Die besten Ärzte - Sammelband 27 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 27 E-Book

Katrin Kastell

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1792: Ich kann nicht lieben, Dr. Holl!
Notärztin Andrea Bergen 1271: Im Schatten seiner Frau
Dr. Stefan Frank 2225: Wir hätten auf dich hören sollen!
Dr. Karsten Fabian 168: Noch eine letzte Nacht im Glück
Der Notarzt 274: Noteinsatz im Streichelzoo

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.

Jetzt herunterladen und sofort sparen und lesen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 585

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2014/2015/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: © George Rudy/shutterstock ISBN 978-3-7517-1089-3 ww.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Katrin Kastell, Isabelle Winter, Stefan Frank, Ina Ritter, Karin Graf

Die besten Ärzte 27 - Sammelband

Inhalt

Katrin KastellDr. Holl - Folge 1792Ben Erler leidet unter Haptophobie. Er hat panische Angst vor Berührungen. Ein Trauma aus seiner Kindheit macht es ihm unmöglich, zu lieben oder zärtlich zu sein. Aber Ben hat sich mit seiner Krankheit arrangiert. Er muss ja nicht unbedingt eine Beziehung führen oder heiraten. Sein Beruf ist spannend und füllt ihn voll und ganz aus. Aber dann lernt er eines Tages Dr. Lilian Scholz kennen, und plötzlich wünscht Ben sich nichts sehnlicher, als in ihrer Nähe zu sein und die schöne Frau zu berühren. Eine Beziehung mit ihr ist auf einmal alles, was er will. Wird Dr. Stefan Holl ihm helfen können?Jetzt lesen
Isabelle WinterNotärztin Andrea Bergen - Folge 1271Warm und fest umfasst Jonathans Rechte Sarahs schmale Hand, und die junge Frau spürt, wie ihr Tränen in die Augen steigen wollen. Auch wenn keiner von ihnen es ausspricht, ist klar, dass dies ein Abschied für immer ist! Niemals zuvor hat sich Sarah einem Menschen so nah gefühlt wie Jonathan - und niemals zuvor hat sie einen Mann so sehr geliebt wie ihn! Doch ihre Liebe kann keine Zukunft haben! Obwohl alles in Sarah danach schreit, sich an Jonathans breite Brust zu werfen und ihn nie, nie mehr loszulassen, hält sie sich zurück und geht. Denn er ist an die schwer kranke Rebecca gebunden, seine Frau, die seit einem Jahr im Koma liegt und die nicht um ihn kämpfen kann...Jetzt lesen
Stefan FrankDr. Stefan Frank - Folge 2225Warum ein Ausflug nach München ein tragisches Ende nahm. Die hübsche Studentin Linette Knechtstedt kann sich nur noch wundern! Was ist nur plötzlich mit ihren Freunden los? Micha, ihr fester Freund, ist ständig gemein zu ihr; ihre Freundin Caro distanziert sich mehr und mehr von der Gruppe; und selbst Vicky und Chris, die sonst sehr glücklich miteinander sind, streiten sich plötzlich nur noch! Aber warum? Was Linette nicht ahnt: Micha und Caro haben schon seit einiger Zeit ein Verhältnis miteinander. Chris und Vicky wiederum ahnen das, sind sich aber nicht einig, ob sie mit Linette darüber reden sollen. Als die fünf sich eines Abends auf den Weg nach München machen, um dort in einer Diskothek zu feiern, droht die Situation zu eskalieren! Und auf einmal ist nicht nur ihre Freundschaft, sondern auch ihrer aller Leben in Gefahr...Jetzt lesen
Ina RitterDr. Karsten Fabian - Folge 168Eben hatte Florentine Fabian ein merkwürdiges, ja, geradezu unheimliches Erlebnis! Sie war mit dem Fahrrad unterwegs, als sie Jan-Peter Busch am Straßenrand stehen sah. Natürlich hat sie angehalten, um ein kurzes Schwätzchen mit ihm zu halten, doch er hat sie nicht erkannt. Dabei duzen sie sich seit ewigen Zeiten! Was ist los mit ihm? Florentine hat ihm dringend geraten, in die Praxis zu kommen und sich von ihrem Mann untersuchen zu lassen. Aber ob Jan-Peter sich morgen noch daran erinnert? Und Jan-Peter ist nicht der Einzige, um den Florentine sich momentan große Sorgen macht. Auch seine Schwester ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Leidet sie so sehr unter der Trennung von ihrem Verlobten? Dabei munkelt man doch, dass Daniela selbst Arne verlassen hat. Und das kurz vor der Hochzeit. Da werden noch viele Tränen fließen ...Jetzt lesen
Karin GrafDer Notarzt - Folge 274Früher war Lisa Selbach mit ihrem Mann Tim unfassbar glücklich, doch mittlerweile gleicht ihre Wohnung einer Traueranstalt, sobald Tim abends von der Arbeit heimkehrt. Mit leerem Blick stiert er vor sich hin, isst nicht und redet kaum. Selbst die beiden Kinder, Sofia und Florian, behandeln ihren Papa inzwischen wie ein rohes Ei. Schon ewig hat er nicht mehr mit ihnen gelacht oder gespielt. Niedergeschlagen vertraut sich Lisa dem Notarzt an, den sie nach einem Unfall ihres Sohnes in der Frankfurter Sauerbruch-Klinik kennenlernt. Dr. Kersten ist erschüttert, als er erfährt, wie sehr die Familie leidet und welche Umstände zu Tim Selbachs tiefer Depression geführt haben. Vielleicht sollte er einmal mit dem mutlosen Familienvater sprechen? Womöglich kann er ja helfen. Gemeinsam mit Lisa fasst er einen Plan. Wenige Tage später besucht Lisa mit Tim und den Kindern den nahe gelegenen Streichelzoo, wo sie - wie geplant - "zufällig" auf den Notarzt treffen. Doch es kommt alles ganz anders: Anstatt mit Tim zu sprechen, kniet der Notarzt plötzlich über dem jungen Mann und versucht in einem verzweifelten Kampf, dessen Leben zu retten. Das viele Blut, das aus dem Bauch des Familienvaters sprudelt, lässt den Notarzt allerdings ahnen, dass dies ein nahezu aussichtsloses Unterfangen ist ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Ich kann nicht lieben, Dr. Holl!

Vorschau

Ich kann nicht lieben, Dr. Holl!

Wenn jede Berührung wehtut

Von Katrin Kastell

Ben Erler leidet unter Haptophobie. Er hat panische Angst vor Berührungen. Ein Trauma aus seiner Kindheit macht es ihm unmöglich, zu lieben oder zärtlich zu sein. Aber Ben hat sich mit seiner Krankheit arrangiert. Er muss ja nicht unbedingt eine Beziehung führen oder heiraten. Sein Beruf ist spannend und füllt ihn voll und ganz aus.

Aber dann lernt er eines Tages Dr. Lilian Scholz kennen, und plötzlich wünscht Ben sich nichts sehnlicher, als in ihrer Nähe zu sein und die schöne Frau zu berühren. Eine Beziehung mit ihr ist auf einmal alles, was er will. Wird Dr. Stefan Holl ihm helfen können?

Ben Erler neigte den Kopf zur Seite und betrachtete seine linke Hand wie ein besonders gelungenes Kunstwerk. Nachdem er sie einige Male hin und her gedreht hatte, fing er an, die einzelnen Finger zu bewegen. Strecken, abknicken, kleine Kreise beschreiben, zufassen. Zeigefinger auf die Daumenkuppe, dann Mittel- und Ringfinger, zuletzt den Kleinen. Alles funktionierte wunderbar.

In Bens kastanienbraunen Augen lag tiefe Zufriedenheit. Seine Hand war geheilt. Ein großes Glück, denn er war Linkshänder.

Noch einmal – und hoffentlich zum letzten Mal – durchlebte er die schreckliche Situation, als er überfallen und ihm ein Teil seiner Kameraausrüstung gestohlen worden war. Nicht genug, dass die Schläger seinen Körper malträtiert hatten. Einer war sogar mit derben Stiefeln auf seine Hand getreten und hatte sie dabei so sehr verletzt, dass er monatelang Schmerzen ertragen musste.

Diese furchtbaren Bilder waren schon ein wenig verblasst. Erleichtert stellte Ben fest, dass er dieses Ereignis überwunden hatte und schon wieder in die Zukunft schauen konnte.

Hier in der Berling-Klinik hatte er nun erfahren, was ärztliche Kunst wirklich bedeutete. Einer jungen Chirurgin war es gelungen, seine linke Hand in mehreren Operationen wieder so herzustellen, als hätte es diese Verletzung nie gegeben. Ben konnte schmerzfrei greifen, der Tastsinn in den Fingerkuppen war voll ausgebildet, die Wärmeregulation stimmte. Und er verspürte wieder die nötige Kraft in der Hand, die er für seinen Beruf brauchte.

Ben war Auslandsreporter für einen deutschen Fernsehsender. Wo immer in der Welt Katastrophen geschahen, von der Natur oder von Menschen verursacht, war auch er nicht weit, um vor Ort mit Bildern und Worten aus den Krisengebieten zu berichten. Meistens filmte er selbst, um die Geschehnisse für die Menschen zu Hause einzufangen.

Er erhob sich von seinem Stuhl und ging zu seinem Schrank. Die wenigen Sachen, die er mit in die Klinik gebracht hatte, stopfte er achtlos in seine Reisetasche. Fast liebevoll schaute er auf dieses Stück, das schon so viele Länder dieser Erde gesehen hatte.

