Die Braut des Flussgottes - Monika Seeberger - E-Book

Die Braut des Flussgottes E-Book

Monika Seeberger

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Beschreibung

Eine chinesische Legende, verpackt in einen spannenden Roman. An einem beschaulichen Ort am Yangtse wird jedes Jahr durch den Rat der Weisen eine Jungfrau auserwählt. Diese wird dem Flussgott geopfert, um diesen milde zu stimmen und dadurch das Volk vor Überschwemmungen zu bewahren. Als der schüchterne Dany erfährt, dass seine heimliche Liebe Lian das nächste Opfer werden soll, beginnt er um ihr Leben zu kämpfen. Dabei scheint sich nicht nur der Rat der Weisen gegen ihn zu stellen, sondern auch der neue Statthalter Simen Bao. Als bereits alles verloren scheint, sieht Dany nur noch eine letzte Möglichkeit, um Lian aus den Fängen des Todes zu befreien.

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

1

Zu der Zeit, als man im alten China noch an Magie glaubte und auf die Worte von Hexen und Zauberer hörte, in einem Land, wo die Männer die Haare genauso lang trugen wie die Frauen, wo die Eltern geehrt, die Mägde und Diener jedoch wie Dreck behandelt wurden, spielt die folgende Geschichte.

Es war einer dieser warmen Frühlingstage, dessen blauer Himmel einen sonnigen Tag versprach. Längst hatten sich die Bauern aus der Umgebung auf den Feldern eingefunden, um mit ihren Haken den trockenen Boden zu bestellen. Am Ufer des Yangtses versammelten sich hingegen die Kühe, um ihren Durst mit dem kühlen Flusswasser zu stillen. Eine Ruhe lag über dem Ort, einzig unterbrochen durch das fröhliche Gezwitscher der Vögel und dem Muhen der Kühe.

Diese Idylle wurde durch einen lauten Schrei jäh unterbrochen. Die Kühe hoben neugierig ihre Köpfe und blickten in die Richtung, aus welcher der Schrei gekommen war. Durch das hohe Gras kam nun eine junge Frau von ungefähr 18 Jahren gerannt. Ihre zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haare wippten bei jedem Schritt hin und her. Sie konnte ihr Lachen kaum zurückhalten.

Gleich hinter ihr, mit leicht hinkendem Gang, folgte ein junger Mann. Dieser war im selben Alter wie sie. Seine langen, schwarzen Haare hatte er ebenfalls zusammengebunden. Im Gegensatz zu der Frau sah er aber nicht sehr glücklich drein. Sein beiges Hemd und seine dunkelbraune Hose waren von oben bis unten nass. Er war es gewesen, welcher den Schrei von sich gegeben hatte. Dies nachdem die junge Frau einen Eimer Wasser über ihn ausgeleert hatte, als er soeben seinen nächtlichen Schlaf auf der Wiese fortsetzen wollte. Endlich schaffte er es die junge Frau einzuholen. Bestimmt packte er sie an ihrem Arm und hielt sie zurück. Gänzlich ausser Atem standen sie sich gegenüber, sie immer noch kichernd und er nicht weniger empört.

„Warum hast du das getan?", brachte er schliesslich keuchend hervor.

„Ich wollte nur sichergehen, dass du deine Arbeit pflichtbewusst erfüllst. Schliesslich wurdest du dazu angestellt, die Kühe zu hüten und auf sie aufzupassen."

„Erstens ist es nicht meine Aufgabe zu den Kühen zu schauen. Ich bin nur für Weiwu eingesprungen, den ich heute Morgen nicht wach gekriegt habe. Vermutlich schläft der immer noch seinen Rausch aus. Und zweitens: Seit wann kümmert es das Fräulein Lian Feng wie ich meine Arbeit erledige?"

„Ich gebe nur Acht auf einen guten Freund."

„Das nennst du Acht geben?", der Mann zeigte auf seine nasse Kleidung. Erneut entfuhr Lian ein Kichern, was in dem jungen Mann die Wut hochsteigen liess.

„Ich finde, dein aufgebrachtes Temperament verlangt nach einer Abkühlung." Fest packte er sie an beiden Armen und zog sie in Richtung des Yangtses.

Erschrocken stiess Lian einen Schrei aus, doch alles wehren half nichts. Sie wurde immer näher an den Fluss gezogen, an den verdutzten Kühen vorbei, die das Geschehene aufmerksam beobachteten. Bereits hatten die beiden das Ufer erreicht. Lian schrie nun voller Panik: „Dany Wang, lass mich los! Ich kann nicht schwimmen!"

