Die Behandlung Schwerbehinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche - Kathrin Loewe - E-Book

Die Behandlung Schwerbehinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche E-Book

Kathrin Loewe

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Beschreibung

Das SGB IX gilt als Arbeitsschutzrecht grundsätzlich für alle Arbeitsverhältnisse, die dem deutschen Recht unterworfen sind. Allerdings ist auch im Arbeitsrecht zu berücksichtigen, dass den Kirchen in Art. 137 Abs. 3 WRV i.V.m. Art. 140 GG das verfassungsrechtliche Selbstbestimmungsrecht garantiert wird und kirchliche Arbeitgeber deshalb möglicherweise an bestimmte Regelungen des Arbeitsrechts nicht gebunden sind. Die Arbeit untersucht in diesem Kontext, inwieweit der staatliche Gesetzgeber durch das SGB IX als Arbeitsschutzrecht den Kirchen mitbestimmungsrechtliche Vorgaben machen kann bzw. inwieweit die Kirchen solche mitbestimmungsrechtlichen Regelungen selbst getroffen haben. Hierzu wird zunächst das Verhältnis des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zum öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzrecht grundsätzlich und anschließend zum SGB IX im Besonderen analysiert. Im zweiten Teil der Arbeit wird auf die Behandlung Schwerbehinderter im kirchlichen Arbeitsrecht eingegangen und auf die Frage der konkreten Anwendbarkeit mitbestimmungsrechtlicher Regelungen des SGB IX im kirchlichen Bereich. Wesentliche Beteiligungsrechte der kollektiven Interessenvertretungen im SGB IX werden abschließend einzeln untersucht.

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Kathrin Loewe

Die Behandlung Schwerbehinderter imkirchlichen Arbeitsrecht derkatholischen Kirche

Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht

Herausgegeben von

Prof. Dr. Jacob Joussen und

Prof. Dr. Gregor Thüsing

Band 3

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Zugl.: Dissertation, Ruhr-Universität Bochum, 2013

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Lambertus-Verlag, Freiburg im Breisgau

www.lambertus.de

Umschlaggestaltung: Nathalie Kupfermann, Bollschweil

ISBN 978-3-7841-2491-9

ebook ISBN 978-3-7841-3451-2

Meinen Eltern

Vorwort

Die Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur sind bis März 2013 berücksichtigt. Die mündliche Prüfung fand am 26. September 2013 statt.

Bedanken möchte ich mich vor allem bei Herrn Prof. Dr. Jacob Joussen für die Betreuung dieser Arbeit und seine umfassende Unterstützung sowie die Aufnahme in seine Schriftenreihe. Darüber hinaus gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Stefan Huster für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens.

Zu Dank verpflichtet bin ich auch dem Erzbischöflichen Ordinariat München, vor allem dem Ordinariatsrat Martin Floß, Frau Sonja Büttner und Frau Carola Bielmeier, die mich alle drei mit Gesprächen und der Bereitstellung von Unterlagen tatkräftig bei der Erstellung der Arbeit unterstützt haben. Bedanken möchte ich mich zudem bei Herrn Dr. Martin Fuhrmann, Leiter der Geschäftsstelle des Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs, der mir ebenfalls die Einsichtnahme in diverse Unterlagen ermöglicht hat.

Meiner Freundin Dr. Gesche Goldhammer danke ich für ihren juristischen Beistand in zahlreichen Telefonaten. Von Herzen möchte ich besonders meinem Mann, Patrick Loewe, danken, der mir immer zur Seite steht und mir bei allem so geduldig geholfen hat.

Mein ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern, Christine und Jürgen Müller, denen ich die Arbeit widme. Sie haben mich bei all meinen Vorhaben, insbesondere während meines gesamten Studiums und der Promotionszeit, stets uneingeschränkt und aufopferungsvoll unterstützt und mit vielen persönlichen Gesprächen und Ratschlägen in meinem Tun bestärkt. Ohne sie wäre die Arbeit nicht möglich gewesen. Euer Rückhalt ist für mich immer von ganz besonderer Bedeutung.

München, im Dezember 2013

Kathrin Loewe

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

Teil IVerhältnis des kirchlichen Arbeitsrechts zum staatlichen Schwerbehindertenarbeitsrecht

KAPITEL IVERHÄLTNIS DES KIRCHLICHEN SELBST-BESTIMMUNGSRECHTS ZUM ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN ARBEITSSCHUTZRECHT

A.Kirchliches Selbstbestimmungsrecht

I.Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel

II.Inhalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

1.„Ordnen und Verwalten“

2.„Eigene Angelegenheiten“

a.Allgemeines

b.Kirchliches Dienst- und Arbeitsrecht als „eigene Angelegenheit“

III.Schranken des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

1.Ansatz von Johannes Heckel

2.Bereichslehre und „Jedermann-Formel“

3.Wechselwirkungs- und Abwägungslehre

B.Staatliches Arbeitsschutzrecht

I.Arbeitsschutzrecht

1.Geschichtliche Entwicklung und Gegenstand des Arbeitsschutzrechts

2.Rechtliche Gliederung des Arbeitsschutzrechts

a.Verfassungsrechtliche Grundlagen

b.Dualer Aufbau

c.Ergänzende betriebliche Ebene

II.SGB IX als Arbeitsschutzrecht

1.Entstehung des SGB IX

2.Verfassungsrechtliche Verankerung

a.Sozialstaatsgebot nach Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG

b.Benachteiligungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG

C.Öffentlich-rechtliches Arbeitsschutzrecht als Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

I.Geltung des staatlichen Arbeitsrechts im kirchlichen Bereich

1.Entwicklung in Literatur und Rechtsprechung

2.Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 04.06.1985

3.Kirchliche Dienstgemeinschaft und Offenhalten eines eigenen Weges

II.Kein Verfassungsrang des Arbeitsschutzrechts

III.Bindung an öffentlich-rechtliche Arbeitsschutz-Vorschriften

1.Staatliche Regelungen als Grenzen der Privatautonomie

2.Bindung im kirchlichen Bereich

IV.Beteiligungsrechte der Interessenvertretungen im Rahmen der Durchführung von Arbeitsschutz-Vorschriften

1.Staatliche Mitbestimmungsregelungen im Allgemeinen

a.Diskrepanz der Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber

b.Staatliche Regelung der betrieblichen Mitbestimmung aufgrund staatlicher Wertentscheidung

2.Mitbestimmungsrechtliche Regelungen in staatlichen Arbeitsschutz-Vorschriften

3.Veranschaulichung des Verhältnisses mitbestimmungsrechtlicher staatlicher Regelungen zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht anhand des BetrVG

a.Geschichtliche Entwicklung

b.Freistellung der Religionsgemeinschaften von der Anwendbarkeit des BetrVG nach § 118 Abs. 2 BetrVG

c.Gerechtfertigte Ungleichbehandlung im kirchlichen Bereich

d.Eigenständige Regelung der Kirche

e.Fazit

V.Fazit

KAPITEL II VERHÄLTNIS DES KIRCHLICHEN SELBSTBESTIMMUNGSRECHTS ZUM SGB IX

A.Geltung des SGB IX im kirchlichen Bereich

B.Anwendbarkeit mitbestimmungsrechtlicher Regelungen des SGB IX im kirchlichen Bereich

I.Eigenständiges kirchliches Mitbestimmungsrecht

1.Frühere Ansicht: Kirchliches Mitbestimmungsrecht aufgrund vom Staat verliehener Autonomie

2.Kirchliches Mitbestimmungsrecht beruht auf Selbstbestimmungsrecht

II.Freistellung von der Anwendbarkeit der mitbestimmungsrechtlichen SGB IX-Vorschriften

1.Keine abschließende Aufzählung in § 93 SGB IX

2.Beruhen auf dem Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 WRV i.V.m. Art. 140 GG

3.Urteil des Arbeitsgerichts München vom 07.07.2009

4.Berücksichtigung des § 1 Abs. 4 ArbSchG

a.Keine direkte funktionale Vergleichbarkeit der Regelungen

b.Kein rechtswidriger Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht durch § 1 Abs. 4 ArbSchG

c.Regelung des staatlichen Gesetzgebers aufgrund Gemeinschaftsrecht

d.Fazit

5.Fazit

III.Reichweite der Freistellung von der Anwendbarkeit des BetrVG

1.Parallele zur Freistellungsvorschrift des § 118 Abs. 2 BetrVG

2.Problem bei fehlenden Regelungen in der Rahmen-MAVO

a.Vollständige Freistellung

b.Partielle Freistellung

3.Anwendbarkeit der Vorschriften zur Schwerbehindertenvertretung im SGB IX

4.Fazit

IV.Fazit

Teil IIDie Behandlung Schwer-behinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche

KAPITEL IARBEITGEBERPFLICHTEN NACH DEM SGB IX IM KIRCHLICHEN BEREICH

A.Pflichten der Arbeitgeber nach dem SGB IX im Zusammenhang mit der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen

I.Rechtliche Ausgangslage für die Kirche

II.Pflichten nach §§ 80 und 81 Abs. 1 SGB IX

1.Verzeichnis- und Prüfpflicht des Arbeitgebers nach dem SGB IX

2.Anwendbarkeit im kirchlichen Bereich

III.Benachteiligungsverbot bei der Einstellung nach § 81 Abs. 2 SGB IX

1.Regelungen im SGB IX und AGG

2.Anwendbarkeit im kirchlichen Bereich

IV.Beschäftigungspflicht nach § 71 ff. SGB IX

1.Regelung des SGB IX

2.Anwendbarkeit im kirchlichen Bereich

V.Fazit

B.Besonderer Kündigungsschutz nach dem SGB IX

I.Allgemeiner Kündigungsschutz im kirchlichen Bereich

1.Kirchlicher Maßstab für die Beurteilung eines Kündigungsgrundes

a.BVerfG vom 04.06.1985

b.Katholische Grundordnung

2.Rechtsprechung des EGMR

3.Auswirkungen auf das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland

4.Neuere staatliche Rechtsprechung

II.Besonderer Kündigungsschutz des §§ 85ff. SGB IX im kirchlichen Bereich

1.Verfahren im staatlichen Recht

a.Ordentliche Kündigung

b.Außerordentliche Kündigung

c.Ausnahmen vom besonderen Kündigungsschutz nach § 90 SGB IX

2.Anwendbarkeit im kirchlichen Bereich

a.Zustimmungsvorbehalt des Integrationsamts

b.Stellungnahme der Interessenvertretungen

KAPITEL II KOLLEKTIVE INTERESSENVERTRETUNGEN IM ZUSAMMENHANG MIT DER BEHANDLUNG VON SCHWERBEHINDERTEN MITARBEITERN

A.Mitarbeitervertretung

I.Aufgaben

1.Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit

2.Grundsätze für die Behandlung der Mitarbeiter

3.Allgemeine Aufgaben und Aufgaben im Zusammenhang mit der Behandlung schwerbehinderter Menschen

