Die besten Ärzte - Sammelband 1 - Stefan Frank - E-Book
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Die besten Ärzte - Sammelband 1 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1765: Das Urteil der Kollegen
Notärztin Andrea Bergen 1244: Als Marie zu träumen lernte
Dr. Stefan Frank 2198: Halt dich an mir fest!
Dr. Karsten Fabian 141: Für eine Nacht in Deinen Armen...
Der Notarzt 247: Schwester Susannes Racheplan

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 587

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © iStockphoto: LL28 ISBN 978-3-7325-8234-1

Katrin Kastell, Marina Anders, Stefan Frank, Ina Ritter, Karin Graf

Die besten Ärzte 1 - Sammelband

Inhalt

Katrin KastellDr. Holl - Folge 1765Ungläubig sieht Dr. Leon Romberg den Kriminalbeamten zu, die sein Haus auf der Suche nach Drogen auf den Kopf stellen, und unbändige Wut steigt in ihm auf - Wut auf den Kollegen Dr. Elmar Huber, dem er diesen Übergriff zu verdanken hat. "Ich werde Sie fertigmachen!", hat er ihm angedroht, nachdem Leon eine geplante Operation durch Dr. Huber verhindert hat, die höchstwahrscheinlich das Leben des Patienten gefordert hätte. Doch Leon hätte wissen müssen, dass Elmar Huber diese Schmach niemals auf sich sitzen lassen wird ... Die Hausdurchsuchung bei Leon bleibt ohne Ergebnis - natürlich, denn der Vorwurf der Dealerei war nichts als eine weitere üble Verleumdung durch Elmar Huber! Doch schon bald wird der skrupellose Kollege zu einem neuen Schlag aus Rache ausholen! Und diesmal wird es die hübsche Schwester Nora treffen, die Leon mehr liebt als sein Leben ...Jetzt lesen
Marina AndersNotärztin Andrea Bergen - Folge 1244Auf dem Feuerwehrfest verliebt sich die hübsche Marie Bensberg Hals über Kopf in den geheimnisvollen Fremden, der sie zweimal um einen Tanz bittet. Marie schwebt so leicht in seinen Armen dahin, als hätte sie Flügel, und verliert sich im zärtlichen Blick seiner dunklen Augen. Doch der junge Mann verschwindet unbemerkt von dem Fest, und Marie fürchtet schon, ihn nie mehr wiederzusehen... Wochen später wird die junge Sozialarbeiterin ins Elisabeth-Krankenhaus gerufen ans Krankenbett eines Mannes mit schweren Verbrennungen. Schockiert erkennt sie in ihm ihren charmanten Tanzpartner wieder, und die Gefühle flammen erneut zwischen ihnen auf. Doch Axel Rödering schämt sich seiner Narben - und weist Marie brüsk aus dem Zimmer und aus seinem Leben...Jetzt lesen
Stefan FrankDr. Stefan Frank - Folge 2198Seit ihr Vater gestorben ist, fühlt sich Isabell allein. Sie wohnt noch nicht lange in München und kennt dort kaum jemanden. Als eines Tages gleich zwei offizielle Schreiben in ihrem Briefkasten liegen, verändert sich Isabells Leben schlagartig. In den Briefen vom Nachlassgericht München und einem Rechtsanwalt wird ihr mitgeteilt, dass ein gewisser Johannes Baldenau ihr ein nicht unbeträchtliches Vermögen hinterlassen hat - und dass dieser Johannes Baldenau, von dem sie noch nie etwas gehört hat, ihr leiblicher Vater war! Verwirrt fährt sie in die Anwaltskanzlei, um Licht in diese mysteriöse Angelegenheit zu bringen. Doch dort angekommen, erfährt ihr Leben gleich noch eine Wendung, denn dort warten zwei weitere Erben auf Isabell: die Brüder Benno und Korbinian Fürsterer. Was Isabell nicht ahnt: Benno schmiedet bereits finstere Pläne, um an Isabells Erbe zu kommen. Doch zum Glück ist da auch noch Korbinian, und der verliert auf den ersten Blick sein Herz an die schöne junge Frau. Wird es ihm gelingen, seinen Bruder von seinem Vorhaben abzuhalten?Jetzt lesen
Ina RitterDr. Karsten Fabian - Folge 141Nach dem Tod ihres Bruders hatte Katharina Reinke zu ihrer Schwägerin Annette keinen Kontakt mehr. Dann aber rief Annette Katharina an ihr Sterbebett und nahm ihr das Versprechen ab, sich um ihre siebzehnjährige Tochter Ella zu kümmern. Nun wohnt Ella im Haus der Reinkes in Altenhagen, und sie scheint es urkomisch zu finden, dass Katharina mit einem acht Jahre jüngeren Mann verheiratet ist. Volker und Katharina haben immer eine glückliche Ehe geführt, aber jetzt zerrt es an beider Nerven, dass Ella Katharina wie eine Großmutter behandelt - und Volker wie den begehrenswertesten Mann, der ihr je begegnet ist ...Jetzt lesen
Karin GrafDer Notarzt - Folge 247Als Kinder waren Susanne und Maike die besten Freundinnen. Gemeinsam haben die beiden Mädchen davon geträumt, später mal an einem Krankenhaus zu arbeiten und Menschenleben zu retten - Susanne als Ärztin, Maike als Krankenschwester, versteht sich. Denn Susanne kommt aus einem Akademiker-Haushalt, während Maike das Kind armer Arbeiter ist. Zumindest Susanne war dieser Klassenunterschied ständig bewusst, und eben wegen jenem Standesdünkel ist ihre Freundschaft auch eines Tages zerbrochen. Jahre später begegnen sich die beiden ehemaligen Freundinnen an der Frankfurter Sauerbruch-Klinik wieder. Doch alles ist ganz anders gekommen, als die beiden gedacht haben! Während Susanne Krankenschwester geworden ist, hat Maike erfolgreich ihr Medizinstudium abgeschlossen und absolviert nun ihr Praktisches Jahr an der Klinik. Susanne wird grün vor Neid, als sie davon erfährt. Dass sich dann auch noch der smarte Notarzt Florian Auerbach in Maike und nicht in Susanne verliebt, bringt für die neidische Pflegerin das Fass zum Überlaufen. Sie schmiedet einen Racheplan, der innerhalb von wenigen Stunden gleich mehrere Menschenleben in Gefahr bringt ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Das Urteil der Kollegen

Vorschau

Das Urteil der Kollegen

Wird einem Arzt sein mutiger Einsatz zum Verhängnis?

Von Katrin Kastell

Ungläubig sieht Dr. Leon Romberg den Kriminalbeamten zu, die sein Haus auf der Suche nach Drogen auf den Kopf stellen, und unbändige Wut steigt in ihm auf – Wut auf den Kollegen Dr. Elmar Huber, dem er diesen Übergriff zu verdanken hat. „Ich werde Sie fertigmachen!“, hat er ihm angedroht, nachdem Leon eine geplante Operation durch Dr. Huber verhindert hat, die höchstwahrscheinlich das Leben des Patienten gefordert hätte. Doch Leon hätte wissen müssen, dass Elmar Huber diese Schmach niemals auf sich sitzen lassen wird …

Die Hausdurchsuchung bei Leon bleibt ohne Ergebnis – natürlich, denn der Vorwurf der Dealerei war nichts als eine weitere üble Verleumdung durch Elmar Huber! Doch schon bald wird der skrupellose Kollege zu einem neuen Schlag aus Rache ausholen! Und diesmal wird es die hübsche Schwester Nora treffen, die Leon mehr liebt als sein Leben …

Flammende Röte schoss ihr ins Gesicht. Nora schnappte nach Luft. Der ungerechte Tadel des Oberarztes Dr. Elmar Huber traf sie tief. Immer wieder setzte sie an, den Vorfall richtigzustellen, doch er fuhr ihr gnadenlos über den Mund.

Was warf der Chef ihr überhaupt vor? Die Verringerung der Medikamentendosis beim Herzklappen-Patienten war nun mal von Frau Dr. Breuer angeordnet worden. Nur hatte die Ärztin leider vergessen, diese Änderung auch schriftlich zu fixieren. Jetzt sah es so aus, als hätte sie, Pflegerin Nora Feininger, eigenmächtig gehandelt, was völlig absurd war.

Abwehrend schüttelte sie den Kopf, was ihren blonden Pferdeschwanz zum Pendeln brachte, doch bevor auch nur eine einzige Silbe ihre Lippen passierte, blaffte er sie erneut an.

„Auch eine Patientin in meiner Abteilung hat sich über Sie beschwert. Ich lege Ihnen dringend nahe, unsere Kranken mit mehr Einfühlungsvermögen zu behandeln.“

Das sagte ausgerechnet er? Wo blieb denn sein Einfühlungsvermögen ihr gegenüber?

„Sonst müssen Sie leider mit unangenehmen Konsequenzen rechnen. Und was das heißt, wissen Sie.“

Er drohte ihr mit Entlassung? Verdammt, jetzt stiegen ihr auch noch die Tränen in die Augen! Schon ewig hatte sie sich nicht mehr so hilflos gefühlt. Sie blinzelte ein paar Mal und hoffte, dass er nichts merkte. Musste sie sich wirklich von ihrem Chef so abkanzeln lassen?

Plötzlich glätteten sich die unwirschen Falten in seinem Gesicht. Er machte einen Schritt auf sie zu. Der Blick seiner Augen wurde ein wenig freundlicher. Seine rechte Hand berührte sie an ihrer Schulter und verweilte dort.

