Die besten Ärzte - Sammelband 23 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 23 E-Book

Katrin Kastell

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1788: Ich habe noch gar nicht richtig gelebt
Notärztin Andrea Bergen 1267: Wo ist meine Mama?
Dr. Stefan Frank 2221: Wo bist du nur, mein Sohn?
Dr. Karsten Fabian 164: Patricia und der Lügenbaron
Der Notarzt 270: Noteinsatz am Badesee

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
Jetzt herunterladen und sofort sparen und lesen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 597

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2014/2015/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: © goodluz/Shutterstock ISBN 978-3-7517-1085-5 ww.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Katrin Kastell, Marina Anders, Stefan Frank, Ulrike Larsen, Karin Graf

Die besten Ärzte 23 - Sammelband

Inhalt

Katrin KastellDr. Holl - Folge 1788Die hochbegabte, hübsche Jana Liebermann aus gutem Hause steht auf der Sonnenseite des Lebens. Doch als sie mitten in den Abiturprüfungen steckt, wird sie schwer krank, und die Diagnose der Ärzte in der Berling-Klinik ist niederschmetternd: Die erst Neunzehnjährige leidet an einer Krebserkrankung, einem Neuroblastom. Die Mediziner wollen sie sofort operieren, und dann sollen Chemotherapien und Bestrahlungen folgen. Jana ist sich jedoch nicht sicher, ob sie sich dieser Tortur aussetzen will. Wenn ihr schon nicht mehr viel Zeit in diesem Leben bleibt, dann will sie wenigstens jeden Tag genießen! Und so packt sie mitten in der Nacht kurz entschlossen ein paar Sachen zusammen, steigt in ihr Auto und fährt davon ...Jetzt lesen
Marina AndersNotärztin Andrea Bergen - Folge 1267"Du musst Isa operieren! Du bist die Einzige, die ihr noch helfen kann!" Bei den Worten ihrer zukünftigen Schwägerin Leona treten der hübschen Dr. Alexa Heyder Tränen in die Augen. Nur zu gut kann sie Leonas Verzweiflung verstehen - doch als Neurochirurgin weiß Alexa auch um die Aussichtslosigkeit aller ärztlichen Bemühungen! Seit ein großer Tumor in Isas Wirbelsäule gefunden wurde, der in ihr Rückenmark zu wuchern droht, rechnen die Ärzte des Elisabeth-Krankenhauses mit dem Schlimmsten, und bisher konnten weder die aggressive Strahlen- noch die Chemotherapie den Tumor verkleinern. Die Operation ist Isas einzige Option - und sie ist lebensgefährlich! Als Alexa zustimmt, den Eingriff durchzuführen, ahnt niemand, welch namenlose Angst die junge Ärztin umtreibt. Aber diese Operation an ihrer Nichte in spe soll für Alexa zur Bewährungsprobe und zum Prüfstein ihres Lebens werden ...Jetzt lesen
Stefan FrankDr. Stefan Frank - Folge 2221Dr. Frank und eine verzweifelte Mutter auf der Suche nach ihrem Kind Seit Christian sie verlassen hat, ist das Leben nicht einfach für die hübsche Buchhalterin Susanna. Ohne Christians Gehalt konnte sie die Raten für ihr Haus nicht mehr zahlen und musste deshalb wieder bei ihren Eltern einziehen. Auch mit ihren Sorgen um den gemeinsamen Sohn steht Susanna alleine da. Weil Anton viel zu früh zur Welt kam, ist er oft krank, vor allem mit der Lunge hat er häufig Probleme. Als Christian eines Tages völlig unvermittelt wieder vor der Tür steht, traut Susanna ihren Augen kaum. Er will sie und Anton wirklich zurück? Aber warum denn auf einmal? Da stimmt doch etwas nicht! Zögerlich beschließt sie, Christian eine zweite Chance zu geben. Doch sie hätte auf ihr Gefühl hören sollen, denn bald schon ist Christian wieder verschwunden - und mit ihm Anton. Aber was das Schlimmste ist: Christian hat die Medikamente ihres Sohnes nicht mitgenommen! Und ohne seine Medizin droht Anton zu ersticken...Jetzt lesen
Ulrike LarsenDr. Karsten Fabian - Folge 164Seit die einundzwanzigjährige Patricia ihre Eltern verloren hat, fühlt Florentine Fabian sich ein bisschen für sie verantwortlich. Patricia steht ganz allein auf der Welt, hat nur noch einen Bruder, der seit Jahren in Südamerika lebt. Eines Tages trifft Florentine Patricia vor dem Dorfkrug mit einem attraktiven Mann, doch auf den ersten Blick weiß die Landarztfrau, dass dieser Fremde Patricia niemals glücklich machen wird: Er ist viel zu elegant gekleidet, alles an ihm wirkt künstlich und falsch, und seine Lieblingsthemen sind seine gesellschaftliche Stellung und sein Reichtum. Ich muss etwas unternehmen!, denkt Florentine, denn sie kann Patricia doch nicht mit offenen Augen ins Unglück rennen lassen ...Jetzt lesen
Karin GrafDer Notarzt - Folge 270Notarzt Peter Kersten staunt nicht schlecht, als sein Nachbar Louis Hartwig mit einer stark blutenden Wunde am Bein vor seiner Tür steht. Ein Monstrum habe ihn am See angegriffen, berichtet der sichtlich schockierte Mann. Es sei geschuppt gewesen und habe mit einem mächtigen Schwanz nach ihm geschlagen. Zunächst hält Peter Kersten diese Erzählung für einen schlechten Scherz, doch dann zieht er mit seiner Pinzette ein seltsames Teilchen aus der Wunde des Mannes: Es sieht fast aus wie das abgebrochene Stück eines Reptilienpanzers! Bald verdichten sich die Hinweise, dass sich in dem Gewässer tatsächlich ein Lebewesen befinden könnte, das für Badegäste und Spaziergänger eine große Gefahr darstellt. Der See wird von der Polizei abgesperrt, und Mitarbeiter des Zoos versuchen alles, um das Tier anzulocken und einzufangen. Als trotz aller Bemühungen kein Reptil zu sichten ist, beschließt Nikita Thoma, die Tierärztin des Zoos, tauchend weiterzusuchen. Da das Wasser sehr klar ist, muss es doch möglich sein, dieses Tier zu finden! Alle sehen gebannt zu, wie die Tierärztin im Neoprenanzug in den See steigt. Zunächst scheint ihre Suche gefahrlos zu verlaufen, doch nachdem sie gerade wieder aufgetaucht ist, wird die junge Frau plötzlich hinuntergezogen, und die Wasseroberfläche färbt sich rot ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Ich habe noch gar nicht richtig gelebt

Vorschau

Ich habe noch gar nicht richtig gelebt

Sie ist erst neunzehn, als sie eine niederschmetternde Diagnose erhält

Von Katrin Kastell

Die hochbegabte, hübsche Jana Liebermann aus gutem Hause steht auf der Sonnenseite des Lebens. Doch als sie mitten in den Abiturprüfungen steckt, wird sie schwer krank, und die Diagnose der Ärzte in der Berling-Klinik ist niederschmetternd: Die erst Neunzehnjährige leidet an einer Krebserkrankung, einem Neuroblastom.

Die Mediziner wollen sie sofort operieren, und dann sollen Chemotherapien und Bestrahlungen folgen. Jana ist sich jedoch nicht sicher, ob sie sich dieser Tortur aussetzen will. Wenn ihr schon nicht mehr viel Zeit in diesem Leben bleibt, dann will sie wenigstens jeden Tag genießen!

Und so packt sie mitten in der Nacht kurz entschlossen ein paar Sachen zusammen, steigt in ihr Auto und fährt davon …

„Mir ist ständig übel, und ich bekomme kaum noch einen Bissen hinunter. Ohne zwei, drei Schmerztabletten bringe ich keinen Tag am Schreibtisch hinter mich, weil mir der Rücken wehtut. Ehrlich, wenn ich dieses Abitur endlich in der Tasche habe, bin ich ein körperlicher Schrotthaufen und muss entsorgt werden!“, stöhnte Jana Liebermann im Aufenthaltsraum der Oberstufe, wo sie eine Freistunde mit Lernen verbrachte. „Außerdem passt in meinen Kopf nichts mehr hinein. Mein Gehirn hat auf Durchzug gestellt, und ich habe das Gedächtnis einer Eintagsfliege. Geht es euch auch so? Ich möchte nur noch, dass es endlich vorbei ist – egal, wie es ausgeht!“

Das junge Mädchen war ungewöhnlich blass und hatte tiefe Schatten unter den Augen. Angesichts des nahenden Termins der ersten schriftlichen Abiturprüfung fiel es damit kaum auf, denn alle Abiturienten des Sophie-Scholl-Gymnasiums in München standen unter enormem Stress und waren angespannt und überlastet.

„Sei du still! Dir fällt es doch im Schlafe zu. Streber wie du können da nicht mitreden“, höhnte einer ihrer Mitschüler boshaft.

Jana verstummte augenblicklich und wandte sich wieder der Mathematikaufgabe zu, die vor einigen Jahren im Abitur gestellt worden war. Sie war es gewohnt, von vielen ihrer Mitschüler ausgegrenzt und verspottet zu werden, einfach nur deshalb, weil sie eine ausgezeichnete Schülerin war.

„Halt du die Klappe und mach nicht Jana dafür verantwortlich, dass du so ein Dünnbrettbohrer bist und das Abi vermutlich vermasselst!“, sprang Janas Freundin Sabrina wie meistens für sie in den Ring.

