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Ein Meeresbiologe stellt die extreme Vermehrung sogenannter Blaualgen im Ostseewasser fest und warnt eindringlich vor den damit verbundenen Gesundheitsgefahren. Deshalb verhängt die Regierung des kleinen idyllischen Inselstaates Isoland ein Badeverbot. Ein abergläubischer erfolgloser Schriftsteller und die abservierte Geliebte des Meeresbiologen gründen daraufhin die Bewegung der Besserwisser, die die Regierung sowie den Meeresbiologen vehement bekämpft. Diese selbst ernannten Freiheitskämpfer schrecken nicht vor Hass, Hetze und Gewalt zurück, um die Regierung zu stürzen. Auf diese Weise zerstören sie am Ende ihre Heimat.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Gefährlich wird es, wenn die Dummen fleißig werden.
– Anonym
Wilfried Hildebrandt
Die Besserwisser von Isoland
Wie man ein Paradies zerstört
Roman
© 2022 Wilfried Hildebrandt
Coverdesign: Edith Hein
ISBN Softcover: 978-3-347-55326-2
ISBN Hardcover: 978-3-347-55328-6
ISBN E-Book: 978-3-347-55329-3
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany
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Die Handlung dieses Romans sowie die vorkommenden Personen sind frei erfunden. Die Länder Isoland und Ubequitanien hat es niemals gegeben.
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Isoland
Mitten in der Ostsee gibt es eine kleine, heute leider unbewohnbare, nahezu kreisrunde Insel mit einem ungefähren Durchmesser von 30 km. Sie beherbergte einst ein Land mit dem offiziellen Namen Demokratische Republik Isoland. Die höchste Erhebung der Insel ist der 250 m hohe Trollberg. Die Hauptstadt hieß Isola und befand sich auf der Südseite der Insel zwischen Trollberg und Ostseestrand.
Wegen ihrer Lage mitten in der Ostsee hat die Insel ein angenehm mildes Klima. Die Winter sind nicht sehr kalt und im Sommer wird es nicht zu heiß. Deshalb war sie von jeher ein ideales Ziel für Urlauber, die den heißen Sommertagen oder den kalten Winternächten ihrer Heimatländer entfliehen wollten.
Nach ihrer Loslösung von Ubequitanien im Jahr 1980 wurde Isoland eine eigenständige parlamentarische Demokratie. Die rund 50.000 Einwohner wählten alle vier Jahre ihr Parlament, welches dann seinerseits eine Regierung wählte. Regierung und Parlament arbeiteten und tagten in einem repräsentativen Gebäude, das den traditionellen Namen Domus trug.
Eine Armee hatte das kleine Land nicht, da jeder wusste, dass die Insel dem Angriff eines potenziellen Gegners ohnehin keinen nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen hätte, selbst wenn alle Bewohner zum Militärdienst einberufen worden wären.
Die Amtssprache von Isoland war Deutsch, die Währung waren die Isomark (IM) und der Isopfennig (IPfg). Das Bruttoinlandsprodukt des Landes belief sich im Jahr 2008 auf etwa 2 Milliarden IM und wurde hauptsächlich durch Tourismus und in geringem Umfang durch Fischfang und Landwirtschaft erzielt. Eine nennenswerte Industrie gab es auf der Insel nicht.
Berühmt war die Insel-Universität von Isoland für ihre mehrfach ausgezeichnete Forschung und Lehre.
Da die Insel so klein war, gab es auf ihr keine privaten Autos. Lediglich Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst verfügten über Kraftfahrzeuge. Für die Verbindung der verschiedenen Orte untereinander sorgte eine Eisenbahnlinie, auf der die Züge in dichter Folge die Insel umrundeten.
Zur Energieversorgung hatte sich Isoland ein Kernkraftwerk erbauen lassen, das tagein, tagaus seine Arbeit verrichtete und die Isoländer zuverlässig mit Strom und Wärme versorgte.
Zwar gab es auch auf Isoland einige sehr Reiche und wesentlich mehr nicht ganz so Reiche, aber alles in allem waren die Einwohner mit ihren Lebensumständen stets recht zufrieden. Es gab keine Armut, selbst wenn die Weltwirtschaft wieder einmal in eine Krise geriet, wie es in den Jahren 2000 und 2008 der Fall war. Alle Isoländer hatten ihr Auskommen, denn jeder und jede verdiente an den Touristen. Die einen nahmen sie auf ganz legale Weise aus, die anderen beklauten und betrogen sie einfach.
Extreme Parteien aller Couleur fristeten auf der Insel ein Schattendasein und wurden niemals ins Parlament gewählt.
Leider sollte diese Idylle im Jahr 2009 ein jähes Ende finden. Hinterher konnte niemand genau sagen, wer dieses einmalige Paradies zerstört hatte, denn alle, die noch in der Lage waren zu berichten, meinten im Recht gewesen zu sein.
Die im Folgenden geschilderten Ereignisse bieten in heutigen Lehrbüchern ein willkommenes Beispiel dafür, wie aus einem Problem, das mit einfachen Mitteln zu lösen gewesen wäre, eine furchtbare Katastrophe entstehen kann, wenn es den Vernünftigen nicht gelingt, den Egoismus und die Dummheit der Unvernünftigen zu besiegen.
Kapitel 1
Albert Salomons Leben begann vor etwas mehr als 40 Jahren in der damals noch ruhmreichen Sowjetunion, die es allerdings mit den dort lebenden Juden nicht gut meinte. Deshalb floh die Familie 1980 von dort und fand auf Isoland, das damals noch ein Teil von Ubequitanien war, eine neue Heimat. Hier wuchs Albert als Kind angesehener und intelligenter jüdischer Eltern auf, denn sein Vater Igor Igorowitsch Salomon war ein hochdekorierter Physikprofessor und seine Mutter Irina war Oberstufenlehrerin für Physik, Chemie und Mathematik. Beide fanden schnell Arbeit im neuen Land und vor allem der Vater war sehr erfolgreich. Er war federführend beim Bau des Kernkraftwerkes auf der Insel. Sein Ruf war so gut, dass er die Regierung von Isoland davon überzeugen konnte, ein solches Kraftwerk aus sowjetischer Produktion errichten zu lassen. Die Bedenken dagegen zerstreute er mit dem Argument, dass der Reaktor in Tschernobyl nur wegen menschlichen Versagens explodiert sei. Er verwies auf den Wodka-Konsum in der Sowjetunion und war sicher, dass die Ingenieure in jener Katastrophennacht betrunken gewesen waren. Ein solches Fehlverhalten hielt er in Westeuropa für ausgeschlossen.
Zum Zeichen seines Vertrauens in die Sicherheit des Atommeilers kauften sich die Salomons ein Haus in dessen unmittelbarer Nähe und wohnten fortan darin.
Der Vorname ihres Sohnes sollte gutes Omen und Verpflichtung zugleich für den Jungen sein, in die Fußstapfen des Vaters zu treten und auch einmal ein erfolgreicher Physiker zu werden.
In der Schule hatte es Albert leicht, flog ihm doch das Wissen nur so zu. Seine Zweisprachigkeit machte ihm das Erlernen weiterer Fremdsprachen sehr einfach. Aus diesem Grund und wegen seiner naturwissenschaftlichen Begabung hatte er keine Mühe, das Abitur mit Bestnoten zu bestehen und somit war ihm ein Studienplatz an der Universität gewiss.
