Die Canterbury-Erzählungen (Canterbury Tales) - Geoffrey Chaucer - E-Book

Die Canterbury-Erzählungen (Canterbury Tales) E-Book

Geoffrey Chaucer

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Beschreibung

Die Canterbury-Erzählungen von Geoffrey Chaucer, ein Meisterwerk des mittelalterlichen englischen Schrifttums, präsentiert eine facettenreiche Sammlung von Erzählungen, die von einer bunt zusammengewürfelten Pilgergruppe auf ihrer Reise nach Canterbury erzählt werden. Chaucer nutzt einen lebendigen, oft humorvollen Stil, um die Geschichten zu verweben, die von moralischen Lehren über das menschliche Verhalten bis hin zu scharfsinnigen Beobachtungen über soziale Klassen reichen. Die Arbeit spiegelt die komplexe Gesellschaft des 14. Jahrhunderts wider und bietet einen einzigartigen Einblick in die zeitgenössischen Themen wie Religion, Moral und menschliche Schwächen. Chaucer selbst, geboren um 1343, gilt als einer der Begründer der englischen Literatur. Sein breit gefächertes Wissen, das von seinem Werdegang als Diplomat und Beamter in der britischen Verwaltung geprägt war, sowie seine tiefen Einblicke in die menschliche Natur ermöglichten ihm, vielschichtige und eindringliche Charaktere zu schaffen. Sein einzigartiger Zugang zum Volksmund der damaligen Zeit spiegelt sich sowohl in der Form als auch im Inhalt der Canterbury-Erzählungen wider, wodurch er eine Brücke zwischen der normannischen und der englischen Sprache schlug. Die Canterbury-Erzählungen sind nicht nur ein literarisches Meisterwerk, sondern auch ein unverzichtbares Dokument, das einen tiefen Einblick in die menschliche Natur und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Mittelalters bietet. Leser, die an der Entwicklung der englischen Literatur Interesse haben oder sich für die menschliche Psychologie und die sozialen Strukturen dieser Epoche begeistern, werden in diesen Erzählungen eine reiche Quelle der Erkenntnis und Unterhaltung finden. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine Autorenbiografie beleuchtet wichtige Stationen im Leben des Autors und vermittelt die persönlichen Einsichten hinter dem Text. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Geoffrey Chaucer

Die Canterbury-Erzählungen (Canterbury Tales)

Bereicherte Ausgabe. Berühmte mittelalterliche Geschichten von der höfischen Liebe, von Verrat und Habsucht
In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen
Bearbeitet und veröffentlicht von Good Press, 2023
EAN 8596547799221

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Synopsis
Historischer Kontext
Autorenbiografie
Die Canterbury-Erzählungen (Canterbury Tales)
Analyse
Reflexion
Unvergessliche Zitate
Notizen

Einführung

Inhaltsverzeichnis

Eine Gesellschaft erkennt man an den Geschichten, die ihre Reisenden einander erzählen. In diesem Sinn öffnen Die Canterbury-Erzählungen ein akustisches Panorama spätmittelalterlicher Stimmen, das komisch, ernst, fromm und derb zugleich klingt. Das Buch setzt auf Begegnungen unterwegs: Menschen verschiedener Stände teilen Weg, Wirtstisch und Worte. Aus der Bewegung der Reise entsteht eine Bewegung des Denkens, in der feste Sicherheiten wanken und neue Einsichten entstehen. Chaucer zeigt, wie Erzählungen nicht nur unterhalten, sondern Macht ausüben, Werte prüfen und Gemeinschaft stiften – oder sprengen. So wird die Pilgerfahrt zur Bühne eines vielstimmigen Experiments über Wahrheit, Moral und Vergnügen.

Verfasst im späten 14. Jahrhundert von Geoffrey Chaucer, einem Beamten, Diplomaten und Dichter, gilt dieses Werk als Grundstein der englischen Literatur. Es entstand in Mittelenglisch, jener lebendigen Sprache zwischen höfischer Tradition und städtischem Alltag, und blieb bei Chaucers Tod 1400 unvollendet. Dass Die Canterbury-Erzählungen dennoch als Klassiker gelten, verweist auf ihre formale Kühnheit, thematische Reichweite und erzählerische Energie. Sie verbinden breit angelegte Gesellschaftsbeobachtung mit poetischer Innovation und prägen damit nachhaltig das Selbstverständnis einer Literatur, die sich nicht nur an Höfe, sondern an ein wachsendes, vielfältiges Publikum richtet.