„Nun, was sagen Sie dazu?“

Na wunderbar, endlich durfte sie sich verteidigen. Nora holte tief Luft. Aber wie sollte sie die Dinge schildern, ohne Dr. Breuer in ein schlechtes Licht zu rücken? Schließlich wussten alle, dass diese Ärztin eine schusselige Person war.

„Gestern Nachmittag klagte der Patient über Schmerzen im Brustbereich. Ich habe sofort Frau Dr. Breuer informiert und …“

Sein Pager unterbrach ihren Satz. Der Oberarzt nahm die Hand von ihrer Schulter.

„Ich habe jetzt keine Zeit mehr“, sagte er. „Sie sehen ja selbst, ich werde überall gebraucht. Aber unser Gespräch ist noch nicht zu Ende.“

Er musterte sie so eindringlich, dass sie befürchtete, die Röte ihrer Wangen könnte sich noch um ein paar Nuancen verstärken.

„Haben Sie heute Abend Zeit?“ Seine Stimme klang jetzt ungewohnt vertraulich. „Gut, wir treffen uns um sieben drüben beim Italiener. Dann können wir ausführlich über Ihre Verfehlungen reden. Und vielleicht fällt Ihnen bis dahin ja auch ein Grund für Ihr skandalöses Verhalten ein.“

Ohne ein Zeichen ihrer Zustimmung abzuwarten, drehte er sich um und eilte davon. Die Möglichkeit, dass sie sein Angebot auch ablehnen könnte, schien es in seiner Vorstellung nicht zu geben.

Nora wusste wirklich nicht, was sie vom Leiter der Chirurgie halten sollte. Wollte er seine Standpauke bei Pasta und Pizza fortsetzen? Andererseits fühlte sie sich ein wenig geschmeichelt, dass er einen Teil seiner Freizeit opferte, um mit ihr gemeinsam die Sache zu klären.

Gut, sie würde pünktlich da sein. Und sich bis dahin eine hieb- und stichfeste Verteidigung zurechtlegen, an der es nichts zu rütteln gab. Das fehlte gerade noch, dass sie für die Fehler von Frau Dr. Breuer geradestehen musste.

Bevor sie ins Schwesternzimmer zurückkehrte, ging sie in den Waschraum und inspizierte ihr Gesicht. Die Röte war verschwunden, aber die Unsicherheit in den Augen war geblieben. Ein bisschen mehr Selbstvertrauen stünde ihr sicher gut. Doch ob sie diese schwache Seite ihrer Persönlichkeit bis heute Abend noch stärken konnte, glaubte sie nicht. So was brauchte Zeit.

***

Nachdenklich ließ Dr. Leon Romberg das Handy in die Tasche seines Kittels gleiten. Soeben hatte er erfahren, dass seine Schwester schon sehr bald ihrem Mann eine Niere spenden wollte. Über diese Möglichkeit war in der Familie schon öfter in aller Ruhe diskutiert worden. Und deshalb verstand er die plötzliche Eile nicht, die Katrin nun an den Tag legte.

Sein Schwager Manfred kam seit zwei Jahren gut mit der Dialyse zurecht. Sogar seinen Beruf als Filialleiter in einer Tutzinger Privatbank konnte er weiter ausüben. Und Leon war sich ganz sicher, dass der liebevolle Ehemann ganz gewiss keinen Druck auf seine Frau ausübte. Es lag also keine Dringlichkeit vor. Warum wollte Katrin jetzt schon die Transplantation vornehmen lassen?

Dr. Leon Romberg stand am Fenster des Besprechungsraums in der Kinderstation und schaute in die Gartenanlagen der Berling-Klinik, ohne etwas von den leuchtenden Farben des nahenden Herbstes wahrzunehmen.

„Ich will ihm wieder ein normales Leben ermöglichen“, hatte Katrin soeben am Telefon argumentiert. „Dann kann er sich endlich die Blutwäsche ersparen. Ein Team in der Theresien-Klinik wird die Eingriffe bei uns vornehmen. Dr. Huber leitet den Eingriff. Kennst du ihn?“

„Nein, tut mir leid.“

„Manfred hat großes Vertrauen zu ihm. Bitte sei nicht böse, dass er sich nicht an euch gewandt hat!“ Katrin hatte etwas getrieben geklungen, schien ihm, aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein.

„Mach dir deswegen keine Sorgen“, war seine Antwort gewesen. „Andere Kliniken haben auch gute Ärzte. Aber wenn du möchtest, rede ich noch mit Manfreds Arzt von Kollege zu Kollege. Dabei bekomme ich sicher noch ein paar zusätzliche Informationen.“

„Das klären wir später. Ich wollte dir nur schon mal vorab sagen, wozu wir uns entschieden haben.“

„Seid ihr am Wochenende zu Hause?“, hatte er noch gefragt. Katrin und ihr Mann wohnten in Tutzing am Starnberger See. Die Klinik befand sich ebenfalls dort.

Leons diffuses Unbehagen nach dem Telefonat mit Katrin verschwand nicht. Aber er würde schon noch herausfinden, warum seine Schwester nicht mehr warten wollte. Seiner Einschätzung nach bestand zum jetzigen Zeitpunkt kein Grund für eine dringende OP. Zuvor sollte wenigstens noch eine zweite Meinung eingeholt werden.

Andererseits würde er natürlich die Entscheidung von Schwester und Schwager akzeptieren. Die beiden mussten selbst wissen, welchen Weg sie gehen wollten.

Leon verließ den Raum. Auf dem Gang traf er mit Chefarzt Dr. Holl zusammen.

„Gut, dass ich Sie treffe, Dr. Romberg. Die Therapie für den kleinen Jonathan steht ja schon so gut wie fest. Aber es sind noch ein paar Details zu klären, bevor wir am Nachmittag mit der Mutter den Therapieplan besprechen. Haben Sie ein paar Minuten Zeit?“

„Selbstverständlich“, erwiderte Leon. Langsam gingen die beiden Ärzte nebeneinander her.

„Wir müssen noch einen geeigneten Zeitpunkt für den Eingriff finden.“

„Auf jeden Fall sollten wir so lange warten, bis sich Jonathan vom letzten Chemo-Block erholt hat“, schlug Leon vor. „Er war zwar sehr tapfer, aber es hat ihn doch ziemlich mitgenommen.“

Der elfjährige Junge litt an einer besonders bösartigen Form von Knochenkrebs. Mehrere Behandlungs-Zyklen mit Zytostatika zur Hemmung des Zellwachstums hatte das Kind schon absolviert. Nun mussten Dr. Holl und sein Team die letzte Behandlungsphase einleiten, indem sie den verkleinerten Tumor aus dem Röhrenknochen des rechten Beins entfernen. Die Ärzte hofften, dass es keine Metastasen geben würde.

„Klären Sie doch bitte die OP-Belegung, damit wir den Termin festlegen können.“

„Wird erledigt“, sagte Leon. Für einen Moment war er versucht, mit dem Chefarzt über die geplante Lebendspende in seiner Familie zu reden, verschob dieses Gespräch dann aber auf einen späteren Zeitpunkt. Erst musste er selbst seine Gedanken noch ein wenig ordnen.

Sein Fachgebiet war die Behandlung von Krebserkrankungen bei Kindern. Mit seiner ebenso einfühlsamen wie fröhlichen Art kam er gut bei den kleinen Patienten an. Alle liebten ihren Doktor, der sich so viel Zeit für sie nahm und immer ein Späßchen auf Lager hatte.

Leon verbrachte den Rest des Vormittags in der Kinderambulanz. Mittags holte er sich eine Semmel mit Leberkäs, die er allein im Arztzimmer aß. Immer wieder musste er an Katrin denken.

Sie war die Tochter aus der ersten Ehe seines Vaters und zwölf Jahre älter als Leon. Vaters erste Frau starb an Krebs. Er heiratete wieder. Leon wurde geboren, doch auch dieser Ehe waren nur wenige Jahre beschieden. Leons Mutter starb durch einen Unfall, als Leon fünf war. Das Kind befand sich auch im Fahrzeug, aber wie durch ein Wunder blieb es vollkommen unverletzt.

Nun wuchsen die Halbgeschwister allein mit dem wortkargen Vater auf, der sich mehr und mehr in sich zurückzog und die Erziehungsarbeit Katrin überließ, die schließlich sogar Mutterstelle an dem zwölf Jahre jüngeren Leon vertrat. In all den Jahren war ein tiefes Vertrauensverhältnis zwischen den beiden entstanden, das bis heute anhielt.

Der Vater lebte inzwischen in einem Pflegeheim. Bei ihm war schon sehr früh Demenz diagnostiziert worden. Die Geschwister besuchten ihn regelmäßig, aber er erkannte seine Familie nicht mehr.

Katrin und Leon hatten keine Kinder. Leons Lebensgefährtin, von der er seit über einem Jahr getrennt war, hatte keine gewollt. Und Katrin behauptete stets, auch ohne Nachwuchs ein glückliches Leben zu führen. Was Leon ihr nicht so ganz glaubte.

***

Seit zwanzig Minuten wartete Nora nun schon auf den Oberarzt. Ständig behielt sie die Tür im Blick. Das Lokal füllte sich allmählich. Hatte er ihre Verabredung vergessen?

Oder erschien ihm die Diskussion über ihr angebliches Fehlverhalten plötzlich nicht mehr so wichtig? Aber dann hätte er sie wenigstens informieren können.

Gerade, als sie ihre Cola bezahlen und gehen wollte, trat er ein, schaute sich kurz um und kam dann raschen Schrittes auf sie zu. Sofort war der Raum von seiner Dominanz erfüllt.