Zum größten Ärger seines Vaters wandte sich Albert jedoch nicht nur immer weiter vom jüdischen Glauben ab, sondern studierte Biologie statt Physik. Damit wurde das Vater-Sohn-Verhältnis auf eine harte Probe gestellt. Als Albert jedoch wegen seiner hervorragenden Studienleistungen nach dem Studium an der Universität bleiben konnte, dann erfolgreich promovierte und schon nach kurzer Zeit Anwärter für eine Professur an der naturwissenschaftlich-technischen Fakultät wurde, versöhnte sich sein Vater wieder mit ihm und war sehr stolz auf seinen Sohn.
Auch in der Liebe lief es gut für Albert, denn er lernte Malaika kennen und es war bei ihnen beiden Liebe auf den ersten Blick. Niemand in ihrer Umgebung schien Anstoß daran zu nehmen, dass Malaika dunkelhäutig war. Vielmehr schwärmten alle von ihrer Schönheit und beneideten Albert um sein Glück.
Als ihre Söhne John und Paul geboren wurden, war es wohl eine Laune der Natur, dass sie den einen Sohn so schwarz wie seine Mutter färbte, während der andere so weiß wie sein Vater war. Selbst Albert als Biologe musste darüber staunen, dass so etwas bei eineiigen Zwillingen möglich ist. Das Elternpaar erregte überall Aufsehen, wo es mit den Kindern auftauchte. Alberts Eltern, die inzwischen pensioniert waren, liebten und verwöhnten ihre Enkel über alle Maßen.
Malaikas Eltern lebten nicht mehr. Sie waren auf der Flucht von Afrika nach Europa vor den Augen ihrer Tochter im Mittelmeer vor Entkräftung vom Schlauchboot ins Wasser gefallen und ertrunken.
Trotz Malaikas Trauma war das Leben des Paares bisher großartig verlaufen. Sie standen finanziell sehr gut da, denn Albert war ein gefragter Wissenschaftler, der von einer Tagung zur nächsten reiste und sehr gut bezahlt wurde.
Als intelligenter Mensch nahm Albert selbstverständlich auch am gesellschaftlichen Leben und an der Politik Anteil. Bei der Volksabstimmung über die Loslösung von Ubequitanien hätten die Salomons mit Nein gestimmt, wenn sie damals schon wahlberechtigt gewesen wären, denn sie waren strikt dagegen, aber eine knappe Mehrheit der Inselbevölkerung wollte die Autonomie und so wurde die Abspaltung vollzogen.
Nach der Staatsgründung stellte Albert zu seinem Ärger fest, dass die beiden großen Parteien von Isoland nichts Besseres zu tun hatten, als sich gegenseitig zu beschimpfen. Die Debatten im Parlament regten ihn jedes Mal furchtbar auf, denn sie brachten die Insel keinen Millimeter weiter bei der Lösung irgendeines Problems. Wenn eine Partei etwas vorschlug, das Albert für durchaus vernünftig hielt, wurde es von der anderen Partei reflexartig abgelehnt, ohne dass eine sachliche Prüfung stattgefunden hätte. Als Wissenschaftler, der es gewohnt war, Fakten zu sammeln, um daraus eine schlüssige Beweisführung zu konstruieren, fand er das Vorgehen der Politiker absolut unmöglich.
Trotzdem konnte man feststellen, dass es auf der Insel keine Feindschaft zwischen den Lagern gab. Gewann die eine Partei, dann nahm die andere es sportlich und versuchte es bei der nächsten Wahl besser zu machen. Alles in allem lebte man gut und friedlich in Isoland und das war für die meisten Bürger das Wichtigste.
Wenn Albert und Malaika Salomon mit ihren Freunden zusammensaßen, kam nach kurzer Zeit zwangsläufig die Politik aufs Tapet. Alle wussten, was im Domus falsch lief und wie man es besser machen konnte, aber keiner ihrer Freunde ergriff die Initiative. Sie alle waren sehr intelligent, aber wahrscheinlich war genau das der Grund, warum sie nicht in die Politik gehen wollten.
Politiker waren schlecht angesehene Menschen. Die generelle Meinung des kleinen Mannes auf der Straße war die, dass die Politiker nur etwas zustande brachten, wenn es darum ging, sich die eigenen Taschen zu füllen. Jeder Stammtischbesucher wusste genau, wie man es besser machen konnte und hielt damit nicht hinter dem Berg, wie man bei Straßeninterviews immer wieder hören konnte. Warum also sollte ein intelligenter Mensch sich auf einen Wechsel vom angesehenen Wissenschaftler oder erfolgreichen Journalisten zum nichtsnutzigen Politiker einlassen?
So hielt auch Albert sich jahrelang vornehm zurück und beobachtete das Treiben mehr oder weniger belustigt aus der Ferne. Dabei bemerkte er gar nicht, wie sehr er sich immer mehr in den sprichwörtlichen Elfenbeinturm zurückzog. Sein Leben war erfüllt, er hatte seine Arbeit und seine Familie, das reichte ihm völlig aus zum Glücklichsein.
***
Seit Anfang des Jahres 2009 leitete Professor Dr. Albert Salomon den Fachbereich Meeresbiologie, denn er galt als überaus kompetenter Wissenschaftler und auch als ein charismatischer Mann. Schon von Kindheit an hatte es ihm die Meeresbiologie besonders angetan. Als Insulaner lag es für ihn vorrangig auf der Hand, sich mit dem die Insel umgebenden Wasser, dessen Temperatur, Salzgehalt, Verunreinigung und vielen anderen Eigenschaften zu befassen. Am wichtigsten für Albert waren jedoch Flora und Fauna der Ostsee.
Um alle notwendigen Untersuchungen und Messungen durchführen zu können, besaß der Fachbereich Meeresbiologie der Universität ein Laboratorium am Südufer der Insel. Die besten Forschungsergebnisse konnte man dort bei Nacht erzielen, da weder das Sonnenlicht noch die Bugwellen vorbeifahrender Sportboote die Messungen beeinflussten. Aus diesem Grund hielt sich Albert unzählige Nächte in diesem Labor auf und viele seiner Studentinnen und Studenten schlossen sich ihm gerne an. So verbrachten sie gemeinsam viele Nachtstunden, um die verschiedenen Parameter des Wassers aufzunehmen.
Eine auffällig hübsche blonde Studentin war ganz besonders eifrig und leistete dem Professor jede Nacht Gesellschaft beim Forschen und Messen. Wenn die übrigen Studenten übermüdet das Labor verließen, blieb sie noch da, sodass er oft mit ihr alleine war. Sie war sehr schlank, was sie äußerst zerbrechlich wirken ließ und sie fror ständig, wenn es in der Nacht kühl wurde. Deshalb ließ sich Albert gelegentlich dazu hinreißen, sie in den Arm zu nehmen, um sie zu wärmen. Das verstand sie wohl völlig falsch, denn sie schmiegte sich immer mehr an ihn und wie es nicht anders zu erwarten war, kam es bald zu Zärtlichkeiten zwischen ihnen.
