein Missverständnis in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Alter und Krankheit ist der sogenannte Altersdiabetes. Diese Bezeichnung für die vermeintlich altersbedingte Zuckerkrankheit stammt von Diabetes mellitus (lateinisch für »süßer Durchfluss«, weil der Urin aufgrund einer zu hohen Blutzuckerkonzentration überschüssigen Zucker enthält) und Alter, weil es einige Jahre des kulturkonformen Lebens bedarf, bis sich die Erkrankung einstellt. Die sogenannten β(beta)-Zellen in der Bauchspeicheldrüse aktivieren das Gen für die Synthese von Insulin und setzen es immer dann ins Blut frei, wenn die Konzentration des Blutzuckers ansteigt, beispielsweise nach einer »Honigschlemmerei«. Die Fettzellen können das an ihrer Zelloberfläche vorbeischwimmende Insulin mit ihren Insulinrezeptoren »riechen«, worauf fettzellenspezifische Enzyme (Katalysatoren) aktiviert werden, die den eingeschleusten Zucker chemisch in Fett umwandeln, damit die Energie bei späterem Bedarf wieder zur Verfügung gestellt werden kann. Die Folge ist zudem eine Normalisierung des Blutzuckerwerts.

Nun ist ein Fund an Honig oder ähnlich zuckerhaltigen Nahrungsmitteln für uns nicht mehr so selten wie einst für die Jäger und Sammler. Aufgrund unserer kulturellen Entwicklung (und unseres Lebensstils) stehen uns ständig Kohlenhydrate in Form von Brot, Pasta oder raffiniertem Zucker (Softdrinks, Kuchen, Kekse) zur Verfügung. Die Folge: Nahezu ständig muss Insulin synthetisiert und ausgeschüttet werden. Mit der Zeit (dem Älterwerden) können es die Fettzellen im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr riechen. Völlig überfordert durch jahrelange überhöhte Zuckerzufuhr reagieren die Insulinrezeptoren nicht mehr auf Insulin. Sie verweigern in gewisser Weise ihre Zusammenarbeit. Mit jeder weiteren Mahlzeit steigt nun der Blutzuckerspiegel, bis er toxische Werte erreicht. Der Blutzucker bindet Wasser und entzieht es dem Gehirn, ein Koma kann kurzfristig die Folge sein. Mittelfristig zerstört der erhöhte Blutzucker die Blutgefäße, und es entwickelt sich eine Arteriosklerose. Langfristig kommt es so zur Minderversorgung vieler Organe mit lebenswichtigem Sauerstoff, auch des Gehirns. Die Folge ist eine sogenannte vaskuläre (gefäßbedingte) Demenz. Auch die Alzheimer-Erkrankung ist eng mit einer gestörten Regulation des Blutzuckers verknüpft – dazu mehr in Kapitel 16.

Schon bei Jugendlichen entwickelt sich der Altersdiabetes immer häufiger, was beweist, dass auch diese Krankheit schlicht und ergreifend das Resultat eines Verhaltens ist, das durch die kulturelle Entwicklung ermöglicht wird und das jeder an den Tag legen kann oder auch nicht. Obwohl dies völlig offensichtlich ist, ist es auch Teil derselben kulturellen Entwicklung, dass wir, anstatt unser Verhalten zu ändern, nach medizinischen Möglichkeiten suchen, um das scheinbar »fehlerhafte« genetische Programm durch therapeutische Chemikalien zu »verbessern«. Manche Medikamente gegen den Altersdiabetes versuchen, die Insulinrezeptoren der Fettzellen zu reaktivieren, andere versuchen, das Insulin nachzuahmen. Allen Therapiemöglichkeiten gemeinsam ist der verzweifelte Versuch, den Blutzucker so gut zu regulieren, wie es die Natur noch konnte, bevor wir das selbstregulierende System durch unser Verhalten überlasteten und es zusammenbrach. Das kann aber nicht gelingen, auch unter der besten Therapie ist die Lebenszeit verkürzt!

Nun zurück zu Alzheimer. Hier behauptet etwa der Jahresreport der Alzheimer’s Association: »Der größte Risikofaktor für Alzheimer ist das fortschreitende Alter.«9 Aber stimmt das auch? Ist es tatsächlich das Alter an sich oder nicht vielmehr doch das, was wir im Laufe des Lebens mit uns anstellen? Was bedeutet überhaupt der Begriff »Risikofaktor«?

