Die Bessserwisser auf der Flucht - Wilfried Hildebrandt - E-Book

Die Bessserwisser auf der Flucht E-Book

Wilfried Hildebrandt

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Beschreibung

Dieses Buch ist die Fortsetzung des Romans "Die Besserwisser von Isoland", in dem erzählt wird, wie die uneinsichtigen selbsternannten Besserwisser mit Reinhardt Düstermann und Simone Bannert an der Spitze durch ihren gewalttätigen Protest ihre Heimat vernichten. Im Buch "Die Besserwisser auf der Flucht" vergleicht der Autor die Erlebnisse und Erfahrungen von Simone und Reinhardt mit denen der Familie Salomon. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie noch rechtzeitig von der radioaktiv verseuchten Insel Isoland flüchten konnten und über Deutschland nach Ubequitanien kamen, wo sie als Asylbewerber aufgenommen wurden. Damit enden jedoch die Gemeinsamkeiten. Familie Salomon versucht in der neuen Heimat alle Gesetze zu befolgen. Der Familienvater Albert Salomon gerät dabei jedoch ständig in Streit mit einem Bürokraten, der sinnlose Vorschriften herzlos und stur anwendet. Albert Salomon war in Isoland Professor und Leiter des Instituts für Meeresbiologie, findet aber in Ubequitanien lange keine Arbeit, weil seine Zeugnisse nicht anerkannt werden. Außerdem erleben Salomons Rassismus, unter dem besonders Alberts schwarze Ehefrau leidet. Die Besserwisser Reinhardt Düstermann und Simone Bannert entscheiden sich hingegen für eine kriminelle Karriere, bei der ihnen das legendäre Verbrecherduo Bonnie & Clyde als Vorbild dient. Eine wichtige Rolle im Buch spielt auch der Polizeipräsident Ägidius von Hohenwald, der sich unsterblich in Simone verliebt, was ihm schließlich zum Verhängnis wird. Am Ende sind Simone und Reinhardt weiter auf der Flucht und verlassen Ubequitanien wieder, während es für Familie Salomon eine erfreuliche Entwicklung in ihrer neuen Heimat gibt.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 339

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Unehrlich geht meist schneller.

Wilfried Hildebrandt

Die Besserwisser auf der Flucht

Von Gangstern, Bürokraten und Opfern

Roman

© 2024Wilfried Hildebrandt

Umschlag: Edith Hein, neuro-flash, Bing image creator und Comica

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland

ISBN

Paperback978-3-384-17302-7

Hardcover978-3-384-17303-4

e-Book978-3-384-17304-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Die Handlung dieses Romans sowie die darin vorkommenden Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit Lebenden oder Toten wären rein zufällig. Die Staaten Isoland und Ubequitanien gibt es nicht und hat es nie gegeben.

Wegen der besseren Lesbarkeit wurde auf das Gendern verzichtet.

Lob und Kritik bitte unter:

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Prolog

Auch wer das Buch „Die Besserwisser von Isoland“ gelesen hat, sollte dieses Kapitel lesen, denn es enthält nicht nur Bekanntes, sondern auch Neues und vielleicht frischt es auch das Wissen über die Vorgeschichte ein wenig auf.

Professor Albert Salomon – Ehemann von Malaika und Vater von verschiedenfarbigen Zwillingen – war Leiter des Fachbereichs Meeresbiologie an der Universität von Isoland. In einer schwachen Stunde ließ er sich mit der besonders hübschen Studentin Simone Bannert ein. Als er sie loswerden wollte, kam es zum Streit zwischen beiden. Sie gab nicht auf, sondern traktierte Albert immer wieder mit eindeutigen Angeboten. Als das alles nichts half, schikanierte sie ihn fortan mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln.

Zufällig lernte Simone den abergläubischen erfolglosen Schriftsteller Reinhardt Düstermann kennen.

Als Professor Salomon bei seiner Arbeit eine erhöhte Belastung des die Insel umgebenden Ostseewassers mit Blaualgen und Vibrionen feststellte, kämpfte er aus Sicherheitsgründen bei der Regierung von Isoland für ein Ostsee-Badeverbot. Diese Einschränkung der Freiheit riefen nun Reinhardt und seine Freundin Simone auf den Plan. Sie gründeten die Widerstandsgruppe Besserwisser, um gegen die – wie sie meinten – Diktatur zu kämpfen.

Die Situation eskalierte und führte zu einem Bürgerkrieg. Die Lage wurde dramatisch und endete damit, dass das Kernkraftwerk außer Kontrolle geriet und die gesamte kleine Insel radioaktiv verseuchte.

Albert Salomon gelang zusammen mit seiner Frau Malaika und den beiden Söhnen in einem Segelboot die Flucht. Nach vielen Tagen des Umherirrens auf der Ostsee wurden sie von einem Kreuzfahrtschiff aufgenommen und betraten in Hamburg als Flüchtlinge deutschen Boden.

Bei der Registrierung in der Ausländerbehörde in Hamburg trafen sie zufällig auf Reinhardt und Simone, denen die Flucht offensichtlich auch gelungen war. Dabei wurde Albert Salomon von Reinhardt beschuldigt, die Insel zerstört zu haben und Simone beschuldigte ihn der Vergewaltigung.

Isoland gehörte ursprünglich zu Ubequitanien, dessen Amtssprache ebenfalls Deutsch ist und von dem es sich 1980 lossagte, um ein unabhängiges Land zu werden. Wohl aus diesem Grund schoben die deutschen Behörden die Flüchtlinge aus Isoland kurzerhand nach Ubequitanien ab.

Auf diese Weise landeten sowohl Professor Albert Salomon mit seiner Familie, als auch die Besserwisser Simone Bannert und Reinhardt Düstermann zusammen mit unzähligen Isoländern in Metropolis, der Hauptstadt von Ubequitanien.

Kapitel 1

„Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse“, waren die Worte, die bei Albert Salomon einen riesigen Stein vom Herzen fallen ließen. Seine Frau Malaika, die auf einem Zuschauerplatz saß, begann laut zu weinen.

Der Richter führte in seiner Urteilsbegründung aus, dass Frau Simone Bannerts Anschuldigung, Herr Albert Salomon hätte sie vergewaltigt, nicht glaubwürdig sei. Insbesondere sprächen die von der Klägerin an den Angeklagten gerichteten und sich noch in dessen Besitz befindlichen Briefe einschließlich des Nacktfotos der Klägerin dafür, dass sie, wenn überhaupt, einvernehmlichen Sex mit Herrn Professor Salomon gehabt hätte. Weiterhin entlastend für den Beschuldigten sei, dass die Klägerin trotz wiederholter Aufforderungen nicht als Zeugin zu dem Prozess erschienen war.