„Bin natürlich wieder aufgehalten worden“, erklärte er und nahm mit einem matten Seufzer Platz. Kein Wort der Entschuldigung. „Haben Sie schon was bestellt?“

„Nein, ich …“

„Die Pasta mit Meeresfrüchten ist hier sehr gut. Die nehmen wir“, verkündete er und winkte ungeduldig der Kellnerin. Ohne sich bei Nora zu erkundigen, ob sie mit seiner Wahl einverstanden war, gab er die Bestellung auf. „Und dann bitte noch eine halbe Flasche Rotwein und eine Karaffe Wasser“, fügte er hinzu.

Nachdem das erledigt war, beäugte er die Pflegerin interessiert. Nora wünschte sich flehentlich, diesmal nicht wieder so verräterisch zu erröten.

Die Kellnerin entfernte sich – und Nora wusste wieder einmal nicht, was sie sagen sollte. Dieser Mann nahm alles vorweg. Allmählich zweifelte sie daran, ob ein Gespräch überhaupt noch zu einer Aufklärung beitragen konnte.

Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als sich der Oberarzt auf den Grund ihres Treffens besann.

„Was die Sache mit der Kollegin Breuer angeht, vergessen Sie es. Ich habe am Nachmittag mit ihr gesprochen. Angeblich war sie im Stress und hat versäumt, die Medikation in der Krankenakte einzutragen. Es ist ja auch nichts Schlimmes passiert. Zum Glück.“

Die Kellnerin brachte die Getränke. Er hob sein Glas und betrachtete in genüsslicher Vorfreude die rubinrote Farbe des Weins.

„Also, auf gute Zusammenarbeit, Schwester Nora! Ach was, Nora genügt. Ich darf Sie doch so nennen? Wir sitzen ja mehr oder weniger privat beisammen, da lassen wir die Berufsbezeichnung einfach weg. Übrigens, ich bin Elmar. Aber das wissen Sie ja sicher längst. Auf einen netten Abend!“

Er hielt ihr auffordernd das Glas entgegen. Sie nahm einen Schluck Wein und warf ihm einen ratlosen Seitenblick zu. Warum wollte er sich mit ihr treffen, wenn doch alles längst geklärt war?

Ohne Punkt und Komma redete Elmar Huber über seine große Verantwortung in der Klinik, machte aber auch keinen Hehl daraus, wen von den Mitarbeitern er mochte und wen er verabscheute. Zwischendurch nippte er immer wieder an seinem Glas. Schon bald musste er sich nachschenken.

„Wenn Sie mal wieder Probleme haben, wenden Sie sich ruhig an mich“, schlug er vor.

Nora schaute ihn zweifelnd an. War das noch derselbe Mann, der sie erst am Vormittag so barsch angefahren hatte?

„Ich bin froh, dass wir uns mal in aller Ruhe unterhalten können“, fuhr er augenzwinkernd fort. „Sie gefallen mir.“

Der kleinen Schluck Wein, der ihr gerade auf der Zunge lag, geriet ihr in den falschen Hals. Nora musste husten.

Das nahm der Oberarzt zum Anlass, ihr überaus gefühlvoll auf den Rücken zu klopfen, nicht zu fest, aber doch so, dass die Schläge Wirkung zeigten.

Nora beruhigte sich. „Entschuldigung“, brachte sie heraus.

„Geht es wieder? Hier, trinken Sie Wasser.“ Er hielt ihr das Glas direkt vor den Mund.

Hoffentlich merkte er nichts von ihrer Verwirrung. Einerseits empfand sie großen Respekt vor dem Oberarzt, auch etwas Furcht. Andererseits gefiel es ihr, dass er sich für sie interessierte – aus welchem Grund auch immer. Sie wagte einen Blick in seine Augen, die nichts Wesentliches über ihn verrieten.

„Die Sache von heute Vormittag hat sich erledigt“, erklärte er betont sachlich. „Frau Dr. Breuer hat die Eintragung nachgeholt. Aber Sie werden verstehen, dass ich jede Nachlässigkeit aufklären muss. Schließlich darf die Theresien-Klinik nicht ins Gerede kommen. Was ja häufig passiert ist in den letzten Jahren. Als Mediziner stehen wir ohnehin immer mit einem Fuß im Gefängnis. Und wenn die Medien von irgendeiner Kleinigkeit Wind bekommen, stricken sie gleich einen Skandal daraus.“

Sollte sie das als Entschuldigung werten? Bevor sie darauf eingehen konnte, wurde das Essen gebracht. Der Oberarzt nahm noch einen ordentlichen Schluck Wein, dann machte er sich über seinen Teller her. Er musste ziemlich hungrig sein.

Nora spießte eine Muschel mit der Gabel auf und schob sie in den Mund. Eigentlich mochte sie das ganze Meeresgetier nicht besonders, aber sie wollte sich vor ihrem Begleiter keine Blöße geben. Sie hatte ihre Pasta noch nicht einmal zur Hälfte aufgegessen, als Elmar schon den leeren Teller von sich schob.

„Und jetzt noch ein Dessert? Wie wär’s mit einem Tiramisu?“

„Nein, vielen Dank, ich habe jetzt schon genug.“

„Wirklich?“ Er betrachtete sie mit einem leicht amüsierten Grinsen. „Aber leisten könnten Sie sich das schon, so schlank, wie Sie sind.“

Nora schaute verstohlen auf die Uhr. Sollte sie das Treffen hier abbrechen oder darauf warten, bis das entsprechende Signal von ihm kam?

Elmar verzichtete seinerseits nun ebenfalls auf einen Nachtisch, ließ sich aber noch einen Grappa und einen Espresso kommen, bevor er die Rechnung verlangte.

Nora kramte in ihrer Tasche nach dem Portemonnaie. Als er es bemerkte, winkte er ab.

„Bitte lassen Sie Ihr Geld stecken! Sie sind mein Gast“, erklärte er.

Fünf Minuten später standen sie bereits auf der Straße vor dem Restaurant. Die Nacht war frisch. Der bevorstehende Herbst kündigte sich durch immer kürzere Tage an.

„Gehen wir doch noch ein paar Schritte“, ordnete der Arzt an.

Obwohl sie sich jetzt gern sofort verabschiedet hätte, fügte sich Nora. Sie traute dem Frieden immer noch nicht. Und ständig lauerte in ihrem Hinterkopf der Gedanke, dass er ihr Chef war, den sie nach Möglichkeit nicht verärgern sollte. Sie liebte ihren Job, und den Arbeitsplatz wollte sie auf keinen Fall verlieren.

Eine Kollegin von ihr war erst zwei Wochen zuvor gefeuert worden. Ob ihr Begleiter an dieser Entlassung beteiligt gewesen war, wusste sich nicht mit Sicherheit, aber sie traute es ihm zu. Ein heftiger Windstoß traf sie von hinten. Instinktiv zog sie die Schultern zusammen.

Der Oberarzt blieb stehen.

„Und was machen wir nun mit dem angebrochenen Abend?“ Er umfasste ihre Schultern und zog sie näher zu sich heran.

Um Himmels willen, was sollte das werden? Nora geriet in Panik.

„Wir könnten bei mir noch einen Absacker nehmen. Was hältst du davon? Ich wohne nicht weit von hier. Oder wartet zu Hause jemand auf dich?“

An dieser Stelle hätte sie nur Ja zu sagen brauchen, aber sie war zu konsterniert, um einen klaren Gedanken zu fassen. „Nein, ich …“

„Na also“, fiel er ihr ins Wort, riss sie an sich und presste seine Lippen hart auf ihren Mund. Mit seiner Umklammerung drückte er ihr fast die Luft ab.

Nora musste ihre ganze Kraft aufwenden, um sich aus diesem Griff zu befreien. Energisch drückte sie die Hände gegen seine Brust und stieß ihn weg.

„Ich will das nicht. Lassen Sie das!“

„Oh, eine Mimose!“ Er betrachtete sie mit einer Mischung aus Ärger und Spott. „Nun tu mal nicht so, Schwester Nora! Dein Blick ist ein einziges Begehren. Nun komm schon …“

Endlich fing sie sich wieder. „Sie sind auf dem Holzweg, wenn Sie glauben, mich zu kennen.“

Erleichtert bemerkte sie das Taxi, das ihnen entgegenkam. Das Schild auf dem Dach leuchtete. Es war frei. Noras Hand schnellte hoch, der Wagen bremste ab.

„Wiedersehen“, sagte sie. „Und danke für die Einladung.“

„Die wird sich ganz bestimmt nicht wiederholen“, erwiderte er höhnisch. „Du hast soeben deine Chancen verspielt.“

Nora machte ein paar Schritte zum Fahrzeug hin, öffnete die hintere Tür und ließ sich hineinfallen. Doch wirklich erleichtert fühlte sie sich nicht.

***

Juju Holl, die jüngste Tochter von Chefarzt Dr. Holl, hatte sich seit einiger Zeit in den Kopf gesetzt, Profi-Fußballerin zu werden. Darum musste ihr Vater jetzt eine Runde mit ihr im Garten kicken.

„Du hast schon wieder nicht aufgepasst!“, rief sie tadelnd. „Ich hab dich doch gerade angespielt. Wo bist du nur mit deinen Gedanken?“

„Ich bin einfach nur müde, mein Schatz. Dein Papa ist schließlich schon ein älterer Herr und hat nicht mehr so viel Puste.“

Die Elfjährige lachte. „Das glaube ich nicht. Beim Radfahren bist du immer schneller als ich.“ Juju schoss den Ball so donnernd gegen die Hauswand, dass kurz darauf das Fenster aufging und Mutter Julia herausschaute.