Im Mittelpunkt steht eine Gruppe von Pilgerinnen und Pilgern, die von einem Londoner Gasthaus aus zur Kathedrale von Canterbury aufbricht, dem Ziel des berühmten Schreins des heiligen Thomas Becket. Um die Reise kurzweiliger zu machen, schlägt der Wirt einen Erzählwettbewerb vor. Aus dieser einfachen Ausgangslage entwickelt sich ein reicher Reigen von Geschichten und Repliken, die sich gegenseitig kommentieren, bekräftigen oder widersprechen. Die Rahmenhandlung liefert den sozialen und rhetorischen Resonanzraum: Nicht Wahrheit von oben, sondern Wahrheit im Streit der Stimmen entsteht – eine literarische Form, die Vielfalt organisiert, ohne sie zu glätten.

Formal entfalten die Erzählungen eine erstaunliche Bandbreite. Viele Beiträge sind in reimenden Paarversen gestaltet, andere nutzen Strophenformen; einige Texte erscheinen in Prosa. Die Gattungen reichen von Ritterroman und Heiligenlegende über Fabel, Schwank und Moralparabel bis zur Predigtparodie. Charakteristisch sind die „Prologe“ der Figuren, in denen Erzählerinnen und Erzähler ihre Position vorbereiten und sich selbst inszenieren. Chaucer nutzt dramatische Monologe, Erzählerwechsel und geschickte Übergänge, um Stimmen zu charakterisieren und Erwartungen zu brechen. So entsteht ein dynamisches Spiel aus Form, Ton und Perspektive, das die Vielfalt der mittelalterlichen Kultur widerspiegelt.

Die Pilgergruppe bietet ein Querschnittspanorama der damaligen Ständeordnung: Geistliche, Handwerker, Kaufleute, Landadel, bäuerliche und städtische Milieus. Doch die Figuren sind nicht bloße Typen; sie gewinnen Kontur durch Redeweise, Haltung und soziale Reibungen. Chaucer kultiviert Ironie und lässt Sprecherinnen und Sprecher oft mehr über sich verraten, als sie beabsichtigen. Die Erzählungen sind damit nicht nur Spiegel einer Ordnung, sondern Labor für deren Risse: Prestige, Glaube, Ehre, Begehren und Geld geraten in Konkurrenz. In diesem dichten Wechselspiel entsteht eine subtile, oft komische, gelegentlich scharfe Kritik gesellschaftlicher Routinen und moralischer Doppelstandards.

Der literarische Einfluss des Werks ist weitreichend. Früh durch den Drucker William Caxton verbreitet, wurde Chaucer zu einer prägenden Autorität für die Entwicklung des Englischen als Literatursprache. Spätere Dichter wie John Dryden und Alexander Pope adaptierten Stoffe und Formen der Erzählungen, und die dramatische Kunst Shakespeares zeigt die Faszination für vielstimmige Rede und soziale Maskenspiele. Auch moderne Literatur, Film und Theater greifen das Prinzip der Rahmenhandlung und der gegeneinander sprechenden Stimmen auf. So lebt Chaucers Modell einer dialogischen, konfliktreichen Erzählkultur über Jahrhunderte hinweg fort und bleibt ästhetisch produktiv.

Thematisch kreisen die Canterbury-Erzählungen um die Macht von Geschichten, um Wahrheit und Täuschung, um Begehren und Tugend, um Glauben, Autorität und soziale Rollen. Humor und Ernstfall stehen nebeneinander: Komische Missverständnisse, handfeste Körperlichkeit und glänzende Rhetorik kontrastieren mit moralischer Selbstprüfung, religiöser Inbrunst und bitterer Erfahrung. Ein wiederkehrendes Interesse gilt dem Verhältnis von Geschlecht, Ehe und wirtschaftlicher Vernunft, ebenso der Frage, wie Worte handeln und Verantwortung begründen. Der Witz ist nie Selbstzweck: Er demaskiert Habgier, Bigotterie und Machtspiele – und öffnet zugleich Räume der Empathie für menschliche Widersprüche.

Historisch verankert ist das Werk in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche. Nach der Pestwelle des 14. Jahrhunderts veränderten sich Demografie, Arbeitsmärkte und soziale Mobilität. Die städtischen Zünfte gewannen an Gewicht, während alte Hierarchien unter Druck gerieten; religiöse Autorität wurde diskutiert, ohne dass Frömmigkeit an Bedeutung verlor. Pilgerfahrten waren verbreitete Praxis, zugleich Teil von Ökonomie und Spiritualität. Chaucer beobachtet dieses Spannungsfeld mit einem wachen, manchmal skeptischen Blick, der nicht belehrt, sondern Konstellationen sichtbar macht. Die Erzählgemeinschaft auf der Straße wird so zum mikroskopischen Bild einer Gesellschaft im Übergang.