Draußen, vor dem Gerichtssaal fielen sich die Eheleute Salomon um den Hals. Das Damoklesschwert der Verurteilung und möglichen Inhaftierung Alberts schwebte nun glücklicherweise nicht mehr über ihnen. Damit waren zwar noch lange nicht alle ihre Probleme gelöst, aber das allergrößte lag jetzt wenigstens hinter ihnen.

Zum Glück war wegen des Vorwurfs, den Reinhardt Düstermann gegen Albert erhoben hatte, überhaupt nicht ermittelt worden. Es galt als erwiesen, dass Professor Salomon nicht sein Heimatland zerstört hatte, sondern lediglich vor der Gefahr von Cyanobakterien oder sogenannten Blaualgen und Vibrionen gewarnt hatte. Die Unbewohnbarkeit von Isoland war durch den außer Kontrolle geratenen Kernreaktor herbeigeführt worden. Dafür konnte man allenfalls die Besserwisser beschuldigen, die durch ihren unsinnigen Aufruhr ein Chaos auf Isoland erzeugt hatten.

„Lass uns die Kinder abholen und mit ihnen deinen Freispruch feiern“, schlug Malaika vor. Albert war sofort einverstanden. Er wollte alles tun, um die Familie zusammenzuhalten und seinen Fehltritt möglichst bald bedeutungslos werden zu lassen. Zwar hatte Malaika ihm seinen Seitensprung mit Simone Bannert verziehen, sein schlechtes Gewissen plagte ihn jedoch immer noch.

Auf keinen Fall wollten sie die Kinder merken lassen, in welcher misslichen Lage sie gerade waren. Ihnen war das Arbeiten verboten, solange sie nicht als Flüchtlinge anerkannt waren und das Asylverfahren schien sich unendlich in die Länge zu ziehen. Sie lebten seit ihrer Abschiebung nach Metropolis zu viert in einem winzig kleinen Zimmer einer Flüchtlingsunterkunft. War die Enge schon schlimm genug, so kamen ständig Störungen durch die anderen Geflüchteten hinzu. Meist war es die ganze Nacht über laut und man hörte, wie sich Männer prügelten, während Frauen und Kinder schrien. Das alles blieb natürlich nicht ohne Folgen auf Salomons und ihre Zwillinge. Die Kinder schliefen abends nicht ein und weinten viel, sodass die Eltern meinten, eine Abwechslung würde ihnen allen sicher guttun.

Zum Glück gab es in Metropolis viele Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. Zum Beispiel befand sich in der Nähe des Flüchtlingsheims ein Stadtpark mit einem See. Dahin gingen sie, nachdem sie die Kinder abgeholt hatten. Während der Prozesstage war eine andere Geflüchtete so freundlich gewesen, auf die Kleinen aufzupassen.

Zuerst gab es für die Jungen je ein großes Eis und für die Eltern Kaffee, dann ging Albert zum Bootsverleih, um zu erkunden, ob ein Boot frei wäre und was es kostet. Schnell wurde man sich einig und Albert holte seine Familie. Als der Bootsverleiher die Hautfarbe der einen Hälfte der Familie Salomon sah, konnte er seinen Ärger kaum verbergen. Er hatte nie die Ansicht gehabt, seine Boote an Ausländer und noch dazu an schwarze zu vermieten. Da es aber Spätherbst und mitten in der Woche war und sonst niemand an seinen Booten interessiert war, machte er gute Miene zum für ihn bösen Spiel und zügelte seinen Rassismus.

Alle vier Salomons stiegen in ein Tretboot und fuhren damit auf den See hinaus. Die Jungen hatten viel Spaß und die Eltern genossen die Stille auf dem See, die Herbstsonne und die frische Luft sehr.

Nach einer Stunde mussten sie das Tretboot wieder abgeben und die Kinder weinten. Sie hätten wohl noch ewig weiter auf dem See bleiben wollen. Der Mann vom Bootsverleih konnte gar nicht genug auf die Zwillinge schauen, von denen einer weiße und der andere schwarze Hautfarbe hatte. Malaika und Albert kannten diese Reaktion schon zur Genüge, denn überall, wo sie mit ihren zweifarbigen Zwillingen auftauchten, schauten die Menschen ungläubig auf sie. Daran änderte sich auch nichts, wenn sie sahen, dass die Eltern verschiedene Hautfarben hatten. Alle Welt erwartete offenbar, dass sich Zwillinge auf jeden Fall für eine gemeinsame Hautfarbe entscheiden müssten.

Mit einem erneuten Eis gelang es den Eltern die Kinder wieder friedlich zu stimmen. Dann umrundeten sie den kleinen See, um schließlich wieder in ihr Wohnheim zurückzukehren.

Dort erwartete sie der übliche Trubel. Albert und Malaika wollten noch so lange vor der Tür auf einer Bank sitzenbleiben, bis es zu kalt und zu dunkel für die Kinder wurde, um auf dem kleinen Spielplatz zu toben.

Bevor die Sonne unterging, wurden jedoch die beiden Jungen schon müde und begannen sich zu streiten. Sie kamen alle paar Minuten zu Mama und Papa, um sich über den jeweils anderen zu beschweren. Den Eltern blieb letztlich gar nichts anderes übrig, als mit den Kindern in ihre Unterkunft zu gehen, wohl wissend, dass sie dort kaum die ersehnte Ruhe finden würden.

Sie hatten sich nicht geirrt, denn kaum lagen die Söhne im Bett, begann draußen wieder ein ohrenbetäubender Lärm. Anscheinend prügelten sich wieder Vertreter der verschiedenen Ethnien miteinander. Albert und Malaika konnten nur ihre Köpfe schütteln, denn aus Erfahrung wussten sie, dass es meist um nur Lappalien ging, woraus dann eine handfeste Auseinandersetzung wurde. Schon mehrmals war die Polizei gekommen und auch Rettungssanitäter und Notärzte waren Dauergäste im Asylbewerberheim.

Albert dachte mit Wehmut an sein schönes Haus mit Garten zurück, das er mit seiner Familie fluchtartig verlassen hatte. Wie würde es jetzt dort aussehen? Wahrscheinlich war es gar nicht zerstört worden, sondern nur radioaktiv verstrahlt wie die gesamte Insel, auf der sie gelebt hatten.