Heute wurde Ben entlassen. Eigentlich hätte er auch gleich nach der letzten Operation wieder nach Hause gehen können, aber da sich sein Handgelenk ein wenig entzündet hatte, war er dem Rat der Ärzte gefolgt und noch zwei Tage geblieben.

Er schaute auf die Uhr. Die Visite musste gleich kommen, jedenfalls war sie schon von Schwester Iris angekündigt worden.

Und dann traten sie endlich ein, die Chirurgen Dr. Lilian Scholz und Dr. Daniel Falk sowie Chefarzt Dr. Holl. In ihrem Gefolge die Fotografin, die gleich noch ein paar Abschlussfotos von seiner Hand machte.

Dr. Holl empfahl Ben regelmäßige Nachkontrollen für die nächsten sechs Monate, ansonsten wünschte er dem Patienten alles Gute und beruflichen Erfolg.

„Ich habe schon einige Ihrer Reportagen gesehen“, sagte Stefan Holl. „Ich bewundere Ihren Einsatz. Aber ich rate Ihnen auch, seien Sie vorsichtig! Dort, wo Sie sich aufhalten, ist es wohl immer gefährlich.“

Ben Erler grinste jungenhaft und suchte Augenkontakt zu Dr. Scholz, doch die junge Ärztin schaute auf den PC, den ein Pfleger mitsamt Verbandsmaterial, Cremes und Salben auf einem fahrbaren Untersatz hereingeschoben hatte.

Der Auslandsreporter war ein attraktiver Mann mit schwarzen Locken und einem bronzefarbenen Teint. Sein Vater hatte immer verlangt, dass er seine Anwaltskanzlei übernehmen sollte, doch knochentrockene Paragrafen interessierten Ben nicht. Er hatte das Jura-Studium nach dem dritten Semester abgebrochen und war hinaus in die weite Welt gezogen, wo er mit Fotoreportagen begonnen und bald Erfolg damit gehabt hatte.

Vater verzieh ihm seine Tätigkeit bis heute nicht, aber das war Ben inzwischen egal. Nur gelegentlich telefonierte er mit seiner Mutter, weigerte sich aber, sie zu sehen.

Die Eltern waren geschieden, solange Ben denken konnte. Er wusste nicht einmal, ob sie schon einen seiner Berichte gesehen hatten. Und von seiner Handverletzung hatte er sie auch nicht in Kenntnis gesetzt. Wozu auch? Um sich Vaters ewige Litanei wieder anzuhören?

Ben schob die lästigen Gedanken von sich und erhob sich.

„Passen Sie gut auf sich auf!“, sagte Dr. Holl und gab Ben die Hand.

„Das Leben ist immer voller Gefahren“, gab der Patient zurück. „Ganz egal, wo man sich befindet. Der Überfall ist hier in München passiert.“

„Ja, ich weiß. Sie haben recht. Überall kann was passieren“, musste Stefan Holl dem jungen Mann beipflichten.

„Alles Gute, Herr Erler“, sagte jetzt auch Dr. Lilian Scholz, die seine Handverletzung so kunstvoll behandelt hatte. Sehnen und Bänder waren wieder zusammengefügt, auf dem Handrücken eine Lappenplastik vorgenommen und eine Fehlstellung des Gelenks behoben worden. „Dürfen wir die Fotodokumentation der Operationen wissenschaftlich auswerten?“

„Aber gern!“, erlaubte er lächelnd.

Für einen kurzen Moment glaubte er, in den graugrünen Augen der Ärztin so etwas wie eine persönliche Frage zu lesen. Rasch schaute er wieder weg, bevor es für ihn unangenehm wurde.

„Ich danke Ihnen allen für diese Behandlung. Normalerweise nimmt man seine Hände gar nicht wahr. Alle Bewegungen geschehen, ohne dass man darüber nachdenken muss. Erst jetzt habe ich erfahren müssen, wie es ist, wenn man eine Hand nicht mehr gebrauchen kann.“ Er hielt die linke Hand noch einmal hoch und wedelte damit, sodass alle Anwesenden sie noch einmal sehen konnten. „Frau Dr. Scholz, Ihnen danke ich ganz besonders.“

Lilian errötete ein wenig und hoffte, dass es niemand merkte. Die beiden älteren Ärzte schmunzelten diskret. Sie gönnten der jungen Kollegin das uneingeschränkte Lob des Patienten, denn tatsächlich hatte Dr. Scholz hier eine einwandfreie Arbeit geleistet. Zwar unter Aufsicht des Chefchirurgen Daniel Falk, aber doch weitgehend selbständig.

„Wann geht’s denn wieder auf Reisen?“, wollte Stefan Holl wissen.

„Schon bald“, gab Ben zurück. „Diesmal nach Afrika, den Elefanten-Wilderern auf der Spur. Ehrlich gesagt, kann ich es kaum noch erwarten.“

„Na, wenn das mal gutgeht!“ Dr. Holl drückte die Schulter des Patienten. „Aber Sie wissen ja, wo die Reparaturwerkstatt ist. Wir hier sind immer für Sie da. Tag und Nacht. Auf Wiedersehen und viel Glück!“

Lilian Scholz schaute noch einmal kurz über die Schulter zurück, dann zog der Tross weiter ins nächste Zimmer.

Ben griff nach seiner Tasche, verabschiedete sich draußen von den anwesenden Pflegerinnen und holte sich seine Abmeldepapiere. Anschließend fuhr er mit einem Taxi zu seinem Apartment in Haidhausen.

Dort angekommen, drehte er die Heizung höher, denn zurzeit lag eine Kaltfront über Bayern, die sich auch noch einige Tage halten sollte.

Die Wohnung brauchte mal wieder eine ordnende Hand. Der Wäschekorb war so voll, dass sich der Deckel nicht mehr schließen ließ. Auf den Möbeln lag Staub, die Fenster waren seit Langem nicht mehr geputzt worden und schon öfter hatte Ben sich vorgenommen, mal wieder ein paar Dinge auszuräumen. Da er aber bald schon wieder auf Reisen sein würde, reichte die Zeit nicht, um das noch vorher zu erledigen.

Prüfend schaute Ben in seinen Vorratsschrank. Immerhin befand sich dort noch ein halbes Päckchen Kaffee. Er setzte die Maschine in Gang und schaute dem stetigen Tröpfeln in die Glaskanne zu.

Der Kaffee schmeckte gut. Und nachdem er auch die zweite Tasse geleert hatte, machte er sich auf zum Supermarkt an der Ecke, um seinen leeren Kühlschrank wieder aufzufüllen.

Unterwegs gingen Bens Gedanken noch einmal zurück zu der attraktiven Ärztin. Ganz besonders gefiel ihm ihre Stimme, deren Klang ihn so faszinierte, dass er fast kaum auf das achtete, was sie sagte. Ihr mittelblondes Haar trug sie immer aufgesteckt. Wie alt mochte sie sein? Ende Zwanzig, Anfang Dreißig? Die wachen Augen verrieten einfühlsames Interesse und manchmal etwas Neugier.

Lilian Scholz gefiel ihm, obwohl er überhaupt nichts von ihr wusste. Das immerhin gestand er sich ein. Er verspürte auch ein leichtes Bedauern, weil er sie ganz gewiss nicht wiedersehen würde, aber es war besser so. Bloß keine Bindungen, schon gar keine tieferen! Solche Gefühle konnte er sich nicht leisten – und schon gar nicht ertragen.

***

Nach der Teamsitzung am Nachmittag nahm Dr. Holl seine junge Kollegin beiseite.

„Ich möchte Ihnen nochmal meine Hochachtung ausdrücken“, sagte er. „Die Hand unseres Krisenreporters ist Ihnen wirklich toll gelungen.“

Lilian war ganz erfüllt vom Glück über dieses Lob. Die Spezialausbildung für Handchirurgie hatte sich also gelohnt. Und sie würde auch weiterhin an allen Fortbildungsmöglichkeiten teilnehmen, die sich ihr boten.

„Und ich weiß, wovon ich rede, denn die Hand des Patienten sah furchtbar aus. Sie haben ein kleines Wunder vollbracht.“

„Auch von mir ganz große Anerkennung“, mischte sich jetzt Chefarzt Daniel Falk in das Gespräch.

Ihm war es zu verdanken, dass der gute Ruf der Berling-Klinik gerade auf dem Gebiet der Wiederherstellungs-Chirurgie weit über die Grenzen der Stadt hinausging. Daniel Falk war nur zwei Jahre jünger als sein Freund und Kollege Stefan Holl. Beide verfügten auf ihren jeweiligen Fachgebieten über umfangreiche Erfahrungen.

„Aber ich kann mich nur wiederholen. Und bitte, Frau Doktor Scholz, lassen Sie sich bloß nicht abwerben.“

„Keine Sorge, ich bin ja von Herzen froh, dass ich hier arbeiten darf. Ich denke überhaupt nicht daran, mich zu verändern.“

„Und wenn doch, dann bitte immer erst mit mir Kontakt aufnehmen!“, bat Klinikchef Holl mit einem verschwörerischen Lächeln. „In solchen Fällen gibt es immer eine Lösung.“

Als Lilian gegen achtzehn Uhr die Klinik verließ, befand sie sich in Hochstimmung und sie beschloss, den Abend mit ihrer Freundin Greta zu verbringen. Noch von unterwegs rief Lilian bei ihr an, doch Greta meldete sich nicht.

Schade, dachte die Ärztin und beschleunigte ihren Schritt. Ein kalter Nordwind fegte durch die Straßen, dabei hatte vor Tagen schon ein linder Frühlingshauch in der Luft gelegen.