Dass der Text in Mittelenglisch abgefasst ist, gehört zu seiner Eigenart und Wirkung. Die Sprache ist klangvoll, erfinderisch und reich an Registern; sie fordert heutige Leserinnen und Leser jedoch heraus. Zugleich existieren zuverlässige moderne englische Ausgaben und sorgfältige deutsche Übersetzungen, die Zugang schaffen, ohne den Witz und die rhythmische Energie zu nivellieren. Wer mag, kann in zweisprachigen Ausgaben die Musikalität des Originals miterleben. Die Vielfalt der Stimmen trägt durch jede Fassung: Es ist die Dramaturgie der Rede, die Kontraste der Tonlagen und die szenische Anlage, die das Buch unmittelbar verständlich machen.

Als Erzählzyklus lässt sich das Werk auf verschiedene Arten erschließen. Man kann der Rahmenreise folgen und beobachten, wie Geschichten aufeinander antworten, oder einzelne Erzählungen gezielt auswählen und eigenständig genießen. Die Prologe bieten hilfreiche Orientierung, weil sie Sprecherpositionen und Konfliktlinien markieren. Auch wer das Mittelalter nicht vertieft kennt, findet über vertraute Grundsituationen – Liebe, Arbeit, Konkurrenz, Glaubensfragen – einen natürlichen Zugang. Diese Offenheit macht den Zyklus zu einem idealen Buch für gemeinsames Lesen und Diskutieren: Die Texte laden zum Widerspruch ein und rechnen geradezu mit Gegenrede.

Als Klassiker überzeugt das Werk durch technische Innovation, psychologische Feinzeichnung und eine bewusste Vielstimmigkeit, die keine letzte Autorität behauptet. Es verbindet die Energie mündlicher Erzähltraditionen mit der Gestaltungsfreiheit schriftlicher Kunst. Der Rahmen schafft Struktur, ohne Vielfalt zu ersticken; die Figuren treten als Redner auf, nicht als Schachfiguren. So entstehen Szenen von seltener Lebendigkeit, in denen Stimme, Haltung und soziale Lage unauflöslich verschränkt sind. Diese ästhetische Entscheidung – Wahrheit als Aushandlung hörbar zu machen – prägt bis heute das Verständnis von Erzählkunst und öffentlichem Gespräch.

Die Canterbury-Erzählungen bleiben aktuell, weil sie zeigen, wie plural eine Gemeinschaft sein kann, ohne den Dialog aufzugeben. Sie lehren das Vergnügen am Streit der Positionen, die Skepsis gegenüber einfacher Moral und die Hoffnung, dass gemeinsames Erzählen Brücken baut. Wo Gegenwart von Identitätskonflikten, Informationsfluten und polarisierenden Debatten geprägt ist, bietet dieses Buch ein erprobtes Modell: aufmerksam zuhören, Gegenrede zulassen, Widerspruch produktiv machen. Seine zeitlose Qualität liegt in Humor, Genauigkeit der Beobachtung und Mut zur Ambivalenz. Darin erweist sich Chaucer als moderner Autor – und sein Werk als dauerhafte Herausforderung.

Synopsis

Inhaltsverzeichnis

Geoffrey Chaucers Die Canterbury-Erzählungen sind eine Rahmenerzählung aus dem späten 14. Jahrhundert. Ein bunter Zug von Pilgern bricht im Londoner Vorort Southwark vom Tabard Inn auf, um das Heiligtum des Thomas Becket in Canterbury zu besuchen. Der Gastwirt, Harry Bailly, schlägt zur Kurzweil einen Wettbewerb vor: Jeder solle unterwegs Geschichten erzählen, und am Ende winke eine Mahlzeit als Preis. Damit entsteht ein mobiles Erzählforum, in dem soziale Typen, Werte und Interessen aufeinanderprallen. Der geplante Zyklus bleibt unvollendet, doch gerade die offene Anlage macht den Weg, die Stimmenvielfalt und die Interaktionen der Reisenden zum eigentlichen Inhalt des Werks.

Der einleitende Generalprolog entfaltet Porträts der Teilnehmenden und zeichnet ein Panorama der Ständegesellschaft. Ein Ritter, sein Knappe, eine Priorin, Mönch und Bettelmönch, Händler, Gelehrter, Handwerker, die resolute Frau von Bath, Müller, Ablassverkäufer, Gerichtsdiener, Pfarrer, Pflüger und weitere Gestalten treten vor. Der Erzähler beschreibt Kleidung, Redeweise und Gewohnheiten mit ironischer Beobachtung, ohne sie auf einfache Stereotype zu reduzieren. Dabei werden Spannungen zwischen Ideal und Praxis, Frömmigkeit und Profit, Ehre und Selbstdarstellung sichtbar. Diese dichte Figurenexposition setzt den Ton: Die Pilgergemeinschaft fungiert als gesellschaftliches Mikrokosmos, in dem Erzählungen nicht nur unterhalten, sondern Standpunkte prüfen und Normen befragen.