An seine Eltern wagte er gar nicht zu denken. Er hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um herauszufinden, ob sie es vielleicht doch noch irgendwie ermöglicht hatten, Isoland rechtzeitig zu verlassen. Als die nukleare Katastrophe weltweit bekannt geworden war, hatten mehrere Nationen Schiffe geschickt, um die Menschen von Isoland zu retten. So war es theoretisch durchaus möglich, dass auch Vater und Mutter Salomon ein sicheres Land erreicht hatten. Leider war Alberts Suche bisher vergebens und daher rechnete er mit dem Schlimmsten. Ob er es sich eingestehen wollte oder nicht, er musste der Tatsache ins Auge sehen, dass seine Eltern höchstwahrscheinlich nicht mehr am Leben waren.

Diese düsteren Gedanken und der Lärm im Wohnheim machten es Albert fast unmöglich zu schlafen. Auch Malaika fand keine Ruhe und starrte an die Decke, wenn sie nicht besorgt zu den Kindern schaute, um zu sehen, ob sie zugedeckt waren. Alberts dunkelhäutige Ehefrau durchlebte ein regelrechtes Déjà-vu. Das alles hatte sie schon einmal durchgemacht, als sie mit ihren Eltern aus Afrika über das Mittelmeer geflüchtet war. Anders als bei ihrer Flucht von Isoland, bei der sie alle vier in letzter Minute gerettet worden waren, hatten es damals ihre Eltern nicht geschafft, sondern waren vor Malaikas Augen ins Meer gespült worden und ertrunken. Danach hatte Malaika eine schier endlose Odyssee durch halb Europa erlebt, an deren Ende sie auf Isoland angekommen war. Dort hatte sie Albert kennengelernt, ihn geheiratet und bald darauf die Zwillinge bekommen. Ihr Leben war so schön gewesen und hätte für immer so bleiben können, wenn es nach ihr gegangen wäre. Aber es war nicht nach ihr gegangen, sondern die von ihrem Mann entdeckten mutierten Cyanobakterien und die als Reaktion auf das Badeverbot in der Folge entstandenen Besserwisser hatten Familie Salomon einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht. Immer noch konnte sie es nicht fassen, dass diese Gruppe von selbst ernannten Freiheitskämpfern mit ihrer militanten Uneinsichtigkeit aus nichtigem Grund eine solche Katastrophe herbeigeführt hatte. Dabei hatten die Aufrührer nicht nur ihre Insel und somit ihr Heimatland unbewohnbar gemacht, sondern auch das Leben vieler Menschen vernichtet.

Als Ironie der Geschichte betrachtete Malaika die Tatsache, dass ausgerechnet die beiden Anführer der Besserwisser und Widersacher von Albert es geschafft hatten, wohlbehalten nach Deutschland zu kommen. Wahrscheinlich waren sie in einem großen Schiff mit Verpflegung und psychologischer Betreuung nach Hamburg gebracht worden, während Familie Salomon auf einer Nussschale um ihr Leben gekämpft hatte.

Gegen Mitternacht wurde es draußen etwas ruhiger und die Kinder fanden in den Schlaf, sodass Malaika und Albert ebenfalls einschlafen konnten. Die Gedanken an die verlorene Heimat begleitete beide unabhängig voneinander jedoch während der gesamten Einschlafphase.

***

Am nächsten Morgen musste Familie Salomon früh aufstehen, denn sie hatte einen Termin beim Amt für Flüchtlinge – kurz AfF. Im Normalfall hätte sich Albert für ein derartiges Ereignis geduscht, rasiert und gut gekleidet. Auch Malaika wäre nicht in dem Aufzug dort hingegangen, in dem sie jeden Tag in der Unterkunft herumlief. Das ging allerdings nicht, denn sie hatten keine andere Kleidung und es gab nur eine Dusche für etwa 100 Menschen, die immer besetzt oder defekt war, wenn man sie benutzen wollte. Man musste schon froh sein, wenn man rechtzeitig auf eine der beiden Toiletten kam. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als mithilfe großer Mengen von Deospray ihren selbst nicht mehr wahrgenommenen schlechten Körpergeruch zu übertünchen.

Aufgeregt verließ die Familie das Heim, um zuerst mit der Straßenbahn, dann mit der Stadtbahn und zum Schluss mit dem Bus zum AfF zu fahren, welches sich an der entgegengesetzten Seite der großen Stadt befand. Albert fragte sich, wie Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren, den Weg dorthin finden sollten.

Für die Kinder war die Fahrt mit den verschiedenen Verkehrsmitteln ein großes Abenteuer und hätte nach ihrem Empfinden ewig dauern können, während ihre Eltern der Anhörung mit gemischten Gefühlen entgegensahen. Sie hatten keine Ahnung, was da auf sie zukommen würde, waren aber seit ihrer ersten Berührung mit der ubequitanischen Asylbehörde noch sehr verunsichert. Schon an der Pforte des Amtes hatte man sie sehr unfreundlich empfangen und erst nach einer langen Wartezeit in das Haus geholt. Dort hatte man ihre Fingerabdrücke genommen, sie ausgemessen und fotografiert wie Verbrecher. Zwar waren die Mitarbeiterinnen, mit denen sie es zu tun hatten, höflich und korrekt gewesen, aber eine gewisse Abneigung hatte besonders Malaika bei einigen gespürt. Lediglich eine rundliche Angestellte war sehr lieb zu den Kindern und besonders freundlich zu Albert und Malaika gewesen. Man hatte ihr angesehen, dass sie mit den Flüchtlingen fühlte und versuchte, ihnen eine kleine Freude zu machen. So waren die Jungen nicht nur mit Bonbons verwöhnt, sondern auch jeder mit einem kleinen Spielzeug beschenkt worden.

Als sie nun zum zweiten Mal vor dem erstaunlich kleinen Verwaltungsgebäude angekommen waren, atmeten die Eltern noch einmal tief durch, dann betraten sie das Haus. Am Eingang wurden sie wieder von dem unrasierten, schlechtgelaunten kleinen Mann in Uniform empfangen, dem sie ihre Einladung zeigten. Als er den Mund öffnete, sahen sie erneut, dass sein Gebiss nur aus wenigen einzeln stehenden braunen Zahnstümpfen bestand. Nur mühsam verstanden sie auch dieses Mal seine knappen unfreundlichen Anweisungen, obwohl er sie viel zu laut im Befehlston von sich gab.

„Im Warteraum gehen, hinsetzen und warten!“

Am liebsten hätte Albert den Pförtner verbessert und erläutert, dass es heißen musste „In den Warteraum gehen ...“, sah aber ein, dass es keinen Zweck haben würde, sondern ihnen höchstens Ärger einbringen könnte.

Wortlos folgten sie der Aufforderung, indem sie sich in dem bereits gut gefüllten Warteraum niederließen. Das Atmen in diesem Raum kostete große Überwindung, denn es stank darin ganz schrecklich. Zwar waren auch Salomons sich dessen bewusst, dass sie schon einige Tage ungeduscht waren, hatten aber die Hoffnung, dass sie selbst nicht einen ebensolchen schlechten Geruch verbreiteten wie ihre hier anwesenden Leidensgenossen.