Nun war es Dany, welcher lachte.

„Ja, ja, auf einmal hast du Angst. Aber jetzt gehst du baden." Bereits hatte er Schwung geholt, um sie ins Wasser zu stossen, als ihn ein heftiger Schlag auf den Kopf traf.

„Aua!" Dany liess Lian sogleich los und hielt seine Hände schützend über seinen Kopf, so als befürchtete er noch einen weiteren Schlag. Als er sich umdrehte, blickte er in die mürrischen Augen eines alten Mannes, der immer noch seinen Gehstock erhoben hielt.

„Was fällt dir ein?", begann dieser ihn zu beschimpfen. „Willst du den Flussgott wütend machen?"

Die beiden jungen Leute schauten sich überrascht an. Der alte Mann kam nun aber erst richtig in Fahrt: „Kein Wunder, dass sich der Flussgott mit der jährlichen Opfergabe nicht mehr zufriedengibt, wenn sich die heutige Jugend ihm gegenüber so respektlos verhält. Leute wie ihr sind daran schuld, dass unsere Felder regelmässig von Überschwemmungen heimgesucht werden. Ihr solltet euch schämen."

Dany und Lian hatten keine Ahnung wovon der alte Mann sprach.

„Lass die jungen Leute in Ruhe." Eine alte Dame, welche nun neben den Mann trat, sprach beschwichtigend auf ihn ein und packte ihn sanft an seinem Arm. Der alte Mann liess sich nach kurzem Zögern von der alten Dame wegziehen. Nicht aber, ohne ein letztes Mal drohend seinen Gehstock in der Luft herum zu schwingen, so dass Dany vorsorglich nochmals seinen Kopf einzog.

Schweigend warteten die beiden, bis sich das alte Ehepaar entfernt hatte. Dann blickte Dany, welcher immer noch in seiner triefend nassen Kleidung steckte, wieder zu Lian. Sein ganzer Ärger war inzwischen verflogen.

„Lian?"

Die angesprochene löste ebenfalls ihren Blick von dem alten Ehepaar und sah ihn an.

„Es tut mir leid.“

„Was?“

„Dass ich soeben so ausgerastet bin. Ich hätte dich beinahe in den Fluss gestossen.“ Beschämt blickte Dany zu Boden.

„Naja, mir tut es auch leid. Zumindest ein wenig. Ich hätte vielleicht nur den halben Eimer Wasser über dich ausleeren sollen“, ein leises Kichern entfuhr Lian.

Dany lächelte nun ebenfalls. Er hatte Lian zu lieb, um ihr noch weiterhin böse zu sein.

„Ich frage mich, wovon der alte Mann gesprochen hat?“, wunderte sich Lian.

„Ich hab auch keine Ahnung“, gab Dany ehrlich zu. In Gedanken versunken griff er in seine nassen Hosentaschen und ertastete dabei ein Armband. Er hatte es selber geknöpft und war erst vor einigen Tagen damit fertig geworden. Seitdem trug er es mit sich herum. Wie gerne hätte er das Freundschaftsband hervorgeholt und es Lian als Geschenk angeboten. Jedoch fehlten ihm in den letzten Tagen, wie auch jetzt der Mut dazu. Warum sollte sich auch jemand wie Lian gerade für ihn interessieren? Betrübt blickte er auf seinen linken Fuss, der etwas kürzer geraten und der Grund für seinen hinkenden Gang war.

„He Dany, schläfst du jetzt schon im Stehen?“ Lian sah ihn leicht genervt an. „Falls du nicht mit mir plaudern willst, kannst du es mir auch direkt sagen, statt mich einfach zu ignorieren.“

Er zog seine Hand aus der Hosentasche hervor, doch ungewollt blieb das Armband an seinem Ärmel hängen und fiel auf den Boden.

„Was ist das?“ Lian beugte sich hinunter zur Erde.

Als Dany realisierte, was neben ihm auf dem Boden lag, lief er rot an.

Inzwischen hob Lian das Armband neugierig auf und betrachtete es bewundernd. Es war mit roten und schwarzen Bändern geknöpft und wies ein welliges Muster auf.

„Gefällt es dir?“, brachte Dany endlich hervor.