Es war ein altvertrautes Spiel, das sie mehr oder weniger ausgeprägt seit der fünften Klasse spielten. Jana zog sich verletzt zurück, und Sabrina kämpfte für sie und hielt ihr die Meute zumindest einigermaßen vom Leib. Sabrina war in der Klassenstufe sehr anerkannt und Jahrgangssprecherin. Keiner wollte es sich mit ihr verscherzen. Ihre spitze Zunge war berühmt-berüchtigt.

„Lass ihn doch!“, meinte Jana gereizt. Sie war es leid, sich hinter Sabrina verstecken zu müssen. Ihre ganze Schulzeit über hatte sie mit Ablehnung zu kämpfen gehabt, weil ihr Schnitt durchgehend in den Zeugnissen bei 1,0 lag. Neid machte Menschen unfair und gemein.

Dabei flog ihr das Wissen keineswegs einfach so zu, wie alle glaubten. Jana lernte leicht und war intelligent, das stimmte durchaus, aber vor allem war sie ungeheuer neugierig und wissensdurstig. Sie war erfolgreich, weil sie immerzu las und lernte. Sabrina wusste das, und sonst ging es niemanden etwas an, fand Jana.

Sie freute sich unbändig darauf, in der Anonymität einer großen Universität unterzutauchen. Schon jetzt wusste sie, dass sie ein Stipendium für Hochbegabte bekommen würde, und plante, sich einen Studienplatz am anderen Ende von Deutschland oder im Ausland zu suchen – nur weit, weit weg von München, ihren Mitschülern, ihren Eltern und ihrem ganzen bisherigen Leben.

„Nicht ärgern!“, tröstete Sabrina sie leise, damit die anderen es nicht hörten. „Die meinen es nicht böse, aber wir sind alle schon ganz wirr im Kopf von all dem Lernen. Seit Wochen sehe ich nur noch Bücher, Bücher, Bücher. Bei dir ist es nicht anders. Wann hast du dich das letzte Mal mit Timo getroffen?“

Timo Krämer hatte das Abitur vor zwei Jahren gemacht, und Jana und er waren schon seit Jahren ein Paar. Er studierte Betriebswirtschaftslehre in München. An den Wochenenden verbrachten Jana und er normalerweise viel Zeit miteinander, aber seit sie sich auf das Abitur vorbereitete, kam auch das viel zu kurz.

„Letzten Samstagmorgen waren wir zusammen bummeln und anschließend essen, aber dann bin ich wieder an den Schreibtisch gegangen. Zum Glück hat er genauso viel zu tun wie ich und ist nicht sauer. Bei ihm steht die Prüfung in Statistik an, und das ist nicht gerade sein liebstes Fachgebiet. Ich habe mich zum Spaß ein wenig eingearbeitet, um ihn abfragen zu können“, erzählte Jana, und ihre Stimmung hellte sich auf.

„Sag bloß“, meinte Sabrina nur.

„Das habe ich dir noch gar nicht erzählt. Bevor ich mit dem Studium anfange, wollen wir in den Semesterferien für drei Monate durch Neuseeland ziehen“, fuhr Jana fort. „Timo überlegt, sein Studium nicht in München zu beenden, sondern sich einen Studienplatz zu suchen, wo immer es mich hin verschlägt. Er ist toll!“, schwärmte Jana, die bis über beide Ohren in ihren Freund verliebt war.

Sabrina hielt sich da diskret zurück. Sie mochte Timo nicht sonderlich und wusste, dass er immer einmal wieder mit anderen Mädchen zusammen war. Jana war mit Abstand der klügste Mensch, den sie kannte, aber wenn es um Timo ging, setzte ihr Verstand aus. Sie war blind dafür, dass Timo sie wie eine Kuriosität in seinem Freundeskreis präsentierte und dass er sich von ihr in allem helfen ließ.

„Neuseeland – irre! Da hast du etwas, worauf du dich freuen kannst. Ich werde mir ein wenig Geld verdienen vor dem Studium. Du weiß doch: Arbeit …“

„Arbeit hat noch keinem geschadet!“, nahm Jana ihr die Worte aus dem Mund, und die Freundinnen lachten.

Sabrinas Vater liebte diesen Satz und benutzte ihn gerne. Er war ein hoffnungsloser Idealist und betrieb einen kleinen Buchladen in einer Seitenstraße der Münchner Fußgängerzone, von dem er seine Familie eher schlecht als recht durchbringen konnte.

Geldknappheit gehörte für Sabrina zum Alltag, und in den Schulferien hatte sie immer gearbeitet, aber darüber hatte sie nie gejammert. Sie liebte ihre Eltern und ganz besonders ihren Vater. Obwohl Jana durchaus mitbekommen hatte, wie belastend es sein konnte, bei allem rechnen zu müssen, hätte sie dennoch jederzeit mit Sabrina getauscht.

Ihre eigenen Eltern waren erfolgreiche Architekten und führten gemeinsam ein angesagtes Architekturbüro. Geld spielte bei ihnen keine Rolle, und Jana konnte haben, so viel sie wollte, aber dafür herrschte in ihrer Familie konsequenter Zeitmangel.

So etwas wie Nestwärme hatte Jana nur bei Sabrinas Eltern mitbekommen, für die sie zur Familie gehörte. Ihre eigenen Eltern sah sie selten. Wenn sie einmal sonntags zusammen frühstückten oder sich zu einem gemeinsamen Essen in der Stadt verabredeten, war es nett, aber ein wenig steif. Im Prinzip hatten sie sich nichts zu sagen, weil sie so gut wie nichts übereinander wussten.

„Lass uns heute Abend die Bücher einmal vergessen und weggehen! Ich will Spaß haben! Es ist Freitag, und am Wochenende können wir noch genug pauken und stöhnen, oder?“, schlug Sabrina vor.

Jana schüttelte müde den Kopf.

„Am Dienstag haben wir die Matheprüfung, und am Freitag liegt schon Geschichte an. Ich möchte heute Abend noch eine der Übungsaufgaben lösen, und dann freu ich mich auf mein Bett – zu mehr reicht es wirklich nicht. Ich weiß echt nicht, was mit mir los ist“, lehnte sie ab und gähnte wie zum Beweis.

„Schade!“ Sabrina war enttäuscht.

„Das hast du davon, dass du auf Streber stehst!“, kam es schadenfroh von hinten.

„Idiot!“ Sabrina drehte sich genervt zu Marius um. Eigentlich mochte sie ihn, und zwischen ihnen herrschte eine Spannung der speziellen Art. Sie war sich noch nicht ganz sicher, ob sie sich auf ihn einlassen wollte. Mit solchen Bemerkungen verkleinerte er seine Chancen bei ihr allerdings beträchtlich. Das ging ihm selbst auf, und er grinste entschuldigend.

„Ich will einmal nicht so sein. Wir treffen uns heute Abend im Magic und lüften unsere Köpfe aus. Komm doch auch vorbei, Sabrina! Jana, falls du es dir noch überlegst, bist du herzlich willkommen!“, lud er mit einer kleinen Verzögerung ausdrücklich auch Jana ein.

„Das war ein strategisch brillanter Schachzug“, kommentierte sie amüsiert. „Noch dazu absolut ungefährlich. Ich bin jetzt schon todmüde. Trotzdem danke!“

„Gern geschehen!“ Marius zwinkerte ihr fröhlich zu. „Und du?“, wandte er sich wieder an Sabrina.

„Ich überlege es mir“, kam es recht kühl, aber Sabrina konnte ein Lächeln nicht ganz unterdrücken, und Marius ging grinsend davon.

Sabrina war nicht ärgerlich darüber, dass Jana lieber lernen wollte. Sie kannte den Ehrgeiz und die strenge Disziplin ihrer Freundin und respektierte sie dafür. Anstatt gekränkt zu sein, verabredete sie sich für den Samstagnachmittag mit Jana, um gemeinsam Geschichte zu lernen.

***

Am Abend wurde nichts aus der geplanten Übungsaufgabe. Kaum war Jana aus der Schule zurück, bekam sie Bauchschmerzen, und anstatt zu lernen, verbrachte sie Stunden im Badezimmer, weil sie sich immer wieder übergeben musste.

Da sie kaum etwas im Magen hatte, kam vor allem Galle, aber der Brechreiz war so mächtig, dass sie ihn nicht unterdrücken konnte. In den letzten Wochen passierte ihr das immer wieder. Der Lernstress schlug ihr wohl auf den Magen.

„Jana, ist bei dir alles in Ordnung?“ Gegen Mitternacht kam ihre Mutter herunter und klopfte an ihre Badezimmertür.

„Mir ist nur etwas übel. Halb so schlimm!“ Jana hatte nicht bemerkt, dass ihre Eltern nach Hause gekommen waren.

Es war ungewöhnlich, dass ihre Mutter noch nach ihr sah, bevor sie sich schlafen legte. Janas kleine Einliegerwohnung lag im Erdgeschoss der Villa ihrer Eltern, und in der Regel bekamen sie so gut wie nichts voneinander mit.

„Maria hat gesagt, dass du seit Tagen kaum noch etwas zu dir nimmst. Ist wirklich alles gut? So kurz vor den Prüfungen solltest du kein Risiko eingehen“, riet Marianne Liebermann besorgt.

„Du kennst doch Maria! Wenn man keine Berge verschlingt, muss man gleich krank sein. Hätte ich immer gegessen, was sie für angemessen hält, dann wäre ich eine wandelnde Tonne“, scherzte Jana, die Maria sehr mochte. Maria Maurer war die langjährige Haushälterin der Liebermanns, die Jana aufgezogen hatte.