Die Kinder schienen von der Anspannung ihrer Eltern und der schlechten Luft nichts zu bemerken, denn sie fanden schnell andere Kinder, mit denen sie spielen konnten, obwohl sie deren Sprache nicht verstanden.

Gerade hatten sich Malaika und Albert an den Gestank gewöhnt, da erschien eine Mitarbeiterin des Amtes und bat sie, ihr zu folgen. Sie wurden zu einem Raum im zweiten Stock geführt, in dem sie sich auf den Besucherstühlen niederlassen sollten, dann schloss die Angestellte die Tür und setzte sich ihnen gegenüber an den Schreibtisch.

Zuerst stellte sie sich als Sachbearbeiterin der Behörde vor, die über den Asylantrag entscheiden würde, danach erläuterte sie den Ablauf der Anhörung und fragte, ob ein Dolmetscher gebraucht würde. Da jedoch sowohl Albert als auch Malaika erstaunt den Kopf schüttelten, kam sie zur Sache. Sie überprüfte sicherheitshalber, ob alle Namen und Daten der Familie korrekt in das System eingetragen waren, dann begann sie mit der Befragung.

Zu Beginn wollte sie wissen, warum Familie Salomon Asyl in Ubequitanien begehre und vor allem was ihre Flucht ausgelöst hätte. Albert dachte, voraussetzen zu können, dass alle Ubequitanier schon gut über die Katastrophe in Isoland informiert wären, aber sie schien davon noch nichts gehört zu haben. Deshalb musste er ihr haarklein die Vorfälle in Salomons früherer Heimat schildern. Allerdings hatte er den Verdacht, dass sie sehr genau darüber Bescheid wusste, den Sachverhalt aber von ihm noch einmal bestätigt haben wollte. Das fand er zwar albern, aber er machte das Spiel mit, denn schließlich wollte er das Verfahren nicht behindern. Mit zunehmender Dauer der Anhörung machten ihm jedoch die Kinder Sorgen, die in ihrem Forscherdrang alle Schranktüren und Schubläden zu öffnen versuchten. Malaika saß wie auf Kohlen, denn sie musste ständig eingreifen, damit weder den Kindern noch der Büroausstattung etwas zustieß.

Die Sachbearbeiterin versuchte nun, Alberts und Malaikas Aussagen mithilfe eines Diktiersystems in den Computer zu speichern, was ihr jedoch mehrmals hintereinander misslang. Deshalb schimpfte sie über diese verdammte moderne Technik, die angeblich nie funktioniere und wünschte sich die gute alte Zeit zurück, in denen es noch Kassettengeräte zur Aufnahme sowie Sekretärinnen mit Schreibmaschinen gegeben hatte, um diese Diktate zu Papier zu bringen.

Albert kannte diese Art von Hilflosigkeit beim Umgang mit Computern aus seiner Zeit als Professor am Institut für Meeresforschung in Isoland. Nur allzu oft hatte er seiner Sekretärin bei der Wiederherstellung von Dateien helfen müssen, wenn sie etwas unbeabsichtigt gelöscht oder ein schreckliches Chaos auf dem Bildschirm angerichtet hatte. Deshalb war er jetzt auch kurz davor, seinen Platz auf dem Besucherstuhl zu verlassen und den Schreibtisch zu umrunden, um der Sachbearbeiterin zu helfen. Lediglich der strenge, warnende Blick Malaikas hielt ihn davon ab.

Nachdem sie die Technik-Probleme auch mit etlichen Versuchen nicht in den Griff bekommen hatte, rief die Mitarbeiterin schließlich jemanden an, der auch kurze Zeit später an ihre Tür klopfte und eintraf. Dem klagte sie ihr Leid und während sie sprach, klickte er mit der Maus ein paar Mal irgendwohin und schon hatte er das Problem gelöst. Albert konnte sich das Lachen kaum verkneifen, als er erkannte, dass die Schwierigkeiten mit Computern nicht auf seine Sekretärin in Isoland beschränkt waren. Schnell wurde er wieder ernst, denn der Gedanke an sie und seine damalige Wirkungsstätte machte ihn traurig. Er fragte sich, wie es der Sekretärin wohl ergangen war und ob sie noch lebte, es vielleicht sogar noch rechtzeitig vor der Katastrophe von der Insel geschafft hatte.

Als der zu Hilfe gerufene Computer-Experte den Raum verlassen hatte, ging die Anhörung weiter, war aber nach weiteren endlosen Fragen und Nachfragen dann doch irgendwann vorbei. Abschließend fragte die Beamtin, ob die Eheleute noch Fragen hätten, wobei sie Malaika anblickte und in deren Richtung besonders laut sprach. Während Malaika nur den Kopf schüttelte, wollte Albert wissen, wann sie mit einem Bescheid zu ihrem Asylantrag rechnen dürfen. Da blieb die Sachbearbeiterin jedoch vage. Dazu könne sie leider derzeit noch gar nichts sagen, denn es fehle das Personal, um die vielen Anträge vor allem der isoländischen Geflüchteten kurzfristig zu bearbeiten.

Ob er sich wenigstens um Arbeit bemühen dürfe und ob sie die Erlaubnis hätten, die Unterkunft zu wechseln, wollte Albert schließlich noch wissen. Beides verneinte die Mitarbeiterin vehement. Ein Wechsel des Wohnsitzes würde eine sofortige Beendigung des Asylverfahrens bedeuten und ihre Abschiebung nach sich ziehen und ebenso wäre jegliche Arbeitsaufnahme eine illegale Handlung, die bestraft werden würde. Außerdem fände sich kein seriöser ubequitanischer Unternehmer, der einen nicht anerkannten Flüchtling einstellen würde, fügte sie mit dem Brustton der Überzeugung hinzu.

Albert war über diese Antworten zutiefst enttäuscht, fragte sich allerdings im Stillen, wohin sie im Falle eines Verstoßes eigentlich abgeschoben werden sollten – etwa zurück auf ihre verstrahlte Insel? Die Sachbearbeiterin schien die Realität trotz allem nicht anerkennen zu wollen.

Dennoch verabschiedete er sich höflich von ihr und auch Malaika nickte ihr freundlich zu.