Der Risikofaktor gibt in der Medizin die relative Häufigkeit an, mit der eine Erkrankung unter unterschiedlichen Bedingungen eintritt. Meist wird eine ursächliche Verknüpfung zwischen einer bestimmten Bedingung und einer Erkrankung vermutet, wenn eine erhöhte Krankheitswahrscheinlichkeit ermittelt wird. Solange noch kein Beweis für eine Verursachung (Kausalität) vorliegt, sollte man besser von einer Wechselbeziehung (Korrelation) sprechen. Wenn allerdings ein Faktor als das wesentliche Risiko bezeichnet wird, dann ist damit suggeriert, dass dieser Faktor ursächlich (kausal) ist für die Krankheitsentstehung.

Offenbar werden die Begriffe Korrelation und Kausalität gern miteinander verwechselt oder doch zumindest nicht säuberlich voneinander getrennt. Nehmen wir als Beispiel dafür die bekannte Mär, derzufolge Störche die Babys bringen (Abbildung 2). Dahinter steckt das Faktum, dass bis in die 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts hinein März, April und Mai die geburtenstärksten Monate waren – eben der Zeitraum, in dem die Störche im Frühjahr ankamen. Ein klarer Fall von Korrelation, nicht aber von Kausalität. Seit mit der Einführung moderner Verhütung Kinder »sicher geplant« werden können, sind die Geburten gleichmäßiger übers Jahr verteilt.

Abb. 2: Aufgrund unabhängiger Anpassung an dieselbe Jah reszeit fiel eine erhöhte Geburtenrate bei uns mit der Ankunft der Störche zusammen.

Das Zurückkehren der Störche zur Paarung und der Geburtenanstieg bei Menschen ist eine biologische Anpassung an den Temperaturanstieg im Frühjahr, hat also jeweils eine natürliche Ursache. Wir Menschen profitierten in grauer Vorzeit davon, wenn unsere Kinder zu Beginn der warmen Jahreszeit geboren wurden. Dasselbe galt schon immer und gilt auch heute noch für die Störche. Dieser Überlebensvorteil ist bei den Vögeln genetisch im Zugverhalten verankert, bei uns Menschen (möglicherweise ebenfalls genetisch bedingt) in einer sommerlich erhöhten Paarungsbereitschaft.

Auch für den angeblich größten »Risikofaktor« der Alzheimer-Erkrankung, das Lebensalter, wird eine an sich harmlose, statistisch ermittelte Korrelation als Beweis für eine Ursächlichkeit suggeriert. Und um diese Suggestion perfekt zu machen, wird der Risikofaktor Alter als der »wesentliche« bezeichnet. Ich nenne dies die »Alzheimer-Lüge«, weil den Experten eigentlich bewusst sein müsste, dass eine Verursachung der Alzheimer-Krankheit durch das Alter niemals bewiesen wurde – im Gegenteil! Die Korrelation zwischen Lebensalter und Alzheimer ist ebenso wenig zufällig wie die zwischen Störchen und Geburtenzahlen. Doch hat sie eine andere gemeinsame Ursache: die Kultur.

Ein kulturelles Schicksal?

Durch unsere technologische Entwicklung, sprich: unseren kulturellen Fortschritt, steigt unsere Lebenserwartung. Dieser Anstieg ist also ein Erfolg unserer Kultur – und hier besteht eine Kausalität. Allerdings verdanken wir unsere stetig steigende Lebenserwartung nicht mehr einer verminderten Kindersterblichkeit durch Impfungen und dem Einsatz von Antibiotika, wie noch in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, sondern fast ausschließlich einer immer besseren Akutmedizin und vor allem einer oft chronischen medikamentösen Versorgung.

Dass wir heute älter werden als früher, ist also kein Zeichen einer verbesserten Gesundheit, im Gegenteil: Durch die vielen kulturellen Veränderungen, die sich auf unsere Lebensweise auswirken, steigt mit der Lebenserwartung mittlerweile sogar überproportional die »Krankheitserwartung«. Laut einer Studie sind wir für jedes Jahr, das uns durch die immer höhere Lebenserwartung geschenkt wird, etwa zwei Jahre länger chronisch krank!10 Und dieser Trend ist ungebrochen. Uns erwarten die typischen Zivilisationskrankheiten, zu denen auch die sporadische Form von Alzheimer gezählt werden muss. Ohne chronische Therapien gegen Altersdiabetes, die meisten Formen von Krebs, aber auch erhöhten Blutdruck, Arteriosklerose, Fettstoffstörungen und ähnliche Erkrankungen würde unsere Lebenserwartung derzeit sinken. Wir leben heute nur länger als noch vor Jahrzehnten, weil wir am Tropf der Pharmaindustrie hängen und weil wir die Kosten dafür (noch) aufbringen können. Alzheimer ist das größte Sorgenkind, weil der richtige Tropf nicht zu finden ist und weil selbst dann, wenn man ihn finden würde, ihn sich die Gesellschaft nicht leisten könnte.

Abb. 3: Die Alzheimer-Rate ist im Alter erhöht, aber wie wir altern,ist vornehmlich durch unser kulturelles Verhalten bedingt.