a.§ 26 Abs. 3 Nr. 3 Rahmen-MAVO

b.§ 26 Abs. 3 Nr. 5 Rahmen-MAVO

c.§ 28a Abs. 1 Rahmen-MAVO

II.Rechte gegenüber dem Dienstgeber

1.Informationsrechte der Mitarbeitervertretung

2.Beteiligungsrechte der Mitarbeitervertretung

a.Mitwirkungsrechte

b.Mitbestimmungsrechte

III.Dienstvereinbarungen

B.Schwerbehindertenvertretung

I.Anwendbarkeit der SGB IX-Vorschriften zur Schwerbehindertenvertretung

1.Entwicklungen der Rechtsprechung

2.Rahmen-MAVO Novellierung vom 22.11.2010

3.Fazit

II.Bildung der Schwerbehindertenvertretung

1.Schwerbehindertenvertretung als Betriebsverfassungsorgan

2.Pflicht zur Bildung

3.Wahl der Schwerbehindertenvertretung

4.Örtliche Zusammenfassung gem. § 94 Abs. 1 S. 4 SGB IX

5.Gemeinsame Schwerbehindertenvertretung

III.Persönliche Rechtsstellung der Schwerbehindertenvertretung

1.Ehrenamt

2.Verbot der Behinderung, Begünstigung oder Benachteiligung

a.Behinderungsverbot

b.Benachteiligungsverbot

c.Begünstigungsverbot

3.Kündigungsschutz

4.Versetzungsschutz

5.Freistellung und Befreiung

a.Freistellung wegen Amtsaufgaben

b.Freistellung wegen Schulungsveranstaltungen

6.Geheimhaltungspflicht

7.Fazit

IV.Aufgaben und Rechte der Schwerbehindertenvertretung

1.Aufgaben und Rechte gegenüber der Mitarbeitervertretung nach § 52 Rahmen-MAVO

a.Teilnahme- und Stimmrecht

b.Aussetzungsrecht

2.Aufgaben und Rechte gegenüber dem Dienstgeber

a.Unterrichtungspflicht des Dienstgebers und Aussetzungsrecht

b.Informationspflicht des Dienstgebers

c.Beteiligungsrechte nach § 28a Rahmen-MAVO

3.Sonstige Rechte gem. § 52 Abs. 3 und 4 Rahmen-MAVO

4.Fazit

KAPITEL III BETEILIGUNGSRECHTE DER KOLLEKTIVEN INTERESSENVERTRETUNGEN

A.Untersuchungsansatz

B.Beteiligung bei Einstellung und Versetzung

I.Unterrichtungsansprüche der Interessenvertretungen entsprechend § 80 Abs. 2 SGB IX

1.§ 27 Abs. 2, 6. Spiegelstrich Rahmen-MAVO

2.§ 34 Abs. 3 S. 2 Rahmen-MAVO

3.§ 52 Abs. 2 S. 1 Rahmen-MAVO

II.Beteiligungsanspruch entsprechend § 81 Abs. 1 SGB IX und § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX

1.Schwerbehindertenvertretung

2.Mitarbeitervertretung

a.Unterrichtungsanspruch entsprechend § 81 Abs. 1 S. 4 SGB IX

b.Erörterungsanspruch entsprechend § 81 Abs. 1 S. 7 SGB IX

c.Anhörungsanspruch entsprechend § 81 Abs. 1 S. 6 SGB IX

III.Zustimmungsverweigerungsrecht der Mitarbeitervertretung bei Einstellung

1.Allgemeines zur Regelung in der Rahmen-MAVO

2.§ 34 Abs. 2 Nr. 1 Rahmen-MAVO

IV.Zustimmungsverweigerungsrecht der Mitarbeitervertretung bei Versetzung

1.Rechtsansicht des Hessischen Landesarbeitsgerichts

2.Beschluss des BAG vom 17.06.2008

V.Fazit

C.Beteiligung bei Kündigung

I.Beteiligung der Interessenvertretungen bei Kündigungen

1.Beteiligung der Mitarbeitervertretung

2.Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung

II.Fazit

D.Beteiligung bei Integrationsvereinbarungen

I.Allgemeines zu Integrationsvereinbarungen nach dem SGB IX

1.Wesensmerkmale und Rechtsnatur

2.Abschlusszwang des Arbeitgebers

3.Regelungsinhalte

II.Integrationsvereinbarungen nach § 28a Abs. 2 Rahmen-MAVO

1.Eigenständige kirchliche Regelung

2.Voraussetzungen nach § 28a Abs. 2 Rahmen-MAVO

3.Vergleichbarkeit des § 28a Abs. 2 Rahmen-MAVO mit der staatlichen Regelung

4.Beispiele für Integrationsvereinbarungen in der Praxis

III.Fazit

E.Beteiligung bei der Prävention entsprechend § 84 Abs. 1 SGB IX

I.Allgemeines zur Prävention gem. § 84 Abs. 1 SGB IX

1.Ziel der Vorschrift

2.Auslöser des Verfahrens

3.Einleitung des Verfahrens

4.Beteiligung der Interessenvertretungen

5.Rechtsfolge bei Unterlassung

II.Prävention gem. § 28a Abs. 3 Rahmen-MAVO

1.Eigenständige kirchliche Regelung

2.Voraussetzungen nach § 28a Abs. 3 Rahmen-MAVO

3.Beispiel einer Dienstvereinbarung

III.Fazit

F.Beteiligung beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement

I.Allgemeines zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX

1.Entstehungsgeschichte nach staatlichem Recht

2.Wesensmerkmale und Rechtsfragen

a.Zielsetzung und Anforderungen

b.Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich

c.Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers

d.Beteiligung der Interessenvertretungen

e.Rechtsfolgen bei unzureichendem oder fehlendem Betrieblichem Eingliederungsmanagement

II.Betriebliches Eingliederungsmanagement in der Rahmen-MAVO

1.Keine dem § 84 Abs. 2 SGB IX entsprechende Regelung

2.Anwendbarkeit auf Betriebe ohne bestehende Interessenvertretung bzw. ohne nach § 93 SGB IX bestehende Interessenvertretungen

3.Beteiligung der Interessenvertretungen nach allgemeineren Rahmen-MAVO-Vorschriften

a.§ 28a Abs. 3 und ggf. § 26 Abs. 3a Rahmen-MAVO

b.Beteiligung der Mitarbeitervertretung nach § 26 Abs. 3 Nr. 3 und 7 Rahmen-MAVO

c.Beteiligung über Mitbestimmungsrecht entsprechend § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG

d.Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gem. § 52 SGB IX

e.Fazit

f.Andere Ansicht: Von Rahmen-MAVO nicht umfasst

III.Beispiel zur Umsetzung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements im kirchlichen Bereich

IV.Fazit

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Anhang:Dienstvereinbarung zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) im Zuständigkeitsbereich der Mitarbeitervertretung Erzbischöfliches Ordinariat München

Abkürzungsverzeichnis

Abs.

Absatz/ Absätze

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung durch den Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007

AGG

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

AiB

Arbeitsrecht im Betrieb

Alt.

Alternative

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

AP

Arbeitsrechtliche Praxis

ArbG

Arbeitsgericht

ArbRB

Arbeitsrechtsberater

ArbSchG

Arbeitsschutzgesetz

ArbSchR

Arbeitsschutzrecht

Art.

Artikel

AuR

Arbeit und Recht

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAG-MAV

Bundesarbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen

BayPVG

Bayerisches Personalvertretungsgesetz

BB

Betriebsberater

BEEG

Bundeselterngeld und Elternzeitgesetz

BEM-Team

Betriebliches Eingliederungsmanagement-Team

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BGB1.

Bundesgesetzblatt

BIH

Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen

BIStSozArbR

Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht

BPersVG

Bundespersonalvertretungsgesetz

BT-Drs.

Drucksachen des Deutschen Bundestages

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

bzw.

beziehungsweise

d.h.

das heißt

DB

Der Betrieb

DrittelbG

Drittelbeteiligungsgesetz

DVB1.

Deutsches Verwaltungsblatt

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EKD

Evangelische Kirche in Deutschland

EMRK

Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EUV

Vertrag über die Europäische Union in der Fassung durch den Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007

ff.

folgende

FS

Festschrift

GG

Grundgesetz

gem.

gemäß

ggf.

gegebenenfalls

GrO

Grundordnung

Hdb

Handbuch

HdBStKr

Handbuch des Staatskirchenrechts

ICF

Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit

ICIDH

Internationale Klassifikation der Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen

i.S.v.

im Sinne von

i.V.m.

in Verbindung mit

JuS

Juristische Schulung

KAGH

Kirchlicher Arbeitsgerichtshof

KAGO

Kirchliche Arbeitsgerichtsordnung

KSchG

Kündigungsschutzgesetz

KuR

Kirche und Recht

LAG

Landesarbeitsgericht

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

MitbestG

Mitbestimmungsgesetz

MuSchG

Mutterschutzgesetz

MVG.EKD

Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland

mwN.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

NZS

Neue Zeitschrift für Sozialrecht

Nr.

Nummer(n)

PersVG

Personalvertretungsgesetz

PWK

Kommission für Personalwesen

Rahmen-MAVO

Rahmenordnung für die Mitarbeitervertretungsordnung der katholischen Kirche

RdA

Recht der Arbeit

Rn.

Randnummer(n)

SchwbG

Schwerbehindertengesetz

SGB

Sozialgesetzbuch

sog.

sogenannt(e)

SprAuG

Sprecherausschußgesetz

VDD

Verband der Diözesen Deutschlands

vgl.

vergleiche

VG

Verwaltungsgericht

VGH

Verwaltungsgerichtshof

WRV

Weimarer Reichsverfassung

ZESAR

Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht

ZevKR

Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht

ZfA

Zeitschrift für Arbeitsrecht

ZMV

Zeitschrift für die Praxis der Mitarbeitervertretung in den Einrichtungen der katholischen und evangelischen Kirche

ZSR

Zeitschrift für Sozialreform

ZTR

Zeitschrift für Tarifrecht

EINLEITUNG

Am 31.12.2009 lebten in Deutschland insgesamt 7,1 Millionen schwerbehinderte Menschen.1 Als grundrechtlich garantierter Sozialstaat strebt Deutschland in seinem Handeln stets soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit an, um die Teilnahme aller an den gesellschaftlichen Entwicklungen zu gewährleisten. Schon aus dieser Staatszielbestimmung sowie aus dem in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verankerten Benachteiligungsverbot behinderter Menschen ergibt sich für den Staat die Aufgabe, die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe Schwerbehinderter am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Schwerbehinderte Menschen unterliegen deshalb vor allem im Arbeitsleben, einem sehr wichtigen Baustein unseres gesellschaftlichen Lebens, einem speziellen Schutz. Dieser Schutz ist im 9. Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) verankert und ist Teil des sozialen Arbeitsschutzrechts. Darin sind beispielsweise spezielle Pflichten für die Arbeitgeber festgelegt, wie etwa die angemessene Beschäftigung und Förderung von schwerbehinderten Arbeitnehmern zur optimalen Weiterentwicklung ihrer Kenntnisse, gem.§ 81 Abs. 4 S.1 Nr. 1 SGB IX.2 Auch eine eigene Interessenvertretung, die Schwerbehindertenvertretung sowie verschiedene kollektive Mechanismen, die die innerbetriebliche Mitbestimmung betreffen, sind vorgesehen. Insgesamt haben schwerbehinderte Menschen somit in arbeitsrechtlicher Hinsicht eine gewisse „Sonderrolle“ inne.