Draußen mussten sie erst einmal tief durchatmen. So kompliziert hatten sie sich ihre Aufnahme in Ubequitanien nicht vorgestellt. Es war doch klar, dass sie geflüchtet waren, weil sie in ihrer Heimat keine Lebensgrundlage mehr hatten, denn die Insel war durch die Explosion des Kernkraftwerkes unbewohnbar geworden. Natürlich hätten sie auch in ein anderes Land flüchten können, aber die Flucht mit ihrem Segelboot hatte sie nun einmal an Bord eines Kreuzfahrtschiffes gebracht, das als nächsten Hafen Hamburg angelaufen hatte. Dass sie dann nach Ubequitanien weitergeleitet worden waren, war schließlich nicht ihre Schuld. Zwar konnten sie nicht verhehlen, dass ihnen dieser Umstand zupass kam, weil hier die Landessprache ebenfalls Deutsch war, aber daraus konnte man ihnen schließlich keinen Vorwurf machen.

Damals, in ihrem Paradies namens Isoland, hatten sie oft im Fernsehen Berichte über die sprichwörtliche Genauigkeit der Ubequitanier gesehen und herzlich darüber gelacht. Jetzt waren sie plötzlich gezwungen, sich mit dieser auseinanderzusetzen. Das Schlimmste an allem war, dass man nicht wusste, wie die spätere Entscheidung des Amtes ausfallen würde. Die Angestellten waren zwar durchweg höflich und freundlich, aber am Ende könnte man dann doch eine Absage bekommen.

Er wurde in seinen Gedanken unterbrochen, denn die Kinder hatten lange genug stillgehalten. Sie mussten sich jetzt unbedingt ein wenig austoben. Aus diesem Grund steuerten sie einen nahegelegenen Spielplatz an, um den Kindern die Möglichkeit zur Bewegung und den Erwachsenen eine Gelegenheit zum miteinander Sprechen zu geben.

Die Eltern hatten gerade auf einer Bank Platz genommen, während die Kinder ein als Segelschiff gestaltetes Klettergerüst erklommen, da kam eine Gruppe junger Männer auf den Spielplatz. Sie waren laut, hatten Bierflaschen in den Händen und rauchten. Albert ahnte nichts Gutes und wollte deshalb die Kinder vom Klettergerüst holen, da bildeten die Jugendlichen einen Halbkreis um die Bank, auf der Malaika und Albert saßen. Als ob das nicht schon bedrohlich genug gewesen wäre, fingen die Burschen an, sich laut zu unterhalten.

„Nu schaut euch doch mal dieses Pärchen hier an!“

„Der Kerl weiß wohl nich, dass ein Ubequitanier es nich mit ne Negerin treiben tun derf!“

Albert meinte, das so nicht stehen lassen zu können. Deshalb widersprach er den jungen Männern energisch.

„Meine Herren, abgesehen von Ihrem falschen Deutsch und der Tatsache, dass ich gar kein Ubequitanier bin, dürfte es sich auch bis in ihre Kreise herumgesprochen haben, dass der Begriff Neger heute gemeinhin als Schimpfwort gilt und deshalb nicht mehr verwendet werden sollte.“

Die Burschen waren einen Moment lang baff und starrten ihn verblüfft an, bis sie wenigstens sinngemäß begriffen, was Albert ihnen gesagt hatte. Der Erste, der seine Sprache wiederfand, schrie: „Ey Alter, was laberst du denn hier rum? Bist du blöd oder was? Dir stehn wohl die Zähne zu eng, was?“

Albert ließ sich nicht beirren.

„Ich wüsste nicht, dass ich mit einem von Ihnen jemals Brüderschaft getrunken hätte. Also befleißigen Sie sich bitte gefälligst der Anrede, wie sie zwischen Erwachsenen üblich ist und siezen Sie mich.“

Damit schien bei den Jugendlichen jetzt aber eine rote Linie überschritten worden zu sein. Der Angesprochene kam auf Albert zu, zerrte ihn hoch und schubste ihn gegen einen der anderen Jugendlichen. Der tat so, als hätte Albert ihn absichtlich angerempelt und schubste seinen vermeintlichen Angreifer unter lauten Drohungen weiter. So flog Albert nun hin und her und war mehrmals kurz davor auf den Boden zu stürzen. Aus den Augenwinkeln sah er, dass es Malaika nicht besser erging. Ihre Kinder, die das mitansehen mussten, fingen sofort an zu weinen.

Albert versuchte, sich mithilfe seiner Arme etwas Luft zu verschaffen und die Angreifer auf Distanz zu halten, aber dazu waren es einfach zu viele. Von den Vorübergehenden kam keine Hilfe, vielmehr beschleunigten sie ihre Schritte, eilten am Ort des Geschehens vorbei und taten so, als würden sie nichts bemerken. Niemand gebot den Rowdys Einhalt.

Wahrscheinlich hätte das Ganze ein tragisches Ende gefunden, wenn sich nicht zufällig zwei Polizisten genähert hätten. Sofort flüchteten die Jugendlichen und zurück blieb nur die mehr oder weniger traumatisierte Familie Salomon.

Anstatt jedoch die Täter zu verfolgen, kontrollierten die Polizeibeamten erst einmal äußerst gründlich die Aufenthaltserlaubnisse der Opfer. Als das geschehen war, fragte einer der Beamten auf Englisch, was denn eben vorgefallen sei. Er war sehr erstaunt, als Albert und Malaika in einwandfreiem Deutsch den Hergang der Tat schildern konnten. Misstrauisch kontrollierte daraufhin der andere Polizist die Dokumente der Salomons noch einmal. Offenbar konnte er das exotische Aussehen von Malaika verbunden mit dem Flüchtlingsstatus beider nicht mit der perfekten Beherrschung der deutschen Sprache in Einklang bringen.

Während Albert nicht nur die Söhne, sondern auch seine Frau trösten musste, setzten die Polizisten seelenruhig ihren Rundgang durch die Grünanlage fort. An einer Verfolgung der Täter oder wenigstens der Aufnahme einer Anzeige waren sie nicht im Entferntesten interessiert.

Albert war enttäuscht. So hatte er sich die ubequitanische Gesellschaft nicht vorgestellt. Er hatte geglaubt, dass es in diesem Land keinen Rassismus gäbe, aber wie er jetzt sah, hatte er sich geirrt. Zwar hoffte er noch, dass das soeben Erlebte eine Ausnahme war, fürchtete aber, dass dies nicht die letzte Begegnung mit Rassisten gewesen sei. Als besonders schlimm empfand er die Gleichgültigkeit der Menschen, die vorübergegangen waren. Sie hätten doch erkennen müssen, dass da eine Familie Hilfe gebraucht hätte.

Die Kinder konnten mittels eines großen Eisbechers, der allerdings ein tiefes Loch in die spärliche Haushaltskasse der Salomons riss, getröstet werden. Den Eltern steckte ihre Erschütterung noch lange in den Knochen.