„Das stimmt auch wieder“, stimmte ihre Mutter zu und war beruhigt. „Sollen wir am Sonntag einmal wieder zusammen frühstücken? Das letzte Mal ist ewig her – mindestens zwei oder drei Monate. Die Zeit vergeht immer so schnell. Dein Vater und ich arbeiten gerade an einem großen Brückenprojekt und sind etwas in Zeitverzug“, fügte sie entschuldigend an.

„Das macht doch nichts, Mama! Ich bin gerade auch ziemlich beschäftigt und aufs Lernen konzentriert. Wir holen das Frühstück nach dem Abitur irgendwann nach, okay?“, bat Jana. Auf ein Familienfrühstück hatte sie gerade überhaupt keine Lust. Schon allein der Gedanke ans Essen löste den Brechreiz wieder aus.

„Natürlich, Jana! Es ist gut, dass du so genau weißt, was du willst. Wir sind sehr stolz auf dich.“

Jana stieg schon wieder Galle hoch, und sie musste sich mühsam beherrschen, um nicht zu würgen. Für die zarten Nerven ihrer Mutter waren solche Geräusche nichts, dachte sie und beherrschte sich mühsam.

„Das ist lieb von euch. Danke!“, stieß sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und atmete stoßweise.

Marianne Liebermann ging zögernd wieder nach oben. Sie hörte Jana würgen, sobald sie aus der Tür war, aber sie ging nicht noch einmal zurück. Jana war so erwachsen geworden und immer beherrscht und distanziert. Marianne fragte sich manchmal traurig, was in ihrer Familie derart schiefgelaufen war.

Paul und sie waren sich immer einig gewesen, dass sie einen Weg finden wollten, Beruf und Familie auf gute Weise zu vereinen. Keiner von ihnen sollte in seiner Karriere zurückstecken müssen, und doch hatten sie unbedingt ein Kind gewollt. Jana war ein absolutes Wunschkind gewesen.

„Wir bekommen das hin! Wenn wir es wirklich wollen, dann gelingt es uns, liebevolle Eltern und zugleich erfolgreiche Architekten zu sein.“ Das hatte Paul gesagt, als er Jana nach der Geburt das erste Mal vor Glück und Vaterstolz strahlend auf dem Arm gehalten hatte.

Im Nachhinein fragte sich Marianne, ob dieser Versuch trotz all ihrer guten Vorsätze nicht gnadenlos gescheitert war. Paul und sie gehörten zu Münchens begehrtesten Architekten und hätten karrieretechnisch nicht besser dastehen können. Ihr Büro warf ein Vermögen ab. Ihre Bauwerke und Entwürfe setzten Maßstäbe. Finanziell gab es nichts, was sie sich nicht hätten leisten können.

Marianne liebte den Erfolg und war mit Leib und Seele Architektin, aber von Janas Kindheit, von ihrer Entwicklung, ihren Krisen und Sorgen, die sie doch in der Pubertät gehabt haben musste, hatte sie nichts mitbekommen.

Mit der jungen Frau, zu der Jana herangewachsen war, konnte Marianne nichts anfangen. Sie war ihr völlig fremd. Was hatte sie für Hobbys? Hatte sie ein Lieblingsessen, eine Lieblingssportart, einen Freund, ein bestimmtes Lebensziel? Auf keine dieser Fragen hatte die Mutter eine Antwort, und das war erschütternd.

Wollte sie wissen, was in ihrer Tochter vor sich ging oder womit sie ihr eine Freude machen konnte, dann musste sie Maria fragen. So war das nicht gedacht gewesen. Familie und Beruf in Einklang zu bringen bedeutete nicht, dass das Familienleben auf der Strecke blieb. Paul lachte sie nur aus, wenn sie solche Gedanken äußerte.

„Sei doch froh, dass Jana ein problemloses Kind war und über eine große Unabhängigkeit verfügt. Sie hat uns nicht gebraucht und war auch ohne uns immer die Klassenbeste. Sie hat bei ‚Jugend musiziert‘ den ersten Platz belegt, ohne dass wir sie ein einziges Mal zum Klarinetteüben hätten anhalten müssen. Wir hatten Glück und haben eine perfekte Tochter, die wunderbar zu uns und unserem Leben passt. Was wollen wir mehr?“

Marianne versuchte erst gar nicht, es ihm zu erklären. Sie bewunderte Paul für seine Kreativität und hätte keinen anderen Mann an ihrer Seite haben wollen, aber für manches fehlte ihm jedes Verständnis. Als Mutter spürte sie, dass da zwischen Jana und ihnen etwas nicht stimmte, und hatte ein schlechtes Gewissen, wann immer sie mit Jana zusammenkam.

Wie entschuldigte man sich bei seinem fast erwachsenen Kind dafür, dass man ihm eine miserable Mutter gewesen war? Wie machte man etwas wieder gut, dessen Mangel zur Normalität für alle Beteiligten gehörte und das keiner zu vermissen schien, weil es nie existiert hatte?

Jana und sie hatten nie eine tiefere Verbindung zueinander aufgebaut. Hatte sie überhaupt das Recht, ihre Tochter um Verständnis dafür zu bitten, dass sie ihre Kindheit verpasst hatte? Konnte man all die Jahre nachholen und nach all den Versäumnissen doch noch eine vertrauensvolle Freundschaft zueinander aufbauen?

Nein, das glaubte sie nicht, aber sie ahnte, dass sie irgendwann mit Jana darüber reden musste. Zumindest Ehrlichkeit schuldete sie ihrem Kind und die Gelegenheit, sich einmal offen beschweren zu können. Nach dem Abitur wollte Marianne das Thema auf jeden Fall bei Jana zur Sprache bringen und war auf Wut und Ablehnung gefasst.

***

Jana schlief erst gegen Morgen ein, und als ihr Wecker um sieben Uhr klingelte, machte sie ihn im Halbschlaf aus. Es war doch Samstag, da konnte sie es sich schon einmal gönnen auszuschlafen. Es war schon nach zwei Uhr, als sie wieder wach wurde. Fassungslos starrte sie auf den Wecker und sprang förmlich aus dem Bett.

Warum hatte Maria sie denn nicht zum Mittagessen geweckt? Hatte sie das Klingeln an der Tür etwa überhört? Jana war wütend auf sich. Wie hatte sie sich so gehen lassen können! Die Lektionen, die sie an diesem Morgen nicht wiederholt hatte, würde sie am Sonntag zusätzlich bearbeiten müssen. Ihr war etwas schwindlig.

In einer halben Stunde kam schon Sabrina. Sie eilte ins Badezimmer und duschte erst einmal. Es half etwas gegen den Schwindel, aber obwohl sie geschlafen hatte, blieb die bleierne Müdigkeit. Ihr war noch immer leicht übel, und ihr Magen tat schrecklich weh. Ob eine Schmerztablette helfen würde?

Maria hatte ihr einen Zettel an die Tür gehängt und informierte sie, dass sie sich das Mittagessen jederzeit in der Mikrowelle warm machen konnte. Die Haushälterin hatte die heruntergelassenen Jalousien bemerkt und Jana extra nicht geweckt.

„Typisch!“, maulte Jana in Gedanken, aber sie nahm es Maria nicht übel. Die Haushälterin war ein herzensguter Mensch und meinte es gut. Sie machte sich Sorgen um Janas Gesundheit. Wäre es nach Maria gegangen, dann hätte Jana längst ihren Hausarzt aufsuchen und sich untersuchen lassen müssen.

Jana war gerade fertig gerichtet und hatte sich einen Kaffee gemacht, als Sabrina kam. Wie immer begrüßten sich die Freundinnen mit einer Umarmung.

„Du siehst übel aus, Jana“, stellte Sabrina dann kritisch fest und musterte sie gründlich. „Ich korrigiere: Du siehst krank aus. Hast du die Nacht durchgearbeitet?“

„Mir ging es nicht so gut, aber dafür bin ich erst vor einer halben Stunde aus den Federn gekrochen. Wie war es gestern Abend? Hattest du Spaß?“, versuchte Jana vom Thema abzulenken.

„Es war nett und hat gutgetan“, antwortete Sabrina knapp. „Jana, du bist krank!“

„Quatsch. Am Dienstag haben wir die Matheprüfung. Ich bin kerngesund“, protestierte Jana heftig. „Kaffee?“

„Du verschläfst nie“, erwiderte Sabrina und machte sich einen Kaffee.

„Ich bin auch nur ein Mensch.“

„Hm. Das ist eine weise Erkenntnis. Könntest du versuchen, das im Auge zu behalten?“

„Blöde Kuh!“ Jana schnitt eine Grimasse.

„Hast du heute schon etwas gegessen?“, setzte Sabrina die Befragung streng fort und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Nein, aber ich habe keinen Hunger, Frau General. Können wir jetzt lernen? Ich habe schon genug Zeit verloren. Ich bin gesund! Basta!“

„Aha. Ich fasse zusammen: Du schläfst nicht, isst nicht, hast eindeutig Bauchschmerzen und taumelst durch die Gegend. Kerngesund! Eindeutig!“

„Sabrina, hör auf! Du bist nicht Maria, und wir haben für so etwas keine Zeit. Mir geht es gut und …“ Jana brach mitten im Wort ab und krümmte sich vor Schmerzen. Sie bekam kaum Luft, weil sie unter keinen Umständen schreien wollte. Vielleicht war die Schmerztablette auf nüchternen Magen doch keine so gute Idee gewesen.