Unsere moderne, marktorientierte Kultur und der nahezu exponentiell wachsende technologische Fortschritt sowie unsere an diesen angepasste Lebensweise bewirken also beides: eine zunehmende Lebenserwartung, aber auch eine ebenso stetig zunehmende Krankheitserwartung. Zwischen dem Lebensalter und einer Kulturkrankheit wie Alzheimer besteht somit zwar eine Korrelation, aber die tatsächlichen kausalen Risikofaktoren können nur in der Kultur beziehungsweise in unserer Lebensweise gefunden werden (Abbildung 3, Kapitel 1). Dort findet sich auch der Schlüssel zu geistiger Gesundheit, oder glauben Sie an ein kulturelles Schicksal?

Eine Daumenparabel: Einem Brauch folgend klopfen sich die Mitglieder einer religiösen Gemeinschaft mehrfach täglich mit einem Hammer auf ihre Daumen. Die Eltern bringen den Kindern bei, dass göttlicher Wille dies als Glaubensbeweis einfordert. Tatsächlich dient das schmerzhafte Ritual der Stärkung der Gruppenzusammengehörigkeit. Mit jedem Lebensjahr steigt nun in der Gemeinde der Daumenklopfer die Wahrscheinlichkeit, dass die malträtierten Gliedmaßen absterben. Schnell wird das Alter zum ursächlichen Risikofaktor für den Daumenverlust erklärt, denn diese Logik deckt sich schließlich mit der täglichen Erfahrung und stellt zudem die kulturbedingte Verhaltensweise nicht an den Pranger. Auch die lokalen Wunderheiler freuen sich, denn nun werden Medikamente gegen die Schmerzen und Entzündungen benötigt, aber auch gegen die Depressionen, an denen diejenigen leiden, die dem gesellschaftlichen Zwang zur Konformität nur noch schwerlich nachkom men können. Die quälenden Folgen menschlicher Unfähigkeit, gruppen konformes irrationales Verhalten zu erkennen oder zu beenden, werden durch den Einsatz rational entwickelter Medizin zu lindern versucht. Verhindert werden sie jedoch nicht.

So verrückt die Daumenparabel sich zunächst anhört, sie ist leider nicht sonderlich abwegig. Beispielsweise waren in Russland Ende des 18. Jahrhunderts die Kastration und die Verstümmelung der männlichen und äußerlichen weiblichen Geschlechtsorgane mit glühenden Eisen ein Markenzeichen der Skopzen (russisch für »Eunuchen«), einer religiösen Gemeinschaft, die offensichtlich nicht durch eigene Nachkommen wuchs, sondern durch Zulauf von außen. Das Erfolgsrezept: Je größer das Opfer, desto stärker der Glaube und umso enger die Gemeinschaft.

Ein kulturelles Schicksal erleiden wir nur, wenn wir kein ernsthaftes Bedürfnis verspüren, etwas an solchen gemeinschaftsprägenden Verhaltensweisen zu ändern, obwohl sie uns letztendlich schaden. Jede Änderung ist eine Reise ins Ungewisse und mit Anstrengung verbunden und wird deshalb gerne vermieden. Bedient also die Falschaussage »Alter ist der größte Risikofaktor« nicht nur einfach ein allzu menschliches Bedürfnis, alles beim Alten zu lassen? Angebliches »Nichts tun können« wird dabei zum bequemen »Nichts tun müssen«.

Wie aber kann man beweisen, dass die Kultur beziehungsweise der vorherrschende Zeitgeist für das bei uns mittlerweile sehr hohe Alzheimer-Risiko verantwortlich ist? Ein erster Schritt besteht darin, sich dieses Risiko in verschiedenen Kulturen anzusehen. Wäre das Alter der wesentliche Risikofaktor, müsste die Alzheimer-Krankheit in allen Kulturkreisen mit nahezu gleicher Wahrschein lichkeit in Bezug zum Lebensalter auftreten. Aber tatsächlich weisen vergleichende Bevölkerungsstudien auf ein sehr unterschiedliches, vom kulturellen Umfeld (und nicht etwa von der genetischen Veranlagung) abhängiges Risiko hin. Hier eine Auswahl:

In einer gut kontrollierten Vergleichsstudie zwischen Afrikanern, die in Nigeria leben, und Angehörigen derselben ethnischen Gruppe, die in den USA leben, wurde herausgefunden, dass die Nigerianer drei- bis viermal seltener an Alzheimer erkranken als die gleichaltrigen US-Amerikaner.11 Wäre das Alter das hauptsächliche Risiko, an Alzheimer zu erkranken, wäre dieser enorme Unterschied nicht möglich. In der Altersgruppe 90+ erkranken 50 Prozent aller US-Amerikanerinnen an Alzheimer, bei Frauen derselben Altersgruppe im japanischen Okinawa ist das Risiko nur etwa halb so groß.12Bei den älteren Männern Okinawas ist der Unterschied noch gravierender. Nur etwa zehn Prozent in dieser Altersgruppe (90+) leiden an Alzheimer.13 Das ist gegenüber gleichaltrigen US-Amerikanern ein etwa fünffach reduziertes Risiko. Anders ausgedrückt: In Okinawa wären acht von zehn US-amerikanischen Alzheimer-Patienten gesund!14Bei Japanern, die in die USA einwandern, steigt das Alzheimer-Risiko deutlich auf das Niveau ihres neuen kulturellen Umfelds, sobald sie sich an die US-amerikanischen Lebensgewohnheiten angepasst haben. Ebenso lässt sich beobachten, dass die Erhöhung des Alzheimer-Risikos ausbleibt, wenn die Japaner ihren gesünderen Lebensstil in ihrem neuen Umfeld beibehalten.15 In unterentwickelten Ländern wie dem ländlich geprägten Indien ist die Alzheimer-Krankheit im Vergleich zu den USA etwa viermal seltener.16 Aber auch in Schwellenländern ändert sich das kulturelle Milieu durch eine Verwestlichung des Lebensstils. Inzwischen liegt die geschätzte Zunahme an Alzheimer in Indien und China in den nächsten drei Jahrzehnten bei über 300 Prozent17 , das entspricht in etwa dem für dort angenommenen zukünftigen Wirtschaftswachstum über diesen Zeitraum. In den technologisch »höher« entwickelten Ländern wird das Alzheimer-Risiko bezogen auf die jeweiligen Altersgruppen voraussichtlich konstant hoch bleiben.18

Diese und viele weitere Studien weisen sehr eindrücklich darauf hin, dass der kulturelle Einfluss auf die Alzheimer-Erkrankungswahrscheinlichkeit sehr hoch ist. Eine kulturbedingte Risikoverminderung um den Faktor vier bis fünf bedeutet im Umkehrschluss, dass das Erbgut kaum mehr als 20 bis 25 Prozent »Rest-Risiko« beitragen kann – wenn überhaupt. Und selbst dieser niedrige Wert ist sehr wahrscheinlich immer noch zu hoch gegriffen, denn es ist unwahrscheinlich, dass in den Gesellschaften, in denen Alzheimer so viel seltener als bei uns auftritt, sich nicht noch kulturelle Risiken verbergen, die man vermeintlich als genetische interpretiert.

Professor Peter T. Nelson, Gerontologe am Sanders-Brown Center On Aging der Universität von Kentucky in Lexington, glaubt beim sporadischen Alzheimer ebenfalls nicht an primär genetische Risiken. Er hatte folgenden Gedanken: Wenn es tatsächlich stimmen würde, dass das Lebensalter Alzheimer verursacht, dann müssten diejenigen Gene, von denen man weiß, dass sie unseren Alterungsprozess beeinflussen, auch unser Alzheimer-Risiko verändern. Zusammen mit einer renommierten Expertengruppe aus Altersforschern analysierte er die gesamte medizinische Literatur und fand keine Indizien für die Annahme, Alter verursache Alzheimer, sondern nur solche, die dagegensprechen.19 Nelson und seine Koautoren fassten ihre Ergebnisse recht eindeutig zusammen: »Es konnte kein Kriterium gefunden werden, das die Alzheimer-Krankheit spezifisch mit Mechanismen, die dem Altern zugrunde liegen, in Beziehung setzt.« Und daraus folgerten sie: »Die Alzheimer-Pathologie ist nicht unausweichlich für uns Menschen, auch nicht im fortgeschrittenen Alter.«

Und es gibt noch ein weiteres Argument gegen die Krankheitsverursachung durch das Alter: Die zweithäufigste Ursache von Altersdemenz ist bekanntlich der Schlaganfall, verursacht durch eine Arteriosklerose, wobei vor allem sogenannte Mikroinfarkte sukzessive Hirngewebe zerstören. Die Arteriosklerose- oder vaskuläre Demenz (weil sie von einem geschädigten Blutgefäß ausgeht) beginnt in der Mehrzahl der Fälle einige Jahre später im Leben als die Alzheimer-Demenz, und die Wahrscheinlichkeit, daran zu erkranken, steigt ab da kontinuierlich an. Dagegen nimmt das Alzheimer-Risiko ab dem 90. Lebensjahr wieder ab, wie hirngewebliche Untersuchungen an Verstorbenen ergaben.20 Diese absolute und relative Verminderung der Alzheimer-Demenz im extrem hohen Alter ist ein weiteres deutliches Indiz dafür, dass die Alzheimer-Krankheit nicht durch das Alter bedingt sein kann. »Wer lange genug lebt, überlebt sein Alzheimer-Risiko«, müsste es demnach sogar lauten!