So war es auch kein Wunder, dass Albert und Malaika an diesem Abend und in der Nacht noch weniger Schlaf fanden als gewöhnlich. Sie grübelten und hin und wieder sprachen sie leise miteinander, um das Erlebte irgendwie zu verarbeiten. Besonders Malaika hatte große Angst um sich und John, ihren dunkelhäutigen Sohn. Alle Versuche Alberts, sie zu beruhigen, scheiterten, denn sie war sich sicher, dass es den Jugendlichen nur um die Hautfarbe gegangen war. Wäre Albert mit Paul alleine im Park gewesen, hätte keiner daran Anstoß genommen, war sie fest überzeugt. Albert wusste zwar, dass sie recht hatte, wollte das ihr gegenüber aber nicht zugeben. Vielmehr verwies er darauf, dass die jungen Burschen auch ihn angegriffen hätten. Malaikas Antwort, dass das nur deshalb geschehen sei, weil er mit einer schwarzen Frau zusammen war, konnte er trotz all seiner Bemühungen nicht widerlegen.

Irgendwann schliefen sie ein mit der Hoffnung, dass es sich bei dem Übergriff um eine Ausnahme, begangen von einer kriminellen Jugendbande, gehandelt hätte.

***

Ein neuer Tag, ein neues Glück, dachte Albert, als er am nächsten Morgen aufwachte. Er war eigentlich noch gar nicht richtig ausgeschlafen, aber der Lärm in der Flüchtlingsunterkunft war schon wieder unbeschreiblich. Zwei Männer aus Afrika brüllten sich an und es dauerte gar nicht lange, da flogen die Fäuste, wie man hören konnte. Albert schüttelte den Kopf. Er verstand diese Undiszipliniertheit seiner Leidensgenossen nicht. Konnten sie nicht in Ruhe die Zeit bis zum Bescheid zu ihrem Asylantrag abwarten? Ihre Chancen auf Asyl würden sinken, wenn sie hier in Ubequitanien negativ auffielen. Wenn er es sich recht überlegte, konnte er dieses Verhalten nur mit dem, was man als Lagerkoller bezeichnet, begründen. Die Menschen lebten auf engstem Raum und hatten nichts Vernünftiges zu tun. Da waren Aggressionen wohl nichts Ungewöhnliches.

Inzwischen war auch Malaika aufgewacht und schaute ihn lächelnd an. Sie sah ihm an, dass er tief in Gedanken versunken war. In Anbetracht des Lärms auf dem Gang konnte sie sich sogar vorstellen, worüber er nachdachte. Auch sie fand ihre Situation nicht erstrebenswert, aber sie war es gewohnt, ihre Gefühle zu verbergen. Sie hatte schon so viel erlebt, dass sie meinte, durch nichts mehr zu erschüttern zu sein.

Malaika kannte ihren Mann nur zu gut, um zu wissen, womit sie ihn erfreuen und auf andere Gedanken bringen konnte. Ohne ein Wort zu sagen, nahm sie seine Hand und legte sie auf eine ihrer üppigen Brüste. Er schaute sie erstaunt an, lächelte aber dann. Sie hatte recht gehabt, denn er hatte nun plötzlich keine Lust mehr auf Grübeleien, sondern ihm stand jetzt der Sinn nach Zärtlichkeit. Er hatte jedoch gerade damit begonnen ihre Brust hingebungsvoll zu streicheln, da wachte ihr Sohn John auf und stieg sofort aus dem Bett, um sich zwischen seine Eltern zu legen. Schade, dachte Albert, aber vielleicht könnten sie heute Abend da weitermachen, wo sie jetzt aufgehört hatte.

Nach wenigen Minuten wachte auch Paul auf und wechselte nun ebenfalls ins elterliche Bett. Da weitere sexuelle Aktivitäten endgültig passee waren, fiel Albert wieder in seine Grübeleien zurück. Er war mit der gegenwärtigen Gesamtsituation absolut nicht zufrieden. Natürlich war er Ubequitanien dankbar, dass es ihn und seine Familie sowie viele andere Überlebende der Katastrophe von Isoland aufgenommen hatte, aber das reichte ihm nicht. Er war schließlich ein anerkannter Wissenschaftler, der seine ganze Energie und sein großes Wissen gerne der neuen Heimat zur Verfügung gestellt hätte, aber das war ihm verboten. In Ubequitanien durfte man aus unerfindlichen Gründen als Asylbewerber nicht arbeiten. Das fand er ausgesprochen widersinnig, denn er war zu 100 Prozent sicher, schnell wieder eine Anstellung finden zu können, um dann sich und seine Familie selbst ernähren zu können. Stattdessen waren sie jedoch auf die Almosen, die ihnen nach dem unaussprechlichen Flüchtlingszuwendungsgesetz zustanden, angewiesen. Das hatte seiner Meinung nach nicht nur negative Auswirkungen auf den Staatshaushalt ihrer neuen Heimat, sondern schadete auch ihm selbst, denn er hatte Angst zu verblöden. Ihm fehlten seine Fachbücher, ein Computer und der wissenschaftliche Austausch. Wenn sich das Asylverfahren so lange hinzog, wie er es inzwischen befürchtete, würde er danach womöglich gar keine qualifizierte Arbeit mehr finden, weil er nicht auf dem Laufenden war. Er wusste doch nur allzu genau, wie schnell das erworbene Wissen veraltet, wenn man nicht am Ball blieb und am Ball bleiben konnte er seit der Flucht nur, wenn er mit seinen Söhnen Fußball spielte.

Draußen wurde der Krach immer größer. Als dann auch noch mehrmals an die dünne Wand geschlagen wurde, die Salomons Wohnzelle begrenzte, stand Albert auf und zog sich an. An Duschen dachte er schon gar nicht mehr, denn es war aussichtslos, sich anzustellen und zu warten, bis eine der wenigen intakten Duschen frei wurde.

Den Gang zur Toilette konnte er jedoch nicht vermeiden und so verließ er die eigene Wohneinheit, um sich an die lange Schlange zur Toilette anzustellen. In der Hand hielt er eine Konservendose, die den Urin der Kinder enthielt. Das war die familiäre Notlösung, mit der sie vermieden, dass auch die Kinder ewig anstehen mussten, um dann kurz vor Erreichen der Toilette doch noch in die Hose zu pullern.

Als er zurückgekommen war, durfte sich auch Malaika nach der üblichen Wartezeit erleichtern. Das war allerdings alles andere als angenehm. Obwohl am frühen Morgen der Reinigungsdienst auch die Toiletten gesäubert hatte, sah es schon wieder grässlich aus in der kleinen Kabine – vom Gestank ganz zu schweigen. Malaika vermied es, sich während des Geschäfts auf die Brille zu setzen und verließ das Örtchen so schnell wie möglich wieder.