Albert hätte zwar schwören können, dass die Initiative dazu von ihr ausgegangen war, aber er wusste genau, dass er es nicht gedurft hätte, denn schließlich war er ihr Lehrer, aber trotzdem konnte er der Versuchung nicht widerstehen. Sie war einfach ein enormer Kontrast zu Malaika, was nicht nur die Hautfarbe betraf, sondern auch die Figur, denn Malaika war eine Frau, die man mit dem Begriff kurvig recht gut beschreiben konnte. Eigentlich liebte Albert diese Üppigkeit seiner Frau, aber bei der Studentin lockte ihn plötzlich deren schlanke Gestalt. Er erklärte sich das damit, dass der Mensch nun mal die Abwechselung liebt – besonders der Mann.
Schon nach kurzer Zeit empfanden sie die Anwesenheit anderer Studenten als Belästigung und konnten es kaum erwarten, bis diese sich verabschiedeten. Sobald sie beide alleine waren, verschwanden sie umgehend in den kleinen Ruheraum, den sich Albert einst eingerichtet hatte, um sich hinlegen zu können, wenn er wieder einmal so lange geforscht und gemessen hatte, dass es sich nicht mehr lohnte, nach Hause zu gehen. Während er sorgfältig die Tür verschloss, schlüpfte sie in Windeseile aus ihrer Kleidung und wenn er sich umdrehte, konnte er den Anblick seiner nackten Geliebten auf dem Feldbett genießen.
Die Beobachtungen und Erfahrungen, die sie dann miteinander machten, hatten zwar im weitesten Sinne auch etwas mit Biologie, aber nichts mit der des Meeres zu tun, waren aber mindestens ebenso atemberaubend für beide. Bis dahin war Alberts erste und einzige Sexpartnerin seine Frau Malaika gewesen. Darum fand er es ausgesprochen exotisch und zugleich erotisch, die nackte weiße Haut seiner Studentin zu sehen und zu berühren. Sie dagegen war schon sehr erfahren in Liebesdingen, sodass Albert für sie nicht der erste, aber immerhin der erste beschnittene Mann war, mit dem sie Sex hatte.
Von dieser jungen Geliebten lernte Albert ganz neue Spielarten der körperlichen Liebe kennen. Malaika war keinesfalls prüde, aber der Sex mit ihr war doch eher Hausmannskost gegenüber der Nouvelle Cuisine, die ihm von der hübschen Studentin geboten wurde.
***
Dass seine Gespielin nicht besonders intelligent war, hatte Albert natürlich längst festgestellt, aber das störte ihn während ihres intimen Zusammenseins nicht, denn dabei waren andere Qualitäten gefragt. Erst als genau diese Studentin eines Tages bei ihm zur Prüfung erschien, wurden ihm die Konsequenzen seines Handelns in ihrer vollen Tragweite bewusst. Er befand sich jetzt in einer ausgesprochenen Zwickmühle. Obwohl sie durch völlige Unwissenheit glänzte, konnte er sie nicht einfach durchfallen lassen, denn selbstverständlich wollte er ihr nicht schaden, nachdem sie ihm so viele schöne Stunden bereitet hatte. Außerdem befürchtete er, dass sie im Fall ihres Nichtbestehens ihr Verhältnis zu ihm öffentlich machen könnte, was nicht nur seine Reputation als Wissenschaftler und Leiter des Fachbereiches, sondern auch seine Ehe ruinieren würde. Darum musste er sie entgegen der Meinung seines Beisitzers die Prüfung bestehen lassen und machte sich damit ziemlich verdächtig.
Nur kraft seines Amtes konnte Albert den Beisitzer dazu bringen, zuzustimmen, die Kandidatin bestehen zu lassen. Er behauptete wider besseres Wissen, dass die junge Dame während des gesamten Semesters hervorragende Leistungen vollbracht hätte, aber heute offensichtlich so von ihrer Prüfungsangst gepeinigt werde, dass sie keine vernünftigen Antworten zu geben in der Lage war. Beides stimmte nicht, denn sie war zu keiner Zeit durch besonders solide Kenntnisse aufgefallen und bei der Prüfung machte sie einen ausgesprochen ruhigen Eindruck. Sie war sich offenbar absolut sicher, dass er sie unter keinen Umständen durchfallen lassen würde.
Das war zugegebenermaßen ein starkes Stück gewesen, wie er rückblickend einräumen musste. Außer einem permanent schlechten Gewissen hatte er von diesem Moment an deswegen auch Probleme mit dem Kollegium. Er konnte weder das hämische Grinsen seiner Mitarbeiter, noch die vernichtenden Blicke der Mitarbeiterinnen übersehen, wenn er einen Raum betrat, in dem sie wahrscheinlich gerade über ihn hergezogen waren. Auch bei den Studentinnen schien seine Bevorzugung der hübschen Kommilitonin nicht unbemerkt geblieben zu sein. Die jungen Damen, die befürchten mussten, bei der nächsten Prüfung schlecht abzuschneiden oder die einfach nur ihre Noten verbessern wollten, erschienen plötzlich ausnahmslos mit äußerst kurzen Röcken und extrem tiefen Ausschnitten zu Professor Salomons Vorlesungen und Seminaren. Nach den Lehrveranstaltungen kamen sie scharenweise zu ihm, um Fragen zu stellen, wobei er von ihrem aufreizenden Parfüm fast ohnmächtig wurde und ihm wegen der tiefen Blicke in die überwiegend gut gefüllten Dekolletees schwindlig wurde. Manche versuchten sogar, sich mit ihm zu einer Übungsstunde am Abend zu verabreden. Wegen seiner schlechten Erfahrung und um nicht noch mehr Probleme zu bekommen, blieb er jedoch eisern und wies sie alle ab.
Spätestens jetzt sah er ein, dass er dringend aus der Beziehung mit der Studentin herausmusste und so verabredete er sich ein letztes Mal mit seiner heimlichen Geliebten, um mit ihr Schluss zu machen.
Als das Treffen stattfand, versuchte er ihr die Trennung mit einem finanziellen Abschiedsgeschenk zu versüßen, aber sie wollte kein Geld, sondern ausschließlich ihn. Offensichtlich hatte sie sich schon als seine Ehefrau gesehen. Da jedoch sein Entschluss feststand und er ihr unwiderruflich den Laufpass gab, war sie sehr wütend und ließ nichts unversucht, um ihn weiter an sich zu binden. Nachdem sie jedoch begriffen hatte, dass es zwecklos war, wurde sie äußerst aggressiv und schwor ihm bittere Rache. Er hoffte in diesem Moment, dass sie sich wieder beruhigen und ihr Glück mit einem anderen Mann finden würde. Zu dieser Zeit konnte er noch nicht ahnen, welche Bedeutung sie und ihre Wut noch für ihn und die gesamte Insel und deren Bewohner haben sollten.
***
Obwohl Albert nun seine junge Geliebte los war, blieb er aus alter Gewohnheit und auch um sich bei Malaika nicht verdächtig zu machen, weiterhin vorerst fast jede Nacht der eigenen Wohnung fern. Anstatt sich mit der schönen blonden Studentin im lauschigen Liebesnest zu beschäftigen, wurden seine Hände und Augen nun wieder ausschließlich von den Mess- und Beobachtungsgeräten des Labors in Anspruch genommen. Allerdings wurde er in der ersten Zeit ständig an die schönen Stunden erinnert, die er mit ihr erlebt hatte und oft schwelgte er in Erinnerungen, was eine wissenschaftliche Arbeit so gut wie unmöglich machte. Nur nach und nach gelang es ihm, sich wieder auf die Messungen zu konzentrieren.