„Mir reicht es!“, sagte Sabrina mit großer Bestimmtheit. „Ich bringe dich jetzt in die Notaufnahme der Berling-Klinik. Du siehst aus wie der Tod, und ich fürchte, wenn nicht bald etwas passiert, dann bist du tot. Das ist kein Abitur der Welt wert. Deine Gesundheit geht vor, und sollte Maria dasselbe sagen, dann hat sie recht!“

Jana atmete stoßweise und setzte zu einem Widerspruch an, aber sie kannte diesen strengen, unerbittlichen Blick ihrer Freundin. Sabrina würde nicht mit sich verhandeln lassen.

„So eine Zeitverschwendung! Aber wir nehmen die Geschichtsbücher mit und lernen im Wartezimmer!“, brummte sie trotzig.

„Gerne! Wann immer du dich nicht gerade krümmst oder ich auf der Jagd nach Nierenschalen für dich bin.“

„Und noch einmal: Blöde Kuh!“

„Danke! Immer wieder gerne! Sture Ziege!“

Jana hätte den Streit zu gerne für sich entschieden, aber da gerade eine weitere Schmerzwelle durch ihren Körper lief und sie sich wieder krümmen musste, blieb sie lieber still. Die Fakten sprachen gegen sie, auch wenn sie das nicht zugeben wollte.

Sie war so geschwächt und schrittunsicher, dass Sabrina sie zu ihrem etwas klapprigen und alten, aber geliebten Auto führen musste. Keines der Mädchen kam auch nur auf den Gedanken, bei Janas Eltern zu klingeln und um Rat oder Hilfe zu bitten. Es hätte auch keinen Sinn gehabt, denn Marianne und Paul Liebermann waren in ihrem Büro. Maria hatte frei und war längst gegangen.

In der Notaufnahme der Berling-Klinik war es an diesem Samstagnachmittag ungewöhnlich ruhig. Krankenschwestern und Notarzt hatten beschlossen, sich eine genüssliche Kaffeepause mit Kuchen zu gönnen, den eine der Schwestern gebacken hatte. Der Tisch war gedeckt, der Kaffee dampfte und duftete verführerisch.

„Heute schaffen wir es, in aller Ruhe ungestört unseren Kaffee zu trinken!“, prophezeite Schwester Kathrin hoffnungsvoll, als sie alle Tassen füllte und den Kuchen verteilte.

„Nein! So etwas darfst du doch nicht aussprechen!“, rief ihre Kollegin und schlug die Hände zusammen. „Wenn man es laut sagt, kommt prompt ein Reisebus mit Durchfall oder Schlimmeres. Der Weise genießt schweigend und freut sich hinterher, wenn es klappt ohne Unterbrechung.“

„Sei nicht so abergläubisch! Ich …“

In dem Moment schlugen die Piper an, und die Krankenschwester am Empfang meldete, dass eine Patientin gekommen und ein Krankenwagen mit einem Unfallopfer unterwegs war. Mit der Pause war es vorbei.

Dr. Huber, der diensthabende Notarzt, nahm ein paar gierige Schlucke von dem heißen Kaffee.

„Das nächste Mal halten wir es mit dem Aberglauben!“, sagte er fröhlich. „Und ich hoffe doch, dass ihr uns ein Stück Kuchen übrig lasst!“

„Nur wenn ich mich beherrschen kann“, antwortete der Pfleger, der vorerst noch nicht gebraucht wurde, und die Männer lachten.

„Entschuldigen Sie!“, sagte Jana verlegen, als Dr. Huber im Stechschritt zu ihr eilte. „Ich stecke in den Prüfungen, und da ist so ein bisschen Bauchweh ganz natürlich, aber meine Freundin hat nicht locker gelassen. Ich wollte nicht kommen, aber …“

„Gut, dass Sie eine vernünftige Freundin haben“, unterbrach der Notarzt sie mit einem ernsten Lächeln. „Sie haben starke Druckschmerzen im Bereich des Magens, und ich fürchte, dass Sie eine Magenschleimhautentzündung haben.“

„Das ist nicht so schlimm, oder? Ich mache gerade das Abitur und habe am Dienstag meine erste Prüfung. Da darf ich nicht fehlen“, reagierte Jana, ohne nachzudenken.

„Nur die Harten kommen in den Garten“, kommentierte Sabrina ionisch, als sie die fassungslose Miene des Arztes bemerkte.

„Das werde ich mir merken“, meinte er trocken.

„Ich nehme Ihnen Blut ab und mache einen Ultraschall, dann sehen wir weiter“, wandte er sich an Jana. „Sind Sie immer so ehrgeizig und erbarmungslos sich selbst gegenüber?“, wollte er wissen.

Jana zuckte mit den Achseln. „Ich weiß, was ich will und dass ich etwas dafür tun muss, um es zu erreichen.“

„An dieser Lebenseinstellung ist nichts auszusetzen, aber was halten Sie von dem alten Spruch, dass nur in einem gesunden Körper ein gesunder Geist existieren kann?“, konterte der Arzt.

„Viel. Ich schwimme, jogge und ernähre mich vegetarisch, um meine Leistungsfähigkeit zu optimieren. Mein Körper müsste vor Gesundheit strotzen. Ehrlich!“, beteuerte Jana und hob die Hand, als ob sie schwören wolle.

„Dann bin ich beruhigt“, meinte der Arzt lächelnd.

***

Wie der Notarzt vermutet hatte, litt Jana an einer äußerst schmerzhaften Magenschleimhautentzündung. Noch hatte sie kein Magengeschwür, aber wenn sie weiter so rücksichtslos mit ihrem Körper umging, dann würde das nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Wäre das sein einziger Befund gewesen, hätte er ihr das entsprechende Medikament verschrieben und ihr die Leviten gelesen, ohne sich weiter Sorgen um sie zu machen. Nach den Prüfungen wäre es ihr bald wieder gut gegangen. Leider lagen die Dinge anders.

Die Entzündungswerte der Patientin waren ungeheuer hoch, und es ließ sich nicht sagen, ob das allein von der Magenschleimhautentzündung herrührte. Die Leberwerte waren bedrohlich schlecht, und allgemein deuteten die Blutwerte auf eine ernste Erkrankung hin.

Der Ultraschall des Bauchraumes zeigte Veränderungen der Leber, die dringend abgeklärt werden mussten. Der Notarzt hoffte von Herzen, dass er mit seiner ersten Vermutung falsch lag. Es waren auf jeden Fall weitere Untersuchungen erforderlich. Das junge Mädchen stand nicht nur unter Stress und forderte seinem Körper und seiner Seele zu viel ab. Es war vermutlich schwer krank.

„Frau Liebermann, Sie müssen regelmäßig essen und können sich nicht von Schmerztabletten ernähren! Das macht kein Magen mit. Sie brauchen ausreichend Schlaf und sollten sich neben dem Lernen einen Ausgleich schaffen, der zu Ihrer Entspannung dient! Gehen Sie alles etwas langsamer an!“, riet er, während er das Rezept ausstellte.

„Ich achte darauf!“, versprach Jana kleinlaut, denn sie wusste selbst, wie sehr sie sich vernachlässigt hatte.

„Sie stecken gerade in den Prüfungen, das habe ich verstanden. Wann haben Sie das Schriftliche hinter sich?“, fuhr er fort.

„In einer guten Woche ist alles vorbei, und dann lasse ich es mir gut gehen. Versprochen!“

Er nickte nachdenklich. Es fiel ihm schwer, ihr zu sagen, was er sagen musste. Wie er sie einschätzte, war es allerdings unerlässlich, damit sie tatsächlich zum Arzt ging.

„Die Tabletten werden dafür sorgen, dass die Magenschmerzen rasch nachlassen. Ich habe Ihnen auch etwas gegen die schlimmste Übelkeit verschrieben. Es wird kurzfristig etwas helfen, aber ich fürchte, bevor wir die genaue Ursache für diese Übelkeit nicht kennen, wird es kaum besser werden“, deutete er an.

Jana wurde sofort hellhörig und sah ihn fragend an.

„Ihre Leber ist in ihrer Funktion eingeschränkt, und auf dem Ultraschall lässt sich etwas erkennen, das untersucht werden muss. Unter anderen Umständen würde ich Ihnen dazu raten, sich gleich von mir in die Berling-Klinik einweisen zu lassen. Vor Ihrer Prüfung werde ich Sie aber nicht dazu bekommen, oder?“

„Nein!“

„Das dachte ich mir. Sobald Sie die Prüfungen hinter sich haben, müssen Sie umgehend zu Ihrem Hausarzt gehen und das weitere Vorgehen mit ihm besprechen! Schieben Sie das bitte nicht hinaus! Es ist wichtig.“ Er sagte das mit mahnender Eindringlichkeit, und die Freundinnen begriffen, dass es sich um keine harmlose Kleinigkeit handelte.

„Sie wird zum Arzt gehen, denn ich werde ihr im Genick sitzen!“, antwortete Sabrina für Jana.

„Das beruhigt mich. Ich werde Ihrem Hausarzt alle Untersuchungsergebnisse schicken. Am besten lassen Sie sich von ihm eine Überweisung in die Berling-Klinik geben, damit Sie für die erforderlichen Untersuchungen nicht von Spezialist zu Spezialist müssen. Bis Sie Termine bekommen, verstreicht erfahrungsgemäß einiges an Zeit“, riet der Notarzt.

„Was habe ich?“, wollte Jana wissen, die irgendwie zu begreifen versuchte, dass das Abitur nicht das Wichtigste war. Hier ging es um ihr Leben.