Lilian fuhr mit der U 4 nach Bogenhausen und stieg am Böhmerwaldplatz aus. Nicht nur mit ihrem Job in der Berling-Klinik, auch mit ihrem neuen Zuhause hatte sie unwahrscheinliches Glück gehabt. Normalerweise hätte sie sich eine Bleibe in dieser Gegend gar nicht leisten können.

Aber Anita Baumann, eine nette reiche Dame, die ganz allein in ihrer großen Villa wohnte, hatte ihr zu einem äußerst günstigen Preis die Einliegerwohnung überlassen – unter der Bedingung, dass Lilian gelegentlich Besorgungen für sie erledigte.

Natürlich befürchtete Lilian, dass diese kleinen Gefälligkeiten überhand nehmen könnten und Frau Baumann sie als eine Gesellschafterin betrachtete, aber bis jetzt hatten sich diese Befürchtungen nicht bewahrheitet.

In ihrer Wohnung angekommen, zog sie Mantel und Schuhe aus, schaltete das Radio ein und sank erst einmal auf das Sofa, um für ein paar Minuten abzuschalten. Kaum hatte sie die Augen geschlossen, klingelte das Handy.

„Du hast angerufen, Schätzchen“, sagte Greta ohne jegliche Einleitung. „Was gibt’s denn?“

„Ich wollte fragen, ob wir heute Abend ausgehen.“

„Heute Abend ist schlecht. Ich habe nämlich schon eine Verabredung.“

„Wirklich? Kenne ich ihn?“

„Kaum, ich kenne ihn ja selbst erst seit heute Mittag.“

Und dann ließ Greta es sich nicht nehmen, ausführlich von dem kleinen Zusammenstoß im Supermarkt zu erzählen, wo sie einer männlichen Gestalt aus Unachtsamkeit ihren Einkaufswagen in die Hacken gerammt hatte.

„Der hat vielleicht böse dreingeschaut! Können Sie nicht aufpassen, blafft er mich an. Ich entschuldige mich und lächle mein süßestes Lächeln, so süß ich nur kann. Da wird er plötzlich sanft und lieb. Wir kommen ins Gespräch, na ja, den Rest kannst du dir denken.“

„Sieht er gut aus?“

„Umwerfend!“

„Mir passiert so was nie“, maulte Lilian. „Mich starren immer nur die Männer an, die einen dicken Ehering tragen oder mir auf Anhieb unsympathisch sind.“

„Jetzt übertreibst du aber. Morgen werde ich dir erzählen, wie es gelaufen ist. Ach ja, noch was, Bärbel hatte einen Anruf von Hanno. Und die dumme Gans hat ihm deine neue Adresse gegeben.“

„Mist!“, rief Lilian aus, doch dann beruhigte sie sich gleich wieder. „Na ja, macht nichts, ich werde schon mit ihm fertig.“

„Wenn nicht, ruf mich an, damit ich dir zu Hilfe kommen kann. Aber jetzt muss ich mich schön machen …“

„Wie heißt er denn?“

„Felix Edlinger.“

„Ich wünsche dir viel Glück. Vielleicht ist es diesmal ja was für länger. Drei Tage oder so, du weißt schon.“

Greta kicherte.

Kaum war das Gespräch beendet, klingelte es wieder. Diesmal war es Anita Baumann, die fragte, ob Lilian Lust auf eine Partie Schach habe. „Es gibt auch eine Kleinigkeit zu essen“, fügte die Hauseigentümerin hinzu, als sie Lilians Zögern bemerkte.

Die Ärztin sagte zu, in einer halben Stunde zu kommen. Irgendwie wollte sie ihr Hochgefühl heute mit jemandem teilen. Wenn nicht mit Greta, dann eben mit Anita.

***

Ben hatte zwei volle Tüten nach Hause getragen – und ging dann doch zum Griechen. Erst nachdem er seine Einkäufe eingeräumt hatte, wurde ihm klar, dass er nur hatte ausprobieren wollen, wie viel er mit der operierten Hand tragen konnte. Zwar hatte man ihm in der Klinik noch geraten, die Belastungen ganz allmählich von Tag zu Tag zu steigern, doch dafür war er zu ungeduldig.

In der griechischen Taverne traf er Georg, mit dem er schon einmal eine Reportage gemacht hatte. Sie bestellten eine Flasche griechischen Weißwein und Lammkoteletts.

Ben erzählte von seinem Schicksal und den Operationen, die hinter ihm lagen. Um den Gehalt seiner Worte zu bekräftigen, bewegte er wieder die linke Hand. Ihm war klar, dass er das in den kommenden Tagen und Wochen noch öfter tun würde, wohl auch, um sich selbst immer wieder vor Augen zu führen, welches Glück er gehabt hatte.

Georg Keller, ein Einzelgänger wie er selbst, hörte sich seinen Bericht geduldig an.

„Und in diese Ärztin bist du jetzt verliebt?“

„Verliebt?“, wiederholte Ben verblüfft. „Wie kommst du denn auf diese absurde Idee? Ich bin kein Typ, in den sich die Frauen verlieben …“

„Ich rede ja nicht von den Frauen, sondern von dir. Als du von ihr sprachst, haben deine Augen gestrahlt.“

„Weil sie so eine tolle Chirurgin ist!“, sagte Ben. Der Kellner brachte die Flasche, entkorkte sie und goss ein.

Ben hob sein Glas. „Prost!“

„Auf deine Ärztin?“

„Meinetwegen“, brummte Ben. „Aber glaub mir, da ist wirklich nichts. Und da wird auch nichts sein“, fügte er ein Spur lauter hinzu.

Und irgendwie empfand er ein klein wenig Traurigkeit bei seinen Worten.

Die beiden Männer ließen sich Wein und Essen schmecken. Anschließend gab es noch einen doppelten Ouzo, dann wechselten sie das Lokal und suchten eine Bar auf.

Doch schon nach kurzer Zeit wurde es für Ben dort unerträglich. Und da Gregor sich mit einer feschen Blondine gut zu unterhalten schien, gab er ihm nur ein kurzes Zeichen und verschwand.

Draußen wehte immer noch der kalte Wind, aber nicht mehr so heftig wie noch am Nachmittag.

Ben schlug den Kragen seiner Jacke hoch, steckte die Hände in die Taschen und marschierte nach Hause. Er versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn jetzt Lilian bei ihm wäre. Würde sie seine Hand nehmen, sich bei ihm einhaken? Oder er sich bei ihr?

Ein wenig verlockend war es schon, die Wärme eines menschlichen Wesens zu spüren. Andererseits führte ihn dieser Wunsch genau wieder dorthin, wo es ganz kalt und eisig wurde, wo er Angst bekam, in diesem Gefühlseis einzubrechen und nie mehr an die Oberfläche zurückzufinden.

***

Am nächsten Tag saß eine Überraschung vor Lilians Tür. Hanno Heinsberg, dreißig Jahre alt, vor sechs Jahren für kurze Zeit ihr Ehemann, erhob sich zu seiner ganzen Länge, als er Lilian auf sich zukommen sah.

„Hallo, Lilian!“ Sein Lächeln wirkte gerade verzückt, als er ihr die Hand gab. „Da bist du ja endlich. Ich warte schon seit zwei Stunden auf dich. Mein Gott, gut schaust du aus. Um keinen Tag älter als beim letzten Mal. Wie lange ist das jetzt her?“

Lilian zog es vor, erst einmal keine Antwort zu geben. Erst, als sie die Schlüssel im Chaos ihrer Handtasche gefunden und die Wohnungstür aufgesperrt hatte, wandte sie sich ihm zu.

„Grüß dich, Hanno. Mit dir hätte ich nun nicht gerechnet. Wie geht es dir?“

„Oh, ich habe eine Menge zu erzählen“, sagte er eifrig. „Darf ich reinkommen?“

In Gottes Namen, dachte Lilian. Begeistert war sie nicht davon, ihn in ihre Wohnung zu lassen. Aber da es nach der schnellen Scheidung damals keine Unstimmigkeiten zwischen ihnen gegeben hatte, konnte sie ihn einfach wie einen guten Bekannten behandeln. Irgendwie war er das ja auch.

Beim Eintreten schaute er sich neugierig um.

„Magst du einen Kaffee? Oder einen Tee?“ Lilian verfolgte, wie er ihr Heim inspizierte. Und sie konnte sich schon denken, was ihm dabei durch den Kopf ging.

„Ein Kaffee wäre super!“

„Setz dich. Ich komme gleich.“

Doch Hanno spazierte erst einmal durch die geräumige Zwei-Zimmer-Wohnung.

„Bogenhausen!“, sagte er, als sie Tassen und Teller aus dem Schrank nahm. „Das ist doch ein sündteures Pflaster! Du musst ziemlich gut verdienen. Habe ich recht?“

„Kein Kommentar!“, erwiderte sie mit ironisch blitzenden Augen. „Bist du hergekommen, um mich auszufragen?“

„Natürlich nicht, entschuldige. Du hast es wirklich schön hier. Du hast es gut getroffen. Ich freu mich für dich. Herzlichen Glückwunsch.“

Die meisten Möbel sowie die voll eingerichtete Küche mitsamt Geschirr und sonstigen Utensilien, die man zum Kochen brauchte, hatte sie von Anita Baumann bekommen. Die alte Dame brauchte für sich allein kaum etwas. Große Gesellschaften gab es in der Villa nicht mehr, also hatte sie Lilian freigestellt, sich aus dem reichhaltigen Haushalt das zu nehmen, was sie brauchte.

So konnte sie sich vorerst etliche Neuanschaffungen sparen und auf später verschieben. Natürlich hatte sich Lilian sehr herzlich bei der Hausherrin für diese Großzügigkeit bedankt.