Die Reihenfolge der Geschichten beginnt geordnet, wird aber bald durchbrochen. Der Ritter eröffnet mit einer höfischen Romanze um Liebe, Zufall und Ordnung, die Maßstäbe von Würde und Großmut setzt. Unmittelbar danach sprengt der Müller, angetrunken und eigenwillig, das Protokoll mit einer derben Schelmengeschichte aus bürgerlicher Welt. Der Reeve, sich verspottet fühlend, kontert mit einer Gegenerzählung. So entsteht ein dynamischer Dialog: Erzählungen beantworten einander, verschieben Tonlagen und unterlaufen Erwartungen. Der Wirt moderiert, stachelt an und ordnet neu. Diese frühen Wechsel markieren einen zentralen Zug des Ganzen: Autorität und Stimme sind verhandelbar, und soziale Hierarchien geraten erzählerisch ins Wanken.

Im weiteren Verlauf verbinden viele Beiträge Handlung und Debatte. Besonders prägend ist die ausgedehnte Selbstdarstellung der Frau von Bath, die in einem langen Prolog ihre Lebens- und Eheerfahrungen reflektiert und Fragen nach Macht, Begehren und Auslegung von Autoritäten aufwirft. Ihre anschließende Erzählung führt diese Themen erzählerisch fort, ohne die Grundspannung zwischen persönlicher Erfahrung und gelehrter Tradition aufzulösen. Dazwischen erscheinen rechtliche, seefahrerische oder städtische Milieus in Geschichten, die Gewitztheit, Risiko und soziale Klugheit erkunden. Die Pilger reagieren mit Spott, Bewunderung oder Widerspruch, sodass ein fortlaufendes Gespräch über Geschlechterrollen, Recht, Moral und Gemeinschaft entsteht.

Ein thematischer Schwerpunkt bildet der Komplex Ehe, Edelmut und sozialer Rang. Der Gelehrte (Clerk) präsentiert ein asketisch anmutendes Ideal von Geduld und Tugend, das zur Erprobung von Moral unter extremen Bedingungen tendiert. Der Kaufmann (Merchant) setzt dem ein desillusioniertes Bild ökonomischer und emotionaler Aushandlungen entgegen. Der Franklin lenkt die Debatte auf Vereinbarkeit von Freiheit, Treue und gegenseitiger Rücksicht. Durch diese Nachbarschaft wird sichtbar, wie Erzählformen – von Beispielerzählung bis höfischer Novelle – normative Ansprüche prüfen. Immer wieder greift der Wirt als Taktgeber ein, ermahnt zur Mäßigung oder provoziert, wodurch Übergänge, Pausen und Stimmungswechsel markiert werden.

Konflikte zwischen Geistlichkeit und Laien spiegeln sich in scharfen Wortgefechten. Der Bettelmönch (Friar) und der Gerichtsdiener (Summoner) liefern sich wechselseitige Satiren, die institutionelle Rivalitäten und Missstände der Kirche ausleuchten. Besonders eindringlich tritt der Ablassverkäufer (Pardoner) auf: Er legt seine Praxis der Predigt und Reliquienvermarktung offen und bietet eine Moralerzählung über die zerstörerische Kraft der Geldgier dar. Die beklemmende Mischung aus Selbstentlarvung, rhetorischer Brillanz und Zweckrationalität provoziert heftige Reaktionen der Gefährten und schärft Fragen nach Aufrichtigkeit, Wirkung und Ethik des Erzählens. So wird die Kunst des Vortrags selbst zum Gegenstand: Wer spricht, mit welcher Autorität, und zu welchem Nutzen?

Die Gattungsspanne bleibt groß und sorgt für wechselnde Blickwinkel. Die Tierfabel des Nonnenspriesters entfaltet kluges Spiel mit Traum, Schicksal und Redekunst in einer bäuerlichen Hofszene. Heiligenerzählungen wie jene der Priorin oder der zweiten Nonne richten den Fokus auf Wunder, Martyrien und Frömmigkeit, während Höfisches in ritterlichen Abenteuern des Knapen aufscheint, die galant beginnen und von einem älteren Pilger unterbrochen und zurück auf den Boden gemeinsamer Werte geführt werden. Diese Nachbarschaft kontrastiert Lachen und Andacht, Körperlichkeit und Spiritualität. Zwischenrufe, Lob und Tadel verbinden Rahmen und Episoden, sodass die Reise als öffentlicher Resonanzraum der Geschichten fortbesteht.