„Bevor keine Untersuchungsergebnisse vorliegen, kann ich keine Diagnose stellen. Ich hoffe, es erweist sich als blinder Alarm, aber …“

„… das glauben Sie nicht. Was vermuten Sie?“

„Da Sie so gut wie keinen Alkohol trinken und auch keine Drogen nehmen, müssen wir herausfinden, was mit Ihrer Leber los ist. Frau Liebermann, ich werde keine unqualifizierten Spekulationen äußern. Nach den Untersuchungen sprechen wir weiter. Wichtig ist, dass Sie unverzüglich nach den Prüfungen aktiv werden. Das muss abgeklärt werden.“

„Natürlich! Sie machen mir Angst“, gestand Jana.

„Das will ich nicht, aber mir liegt daran, Ihnen den Ernst und die Dringlichkeit deutlich zu machen. Sie scheinen mir zu den Menschen zu gehören, die den eigenen Körper eher ignorieren und spät oder gar nicht zum Arzt gehen.“

Auf der Heimfahrt waren die Freundinnen sehr still. Sabrina und Jana waren neunzehn Jahre alt und beide immer gesund gewesen. Sie trieben gerne und viel Sport, wenn sie nicht gerade im Abitur steckten. Ihr Körpergefühl war immer gut gewesen, und der Gedanke an Krankheit war ihnen gänzlich fremd. Dr. Hubers Andeutungen brachten ihre Welt durcheinander, und sie konnten sie nicht richtig einordnen.

„Ich freue mich riesig auf Neuseeland“, sagte Jana in die Stille hinein, als sie fast wieder vor der Villa angekommen waren.

„Das wird bestimmt herrlich!“, stimmte Sabrina sofort zu.

Wieder schwiegen sie, bis sie aus dem Auto stiegen und zur Haustür gingen. Die Stille zwischen ihnen war beklemmend.

„Sabrina, was ist, wenn ich … Ich meine, was ist, wenn das, was Dr. Huber auf dem Ultraschallbild gesehen hat, nichts Harmloses ist und ich …“ Sie konnte ihre Ängste nicht aussprechen.

Sabrina nahm ihre Freundin in den Arm und hielt sie lange. Für einen Moment wusste sie nicht, was sie tun sollte, aber dann war es ihr vollkommen klar.

„Komm, wenn wir jetzt in deiner Bude sitzen und pauken, werden wir nur trübsinnig. Lass uns mit den Geschichtsbüchern zu Mama und Papa in den Laden gehen!“

Jana sagte sofort Ja. Sie hatten früher oft zusammen in dem winzigen Hinterzimmer des Buchladens ihre Hausaufgaben gemacht. Der Buchladen war ein Stück Geborgenheit und genau das Richtige.

„Hey, ihr zwei!“ Tina Vollmer begrüßte ihre Tochter und Jana mit einer Umarmung. Ihr Mann Werner winkte mit einem warmen Lächeln zu ihnen herüber, befand sich aber gerade in einem Verkaufsgespräch.

„Dürfen wir uns hinten breitmachen?“, fragte Sabrina.

„Klar doch! Das habt ihr ewig nicht mehr gemacht. Werdet ihr etwa nostalgisch?“, neckte Tina.

„Ein ganz kleines bisschen“, antwortete Jana, bevor Sabrina den Grund erklären konnte.

„Solange ich nichts Genaues weiß, bin ich gesund“, erklärte sie ihrer Freundin verlegen, als sie unter sich waren. „Ich möchte nicht, dass außer dir jemand weiß, dass ich Angst habe. Verstehst du das? Solange mir niemand mitleidige Blicke zuwirft oder Fragen stellt, bin ich gesund!“

„Du bist gesund!“, sagte Sabrina beschwörend.

„Und jetzt wird gelernt!“ Jana schlug das Geschichtsbuch auf, und bald waren sie in eine eifrige Diskussion verstrickt, und Dr. Hubers Andeutungen waren vorerst vergessen.

***

„Und, wie war es?“ Timo Krämer stand an sein Auto gelehnt und wartete auf Jana, die gerade aus der Prüfung kam.

„Die Aufgaben waren nicht schwer, und ich konnte alles ein zweites Mal durchgehen und prüfen, bevor ich abgeben musste. Hoffentlich habe ich nichts falsch verstanden und die eigentlichen Schwierigkeiten auch erkannt“, meinte Jana, die im Geiste jede Aufgabe noch einmal genau durchging.

Timo grinste. „Sabrina, war es wirklich so locker? Mathe für Einsteiger?“

„Eher für Aussteiger.“ Sie verdrehte die Augen. Im Gegensatz zu Jana hatte sie die volle Zeit gebraucht, um überhaupt fertig zu werden, und hatte nichts mehr kontrollieren können.

„Das dachte ich mir fast.“ Timo umarmte Jana und gab ihr einen Kuss. „Du hast es hinter dir, und ich muss nächste Woche in Statistik antreten. Arbeiten wir zusammen?“

Sabrina lag eine Bemerkung auf der Zunge, aber sie schluckte sie hinunter. Das war ganz allein Janas Sache, und wenn sie sich da einmischte, konnte das ihre Freundschaft bedrohen. Stattdessen warf sie Timo einen eisigen Blick zu, den er gewohnheitsmäßig ignorierte.

Merkte er denn nicht, wie blass und erschöpft Jana war? Wie konnte er ihr zumuten, sich parallel zum Abitur auch noch in Statistik einzuarbeiten? Ohne Jana hätte er nie und nimmer das Abitur geschafft. Eigentlich hätte sie es zwei Jahre zuvor nur noch für ihn schreiben müssen und bereitete sich im Augenblick zum zweiten Mal darauf vor. Sabrina fand Timo unverschämt. Er nutzte Jana gnadenlos aus. Warum sah sie das bloß nicht?

„Klar, das machen wir, aber ich muss mich erst für eine Stunde hinlegen. Dann bin ich wieder fit“, vertröstete ihn Jana, anstatt zu sagen, dass sie Ruhe brauchte.

„Kein Problem, wenn ich mich dazu kuscheln darf“, meinte Timo fröhlich.

„Wir wollten doch heute Abend noch ein wenig Geschichte wiederholen“, warf Sabrina bewusst provozierend ein.

„Kannst du nicht einmal alleine lernen? Jana hat den Stoff doch ohnehin schon im Kopf“, griff Timo sie an, weil er seine eigenen Interessen gefährdet sah.

„Sabrina weiß in Geschichte weit mehr als ich. Es macht Spaß und bringt uns beiden viel, wenn wir gemeinsam Epoche für Epoche durchgehen“, verteidigte Jana ihre Freundin. Sie fand es schade, dass Timo und Sabrina sich jedes Mal angifteten, wenn sie aufeinandertrafen.

„Treffen wir uns morgen früh um acht Uhr bei mir und gehen alles am Stück durch?“, bot sie Sabrina an.

„Gern, aber geh früh ins Bett und schone dich ein wenig!“, bat Sabrina.

„Ja, Mama!“, höhnte Timo. Er mochte Sabrina so wenig wie sie ihn.

„War das schwer! Mussten die das Abi dieses Jahr so schwer machen?“, beschwerte sich Marius, der sich zu ihnen gesellt hatte. „Gehen wir einen Kaffee trinken?“, fragte er Sabrina und gab ihr einen Kuss.

„Tolle Idee, aber nur, wenn wir nicht über Mathe reden. Ich möchte gar nicht wissen, was ich alles falsch habe“, stöhnte sie und schmiegte sich ganz selbstverständlich an ihn.

„Ich auch nicht!“, stimmte Marius zu. „Falls ich nicht bestanden habe, erfahre ich das früh genug.“

„Jana, ich rufe dich heute Abend an! Pass auf dich auf! Bis später!“ Sabrina schlenderte Arm in Arm mit Marius davon. Sie hatte beschlossen, ihm eine Chance zu geben, und war seit einer Woche mit ihm zusammen.

„Die spielt sich vielleicht auf!“, schimpfte Timo, als sie außer Hörweite waren. „Du bist doch kein Kleinkind!“

„Sie macht sich eben Sorgen.“

„Du kannst selbst auf dich aufpassen! Außerdem hast du keine Schmerzen mehr, oder? Nur wegen einer kleinen Magenschleimhautentzündung braucht sie dich nicht ins Bett zu schicken. Dass du dir von Sabrina immer alles gefallen lässt!“

„Hattest du schon einmal so eine kleine Entzündung?“, fragte Jana gereizt, die noch nie so schlimme Schmerzen gehabt hatte. Trotz der Tabletten ging es ihr alles andere als gut. Die Schmerzen hatten nachgelassen, waren aber noch nicht weg. Das Schwächegefühl und die Müdigkeit machten ihr immer mehr zu schaffen. Es erforderte ihren eisernen Willen, die Abiturvorbereitung weiter wie geplant durchzuziehen.

„Hey, ich hab es nicht böse gemeint!“, brummte Timo. „Ich hab Dani versprochen, dass ich ihr Bücher zurückbringe, die sie mir vor über einem Jahr geliehen hat. Ist es in Ordnung, wenn wir kurz bei den Holls vorbeifahren? Dauert nicht lange.“

„Timo, ich bin echt müde. Kannst du mich nicht zuerst heimbringen? Ich …“

„Jana, das dauert keine zehn Minuten. Ich fahre doch nicht unnötig hin und her!“, protestierte er und fand sie ungewöhnlich anstrengend.

„Na gut!“, gab sie müde nach.

Es war Dienstag. Wann immer es möglich war, traf sich die ganze Familie Holl an diesem Tag am Mittagstisch. Für die Zwillinge Marc und Dani, die mit Timo das Abitur gemacht hatten, war das ein festes Ritual. Selbst ihr Vater, Dr. Stefan Holl, der Klinikleiter der Berling-Klinik, versuchte, an den Dienstagmittagen zu Hause zu sein, wenn es möglich war.