Einer der größten Arbeitgeber Deutschlands ist die verfasste Kirche und ihre Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie. Bereits 2005 wurde die Zahl der in der Kirche und ihren Einrichtungen Beschäftigten auf insgesamt 1,83 Millionen geschätzt – Tendenz steigend.3 Aufgrund ihres verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts spielt auch die Kirche selbst in rechtlicher Hinsicht eine gewisse „Sonderrolle“.4 Dieses Recht findet seine Grundlage in Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), der durch Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporiert ist und dadurch bis heute seine Gültigkeit behalten hat.

Danach kann die Kirche ihre „eigenen Angelegenheiten“ selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes regeln. Sie hat deshalb auch das Recht, eigene Regelungen in Bezug auf das Arbeitsrecht zu setzen.5 Man spricht dabei auch von einer arbeitsrechtlichen Regelungs-autonomie.6 Anhand dieser Besonderheiten wird die religiöse Intention der Kirche im Sinne ihres Selbstverständnisses sichergestellt.7

Im kollektivarbeitsrechtlichen Bereich hat die Kirche auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV großteils eigene Regelungen geschaffen, wie etwa im Rahmen der innerbetrieblichen Mitbestimmung die Rahmen-MAVO. Das staatliche Betriebsverfassungsgesetz ist nach § 118 Abs. 2 BetrVG auf Religions-gemeinschaften nicht anwendbar.8 Hat sich die Kirche auf individualrechtlicher Ebene bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses der Privatautonomie bedient, so gelten auch für sie die Bestimmungen des weltlichen Arbeitsrechts. Allerdings sind diese für die Kirche im Lichte des Selbstbestimmungsrechts auszulegen. Den Kirchen ist also im Bereich des Arbeitsrechts ein eigener Weg zur Gestaltung des kirchlichen Dienstes und seiner arbeitsrechtlichen Ordnung in der von ihrem Selbstverständnis gebotenen Form offenzuhalten.9 Sie sind dabei aber an die Schranken des für alle geltenden Gesetzes i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV gebunden, die sich in den Grundprinzipien der Rechtsordnung, dem Willkürverbot, den guten Sitten, dem „ordre public“ sowie eben den Arbeitsschutzgesetzen konkretisieren.10

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie in der Kirche, als bedeutendem Arbeitgeber in Deutschland der Schutz und die gleichberechtigte Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben gewährleistet werden. Welche Regelungen sind anwendbar, vor allem im kollektivarbeitsrechtlichen Bereich, wenn beide rechtlichen „Sonderrollen“ in der Arbeitswelt aufeinander treffen, also schwerbehinderte Menschen als Arbeitnehmer und die Kirche als Arbeitgeber? Kann es sein, dass hier eine Geltung des SGB IX als öffentlich-rechtliches Arbeitsschutzrecht in allen Bereichen des kirchlichen Arbeitsrechts – auch im kollektivarbeitsrechtlichen Bereich – erfolgen muss und aus Sicht der jeweiligen Interessenvertretungen sogar vorteilhaft wäre? Oder kann die Kirche hier eigene Regelungen setzen? Sind entsprechende kirchliche Bestimmungen – vor allem im kollektivrechtlichen Bereich – auch ausreichend vorhanden oder überwiegen diese die staatlichen Regelungen gar in ihrer Reichweite? Es gilt also in dieser Arbeit zu klären, ob das SGB IX als staatliches Arbeitsschutzrecht auch im kirchlichen Bereich umfassend Anwendung findet und somit insgesamt ein für alle geltendes Gesetz im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV ist, oder ob die Kirche von der Anwendbarkeit insbesondere hinsichtlich kollektivrechtlicher Regelungen freigestellt ist bzw. inwieweit das SGB IX Auswirkungen auf den kirchlichen Bereich hat. Im Zuge dessen ist darzulegen, ob der kirchliche Gesetzgeber eigene kollektivrechtliche Regelungen in Bezug auf die Behandlung Schwerbehinderter geschaffen hat und wenn ja, wie diese ausgestaltet sind und inwiefern sie dieselben Tatbestände wie staatliche Regelungen abdecken. Gegebenenfalls können an manchen Stellen Rechtslücken im kirchlichen Bereich festgestellt und infolgedessen Anregungen für weitere Regelungen gegeben werden.

Die Arbeit gliedert sich insgesamt in zwei Teile:

In Teil I wird das Verhältnis des kirchlichen Arbeitsrechts zum staatlichen Schwerbehindertenarbeitsrecht als Teil des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes beleuchtet. Dazu wird zuerst die Geltung des öffentlichrechtlichen Arbeitsschutzrechts im kirchlichen Bereich und die Freistellung der Kirche von der Anwendbarkeit des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) mit seinen mitbestimmungs-rechtlichen Regelungen analysiert. Anschließend wird die Anwendbarkeit des SGB IX als Teil des sozialen Arbeitsschutzrechts im kirchlichen Bereich untersucht. Insbesondere wird geprüft, ob die mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften des SGB IX im kirchlichen Bereich grundsätzlich Anwendung finden oder ob auch in Bezug auf diese Regelungen eine Freistellung anzunehmen ist - entsprechend der Freistellung im BetrVG.

In Teil II der Arbeit wird dann die konkrete Behandlung schwerbehinderter Menschen im kirchlichen Bereich dargestellt. Zunächst werden individualarbeitsrechtliche Vorschriften des SGB IX und ihre Besonderheiten im kirchlichen Bereich herausgestellt. Anschließend wird geprüft, welche kollektivrechtlichen Institutionen und Mechanismen in der Kirche auf Grundlage welcher Vorschriften vorgesehen sind und inwieweit die Rechtslage insgesamt derjenigen im staatlichen Bereich entspricht bzw. inwieweit eine Freistellung von der Anwendbarkeit bestimmter SGB IX-Vorschriften anzunehmen ist. Dazu werden die einzelnen Beteiligungsrechte der Interessenvertretungen im Hinblick auf die Behandlung Schwerbehinderter analysiert und damit ihre Umsetzung und Reichweite im kirchlichen Bereich veranschaulicht. Gegebenenfalls bestehende Rechtslücken im Vergleich zum staatlichen Recht werden identifiziert und es gilt, den Umgang mit solchen, möglicherweise bestehenden Lücken zu klären. Es ist ferner zu überlegen, ob und inwieweit Anregungen gegeben werden können, welche Regelungen im kirchlichen Bereich eingefügt werden sollten.

Insgesamt beschränkt sich die Arbeit auf die Erörterung der Thematik für die katholische Kirche.

1Vgl. Statistik des Statistischen Bundesamts im Statistischen Jahrbuch 2011, S. 235.

2Besgen, Schwerbehindertenrecht, Rn. 52.

3Frerk; Publik Sonderausgabe Arbeitsplatz Kirche, abgerufen unter http://gesundheitsoziales.bawue.verdi.de/tarifinfos/kirchen/data/2005-12_Sonderausg_publik.pdf, vom 16.12.2005, am 20.7.2009.

4Richardi: Arbeitsrecht in der Kirche, § 1 Rn. 16.

5BVerfG, NJW 1976, 2123.

6a. A. Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 172: dieser lehnt eine arbeitsrechtliche Regelungsautonomie der Kirche von Grund auf ab. Seiner Ansicht nach haben Religionsgemeinschaften keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf die Überlassung staatlichen Arbeitsrechts zur eigenen Regelung, sondern sie können Arbeitsrecht nur setzen, wenn ihnen der staatliche Gesetzgeber das aus eigenem Ermessen zur Regelung überlassen hat.

7Fischermeier, Festschrift für Richardi zum 70. Geburtstag, S. 877, 878.

8Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 27.

9Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 44.

10v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 182.

TEIL IVERHÄLTNIS DES KIRCHLICHEN ARBEITSRECHTS ZUM STAATLICHEN SCHWERBEHINDERTENARBEITSRECHT

In diesem ersten Teil der Arbeit gilt es, das Verhältnis des kirchlichen Arbeitsrechts der katholischen Kirche zum staatlichen Schwerbehindertenarbeitsrecht des SGB IX und somit das Zusammentreffen beider „Sonderrollen“ im deutschen Recht zu untersuchen. Es ist also zu klären, ob die Normen des SGB IX insgesamt im kirchlichen Bereich grundsätzlich Anwendung finden oder ob hier kirchliche Besonderheiten zu beachten sind, die zu Abweichungen zum staatlichen Recht führen. Dazu wird zunächst in Kapitel I das Verhältnis des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zum öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz im Allgemeinen betrachtet und insbesondere das Verhältnis des kirchlichen Selbstverständnisses zum BetrVG mit seinen mitbestimmungsrechtlichen Regelungen veranschaulicht und geprüft. Denn auch das SGB IX ist Teil des sozialen Arbeitsschutzrechts und beinhaltet mitbestimmungsrechtliche Normen, die die Interessenvertretungen eines Betriebes in die Durchführung der Schutznormen mit einbeziehen. Welche Besonderheiten bei der Anwendbarkeit der SGB IX-Regelungen im kirchlichen Bereich bestehen – insbesondere bei mitbestimmungsrechtlichen Regelungen – bzw. ob und warum der Kirche in diesem Bereich eigene Wege offenzuhalten sind, gilt es deshalb im Anschluss in Kapitel II zu klären. Dazu können aus der in Kapitel I enthaltenen Veranschaulichung des Verhältnisses mitbestimmungs-rechtlicher Regelungen des BetrVG zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Rückschlüsse auf die Anwendung mitbestimmungsrechtlicher SGB IX-Regelungen im kirchlichen Bereich gezogen werden.