„Die Scheiben lasst ihr aber schon heil, oder? Sonst müssen wir am Wochenende noch einen Glaser kommen lassen. Es gibt übrigens noch Käsekuchen. Chris hat schon zwei Stück verputzt. Wenn ihr beide noch etwas davon haben wollt, müsst ihr euch beeilen.“

Dieser Hinweis war für Juju Grund genug, das Spiel zu beenden. Sie lief als Erste ins Haus, wusch sich ohne Ermahnung die Hände und erschien dann bei ihrer Mutter in der Küche. Der fünfzehnjährige Chris hatte sich inzwischen in sein Zimmer zurückgezogen, aber für die beiden Freizeitsportler war noch genug da.

Der Kuchen wurde gleich in der Küche serviert. Stefan trank einen Tee, Juju eine Limonade, und Julia schaute Vater und Tochter beim Essen zu.

„Ich habe heute mit Jonathan telefoniert“, berichtete Juju. „Papa wird ihn schon bald operieren, stimmt’s?“

„Ganz richtig.“ Dass Papas Miene keinen übertriebenen Optimismus ausdrückte, merkte Juju erst mal nicht, so sehr war sie damit beschäftigt, die Käsetorte in mundgerechte Happen zu zerteilen.

„Und wann kann er wieder in die Schule kommen?“

„Das wissen wir noch nicht, mein Schatz.“

„Ich weiß, dass er Krebs hat. Jonathan hat mir alles ganz genau erzählt.“

Stefan tauschte einen Blick mit seiner Frau.

„Wir tun alles, damit er geheilt wird“, sagte er leise, während seine Augen auf dem Haarschopf seiner Tochter ruhten. Dass sich im Röhrenknochen auch nach der Chemotherapie immer noch eine Resttumormasse von über zehn Prozent befand, war weniger günstig. Dennoch hatte der Junge eine Chance, diese Krankheit zu überleben.

Vor einem Jahr war er beim Spielen gestürzt. Danach hatten sich sowohl Schmerzen als auch Entzündungen eingestellt, die zunächst als reine Verletzungsfolgen interpretiert wurden. Irgendwann gab sich Jonathans Mutter mit diesen Auskünften nicht mehr zufrieden und wurde mit ihrem Sohn in der Berling-Klinik vorstellig.

Dr. Holl und Dr. Romberg erkannten den Ernst der Symptome und stellten die Diagnose Ewing-Sarkom: ein solider, bösartiger Tumor hatte sich im Röhrenknochen des rechten Beins angesiedelt. Der genaue Ursprung dieser schweren Erkrankung war bis heute noch nicht ganz geklärt. Knaben und junge Männer litten häufiger darunter als Frauen und Mädchen.

„Du musst ihn wieder gesund machen, Papa.“

Stefan nahm Jujus Hand, um zu einer längeren Erklärung ansetzen. „Ich habe dir ja schon öfter gesagt, dass wir in der Klinik auch Rückschläge hinnehmen müssen.“

Juju riss die Augen auf. „Soll das heißen, dass Jonathan sterben muss?“

„Uns stehen gute Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Aber manchmal ist der … der Tod stärker als wir. Dann müssen wir uns geschlagen geben.“

Nicht nur Jujus Eltern waren Ärzte, auch der ältere Bruder Marc studierte Medizin. Und Opa Walter hatte vor vielen Jahren die Berling-Klinik gegründet, in der Stefan Holl heute Chefarzt war.

Juju hatte also schon einiges über heilbare und unheilbare Krankheiten aufgeschnappt in diesem Mediziner-Haushalt. Sie schob den Teller mit der restlichen Kuchenhälfte von sich. Plötzlich hatte sie keine Lust mehr auf Süßes. „Bitte Papa, kämpfe um ihn!“

Dieses Versprechen konnte er ihr aus vollem Herzen geben. „Darauf kannst du dich verlassen, mein Schatz.“

Den Rest des Tages blieb Juju still, was für das lebhafte Mädchen ungewöhnlich war. Nach dem Abendessen zog sie sich früher als sonst in ihr Zimmer zurück. Als die Mutter nach ihr schaute, schlief sie schon.

„Ich glaube, Jonathans Schicksal bedrückt sie sehr“, sagte Julia, als sie zu Stefan ins Wohnzimmer zurückkehrte. „Aber es ist auch nicht das erste Mal, dass sie mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert wird. Denk an die Klassenkameradin, die letztes Jahr bei einem Autounfall starb.“

Stefan seufzte verhalten. „Auch wenn ich unsere Kinder mit solchen Dingen verschonen möchte, so weiß ich doch, dass es nicht möglich ist. Aber unsere Juju ist ein kluges Mädchen. Sie wird auch die schlechten Nachrichten schon richtig einordnen.“

„Wie schätzt du Jonathans Chancen ein?“

Stefan machte einen hörbar tiefen Atemzug.

„Ich hatte ein langes Gespräch mit Dr. Romberg, unserem Kinderarzt. Ja, der Junge hat eine Überlebenschance. Leider liegt sie unter dreißig Prozent auf die nächsten fünf Jahre gerechnet. Wir werden sehen. Die Kollegen von sämtlichen Fachrichtungen werden eng zusammenarbeiten. Und vielleicht geschieht auch noch ein Wunder. So was soll ja immer wieder mal vorkommen.“

***

Gleich nach Dienstende fuhr Leon nach Tutzing. Ein erneutes Telefonat mit seiner Schwester hatte ihm einen Schock versetzt. Sie und ihr Mann befanden sich zwecks umfangreicher Voruntersuchungen bereits in der Theresien-Klinik am Starnberger See. Erst nach ihrer Ankunft hatte sie ihm das mitgeteilt. Ihre Entscheidung hatte sie schnell und vor allem ohne ihn getroffen.

Leon verstand die Welt nicht mehr. Die widerstreitendsten Gefühle befielen ihn und ließen ihn nicht mehr los. Warum plötzlich diese Kränkung, diese Zurückweisung von Katrins Seite? Wieso stellte sie ihn mit einem Mal vor vollendete Tatsachen? Sie hatten doch immer freimütig über alle Probleme gesprochen, die sowohl bei ihm oder auch bei Katrin und Manfred auftauchten. Was war jetzt anders? Er konnte jedenfalls nicht sagen, dass ihm eine Veränderung in ihrer Beziehung aufgefallen wäre.

Ohne Frage mussten sie und ihr Mann letztlich diesen Schritt allein entscheiden, aber dass sie ihn, ihren Bruder, nicht einmal mehr um Rat fragte, tat richtig weh. Er war immerhin der Arzt in der Familie. Auch wenn sein Fachbereich die Pädiatrie war, so konnte er doch allgemeine Handlungsabläufe und Gesundheitsrisiken für erwachsene Patienten bestens einschätzen.

Aber jetzt hatte Katrin ihm ihr Vertrauen entzogen. Wobei er sich auch ganz sicher war, dass dieser Bruch allein von Katrin ausging, denn Manfred äußerte im Privatleben selten eine eigene Meinung. Was seine Frau anordnete, hieß er gut. Sie behielt immer das letzte Wort.

In der Bank mochte er als Chef sicher seinen Mann stehen, in der Ehe war er eher ein Weichei, doch ein sehr sympathisches. Leon verspürte manchmal sogar ein bisschen Mitleid mit dem Schwager, der sich kaum gegen seine Frau durchsetzen konnte – und es um des lieben Friedens willen vielleicht auch gar nicht wollte.

Die Bremslichter der Fahrzeuge vor ihm leuchteten schon wieder auf. Leon fluchte. Normalerweise war die Strecke von München nach Tutzing ohne hohes Verkehrsaufkommen in einer halben Stunde zu schaffen. Aber heute schien die halbe Münchner Bevölkerung den schönen Tag am Starnberger See noch nutzen zu wollen, zumal die Wetterfrösche zum Wochenende hin einen Kälteeinbruch vorhergesagt hatten.

Endlich erreichte er die Theresien-Klinik und ging sofort zum Empfang. Katrin wusste nicht, dass er kam. Er hatte sich nicht angekündigt, um die Überraschung auf seiner Seite zu haben. Wenn möglich, wollte er auch gleich mit einem der behandelnden Kollegen sprechen.

„Herr und Frau Bartel bewohnen gemeinsam ein Zimmer“, sagte der junge Mann am Empfang nach einem Blick auf den Bildschirm. „Nummer zweiundzwanzig, zweiter Stock.“ Er deutete mit dem Finger nach rechts. „Sie können auch den Aufzug nehmen.“

„Danke.“ Leon drückte den Knopf neben den Metall-Türen. Zu Fuß würde er die Treppen in aller Eile hochsprinten und dann außer Atem oben ankommen. Das wollte er nicht. Ein Klingeln zeigte die Ankunft des Fahrstuhls an.

Mit ihm stieg eine Frau im weißen Kittel ein.

„Grüß Gott“, sagte sie und drückte die Zwei.

„Super, genau dahin will ich auch“, erklärte er lächelnd und nutzte die Gelegenheit, seinen Blick etwas länger auf ihr haften zu lassen. Was er sah, gefiel ihm. Als ihm nach ein paar Atemzügen bewusst wurde, dass er sie immer noch betrachtete, wandte er fast ruckartig den Kopf wieder ab.

„Zu wem möchten Sie?“, erkundigte sie sich mit einer weichen Altstimme. Gern hätte er gewusst, ob sie eine Pflegerin oder eine Ärztin war?