Dani studierte inzwischen Biologie, während ihr Bruder Marc in die Fußstapfen seiner Eltern treten wollte und ein Medizinstudium begonnen hatte. Genau wie Timo hatten sich die Zwillinge für München als Studienort entschieden. Sie waren der Stadt treu geblieben, in der sie aufgewachsen waren, aber sie wohnten nicht mehr zu Hause und erprobten ihre erste Selbstständigkeit.

„Hey, Timo! Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Du hast es tatsächlich geschafft. Ich dachte schon, ich sehe die Bücher nie wieder“, begrüßte Dani Holl ihren früheren Freund, den sie seit der Schulzeit allerdings so gut wie nicht mehr sah.

„Naturwissenschaftliche Grundlagenwerke bringen nichts auf dem Schwarzmarkt“, erwiderte Timo schlagfertig und zwinkerte.

„Mein Glück! Hallo, Jana! Setzt euch doch! Wir trinken noch Kaffee. Ihr mögt doch bestimmt auch einen.“

Timo und Jana wurden von allen freundlich willkommen geheißen. Für die vier Kinder der Holls war es ganz selbstverständlich, dass ihre Freunde jederzeit willkommen waren. Julia Holl, ihre Mutter, hatte immer ein gastfreundliches, offenes Haus für ihre Kinder geführt. Sie stellte auch schon zwei Tassen und zwei Kuchenteller vor die Gäste. Damit waren sie ganz unproblematisch in die Familienrunde integriert.

Auf Rat des Notarztes verzichtete Jana auf Kaffee und aß nur schonende, leicht verdauliche Kost. Kaffee und Kuchen kamen für sie nicht infrage, wenn sie nicht wieder stärkere Schmerzen riskieren wollte.

„Für mich nicht. Ich darf nicht. Leider!“, lehnte sie daher mit einem hungrigen Blick auf den leckeren Streuselkuchen ab, den die Haushälterin der Holls gebacken hatte. Während Timos Abiturvorbereitung war Jana öfter bei den Holls gewesen und wusste genau, was ihr da entging.

„Du darfst nicht?“, hakte Julia Holl sofort nach, die früher selbst Kinderärztin gewesen war und den Beruf nur aufgegeben hatte, um ihren vier Kindern ein warmes, geborgenes Zuhause zu schaffen.

„Ich habe eine Magenschleimhautentzündung“, erklärte Jana und warf dem Kuchen einen sehnsüchtigen Blick zu.

„Das Abitur“, kommentierten Julia und Stefan Holl knapp.

„Warst du beim Arzt? Damit darf man nicht scherzen“, mahnte Stefan Holl und musterte Jana genau wie seine Frau gründlicher.

„Ich war sogar in Ihrer Klinik, Dr. Holl. Meine Freundin hat mich am Wochenende hingeschleppt. Dr. Huber hieß der Notarzt, der mich untersucht hat. Er hat mir etwas verschrieben, und jetzt ist es schon deutlich besser“, antwortete Jana.

„Gut, aber gehe es etwas ruhiger an!“, riet der Arzt, ohne weiter nachzufragen. Er vertraute seinem Kollegen.

„Ein kluger, aber sinnloser Rat während der Prüfungen“, meinte seine Frau. „Jana, schön, dass du einmal wieder bei uns bist. Das ist eine Ewigkeit her. Pass einfach gut auf dich auf, und tu dir hinterher etwas Gutes!“

„Wird gemacht! Ich werde mindestens eine Woche nur schlafen!“, versprach Jana.

„Die ganze Schule macht ein Gedöns um dieses dumme Abitur. Unglaublich! Jedes Jahr dasselbe!“, beschwerte sich Chris, der fünfzehnjährige Sohn der Holls, der genau wie seine elfjährige Schwester Juju dasselbe Gymnasium besuchte, auf dem auch die Zwillinge gewesen waren.

„In der Pause haben sie den ganzen Flur abgesperrt, und ein paar Lehrer taten nichts anderes, als uns immer wieder zu scheuchen und zu erklären, dass wir Rücksicht auf die Prüflinge nehmen sollen.“

„Sorry!“, entschuldigte sich Jana ironisch. „Ihr Armen! Wie schön, dass es euch gelungen ist, trotzdem ein Heidenspektakel zu veranstalten.“

„Waren wir wirklich so laut?“ Chris errötete. Mit ihren langen blonden Haaren und den blauen Augen war Jana genau sein Typ, und wenn er sie auf dem Schulhof sah, konnte er manchmal kaum den Blick von ihr wenden. Irgendwie war es für ihn verwirrend, dass sie nun bei ihm zu Hause am Tisch saß. Er hatte sich mit seiner Bemerkung nur ein wenig in den Vordergrund spielen wollen, um von ihr bemerkt zu werden.

„Leise ward ihr auf jeden Fall nicht“, stellte Jana ehrlich fest.

„In den nächsten Tagen geben wir uns mehr Mühe!“, gelobte Chris und lächelte Jana ein wenig unsicher an.

„Das ist lieb!“, bedankte sie sich.

Chris’ Gesicht erglühte wie eine reife Tomate, und sein Herz schien in seiner Brust explodieren zu wollen. Jana war so schön, und sie lächelte ihn an – nur ihn. Er war selig und hatte einen geradezu verzückten Gesichtsausdruck.

Juju kicherte, als sie es bemerkte. Auch die Zwillinge grinsten sich an. Bis vor Kurzem waren noch alle weiblichen Wesen unausstehlich für Chris gewesen, und nur seine Mutter hatte eine ehrenwerte Ausnahme gemacht.

„Hört! Hört! Ganz neue Töne von unserem Kleinen. Da hat einer den Herzensbrecher in sich entdeckt“, spottete Marc gutmütig.

„Ihr seid doch alle blöd!“ Chris sprang vom Tisch auf und floh in sein Zimmer.

„Musste das sein?“, tadelte Julia Holl. „Ich erinnere mich noch gut, wie du das erste Mal die Vorzüge des weiblichen Geschlechts entdeckt hast.“

„Mama! Bitte! So hab ich mich nie angestellt!“, empörte sich Marc.

„Schlimmer! Daran erinnere ich mich auch noch. War das peinlich!“ Lachend stieß ihm seine Zwillingsschwester den Ellenbogen in die Seite.

Jana beobachtete die kleine Familienszene fasziniert. Es war schön bei den Holls. Sie fragte sich mit Bedauern, warum es bei ihr und ihren Eltern nie so leicht und lebendig zuging.

Dr. Stefan Holl trank seinen Kaffee zügig, weil er in die Klinik zurück musste. Bevor er ging, reichte er Jana die Hand und wünschte ihr viel Glück und zugleich auch eine gute Besserung.

Aus den zehn Minuten, die Timo versprochen hatte, wurden über zwei Stunden. Nach dem Kaffee setzte er sich mit den Zwillingen in den Garten und plauderte. Jana war so müde, dass sie sich kaum auf dem Stuhl halten konnte, und beteiligte sich kaum am Gespräch.

„Mir ist nicht so gut. Ich lege mich hin. Wir müssen Statistik aufs Wochenende verschieben“, erklärte sie, als Timo sie endlich nach Hause brachte.

Er wollte mit hineinkommen, weil er sicher war, sie umstimmen zu können, aber sie sagte Nein. Beleidigt fuhr er davon, ohne ihr einen Abschiedskuss zu geben. Jana tat die Missstimmung zwischen ihnen leid, aber sie hatte einfach keine Kraft mehr. Angezogen, wie sie war, ließ sie sich auf ihr Bett fallen und schlief sofort ein.

***

Am Tag nach ihrer letzten schriftlichen Prüfung machte Jana einen Termin bei ihrem Hausarzt. Sie spürte, dass etwas nicht mit ihr in Ordnung war, und Sabrina musste sie nicht zu dem Arztbesuch drängen.

„Ich möchte gerne noch einen gründlichen Ultraschall bei Ihnen machen und Ihnen noch einmal Blut abnehmen. Wir brauchen weitere Werte. Sobald die Ergebnisse vorliegen, sehen wir weiter“, erklärte Dr. Schneider, der den Bericht aus dem Krankenhaus gründlich studiert hatte und einen ähnlichen Verdacht hegte wie Dr. Huber.

Während der Ultraschalluntersuchung wurde die Miene des Arztes immer düsterer, aber er bemühte sich, es vor der Patientin zu verbergen. Genau wie seinem Kollegen in der Berling-Klinik fielen ihm die Veränderungen an der Leber auf. Dazu kamen Veränderungen in der Nebenniere und auch auf der Höhe des Bauchraumes beidseits der Wirbelsäule im sogenannten Grenzstrang.

Alles deutete auf ein Neuroblastom hin, einen bösartigen Tumor, der sich aus entarteten, unreifen Zellen des sympathischen Nervensystems bildete. Neuroblastome traten vor allem bei Kindern und Jugendlichen häufig auf, kamen aber auch bei Erwachsenen vor.

Noch war es trotz allem nur ein Verdacht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieser Verdacht durch weitere Untersuchungen bestätigen würde, war leider relativ hoch. Dr. Schneider musste an Janas Eltern denken, die zu seinen Patienten gehörten.

Wie sollten diese vom Erfolg verwöhnten Menschen, die bisher vor allem ihren Ehrgeiz ausgelebt hatten, mit so einem Schicksalsschlag umgehen? Der Arzt wusste, dass die Eltern sich bisher wenig um ihr Kind gekümmert hatten. Waren sie in der Lage, ihr Verhalten zu ändern und ihrem Kind beizustehen? Er hoffte es von Herzen.