Wir müssen also die ursächlichen Risikofaktoren innerhalb unserer Kultur identifizieren. Dann können wir eine alternative und – wie Sie sehen werden – plausible, mit den modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen im Einklang stehende Theorie der Alzheimer-Erkrankung entwickeln. Die »Verhaltenstheorie der Alzheimer-Entstehung«, die wir uns in Kapitel 7 näher ansehen werden, erklärt uns dabei nicht nur, warum die Altersursachen-Theorie falsch ist, sondern auch, wie wir selbstverantwortlich mit einfachen Mitteln das Alzheimer-Risiko zum Restrisiko reduzieren können. Sie werden überrascht sein, wie schon kleine Veränderungen in unserer Lebensweise dafür sorgen können, dass das prognostizierte Demenz-Risiko so drastisch absinkt, dass wir uns um unsere geistige Fitness im Alter nicht sorgen müssen.

Der Lohn der Lüge

Warum wird dann aber das Alter von der Mehrheit der Forscher weiterhin als bedeutendster Risikofaktor für Alzheimer deklariert? Ich denke, die Antwort ist ganz einfach: Es geht um Profit.

Es besteht ein milliardenschweres geschäftliches Interesse daran, diesen unheilvollen Fehler nicht aus der Welt zu räumen. Alleine in den USA werden jährlich über eine Billion Dollar (tausend Milliarden) in den Gesundheitssektor investiert, und die Politik verteilt die Gelder dorthin, wo man ihr und der Bevölkerung den größten Bedarf suggeriert! Dabei hat die Pharmaindustrie laut einem Bericht im Spiegel allein in Washington, um die Politik zu beeinflussen, »seit 1998 umgerechnet über vier Milliarden Euro für Lobbying ausgegeben. Das ist viermal so viel, wie die Waffenindustrie oder die Ölindustrie einsetzt.« In Deutschland müssen diese Zahlen nicht offengelegt werden. Peter Sawicki, der als Arzt, Gesundheitswissenschaftler und Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen von 2004 bis 2010 erforschte, wie nützlich Therapien wirklich sind, erklärt gegenüber dem Spiegel die Folgen: »Als Wissenschaftler musste ich lernen, dass Politiker nicht auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse entscheiden, sondern in einer Welt des Interessenausgleichs leben.« Und laut der Spiegel -Recherche scheint genau das eines der größten Erfolgsrezepte zu sein: »Lobbyisten verkaufen Politikern oder Regierungsbeamten das eigene Interesse als das Allgemeininteresse.«21

Wie lukrativ die Alzheimer-Lüge ist, offenbarte die US -amerikanische Alzheimer’s Association mit ihrer Feststellung: »Man kann sich nicht vorstellen, wie die Regierung und die amerikanischen Steuerzahler einen besseren Ertrag für ihre Steuergelder erzielen können als durch Investition in die Alzheimer-Forschung.«22

An der Erforschung der molekularen Ursachen der Alzheimer-Erkrankung arbeiten weltweit mittlerweile Zigtausende Forscher mit unterschiedlichsten Spezialisierungen. Die geschürte Angst lässt die Gelder fließen. Zell- und Molekularbiologen, Genetiker und Epidemiologen, Kliniker und Tiermodellspezialisten, Biochemiker und Pharmaforscher sowie Neurobiologen und Analytiker neuronaler Netzwerke legen unterschiedliche, sich zum Teil widersprechende Theorien vor, welche die progressive Zerstörung unseres Gehirns zu erklären versuchen. Mit all diesen Theorien machen die Wissenschaftler immer wieder Hoffnung auf therapeutische Durchbrüche – warum sonst sollte der Staat dem jeweiligen Forscher weiter Geld für seine Arbeiten bezahlen? Zudem gibt es kaum noch ein Forschungsgebiet, bei dem die Forscher nicht proklamieren, ihre Arbeit diene langfristig der Lösung des Alzheimer-Problems. Nur so werden selbst die irrwitzigsten Versuche gerechtfertigt und finanziell gefördert.

Im Juli 2012 wurde in München Europas schnellster Super computer eingeweiht. Drei Billiarden Rechenoperationen schafft Super MUC ( MUC ist der Code-Name für den Münchner Flughafen) in der Sekunde. Alleine die Anschaffungskosten lagen bei 135 Millionen Euro. Strom benötigt er etwa so viel wie eine Klein stadt, wenn er die molekularen Vorgänge im Gehirn für das Human Brain Project unter der Leitung des Neurobiologen Henry Markram simuliert. Gerechtfertigt seien diese Ausgaben des Bundes und Bayerns, so Annette Schavan, die ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, weil sich so unter anderem die molekularen und zellbiologischen Vorgänge beim Altern und insbesondere bei Alzheimer besser verstehen ließen.23 Entsprechend gigantische Investitionen in die Gesundheitsaufklärung, insbesondere im Rahmen der schulischen Bildung, würden dagegen tatsächlich Menschenleben retten!