Kapitel IVERHÄLTNIS DES KIRCHLICHEN SELBSTBESTIMMUNGSRECHTS ZUM ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN ARBEITSSCHUTZRECHT

Wenn die Kirchen als Arbeitgeber auftreten, müssen sie sich grundsätzlich auch an die Vorschriften des staatlichen Arbeitsrechts halten, solange sie sich bei der Begründung des jeweiligen Dienstverhältnisses der staatlichen Privatautonomie bedienen.11 Wie es zu dieser allgemeinen Geltung des staatlichen Arbeitsrechts kommt, bzw. ob und warum unter diesen Grundsatz auch die Vorschriften des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes fallen und diese somit auch im kirchlichen Bereich Anwendung finden, ist in diesem Kapitel zu klären. Dazu werden zunächst der historische Ursprung sowie die Grundlagen und Schranken des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften in Gliederungspunkt A dargestellt. Danach gilt es, die Entstehung und verfassungsrechtlichen Grundlagen des staatlichen Arbeitsschutzrechts im Allgemeinen sowie des SGB IX als Teil des sozialen Arbeitsschutzrechts vorzustellen. Unter Gliederungspunkt C wird dann das Verhältnis beider vorangestellten Bereiche zueinander untersucht, also des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzrechts zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht. Dabei wird ein besonderer Fokus auf mitbestimmungsrechtliche, staatliche Regelungen und ihre Anwendbarkeit im kirchlichen Bereich gelegt, was anhand der Anwendbarkeit des BetrVG ausführlich behandelt wird.

A.Kirchliches Selbstbestimmungsrecht

Der Staat hat sein Verhältnis zu den Kirchen durch die Rezeption der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung in Art. 140 GG bestimmt.12 Als Selbstbestimmungsrecht wird danach das Recht der Religionsgesellschaften bezeichnet, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten gem. Art. 137 Abs. 3 WRV. Träger dieses Selbstbestimmungsrechts sind alle Religionsgesellschaften ohne Rücksicht darauf, ob sie die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts genießen, privatrechtliche Vereine sind oder der Rechtsfähigkeit überhaupt entbehren.13 In der in Art. 137 Abs. 3 WRV verankerten Gewährleistung des Staates, die Kirche dürfe ihre eigenen Angelegenheiten selbständig regeln, steckt im Kern die Zusage des staatlichen Gesetzgebers, dass er die Regelungszuständigkeit der Gesetzgeber der Religionsgemeinschaften für diese Bereiche anerkennt. Diese Anerkennung der Eigenständigkeit bedeutet im Umkehrschluss die Einsicht, dass der staatliche Gesetzgeber selbst in diesem Zusammenhang auf die Regelung weltlicher Bereiche beschränkt ist.14 Religionsgemeinschaften sind deshalb Institutionen, die vom Staat unabhängig sind und „ihre Gewalt nicht von ihm herleiten“.15

Bezieht sich die Kirche in ihrer Eigenschaft als Religionsgemeinschaft auf Art. 137 Abs. 3 WRV, so unterfallen auch ihre rechtlich selbständigen Untergliederungen dem Selbstbestimmungsrecht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst es insgesamt „alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform, […] wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen.“16 Somit sind vom Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts der evangelischen und katholischen Kirchen auch die Diakonie und die Caritas umfasst.

Im Folgenden soll die historische Entwicklung des heutigen, verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht der Kirchen veranschaulicht werden und auf seine Inhalte und Schranken eingegangen werden.

I.Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel

Wichtige Grundlage des heutigen Staatskirchenrechts ist die Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel in das Grundgesetz. Diese hatten zu Zeiten der Weimarer Reichsverfassung zu einer entscheidenden Wendung im Staat-Kirche-Verhältnis geführt.

Obwohl der Trennungsgedanke zwischen dem „Geistlichen“ und dem „Weltlichen“ schon immer zum Kernbestand christlichen Gedankenguts gehörte und das Christentum in Deutschland seit etwa der Spätantike dominierte17, herrschte in Deutschland jahrhundertelang eine enge Verbindung von Staat und Kirche. Die Existenz des Kirchenstaates und des Verwobenseins der Kirche in das politische Ordnungs- und Herrschaftssystem des Staates, wie zu Zeiten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, blieb in mal mehr und mal weniger ausgeprägter Form weitgehend erhalten.18 Erst im 19. Jahrhundert begann ein Prozess der zunehmenden Lockerung dieses Verhältnisses - „trotz mancher heftiger Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche nicht in der Tendenz feindschaftlicher Trennung, sondern wechselseitiger Zugewandtheit und Kooperation“.19 Eine in der Paulskirchenverfassung von 1849 in § 147 verankerte Kirchenautonomie, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten, legte den Grundstein für das heute gültige staatskirchenrechtliche System, wurde aber zu damaliger Zeit nicht in Kraft gesetzt.20 Nach Ende des Kulturkampfes fand zumindest die Garantie der Gleichberechtigung der Konfessionen in der Bismarckschen Reichsverfassung von 1871 ihren Niederschlag. Mit dem Untergang der Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg wurden grundsätzliche Neuerungen geschaffen. Die Weimarer Verfassung von 1919 verankerte in Art. 136, 137, 138, 139 und 141 WRV die auch noch heute Geltung findenden Kirchenartikel und gab der Kirche damit vor allem Freiheit der Bewegung und des Wirkens. Smend beschreibt die Ordnung zwischen Staat und Kirche in der Weimarer Verfassung als eine Ordnung „der inneren Fremdheit, der Berührung nur noch an der beiderseitigen Peripherie, ohne Beteiligung des Wesenskerns des einen oder des anderen Partners“.21 Allerdings wird das durch die Weimarer Verfassung geschaffene Kirchensystem auch als hinkendes Trennungssystem bezeichnet22, weil es zwar einerseits die Trennung von Staat und Kirche und die Autonomie zur eigenen Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes festsetzt, andererseits den Kirchen aber weiterhin den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gibt. Daran wird letztlich erkennbar, dass die entsprechenden Artikel der Weimarer Verfassung schon damals das Ergebnis eines Kompromisses der Regierungskoaltion waren.23

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die genannten Kirchenartikel dann durch Art. 140 GG in das neue Grundgesetz vom 23.05.194924 inkorporiert. Durch die Inkorporation in Art. 140 GG sind die Weimarer Kirchenartikel Bestandteil des Grundgesetzes geworden und bilden mit ihm ein organisches Ganzes.25 Auch wenn sich die kirchenpolitischen Verhältnisse in der Nachkriegszeit grundlegend von den Verhältnissen zu Zeiten der Weimarer Nationalversammlung unterschieden, besann man sich auf die in der Weimarer Verfassung grundsätzlich bewährten Regelungen zurück – dies war teilweise wiederum einem Kompromiss der Abgeordneten geschuldet.26 In der Zeit nach 1945 konzentriert sich die Kirche verstärkt auf ihre Eigenständigkeit. Zugleich beschränkt sich der Staat auf die Ordnung des "Weltlichen“ und entlässt damit die Kirchen prinzipiell aus seiner Aufsicht und erkennt die besondere Bedeutung der Kirchen für das Leben in Staat und Gesellschaft an. Das Verhältnis von Kirche und Staat soll nun als Partnerschaft charakterisiert werden.27

II.Inhalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

Das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen erstreckt sich gem. Art. 137 Abs. 3 WRV auf das selbständige „Ordnen“ und „Verwalten“ der „eigenen Angelegenheiten“.

1.„Ordnen und Verwalten“

Mit der Gewährleistung einer selbständigen Ordnung ist dem Staat die Einflussnahme auf die kirchliche Rechtsetzung versagt und das Inkrafttreten kirchlicher Bestimmungen ist von keiner staatlichen Genehmigung abhängig, sofern durch sie lediglich eigene Angelegenheiten der Religionsgesellschaft geregelt werden sollen.28

Dieses Recht zur selbständigen Verwaltung ist weit auszulegen und umfasst die freie Betätigung der Organe der Religionsgemeinschaften zur Verwirklichung der jeweiligen Aufgaben einschließlich des Verfahrensrechts und der Berechtigung zur eigenen Rechtsprechung. Mit einbezogen ist dabei insbesondere auch die freie Ämterbesetzung, die in Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV explizit erwähnt wird.29

2.„Eigene Angelegenheiten“

a.Allgemeines

Der unbestimmte Rechtsbegriff der „eigenen Angelegenheiten“ in Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV war lange Zeit umstritten.

Zu Zeiten der Weimarer Republik wurde die Ansicht vertreten, dass der Staat durch die Reichsverfassung selbst normiere, was eigene Angelegenheiten der Kirche seien bzw. die staatlichen Gerichte durch Auslegung der Reichsverfassung eine verbindliche Feststellung treffen könnten. Allerdings widerspricht diese Ansicht der in Art. 137 WRV garantierten Eigenständigkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften und ist deshalb abzulehnen. Die Neutralität des Staates gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften wäre durch eine solche staatliche Normierung gerade nicht mehr gegeben, so dass das Grundgesetz in sich widersprüchlich ausgelegt würde.30

Nach anderer Lehrmeinung, der auch die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefolgt ist31, wurde vertreten, dass die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts gerade nicht durch die Verfassung selbst normiert, sondern vorausgesetzt und in diesem vorausgesetzten Umfang gewährleistet werde. Eine Abgrenzung müsse nach objektiven Gesichtspunkten erfolgen. Als „eigene Angelegenheiten“ seien deshalb solche Angelegenheiten zu qualifizieren, die materiell, der Natur der Sache oder der Zweckbestimmung nach „eigene“ sind.32 Auch diese Auslegung des Begriffs der „eigenen Angelegenheiten“ erschien jedoch sehr weit gesteckt und bedurfte der weiteren Konkretisierung, nämlich wie die Natur der Sache oder Zweckbestimmung festzulegen sei.