„Es ist wunderschön. Für wen ist es?“ Lian sah Dany aufmerksam an. Sie wusste genauso wie er, dass es eine Liebesbekundung war, wenn der Mann einer Frau ein Freundschaftsband schenkte.

Dany war sich im Klaren, dass dies seine Gelegenheit war, ihr seine Liebe zu gestehen. Doch sogleich machte sich Angst in ihm breit. Was, wenn sie in ihm nur einen Kumpel sah und nichts von ihm wollte?

„Es gehört noch niemanden. Ich habe es aus Langeweile geknöpft“, log er schliesslich. Jedoch, als er Lian’s enttäuschtes Gesicht bemerkte, fügte er schnell hinzu: „Wenn es dir gefällt, darfst du es haben.“

„Wirklich?“ Sogleich hellte sich Lian‘s Gesicht wieder auf. Sie reichte Dany das Armband, schob den rechten Ärmel nach hinten und streckte ihm ihren Arm entgegen.

„Du willst es an deinem Arm tragen?“ Dany blieb vor lauter Glück beinahe der Atem stehen.

„Natürlich. Warum sollte ich nicht? Schliesslich sind wir doch Freunde. Oder?“

„Na klar.“ Dany nickte mit seinem Kopf, der immer noch rot leuchtete. Mit zittrigen Händen griff er nach dem Armband. Er war so nervös, dass es ihm erst im dritten Versuch gelang einen Knoten zu binden. Lian tat so, als würde sie es nicht bemerken. Stolz streckte sie schliesslich ihren Arm in die Höhe.

„Es ist wunderschön.“ Glücklich nahm sie ihren Arm wieder nach unten und schob den Ärmel nach vorne. „Nun muss ich aber gehen. Ich hab heute noch eine Menge Arbeit zu erledigen.“ Kurz winkte sie Dany zu. Unterwegs hob sie den leeren Eimer wieder auf und folgte dann einem Pfad, der in die Stadt führte.

Dany sah ihr nach, bis er sie hinter einer Anhöhe verschwinden sah. Dann begab er sich zu der Kuhherde. Die meisten Tiere hatten sich inzwischen ein schattiges Plätzchen unter einem Baum gesucht oder sich ins Gras gelegt. Nachdem Dany sein nasses Hemd ausgezogen und zum Trocknen über den Ast eines Baumes gehängt hatte, tat er es ihnen gleich. Seine Gedanken waren bei Lian. Und so schloss er seine Augen und schlief bald darauf mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen ein.

Das nächste Mal wurde er nicht mit Wasser, jedoch mit sanften Fusstritten geweckt. Als er seine Augen öffnete stand sein Freund Weiwu vor ihm.

Dany verzog sogleich sein Gesicht: „Jetzt weiss ich, weshalb du immer ausgewählt wirst um die Kühe zu hüten. Mit deinem Gestank vertreibst du jegliche Wildtiere im Handumdrehen.“

Weiwu, welcher noch nicht wirklich wach war, musste zuerst einmal laut Gähnen. Die Bemerkung von Dany ignorierend, setzte er sich neben ihn ins Gras.

„Danke Dany, dass du für mich eingesprungen bist. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich für einen Kater habe.“

„Wenn dein Kater genauso stark ist wie dein Gestank, dann muss er sehr schlimm sein.“

Tatsächlich roch Weiwu stark nach Alkohol und Schweiss, und sein beiges Hemd wies dunkle Flecken auf.

„Hör mal Hinkebein, ich bin dir ja sehr dankbar, dass du meine Aufgabe heute Morgen übernommen und die Kühe auf die Weide geführt hast. Aber das gibt dir noch lange keinen Freipass mich zu beleidigen.“

„Glaub mir Weiwu, ich beleidige dich nicht, ich sage nur die Wahrheit. Bevor du heute Abend mit den Kühen zurückkehrst, solltest du dich unbedingt im Fluss waschen, und dein Hemd gleich dazu.“

„Ist ja schon gut.“ Weiwu hob abwehrend seine Hand. „Ich kann einfach nicht verstehen, wieso wir diese Bauernarbeit verrichten müssen?“

„Vielleicht deshalb, weil der Besitzer dieser Kühe der Bruder unserer Chefin ist?“, gab Dany zu bedenken.