Irgendwann jedoch hatte er sich gefangen und war wieder ganz in seinem Element. So war es nur eine Frage der Zeit, dass er auf den inzwischen unübersehbaren Anstieg der Konzentration von Cyanobakterien und Vibrionen im Meerwasser aufmerksam wurde. Er war sehr erschrocken darüber, dass er diese Zunahme vorher nicht bemerkt hatte, war es doch ein eindeutiger Beweis dafür, dass er sich bis dahin nicht richtig auf seine Arbeit konzentriert hatte. Was er fand, waren zwar zuerst nur wenige Mikrogramm der Bakterien pro Liter Meerwasser, aber die Werte stiegen täglich höher.
Als er die Bakterien einer genauen Untersuchung unterzogen hatte, musste er zu seinem Erschrecken feststellen, dass zumindest die Cyanobakterien mutiert waren. Er hatte im Moment keine Ahnung, welche Bedeutung diese Tatsache für Mensch und Natur hatte, war aber sehr besorgt.
In seinem Büro schaute er im Internet auf den einschlägigen Seiten nach, ob andere Meeresbiologen auch schon auf dieses Phänomen aufmerksam geworden waren. Das schien jedoch nicht der Fall zu sein. Somit war er offenbar der Erste, der diesen Anstieg verbunden mit der Mutation entdeckt hatte.
Stolz teilte er seinen Kollegen aus den Anliegerstaaten der Ostsee seine Messergebnisse mit. Nach einigen Tagen erhielt er die ersten Antworten, aus denen hervorging, dass andere Wissenschaftler noch keine signifikanten Anstiege der Blaualgenpopulation und der Vibrionenkonzentration in der Ostsee und auch keine Mutationen festgestellt hatten. Es schien sich also offenbar vorerst nur um ein lokales Phänomen zu handeln.
Die Ursache der Vermehrung der Bakterien lag auf der Hand. Es handelte sich um einen schon lange zu erwarteten Effekt der globalen Erderwärmung, verstärkt durch die Einleitung von zu vielen Nährstoffen in die Gewässer. Für viele Länder der Erde mochte das nur eine Randnotiz sein, der man keine weitere Bedeutung beimessen musste, für eine Urlaubsinsel wie Isoland war das jedoch eine erschreckende Erkenntnis. Sogenannte Blaualgen und Vibrionen sind schließlich dafür bekannt, dass sie bei Badenden Hautreizungen und andere Probleme hervorrufen können. Besonders schlimm ist es, wenn derartiges Wasser verschluckt wird, was vor allem bei Kindern sehr oft vorkommt.
Wer würde jetzt noch seinen Sommerurlaub auf dieser Insel verbringen, wenn er Angst haben musste, nach einem Bad in der Ostsee Durchfall, Erbrechen sowie Hautausschläge und im schlimmsten Fall sogar Atemnot zu bekommen? Wohl kein vernünftiger Mensch.
***
Als die Messungen eine erschreckende Dynamik der Vermehrung der Bakterien gezeigt hatten, hielt es Professor Albert Salomon für seine Pflicht, die zuständigen Stellen von seiner Erkenntnis zu unterrichten. Schließlich bestand die Gefahr, dass Badende früher oder später sehr unangenehme Bekanntschaft mit den großen Mengen an Blaualgen und Vibrionen machen würden. Diese Mikroorganismen waren für erwachsene Menschen vermutlich nicht allzu gefährlich, aber Kinder und Haustiere könnten durch ein Bad in dem verunreinigten Wasser schwer geschädigt werden – insbesondere, wenn sie dieses Wasser verschluckten oder gar in die Lunge bekämen.
Nicht zu unterschätzen war auch die Gefahr, die beim Einatmen der durch die absterbenden Cyanobakterien entstehenden Fäulnisgase auftreten könnte. Zwar würde niemand in stinkendem Wasser baden, aber bei Landwind wäre der Schwefelwasserstoff vom Strand aus nicht zu riechen, würde aber beim Schwimmen seine mehr als unangenehme Wirkung entfalten. Außerdem war es abzusehen, dass auf so einer kleinen Insel wie Isoland, die praktisch ständig an einer Seite Seewind hatte, es in nicht allzu ferner Zukunft an jedem Ort nach faulen Eiern riechen würde.
Auf eine Reaktion zu seinem Schreiben an die Kurverwaltung wartete Albert lange geduldig, aber dennoch vergeblich. Als er nach zwei Wochen immer noch keine Antwort bekommen hatte und auch nicht feststellen konnte, dass der Gefährdung beim Baden in irgendeiner Weise Rechnung getragen wurde, rief er beim Chef des Tourismusbüros an. Dieser tat zuerst so, als wisse er von nichts, um dann letztlich aber doch zuzugeben, dass er den Brief vom Herrn Professor bekommen und gelesen habe. Alberts direkte Frage, warum denn bisher nichts unternommen worden war, wurde vom Tourismuschef ziemlich ungehalten beantwortet.
„Hören Sie mal, Herr Professor, was denken Sie, was hier los ist, wenn ich den Urlaubern mitteile, dass das Baden bei uns gefährlich ist? Die meisten kommen doch nur wegen der schönen Sandstrände und des sauberen Wassers auf unsere Insel. Wenn die hier nicht mehr baden können, dann stirbt der Tourismus und wir verlieren unsere wichtigste Einnahmequelle.“
Bevor Albert etwas entgegnen konnte, legte der Angerufene einfach den Hörer auf.
Das war eine für Albert nicht hinnehmbare Situation, denn er konnte es doch nicht zulassen, dass jemand zu Schaden käme, nur weil er vor den Gefahren des Badens in der Ostsee nicht gewarnt worden war. Deshalb versuchte er mit Nachdruck alle infrage kommenden Ämter des Landes auf das Problem hinzuweisen, aber auch diese Bemühungen waren vergebens, wie er am Ende der nächsten Woche feststellen musste.
Nicht einmal bei den Mitarbeitern in seinem Institut fand Albert Gehör. Er musste zur Kenntnis nehmen, dass sein Ruf zu stark ramponiert war. Seine früheren Mitstreiter wollten ihm nicht einmal zuhören, wenn er versuchte, ihnen seine Messergebnisse und deren Konsequenzen zu erläutern. Von denen brauchte er sich also keine Unterstützung zu erhoffen.
Nach langer reiflicher Überlegung beschloss er aus purer Verzweiflung an die Presse zu gehen. Er entsann sich seines alten Freundes, eines Journalisten bei der großen Boulevard-Zeitung. Zwar mochte Albert diese Zeitung mit den großen Buchstaben und den schrecklichen Übertreibungen und Vereinfachungen überhaupt nicht, aber in diesem Fall schien sie ihm bestens geeignet zu sein. Deshalb rief er seinen Bekannten an und versprach ihm brisante Neuigkeiten, woraufhin der zu einem baldigen Treffen bereit war.
Als sie dann bei einer Tasse Kaffee in Alberts Wohnzimmer zusammensaßen, hörte Gisbert, wie der Journalist hieß, dem Professor aufmerksam zu, machte sich Notizen, fragte nach, wenn er etwas nicht verstanden hatte und versprach abschließend einen Zeitungsartikel daraus zu machen.