„Zu Frau Bartel. Ich bin ihr Bruder.“

Jetzt lächelte die Schöne ebenfalls und streckte ihm die Hand hin. „Das Ehepaar Bartel liegt auf meiner Station. Ich bin Schwester Nora.“

Der Aufzug hielt, was Leon bedauerte. Mit dieser charmanten Person wäre er gern bis in den zehnten Stock gefahren, falls es einen solchen hier gegeben hätte.

„Kommen Sie, ich bringe Sie hin“, sagte die schlanke Frau und ging mit flotten Schritten voraus. Das gab ihm Gelegenheit, ihre wohlproportionierte Figur zu betrachten. Die Rundungen erschienen ihm geradezu perfekt. Vor der Tür mit der Nummer zweiundzwanzig blieb sie stehen. Schade, dass er sie nicht länger anschauen konnte, ohne aufdringlich zu wirken!

In diesem Moment erkannte er einmal mehr, dass sein Single-Dasein, auf das er so viel Wert legte, auf die Dauer auch keine befriedigende Lebensform war. Aber was sollte er machen? Das Glück war launisch. Man konnte es sich zwar herbeiwünschen, aber ob es dann wirklich mal vorbeischaute, blieb ungewiss.

„Wiedersehen“, sagte sie. „Und alles Gute. Wenn Sie irgendwas brauchen, finden Sie mich im Schwesternzimmer.“

Leon schaut ihr nach, bis sie hinter einer der weißen Türen verschwand. Endlich besann er sich wieder auf den Grund seines Besuches, klopfte und drückte die Klinke hinunter.

In dem hellen freundlichen Raum befanden sich zwei Betten. Eines davon war leer, auf dem anderen lag Manfred mit einem T-Shirt und Shorts bekleidet.

„Hallo, Leon!“, sagte er überrascht und ließ die Zeitung sinken.

„Mensch Manfred, was ist bloß in euch gefahren? Ich hatte ja keine Ahnung, dass ihr es plötzlich mit der Transplantation so eilig habt.“ Leon ging zu seinem Schwager und gab ihm die Hand.

Manfred nahm die Lesebrille ab und legte sie auf den Nachttisch.

„Du müsstest deine Schwester doch kennen. Was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat, will sie auch sofort umsetzen. Dann ist Widerspruch zwecklos. So ist sie nun mal.“

„Haben sich deine Werte verschlechtert?“ Leon setzte sich auf die Bettkante.

„Nein, aber Katrin will, dass ich nicht mehr zur Dialyse muss. Dabei habe ich mich gar nicht beklagt.“

Die Tür ging auf. Katrin kam zurück.

„Bruderherz!“, rief sie erfreut, eilte auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. „Das ist aber lieb von dir, dass du bei uns vorbeischaust. Komm, wir gehen alle drei zusammen hinunter in die Cafeteria! Dort können wir was trinken.“

***

Chefarzt Dr. Holl wies auf die Sitzgruppe vor dem großen Fenster.

„Setzen wir uns doch dorthin“, schlug er vor.

Zwar hatte er erst gestern seine Besucherin ausreichend über den OP-Plan ihres Sohnes Jonathan informiert. Auch Dr. Romberg war zu allen Auskünften bereit gewesen, aber Andrea von Schelling schien immer noch Fragen zu haben. Auf Dr. Holl machte sie heute einen noch nervöseren Eindruck als gestern. Auf dem Tisch standen eine gefüllte Wasserkaraffe und einige Gläser auf einem Tablett.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“, erkundigte der Klinikchef sich freundlich.

Sie druckste ein wenig herum.

„Möchten Sie einen Schluck trinken?“, kam Dr. Holl ihr zu Hilfe.

„Ja, bitte.“

Er goss ihr ein. Sie nippte an ihrem Glas, dann schien sie vorbereitet zu sein.

„Ich wollte Ihnen noch etwas Wichtiges sagen, Dr. Holl. Sie dürfen sich auf keinen Fall in die Behandlung dreinreden lassen …“

Der Chefarzt gab einen erstaunten Laut von sich. „Wie kommen Sie darauf, dass so etwas passieren könnte?“

„Jonathans Vater hat so seine eigenen Vorstellungen, was das Beste für den Jungen ist. Ich bin sicher, dass er sich bei Ihnen melden wird. Ich habe ihm die Befunde zugeschickt. Er weiß also, woran Jonathan erkrankt ist.“ Sie holte tief Luft. „Er wird behaupten, ebenfalls das Sorgerecht für Jonathan zu haben, aber das stimmt nicht. Es liegt bei mir allein. Das ist vom Gericht so entschieden worden.“

„Sind Sie geschieden?“

„Wir waren nie verheiratet“, erwiderte Andrea von Schelling mit belegter Stimme. „Und für seinen Sohn hat er sich nie sonderlich interessiert. Zuletzt gab es kaum noch Kontakt.“

„Und wie kommen Sie darauf, dass er etwas gegen die Behandlung haben könnte?“, wollte Stefan erstaunt wissen.

„Er ist Oberarzt an der Theresien-Klinik und hält sich für den Besten und Klügsten aller Ärzte. Andere können ihm nicht das Wasser reichen, meint er. Und da Jonathan jetzt ein medizinischer Fall ist, wird der Junge für ihn wieder interessant.“

Dr. Holl unterdrückte einen Seufzer. Diese Äußerungen klangen ziemlich verbittert, was er unter den gegebenen Umständen sogar verstand. Dennoch wollte er sich nicht in Beziehungskonflikte hineinziehen lassen.

„Wenn Sie möchten, bespreche ich unsere Therapie mit ihm. Dann herrscht Klarheit über das, was wir mit Jonathan vorhaben. Außerdem ist unser Vorgehen medizinischer Standard. Ich bin sicher, sein Vater wird mir zustimmen.“

Im Gesicht der besorgten Mutter spiegelten sich Misstrauen und Zweifel.

„Als ich ihm sagte, wie es mit Jonathan nach der Chemo weitergeht, wollte er, dass ich den Jungen in seine Klinik bringe. Das habe ich abgelehnt.“

„Warum?“

Sie zog unsicher die Schultern hoch. „Weil ich nicht will, dass er mir das Kind entfremdet. Und dazu wird es ganz sicher kommen, wenn Jonathan in seiner Obhut ist. Mein Ex wird Lügen über mich erzählen und so tun, als hätte ich all die Jahre den Kontakt zu seinem Sohn unterbunden. Aber das ist nicht der Fall. Er hatte nie Zeit. Das Kind war ihm nicht wichtig.“

Dr. Holl räusperte sich. „Ich kann Ihnen dazu nur eines sagen, Frau von Schelling. Wenn Jonathans Vater kein Sorgerecht hat, ist er natürlich auch nicht befugt, sich in unsere Behandlung einzumischen, solange der Junge bei uns betreut wird. Ganz egal, ob sein Vater ein Kollege ist oder nicht. Ohne Sorgerecht geht gar nichts. Wir halten uns an die gesetzlichen Regelungen. Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir eine Kopie vom Gerichtsbeschluss zukommen lassen würden, damit ich was in der Hand habe, falls sein Vater hier auftaucht.“

„Selbstverständlich.“ Die Mutter des kleinen Patienten nickte heftig. „Den bringe ich gleich morgen vorbei. Sicher kommt Ihnen meine Besorgnis etwas übertrieben vor, aber ich habe von Elmar noch nie etwas Gutes erfahren.“

Dazu wollte Dr. Holl sich nicht äußern. „Wenn Sie mir bitte noch sagen, wie er heißt.“

„Dr. Elmar Huber. Er ist Oberarzt der Chirurgie an der Theresien-Klinik. Ich danke Ihnen sehr, Dr. Holl. Zu Ihnen habe ich vollstes Vertrauen. Bitte, helfen Sie meinem Sohn, dass er bald wieder normal leben kann wie andere Kinder in seinem Alter auch.“

Dr. Holl dachte kurz nach, aber der Name Elmar Huber sagte ihm nichts.

„Was wir tun können, tun wir“, sagte er dann. „Übrigens, meine Jüngste und Ihr Sohn gehen in dieselbe Klasse.“

Jetzt erschien erstmals ein Lächeln auf dem Gesicht der Frau, die ansonsten einen ziemlich gestressten Eindruck machte.

„Ja, das weiß ich. Jonathan erzählt oft von Ihrer Tochter. Die beiden mögen sich.“

Verstohlen wischte sie sich über die Augen. Dann besann sie sich und stand ziemlich hastig auf. Stefan brachte sie zur Tür und versicherte ihr nochmals, dass in der Berling-Klinik alles Menschenmögliche für Jonathan getan werde.

Als er allein war, rief er seinen Kollegen Daniel Falk an und berichtete ihm in kurzen Worten von Frau Schellings Sorgen.

„Kennst du den Kollegen?“

„Elmar Huber?“, wiederholte Daniel Falk. „Kann sein, dass ich den Namen schon mal gehört habe, aber sicher bin ich nicht.“

„Gut, sollte er wirklich bei uns auftauchen, soll man mir sofort Meldung machen. Wir sind verpflichtet, den Wünschen der Mutter zu entsprechen.“

Noch in der gleichen Stunde informierte Stefan Holl sowohl die Kollegen als auch das Pflegepersonal auf der Kinderstation und erfuhr bei der Gelegenheit, dass Dr. Romberg heute einen freien Tag hatte. Aber Schwester Marion versprach, den Stationsarzt sofort nach seiner Wiederkehr morgen zu informieren.

***

„Habt ihr euch das auch wirklich gut überlegt? So eine Transplantation ist immerhin eine große Operation und …“

Katrin nahm die Hand ihres Bruders. „Deine Sorge um uns ist wirklich rührend, aber völlig unbegründet. Hier sind wir in guten Händen. Und da ich Manfred auch nach all den Jahren immer noch liebe, habe ich mich jetzt zur Nierenspende entschlossen. Was ist daran so schlimm?“

„Hast du schon mal daran gedacht, dass auch deine verbliebene Niere krank werden kann? Dann hättest du ein Problem.“

Katrin lächelte ihren Bruder ein wenig mitleidig an.