„Apropos Chefin. Wie ich gehört habe, hat Frau Kong heute wieder ausgesprochen schlechte Laune. Du gehst besser schnell zurück, bevor sie bemerkt, dass du nicht da bist. Du weisst ja, wie gerne sie dich hat.“

„Oh, verdammt!“ Dany stand erschrocken auf, griff nach seinem inzwischen trockenen Hemd und zog es sich über. Wenn er etwas nicht gebrauchen konnte, dann war es Ärger mit Frau Kong. „Jetzt schuldest du mir was!“, rief er Weiwu beim Weggehen zu.

„Freundschaftsdienste verlangen keine Rückzahlung“, antwortete dieser gähnend.

Die Worte von Weiwu hörte Dany bereits nicht mehr. So schnell er konnte, machte er sich auf den Weg zurück in die Stadt.

2

Kaum war Dany beim Anwesen der Familie Kong angelangt, schnappte er sich einen Besen, um als erstes die Wege und Plätze zu reinigen. Er wusste, dass Herr Kong es liebte bereits am Vormittag einen Spaziergang zu machen, um dabei sein Grundstück zu inspizieren. Und er wollte sichergehen, dass sein Chef alles zu seiner vollen Zufriedenheit vorfinden würde.

Seit einigen Jahren arbeitete Dany bei der Familie Kong, welche zu einer der reichsten in der Stadt zählte. Herr Kong verdiente sich das Geld als Beamter und war in der Stadt ein angesehener Mann. Dany war für die Garten- und Reparaturarbeiten zuständig. In dem aus einem grossen Garten und mehreren Gebäuden bestehende Anwesen, darunter einer Unterkunft für die Angestellten, gab es für ihn immer etwas zu tun. Die zwanzig Angestellten erhielten als Lohn Kost und Logis und jeden Monat ein bisschen Geld, das aber kaum für neue Schuhe oder Kleidung ausreichte.

Trotz seines Fleisses wurde Dany nur mit den niedrigsten Aufgaben betraut. Dies lag vor allem daran, dass Frau Kong, seine Chefin, eine nicht zu übersehende Abneigung, wenn nicht sogar Hass, gegen ihn hegte. Wäre es an ihr gelegen, hätte Dany niemals bei ihnen zu arbeiten begonnen. Bis anhin sicherte ihm die Sympathie, welcher ihm Herr Kong entgegenbrachte, seine Arbeit. Dieser liebte nämlich seinen Garten über alles und war deshalb sehr erfreut über seinen begnadeten Gärtner.

Kaum, dass Dany mit dem Fegen des Platzes begonnen hatte, kam Herr Kong durch den Hof spaziert. Obwohl sein Chef nur ein wenig grösser war als Dany, hatte er doch etwas Erhabenes und Würdevolles an sich. Dany legte seinen Besen zur Seite und begrüsste ihn mit einer Verbeugung. Herr Kong stoppte direkt vor ihm, nickte zur Begrüssung und sah sich dann um. „Die Fassade hat bereits lange keinen neuen Anstrich erhalten", bemerkte er schliesslich, während sein Blick auf einem Vorbau des Wohnhauses ruhte. Dessen rote Fassade war tatsächlich von der Sonne bereits stark verblasst. Dany kannte seinen Chef gut genug um zu wissen, dass dieser eine solche Aussage nicht ohne Hintergedanken machte und es sozusagen bereits als klarer Befehl gedacht war. Darum antwortete er sogleich: „Ich werde mich noch heute darum kümmern."

Herr Kong drehte sich zufrieden von ihm ab und ging weiter, ohne noch ein Wort zu verlieren. Schnell griff Dany nach seinem Besen und begab sich damit zu einem Schuppen, der auch als Werkstatt diente und wo alle möglichen Materialien gelagert wurden. Leider hatten sie keine rote Farbe mehr auf Vorrat. Dies bedeutete, dass er sich bei Frau Kong das benötigte Geld für den Kauf von neuer Farbe zu besorgen hatte. Zum Leidwesen der Angestellten hatte es sich Frau Kong zur Aufgabe gemacht die Haushaltskasse zu führen, wobei sie extrem geizig war. Einzig, wenn es darum ging für sich und ihre Tochter neue Kleider oder teuren Schmuck zu kaufen, zeigte sie sich freigiebig.

Als er Frau Kong mitteilte, dass er Farbe für den Anstich der Fassade benötigte, sah sie ihn mit ihren stechenden Augen misstrauisch an. Das Geld rückte sie schliesslich erst heraus, nachdem sie sich von ihrem Mann bestätigen liess, dass dieser tatsächlich den Auftrag dazu gegeben hatte.