Aber das musste Hanno nicht wissen, denn wie sie ihn einschätzte, war er heute noch viel berechnender als damals, während ihrer kurzen Ehe.

„Wohnst du auch wieder in München?“, erkundigte sie sich betont beiläufig, als sie mit dem frischgebrühten Kaffee kam.

„Ja, stell dir vor, ich kann hier einen tollen Job bekommen.“

„Ach, wirklich?“

Lilian erinnerte sich gut an die gemeinsame Zeit, in der Hanno immer irgendetwas „in Aussicht“ hatte. Meistens wurde nichts aus seinen Plänen und wenn doch, hielt er es niemals lange in einem Arbeitsverhältnis aus. Man muss flexibel sein, pflegte er zu behaupten, etwas Besseres findet sich immer.

„Du hast also tatsächlich dein Studium durchgezogen“, stellte Hanno fest und schnalzte anerkennend mit der Zunge, bevor er die heiße Tasse an seine Lippen setzte. „Hm, guter Kaffee!“

„Wundert dich das?“

„Nein, eigentlich nicht. Du warst immer schon sehr zielstrebig und wolltest unbedingt einen Beruf, von dem du leben kannst.“

„Ist das so was Außergewöhnliches?“

Auch Lilian nippte am Kaffee. Dann stand sie auf und holte noch ein paar Schokoladenkekse. „Greif nur zu“, sagte sie.

Diese Aufforderung hätte sie sich getrost sparen können. Hanno verspürte überhaupt keine Scheu, sich zu bedienen. Schon bald war der gut gefüllte Teller geleert, aber er ließ wenigstens einen Anstandskeks zurück.

Lilian unterdrückte ein Lächeln. Hanno war immer schon ein Süßschnabel gewesen. Daran hatte sich also nichts geändert. Dennoch war er rank und schlank wie eh und je. Beneidenswert, fand Lilian.

„Ich wollte heute Abend essen gehen“, sagte sie. „Kommst du mit?“

„Können wir nicht hier …“

„Tut mir leid, aber ich habe nichts im Haus.“ In Wahrheit wollte sie ihn nicht länger in der Wohnung haben, weil sie befürchtete, ihn dann nicht mehr loszuwerden.

„Klar komme ich mit.“ Hanno nickte eifrig.

„Wie wär’s mit Pizza? Allerdings müssen wir ein paar Minuten laufen.“

„Das macht gar nichts. Mit dir an meiner Seite würde ich bis ans Ende der Welt gehen.“

Wieder einer von seinen lockeren Sprüchen, dachte Lilian, aber sie nahm ihm seine Worte nicht übel. Sie kannte ihn ja.

Als sie dann eine Viertelstunde später in der Pizzeria saßen und mit einem Glas Rotwein anstießen, erzählte Hanno, dass er jetzt gedachte, sich in München niederzulassen.

„Mit einem Freund gründe ich eine Softwarefirma. Dann machen wir individuelle Programme für Klein- und Mittelbetriebe.“

„Hast du Informatik zu Ende studiert?“

„Nicht direkt“, erwiderte er mit einer wegwerfenden Geste. „Die konnten mir ja nichts mehr beibringen, also bin ich erst mal für ein paar Jahre ins Ausland gegangen. Ich war in Neuseeland, in Südamerika und in Australien. Nun kenne ich etliche Teile dieser Welt. Aber schöner als hier ist es da draußen auch nicht.“

Lilians Spaghetti Bolognese und Hannos Pizza Margarita wurden gebracht. Bevor er sich ein Stück davon abschnitt, hob er sein Glas. „Auf dich, Lilian. Du bist eine tolle Frau!“

„Danke“, erwiderte sie etwas verwundert. War das von ihm ehrlich gemeint oder schwirrten doch ein paar Hintergedanken durch sein Gehirn?

Lilian schaffte ihr Pasta-Gericht nur zur Hälfte, dann schob sie es beiseite. Hanno, der seine Pizza hastig verspeist hatte, verschlang nun auch noch die Spaghetti. „Das kann man doch nicht zurückgehen lassen“, meinte er mit vollem Mund. „In meinem Magen ist noch reichlich Platz.“

Sie ließ ihn gewähren. Danach bestellten sie noch eine Karaffe Wein. Hanno fing seine Sätze jetzt an mit „Weißt du noch, als wir …“

Dabei gab es gar nicht so viele gemeinsame Erlebnisse, aber er kramte trotzdem mit wachsender Begeisterung in der Erinnerungskiste.

Plötzlich wurde seine Miene ernst und traurig. „Warum hat das eigentlich damals nicht mit uns geklappt?“

Lilian zog die Mundwinkel nach unten. „Keine Ahnung. Wir waren zu jung und zu unerfahren. Für mich war der Beziehungsstress einfach zu groß.“

„Schade“, meinte er leise. „Findest du nicht?“

„Nein“, gab sie zurück. „Es war dumm von uns, gleich zu heiraten. Damit hätten wir warten sollen, dann hätte sich diese Frage von selbst erledigt. Komm mir jetzt nicht damit, dass wir etwas versäumt hätten. Wir haben einfach nicht zueinander gepasst. Das ist meine unumstößliche Meinung.“

Sie machte eine wohlgesetzte Pause. „Und wir passen immer noch nicht zusammen“, fügte sie dann hinzu und hob ihr Glas, um es zu leeren. „Auf dein Wohl, Hanno. Ich muss jetzt nach Hause. Morgen um sieben fängt mein Arbeitstag an.“

Scheinbar folgsam fügte er sich. „Du hast ja recht“, pflichtete er ihr bei. Er übernahm großzügig die Zeche, obwohl Lilian das nicht wollte. Schließlich gab sie nach.

Er half ihr ritterlich in die Jacke und brachte sie wieder bis zu ihrer Wohnungstür. „Servus“, sagte Lilian. „War nett, dich mal wiederzusehen.“

„Bleib mir gewogen!“, bat er. „Für mich war es heute ein sehr schöner Abend. Ich fände es nett, wenn wir uns hin und wieder sehen könnten.“

Er wollte sie an sich ziehen und auf die Wangen küssen, doch Lilian machte einen Schritt zurück. Dabei wäre sie fast gestolpert und landete nun doch in seinen Armen.

„Vorsicht! Auch Engel können fallen!“, meinte er lachend. „Schlaf gut und träum was Schönes. Ich melde mich bei Gelegenheit wieder.“

***

Bens Abreise nach Tansania verschob sich um fünf Tage. Damit hatte er nicht gerechnet und wusste nun nichts mit sich anzufangen.

Er traf noch mal mit Georg zusammen. Die anderen Freunde in München rief Ben gar nicht erst an, da fast alle schon Familie hatten oder in festen Beziehungen lebten.

An diesem Abend tat er etwas Ungewöhnliches. Er rief Dr. Lilian Scholz in der Berling-Klinik an und fragte sie, ob er sie in ein gutes Restaurant ausführen dürfe, sozusagen als kleines Dankeschön für die so wunderbare Wiederherstellung seiner linken Hand.

Am anderen Ende war sekundenlanges Schweigen, sodass Ben sich schon auf eine Absage gefasst machte, aber dann sagte sie ja.

Das kleine Wörtchen schien wie eine Feder in der Luft zu schweben. Er lauschte erfreut dem schönen Klang nach, dann rief er sich zur Ordnung. Solche Träumereien endeten ja doch immer wieder in einem Scherbenhaufen. Oft genug hatte er diese Erfahrung gemacht.

„Und wann?“

„Morgen Abend.“

„Wohin gehen wir?“

„Das wird noch nicht verraten“, sagte Ben. „Ich könnte Sie von der Klinik abholen …“

„Nein, auf gar keinen Fall!“, widersprach sie sofort.

Erst wollte sie nach Hause, sich den Klinikalltag abwaschen und etwas Schickes anziehen. Ja, sie wollte sich schön machen für ihn, ihn blenden, mit ihm flirten. Allein die Vorstellung, ihn so unverhofft wiederzusehen, ließ ihr Herz jubilieren.

Er hatte also auch gespürt, dass es zwischen ihnen etwas Unausgesprochenes gab, das noch sehr aufregend werden konnte.

„Gut, dann treffen wir uns um sieben vor der Staatsoper. Von dort ist es dann nicht mehr weit.“

Lilian war einverstanden. „Wieso sind Sie noch in München? Ich dachte, Sie wären schon weg.“

„Meine Reise ist verschoben worden. Das hängt mit den afrikanischen Partnern zusammen.“

„Haben Sie eigentlich gar keine Angst, in den fremden Ländern zu arbeiten?“

„Ach, jetzt reden Sie schon wie Doktor Holl!“, meinte Ben lachend. „Ich bin mir der Gefahren bewusst, aber das hält mich nicht von meiner Arbeit ab.“

„Oh, ich bin überzeugt davon, dass Sie ein sehr leidenschaftlicher Reporter sind.“

Leidenschaftlich! Das Wort ließ ihn aufhorchen. War er das wirklich?

Oder unternahm Ben diese Reisen nur, um sich anderen Dingen nicht stellen zu müssen? Befand er sich nicht ständig auf der Flucht?

Ben musste tief durchatmen. So hatte er seinen Job noch nie gesehen, aber eigentlich wollte er auch jetzt nicht intensiv darüber nachdenken. Ein Essen mit der attraktiven Ärztin als kleine Abschiedsfeier von München, und das war’s dann.

Damit seine Stimme nicht belegt klang, räusperte er sich. „Also dann, bis morgen.“

„Ich freue mich“, sagte sie schlicht und ergreifend.