Ausgaben in ähnlichen Größenordnungen werden in einem Großprojekt anfallen, das unter dem Namen Nationale Kohorte läuft.24 Die größte deutsche Gesundheitsstudie soll voraussichtlich von diesem Jahr an (2014) bei 200 000 Männern und Frauen im Alter zwischen 20 und 69 Jahren über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten (!) untersuchen, welchen Einfluss Erbgut, Umwelt und Lebensstil auf die Entstehung von Volkskrankheiten haben, darunter Alzheimer – als wenn das nicht schon durch Tausende von veröffentlichten Studien hinreichend bekannt wäre. Was hier finanziert wird, ist daher nichts anderes als die Möglichkeit, einer weiteren Generation von Menschen eine heute schon wissenschaft lich gesicherte Aufklärung und damit verbundene sichere Möglichkeiten der Prävention vorzuenthalten. Anders gesagt, es wird auf unsere Kosten Zeit geschunden. Megastudien wie diese wer den keine neuen Ursachen von Alzheimer und anderen kulturbedingten Krankheiten aufdecken (denn das ist schon passiert). Der Umstand, dass diese in Auftrag gegeben wurde, erweckt vielmehr fälschlicherweise den Eindruck, dass man noch keine lebensrettenden Erkenntnisse besitzt und wir so alle weitermachen können wie bisher. So wird unter dem Deckmantel »Gesundheitsstudie« die Ge sundheit der Bevölkerung für weitere Jahrzehnte aufs Spiel gesetzt.

An dieser Stelle möchte ich ganz deutlich darauf hinweisen, dass ich weder gegen Forschung im Allgemeinen noch gegen die Alzheimer-Forschung im Speziellen bin. Die Bemühungen sollten jedoch nicht zu Lasten derer gehen, die heute schon von den existierenden Antworten profitieren könnten, würden sie nicht heruntergespielt und hinter weiteren Fragen verborgen werden. Daher ist inzwischen für mich die entscheidende Frage, in welche Art von Forschungsgroßprojekten aufgrund der heute bekannten Datenlage weiter investiert werden sollte. In die Erforschung zukünftiger Therapien, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eines nie erreichen werden: chronisch unbefriedigte Bedürfnisse unseres Organismus medikamentös zu beheben; in weitere Studien (die frühere Studien bestätigen, die schon frühere Studien bestätigt haben, die ihrerseits bereits …), um dabei immer mehr Zeit zu verlieren; oder in die breit angelegte Aufklärung mündiger Bürger über die wahren Ursachen der Erkrankung, sodass mittels Prävention Alzheimer schon jetzt verhindert werden könnte?

Aber noch werden die Weichen bewusst falsch gestellt, auch wenn das niemand zugeben würde. Um beispielsweise nicht den Anschein zu erwecken, allzu einseitig nur hinter der Entwicklung von Therapien zu stehen, rief das US -amerikanische Gesundheitsministerium eine Alzheimer-Präventionskonferenz ins Leben. Allerdings kamen die Autoren der Abschlusserklärung zu dem fatalen Ergebnis, dass erst noch weiter erforscht werden muss, ob Alzheimer überhaupt mit unserer modernen Lebensweise in Verbindung zu bringen ist und folglich durch eine Änderung desselben verhin dert werden kann.25 So heißt es wörtlich übersetzt: »Derzeit können noch keine sicheren Schlussfolgerungen in der Beziehung zwischen irgendeinem durch das Verhalten veränderbaren Risikofaktor und dem geistigen Abbau oder der Alzheimer-Erkrankung gezogen werden.« Welch ein gefährlicher Unsinn! Diese Aussage suggeriert wieder einmal, dass Alzheimer völlig unvermeidlich sei, und behindert damit nicht nur unser Denken. Sie vermindert auch unsere Chance, geistig fit ein hohes Alter zu erreichen. Sie hat zudem einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung von Forschung und Medizin sowie auf die Politik, die aufgrund dieser fehlerhaften Denkweise die falschen Weichen stellt und nur auf Therapie (die nicht funktionieren kann) statt auf individuelle und letztendlich gesellschaftsverändernde Prävention (die funktionieren könnte) setzt. So verstreicht wertvolle Zeit, während schon jetzt die Beweislage auf eine sofortige Umverteilung der Gelder in Richtung Aufklärung und Prävention drängt. Dabei ist eine auf Zeit spielende Vogel-Strauß-Politik zugunsten industrieller Interessen leider nur allzu gängig. Man denke bloß an die Klimaveränderung ( CO2 -Emissionen) und den Lungenkrebs (Rauchen).