Falls Jana tatsächlich ein Neuroblastom hatte, stand ihr eine langwierige und schwierige Therapie bevor, die sie alleine nicht durchstehen konnte. Sie würde die Unterstützung ihrer Eltern brauchen, um den Mut nicht zu verlieren und zu überleben.

Der Arzt hoffte, dass sich andere Erklärungen für die Veränderungen fanden. Noch gab es Hoffnung, und daran hielt er fest. Es war entsetzlich, wenn sich das Leben eines so jungen Menschen von einem Moment auf den anderen vollkommen änderte.

Noch ging es für Jana um Prüfungsdruck und darum, ihre Ziele und Träume zu verwirklichen. Genauso sollte es sein. Der Kampf gegen die Krankheit würde vollkommen andere Prioritäten setzen. Dr. Schneider hatte Kinder und Jugendliche innerhalb kürzester Zeit erwachsen werden sehen.

„So, und jetzt nehme ich Ihnen Blut ab, dann sehen wir uns in drei Tagen wieder!“ Bewusst schlug der Arzt einen leichten Ton an, aber Jana ließ sich nicht täuschen.

„Was haben Sie gesehen?“

„Der Ultraschall ist nur eines der bildgebenden Verfahren. Um eine Diagnose zu bestätigen, brauchen wir mehr. Ich …“

„Das weiß ich, aber ich kann doch sehen, dass Sie einen Verdacht haben, und möchte nur auf den schlimmsten Fall vorbereitet sein“, bat Jana. „Dr. Huber hat gesagt, dass mit meiner Leber etwas nicht stimmt.“

Dr. Schneider zögerte, aber das junge Mädchen hatte das Recht, sich innerlich vorbereiten zu können.

„Der Ultraschall zeigt einige Veränderungen, die durchaus ernster Natur sein könnten“, deutete er an. Mehr war er zu diesem Zeitpunkt nicht gewillt zu sagen.

Jana musste sich beherrschen, um ihn nicht anzuschreien. Warum blieben die Ärzte so vage? Sie war doch noch jung, und was immer sie hatte, würde sich behandeln und heilen lassen. Das war doch so, oder? Konnten sie ihr nicht einfach sagen, was sie hatte, anstatt ihr derart Angst zu machen?

Trotz all ihrer Bemühungen ließ sich der Arzt zu keiner genaueren Aussage bewegen. Unzufrieden und voller Angst und böser Ahnungen fuhr sie nach Hause. Wie fast immer in den letzten Wochen war ihr leicht übel, und sie war müde. Die Magenschmerzen waren weg und die Schleimhautentzündung offensichtlich abgeklungen. Warum ging es ihr dann nicht besser?

Was sollte das bedeuten? Veränderungen ernster Natur – was verbarg sich hinter dieser Formulierung? Dr. Huber hatte ihr bereits gesagt, dass etwas mit ihrer Leber nicht stimmte. Dr. Schneider sprach von Veränderungen und benannte nicht speziell die Leber. Beschränkten sich diese Veränderungen nicht auf die Leber?

Janas Gedanken rasten. Sie wollte wissen, was mit ihr war, und doch wich sie einem Gedanken immer wieder aus und machte instinktiv einen Bogen darum. Veränderungen? Woher rührten Veränderungen? Es gab bestimmt zahllose Ursachen für so etwas. Brüche, Vernarbungen, Einschlüsse – alles konnte sich als Veränderung sichtbar machen, oder?

Um die meisten dieser Dinge hätten die Ärzte aber keine große Sache gemacht und sie bereitwillig informiert. Was immer es war, die Ärzte vermuteten, dass es gefährlich war. Nur das erklärte ihr seltsames Verhalten und die anteilnehmenden Blicke.

Jana lag schon eine Weile auf ihrem Bett, als sie bereit war, das Schlimmste zu denken: Krebs. Konnte es sein, dass die Ärzte davon ausgingen, dass sie einen Tumor hatte? Natürlich wusste sie, dass man in jedem Alter Krebs bekommen konnte. So etwas passierte da draußen. So etwas passierte nicht ihr. Angst presste ihr die Kehle zusammen.

Sie war doch noch so jung und hatte immer nur gelernt und gearbeitet. Für sie war bisher vor allem wichtig gewesen, ihren Eltern zu beweisen, dass sie auch etwas leisten konnte und es verdiente, ihre Tochter zu sein. Was für ein unbedeutendes, erbärmliches Leben war das, wenn sie nun krank wurde und starb?

Jana musste rasch ins Badezimmer eilen. Minutenlang saß sie auf dem Rand der Badewanne, bis sich ihr Magen wieder beruhigt hatte. Nein, sie konnte nicht derart krank sein! Sie hatte doch noch gar nicht gelebt.

Nach dem Abitur kamen Neuseeland und die Freiheit des Studiums an einem fernen Ort auf sie zu. Nach dem Abitur würde alles anders und besser werden. Wie oft hatte sie schon von diesem magischen Neuanfang geträumt. Sie konnte nicht krank sein! Das Leben lag vor ihr.

Als Jana drei Tage danach wieder in das Sprechzimmer von Dr. Schneider trat, sagte ihr ein Blick, dass die ersehnte Entwarnung nicht kommen würde. Obwohl er sich bemühte, sah sie es in seinen Augen.

Leider lag sie richtig damit. In ihrem Blut ließen sich Tumormarker feststellen, die weitere Indizien dafür lieferten, dass sie ein Neuroblastom hatte. Dr. Schneider wollte Jana nicht unnötig in Angst versetzen. Noch war es trotz des Ultraschalles und der Tumormarker keine gesicherte Diagnose.

Selbst wenn es sich um ein Neuroblastom handelte, gab es gefährlichere und weniger gefährliche Formen. Es waren weitere Untersuchungen nötig, die allerdings in der Berling-Klinik durchgeführt werden mussten. Dort in der onkologischen Abteilung waren die Ärzte darauf spezialisiert, die Diagnose zu verfeinern und die beste Therapie zu finden.

„Jana, Ihre Blutwerte sind nicht gut. Ich muss Sie in die Berling-Klinik überweisen, damit eine gründliche Diagnose gestellt werden kann. Im Moment ist in der Klinik ein Bett frei, und Sie könnten schon morgen früh aufgenommen werden. Wir müssen schnell wissen, woher die schlechten Werte kommen“, sagte der Arzt, ohne zu erwähnen, dass er es eilig gemacht hatte.

„Habe ich Krebs?“, fragte Jana mit tonloser Stimme und sah ihm dabei fest in die Augen.

Dr. Schneider atmete tief durch. Das waren die Momente, in denen er seinen Beruf hasste. Mit neunzehn Jahren sollte niemand derart krank sein. Das war falsch.

„Noch ist die Diagnose nicht gesichert, aber ja, ich fürchte, Sie haben einen Tumor, an dem vor allem Kinder und jüngere Menschen erkranken. Es tut mir sehr leid!“ Der Arzt ließ Jana Zeit, das Gesagte zu verarbeiten. Er wünschte, ihre Eltern wären anwesend gewesen.

„Werde ich sterben?“

„Jana, falls sich die Diagnose bestätigt, muss das kein Todesurteil sein. Bei vielen Menschen löst diese Diagnose Todesangst aus, aber die moderne Medizin hat Therapien entwickelt, die gut anschlagen. Viele Patienten werden vollständig gesund“, machte Dr. Schneider ihr Mut.

Jana blieb lange still.

„Ich habe Angst“, sagte sie dann sehr leise.

„Ich weiß, aber noch könnte sich die Diagnose als falsch erweisen. Falls nicht, kommt es darauf an, ob der Tumor aggressiv ist und in welchem Stadium wir ihn entdeckt haben. Versuchen Sie, positiv zu denken! Vor allem sprechen Sie mit Ihren Eltern! Sie sollten mit dieser Angst nicht alleine sein“, riet der Arzt.

„Meine Eltern sind sehr beschäftigt und haben für so etwas keine Zeit. Ich möchte sie nicht damit belasten“, kam es automatisch. Jana hatte ihr Eltern immer außen vor gehalten. Es war ihr zur festen Gewohnheit geworden.

„Für manche Dinge muss man sich Zeit nehmen, weil sie zu wichtig sind, um einfach weiterzumachen wie zuvor. Glauben Sie mir, Ihre Mutter und Ihr Vater möchten wissen, wie Sie sich fühlen. Sie möchten Ihnen jetzt beistehen und für Sie da sein! Geben Sie ihnen die Chance dazu! Sie sind ihr Kind.“

„Ich denke darüber nach.“

***

„Timo, kannst du kommen? Ich brauche dich.“ Jana stand unter Schock und wollte nicht alleine sein, als sie wieder zu Hause war. Der erste Mensch, den sie anrief, war ihr Freund.

„Spinnst du? Ich bin an der Uni“, schimpfte er, ohne die Tränen in ihrer Stimme zu hören. „Wir sehen uns morgen doch sowieso zum Lernen.“

„Ich kann nicht.“ Jana schluckte die Tränen hinunter. Seine Statistikprüfung rückte näher – das hatte sie ganz vergessen.

„Was? Du hast mir versprochen, dass du mir hilfst, sobald das Abitur rum ist“, schimpfte er.

„Timo, ich muss morgen ins Krankenhaus und …“

„… kannst du das nicht verschieben? Ich habe nur noch diese Woche zum Lernen, und ich komme einfach nicht richtig weiter. Ich habe mich auf dich verlassen.“

„Ich bin vielleicht sehr krank, Timo. Vielleicht muss ich bald sterben und …“

Er verstummte abrupt.