Als Dany etwas später, ausgerüstet mit der benötigten Farbe, vom Markt zurückkehrte, vernahm er Stimmen aus dem Wohnhaus. Anscheinend hatte die Familie Kong während seiner Abwesenheit Besuch erhalten.

Er kümmerte sich jedoch nicht weiter darum. Auf der Frontseite der Fassade legte er Farbe, Pinsel und Leiter bereit. Sobald er die Fläche mit dem Besen und einem feuchten Lappen gereinigt hatte, begann er mit dem Anstrich. Jetzt, wo er so nahe am Gebäude stand, konnte er teilweise verstehen, was drinnen gesprochen wurde.

„Sagt mir, was ich sonst noch tun kann", drang die Stimme von Herrn Kong an sein Ohr. Zu seiner Überraschung klang dieser verängstigt, wenn nicht sogar verzweifelt. Neugierig spitzte Dany deshalb seine Ohren, um alles genau zu verstehen.

„Wir haben seinem Befehl zu folgen. Sie wissen genau, was sonst geschieht."

Die Stimme, welche dies gesagt hatte, klang krächzend, so dass sich Dany nicht sicher war, ob sie einer Frau oder doch einem Mann gehörte.

Eine Weile blieb es ruhig und Dany dachte bereits, dass das Gespräch beendet worden sei, als doch wieder leises Gemurmel an sein Ohr drang. Anscheinend hatten sie ihre Lautstärke stark gedrosselt, damit man sie nicht belauschen konnte. So konzentrierte sich Dany wieder auf das Anstreichen der Fassade. Er kam gut voran.

Bereits hatte er die eine Hälfte der vorderen Fassade fertig gestrichen, als er wieder Herrn Kongs Stimme vernahm. Kurz darauf verliess dieser, gefolgt von einer Frau und einem Mann das Haus. Die beiden Gäste trugen eine ungewohnte Aufmachung, so dass Dany erstaunt mit seiner Arbeit aufhörte, um die beiden zu betrachten. Eine alte Frau mit hagerer Statur und grauen Haaren ging voraus. Sie trug einen langen, dunklen Umhang mit einem silbernen Muster darauf. Ihr folgte ein grosser, kräftiger Mann mit kantigen Gesichtszügen. Er hatte einen langen, komplett schwarzen Umhang an und in seiner Hand hielt er eine Schriftrolle. Von den beiden ging nicht nur wegen ihrer düsteren Kleidung eine Kälte aus. Auch ihre Augen wirkten bösartig.

Dany fröstelte es beim Anblick der beiden, trotz den warmen Temperaturen.

„Sie tun sich gut daran, die Frist einzuhalten", ertönte wieder die krächzende Stimme, welche zu Dany’s Überraschung von der alten Frau stammte.

Herr Kong nickte sogleich mit seinem Kopf: „Keine Sorge, es steht zu viel auf dem Spiel, als dass ich den Termin nicht einhalten würde."

Die beiden Gäste drehten sich nun zum Eingangstor. Dabei kreuzten sich die Blicke von der alten Frau und Dany. Dieser sah sich beim Lauschen ertappt. Schnell wendete er sich wieder seiner Arbeit zu, nicht ohne durch die Augenwinkel wahrzunehmen, wie die Frau ihn misstrauisch beäugte.

Nachdem die beiden Gäste das Grundstück verlassen hatten, blieb Herr Kong eine ganze Weile in Gedanken versunken vor dem Wohnhaus stehen. Er schien Dany dabei überhaupt nicht zu bemerken.

„Paps, ist alles in Ordnung?" Dany sah hoch und erblickte Yule, die Tochter von Herrn Kong, welche sich diesem nun besorgt näherte. Obwohl Yule gleich alt war wie Lian, war ihre Art viel kindlicher. Ihr schien die Rolle der kleinen Tochter zu gefallen und nur wenn die Familie Kong hohe Gäste zu Besuch hatte, bemühte sich Yule sich wie eine richtige Dame zu benehmen. Dany beobachtete, wie sie zu ihrem Vater hintrat und ihn liebevoll umarmte. Sie trug ein rosarotes, seidenes Kleid und ihre schwarzen Haare hatte sie zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt. Herr Kong wendete seinen Kopf von ihr weg, direkt in Danys Richtung, so dass dieser die Tränen in dessen Augen sehen konnte. Erst jetzt nahm auch sein Chef ihn wahr. Schnell wischte er sich über seine Augen.