Beruhigt widmete sich Albert danach wieder seiner normalen Arbeit, die er in der letzten Zeit ziemlich vernachlässigt hatte. Er war überzeugt, dass ein Zeitungsartikel die Verantwortlichen aufrütteln würde, auf dass sie endlich tätig würden. Zumindest konnten sie wenigstens hinterher nicht behaupten, sie hätten von nichts gewusst.
Kapitel 2
Reinhardt Düstermann wachte am Mittag auf. Es ging ihm nicht gut, denn das gesamte Zimmer drehte sich um ihn herum. Da er alles doppelt sah, schloss er vorsichtshalber ein Auge, damit er sich einigermaßen orientieren konnte. Am Tag zuvor war er mit Freunden um die Häuser gezogen. Einer seiner Kumpel hatte Geburtstag gefeiert und aus diesem Grund die Spendierhosen angehabt. Da hatte sich Reinhardt nicht lange bitten lassen, sondern alle alkoholischen Getränke in sich hinein geschüttet, die angeboten worden waren. Das war ihm ganz offensichtlich nicht gut bekommen, aber er hatte gemeint, die Gelegenheit wahrnehmen zu müssen. Schließlich war er schon seit geraumer Zeit zu klamm, um eine Bar oder Kneipe aufzusuchen. Genau genommen hatte er überhaupt kein Geld, denn er war ein bislang erfolgloser Schriftsteller. Zwar hielt er selbst sich für genial und die von ihm geschriebenen Bücher für Weltliteratur, aber das war den Entscheidungsträgern in den Verlagen, denen er seine Manuskripte zugesendet hatte, offensichtlich bisher entgangen, denn sie hatten noch nicht ein einziges Buch von ihm veröffentlicht.
Nachdem er mit dem geöffneten Auge auf den Kalender geschaut hatte, stöhnte er laut auf. Was er sehen musste, erschütterte ihn bis in die Grundfesten, denn es war Freitag, der 13. März 2009. Mit wackligen Beinen verließ er das sich wie wild drehende Bett und taumelte ins Bad.
Zuerst musste er sich den gestrigen Alkohol durch den Kopf gehen lassen, dann beschloss er, sich ausnahmsweise einmal die Zähne zu putzen. Normalerweise verzichtete er auf dieses Ritual, aber heute schien es ihm unumgänglich, denn das Kratzen im Hals war unerträglich.
Um nicht umzufallen, hielt er sich im Badezimmer mit einer Hand am Waschbecken fest, während er mit der anderen ungelenk versuchte, den Zahnputzbecher nebst Zahnbürste – die Zahnpastatube lag schon seit Wochen leer herum – von der Ablage zu nehmen. Ungeschickt wie er war, blieb er an dem von ihm nur provisorisch befestigten Spiegel hängen und riss diesen von der Wand, sodass das Glas auf dem Fußboden zersplitterte. Auch das noch, schoss es ihm durch den Kopf. Nicht nur das heutige Datum versprach einen schlechten Tag, sondern nun auch noch der zerbrochene Spiegel. Er wusste, dass er nun sieben Jahre Pech haben würde, was ihn erschaudern ließ. Ging denn heute wirklich alles schief?
Als Nächstes versuchte er sich in der Küche mit zitternden Händen Kaffee zu bereiten. Zu seinem Ärger war jedoch ausgerechnet jetzt kein Kaffeepulver mehr vorhanden. Er brauchte aber unbedingt einen starken Kaffee. Da blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Mutter um Rat zu fragen, was er denn in diesem Fall machen sollte.
Er musste nicht lange warten, bis sie auf ihrem angestammten Platz am Küchentisch erschien. Sie schüttelte sorgenvoll den Kopf, was wohl an den schlechten Omen lag, die ihr Sohn an diesem Tag schon bekommen hatte oder an seinem Zustand. Dann riet sie ihm, den noch in der Maschine befindlichen Kaffee von Mittwoch erneut aufzubrühen. Sie erinnerte ihn daran, dass Oma immer davon erzählt hatte, in ihrer Jugend hätten die armen Leute ausschließlich den zweiten oder dritten Aufguss vom Kaffee getrunken. Oma hatte sogar behauptet, dass man keinen Unterschied zum ersten Aufguss geschmeckt habe.
Das würde er jetzt überprüfen können und müssen.
Nachdem er jedoch Wasser in die Kaffeemaschine gefüllt und sie dann eingeschaltet hatte, tat sich nichts. Reinhardt schaute erst einen Moment verdutzt auf die Maschine, dann betätigte er den Schalter mehrmals, aber die Kontrollleuchte blieb dunkel. „So ein Mist!“, schimpfte er. „Jetzt ist auch noch die Kaffeemaschine kaputt!“ Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Es schien ihm nichts anderes übrigzubleiben, als Wasser auf dem Herd zu erwärmen und damit den Kaffeegrund aus dem Filter aufzubrühen.
Als der Topf voller Wasser auf der Kochplatte stand, schaltete er diese ein, aber wieder tat sich nichts. „Klappt denn heute gar nichts!?“, entfuhr es ihm voller Verzweiflung. Es konnte doch nicht sein, dass zwei Elektrogeräte gleichzeitig ihren Geist aufgaben. Hilfesuchend wandte er sich an seine Mutter, aber die verschwand vor seinen Augen. Von ihr war demnach jetzt keine Hilfe mehr zu erwarten.
Plötzlich kam in ihm ein fürchterlicher Verdacht auf. Schnell ging er zur Küchentür und betätigte den Lichtschalter, aber wieder blieb die erwartete Reaktion aus. Es lag auf der Hand, dass an seiner Misere nur dieser Unglückstag schuld sein konnte. Mama hatte ihn immer vor Freitag, dem 13. gewarnt. Da war das Unglück unausweichlich. Wenn dann noch ein zerbrochener Spiegel dazu kam, der auf der Liste der Unglücksbringer ebenfalls ganz oben stand, dann konnte es nur ein absoluter Pechtag für ihn werden.
Er überprüfte die Sicherungen neben seiner Wohnungstür, aber die waren alle in Ordnung. Seine letzte, vage Hoffnung, dass vielleicht nur die Hauptsicherung im Keller durchgebrannt sei, erwies sich als trügerisch und so wurde sein Verdacht zur Gewissheit. Der Strom war abgeschaltet worden.
Insgeheim hatte er schon lange damit gerechnet, denn er zahlte seit ewigen Zeiten seine Stromrechnung nicht mehr. Wovon denn auch? Wahrscheinlich hatte er die Mahnungen vom Elektrizitätswerk zusammen mit anderen Rechnungen und Zahlungserinnerungen ungeöffnet in einen der fünf großen Müllsäcke gestopft, die unter dem Küchentisch standen. Das Lesen solcher amtlichen Schreiben beunruhigte ihn stets zu sehr und tötete seine Inspiration, die er zum Schreiben unbedingt brauchte. Deshalb hatte er sich abgewöhnt, derartige Briefe zu öffnen. Endgültig entsorgen wollte er sie jedoch auch nicht, weshalb er sie in diesen blauen Säcken zwischenlagerte. Eines Tages, als ein berühmter Schriftsteller, würde er sie alle öffnen und dann großzügig sämtliche Rechnungen mit Zins und Zinseszins begleichen. Bis dahin aber verdrängte er erfolgreich die Gedanken daran und ließ sich nicht vom Schreiben abhalten.