Als junger Medizinstudent sah ich im Deutschen Krebsfor schungszentrum, dass man täglich Tausende von Ratten mit Tabakqualm »räucherte«, um herauszufinden, welche Gene durch welche toxischen Bestandteile des Zigarettenrauchs sich bei den Tieren chemisch verändern und zu Krebsgenen würden. Ich fragte mich damals, weshalb Raucher nicht einfach mit dem Zigarettenrauchen aufhören – die Gefahr war doch schon hundertfach belegt? Rauchen verursacht Krebs und verkürzt das Leben, wie schon ein Bericht Ende der 70er-Jahre zusammenfasste: »Zigarettenrauch ist der bedeutendste bekannte Faktor, der Lungenkrebs verursacht. Die Beweise, die diese Behauptung stützen, sind gewaltig und unwiderlegbar. Maßnahmen, die das Zigarettenrauchen reduzieren und letztendlich eliminieren, sollten von allen Nationen in die Wege geleitet werden.«26 Und wem das nicht genügte, der konnte sich damals wie heute von seinem morgendlichen Raucherhusten wecken lassen.

Weshalb also weiterhin die Tiere quälen? Die ganz einfache Antwort: Lobbyismus. Nur so ist zu erklären, dass laut Weltgesund heitsorganisation drei Jahrzehnte später weltweit immer noch über 94 Prozent der Menschheit nicht durch Gesetze vor Tabakrauch geschützt werden. So sterben jährlich auch immer noch über 600 000 Menschen allein durch das Passivrauchen.27 Übrigens erkranken Raucher um mehrere Jahre früher an Alzheimer als Nichtraucher. Ihr Risiko ist über das Dreifache erhöht.28 Da derzeit (Frühjahr 2014) immer noch etwa ein Drittel aller erwachsenen Deutschen raucht, erhöht sich durch ihr individuelles Risiko rein rechnerisch auch das generelle Alzheimer-Risiko für die gesamte Gesellschaft. Etwa 110 000 Deutsche sterben jährlich an den Folgen des Rauchens, Alzheimer nicht eingerechnet, denn daran ist offiziell schließlich immer noch das Alter schuld, weshalb wir uns über die wahren Alzheimer verursachenden Verhaltensweisen viel zu wenig Gedanken machen.

Je mehr Angst durch die Alzheimer-Lüge verbreitet wird, umso größer ist der Geldfluss an diejenigen, die vor der drohenden Apokalypse warnen und ihre Forschung finanziert sehen möchten. Angst ist eben ein guter Motivator, aber ein schlechter Ratgeber! Und deshalb ist niemand gegen Fehlurteile gefeit. Auch die Politik denkt leider – aufgrund massiver Lobbyarbeit und recht kurzer Legislaturperioden im Vergleich zu den langfristigen Chancen gesundheitspolitischer Prävention – anstatt an den Brandschutz nur an das effekthaschende Brandlöschen. So werden in den USA etwa 95 Prozent der Billion Dollar jährlicher Gesundheitsausgaben in die Therapie, aber nur fünf Prozent in die Prävention gesteckt. Das Verhältnis müsste genau umgekehrt sein. So sieht es auch die Robert Wood Johnson Foundation, die größte philanthropische Stiftung der USA , und fasst den einseitigen Lobbyismus so zusam men: »Es ist ein ärgerliches Beispiel von Doppelmoral, dass öffent liche Ausgaben zur Gesundheitsförderung in Form von Investitionen in die Prävention den Beweis erbringen müssen, dass sie durch zukünftige Ersparnisse an therapeutischen und sozialen Kosten gerechtfertigt sind. Dagegen müssen Therapiemaßnahmen dies nicht tun. Sie müssen nur sicher und effektiv sein. Die Kosten-Nutzen-Vorgabe wird dadurch noch erschwert, dass der finanzielle Nutzen (der Prävention) für den Geldgeber direkt und kurzfristig erfolgen muss.«29 Dies ist bei präventiven Maßnahmen meist nicht möglich, weil die gesundheitlichen Erfolge nur durch eine langfristige Veränderung erzielt werden können; aussagekräftige Studien bräuchten Jahrzehnte. Aufgrund dieser Vorgaben werden kaum Gelder für wirksame Aufklärung und Prävention bereitgestellt.