„Komm Yule, lass uns hineingehen." Zärtlich legte er seine Hand auf ihre Schulter und führte sie ins Wohnhaus.

Bis nach dem Mittag war Dany mit dem Streichen der Fassade beschäftigt. Danach wandte er sich wieder dem Garten zu. Die Gartenarbeit war seine liebste Beschäftigung, weil er hier in Ruhe gelassen wurde. Und weil er dabei oft unbeobachtet war, gab ihm dies die Möglichkeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Und heute, wie auch all die anderen Tage, drehten sich diese nur um eine Person: Lian.

Dany und Lian kannten sich bereits seit ihrer Kindheit. Schon damals hatten sie ihre ganze Freizeit zusammen verbracht und auch all ihre Geheimnisse miteinander geteilt. Während Dany wegen seinem hinkenden Bein von den anderen Kindern ausgelacht wurde, war es bei Lian ihrer armen Eltern wegen. So taten sich die zwei zusammen. Stundenlang spielten sie im nahegelegenen Wald, wo sie mit der Zeit jeden Winkel in- und auswendig kannten. Oft versteckten sie sich in den Höhlen des Waldes, welche sich über weite Strecken unter dem Wald ausbreiteten.

Ihre Freundschaft blieb auch bestehen, als beide in der Stadt, bei unterschiedlichen Familien, eine Arbeitsstelle fanden. Doch bei Dany hatten sich die freundschaftlichen Gefühle seit einiger Zeit verändert. Es waren neue Gefühle dazugekommen. Tiefere und intensivere. Nur, dass er bis zum heutigen Tag nicht gewagt hatte, ihr diese zu offenbaren.

Dany war so in seine Gedanken versunken, dass er nicht bemerkte wie Yule an ihn herangetreten war.

„Hallo."

„Was?" Dany drehte sich um, immer noch mit seinen Gedanken bei Lian und erschrak, als er erkannte, wen er vor sich hatte.

„Oh, Entschuldigen Sie. Ich habe Sie nicht kommen hören." Schnell erhob sich Dany und verbeugte sich vor Yule.

„Du sollst mich doch nicht Siezen“, tadelte sie ihn sogleich.

„Aber du weisst doch, dass es deine Mutter so haben möchte.“

Yule blickte sich kurz um und hob ihre Arme: „Sie ist aber nicht hier. Also brauchst du mich nicht zu Siezen. Verrätst du mir, an was du gedacht hast? Ich stehe bereits seit einer Ewigkeit hier und beobachte dich, wie du Löcher in die Gegend starrst."

Dany sah verlegen zu Boden.

„Ah, ich verstehe. Und wer ist die Glückliche?"

„Wie?" Dany tat so, als hätte er die Frage nicht verstanden, doch seine sich rötenden Wangen verrieten ihn sogleich.

„Jetzt tu nicht so." Yule sah ihn ungeduldig an. „Du bist ein viel zu schlechter Lügner, als dass du mir etwas vormachen könntest."

Dany druckste sich weiter herum, aber Yule gab nicht auf: „Komm schon, ich verrate dir ja auch meine Geheimnisse."

Dies allerdings stimmte. Yule, die einzige Tochter von Herrn Kong war oft bei ihm, um mit ihm zu plaudern. Dies sehr zum Leidwesen von Frau Kong, welche vermutlich deswegen einen solchen Groll gegen ihn hegte. Doch als Einzelkind war es Yule oft langweilig in dem Haus und Dany war der einzige Angestellte, der in ihrem Alter war und der in ihren Augen einen ihr angemessenen Bildungsstand besass. Und im Gegensatz zu den anderen Angestellten, welche Yule für eingebildet und hochnäsig hielten, konnte Dany sie ebenfalls gut leiden.

„Du kennst sie nicht", gab er ihr schliesslich zur Antwort.

Doch damit war die Neugierde bei Yule erst richtig geweckt.

„Oh, so schön", freute sie sich für ihn. „Seid ihr einander bereits versprochen?"

Dany schüttelte nun seinen Kopf: „Ich bin keiner Frau versprochen."

„Ach, das gibt es?" Yule war erstaunt. „Ich dachte, jeder wird einer anderen zur Heirat versprochen."