„Was glaubst du denn? Natürlich habe ich nächtelang gegrübelt. Aber dann fand ich, dass ich eins von meinen Organen abgeben kann, damit es Manfred besser geht. Und damit das gleich ganz klar ist: Manfred hat nichts von mir verlangt, mich schon gar nicht dazu gedrängt.“

Leon schaute seinem Schwager ins Gesicht. Der saß ziemlich schweigsam am Tisch. Als er jetzt den Blick des anderen bemerkte, zog er nur leicht die Schultern hoch. Was so viel heißen sollte wie: Ich kann eh nichts machen.

„Und noch ist es ja nicht so weit“, fuhr Katrin lebhaft fort. „Die Voruntersuchungen sind in vollem Gang. Erst, wenn alles geklärt ist, wird ein möglicher OP-Termin ins Auge gefasst. Bis dahin gehen wir erst mal wieder nach Hause. Vielleicht fahren wir sogar noch zwei, drei Tage weg.“

„Ihr hättet euch auch in der Berling-Klinik behandeln lassen können. Chefarzt Dr. Holl …“

„Hier in der Theresien-Klinik sind wir gut aufgehoben“, schnitt sie ihm das Wort ab. „Außerdem ist sie ganz in unserer Nähe. Und Dr. Huber gilt als eine Koryphäe in der Transplantationsmedizin.“

„Ich werde noch mit ihm reden“, murmelte Leon. Er wusste nicht, wie er sich angesichts von Katrins Entschiedenheit verhalten sollte. Natürlich hatte er kein Recht, seiner Schwester Vorschriften bezüglich ihrer Handlungsweise zu machen. Aber für ihn fühlte sich die ganze Sache einfach nicht richtig an, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt.

Katrin strich ihm über das volle Haar. „Das kannst du gern tun, Bruderherz. Aber die Entscheidung ist schon gefallen. Damit erfülle ich mir auch einen Traum. Willst du wissen, welchen?“

Leon schaute ihr in die Augen, deren blaue Farbe ihn immer noch faszinierte. Mit ihren fünfundvierzig Jahren war Katrin eine attraktive Frau, stets flott frisiert und elegant gekleidet. Ihre Figur hatte sie sich weitgehend erhalten. Sie arbeitete in einem Modehaus als Einkäuferin.

„Seit Manfreds Krankheit können wir nie länger als drei Tage verreisen“, fuhr sie fort. „Ich aber möchte noch so viele Länder dieser Welt sehen, Thailand zum Beispiel, Tibet, Nord- und Südamerika. Und ganz oben auf der Liste steht der Nordpol. Mein größter Wunsch wäre eine Fahrt mit einem Eisbrecher. Und Manfred soll mich immer begleiten. Finanziell könnten wir uns das alles leisten, aber mit der Dialyse geht das nun mal nicht. Darum soll er darauf nicht mehr angewiesen sein.“

Sie opferte also eine Niere für den Umstand, immer dann in Urlaub fahren zu können, wenn ihr danach war. Leon presste die Lippen zusammen und schwieg. Was sollte er dazu sagen? Kritik verkniff er sich, zumal der Nutznießer des Organs mit am Tisch saß. Alle Argumente gegen die Transplantation mussten in seinen Ohren wie eine harsche Ablehnung klingen.

„Mach dir keine Sorgen, Kleiner! Ich habe keine Angst vor dem Eingriff. Und wenn es Manfred danach besser geht, ist auch mir geholfen. Ich spende ihm meine Niere aus Liebe.“

Worte, die Leon davon abhielten, weiter zu insistieren. Eine halbe Stunde später begleitete er die beiden bis zu ihrer Zimmertür. Von Manfred verabschiedete er sich mit einem kräftigen Händedruck, von seiner Schwester mit einer liebevollen Umarmung.

Eine Weile stand er noch auf dem Gang und schaute hinaus auf den Starnberger See. Die Klinik befand sich in einer geradezu traumhaften Lage. Katrin hatte recht, noch war es nicht so weit. Und solche Transplantationen von lebenden Spendern nahmen zu. Doch erst neulich war durch die Fachpresse gegangen, dass dafür immer mehr Risiken in Kauf genommen wurden. Risiken, die man kleinredete. Sogar Prozesse hatte es schon gegeben.

Leon warf einen Blick auf seine Uhr. Es war schon früher Abend. Aber da zu Hause niemand auf ihn wartete und er erst morgen wieder zum Dienst in die Berling-Klinik musste, konnte er gleich jetzt noch versuchen, mit dem Kollegen Huber zu sprechen.

Vor dem Schwesternzimmer blieb er stehen. Die Pflegerin war immer noch da. Sie tippte etwas in den Computer und bemerkte ihn nicht. Erst als er leicht an die Scheibe klopfte, schaute sie auf. Ein warmes Lächeln glitt über ihr Gesicht. Schwester Nora, stand auf einem Schild auf dem Tisch.

„Entschuldigen Sie die Störung, Schwester Nora. Ich hätte gern noch mit Dr. Huber gesprochen.“

„Sie stören nicht“, erwiderte sie. Und nach einer Pause: „Tut mir leid, aber er ist nicht mehr im Haus.“

„Vielleicht kann er mich anrufen.“ Leon tastete in der Innentasche seines Jacketts nach einer Visitenkarte. Doch ausgerechnet heute hatte er keine dabei.

So bat er Schwester Nora, seine Nummer zu notieren. „Mein Name ist Dr. Leon Romberg“, fügte er hinzu. „Ich bin auch Arzt.“

„Ich werde die Nachricht weitergeben“, versprach sie. „Sie können sich auf mich verlassen, Dr. Romberg.“

„Sehr freundlich von Ihnen“, sagte er und verfiel in hektische Überlegungen, wie er das Gespräch noch geschickt in die Länge ziehen konnte. Es war ein so schönes Gefühl, sich in ihrer Nähe aufzuhalten. In ihren wachen Augen glaubte er zu lesen, dass er ihr nicht unsympathisch war. Er spürte sein Blut schneller kreisen. Und auch sein Herz machte ein paar Schläge mehr als sonst.

Aber er brachte es nicht fertig, sie zu fragen, ob sie vielleicht mal ein wenig Zeit für ihn übrig hatte. So blieb ihm nur ein letztes Lächeln – und die vage Hoffnung, dass sie ihn vielleicht einfach mal anrief. Seine Nummer hatte sie ja.

„Vielen Dank“, sagte er. „Sehr freundlich von Ihnen. Auf Wiedersehen.“

***

Nora hätte den fremden Mann am liebsten festgehalten. Selbstverständlich tat sie es nicht. Er hatte etwas im Blick, das Anteilnahme verriet, ja auch Neugier, Interesse und Gesprächsbereitschaft. Manchmal erkannte man ja in wenigen Sekunden, ob man mit einem anderen Menschen auf einer Wellenlinie lag.

Aber nun, da er weg war, wuchs ihr Bedauern. Sie hatte sich einfach nicht getraut, ihm zu sagen, dass sie in einer halben Stunde frei war. Vielleicht hätte er ihr Angebot ja auch zurückgewiesen. Was wusste sie denn von ihm? Ein so gut aussehender Mann wie er lebte sicher nicht allein auf dieser Welt.

Ihre Kollegin hätte kein Problem damit gehabt, einen Mann, der ihr gefiel, auf charmante Weise anzumachen. Nora wünschte sich nichts mehr, als einfach mal über ihren Schatten springen zu können. Und wenn sie es in dieser Disziplin zu etwas bringen wollte, sollte sie allmählich mal damit anfangen.

Auch, um ein wenig dem Druck zu entkommen, der auf ihr seit jenem Treffen mit dem Oberarzt lag. Jeden Tag ließ er sie spüren, was er von ihr hielt, nämlich nichts. Durch abfällige Blicke und Gesten, durch hingeworfene Bemerkungen rächte er sich für die Abfuhr, die sie ihm erteilt hatte – und die ihn doch ziemlich getroffen haben musste. Sonst hätte er einfach ihr Nein akzeptiert und wäre darüber hinweggegangen. Aber Toleranz schien nicht zu seinen Eigenschaften zu gehören.

Nora befürchtete, dass sie seinetwegen noch einige Scherereien bekommen würde. Sie musste auf der Hut sein. Jeder kleine Fehler, der ihr unterlief, würde ihm in seiner Gnadenlosigkeit als Vorwand für ihre Entlassung dienen. Dessen war sie sich sicher. Dr. Elmar Huber vergaß keine Kränkung. Sie hätte vielleicht etwas diplomatischer reagieren sollen. Aber wie sagte man einem Mann, dass man ihn nicht mochte?

Sie fühlte sich nun täglich beobachtet, auch wenn er gar nicht in ihrer Nähe war. Sie traute ihm sogar zu, dass er einige von den Kollegen aufforderte, ein besonderes Augenmerk auf sie zu haben.

Von ganzem Herzen wünschte sie sich, dass über die unselige Geschichte mit dem Oberarzt bald immer höher das Gras wuchs. Denn ein solches Betriebsklima war auf die Dauer niemandem zuträglich. Sie überlegte sogar, ob sie sich bei ihm entschuldigen sollte. Doch wofür? Sollte sie sich von einem Mann verführen lassen, nur um dessen Eitelkeit nicht zu verletzen? Ausgeschlossen. Unbewusst schüttelte sie den Kopf.