Ben legte auf und holte tief Luft. Was niemand in seiner Umgebung ahnte, war der Umstand, dass ein Treffen mit einer schönen Frau für ihn in viel gefährlicheren Gewässern stattfand, als der Versuch, einem Haufen Elefanten-Wilderern auf die Spur zu kommen.

Freute er sich auch? Ben spürte dieser Frage nach, fand darauf aber keine Antwort. Dennoch ahnte er dunkel, dass er sich irgendwann auf die Suche machen musste, um seine Ängste zu bannen. Tat er das nicht, würden sie ihn eines Tages in den Abgrund reißen. Dann konnte er auch keine Reportagen mehr drehen.

***

Stefan Holl und Daniel Falk saßen bei einem Kaffee zusammen und besprachen die weitere Personalplanung.

„Wir brauchen unbedingt einen weiteren Assistenzarzt für die Chirurgie“, bestand Daniel auf seiner Forderung. „Und die Kollegin Scholz sollte für die Beförderung zur Oberärztin ganz oben auf der Liste stehen.“

„Ich habe sie schon vorgemerkt“, erklärte Dr. Holl trocken. „Mir ist klar, was wir an ihr haben.“

„Sie ist ein Ausnahmetalent.“ Daniel Falk geriet ein wenig ins Schwärmen.

„Du alter Schwerenöter!“ Jetzt musste Stefan Holl schmunzeln. „So habe ich dich selten reden hören. Aber werden die anderen Kollegen in ihrem Alter sich nicht zurückgesetzt fühlen? Doktor Wolfram ist sogar ein paar Jährchen älter.“

Daniel nickte eifrig. „Ist mir alles klar. Michael ist ein hervorragender Handwerker, der seine Sachen bei Tumor- und Gallenresektionen zum Beispiel bestens erledigt. Doktor Scholz hingegen ist eine Künstlerin. Das erkennt Michael neidlos an, er weiß, dass er dieses chirurgische Niveau nie erreichen wird. Ich habe erst gestern mit ihm darüber gesprochen.“

„Wir reden noch mal darüber“, schlug Stefan Holl vor. „Es muss ja nicht heute eine Entscheidung stattfinden. Auf jeden Fall wird sie mit dir zum nächsten Chirurgenkongress reisen.“

Nach dem Gespräch mit Daniel Falk telefonierte Dr. Holl mit dem Verwaltungschef und beauftragte ihn, die Stelle für einen Assistenzarzt oder eine Assistenzärztin auszuschreiben.

Anschließend fuhr er nach Hause. Er freute sich auf einen ruhigen Abend. Zum Essen war noch die ganze Familie versammelt. Danach zog Chris sich in sein Zimmer zurück, während Juju noch für eine Stunde zu den Nachbarn durfte, um mit der gleichaltrigen Lena zu spielen. Stefan und seine Frau gönnten sich ein Gläschen Wein.

„Wie war dein Tag?“, erkundigte sich Julia. Als Kinderärztin, die ihren Beruf aber wegen der eigenen Kinder nicht ausübte, wollte sie immer alles über die Vorgänge in der Berling-Klinik wissen. Und sie spielte auch immer öfter mit dem Gedanken, wieder mitzuarbeiten.

Darum hielt sie sich mit Fachliteratur auf dem Laufenden und wenn es möglich war, besuchte sie gelegentlich auch einen Kongress. Juju war inzwischen elf, die erwachsenen Zwillinge gingen mehr und mehr ihre eigenen Wege und der mittlere Sohn Chris zeigte in der letzten Zeit eine für sein Alter erstaunliche Reife.

„Es gab nichts Besonderes“, sagte Stefan. „Keine dramatischen Zwischenfälle, ein ganz normaler Klinikalltag, wenn man so will.“

Julia nippte an ihrem Glas. „Wenn Marc weiterhin so fleißig studiert wie bisher, dann wird er dein Team schon bald verstärken können.“

„Mir wäre es lieber, wenn er zunächst für ein paar Jahre im Ausland Erfahrungen sammelt. Aber noch ist es ja nicht so weit. Erst mal muss er die kommenden Prüfungen bestehen.“

„Ich habe keinen Zweifel, dass er das schafft.“ Julia lächelte stolz. „Er sieht die Medizin als Berufung an. Genau wie du.“

„Danke für die Blumen!“ Stefan zwinkerte seiner Frau zu. „Auch wenn ich ihn niemals gezwungen hätte, Arzt zu werden, so bin ich doch von Herzen froh, wenn er diesen Weg geht. Es ist schon ein gutes Gefühl, diese Klinik an die nächste Generation in der Familie weitergeben zu können.“

Julia lachte leise. „Na, so weit ist es ja noch lange nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du schon an Rückzug denkst.“

„Nicht so direkt“, gab er zu. „Aber ich will auch nicht als jemand enden, der jeden Tag im gut bestellten Haus noch nach dem Rechten sehen muss. Es wird neue Teams geben. Die Alten weichen den Jungen. Das ist nun mal der Lauf der Welt, bei uns war es nicht anders. Außerdem können wir zwei dann endlich unsere Reisen machen, wann und wohin wir wollen. Wir haben doch noch so viel vor.“

Plötzlich stand Juju schluchzend mitten im Raum, schaute von einem zum anderen und stürzte sich dann in die Arme des Vaters.

„Was ist denn los, mein Schatz?“

Juju fing sich schnell. „Ich hatte einen bösen Traum und bin aufgewacht.“

„Na, dann bring ich dich jetzt mal zurück ins Bett.“

„Du musst bei mir bleiben, bis ich wieder eingeschlafen bin.“

„Bis gleich“, sagte Stefan zu seiner Frau und verschwand mit dem Kind.

Als er nach einer halben Stunde noch nicht wieder zurück war, ging Julia ins Kinderzimmer, um nachzuschauen. Stefan lag angezogen auf der Bettkante neben Juju. Seiner linken Hand war ein aufgeschlagenes Buch entglitten. Die Nachttischlampe brannte. Vater und Tochter schliefen.

Sanft berührte Julia ihren Mann an der Schulter. „Komm ins Bett!“ Julia flüsterte, um das Mädchen nicht aufzuwecken. „Dort hast du es bequemer.“

Stefan erhob sich und rieb sich über die Augen. „Na so was, ich muss eingeschlafen sein. Wie spät ist es denn?“

„Schon nach elf. Ich bin auch müde.“

Nach einem letzten liebevollen Blick auf ihr Kind löschte Julia das Licht und verließ mit ihrem Mann das Kinderzimmer.

***

„Das war ein wunderbares Essen“, gestand Lilian mit leuchtenden Augen. „Ich habe noch nie so gut gegessen. Sie scheinen mir ja ein richtiger Feinschmecker zu sein.“

Er hatte sie in ein Spitzenrestaurant geführt. Und natürlich fragte sie sich, warum. Eine Pizza hätte es auch getan, aber er wollte ihr wohl etwas Besonderes bieten.

Alles aus Dankbarkeit für seine nun wieder gut funktionierende Hand? Gern hätte sie ihn nach seinen Motiven gefragt, aber sie hielt sich zurück. Auf keinen Fall sollte er sie für neugierig halten.

Während des Essens hatten sie sich angeregt unterhalten. Er konnte gut und spannend erzählen. Fast kam es ihr so vor, als habe er den Text zu einer seiner Reportagen gesprochen. Aber weil sie gern noch etwas über ihn persönlich wissen wollte, wagte sie nun doch eine Frage.

„Wie sind Sie eigentlich auf diesen Beruf gekommen?“

Ben lachte auf. „Auf ganz verrückte Weise“, sagte er. „Ich bin einer von unzähligen Studienabbrechern. Alles Mögliche habe ich angefangen und nicht beendet. Schließlich bin ich noch auf eine Journalistenschule gegangen, aber auch die habe ich ohne Abschluss verlassen.“

So viel hatte Ben schon lange nicht mehr an einem Stück geredet. Er nahm einen kleinen Schluck aus dem Weinglas.

„Dann kaufte ich mir eine umfangreiche Kameraausrüstung und machte mich ganz allein auf den Weg, ohne ein bestimmtes Ziel. Ich wusste noch nicht einmal genau, über was ich eigentlich berichten wollte. Irgendwann landete ich bei den Straßenkindern in Brasilien. Ein paar davon habe ich etliche Wochen begleitet. Meine erste Reportage war fertig.“

„Toll.“ Lilian war voller Bewunderung.

„Natürlich gibt es diese Probleme auch in unserem Land, aber ich wollte weit weg von Deutschland. Hier wurde mir alles zu eng.“

„Warum?“

Er winkte ab. „Das ist eine ziemlich uninteressante Geschichte. Die behalte ich lieber für mich.“

Er schaute auf die Uhr und bat dann den Kellner um die Rechnung. Wenig später wurde sie diskret verborgen in einem Ledermäppchen gebracht. Ben zahlte mit seiner Kreditkarte und legte einen Geldschein extra dazu.

Also, kleinlich ist er nicht, dachte Lilian.

„Ich bringe Sie noch nach Hause“, sagte er, als sie hinaus auf die Straße traten.

„Das ist nicht nötig. Ich nehme mir ein Taxi.“

Dummerweise bog gerade in diesem Augenblick eins um die Ecke. Ben winkte. Das Fahrzeug näherte sich und blieb stehen. So schnell hatte sie sich nun auch wieder nicht von ihm verabschieden wollen, aber jetzt musste sie einsteigen.

„Vielen herzlichen Dank!“, sagte sie. „Ich hoffe, wir sehen uns wieder.“

„Gewiss.“ Er gab ihr die Hand. „Auch ich danke Ihnen, dass Sie mir Ihre wertvolle Zeit geopfert haben.“

Lilian nahm auf der Rückbank Platz. Ben drückte die Tür zu, hob noch einmal die Hand und wandte sich dann ab.