KAPITEL 2

Das Selbst, vererbt und kultiviert

»UNVERZEIHLICHE FEHLER […] ZEICHNEN SICH NICHT DURCH UNACHTSAMKEIT, IRRTUM ODER DAS FEHLEN BESSEREN WISSENS AUS. IHRE BESONDERHEIT BESTEHT DARIN, AUCH BEI KENNTNIS ALLER UMSTÄNDE KEINE ALTERNATIVE ZUZULASSEN.«

JULI ZEH (*1974)

Das beschriebene Blatt

Ende des 17. Jahrhunderts beschrieb der englische Philosoph John Locke seine Vorstellung vom Zusammenhang zwischen Identität und Erinnerung. Er ging davon aus, dass wir das Licht der Welt als unbeschriebenes Blatt erblicken. Nach seiner These wird es erst im Laufe des eigenen Lebens mit Inhalten gefüllt. Nur persönliche Erfahrungen beeinflussen nach Locke unsere Identität, unseren Charakter, unser Selbst.

Nach heutigem Stand der Wissenschaft lag er mit dieser Auffassung völlig daneben, denn schon bei der Befruchtung, wenn Ei und Samenzelle fusionieren, wird das neue Leben mit seinem ersten Erinnerungsspeicher ausgestattet. Die befruchtete Eizelle und danach auch jede Zelle unseres Körpers enthält das Gedächtnis unseres Erbguts, das unser Denken und Handeln beeinflusst. In diesem ererbten Gedächtnis steckt die Erinnerung an alle genetischen Anpassungen, durch die unsere jeweiligen Vorfahren – seit dem ersten Einzeller vor etwa vier Milliarden Jahren – erfolgreich ihr Überleben sicherten. Somit ist dieser Erinnerungsspeicher so alt wie das Leben selbst, und er formt mit seinen Instruktionen einen beträchtlichen Teil unserer Identität. Unser Erbgut bestimmt das grundsätzliche Design unseres Gehirns (wir werden mit einem funktionierenden »Betriebssystem« geboren) und nimmt dadurch einen entscheidenden Einfluss auf unsere Gefühle und unsere Emotionen. Mittlerweile lehrt uns die Evolutionspsychologie – ebenfalls im krassen Gegensatz zu John Lockes These vom unbeschriebenen Blatt –, dass wir in der Art und Weise, wie wir die Umwelt wahrnehmen, und somit auch, wie wir Erinnerungen im Laufe unseres Lebens sammeln, weit mehr vom erfolgreichen Erbgut unserer Urahnen gelenkt werden, als wir uns eingestehen wollen.1

In unserem Erbgut treten ständig genetische Veränderungen auf, die wir an unsere Nachkommen weitergeben. Aber für die weitere Evolution der Menschheit sind nur solche Mutationen von Bedeutung, die ihren zufälligen Trägern einen Selektionsvorteil gegenüber allen anderen Menschen verschaffen, die ein unverändertes Erbgut weitergeben. Beispielsweise geht die Fähigkeit, Milchzucker auch im Erwachsenenalter verdauen zu können, auf die eine oder andere zufällige Mutation zurück, die im frühen Europa und Nahen Osten relevant wurde, als durch die Zucht von Wiederkäuern die effizienteste Nutzung ihrer Milch einen Wettbewerbsvorteil im Kampf ums Überleben darstellten. Im Fernen Osten hingegen waren andere Energiequellen von Bedeutung, sodass die Laktose-Toleranz (wie man diese Mutation bezeichnet) sich dort nicht durchsetzten konnte, obwohl sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls häufig auftritt. (Bei den vielen Milliarden Menschen ist dies zu erwarten.)

Auch die genetisch bedingte Höhenanpassung einiger Tibeter hat global betrachtet keine Bedeutung, weil nur ein Bruchteil der Menschheit in sauerstoffarmen Regionen lebt. Trotzdem werden Beispiele wie diese immer wieder gerne angeführt, um scheinbar zu beweisen, dass sich das menschliche Erbgut immer noch ständig anpasst und wir deshalb nur darauf warten müssen, bis die modernen Kulturkrankheiten durch wohlwollende Mutationen wie von selbst »geheilt« werden. Wer dies behauptet, hat jedoch die Evolutionstheorie nicht verstanden, denn der anpassende Mechanismus beruht zwingend auf Selektion, der in unserer Kultur nicht mehr stattfindet.

Durch die Möglichkeit, mittlerweile das gesamte Genom (Erbgut) vieler Menschen jeweils komplett analysieren zu können, konnte gezeigt werden, dass sich das menschliche Erbgut schon seit mindestens 50 000 Jahren kaum noch verändert hat.2 Der Grund für die Stagnation: Es gibt keinen »natürlichen« Selektionsdruck mehr, die menschliche Kultur dominiert praktisch jegliche Anpassung an den ständigen Wandel der Umwelt, wobei die Kultur selbst zum maßgeblichen Treiber der Veränderung unseres Lebensraums geworden ist.3