Nachdenken durfte sie über ihr Schicksal nicht, denn dann hätte sie bitterlich geweint und wäre in Depressionen verfallen. Wie schön war es doch auf ihrer Insel gewesen und wie gut war es ihr, ihrem Mann und den Kindern dort ergangen. Zwar mussten sie froh sein, noch rechtzeitig vor der Kernschmelze des Reaktors die Flucht ergriffen und damit ihr Leben gerettet zu haben, aber das, was sie jetzt durchmachten, war alles andere als ein erfreuliches Dasein. Sie konnten nur hoffen, dass ihr Asylverfahren schnell beendet werden würde, damit sie die Erlaubnis bekämen, die Unterkunft zu verlassen und eine Arbeit aufzunehmen. Alles wollte sie tun, um die Familie zu ernähren, falls Albert keine Arbeit finden würde. Sie würde putzen gehen oder in einer Großküche abwaschen, wenn nichts anderes möglich wäre.

***

Der Wind blies eisig, als Albert den sogenannten Arbeiterstrich erreicht hatte. Es war frühmorgens 6 Uhr und noch dunkel, denn es war Anfang Dezember. Zwar zeigten sich die Tage noch ungewöhnlich mild, aber die Nächte waren unangenehm kalt und frostig, was man so früh am Tag zu spüren bekam.

Mit Albert zusammen standen unzählige Bulgaren, Rumänen und andere Südosteuropäer am Straßenrand, um einen der schlecht bezahlten, aber dennoch begehrten Jobs zu bekommen. Albert wartete nicht zum ersten Mal an dieser Stelle. Daher wusste er, dass seine Chancen nicht sehr groß waren. Die Ubequitanier, die Arbeiter suchten, schauten nur auf die Muskeln der Kandidaten. Auf diesem Gebiet konnte Albert mit keinem seiner Konkurrenten mithalten. Deshalb hatte er hier bisher nur einmal eine Arbeit bekommen und das nur, weil er deutsch sprach. Es war trotzdem eine außerordentlich schwere Arbeit gewesen. Er hatte keine Pause machen dürfen und am Ende gerade mal 50 Euro als Lohn bekommen.

Um 10 Uhr verließ Albert den ungastlichen Ort. Er war durchgefroren und zutiefst frustriert. Eigentlich konnte er gar nicht sagen, ob er jetzt wütend oder froh war, dass ihn niemand genommen hatte. Zwar würde er wieder ohne ein kleines zusätzliches Einkommen zurückkehren, aber andererseits war ihm auch eine schwere Arbeit mit erniedrigender Behandlung erspart geblieben, wie er sie beim ersten Mal erlebt hatte. Da hatte er Bücher einer privaten Bibliothek von einem zu einem anderen Standort umlagern müssen. Weil die Bücher wieder alphabetisch einzuordnen waren, hatte er als Deutschsprachiger den Job bekommen. Allerdings war das Einordnen die geringste Mühe gewesen und hatte die wenigste Zeit und Kraft in Anspruch genommen. Die größte Anstrengung bereitete ihm das Tragen der Bücher. Er war eben ein Wissenschaftler und kein Schwerarbeiter, wie er sich eingestehen musste. Als er um eine kurze Pause gebeten hatte, war ihm unmissverständlich klargemacht worden, dass er nicht für das Ausruhen bezahlt werde, sondern für das Arbeiten. Nicht einmal zur Toilette hatte er gehen dürfen.

Nach 14 Stunden schwerer körperlicher Arbeit waren ihm sage und schreibe 50 Euro ausgezahlt worden, mit denen er dann völlig erschöpft nach Hause gewankt und dort weinend zusammengebrochen war. Dabei waren es nicht nur die harte Arbeit und die miese Behandlung durch den Auftraggeber, die ihn fertiggemacht hatten, sondern auch der Anblick der Bücher, die er einsortieren musste. Er wurde schmerzlich an seine eigene Bibliothek zu Hause in Isoland erinnert, in der er seine über die Jahre erworbenen Fachbücher stolz gesammelt hatte.

Eine solche erniedrigende Behandlung war ihm heute erspart geblieben, aber er hatte auch kein Geld verdient und bereute nun, so früh aufgestanden und an diesen Strich gefahren zu sein. Er hätte in dieser Zeit lieber bei seiner Familie sein sollen, fand er in der Stadtbahn, die ihn wieder zur Unterkunft brachte.

Auf dem Weg nach Hause wurde er den Gedanken nicht los, dass die ubequitanischen Gesetze eigentlich äußerst irrational waren. Sie hinderten geflüchtete Menschen daran, zu arbeiten, solange sie nicht als Flüchtlinge anerkannt waren und man verzichtete damit auf das Wissen und Können der Migranten. Stattdessen bezahlten die Behörden Unterkunft, Verpflegung und ein Taschengeld für die Geflüchteten und verurteilten sie zum Nichtstun oder zwangen sie, sich eine illegale Beschäftigung zu suchen.

***

Da Albert unverrichteter Dinge nach Hause gekommen war, hatte er noch die Kraft etwas mit den Kindern zu unternehmen. Sie verließen das Flüchtlingsheim und gingen wieder in den Park mit dem See mit der Fontäne in der Mitte, die jetzt abgestellt war. Dort konnten die Kinder spielen, während Albert vorsichtig beobachtete, wer sich dem Spielplatz näherte, denn kürzlich gemachte Erfahrung hatte ihn ängstlich gemacht.

Malaika war nicht mit von der Partie. Sie nutzte Alberts unverhoffte Anwesenheit, um sich eine Arbeit zu suchen. Natürlich ging sie zu diesem Zweck nicht zur Arbeitsvermittlungsagentur, denn dort hätte man ihr nur mitgeteilt, dass sie als noch nicht anerkannter Flüchtling nicht arbeiten dürfe. Vielmehr graste Malaika die Gaststätten der Umgebung ab, um sich als Küchenhilfe zu bewerben.

Schon bei der ersten Kneipe gab es Ärger, den Malaika verkraften musste, denn sie wurde sehr unfreundlich abgewiesen. Hätte man ihr gesagt, dass es in dieser Gaststätte kein Essen gab, sodass dort keine Kartoffeln geschält werden mussten und kein Geschirr zu waschen war, so wäre das für sie kein Problem gewesen. Leider hatte sich der Wirt hinter der Theke jedoch äußerst unflätig über ihre Hautfarbe geäußert und war von den offensichtlich angetrunkenen männlichen Gästen verbal unterstützt worden. Ein alter Mann verstieg sich sogar zu der Äußerung, dass er von keinem Teller essen würde, den vorher eine dreckige Negerin mit ihren schwarzen Pfoten angefasst hatte.