Sie war zwar im Gegensatz zu anderen Frauen ihres Alters etwas schüchtern und auch nicht besonders durchsetzungsfähig, aber diese Vorstellung ging dann doch zu weit. Wenn sie allerdings an den Besucher dachte, der ihr zum Abschied ein so offenes Lächeln geschenkt hatte, wurde ihr ganz warm ums Herz. Was mochte er wohl für ein Mensch sein?“

„Nora, du träumst“, sagte Kollegin Sandra. „Du hast längst frei. Oder möchtest du noch meine Schicht übernehmen?“

„Okay, ich war mit meinen Gedanken woanders“, räumte sie lachend ein. „Aber da ich ja nicht mehr im Dienst war, durfte ich mir das erlauben.“

„Wer ist es denn?“

„Ach, du immer mit deinen Vermutungen! Ich habe keinen Freund, das weißt du doch. Und es ist auch keiner in Sicht.“

„Schon okay, aber was nicht ist, kann ja noch werden“, versetzte Sandra trocken. „Und jetzt ab mit dir in den Feierabend!“

***

Da an diesem Abend alle Holls zu Hause waren, saß man mal wieder zum gemeinsamen Essen am Tisch. Mutter Julia freute sich, ihre Lieben um sich zu versammeln. Es kam nun immer öfter vor, dass die erwachsenen Zwillinge auch abends Lehrveranstaltungen an der Uni besuchten oder ausgingen. Marc studierte Medizin wie sein Vater, Dani hatte sich für die Biologie entschieden. Chris und Juju gingen noch zur Schule.

Soeben stellte Julia eine große Auflaufschale mit zwei dicken Backhandschuhen in die Mitte des Tisches. Wirtschafterin Cäcilie hatte ihn schon so vorbereitet, dass Julia ihn nur noch in den Backofen schieben musste. Nun war er fertig, und die goldbraune Kruste verbreitete einen himmlischen Duft.

Ihrem Mann drückte sie einen großen Löffel in die Hand und forderte ihn auf, die Teller der Kinder zu füllen. Eine Aufgabe, der Stefan gern nachkam. Schließlich bediente er noch seine Frau, zum Schluss sich selbst. Man wünschte einander einen guten Appetit. Dann war es für ein paar Augenblicke ruhig am Tisch.

„Heiß … verdammt“, ließ sich Juju vernehmen.

„Am Tisch wird nicht geflucht“, wies Chris seine kleine Schwester zurecht. Stefan und Julia warfen sich einen kurzen Blick zu – und schwiegen. Was sie immer taten, wenn die Kinder untereinander so etwas wie Erziehungsarbeit leisteten.

„Warte einfach ein bisschen, bis es abgekühlt ist“, schlug Dani vor.

„Wenn ich aber doch Hunger habe“, maulte Juju und breitete die Nudeln und die Schinkenstücke auf ihrem Teller aus. „Übrigens, da ihr jetzt alle da seid, muss ich euch was sagen. Ich will nicht mehr Juju heißen. Ihr sollt mich ab sofort Julia nennen.“

„Okay, Juju“, erwiderte Chris kauend und betrachtete das jüngste Familienmitglied skeptisch. „Und warum plötzlich die Änderung?“

„Weil ich kein kleines Kind mehr bin“, erklärte Stefans Jüngste mit erhobenem Kinn. „Ist dir das noch nicht aufgefallen?“

„Aber Juju ist doch ein hübscher Name“, versuchte Marc, seine kleine Schwester zu trösten.

„Eher einer für ein kleines Mädchen. Und das bin ich nicht mehr, sondern …“

„Eine junge Dame?“, hakte Dani nach.

„Na ja, vielleicht.“ Mit gekräuselter Stirn dachte Juju darüber nach, ob ihr diese Bezeichnung gefiel.

„Du bist noch ein Kind“, teilte Chris reichlich schonungslos mit. „Nicht unbedingt ein kleines, aber ein Kind. Die ganze Pubertät hast du noch vor dir. Das wird kein Zuckerschlecken. Kannst du dir von einem alten Hasen sagen lassen.“ Er grinste seine kleine Schwester an. „Für mich bleibst du immer Juju, auch wenn du mal achtzig bist.“

Juju schmollte, aber es half nichts. Bruder Chris lehnte es ab, sie Julia zu nennen.

Nach dem Essen räumten die Zwillinge den Tisch ab, während Juju und Chris in ihren Zimmern verschwanden. Die Eltern zogen sich in den Wohnraum zurück. Eigentlich hätte Julia gern den restlichen Abend auf der Terrasse verbracht, doch dazu war es zu kühl.

Stefan bekam noch einen Anruf vom Kollegen Romberg, der zunächst wortreich für die abendliche Störung um Entschuldigung bat und ihm dann sein Problem darlegte. Dr. Holl lauschte aufmerksam und versprach seinem Mitarbeiter, morgen ausführlich mit ihm über die Vorteile und Risiken einer Nieren-Lebendspende zu reden.

Als Julia ihren Mann fragend anschaute, informierte er sie über den Inhalt seines Gesprächs mit Leon Romberg. „Tatsache ist, dass sich immer mehr Menschen entschließen, einem nahen Angehörigen ein Organ zu spenden. Hauptsächlich sind es die Nieren, weil man zwei davon hat. Aber Fakt ist auch, dass viele Spender gesundheitlich vorbelastet sind, besonders dann, wenn sie selbst schon Operationen hinter sich haben.“

Julia nannte gleich ein paar bekannte Persönlichkeiten, deren Namen in der letzten Zeit als Spender durch die Medien gegangen waren, darunter sowohl Größen aus dem Show-Business wie auch Menschen aus Wirtschaft und Politik.

„Genau.“ Stefan nahm einen tiefen Atemzug. „Auch wenn immer öfter lebende Menschen als Organspender genutzt werden, sind solche Eingriffe noch lange keine Routine. Ich bin der Meinung, dass man sehr sorgfältig prüfen muss, ob ein Patient für eine solche Spende geeignet ist. Und wenn nicht, sollte man die OP nicht durchführen oder wenigstens aufschieben.“

„Aber es werden sich immer Kollegen finden, die das Risiko ganz bewusst eingehen“, stellte Julia fest.

Dem konnte Stefan nur zustimmen. „So ist es leider. In unserem Berufsstand gibt es jede Menge schwarze Schafe. Das sind dann meistens ziemlich eitle Typen, die sich feiern lassen, wenn sie einer Frau im Großmutteralter noch zu einer Schwangerschaft verholfen haben.“

Zu fortgeschrittener Stunde gönnten sich die Holls noch ein Glas Rotwein, bevor sie ins Bett gingen. Im Haus war es ruhig geworden. Stefan schlief sofort ein, während Julia noch darüber nachdachte, wie sie sich verhalten würde, wenn eines ihrer Lieben eine Niere brauchte. Lange brauchte sie nicht, um eine Antwort zu finden. Natürlich wäre sie sofort zu einer solchen Spende bereit.

***

Er saß in einem Wagen und musste unbedingt noch eine Fähre auf eine einsame Insel erreichen. Verzweifelt drückte er das Gaspedal bis zum Anschlag durch, doch das Fahrzeug bewegte sich nur ruckweise. Und wenn es mal ein wenig Fahrt aufnahm, ging es nur im Schneckentempo weiter.

Schweißgebadet wachte Leon auf. Er blieb noch eine Weile liegen, bis er sich wieder ruhiger fühlte. Dann erst stand er auf. Nach einer heiß-kalten Dusche fühlte er sich besser, trank einen schwarzen Kaffee und biss in eine schon ziemlich ausgetrocknete Brotscheibe. Für ein ausgiebiges Frühstück war jetzt keine Zeit. Vielleicht konnte er das später in der Klinik nachholen.

Beim Verlassen des Hauses klingelte sein Handy. Auf dem Display erschien eine unbekannte Nummer. Leon meldete sich.

„Guten Morgen, hier spricht Oberarzt Dr. Huber. Sie hatten um meinen Anruf gebeten. Es handelt sich um das Ehepaar Bartel, nicht wahr? Vor wenigen Minuten habe ich noch mit Frau Bartel gesprochen. Sie sagte mir, dass Sie da waren und sich Sorgen machen. Das allerdings ist völlig unbegründet. Ich will Ihnen auch gleich erklären, wieso.“

Leon nutzte die Atempause des anderen, um auch ein paar Worte zu sagen. Außerdem hatte er es eilig, in die Berling-Klinik zu kommen. „Wir können auch später noch telefonieren“, wandte er ein.

„Aber nein, das passt mir jetzt sehr gut. In weniger als einer halben Stunde beginnt mein OP-Marathon, dann bin ich bis zum Abend nicht mehr abkömmlich.“

OP-Marathon! Leon musste schlucken. Das klang ja ganz nach Hochleistungssport. Hallo, Herr Kollege, Ich habe heute Gallensteine wie am Fließband entfernt, danach Leistenbrüche gerichtet und etliche Tumore entfernt, konnte kaum verschnaufen, geschweige denn, zwischendrin mal einen Kaffee trinken.Aber so bleibt man wenigstens in Form.

„Sie sind ein Verwandter der Bartels, nicht wahr?“, drang jetzt wieder die metallisch klingende Stimme des Chirurgen an sein Ohr.

„Ich bin Frau Bartels Bruder.“ Leon verließ sein Haus, das in einer ruhigen Gegend in Harlaching lag, und ging zum Wagen. Der stand vor der Garageneinfahrt. Gestern Abend war er zu müde gewesen, ihn hineinzufahren. Das Parken dort war inzwischen Millimeter-Arbeit, weil sich über die Jahre viel zu viel Gerümpel angesammelt hatte, das zum Teil noch von seinen Eltern stammte.