Lilian konnte es nicht fassen und sich schon gar nicht auf diesen Abschied einen Reim machen. Ein Kuss wäre doch schön gewesen! So ganz ohne alles, damit hatte sie nicht wirklich gerechnet. Dass nicht einmal ein warmes Wort über seine Lippen kam, irgendein Ausdruck von Freude oder Zufriedenheit, frustrierte sie.

Gleichzeitig bekam die schwelende Glut in ihr neue Nahrung, und sie musste sich eingestehen, dass ihr Herz ziemlich verrücktspielte. Mehr noch, sie war verliebt.

So etwas war ihr schon lange nicht mehr passiert. Während der Fahrt nach Bogenhausen wurde Lilian klar, dass sie in den letzten Monaten, ja sogar Jahren, in einem emotionalen Niemandsland gelebt hatte, ohne es bemerkt zu haben.

Nur die Arbeit war ihr wichtig gewesen, der Dienst in der Klinik samt Überstunden, gelegentlich ein Treffen mit Freundin Greta – das war’s auch schon. Höhepunkte kamen in ihrem Leben außerhalb ihres Berufes einfach nicht vor. Und offensichtlich hatte sie sie auch nicht vermisst.

Nun aber kreisten ihre Gedanken um Ben Erler, diesen attraktiven Mann mit den schönen dunklen Augen und der wohlklingenden Stimme. Vor ihrem Zuhause angekommen, entlohnte sie den Fahrer und ging traurig auf die Wohnungstür zu.

Drinnen streifte sie die Schuhe von den Füßen, zog ihre Jacke aus und warf sie achtlos über einen Sessel mit den geschwungenen Füßen.

Sie verstand sich selbst nicht mehr. Wieso hatte sie gehofft, dass ein Treffen mit Ben ganz anders verlaufen würde?

Ihr Handy piepste kurz. Eine Kurznachricht von ihm! Doch sie war ebenso knapp wie seine Abschiedsworte. „Gute Nacht. B.“

Bedeutete das was? Oder war es nur ein weiterer Beweis dafür, dass er privat kein Mann großer Worte war, wie er betont hatte? Aber das stand doch ganz im Gegensatz zu seinen Reportagen!

***

Ein stark blutender Verletzter wurde in die Ambulanz gebracht, wo Dr. Michael Wolfram zusammen mit dem Assistenzarzt Jordan heute Dienst hatte. Soeben noch hatten sie Kaffee getrunken und sich darüber gefreut, dass es heute ziemlich ruhig in der Notaufnahme zuging.

Sofort kümmerten sie sich um den Mann, dessen Personalien schon der Notarzt aufgenommen hatte. Er hieß Hanno Weinsberg, war 30 Jahre alt und nach seinem eigenen Bericht von der Leiter in einen Scherbenhaufen gefallen. Jemand hatte das Fenster seiner Wohnung eingeschlagen. Als er den Schaden beheben wollte, war die Leiter umgekippt. Einige Scherben steckten noch in den Gliedmaßen. Der rechte Unterschenkel war dabei heftiger in Mitleidenschaft gezogen als der linke.

„Haben Sie auf der Leiter das Gleichgewicht verloren?“, erkundigte sich Michael Wolfram kopfschüttelnd, während er die verletzten Beine inspizierte.

Hanno stöhnte nur.

„Er hat viel Blut verloren“, sagte Dr. Wolfram zu seinem Kollegen. „Die Wunden müssen gesäubert und vernäht werden. Sieh zu, dass du einen OP bekommst.“

Dr. Jan Jordan tätigte das erste einer Reihe von Telefonaten. Eine halbe Stunde später schob man Hanno bereits in den OP 2.

„Haben Sie heute schon was gegessen?“, erkundigte sich Dr. Andrea Kellberg bei dem Patienten.

„Nein, ich bin noch nicht zum Frühstücken gekommen.“

„Sie sind also nüchtern. Das ist gut. Sie bekommen jetzt eine Vollnarkose“, erklärte die Anästhesistin, nachdem sie einen zentralen Venenkatheter gelegt hatte. „Keine Angst, Sie werden gar nichts spüren. Und wenn Sie wieder aufwachen, liegt alles hinter ihnen.“

Ihr Kollege Leo Zimmermann hielt schon die Atemmaske bereit.

Andrea, eine aparte Frau in den Dreißigern, injizierte das Narkosemittel. „Jetzt wird Ihnen etwas schwindelig werden“, sagte sie.

In der nächsten Sekunde tat das Medikament schon seine Wirkung. Der Patient verlor das Bewusstsein. Dr. Zimmermann setzte die Maske auf, durch die jetzt Sauerstoff strömte.

In diesem Moment betrat Lilian den OP. Vor wenigen Minuten war sie in die Klinik gekommen und sofort zu diesem Noteingriff gerufen worden. Dr. Wolfram, der sich jetzt in der Ambulanz vertreten ließ, assistierte ihr.

Gemeinsam entfernten sie die Glassplitter aus den vielen Wunden, was gleich neue Blutungen auslöste. Anschließend erfolgte eine akribische Desinfizierung, bevor sie mit dem Verschließen der Schnitte begannen. An einer Stelle musste Lilian eine Venenplastik legen und einen durchtrennten Muskel versorgen.

„Wie hat er das bloß angestellt?“ Lilians Worte klangen durch den Mundschutz leicht gedämpft. „Liegt hier vielleicht sogar Fremdverschulden vor?“

„Angeblich ist er von der Leiter gefallen, direkt in die Scherben hinein“, sagte Michael. „So hat es jedenfalls der Kollege vom Rettungsdienst berichtet.“

„Verrückte Geschichte“, sagte sie.

Insgesamt brauchten sie fast zwei Stunden, bis die Beine des Verunglückten wieder zusammengeflickt waren. Erst danach, bei ihrem OP-Kurzbericht, las Lilian den Namen des Mannes.

Hanno Heinsberg! Ihr Ex! Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, würde ihm aber später auf den Zahn fühlen, wieso er sich ausgerechnet hier behandeln ließ.

Der Patient wurde in den Aufwachraum gebracht, wo man zwei Stunden lang alle Kreislauffunktionen überprüfte. Anschließend erfolgte die Verlegung auf die Chirurgie.

Erst am Abend kam Lilian dazu, nach ihm zu sehen. Er war das personifizierte Häufchen Elend.

„Wie ist das bloß passiert?“, wollte sie wissen, doch er war noch zu müde, um sich detailliert zum Unfallhergang zu äußern. Also ließ sie ihn in Ruhe.

„Dann schlaf mal gut, du Pechvogel!“, sagte sie. „Mach dich bemerkbar, wenn du Schmerzen hast.“

„Mach ich. Ach, Lilian …“

„Ja?“

„Kannst du mir einen Kuss geben? Hier auf die Wange. Das brauche ich jetzt nach dieser Katastrophe. Bitte!“, bettelte er, als er ihre ablehnende Miene sah. „Um der alten Zeiten willen.“

Eigentlich war ihr nicht danach zumute, zärtlich zu ihm zu sein. Sie fand sein Verhalten kindisch, doch dann tat sie ihm den Gefallen. Vielleicht half ein Küsschen ja, den Unfallschock zu mildern.

„Und jetzt wird geschlafen! Morgen kannst du mir dann die ganze Geschichte mit deinem Unfall erzählen.“ Sie verließ den Raum.

Hanno aber lächelte zufrieden in sich hinein.

***

Lilian machte es sich zu Hause bequem. Wettermäßig fand draußen gerade ein Weltuntergang statt. Der April gebärdete sich dieses Jahr besonders wild.

Am Nachmittag hatte sie der Hausherrin Gesellschaft bei Tee und Gebäck geleistet, jetzt lag Lilian mit einem Krimi auf dem Sofa. Morgen hatte sie auch noch frei. Erst am Dienstag musste sie wieder in die Klinik.

Ihre Gedanken flatterten davon, einem Ziel namens Ben entgegen. Irgendwo auf dieser Welt musste er sein. Erinnerte er sich noch an den gemeinsamen Abend? Dachte er manchmal an sie – oder war das Treffen mit ihr doch eher nur eine unbedeutende Episode gewesen?

Nach seiner lapidaren „Gute Nacht!“–SMS hatte Lilian nichts mehr von ihm gehört. Dennoch gelang es ihr nicht, die weiter in ihr schwelenden Wünsche und Sehnsüchte abzutöten. Mit jedem Versuch erreichte sie nur das Gegenteil.

Hanno war inzwischen aus der Klinik entlassen worden. Er hatte schon mehrfach angerufen, um mit Lilian auszugehen, doch jede Einladung wies sie zurück. Sie durfte nicht zulassen, dass er irgendeine Geste oder ein Wort von ihr missdeutete.

Ihre Beziehung war schon so lange vorbei, dass sie sich wunderte, wieso er jetzt offensichtlich versuchte, an etwas anzuknüpfen, was es gar nicht mehr gab.

Zwar sagte er selbst, dass er nur an einer Freundschaft mit ihr interessiert war, doch selbst das war ihr schon zu viel. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, musste sie sich eingestehen, dass sie ihn noch nicht einmal als Freund haben wollte. Er sollte sie in Ruhe lassen. Wenn er das nicht begriff, würde sie deutlicher werden müssen und dabei riskieren, ihn zu verletzen.