Mittlerweile vertritt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass maßgebend für die Qualifizierung einer Angelegenheit als „eigene“ im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV Auftrag und Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften sind.33 Es obliegt also den Religionsgemeinschaften darzulegen, dass eine Angelegenheit durch den kirchlichen Auftrag umschrieben ist und auf der Grundlage des kirchlichen Selbstverständnisses rechtlich gestaltet werden sollte. Die Angelegenheiten müssen einen Bezug zum Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG aufweisen, da nur solche Angelegenheiten als eigene verstanden werden können, die in Verbindung zum religiösen Bekenntnis stehen und dazu dienen, die religiöse Überzeugung zu äußern. Grundsätzlich dulden staatliche Instanzen keinen Staat im Staate, denn in allen Bereichen der Gesellschaft gilt primär die staatliche Ordnung. Nur wenn Angelegenheiten betroffen sind, die als nichtstaatliche, religiöse Angelegenheiten zu qualifizieren sind und also ein Bezug zum Schutzbereich des Art. 4 GG gegeben ist, ist die Zuordnung zu den Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften auch plausibel.34 Nur durch diesen, den kirchlichen Auftrag betonenden Ansatz wird die in Art. 4 und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV konstituierte religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates gewahrt.35 Insgesamt werden daher als eigene Angelegenheiten Lehre und Kultus, Kirchenverfassung und Organisation, Ausbildung der Geistlichen, Rechte und Pflichten der Mitglieder, Kirchenmitgliedschaft, Vermögensverwaltung, und karitative Tätigkeit verstanden.36

b.Kirchliches Dienst- und Arbeitsrecht als „eigene Angelegenheit“

Das kirchliche Dienst- und Arbeitsverhältnis gehört ebenfalls zu den eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften, denn theologische Grundlage des kirchlichen Dienstes ist der Sendungsauftrag der Kirche. Es ist kirchliche Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass zwischen kirchlicher Ordnung und dem Tun der kirchlich Bediensteten kein Zwiespalt besteht. Die Ausgestaltung der Dienst- und Arbeitsverhältnisse in einer Form, in der sie mit dem kirchlichen Auftrag und den kirchlichen Besonderheiten in Einklang stehen, weist einen Bezug zum Schutzbereich des Art. 4 GG auf und ist eine eigene Angelegenheit der Kirche i.S.v. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV.37 Die Kirchen können gem. Art. 137 Abs. 3 WRV ihr Ämterwesen eigenständig regeln und zudem aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts, der in Absatz 5 des Artikels geregelt ist, Dienstverhältnisse öffentlichrechtlich begründen.38 Allerdings steht es ihnen auch frei, sich der jedermann offenstehenden Privatautonomie zu bedienen, um Dienstverhältnisse einzugehen und zu regeln.39

III.Schranken des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

Das allgemeine Selbstbestimmungsrecht wird jedoch nicht schrankenlos gewährt, sondern unterliegt, neben den allgemeinen Schranken40, den Schranken des „für alle geltenden Gesetzes“, Art. 137 Abs. 3 WRV. Zu Zeiten der Frankfurter Reichsverfassung von 1849, an die Art. 137 Abs. 3 WRV letztlich angelehnt ist41, hat sich der Staat von jeglichem Eingriff in die gesellschaftliche Ordnung enthalten. Dagegen hat sich diese gesamtpolitische Haltung schon zu Zeiten der Weimarer Republik stark gewandelt und der Gesetzgeber war zur Gestaltung der Gesellschaft und ihrer Funktionsbereiche nach der Reichsverfassung legitimiert – insbesondere im Bereich der Arbeitsverfassung nach Art. 157 bis 165 WRV.42 Der Schrankenvorbehalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrecht in Form des „für alle geltendes Gesetzes“ bedarf schon deshalb einer genauen Auslegung, um eine übermäßige staatliche Einmischung abwenden zu können. In welchem Umfang die Religionsgemeinschaften bei der Ordnung und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten frei sind, hängt deshalb in großem Maße von der in der Vergangenheit viel diskutierten Definition dieser Schranken ab. Jenseits ihrer eigenen Angelegenheiten sind Religionsgemeinschaften aber dem Staat und dem staatlichen Recht genauso verpflichtet wie weltliche Organisationen.43 Die Schrankenklausel wirkt damit als Kollisionsregel: Sie beschreibt zum einen die Grenze der Regelungszuständigkeit der Religionsgemeinschaften und beschränkt zum anderen die Zuständigkeit des Staates, da nur solche Normen für die Religionsgemeinschaften bindend sein können, die für alle geltendes Gesetz sind.44

1.Ansatz von Johannes Heckel

Jahrelang hat die Rechtsprechung in der Bundesrepublik45 die Formel von Johannes Heckel angewendet, nach der ein „für alle geltendes Gesetz“ wie folgt interpretiert wurde: „Ein Gesetz, das trotz grundsätzlicher Bejahung der kirchlichen Autonomie vom Standpunkt der Gesamtnation als politische Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliches Gesetz ist, aber auch nur ein solches Gesetz.“46 Diese Heckel’sche Formel begegnete allerdings vielen Einwänden und es wurde vorgebracht, dass sie das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht zu sichern vermöge.47 Unter anderem wurde kritisiert, dass sie zu wenig präzise sei und damit praktisch kaum handhabbar. Außerdem sei die Grenzziehung in einer rational kaum nachvollziehbaren, freien Abwägung erfolgt und nicht in einem rechtlich und rational argumentierenden Prozess, um die praktische Konkordanz zwischen rivalisierenden Rechtsgütern herzustellen.48 Zudem ergibt sich aus dem Grundrecht der Glaubensfreiheit nach Art. 4 GG, dass der Staat nicht nur die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften akzeptiert, sondern auch ihr bekenntnismäßiges Verständnis respektiert. Der Schrankenvorbehalt gibt dem Staat auch nicht im Rahmen von Gesetzen, die die Sozialordnung festlegen, das Recht für die Religionsgemeinschaften zu entscheiden, wie sie ihren Auftrag zu erfüllen hat.49

2.Bereichslehre und „Jedermann-Formel“

Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb einen eigenen Weg zur Begriffsbestimmung der Schrankenklausel eingeschlagen. Danach dürfen die Kirchen innerhalb ihres Selbstbestimmungsbereichs nicht an das „für alle geltende Gesetz“ i.S.v. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV gebunden sein, denn dadurch würde die verfassungsrechtlich garantierte Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der kirchlichen Gewalt geschmälert werden.50 Der Bereich der rein innerkirchlichen Angelegenheit, das „forum internum“, ist daher dem staatlichen Eingriff vollständig entzogen, im Gegensatz zu Sachverhalten, die unmittelbaren Bezug zur weltlichen Rechtsordnung haben (Bereichslehre).51

Dieser Lehre ist entgegenzuhalten, dass zwischen Sachverhalten der innerkirchlichen Bereiche und solchen, die Bezug zur weltlichen Rechtsordnung haben, nicht immer scharf abgegrenzt werden kann. Schließlich können auch eigene Angelegenheiten der Kirche in den weltlichen Rechtskreis hineinwirken. Somit handelt es sich letztendlich wiederum um eine Abwägungsentscheidung. Im Grunde kommt es deshalb maßgeblich darauf an, wer diese Grenzziehung treffen darf.52

Die Bereichslehre wurde darum durch verschiedene Theorien in der Rechtsprechung modifiziert und weiterentwickelt. In der Entscheidung vom 21.09.197653 hat das Bundesverfassungsgericht seine Ansicht weiter verdeutlicht und klargestellt, dass eine Materie auch dann eine „innere kirchliche Angelegenheit“ bleibe, wenn sie mittelbare Rechtswirkungen in den staatlichen Zuständigkeitsbereich hat. In diesem Bereich kommt nur solchen Bestimmungen der Status eines „für alle geltenden Gesetzes“ zu, die für die Kirchen und Religionsgemeinschaften dieselbe Bedeutung wie für jeden anderen haben. Denn „trifft das Gesetz die Kirche nicht wie den Jedermann, sondern in ihrer Besonderheit als Kirche härter, ihr Selbstverständnis, insbesondere ihren geistig religiösen Auftrag beschränkend, also anders als den normalen Adressaten, dann bildet es insoweit keine Schranke“.54 Jedes Gesetz, das sich zwar nicht speziell gegen die Kirche wendet, sie aber härter trifft als andere, ist somit nach der so genannten „Jedermann-Formel“ nicht als „ein für alle geltendes Gesetz“ i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV anzusehen. Die „Jedermann-Formel“ soll damit die Schaffung von einschränkendem Sonderrecht verhindern, das sich gegen Kirchen und Religionsgemeinschaften richtet.55 Positiv formuliert können staatliche Gesetze also nur dann die religionsgemeinschaftliche Selbstbestimmung beschränken, wenn sie für das Gemeinwesen bedeutsame Rechtsgüter beschützen. Ein für alle geltendes Gesetz im Sinne der Vorschrift ist danach ein Gesetz nur dann, wenn es „zwingenden Erfordernissen des friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirche in einem religiös und weltanschaulich neutralen politischen Gemeinwesen entspricht.“56

3.Wechselwirkungs- und Abwägungslehre

Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zieht einen differenzierteren Verhältnismäßigkeitsmaßstab heran, ohne dabei jedoch von den früheren Ansätzen ausdrücklich abzurücken.57 In der grundlegenden Entscheidung vom 25.03.198058 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass insgesamt der Wechselwirkung zwischen dem selbständigen Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen und dem staatlichen Schutz anderer Rechnung getragen werden soll. Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleistet demnach „in Rücksicht auf das zwingende Erfordernis friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirchen sowohl das selbständige Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen als auch den staatlichen Schutz anderer für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter“.59 Danach soll jedes Gesetz, das dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Schranken zieht, selbst auf eine solche Schranke treffen, nämlich die materielle Wertentscheidung der Verfassung, die über einen für die Staatsgewalt unantastbaren Bereich hinaus die besondere Eigenständigkeit der Kirche gegenüber dem Staat anerkennt.60 Die das kirchliche Selbstbestimmungsrecht begrenzende Schranke ist deshalb im Wege der Güterabwägung zu ermitteln, damit die Wechselwirkung von Verfassungsgarantie und einschränkendem Gesetz gebührende Berücksichtigung findet.61 Abzuwägen ist dabei das kirchliche Selbstbestimmungsrecht mit damit kollidierenden Rechten Dritter oder sonstigen Verfassungsgütern. Zwar stellt das Selbstbestimmungsrecht des Art. 137 Abs. 3 WRV kein Grundrecht im eigentlichen Sinn dar, aber es besteht eine enge Verbindung zur Religionsfreiheit des Art. 4 GG.62 Die Wechselwirkungslehre kann somit zur Anwendung kommen und im Fall einer erforderlichen Abwägung ist das Verhältnis von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck zu bestimmen.63 Die völlige Vernachlässigung des einen oder anderen Verfassungswerts muss vermieden werden.64