Jetzt war allerdings guter Rat teuer. Geld für die Nachzahlung und die Wiedereinschaltung hatte er nicht. Ja, er hatte nicht einmal Geld für eine Tasse Kaffee in der Bar nebenan. Seine Lage war ziemlich verzweifelt. Genau genommen, müsste schon ein Wunder geschehen, damit ihm nicht die Wohnung gekündigt würde und er demnächst obdachlos auf der Straße landen würde, denn die Miete hatte er auch schon ein paar Monate nicht bezahlt.
Der erneute Versuch, von seiner toten Mutter einen Rat zu bekommen, scheiterte. Anscheinend wusste sie in dieser Situation auch nicht weiter. Sie hatte ihm nach ihrem Tod eine Menge Geld hinterlassen, das sie zu Lebzeiten mit ihrer Wahrsagerei und all den übersinnlichen Dingen verdient hatte. Das war ja sehr großzügig von ihr gewesen, aber inzwischen war dieses Geld restlos ausgegeben und gerade jetzt, da er ihre Hilfe wirklich sehr gebraucht hätte, ließ sie ihn im Stich.
Wie ein Ertrinkender, der sich an einen Strohhalm klammert, schaute Reinhardt noch einmal seine Manuskripte durch. Er hoffte inständig eines zu finden, das er noch nicht bei allen infrage kommenden Verlagen eingereicht hatte, aber da gab es keines. Alle seine Manuskripte waren von sämtlichen Verlagen abgelehnt worden. Die lapidare Begründung lautete immer nur
… passt nicht in unser Verlagsprogramm …
Reinhardt war fest davon überzeugt, dass niemand seine Meisterwerke wirklich gelesen hatte, denn sonst hätte man sich um sie gerissen, so gut wie sie waren.
Schon sein Erstlingswerk hatte es in sich, denn es war ein Sachbuch über Voodoo, Zauber und Magie, das seiner Meinung nach wirklich ganz große Klasse hatte und die Welt in einem völlig neuen Licht erscheinen ließ. Er hatte alle ihm noch bekannten Zaubersprüche seiner Mutter darin preisgegeben, hatte von Hexen und Feen berichtet, in die Kunst des Pendelns eingewiesen, Voodoo-Rituale erklärt und all die anderen okkulten Praktiken genau beschrieben. Auch hatte er verraten, wie man Mückenspeck und Spinnenbeine zubereitet und illustriert ausgeführt, wie die wichtigsten Zauberkräuter heißen und aussehen und wo man sie bei Neumond im Wald findet. Damit wäre jeder Leser in die Lage versetzt worden zu zaubern, wenn das Buch gedruckt worden wäre. War es aber nicht. Vielmehr kamen nur nichtssagende Absagen von den Verlagen.
Nachdem Reinhardt verstanden hatte, dass ein Buch über Zauberei nicht jedermanns Sache war, entschied er sich fortan anspruchsvolle Literatur zu verfassen.
Schon mit seinem ersten belletristischen Werk hatte er einen ausgesprochenen Schicksalsroman geschaffen, da war er sich sicher. In diesem geht es um die Liebe einer schönen Millionärstochter zu einem gut aussehenden Müllmann, der aber nach vielen Irrungen und Wirrungen am Ende lieber einen Rummelboxer heiratet. Die Millionärstochter geht daraufhin vor Gram ins Kloster, wo sie sich in den Abt verliebt, der ihretwegen aus dem Kloster austritt und mangels einer brauchbaren Berufsausbildung ein erfolgreicher Auftragsmörder wird.
Das war doch ein Stoff, der des Literaturnobelpreises würdig war, mindestens jedoch des nationalen Buchpreises, wie Reinhardt fand. Trotzdem lehnten diese unfähigen Entscheider der Verlage solch einen Jahrhundertroman ab.
Ebenso schlecht erging es seinem zweiten literarischen Werk, einem Thriller, der im Rotlichtmilieu spielt.
Eine Prostituierte liebt darin den einarmigen Türsteher des Etablissements, der vorgibt, ein ehemaliger Stehgeiger zu sein. Seinen linken Arm habe er verloren, als er sich einmal dermaßen vergeigt hätte, dass es zu einem Tumult unter den beteiligten Musikern gekommen sei. Bei den folgenden Handgreiflichkeiten sei er zu Boden gegangen und dann wäre die Harfe umgefallen und hätte ihm den Arm zerschmettert.
Am Busen seiner Geliebten legte der Türsteher jedoch nicht nur seine Armprothese, sondern auch sein inkognito ab, indem er sich als undercover arbeitender Ermittler outete, der seinen Arm bei seinem gefährlichen Polizeidienst verloren hätte, indem er im Archiv zwischen zwei Aktenschränke eingeklemmt worden sei.
Das Ende des Thrillers ist absolut herzzerreißend, denn der verdeckte Ermittler wird vor den Augen seiner Freundin von einem Polizisten erschossen, weil er den Befehl Hände hoch! aus durchaus nachvollziehbaren Gründen nur zur Hälfte befolgen kann.
Ein Werk also voller knisternder Spannung, gepaart mit prickelnder Erotik, das jeden bisherigen Thriller zu einem Kinderbuch machte, war Reinhardt überzeugt. Trotzdem eine Absage!
Wenn die Verlage in ihrer Arroganz nichts lasen, was von unbekannten, aber guten jungen Autoren eingereicht wurde, dann stand man als Debütant natürlich auf verlorenem Posten. Er wusste jetzt schon, dass genau diese Herrschaften eines Tages sehr wütend auf sich sein würden, wenn Reinhardt Düstermann ein großer Name in der Literaturwelt wäre und ein anderer Verlag das große Geld mit dessen Bestsellern machen würde. Er würde dann öffentlich machen, wem er seine Manuskripte eingereicht und welche Antworten er bekommen hatte. Bei den fraglichen Verlagen würden Köpfe rollen, das war jetzt schon klar.
Ziemlich frustriert verließ er seine Wohnung, nachdem er lange vergeblich nach etwas Essbarem und Geld gesucht hatte. Mama hüllte sich leider weiterhin in Schweigen, anstatt ihm zu helfen. Vielleicht hatte sie eine Besprechung im Reich der Toten. Er konnte sich gut vorstellen, dass sie auch dort wieder ihr bisheriges Gewerbe ausübte und den Verstorbenen die Zukunft voraussagte oder ihnen dabei half, mit ihren Hinterbliebenen Kontakt aufzunehmen.
Wie dem auch sei, er musste in die Stadt und konnte nur hoffen, dort irgendeinen Freund zu treffen, den er anpumpen könnte oder der ihm wenigstens einen Kaffee und ein belegtes Brötchen spendieren würde.
***
Nachdem Reinhardt eine Stunde vergeblich durch die Straßen gezogen war, musste er resigniert feststellen, dass es für ihn nicht gut aussah. Er hatte keinen seiner Freunde getroffen und in den Bars und Restaurants, die er früher oft und gerne besucht hatte, dachte niemand daran, ihn mit einer Tasse Kaffee oder gar einem Snack zu beschenken. Eigentlich hätte ihm das von vornherein klar sein müssen, denn es war Freitag der 13. und ihm war außerdem ein Spiegel zu Bruch gegangen. Da musste ja alles schiefgehen, was schiefgehen konnte.