Während seines Aufenthaltes in der Klinik war er der Liebling des gesamten Pflegepersonals gewesen und hatte natürlich auch von seiner Ehe mit Dr. Lilian Scholz erzählt. Einige der Pflegerinnen hielten sie wohl für arrogant und hart diesem armen netten Kerl gegenüber, doch das war Lilian egal. Es kam nicht darauf an, was andere von ihr dachten, sondern nur darauf, wie sie sich Hannos neuer Anhänglichkeit entziehen konnte.

Eine Woche später bekam sie eine SMS von Ben, die allerdings nur den trockenen Hinweis auf seine nächste Sendung enthielt. Nicht einmal einen Gruß hatte er mitgeschickt.

Natürlich schaute sie die Sendung, von der sie sehr beeindruckt war. Sie handelte von einer schweren Überflutung in Asien. Es waren Bilder einer großen Katastrophe. Was musste Ben empfinden, wenn er dieses Elend filmte?

Immerhin war in diesem Beitrag seine Stimme zu hören. Das allein reichte schon aus, um ihr gegen alle Vernunft romantische Träume zu bescheren. Du benimmst dich wie ein alberner Teenie, schimpfte sie mit sich selbst.

Du kennst ihn doch gar nicht. Du weißt von ihm nur, dass er weit weg von München seine Arbeit tut. Dieser Mann wird niemals sesshaft werden. Und wenn du mit ihm zusammen wärst, hättest du ständig Angst um ihn. Fang endlich an, die Realität zu sehen.

Die junge Ärztin seufzte traurig. Wenn das nur so einfach wäre! Ein verliebtes Herz war offen für alles, nur nicht für die Ansichten der Vernunft. Allerdings hoffte Lilian doch sehr, dass dieser dumme Zustand nicht ewig dauern würde. Ihre Vorstellungen waren einfach unrealistisch. Darauf musste irgendwann auch das Herz kommen.

Nach dem Ende des Films griff sie nach ihrem Handy und schickte ihm eine SMS zurück. „Toller Bericht! Bin beeindruckt. Anruf würde mich freuen. Lilian.“

Zehn Minuten später rief er an. Sie war so überrascht, dass sie kurzfristig ins Stottern verfiel. „Hallo, Ben … wo … wo sind Sie denn jetzt?“

„Hallo, Lilian!“ Seine warme Stimme streichelte sie. „Wie geht es dir?“

Dass er sie duzte, verschlug ihr fast den Atem. Das Blut schoss ihr in den Kopf.

„Es geht mir wie immer. Viel Arbeit, wenig Freizeit. Und leider ist hier in München schon seit Tagen schlechtes Wetter.“

Nein, kein Gespräch übers Wetter! Sie war über sich selbst entsetzt. Andererseits fiel ihr im Augenblick nichts Besseres ein.

„Ich komme nächsten Monat wieder für ein paar Tage nach München“, sagte er. „Vielleicht können wir uns sehen. Natürlich nur, wenn du magst.“

„Ja, natürlich mag ich!“, rief sie aus. Im nächsten Moment hätte sie sich am liebsten die Zunge abgebissen. Ihre Zustimmung musste bei ihm ja so ankommen, als habe sie seinem Anruf geradezu entgegengefiebert.

„Ich möchte doch wissen, wie es meinem Patienten in der Ferne ergangen ist“, versuchte sie nun ihren Ausruf etwas abzuschwächen. „Hatten Sie … hattest du Schwierigkeit mit der Hand?“

„Anfangs habe ich sie noch ein wenig geschont und die Leute aus meiner Crew die schweren Kameras schleppen lassen. Inzwischen kann ich das schon wieder selbst.“

Dann blieb es still. Sie dachte schon, die Verbindung wäre unterbrochen, doch da hörte sie ihn wieder.

„Ich bin dir wirklich sehr, sehr dankbar. Nicht auszudenken, was ich getan hätte, wenn meine Hand …“ Er verstummte.

Ein schönes Lob, dachte Lilian, auch wenn sie es schon oft von anderen Patienten gehört hatte. Aus Bens Mund aber war es für Lilian etwas Besonderes.

„Ich muss jetzt Schluss machen. Wenn ich in München bin, melde ich mich.“

„Alles Gute, Ben. Und geh den Gefahren aus dem Weg.“

Sein dunkles Lachen berührte all ihre Sinne.

„Ich werde es versuchen“, sagte er, „aber versprechen kann ich nichts. Denn manchmal wirken Gefahren völlig ungefährlich.“

***

Am Dienstag erlebte Lilian eine weitere unangenehme Überraschung in der Berling-Klinik. Hanno lag wieder in der Notaufnahme. Dabei war er erst vor zehn Tagen entlassen worden. Nun war das rechte Ellbogengelenk derart kompliziert gebrochen, dass als Therapie nur ein Gelenkersatz infrage kam.

Ein passendes Implantat war in der Berling-Klinik nicht vorrätig und musste erst bestellt werden. Für Hanno war ein Aufenthalt von mindestens zwanzig Tagen vorgesehen, was ihn aber kaum zu stören schien. Lilian konnte es kaum fassen, wieso ein Mensch so schusselig sein konnte.

„Was ist mit dir los?“, fragte sie. „Früher warst du mal ein guter Sportler. Jetzt tappst du von einem Unglück ins nächste. Warst du betrunken?“

„Ich habe eben eine Pechsträhne“, erklärte er mit einem zufriedenen Lächeln. „Und das Wichtigste ist doch, dass mir hier in der Klinik geholfen wird. Alle kümmern sich so liebevoll um mich. Sogar du. Das macht meinen Aufenthalt hier äußerst angenehm. Wenn ich da an die Uni-Klinik in Hamburg denke, da war man nicht so nett zu mir.“

Lilian schüttelte streng den Kopf. „Du redest dummes Zeug. Ein Klinikaufenthalt ist immer eine Zwangslage. Die meisten Menschen sind froh, wenn sie nach Hause entlassen werden. Bei dir scheint es umgekehrt zu sein.“

Auf ihre Vorhaltungen ging er erst gar nicht ein. „Wirst du mir das Gelenk einsetzen?“

„Nein, das überlasse ich lieber den Kollegen. Diese Operation fällt in Doktor Falks Domäne. Wenn ich beim ersten Mal gewusst hätte, dass du es bist, der auf der Tabula liegt, hätte ich dich auch nicht operiert.“

„Aber warum nicht? Du bist doch eine hervorragende Chirurgin.“

„Nach Möglichkeit machen wir keine Eingriffe an Menschen, die uns …“ Sie biss sich auf die Lippen. Näherstehen, hätte sie fast gesagt. In Hannos Fall stimmte das ja nicht mehr. „… näher bekannt sind.“

„Ich weiß“, sagte er. „Unsere Ehe war kurz, und sie ist schon ein Weilchen her. Trotzdem waren wir uns einmal einander sehr verbunden. Ich jedenfalls werde diese Zeit niemals vergessen. Oft wünsche ich mir, dass es heute wieder so wäre, aber ich bin ja Realist und weiß, dass du völlig anders darüber denkst.“

„Du redest wirklich dummes Zeug!“, sagte sie gewollt grob und verließ ihn.

Schwester Gabi, die vor wenigen Augenblicken hereingekommen war, hatte Dr. Scholz’ Worte gehört und fand es nicht richtig, wie die Ärztin mit dem sympathischen Patienten umging.

„Machen Sie sich nichts draus, Herr Heinsberg. Sie kann manchmal ziemlich arrogant sein.“

„Zum Glück sind Sie das überhaupt nicht.“ Hanno seufzte auf und griff nach Gabis Hand. „Sie haben noch echtes Mitgefühl für die Kranken, das habe ich sofort gespürt.“

Gabi ließ sich gern von seinen Worten umschmeicheln. Sie half ihm, sich aufzurichten und bat ihn, auf einem der Stühle Platz zu nehmen, während sie sein Bett richtete. Hanno Heinsberg war zwar nicht unbedingt ihr Typ, aber er konnte so unglücklich dreinschauen, dass ihre ohnehin stark ausgeprägte Hilfsbereitschaft noch wuchs.

„Wenn Sie heute noch ein wenig Zeit haben, setzen Sie sich zu mir“, bat er mit einem traurigen Lächeln. „Wissen Sie, ich habe keinen Menschen, der sich um mich kümmert. Darum bin ich für jeden Trost dankbar. Sie sind eine Seele von Mensch, Schwester Gabi.“

„Kommen Sie!“ Sie führte ihn zurück zum Bett. „Sie müssen nachher wieder zum Röntgen. Pfleger Martin wird Sie abholen.“

Hanno griff nach Gabis Hand und drückte sie fast zärtlich.

„Danke“, sagte er. „Ihr seid alle so wunderbar. Und Sie ganz besonders.“

Gabi freute sich über diese Bemerkung. Die meisten Patienten hier waren zufrieden mit den Ärzten und den angebotenen Therapien. Doch es gab auch Kranke, bei deren Entlassung das gesamte Pflegepersonal erleichtert aufatmete.

Hanno Heinsberg war ein ganz besonders dankbarer Mensch. Das gefiel Gabi. Sie strich ihm kurz über die Wange und versprach, später wieder nach ihm zu sehen, was er mit einem freudigen Lächeln quittierte.

***

Chefarzt Dr. Holl zog die Brauen hoch, als er von der erneuten stationären Aufnahme des Patienten Hanno Heinsberg hörte.

„Es gibt Menschen, die sind vom Pech verfolgt“, sagte Dr. Michael Wolfram schulterzuckend. „Herr Heinsberg scheint zu dieser Gruppe zu gehören.“

„Vielleicht ist er sogar ihr Anführer“, meinte Daniel Falk trocken. „Wir haben die Wunde versorgt, Knochensplitter entfernt und warten nun auf das Ersatzgelenk. Schau dir das mal an, Stefan!“

Daniel Falk wies auf die am Leuchtkasten festgeklemmten Aufnahmen.