Zu beachten bleibt allerdings, dass bei jeder Entscheidungsfindung die Kirchenfreiheit vor dem Hintergrund des staatskirchenrechtlichen Gesamtsystems des Grundgesetzes berücksichtigt werden muss. Offen bleibt also durch die reine Abwägungstheorie, welches Gewicht bei der Abwägung im Einzelfall dem Recht der Religionsgesellschaften auf Selbstbestimmung einzuräumen ist.65 Weder eine automatische Privilegierung der Religionsgesellschaften, noch eine Abwägung gleichberechtigter Positionen und Rechtsgüter nach Maßgabe der zu Art. 5 Abs. 2 GG entwickelten Kriterien entspräche einer vom Bundesverfassungsgericht gewollten Abwägung unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen. Letzterem, also einer Grundrechtsabwägung gleichberechtigter Positionen, erteilt das Bundesverfassungsgericht eine Absage. Bereits in seiner Entscheidung vom 21.9.197666 stellt es klar, dass bei einer Abwägung im Rahmen von Art. 137 Abs. 3 WRV dem geistig-religiösen Auftrag der Kirchen Rechnung getragen werden müsse und deshalb die Schrankenformel gerade nicht mit dem „allgemeinen Gesetz“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG gleichgesetzt werden könne. Weitere Entscheidungen heben ebenfalls die Bedeutung des kirchlichen Selbstverständnisses im Rahmen der Abwägung explizit hervor.67 Danach müsse bei der Begrenzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts durch ein für alle geltendes Gesetz, dem Selbstverständnis der Kirchen ein besonderes Gewicht beizumessen sein.68 Eine besondere Rolle spielt dabei die Nähe des berührten Gebiets zum zentralen kirchlichen Auftrag. Je ausgeprägter der fragliche Sachverhalt das religiöse Zeugnis zum Ausdruck bringt, desto stärker muss der beschränkende Gesetzgeber auf das Selbstverständnis Rücksicht nehmen.69 Umgekehrt vermag das kirchliche Selbstverständnis auch in Bezug auf innere Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften einer Güterabwägung unterworfen werden, wenn eine Kollision mit staatlichen Schutzrechten vorliegt, allerdings ist dem kirchlichen Selbstverständnis im Rahmen der Abwägung hohes Gewicht beizumessen.70 Die Abwägung muss grundsätzlich auf eine Weise erfolgen, „die es gestattet, auf beiden Seiten davon auszugehen, dass staatliche Gesetze nicht den Kirchen und Religionsgemeinschaften wesentlichen eigenen Ordnungen beeinträchtigen und dass kirchliche und religionsgemeinschaftliche Gesetze nicht die für den Staat unabdingbare Ordnung kränken werden.“71 Nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz sind kollidierende Rechtsgüter also schonend auszugleichen.

Die dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Schranken ziehenden Gesetze müssen damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten und keines der beteiligten Grundrechte darf zu Lasten des anderen einseitig berücksichtigt werden.72 Insgesamt sichert die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts die Freiheit der Religionsgemeinschaften innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung.73

B.Staatliches Arbeitsschutzrecht

Der Bereich des Arbeitslebens wird für alle Arbeitnehmer vom staatlichen Gesetzgeber einem besonderen Schutz unterstellt: dem Arbeitsrecht. Dieses dient primär dem Schutz der abhängig Beschäftigten.74 In einem Arbeitsverhältnis wird der Arbeitnehmer vor Benachteiligungen, gesundheitlichen Gefährdungen sowie Arbeitsplatzverlust durch das Arbeitsrecht geschützt.75 Für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis gibt der staatliche Gesetzgeber ebenfalls Ziele und Maßnahmen vor. Diese bilden insgesamt das Arbeitsschutzrecht.

I.Arbeitsschutzrecht

Vor Gefahren am Arbeitsplatz stellt der Staat mit dem sogenannten Arbeitsschutzrecht einen speziellen gesetzlichen Schutz sicher und überlässt insofern die Geltendmachung von Rechten nicht allein dem abhängig Beschäftigten oder seiner Interessenvertretung. Zu diesem Arbeitsschutz im engeren Sinne gehören beispielsweise das Mutterschutzgesetz (MuSchG) und auch das SGB IX, das den Kreis der schwerbehinderten Menschen besonders schützt.76

1.Geschichtliche Entwicklung und Gegenstand des Arbeitsschutzrechts

Die Geschichte des Arbeitsschutzrechts steht in unmittelbaren Zusammenhang mit der Ende des 18. Jahrhunderts aufkommenden Industrialisierung in Deutschland. Durch sie stieg die Quote der Kinderarbeit rapide, was zu einer Gesundheitsgefährdung der Kinder und letztlich zum Anstieg der Untauglichkeitsquote von jungen Männern beim Militär führte. Es wurde daraufhin vom preußischen Staatsministerium am 09.03.1839 das „Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken“ geschaffen, das als erste Vorschrift des Arbeitsschutzrechts angesehen wird.77 Mit dem „Gesetz, betreffend Abänderung der Gewerbeordnung“78 von 1891 wurden in der Gewerbeordnung, die erstmals 1869 in Kraft gesetzt worden war, die Voraussetzungen für eine schnellere Weiterentwicklung des Arbeitsschutzrechts erschaffen. Es enthielt Ermächtigungsnormen zum Erlass von Rechtsverordnungen neu bzw. verändert.79 Diese wurden in den Jahren 1893 bis 1914 auch intensiv genutzt und insgesamt 34 Arbeitsschutzvorschriften als Reichsrecht erlassen. Am 06.07.1884 trat zudem das Unfallversicherungsgesetz zur Absicherung der Geschädigten vor finanzieller Not in Kraft.80 Zur Zeit der Weimarer Republik wurde im Jahr 1928 ein umfassendes Arbeitsschutzgesetz entworfen, das allerdings aus politischen Gründen nicht verabschiedet werden konnte.81 Es blieb vorerst bei den zahlreichen Einzelvorschriften. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden bestehende Arbeitsschutzvorschriften ergänzt und abgeändert, aber auch zu einem großen Teil außer Kraft gesetzt. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden diese Einschränkungen aber wieder aufgehoben und Regelungen im Bereich des sozialen Arbeitsschutzes neu gefasst, wie etwa das Mutterschutzgesetz und das Schwerbeschädigtengesetz.82 Erst ab 1968 kam es dann zu einer flächendeckenden Arbeitsschutzrechtsreform, bei der alle bestehenden Arbeitsschutzvorschriften außer Kraft gesetzt und in flächendeckende, neue Rechtsvorschriften übernommen wurden, wie etwa die Arbeitsstättenverordnung.83

Wie schon an der geschichtlichen Entwicklung erkennbar, ist das Arbeitsschutzrecht ein ungeordnetes „Konglomerat buntscheckiger Normen“84. Der staatliche Gesetzgeber hat in ihnen dem Arbeitgeber Pflichten gegenüber der Staatsgewalt auferlegt und damit im Interesse der Allgemeinheit gehandelt. Zum Arbeitsschutzrecht gehören demgemäß all diejenigen Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmerschaft, deren Einhaltung behördlich überwacht wird oder die straf- bzw. ordnungsrechtlichen Sanktionen unterliegen.85 Grundsätzlich ist das Arbeitsschutzrecht im engeren Sinn dem öffentlichen Recht zuzuordnen und umfasst Regelungen mit dem Ziel, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten, unabhängig davon, ob der betroffene Arbeitnehmer sein Recht aktiv verfolgt.86 Die Vorschriften sind zum Teil abwehrender Natur gegen mögliche Gefahren, Belastungen und Nachteile, und zum Teil soll durch sie gestaltend in die bestehende Arbeitsplatzsituation eingegriffen werden, um beispielsweise einen Arbeitsplatz oder Arbeitsabläufe möglichst menschengerecht zu machen.87 Ein entscheidender Ansatz des Arbeitsschutzes ist es, zur optimalen Zielerreichung präventionsorientiert zu handeln, um einen möglichen Schaden von vornherein zu vermeiden. Dabei gilt es nicht nur, spontane Verletzungen und plötzliche Erkrankungen zu verhüten, sondern vor allem auch Gesundheitsbeeinträchtigungen, die durch lang anhaltende Überbeanspruchung oder durch ständiges Einwirken von Arbeitsstoffen nach und nach eintreten, wie etwa Berufskrankheiten.88

2.Rechtliche Gliederung des Arbeitsschutzrechts

a.Verfassungsrechtliche Grundlagen

Die verfassungsrechtliche Grundlage des Arbeitsschutzrechts ist an Art. 1 Abs. 1 (Schutz der Menschenwürde), Art. 2 Abs. 2 (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) und Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) festzumachen89, da das Grundgesetz abgesehen von Art. 74 Nr. 12 GG, der die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes vorschreibt, keine Bestimmungen enthält, die sich speziell auf den Arbeitsschutz beziehen. Diese Grundrechte sind nicht nur subjektive Abwehrrechte jedes Einzelnen gegenüber dem Staat, sondern nach der Rechtsprechung des BVerfG folgt aus diesen Grundrechtsbestimmungen auch eine Verpflichtung des Gesetzgebers, Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer zu erlassen.90 Denn bei einer ungleichen Kräfteverteilung wie zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen staatliche Regelungen auch im Bereich des Vertragsrechts ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern.91 Dies kann in Form öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Pflichten erfolgen. Staatliche Regelungen sind auch für die Privatautonomie unerlässlich, um dem sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewicht entgegenzuwirken und damit die Voraussetzungen für eine rechtsgeschäftliche Ordnung zu schaffen.92 Allerdings muss dieser Schutz nicht so weit gehen, dass die Arbeitswelt als risikofreie Zone gebildet werden müsste, denn so würde möglicherweise auch die gewissenhafte Nutzung der fortschrittlichen Technik schon von vornherein ausgeschlossen.93

b.Dualer Aufbau

Das öffentlich-rechtliche Arbeitsschutzrecht in Deutschland ist von seinem dualen Aufbau geprägt. Es entfällt in folgende zwei Gruppen: das staatliche Arbeitsschutzrecht und das öffentlich-rechtliche, autonome oder auch unfallversicherungsrechtliches Arbeitsschutzrecht genannt.94 Letzteres ist durch das Siebte Sozialgesetzbuch (SGB VII) geregelt und wird durch die Unfallversicherungsträger wahrgenommen. Diese sind in erster Linie Berufsgenossenschaften sowie Gemeinde- und Eigenunfallversicherungsträger.95 Aufgabe der Unfallversicherung ist es, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu vermeiden bzw. nach Eintritt eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit, die Gesundheit des Betroffenen wiederherzustellen § 1 SGB VII. Der Arbeitsschutz wird hier durch mittelbare Staatstätigkeit wahrgenommen, indem der Staat die Regelungskompetenzen der Unfallversicherungsträger in diesem Bereich durch das SGB VII festgelegt hat.