Während er mit der Versuchung kämpfte, in den Abfallbehältern am Straßenrand nach etwas Essbarem zu suchen, blieben seine Augen an einer vor einem Kiosk ausgelegten Zeitung hängen. Minutenlang konnte er seinen Blick nicht von der reißerischen Überschrift lösen.
Killeralgen bedrohen unsere Insel
Er ging näher an die ausgestellte Zeitung heran, konnte aber leider kaum etwas von dem zugehörigen Text lesen. Er verstand nur, dass irgendein Wissenschaftler herausgefunden hätte, dass es rund um die Insel eine zunehmende Menge giftiger Algen gäbe, bei deren Berührung Menschen schwere Hautreizungen und allergische Reaktionen mit dramatischen Folgen erleiden könnten. Schlimmstenfalls musste sogar mit einem tödlichen Verlauf gerechnet werden.
Reinhardt schüttelte den Kopf. So einen Blödsinn hatte er lange nicht mehr gehört oder gelesen. Das Vorhandensein von Algen rund um die Insel und in der gesamten Ostsee war nichts Neues, aber dadurch war noch nie jemand wirklich zu Schaden gekommen. Das war offensichtlich wieder eine von diesen typischen reißerischen Überschriften der EILZEIT.
Sein Kopfschütteln war offenbar von einem Mann, der ein Exemplar der EILZEIT gekauft und den Leitartikel schon gelesen hatte, bemerkt worden. Der schaute ihn wütend an und fragte erzürnt: „Denken Sie vielleicht, dass das Quatsch ist?“ Reinhardt nickte.
„Natürlich ist das Blödsinn! Dieses Revolverblatt ist doch bekannt dafür, dass es mit solchen Schlagzeilen seine Auflage steigert. Ich denke nur an die Terrorameisen,Mörderbienen und Horrorwellen, die uns diese Tintenpisser schon angekündigt haben. Nichts davon ist jemals eingetroffen.“
Der Zeitungsbesitzer tippte sich in bezeichnender Weise an die Stirn und drehte sich um, ohne Reinhardt eines weiteren Wortes oder Blickes zu würdigen, dann eilte er davon.
Wenn es Reinhardt möglich gewesen wäre, hätte er sich gerne eine Zeitung gekauft, denn inzwischen war seine Neugier geweckt worden. In Ermangelung des Geldes dafür, fasste er einen anderen Entschluss. Er schaute sich vorsichtig um und als er sah, dass ihn niemand beobachtete, zog er kurzerhand eine der Zeitungen aus dem Ständer, ohne den Kaufpreis dafür in die über den Zeitungen befestigte Kassette zu entrichten. Dann verschwand er mit langen Schritten aus dem Bereich des Zeitungskiosks.
Als er den Stadtpark erreicht hatte, meinte er, weit genug von der Stätte seiner Missetat entfernt zu sein und setzte sich auf eine Bank, wo er mit dem Lesen des Artikels begann. Was er da las, trug allerdings nicht dazu bei, die Glaubwürdigkeit des Artikels und der gesamten Zeitung zu erhöhen.
Killeralgen bedrohen unsere Insel
Wie ein hochrangiger Mitarbeiter der Insel-Universität der EILZEIT mitteilte, wurden rund um Isoland hochgiftige Algen entdeckt, deren Menge ständig zunimmt. Diese Algen enthalten die gefürchteten Cyanobakterien, die besonders bei Kindern und Hunden zum Tod führen können. Bei Erwachsenen verursachen sie meist Hautreizungen oder allergische Reaktionen. Besonders gefährlich ist das Verschlucken oder Einatmen der Bakterien.
Ebenfalls sehr riskant für Badende ist die zunehmende Menge an Vibrionen, die meist über Hautverletzungen oder offene Wunden in den Körper gelangen. Dort können sie schwere Wundinfektionen hervorrufen. Symptome wie Rötungen, Schwellungen und Blasenbildung auf der Haut, verbunden mit Fieber, Schüttelfrost, Erbrechen, Durchfall bis hin zum Schock sind typische Symptome einer Infektion mit Vibrionen.
Der Fachbereich Meeresbiologie rät deshalb vom Baden in der Ostsee ab. Stürmischer Wind kann die Ausbreitung der Erreger über die Wasseroberfläche hinaus bewirken, sodass selbst der Aufenthalt am Strand besonders für Kinder und Haustiere gefährlich ist.
Reinhardt legte die Zeitung wütend beiseite. Jetzt konnte er erst recht niemanden mehr verstehen, der für dieses Käseblatt Geld ausgab. Und außerdem, was erlaubte sich denn dieser Wissenschaftler eigentlich, so einen Blödsinn zu verbreiten? Algen hatte es schon immer gegeben und noch nie war jemand durch sie verletzt oder gar getötet worden. Von diesen Vibrionen hatte Reinhardt überhaupt noch nichts gehört. Die konnten nur eine reine Erfindung der Wissenschaftler oder der Journaille sein. Da waren wieder solche Wichtigtuer am Werk, die selbst keine Ahnung hatten, aber andere Leute belehren wollten. Das alles passte zu dieser Boulevardzeitung, die für ihre reißerischen Überschriften und unmäßigen Übertreibungen weithin bekannt war und auch zu diesen sogenannten Intellektuellen, die von den Steuergeldern der Isoländer lebten, aber sich einen Dreck um die Belange der Insel scherten.
Nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte, blätterte er weiter, bis er zum Horoskop kam. Wie er es nicht anders erwartet hatte, stand da für ihn nichts Gutes für diesen verhexten Tag.
Sie sollten heute weitreichende Entscheidungen nur nach gründlicher Überlegung treffen und kein Geld für unwichtige Dinge ausgeben.
Er konnte nur staunen, wie gut dieses Horoskop auf ihn zutraf. Der Verfasser musste ein wirklicher Könner seines Fachs sein. Für weitreichende Entscheidungen war heute wirklich nicht der richtige Tag und an Geldausgeben war ohnehin nicht zu denken – nicht einmal für wichtige Dinge.
Eigentlich war Reinhardt drauf und dran, seine gestohlene Zeitung in den nächsten Papierkorb zu werfen, aber dann fiel sein Blick auf die letzte Seite, von der ihn eine wunderschöne barbusige Frau anlächelte. In Ermangelung einer Freundin hoffte er, in der Zeitung weitere erotische Bilder oder entsprechende Artikel zu finden. Vielleicht gab es ja sogar auch Heiratsannoncen, auf die er antworten könnte. Er hätte nichts dagegen gehabt, eine reiche Frau kennenzulernen, die ihm aus seiner finanziellen Kalamität heraushelfen würde. Wenn sie dann auch noch sehr sexy aussah und ihn nicht nerven würde, wäre sein Glück vollkommen. Schließlich hatte er ja auch etwas zu bieten. Wenn er sagte, dass er Schriftsteller sei, beeindruckte das Frauen immer sehr. Dass er noch kein Buch veröffentlicht hatte, musste er ja nicht erwähnen, denn das war schließlich nicht seine Schuld, sondern die der Verlage.