„Nun, dann lassen Sie mich den Vorgang erklären. Das Ganze ist längst nicht so kompliziert, wie es sich anhört.“

Leon entriegelte das Fahrzeug und stieg ein. „Ich bin selbst Arzt“, sagte er trocken. „Sie können es mir also auch kompliziert schildern.“

„Oh, ein Kollege. Das vereinfacht die Sache natürlich. Darf ich fragen, in welchem Fachgebiet?“

„Pädiatrie.“

Leon hörte ein unterdrücktes Schnaufen. Die des Kinderarztes schien bei dem Kollegen in Tutzing wohl zu den eher untergeordneten Tätigkeiten zu gehören.

„Also, dann fasse ich mich kurz. Die Voruntersuchungen sind übermorgen abgeschlossen. Dann werten wir die Befunde aus und können loslegen. Wie stehen Sie noch mal zu den beiden Patienten?“

„Katrin Bartel ist meine Schwester.“

„Ach ja, richtig, Sie sagten es. Ich hab so viele Namen im Kopf, da geht schon mal was durcheinander. Wir haben hier eine eigene Nierenabteilung. Und ich bin der Leiter. Wie gesagt, machen Sie sich keine Sorgen. Es wird alles gut gehen. Hundertfach geprüft und für gut befunden.“ Er lachte übertrieben heftig. „Wenn es Sie interessiert, maile ich Ihnen gern ein paar Bewertungen meiner Patienten. Ich bekomme immer die meisten Sterne.“

Er räusperte sich. „In ein paar Wochen wird Ihr Schwager überhaupt nicht mehr daran denken, dass er mit einer fremden Niere herumspaziert. Und Ihre Schwester steht schon am nächsten Tag nach der OP wieder auf ihren Beinen.“

„Muss das denn alles so schnell gehen? Mein Schwager kommt mit der Dialyse bestens zurecht …“

„Aber in dieser Situation ist er doch immer gehandikapt“, fiel ihm der Tutzinger Kollege eine Spur zu heftig ins Wort. „Ich bitte Sie, das ist doch keine Lebensqualität. Warum soll es ihm nicht besser gehen, wenn wir die Möglichkeiten dazu haben? Vergessen Sie nicht, das Risiko ist überschaubar.“

Die letzten Worte klangen direkt ein wenig vorwurfsvoll, gerade so, als wäre Leon derjenige, der den beiden aus pedantischen Gründen keine angenehmeres Leben zubilligte. Jemand, der jedes Risiko vermeiden wollte. Natürlich war ihm klar, dass auch der kleinste Eingriff Komplikationen mit sich bringen konnte. Doch darum ging es hier ja gar nicht. Auch wenn er kein Chirurg war, so hegte Leon dennoch Vorbehalte gegen die Aussagen des Kollegen. Vorbehalte, die sich nicht einfach so wegwischen ließen.

Aber der andere war ein eloquenter Mann. Er hatte ja auch Katrin und Manfred schon längst überzeugt, vielleicht sogar überredet. Hoffentlich würde alles gut gehen! „Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie den Termin wissen!“

„Selbstverständlich, Herr Kollege. Vertrauen Sie mir und meinem Team! Nach dem Eingriff werden Ihre Angehörigen neue Menschen sein.“

Das bezweifelte Leon. Er verabschiedete sich, legte das Handy auf den Nebensitz und startete den Wagen. Heute brauchte er wieder doppelt so lange wie sonst, um nach München hineinzukommen. Als er endlich auf den Parkplatz der Berling-Klinik einbog, hatte er längst den Entschluss gefasst, die Untersuchungsbefunde von Dr. Huber aus Tutzing zu verlangen.

***

Zwei Tage später fuhr er erneut zur Theresien-Klinik. Sein Herz klopfte schon ein wenig heftiger, als er das Gebäude betrat. Ob er sie heute wiedersehen würde? Er wünschte es sich von ganzem Herzen. Immer wieder hatte er an sie gedacht – und dabei seiner Fantasie freien Lauf gelassen.

Als er dann am Schwesternzimmer vorbeikam und eine andere Pflegerin ihm einen fröhlichen Gruß zurief, fiel ihm das Lächeln schwer.

„Ich möchte zu Frau Bartel und ihrem Mann“, sagte er etwas lahm.

„Die beiden sind gerade in einer Besprechung mit dem Arzt“, sagte die etwas füllige Frau.

„Wird es lange dauern?“

„Keine Ahnung, aber Sie können gern warten.“ Sie deutete auf die Sitzgruppe am Fenster. „Vorn an der Ecke haben wir auch einen Kaffeeautomaten.“

„Danke“, murmelte er und nahm Platz.

Eine Weile beobachtete er das Geschehen vor den Zimmertüren. Besucher mit und ohne Blumen kamen und verließen die Station wieder. Patienten bewegten sich mit Gehhilfen oder rollenden Tropfständern über den Gang. Und gerade, als er sich dazu durchgerungen hatte, nach Schwester Nora zu fragen, kam sie mit schwungvollen Schritten um die Ecke. Eine mächtige innere Kraft ließ ihn aufspringen. Er ging auf sie zu.

„Guten Tag, Schwester Nora.“

„Grüß Gott, Dr. Romberg. Sie wollen sicher wieder zu Ihrer Schwester.“

„Wie ich hörte, reden die beiden mit den Chirurgen. Ich warte so lange.“

„Möchten Sie einen Kaffee?“, fragte sie ihn mit leicht schräg gelegtem Kopf. „Einen richtigen, nicht den aus dem Automaten.“

Leon lächelte „Den würde ich sehr gern nehmen.“

„Mit Milch und Zucker?“

„Ohne alles. Milch im Kaffee mag ich nicht, und süß bin ich selber.“

„Kommt gleich“, versprach sie lachend.

Und tatsächlich balancierte sie wenig später einen vollen Kaffeebecher zu seinem Platz. Daneben stellte sie ein Schälchen mit drei Schokoladenkeksen.

„Damit Ihnen die Zeit nicht lang wird“, sagte sie.

Für diese nette Geste hätte er sie am liebsten geküsst. Natürlich unterdrückte er diesen Wunsch. Aber da er spürte, dass im Augenblick seine Chancen sehr gut standen, schob er alle Bedenken zur Seite und fragte sie.

„Ich möchte Sie gern einladen … vielleicht zu einem kleinen Imbiss?“

Sie schaute ihn mit großen Augen an und schwieg. Aber er sah ihr an, wie es hinter ihrer glatten Stirn arbeitete.

„Natürlich nur, wenn Sie Zeit haben. Zeit und Lust“, fuhr er fort betont freundlich fort – um ihr eine Absage so leicht wie möglich zu machen. „Wenn Sie mögen, können wir uns ein wenig unterhalten. Themen hätten wir genug. Vielleicht in einem Lokal am See? Das Wetter ist heute so schön. Wer weiß, wie lange noch. Und wenn Sie genug von meinem Geschwätz haben, bringe ich Sie nach Hause.“

Leon glaubte, nun alles aufgeboten zu haben, um sie für einem gemeinsamen Abend zu gewinnen. Mehr sollte es ja ohnehin nicht werden.

Nora hatte ihre Überlegungen beendet und teilte ihm engelhaft lächelnd ihre Entscheidung mit. „Lust hätte ich schon“, erwiderte sie. „Aber ich bin erst um sechs frei.“ Sie schaute auf die Uhr. „Noch eineinhalb Stunden bis dahin. Das ist lang, nicht wahr?“

„Aber das macht doch überhaupt nichts. Ich habe genug mit meinen Angehörigen zu besprechen. Und wenn es dann immer noch nicht sechs ist, warte ich einfach auf Sie.“

„Gut“, sagte sie in der deutlichen Absicht, das Gespräch an dieser Stelle abzubrechen. „Treffen wir uns also unten im Foyer.“

Ein letztes Lächeln, dann begann sie eilig ihren fälligen Rundgang bei den Patienten. Auf keinen Fall wollte sie sich eine Nachlässigkeit vorwerfen lassen. Nur zu gut erinnerte sie sich an Dr. Hubers Drohungen. Der Oberarzt verfügte gewiss über genug Mitarbeiter, die sich Vorteile davon erhofften, ihm Informationen über andere zuzutragen. Spitzel sozusagen.

Leon staunte über sich selbst, wie sehr er sich auf das Wiedersehen mit ihr freute. Der Blick ihrer klugen Augen wirkte noch nach, als sie schon gegangen war. Sogar einen zarten Grünton glaubte er, in dem Grau entdeckt zu haben. Von dieser Frau ging eine geheimnisvolle Botschaft aus, die nur für ihn allein bestimmt war, auch wenn er sie noch nicht ganz entschlüsseln konnte.

Eine Erkenntnis, die ihm das Glück wieder etwas näher brachte. Und fast hätte er auf dem Weg zu Katrin und Manfred ein fröhliches Liedlein gesummt.

***

Bevor Nora ihren Dienst beendete, betrachtete sie im Waschraum ihr Gesicht im Spiegel. Keine Frage, sie war zu blass. Wohl deswegen, weil sie kaum an die frische Luft ging. Früher war sie mal eine passionierte Joggerin gewesen, doch nach dem letzten Desaster mit Hajo, der sie sehr verletzt hatte, war viel von ihrer Lebensfreude verloren gegangen. Sie tat zu wenig für sich. Diese Erkenntnis überkam sie ganz plötzlich. Und sie beschloss, daran etwas zu ändern.