Schweigend und zutiefst gekränkt verließ Malaika die ungastliche Stätte und ging zum nächsten Restaurant, wo es ihr auch nicht viel besser erging.

So blieben ihre Bemühungen an diesem Tag erfolglos und deshalb trat sie unverrichteter Dinge den Heimweg an. Als sie Albert und die Kinder nicht antraf, ging sie zum Spielplatz, wo sie ihre Söhne schon von Weitem hörte. Dort setzte sie sich zu ihrem schon zum zweiten Mal an diesem Tag durchgefrorenen Mann auf die Bank und klagte ihm ihr Leid.

Albert hörte den Bericht seiner Frau mit zunehmender Verwunderung. Er hatte Ubequitanien immer für ein weltoffenes Land mit sehr toleranten Bürgern gehalten. Dieser Eindruck wurde ihm jedes Mal wieder bestätigt, wenn er zu Tagungen in Metropolis weilte oder ubequitanische Wissenschaftler irgendwo in der Welt traf. Er hatte den Vorfall auf dem Spielplatz als Einzelfall angesehen, aber wie er jetzt von seiner Frau hörte, kam hier Rassismus anscheinend öfter vor als gedacht. Ihm wurde angst und bange um die Sicherheit seiner Frau und seines dunkelhäutigen Sohns. Albert vermutete, dass es in Ubequitanien einen großen Unterschied gab zwischen den gebildeten Einwohnern, die er früher getroffen hatte und den weniger intelligenten, mit denen sie es jetzt zu tun hatten.

Kapitel 2

Es war kurz nach 10 Uhr in der PensionKieselwitz in Metropolis-Zentrum. Müde rekelte sich die soeben erwachte Simone Bannert im Bett, während Reinhardt Düstermann eilig mit seinem Kulturbeutel und einem Handtuch das Zimmer verließ, um die Toilette aufzusuchen und danach duschen zu gehen. Er empfand es als eine ziemliche Zumutung, dass sie in einer Pension untergebracht waren, in der es pro Etage nur einen Waschraum mit Dusche sowie eine Toilette gab. Wenn man Pech hatte, musste man mehrere Minuten vor der Tür warten, bis das Örtchen frei war und man seine Notdurft verrichten konnte. Von Ubequitanien, ihrer neuen Heimat, hatte er mehr erwartet. Es war eine Schande, wie man hier solche hoch qualifizierten Zuwanderer wie ihn und seine Freundin behandelte.

Schon alleine die Prozedur bei diesem komischen Ausländeramt in Metropolis, bei dem sie sich registrieren lassen mussten, spottete jeder Beschreibung. Nach der Aufnahme ihrer Personalien wurden sie vermessen, sie wurden fotografiert und es wurden ihre Fingerabdrücke genommen. Reinhardt lachte immer noch, wenn er daran dachte, wie schwer sie der Angestellten das Leben gemacht hatten. Da sie vorher von anderen Flüchtlingen informiert worden waren, was auf sie zukam, hatten sie ihre Fingerkuppen so lange mit Bimsstein abgeschmirgelt, bis sämtliche Rillen verschwunden waren. Da hatte sich die Dicke im AfF noch so anstrengen können. Wo nichts war, konnte sie keine Abdrücke machen und auch nichts speichern. Zudem hatten sie behauptet, ihre Ausweise auf der Flucht verloren zu haben und Fantasienamen angegeben, die nun in ihren Aufenthaltserlaubnissen standen.

Diese komischen grünen Lappen hatten sie in ihrer erbärmlichen Unterkunft ganz tief unter der Wäsche versteckt. Am liebsten hätten sie sie weggeworfen, wagten es jedoch nicht, weil sie fürchteten, sie noch irgendwann einmal zu brauchen.

Vor der Toilettentür stellte er sich nicht in die lange Schlange, sondern ging einfach an allen vorbei und verschwand sofort im Örtchen, als die Tür aufging und jemand herauskam. Die Blicke, die ihm zugedacht waren, sprachen nicht von Zuneigung, sondern drückten eher Wut aus. Das störte den Verursacher jedoch nicht im Geringsten, schließlich hatte er das Recht auf die Toilette zu gehen, wann immer es ihm passte.

Nachdem er die Toilette verlassen hatte, führte ihn sein Weg in den Waschraum. Da es auch davon nur einen auf der Etage gab, gab es die Regelung, dass er von 7 bis 9 Uhr für Männer und von 9 bis 11 Uhr für Frauen zur Verfügung stand.

Obwohl es nicht die richtige Zeit für ihn als Mann war, betrat Reinhardt den Waschraum, wo er von den mehr oder weniger bekleideten Frauen kreischend empfangen wurde. Das interessierte ihn jedoch nicht, sondern er packte in aller Seelenruhe Zahnbürste und Zahnpasta aus, stellte sich an eines der Waschbecken, drehte das Wasser auf und begann sich die Zähne zu putzen.

Die Frauen, die er aufgescheucht hatte, verhielten sich unterschiedlich. Manche zogen sich eilig an, um den Waschraum zu verlassen, die anderen ignorierten Reinhardts Anwesenheit und ließen sich in dem, was sie gerade taten, nicht stören. Mit großem Interesse beobachtete Reinhardt die duschenden Frauen im Spiegel, während er gar nicht fertig zu werden schien, seine Zähne zu reinigen. Dass die Beobachteten in mehreren Sprachen, die er nicht verstand, auf ihn schimpften, ließ ihn kalt. Sie alle hatten mehr oder weniger dunkle Hautfarben und waren für ihn Menschen zweiter Klasse, was er ihnen mit dem Zeigen eines Mittelfingers unmissverständlich zum Ausdruck brachte.

Erst als auch das letzte Quäntchen Zahnpasta von der Zahnbürste verschwunden war, packte Reinhardt seine Rasierutensilien aus und begann, sich den Bart zu entfernen. Seine Rasur endete erstaunlicherweise genau in dem Moment, als auch die letzte Frau angezogen war und die Dusche verlassen hatte.

Nun zog er sich aus, was er vorher im Beisein der fremden Frauen tunlichst vermieden hatte und duschte nach Herzenslust, bis seine Haut schrumplig zu werden begann.

Zurück bei Simone, wurde er von ihr gefragt, warum das denn so lange gedauert hatte. Er erwiderte, dass er habe warten müssen, bis auch das letzte Negerweib den Waschraum verlassen hatte, was ja letztendlich auch nicht ganz gelogen war. Das akzeptierte sie und verschwand nun ihrerseits in Richtung Toilette und Waschraum.