„Bist du noch da?“, schluchzte Jana.

„Ja. Klar.“

„Timo, ich habe Angst. Ich will nicht krank sein. Ich will mit dir nach Neuseeland fliegen und Pläne schmieden. Ich will gesund sein!“, brach es aus Jana hervor.

Er blieb stumm und versuchte zu begreifen, was sie da sagte.

„Timo?“

„Ja! Ähm. Ja, also … Das wird bestimmt wieder, Jana. Du schaffst das schon. Du schaffst doch immer alles!“, tröstete Timo sie unbeholfen. Er hatte Jana noch nie weinen hören und sie bisher nur als Gewinnerin wahrgenommen. Am liebsten hätte er einfach aufgelegt. Mit dem, was da gerade passierte, wollte er nichts zu tun haben.

„Und wenn nicht?“

„Du, mein Seminar fängt gleich an. Ich muss jetzt wirklich reingehen. Alles Gute! Ruf mich an, wenn du wieder vom Krankenhaus daheim bist!“

Jana begriff, dass Timo nicht vorhatte, sie im Krankenhaus zu besuchen. Es interessierte ihn nicht, wie es ihr ging. Er zog sich von ihr zurück und war nicht für sie da – genau wie es ihre Eltern immer getan hatten. Man musste stark sein, immer stark sein, sonst blieb man ganz alleine und hatte niemanden.

„Und Statistik?“, warf sie ein. Sie wollte nicht, dass er auflegte. Nach diesem Gespräch waren sie vielleicht noch Freunde, aber ein Paar waren sie nicht mehr. Etwas war ohne Vorwarnung abgebrochen und beendet. Es tat weh. Alles tat weh. Janas Welt brach in Stücke und ließ nichts von ihr übrig.

„Mach dir keine Vorwürfe! Es gibt da eine Lerngruppe, die mich schon ein paar Mal gefragt hat, ob ich nicht bei ihnen einsteigen will. Bis dann, Jana!“

„Bis dann, Timo!“

Er legte auf. Jana blieb lange wie erstarrt am Bettrand sitzen. Damit hatte sie nicht gerechnet – nicht bei ihm. Es war ihr klar, dass ihre Eltern so oder ähnlich reagieren würden, und sie war noch immer unschlüssig, ob sie es ihnen überhaupt erzählen sollte. Timos Gleichgültigkeit traf sie dagegen unvorbereitet und dadurch umso härter.

Das Telefon klingelte. Es war Sabrina.

„Jana, ich wollte nur fragen, was Dr. Schneider gesagt hat.“ Sabrina war den ganzen Morgen unruhig gewesen vor Sorge.

„Ich muss für ein paar Tage in die Berling-Klinik. Sabrina, es ist … Ich glaube, es ist schlimm. Ich …“

„Ich bin gleich bei dir!“

Zehn Minuten danach schloss Sabrina ihre Freundin in die Arme und blieb für den Rest des Tages bei ihr. Sie hörte zu, wenn Jana reden wollte, und war einfach nur da, wenn ihre Freundin ins Grübeln verfiel. Noch war alles unkonkret. Die Krankheit hatte noch keinen Namen, und es gab einen letzten Hauch Hoffnung.

Es fühlte sich wie ein böser Albtraum an, aus dem sie jederzeit erwachen konnten. Sabrina wollte aufwachen und zwickte sich heimlich ein paar Mal in den Oberarm, aber es half nichts. Da sich eine bedrohliche Krankheit, die noch keinen Namen hatte, ablehnen und fürchten, aber nicht richtig hassen ließ, richtete sich ihr Zorn auf Timo.

„Er ist ein Idiot! Vergiss ihn einfach! Du wirst einen Jungen finden, der dich wirklich mag und zu dir steht, weil du toll bist. Der hat dich doch immer nur ausgenutzt“, tröstete sie wütend.

„Ich dachte, er mag mich“, kam es unendlich traurig zurück. „Vielleicht habe ich ihn auch falsch verstanden. Vielleicht habe ich ihn überfordert, und es tut ihm schon leid, wie er reagiert hat. Vielleicht wird alles gut, sollte ich gesund sein.“

Sabrina schluckte ihre spitze Antwort hinunter. Jana brauchte Hoffnung, und wenn sie darauf hoffen wollte, dass Timo doch noch Charakter hatte, dann durfte sie das.

„Ich bin froh, wenn ich endlich eine Diagnose bekomme und weiß, wie mein Feind heißt. Diese Ungewissheit halte ich nicht aus. Egal, was es ist und was in der Berling-Klinik herauskommt. Wenigstens weiß ich dann, was auf mich zukommt“, erklärte Jana am Abend, als sie allmählich etwas ruhiger wurde. Sie schickte Sabrina nach Hause.

„Ich kann bei dir schlafen und morgen mit in die Klinik gehen“, protestierte Sabrina.

„Nein, das möchte ich nicht! Ich muss jetzt allein sein, um meine Kräfte zu sammeln. Du kennst mich doch! Versprochen, ich rufe dich an, sobald ich Näheres weiß oder dich brauche! Sabrina, ich bin so froh, dass es dich gibt. Ohne dich wäre ich ganz allein. Danke!“

„So ein Unsinn! Erstens sind wir Freundinnen, und da ist das ja wohl ganz normal. Außerdem bist du nicht allein! Meine Eltern haben dich lieb und sind da, wenn du sie brauchst. Maria ist da für dich, wenn du es ihr erlaubst“, wies Sabrina sie liebevoll zurecht.

„Ja … schon“, murmelte Jana.

„Es liegt zu einem guten Teil an dir, wenn du dich manchmal einsam fühlst. Du ziehst dich von uns zurück und sperrst uns aus, wenn es dir nicht gut geht. Das ist in Ordnung, Jana, wenn du das brauchst, aber vergiss nicht, dass wir da sind. Du wirst geliebt und hast Menschen, denen du etwas bedeutest und denen du wichtig bist! Sobald du deine Türen wieder aufmachst, sind wir da.“

„Ich hab dich lieb.“ Jana hatte feuchte Augen und nahm die Freundin noch einmal in den Arm. Sie fühlte sich etwas getröstet.

„Und ich dich. Jana, rede mit Maria und deinen Eltern! Bitte!“, bat Sabrina, bevor sie ging. „Das ist kein guter Zeitpunkt, um zur Einzelkämpferin zu werden.“

Jana nickte unbestimmt, aber Sabrinas Mahnung berührte sie, und sie nahm sich die Worte zu Herzen.

„Mama, ich kann am Sonntag leider doch nicht mit euch frühstücken“, passte Jana ihre Eltern im Treppenhaus ab, als sie am Abend nach Hause kamen.

„Das ist aber schade! Ich habe mich darauf gefreut. Wir haben noch gar nicht über die Prüfungen geredet. Hast du ein gutes Gefühl?“, fragte Marianne Liebermann und blieb stehen, während ihr Mann Jana müde zuwinkte und in der oberen Wohnung verschwand. Er wollte nur noch unter die Dusche und dann ins Bett.

Es war kurz nach zehn Uhr abends, und die Liebermanns hatten seit acht Uhr im Büro durchgearbeitet. Das Brückenprojekt war in der Hochphase, und parallel gab es schließlich noch andere Projekte, die nicht zum Stillstand kommen durften. Auch die fünf angestellten Architekten, die für sie tätig waren, waren voll ausgelastet.

Jana musste kurz überlegen, auf was sich die Frage ihrer Mutter bezog. Noch vor wenigen Stunden war das Abitur ungeheuer wichtig für sie gewesen, und jetzt hatte sie es fast schon vergessen. Klausuren und Prüfungen, Noten, immer nur Noten – wie unwichtig kam ihr das nun vor.

Erfolg spendete keinen Trost und bot keinen Halt, wenn einem der Boden unter den Füßen wegbrach. Janas Weltsicht hatte sich komplett gedreht. Jedes liebe Wort und jede liebe Geste waren tausendmal wertvoller als eine Eins im Abitur. Und auch wenn sie immer nur Einser gehabt hatte, war es ihr nicht gelungen, sich damit die Liebe ihrer Eltern zu erringen. Sie hatte auf der ganzen Linie versagt und das eigentliche Leben verpasst – trotz all der Einser.

„Es war nicht sonderlich schwer. Ich hoffe, ich habe nicht zu viele Leichtsinnsfehler gemacht. Mama, ich muss für ein paar Tage ins Krankenhaus und habe morgen früh den Termin. Dr. Schneider möchte, dass ich einmal gründlich untersucht werde. Es ist hoffentlich halb so schlimm. Ich sage euch, was herausgekommen ist, wenn ich wieder daheim bin.“ Jana sagte es, als ob es sich um etwas ganz Normales handelte.

„Ins Krankenhaus?“ Das erste Mal nahm Marianne Liebermann ihre Tochter gründlich in Augenschein und erschrak. Jana hatte stark abgenommen. Ihre Augen waren rötlich verfärbt und geschwollen. Sie musste lange und viel geweint haben. Marianne erschrak zutiefst. Das passte nicht zu ihrer Tochter. Wenn Jana weinte, dann ging es bei alldem nicht um eine Routineuntersuchung.

„Was ist mir dir?“

„Ich weiß noch nichts Genaues“, wich Jana aus und wurde nervös. Ihre Eltern nahmen sich doch sonst nie die Zeit nachzufragen. Warum ausgerechnet jetzt? Sie wollte in Ruhe gelassen werden.