Im Bereich des staatlichen Arbeitsschutzrechts schafft der Staat Gesetze und sichert ihre Einhaltung durch staatliche Ämter für Arbeitsschutz bzw. Gewerbeaufsichtsämter.96 Man unterscheidet zwischen dem technischen und dem sozialen Arbeitsschutz. Ersterer lässt sich systematisch wiederum in Vorschriften den betrieblichen Arbeitsschutz betreffend und in Regelungen einteilen, die den produktbezogenen Gefahrenschutz angehen. Wichtige Gesetze sind dabei das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG), das SGB VII und das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (PSG). Der soziale Arbeitsschutz umfasst neben dem Arbeitszeitschutz nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) auch den Schutz bestimmter Personengruppen im Arbeitsleben, wie beispielsweise werdende Mütter im Mutterschutzgesetz (MuSchG), Jugendliche im Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) oder eben den Schutz schwerbehinderter Menschen nach dem SGB IX.9798

c.Ergänzende betriebliche Ebene

Das duale Arbeitsschutzsystem wird durch eine weitere Ebene, die betriebliche Ebene, ergänzt, die bei der Durchführung und Ausfüllung der Regelungen des Arbeitsschutzes eine erhebliche Rolle spielt. Sie bezieht folgende betriebliche Akteure in die Durchführung des Arbeitsschutzrechts mit ein: der jeweilige Betriebsrat bzw. Personalrat, einzelne Beschäftigte sowie die vom Arbeitgeber aufgrund öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen bestellte Personen, wie etwa Sicherheitsbeauftragte nach dem SGB VII oder Betriebsärzte nach dem ASiG.99 Letztlich führt diese Einbeziehung in die Durchführung des Arbeitsschutzrechts zu einer Dreigleisigkeit des Arbeitsschutzsystems.100 Dem Betriebsrat kommt vor allem im betrieblichen Arbeitsschutz eine zentrale Rolle zu, da ihm bei ausfüllungsbedürftigen Rahmenregelungen häufig ein Beteiligungs- oder Mitbestimmungsrecht zusteht wie etwa nach § 87 Abs. 1 BetrVG bzw. bei Vorschriften ohne arbeitgeberseitigen Gestaltungsspielraum ein Überwachungsrecht zukommt.101 Zudem ist er verpflichtet, den Arbeitsschutz im Betrieb zu fördern, § 80 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG. Das BetrVG selbst ist somit ebenfalls Arbeitsschutzrecht102 und ist zugleich zum Bereich des kollektiven Arbeitsrechts zu zählen. Es sind außerdem in weiteren Arbeitsschutzgesetzen, außerhalb des BetrVGs, Beteiligungsrechte des Betriebsrats verankert103, wie etwa in § 10 Abs. 2 ArbSchG oder in § 84 Abs. 2 SGB IX. Auch diese Rechte dienen letztlich dazu, die Umsetzung der jeweiligen Arbeitsschutz-vorschrift individuell für den Betrieb im Interesse der Arbeitnehmer zu regeln.

II.SGB IX als Arbeitsschutzrecht

Das Neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellt insgesamt eine Verknüpfung arbeits- und sozialrechtlicher Regelungen dar.104 Erstere sind hauptsächlich in den Paragraphen 68ff. SGB IX geregelt. Es ist Teil des staatlichen, sozialen Arbeitsschutzrechts.105 Mit Hilfe dieses Gesetzes soll den besonderen Bedürfnissen behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen Rechnung getragen werden, indem ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefördert wird. Gleichzeitig soll Benachteiligungen entgegengewirkt werden.106 Im Folgenden wird auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes eingegangen sowie auf seine verfassungsrechtliche Verankerung.

1.Entstehung des SGB IX

Erst am 01.07.2001 ist das neunte Buch des Sozialgesetzbuches mit dem Titel „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“ in Kraft getreten. Es kann aufgrund der langen Entstehungsgeschichte des Schwerbehindertenrechts insgesamt als das Ergebnis einer fast drei Jahrzehnte währenden Diskussion über das „Ob“ und „Wie“ eines einheitlichen Rehabilitationsrechts für behinderte Menschen angesehen werden.107

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde mehr und mehr die Idee eines Staates geboren, der die Widersprüche zwischen formaler Gleichheit und tatsächlicher Unterlegenheit – sei es aufgrund körperlicher Benachteiligungen oder aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeit108 – versucht auszugleichen und so die Gesellschaft in ihrem Wirtschaftsleben nicht komplett sich selbst überlässt. Es wurde also die Idee eines Sozialstaates geboren, der zum Schutz Einzelner in die Gesellschaft ordnend eingreift.109 Kriegsgeschädigte, deren Anzahl mit dem technischen Fortschritt der Waffen immer mehr stieg, erlitten meist ein ähnliches Schicksal wie Personen, die Opfer von Betriebsunfällen geworden waren: Der Geschädigte erhielt zwar Schadensersatz im Rahmen des geltenden Haftpflichtrechts, letztlich konnte seine Versorgung dadurch aber nicht langfristig sichergestellt werden, so dass er meist auf die Armenpflege angewiesen war.110 Oberstes Ziel im Umgang mit Kriegsgeschädigten war es also, sie schnellstmöglich wieder erwerbsfähig zu machen und in das Wirtschaftsleben zurückzuführen.111 Ebenso wie die Weimarer Kirchenartikel wurde darum auch das Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 06.04.1920 bereits zu Zeiten der Weimarer Republik erlassen. Es sah eine Pflichtquote der Beschäftigung von Schwerbeschädigten für alle Arbeitgeber vor und legte zudem einen besonderen Kündigungsschutz fest.112 Nach dem Zweiten Weltkrieg und einer daraus resultierenden hohen Anzahl Schwerbeschädigter wurde das soziale Arbeitsschutzrecht dann weiter ausgebaut. 1950 wurde das Gesetz über die Versorgung der Kriegsopfer (Bundesversorgungsgesetz) erlassen und 1953 das Gesetz zur Beschäftigung Schwerbeschädigter neu gefasst. Ein entscheidender Schritt zur Förderung der Rehabilitation wurde schließlich im Jahr 1974 getan mit dem Erlass des Schwerbehindertengesetzes und des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG). Letzteres hatte schon damals die Angleichung der medizinischen und der berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation zum Ziel, weil deren Verteilung aufgrund der komplexen Gesetzeslage und der unterschiedlichen Behandlung der behinderten Menschen in den verschiedenen Versicherungszweigen als ungerecht empfunden wurde.113 Allerdings blieb der gewünschte Effekt aus bzw. wurde nur teilweise erreicht. Wegen der Unübersichtlichkeit des gesamten Rehabilitationssystems kam es nicht zu der für einen reibungslosen Ablauf notwendigen Zusammenarbeit der einzelnen Rehabilitationsträger und das System blieb für die Betroffenen weiterhin intransparent.114

Erst 1994 konnte mit der Einführung des Benachteiligungsverbots gegenüber behinderten Menschen nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG der Grundstein für einen Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik gelegt werden, in der es fortan nicht mehr hauptsächlich um Fürsorge und lebenslange Versorgung ging, sondern deren zentrales Ziel die Gleichstellung und Selbstbestimmung behinderter Menschen war.115 1998 legten die Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen ein Eckpunktepapier vor, nach dem das Teilhaberecht als neuntes Buch in das Sozialgesetzbuch eingegliedert werden sollte. Nach eingehender sozialpolitischer Diskussion wurde schließlich am 16.01.2001 ein Referentenentwurf in den Bundestag eingebracht. Verbände und Organisationen der behinderten Menschen wurden bei der Schaffung des SGB IX bereits von Anfang an mit einbezogen und nicht erst ab Bestehen eines Gesetzesentwurfs, damit sie ihre Erfahrungen und ihr Fachwissen von Beginn an einbringen und die Regelungen maßgeblich mitgestalten konnten.116 Das heutige SGB IX haben der Bundestag letztendlich am 06.04.2001 und der Bundesrat am 11.05.2001 beschlossen. Nach Auffassung des Deutschen Bundestages sollte Mittelpunkt dieses neuen Gesetzes nicht mehr die Fürsorge und die Versorgung von behinderten Menschen sein, sondern ihre selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Beseitigung der Hindernisse, die ihrer Chancengleichheit entgegenstehen.117 Es ist somit Aufgabe des sozialen Staates, die Rahmenbedingungen für die Teilhabe behinderter Menschen als Gleichberechtigte am gesellschaftlichen Leben zu schaffen und Gefährdungen dieser Teilhabe durch Übergriffe Dritter abzuwehren.118 Auch die Erweiterung der Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung bereits zum 01.10.2000 war ein Schritt in Richtung selbstbestimmte Teilhabe der Betroffenen, da sie von der Schwerbehindertenvertretung in ihrem Interesse gegenüber dem Arbeitgeber unterstützt werden.119 Praktisches Ziel des neuen Gesetzes sollte es außerdem sein, das Rehabilitationsrecht in einem Buch des Sozialgesetzbuches zu vereinheitlichen und zusammenzufassen, um die Unübersichtlichkeit des alten Rechts zu beenden und Betroffenen damit die Verwirklichung ihrer Rechte zu erleichtern.120

2.Verfassungsrechtliche Verankerung

Das Rehabilitationsrecht insgesamt wird maßgeblich von nationalem Verfassungsrecht geprägt. Eine besondere Bedeutung nimmt hierbei das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes nach Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG ein. Die Stellung schwerbehinderter Menschen – nicht nur im Verhältnis Staat und Bürger – wird außerdem durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG geprägt.