„Wahnsinn!“, entfuhr es Stefan. „Wie hat er das bloß angestellt?“

„Bei fünfzig Stundenkilometern mit dem Rennrad gestürzt und genau auf den Unterarm geprallt. Die rechte Körperhälfte ist mit Prellungen und Hämatomen übersät. Was den Ellbogen betrifft, so sind die Seitenbänder ausreichend stabil. Bei einem Ersatz des Gelenks zwischen Oberarm und Elle werden wir ein gutes Ergebnis erzielen. Es handelt sich um eine teilgekoppelte Prothese. Funktioniert wie eine Türangel.“ Michael Wolfram grinste breit.

„Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen“, sagte Dr. Falk. „Oder brauchst du noch Details?“

„Danke, das genügt mir“, winkte Dr. Holl ab. „Ihr seid die Spezialisten für die Gelenkchirurgie. Da mische ich mich nicht ein.“

Wenig später ließ Dr. Falk nach Lilian Scholz suchen, um mit ihr den Fall zu besprechen.

„Haben Sie schon Gelenkprothesen gemacht?“

Lilian schluckte. Sie ahnte, was jetzt auf sie zukam.

„Zwei Hüftprothesen, das war diesbezüglich alles …“

„Wir müssen das Ellbogengelenk von Herrn Heinsberg zum Teil ersetzen. Erinnern Sie sich an ihn? Sie haben ihn damals verarztet. Ich teile Sie für diese OP ein. So können Sie gleich auf diesem Gebiet Ihre Erfahrungen machen.“

Lilian überlegte fieberhaft, ob sie Dr. Falk darlegen sollte, wie sie zu Hanno stand.

„Wer assistiert noch?“

„Wir werden eine richtige Mannschaft im OP sein. Erster Assistent ist der Kollege Wolfram, zweiter ist Kollege Jordan. Sie stehen in der zweiten Reihe, und ob ich Sie wirklich brauche, weiß ich noch nicht. Denken Sie daran, Dabeisein ist alles, wie bei den Olympischen Spielen.“

„Gut.“ Lilian schwieg. Eigentlich sah sie keinen Grund für die Information, dass sie mit dem Patienten einmal kurz verheiratet gewesen war. Diese Beziehung war längst Vergangenheit und würde es auch bleiben. Außerdem brauchte Hanno nichts von ihrer geplanten Anwesenheit im OP zu erfahren.

Am Nachmittag schaute sie bei ihm vorbei.

„Da bist du ja endlich! Ich habe schon auf dich gewartet.“

„Wieso wartest du auf mich?“ Lilian schüttelte den Kopf. Ärger stieg in ihr hoch.

„Sagtest du nicht, du würdest bald wiederkommen?“

„Hör mal gut zu, Hanno. Es gibt hier außer dir noch andere Patienten. Bis zu deiner Operation wirst du optimal behandelt. Ich bin nicht dazu da, dich zu unterhalten. Sieh fern oder hör Radio, wenn dir langweilig ist, aber hör auf, mich zu belästigen.“

„Warum bist du so ablehnend? Ich habe Angst vor dem Eingriff. Ist das nicht verständlich? Werde ich jemals wieder meinen Arm so bewegen können wie vorher? Erklär du es mir, bitte. Du bist doch die Spezialistin.“

Lilian zog sich einen Stuhl heran. „Es gibt keinen Grund zur Panik“, sagte sie. „Das Ellbogengelenk besteht in funktioneller Hinsicht aus drei Gelenken. Das Scharniergelenk und das Kugelgelenk sind für Strecken und Beugen verantwortlich. Dann gibt es noch das Zapfengelenk, mit dem wir den Unterarm drehen können. Bei dir wird man das Scharniergelenk ersetzen. Der Chefchirurg wird dir den Eingriff noch genau beschreiben, wenn es so weit ist.“

Lilian erhob sich wieder. „Und jetzt nimm bitte noch zur Kenntnis, dass du und ich nichts mehr miteinander zu tun haben. Wie gesagt, deinen Arm werden die Kollegen operieren.“

Er sah aus wie ein Bub kurz vor einem Tränenausbruch. Nicht auch das noch, dachte Lilian. „Du sollst endlich in der Realität ankommen. Mehr will ich nicht.“

„Okay“, sagte Hanno. „Ich bin bereit dazu.“

Doch in Wahrheit prallten ihre Ermahnungen von ihm ab wie Tropfen von einer Regenhaut. Mit der linken Hand angelte er einen Schlüssel aus der Schublade des Beistellschranks.

„Du musst mir noch einen kleinen Gefallen tun. Bitte fahr in meine Wohnung und bring mir ein paar Sachen. Schlafanzug, Zahnbürste, Hausschuh und so weiter, na, du weißt schon, was man eben so braucht für einen Klinikaufenthalt.“

Lilian wollte dieses Ansinnen ablehnen, doch schließlich gab sie nach und ließ sich die Adresse geben.

„Es handelt sich um ein möbliertes Zimmer“, erklärte Hanno. „Ich bin noch nicht dazu gekommen, auf Wohnungssuche zu gehen. Und jetzt wird sich das noch weiter verschieben.“

„Wo warst du eigentlich die ganzen Jahre?“

Im nächsten Moment erkannte sie, dass ihre Frage falsch war, denn damit signalisierte sie ihm Interesse an seinem Leben.

Hanno begann langatmig von seiner Vergangenheit zu erzählen, Zunächst hatte er in Düsseldorf gelebt, dann in Berlin und schließlich in Hamburg, wo er noch eine Wohnung besaß, die er nun aber verkaufen wollte.

Als er ihr auch noch seine geschäftliche Tätigkeit erklären wollte, unterbrach sie ihn und winkte ab. „Tut mir leid, ich hab jetzt keine Zeit mehr.“

„Danke, Lilian!“, rief er ihr nach.

Wenig später kam ein älterer Mann in das Krankenzimmer. Er war ziemlich redselig und berichtete, dass ihm eine Leistenhernie-OP bevorstand. Hanno war das gar nicht recht, denn nun musste er die Aufmerksamkeit der Ärzte und Pfleger mit einem anderen Patienten teilen.

***

Seit zwei Tagen war Ben Erler wieder in München. Er vereinbarte einen Nachsorgetermin in der Berling-Klinik. Als er sich in der Ambulanz anmeldete und von Dr. Donat begutachtet werden sollte, bestand er darauf, mit Lilian zu sprechen.

„Tut mir leid“, sagte Schwester Karin. „Aber Frau Doktor Scholz befindet sich im OP.“

„Dann warte ich solange.“

„Sie können ja noch ein paar Besorgungen machen. Kommen Sie in einer Stunde wieder. Bis dahin wird sie sicher fertig sein.“

Damit war Ben einverstanden. Er kaufte sich eine Zeitung und ging einen Kaffee trinken. Danach kehrte er in die Berling-Klinik zurück.

Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, denn er musste noch eine weitere Dreiviertelstunde warten, bis er in den Untersuchungsraum zwei zu Dr. Scholz gerufen wurde.

„Grüß Gott, Herr Erler … Ben …“ Lilian reichte ihm die Hand. „Ich wusste nicht, dass du wieder im Land bist.“

„Ich bleibe auch nicht lange“, sagte er.

Seine Augen glitten über ihr Gesicht, das er so gern fotografiert hätte. Doch diesen Wunsch würde er niemals äußern. „Meinen Aufenthalt in München wollte ich nutzen, mich noch mal vorzustellen.“

„Gab’s Probleme? Schmerzen?“ Seine Anwesenheit erzeugte eine unglaubliche Beglückung bei Lilian, doch sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und sich so sachlich wie möglich zu geben.

„Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Hand müde ist, dann muss ich ihr eine Ruhepause gönnen. Aber das ist sicher nur Einbildung.“

„Keineswegs. Zeig mal!“

Lilian griff nach der Hand und tastete sie mit ihren Fingerspitzen ab, bewegte die Fingerglieder, bog sie leicht nach außen und strich über die Operationsnarben, die kaum noch zu sehen waren.

„Alles okay“, sagte sie lächelnd. „Aber ich schicke dich noch in die Röntgenabteilung. Anschließend besprechen wir noch den Befund. Du musst einfach noch ein wenig Geduld haben. Benutz weiterhin den Knetball, das hält die Sehnen und die Fingergelenke fit. Wo geht’s denn das nächste Mal hin?“

„Ich habe noch keinen Plan, aber ich möchte wieder mal nach Tibet. Dort war ich schon einige Male. Es ist ein faszinierendes Land.“

Lilian versuchte das Gespräch auszudehnen, doch als Ben auf die Uhr sah, gab sie ihre Bemühungen auf.

Wie gern hätte sie ihn wiedergesehen, ihn über seine Reisen sprechen hören! Er war so ein faszinierender Mann. Aber vielleicht war er ja schon fest gebunden und hatte gar kein Interesse an einem Kontakt zu ihr.

Als er aus der Röntgenabteilung mit einer CD zurückkam, blieb ihr noch eine kleine Frist, ihm die Frage zu stellen, die ihr seit dem Wiedersehen auf der Zunge lag. Sie schaute sich die Bilder im Computer an und fand nichts Beunruhigendes.

„Ich kann dir nur weiterhin alles Gute wünschen, Ben“, sagte sie.

Der Blick in seine kastanienbraunen Augen verwirrte sie zwar, aber sie hielt ihm stand. „Wollen wir noch mal zusammen essen gehen? Ich könnte aber auch etwas kochen.“