Auf dem Weg nach Hause erinnerte ihn sein knurrender Magen eindringlich daran, dass er immer noch keinen Happen gegessen hatte und dass er auch keine Chance hatte, sich heute noch etwas Essbares zu kaufen. Deshalb beschloss er, für seine Ernährung einen alternativen Weg zu beschreiten. In den großen Supermärkten standen ja schließlich genügend Lebensmittel und Getränke herum. Zwar war er schon mehrmals beim Ladendiebstahl erwischt worden, aber diesmal hatte er einen besseren Plan. Wenn er sich etwas zum Essen und zum Trinken nahm und dies gleich im Laden verzehrte, so war das nach seiner Rechtsauffassung Mundraub, der nicht bestraft werden dürfe.
Kurz vor dem Supermarkt wäre er beinahe umgekehrt, denn abgesehen davon, dass heute Freitag, der 13. war und dass sein Spiegel zu Bruch gegangen war, lief ihm nun zu allem Überfluss auch noch eine schwarze Katze über den Weg.
Zum Ausgleich versuchte er im Stadtpark ein vierblätteriges Kleeblatt oder wenigstens einen Marienkäfer zu finden. Beides misslang ihm, denn es mangelte ihm an der nötigen Geduld, was in Anbetracht seines knurrenden Magens auch menschlich verständlich war.
Unter normalen Umständen hätte er spätestens jetzt von seinem Vorhaben abgelassen, denn es konnte eigentlich nur misslingen, aber der inzwischen unmäßige Hunger sorgte dafür, dass er seine Bedenken verwarf und seinen Plan trotz aller schlechten Vorzeichen unverzüglich in die Tat umsetzte.
Beim Supermarkt angekommen, verzichtete er auf einen Einkaufswagen, denn er wollte sich schließlich nur im Geschäft satt essen. Dafür brauchte er keinen Wagen, für dessen Entsperrung ihm ohnehin die notwendige Münze fehlte. Zu seinem maßlosen Entsetzen waren ausgerechnet in diesem Moment Handwerker damit beschäftigt, über dem Eingang eine neue Leuchtreklame anzubringen. Dazu hatten sie eine Leiter aufgestellt, unter der die Kunden hindurchgehen mussten, um in den Laden zu gelangen. Reinhardt war verzweifelt, denn das war der nächste Unglücksbringer. Wäre er nicht schon so gut wie verhungert gewesen, er wäre niemals unter einer Leiter hindurchgegangen. Heute aber warf er alle Vorsicht über den Haufen und handelte im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Bauch heraus.
Drinnen nahm er zufrieden zur Kenntnis, dass der Laden fast leer war. So konnte er davon ausgehen, dass er bei seiner Nahrungsaufnahme nicht gestört werden würde.
Um die Abteilung mit den alkoholischen Getränken machte er einen großen Bogen, denn davon hatte er erst einmal genug. Vielmehr schnappte er sich eine mittelgroße Flasche Cola, die er sofort öffnete und gierig zur Hälfte leerte, bis sein Magen von der Kohlensäure zu platzen drohte. Auf diese Weise hoffte er auf die Schnelle sein Koffeindefizit auszugleichen. In der Backwarenabteilung holte er sich eins von den zähen Brötchen, dann ging er weiter zum Kühlregal, dem er ein Päckchen Bierschinken entnahm.
Zwischen Tierfutter und Toilettenpapier fand er ein ruhiges und wie er meinte unbeobachtetes Plätzchen. Dort setzte er sich auf einen Stapel Hundefutterdosen und riss zuerst die Wurstverpackung auf. Dann steckte er sich genüsslich zwei Scheiben Bierschinken auf einmal in den Mund. Ah, das tat gut! Nun biss er ein Stück vom Brötchen ab und kaute das Ganze hastig herunter. Endlich hatte sein Magen etwas zu tun. Er bereute zwar, sein Pendel nicht dabei zu haben, das er gewöhnlich verwendete, um die Verträglichkeit der Nahrungsmittel zu testen, aber dies war ein Notfall, da musste es ausnahmsweise auch mal ohne gehen.
Um es richtig gemütlich zu haben, schlug er die mitgebrachte Zeitung auf und begann darin zu lesen.
Kaum hatte er damit begonnen, waren die nächsten zwei Wurstscheiben in seinem Mund verschwunden und sein zweiter Biss vom Brötchen stand bevor, da kam ein Angestellter des Supermarktes um die Ecke und stürzte sich sofort auf Reinhardt, dem vor Schreck lautstark die Kohlensäure aus dem Magen entwich. Zu seinem großen Ärger wurde ihm sofort das Diebesgut weggenommen, bevor er in das Büro des Marktleiters abgeführt wurde. Er hätte gerne noch weitergegessen.
Der Versuch, sich auf Mundraub zu berufen, scheiterte kläglich. Reinhardt musste zur Kenntnis nehmen, dass seine diesbezüglichen Informationen falsch waren, denn aus juristischer Sicht gab es keinen Mundraub. Was er getan hatte, war ganz schnöder Ladendiebstahl, der entsprechend geahndet würde. Zu allem Überfluss und völlig zu Unrecht legte man ihm auch noch zur Last, die EILZEIT ebenfalls in diesem Supermarkt gestohlen zu haben. Natürlich konnte er nicht zu seiner Verteidigung anführen, dass er sie woanders geklaut hatte. So kam die auch noch auf sein Schuldkonto beim Supermarkt.
Da er weder die Ware noch die obligatorische Bearbeitungsgebühr bezahlen konnte, aber stattdessen herumpöbelte und randalierte, wurde kurzerhand die Polizei gerufen.
Bevor Reinhardt von den beiden Polizeibeamten abgeführt wurde, erteilte ihm der Marktleiter ein Hausverbot für diesen Supermarkt, was der Delinquent mit weiteren unqualifizierten Äußerungen quittierte.
„Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich diesen Saftladen jemals wieder betreten werde. Ihre Brötchen sind zäh wie Leder, der Bierschinken ist vergammelt und die Cola ist warm, davon wird einem ja schlecht. Außerdem ist Ihr Umgang mit der Kundschaft unter aller Sau!“
Auf dem Polizeirevier wurden Reinhardts Personalien aufgenommen, dann durfte er gehen. Allerdings wurde ihm mitgeteilt, dass die Anzeige des Supermarktes an die Staatsanwaltschaft geleitet werden würde und er mit weiteren Konsequenzen zu rechnen hätte. Ausschlaggebend war, dass er heute nicht zum ersten Mal auf frischer Tat beim Ladendiebstahl ertappt worden war.
***
Am Ende eines kurzen Verfahrens bekam Reinhardt Düstermann einen Strafbefehl. Da er jedoch nicht die finanziellen Mittel hatte, um diese Strafe sowie die aufgeführten Gebühren zu bezahlen, blieb ihm nichts anderes übrig, als ersatzweise ins Gefängnis zu gehen. Weil er sich jedoch die ganze Zeit schon mehr schlecht als recht mit Betteln über Wasser gehalten hatte, schien ihm eine Haftstrafe nicht das Schlimmste zu sein. Im Gefängnis gab es wenigstens regelmäßiges Essen und Trinken.
Kapitel 3
Zu Alberts Verwunderung tat sich lange gar nichts, nachdem der Zeitungsartikel erschienen war. Er vermutete zwar, dass die EILZEIT