a.Sozialstaatsgebot nach Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG

Wie bereits erwähnt ist es Aufgabe des Sozialstaates, die gleichberechtigte Teilhabe Schwerbehinderter am Leben in der Gesellschaft zu fördern und einer Benachteiligung entgegenzuwirken. Die verfassungsrechtliche Grundlage dazu liegt im Sozialstaatsgebot. Dieses Gebot ist ein Prinzip staatlicher Verantwortung für die ganze Gesellschaft im Gegensatz zu einem nur punktuell oder nicht intervenierendem Staat.121 Es gebietet dem Staat für Einzelne oder Gruppen der Gesellschaft, Vorsorge und Fürsorge zu leisten, wenn sie aufgrund persönlicher Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligung, insbesondere wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen, in ihrer Selbstbestimmung behindert sind.122 Als Mittel zu Erreichung dieser Ziele dient die Rechtsgestaltung. Durch Förderung, Lenkung und Zwang wahrt der soziale Rechtsstaat letztlich seine Verantwortung im Ganzen.123 Im Ergebnis soll im sozialen Rechtsstaat eine soziale Gerechtigkeit für alle Bürger geschaffen werden124, die es vor allem auch im Bereich des Arbeitslebens zu erreichen gilt. Gerade dort muss der soziale Rechtsstaat regulierend in die Privatrechtsgestaltung eingreifen, weil eine Integration allein mit staatlichen Einrichtungen und Mitteln des öffentlichen Rechts im Arbeitsleben nicht möglich ist.125 Bei der Erfüllung des Sozialstaatsprinzips geht es zum einen um die materielle Verteilungsgerechtigkeit, aber zum anderen auch um die Gestaltung einer Ordnung an und in der jeder teilnehmen kann.126 Zentrum ist dabei das Bestreben des Staates, allen Menschen die Möglichkeit der tatsächlichen Wahrnehmung ihrer Freiheitsgrundrechte zu ermöglichen.127 Formal stehen die Freiheitsgrundrechte zwar jedem Menschen zu, die tatsächliche Wahrnehmungsmöglichkeit kann allerdings infolge einer Behinderung stark eingeschränkt sein, wie etwa bei Art. 12 Abs. 1 GG, dem Freiheitsgrundrecht, das gewährleistet, dass jeder seinen Beruf sowie seine Ausbildungs- und Arbeitsstätte frei wählen und den gewählten Beruf ausüben kann. Ein behinderter Mensch kann beispielsweise seinen gewünschten Beruf nicht ausüben, wenn sein Arbeitsplatz nicht leidensgerecht gestaltet wird. Dieser Grundzusammenhang zwischen dem Sozialstaatsgebot und der Realisierung von Freiheitsgrundrechten ist für die Auslegung des SGB IX, das das Sozialstaatsgebot mit der Gewährung sozialer Rechte konkretisiert, von großer Bedeutung.128 Es ist also Aufgabe des sozialen Rechtsstaates, die tatsächlichen Möglichkeiten der Grundrechtswahrnehmung den formalen anzugleichen. Die arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen des SGB IX greifen zu diesem Zweck zwar in das Arbeitsverhältnis gestaltend ein, im Ergebnis müssen aber die Interessen und Freiheitsgrundrechte des Arbeitgebers genauso wie die des Arbeitnehmers möglichst weitgehend verwirklicht werden.129

b.Benachteiligungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG

Bei der möglichst weitreichenden Gewährung der Freiheitsgrundrechte hat der Gesetzgeber allerdings gleichzeitig zu beachten, dass er auch dem Gleichheitsgrundrecht verpflichtet ist und damit Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln muss. Allerdings ist für das Merkmal der Behinderung von der Verfassung nur die benachteiligende, nicht aber die bevorzugende Ungleichbehandlung ausgeschlossen, so dass eine kompensatorische Bevorzugung von behinderten Menschen grundgesetzlich unbedenklich ist.130 Ein individuelles Abwehrrecht gegen Benachteiligungen Behinderter besteht nach ganz überwiegender Auffassung in dem Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, das im Jahr 1994131 ergänzt wurde. Es veranschaulicht die staatliche Aufgabe des besonderen Schutzes von behinderten Menschen.132 Im Rahmen dieses Förderungsauftrags kann der Gesetzgeber auch Normen schaffen, die eine Gleichbehandlung behinderter Menschen im Privatrechtsverkehr verlangen, um so die Möglichkeit gleicher Chancenwahrnehmung zu gewährleisten.133 Adressat des Gleichheits-grundsatzes bleibt dabei der Staat, der ihn aber im Rahmen seiner sozialen Gestaltungsaufgabe durchsetzen kann.134 So hat das Prinzip der sozialen Gleichheit behinderter Menschen auch im Zivilrecht mittelbare Drittwirkung.135 Zwar ist das privatrechtliche Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundsätzlich von der Privatautonomie geprägt - greift der Gesetzgeber hier aber nicht korrigierend und gestaltend ein, so bleibt eine Vielzahl von Menschen vom Wirtschafts- und Arbeitsleben ausgeschlossen.136 Der Sozialstaat übernimmt diesbezüglich eine Verantwortung, damit Menschen aus gesundheitlichen Gründen gerade nicht an der Teilhabe ihrer Rechte gehindert sind.137 Da sich im Privatrechtsverkehr typischerweise zwei Grundrechtsträger gegenüberstehen, findet der Behindertenschutz in den gegenläufigen Grundrechten anderer Privatrechtssubjekte eine Schranke.138 Dabei ist es auch die Aufgabe des Gesetzgebers, möglichen Konflikten gerecht zu werden, die entstehen können, wenn die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers auf der einen Seite mit dem Beschäftigungsanspruch des behinderten Arbeitnehmers auf der anderen Seite konkurriert. Ziel muss es dabei sein, die Freiheitsrechte aller im Wege der praktischen Konkordanz möglichst weitreichend zu gewährleisten.139

Der zweite Teil des SGB IX, der vornehmlich arbeitsrechtlich geprägt ist, überführt mit den dortigen Regelungen das in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verankerte Benachteiligungsverbot in das privatrechtliche Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.140 Es ist längst unumstritten, dass sozialrechtliche Regelungen, die eine gleiche Teilhabe aller am Arbeitsleben durch öffentlich-rechtliche Maßnahmen durchsetzen wollen, mit der Privatautonomie in Einklang stehen.141 Schließlich sind Eingriffe des Sozialstaats in privatrechtliche Rechtsverhältnisse bereits seit langem üblich, wie beispielsweise im Mietrecht. Seit dem Ersten Weltkrieg besteht dort für Mieter ein weitgehender Kündigungsschutz, um die tatsächlich ungleichen Machtverhältnisse der formal gleichen Rechtssubjekte im Privatrecht auszugleichen.142

C.Öffentlich-rechtliches Arbeitsschutzrecht als Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

Insgesamt sichert die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts die Freiheit der Religionsgemeinschaften innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung.143 Teil dieser gesellschaftlichen Ordnung ist das staatliche Arbeitsrecht und das Arbeitsschutzrecht, das die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis nach Maßgabe des staatlichen Gesetzgebers gesetzlich festlegt. Es ist nun zu prüfen, ob und wie die Kirche als Arbeitgeber an diesen Normen der gesellschaftlichen Ordnung teilhat.

In der in Art. 137 Abs. 3 WRV verankerten Gewährleistung des Staates, die Kirche dürfe ihre eigenen Angelegenheiten selbständig regeln, steckt im Kern die Zusage des staatlichen Gesetzgebers, dass er die Regelungszuständigkeit der Gesetzgeber der Religionsgemeinschaften für diese Bereiche anerkennt. Diese Anerkennung der Eigenständigkeit bedeutet im Umkehrschluss die Einsicht, dass der staatliche Gesetzgeber selbst in diesem Zusammenhang auf die Regelung weltlicher Bereiche beschränkt ist.144 Wie bereits erwähnt gehört das kirchliche Dienst- und Arbeitsverhältnis zu den eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV, so dass sie dieses wegen ihres garantierten Selbstbestimmungsrechts innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ordnen und verwalten können.145 Gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV ist den Religionsgesellschaften zudem der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts garantiert, der es ihnen ermöglicht, ihre Dienstverhältnisse nach öffentlichrechtlichen Grundsätzen zu ordnen, ohne dabei den Normen des staatlichen Arbeitsrechts zu unterliegen.146 Es steht ihnen jedoch auch frei, sich der jedermann offenstehenden Privatautonomie zu bedienen, um ihre Dienstverhältnisse zu begründen und zu regeln, was bei dem überwiegenden Teil der kirchlichen Mitarbeiter auch so erfolgt. Die Kirchen bedienen sich der Gestaltungsformen des staatlichen Arbeitsrechts. Ausgenommen sind davon grundsätzlich Geistliche, da diese nicht kraft eines Arbeitsvertrages, sondern entsprechend ihrem Amt bei der Kirche beschäftigt sind, nachdem sie durch die Priesterweihe ihre Funktion erlangt haben.147 Auf sie findet das staatliche Arbeitsrecht keine Anwendung. Ob in den anderen Fällen das staatliche Arbeitsrecht insgesamt und damit auch die Arbeitsschutzvorschriften als Teilbereich des Arbeitsrechts im kirchlichen Bereich Geltung erlangen, wie weit eine mögliche Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts greift und was im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung gilt, wird im folgenden Abschnitt ausführlich erörtert.

I.Geltung des staatlichen Arbeitsrechts im kirchlichen Bereich

Das Verhältnis von Staat und Kirche bzw. der staatlichen Vorschriften und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht wurde vor allem durch die Rechtsprechung des BVerfG geprägt. Das Staatskirchenrecht insgesamt wurde seit der Geltung des Grundgesetzes nicht mehr nur von der Literatur und der Staatspraxis federführend ausgeformt und mit Leben gefüllt, sondern das BVerfG übernahm hierbei mehr und mehr eine Führungsrolle.148 Auch bei der Interpretation des Schrankenvorbehalts des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Bereich des Arbeitsrechts, wenn sich die Kirchen der Gestaltungsform des staatlichen Privatsrechts zur Begründung ihrer Dienstverhältnisse bedienen, spielt seine Rechtsprechung eine tragende Rolle. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Auffassungen der Literatur sowie die geschichtliche Entwicklung in der Rechtsprechung zur Geltung des staatlichen Arbeitsrechts im kirchlichen Bereich veranschaulicht.

1.Entwicklung in Literatur und Rechtsprechung

Zum Thema Schrankenvorbehalt und staatliches Arbeitsrecht wurden in der Literatur zunächst zwei völlig verschiedene Auffassungen vertreten. Die eine Ansicht ging von einem Vorrang des kirchlichen Rechts im Bereich des Arbeitsrechts aus und damit von einem eigenen Kirchenrecht. Die andere Auffassung dagegen hielt alle arbeitsrechtlichen Vorschriften auch im kirchlichen Bereich für verbindlich und sah damit einen Vorrang des staatlichen Rechts.149 Das BVerfG hat mit grundlegenden Beschlüssen den Meinungsstand mehr und mehr fortentwickelt.

Kalisch150, ein Vertreter der ersten Ansicht, hat bereits 1952 die Schaffung eines eigenständigen kirchlichen Dienstrechts gefordert. Gerechtfertigt hat er dieses Erfordernis mit dem Leitbild der Dienstgemeinschaft, die alle Beschäftigten im kirchlichen Bereich umfasst und vom Wesen und Auftrag der Kirche beherrscht wird.151 Mit dem Leitbild einer Dienstgemeinschaft soll ausgedrückt werden, dass der Auftrag Jesu, ihm im Dienst der Versöhnung zu folgen, sich nicht nur auf den Dienst jedes Einzelnen beschränkt, sondern auch ein Zusammenstehen vieler in der Gemeinschaft des Dienstes gefordert wird.152 Diese Gemeinschaft erfordere die Gestaltung eines eigenständigen Dienstrechts für einen Bereich, „der in der hier erfolgenden Weise weder vom öffentlichen Dienstrecht noch vom allgemeinen Arbeitsrecht geregelt werden kann, weil der Auftrag der Kirche seinem Ursprung und Inhalt nach einzigartigist. Das kirchliche Dienstrecht ist weder Arbeitsrecht noch öffentliches Recht, sondern Kirchenrecht’.153