Später stößt kurzfristig ein Kanon mit seinem Gesellen zur Gruppe; der Geselle berichtet aufgewühlt von täuschenden Verfahren der Alchemie und dem Druck illusorischer Versprechen. Damit weitet sich der Blick auf technische Künste, Wissensökonomien und Betrug. Der Hausverwalter (Manciple) steuert eine kluge Parabel über Zunge, Klugheit und Beherrschung bei. Abschließend spricht der Pfarrer (Parson) in nüchterner Prosa über Buße und Gewissen, womit die Reise eine ernste, lehrhafte Wendung nimmt. Eine angekündigte Preisvergabe bleibt aus, und ein nachgestellter Widerruf des Autors setzt einen demütigen Schlusspunkt. Das Werk endet offen, die Pilgerfahrt bleibt als Bewegung im Raum bestehen.

Chaucers Werk verbindet Unterhaltung und kritische Beobachtung zu einer vielstimmigen Bestandsaufnahme seiner Zeit. Die Pilgergemeinschaft fungiert als Experimentierfeld, in dem Geltungsansprüche, moralische Normen und sprachliche Register gegeneinander austariert werden. Streit, Spott und Empathie erzeugen Reibung, aus der Einsichten über Macht, Geld, Geschlecht und Glaube hervorgehen, ohne einfache Lösungen zu behaupten. Die unvollendete Form eröffnet Raum für Lesende, den Wettbewerb fortzudenken und Beziehungen zwischen Erzählungen zu ziehen. Literarisch prägend ist die Vielfalt der Gattungen und die Verwendung des Englischen als tragfähige Sprache komplexer Dichtung. So bleibt die Pilgerreise Sinnbild einer offenen, vieldeutigen Öffentlichkeit.

Historischer Kontext

Inhaltsverzeichnis

Die Canterbury-Erzählungen entstehen im späten 14. Jahrhundert in England, vor allem in den 1380er und 1390er Jahren. Schauplatz des Rahmens ist der Weg von London nach Canterbury, politisch geprägt von einer Monarchie unter Richard II. und einer mächtigen, allgegenwärtigen Kirche. Das feudale Ständesystem ordnet Menschen in geistliche, ritterliche und arbeitende Gruppen ein, doch Mobilität und Spannungen nehmen zu. Geoffrey Chaucer, Höfling, Diplomat und Beamter, kennt die Sprache der Höfe ebenso wie die Lebenswelt von Händlern und Handwerkern. Seine Pilgergesellschaft bildet die gesellschaftliche Vielfalt ab und stellt damit die Institutionen der Zeit indirekt zur Diskussion.

Die Pilgerfahrt nach Canterbury verweist auf einen Kern mittelalterlicher Frömmigkeit: die Verehrung des heiligen Thomas Becket, 1170 ermordeter Erzbischof und Schutzheiliger von England. Sein Schrein in der Kathedrale war eines der bedeutendsten Wallfahrtsziele Europas. Pilger reisten zur Buße, zur Bitte um Heilung oder aus Dankbarkeit, oft in Gruppen und mit klaren Ritualen. Southwark, südlich der Londonder Brücke, war ein geschäftiger Ausgangspunkt mit Gasthäusern und Märkten. Diese religiöse Praxis schuf soziale Räume, in denen Stände sich mischten, Geschichten zirkulierten und religiöse Motive mit Alltagsökonomie verschmolzen.

Den tiefsten Einschnitt des Jahrhunderts brachte die Pestwelle von 1348/49, gefolgt von weiteren Ausbrüchen. Der drastische Bevölkerungsrückgang veränderte Arbeitsmärkte, Grundherren und Löhne. Mit dem Statute of Labourers von 1351 versuchte der Staat, Löhne zu deckeln und Mobilität zu begrenzen, doch die Knappheit an Arbeitskräften stärkte vielerorts die Position von Lohnempfängern. Diese neuen Kräfteverhältnisse schwingen in Chaucers vielfältigem Figurenensemble mit: Neben Adel und Klerus treten Handwerker, Händler und bäuerliche Akteure auf, deren Selbstbewusstsein durch ökonomische Verschiebungen gewachsen ist und soziale Grenzziehungen sichtbarer macht.

Parallel prägte der Hundertjährige Krieg gegen Frankreich das politische und kulturelle Leben. Er verlangte Steuern, mobilisierte Rüstungen und definierte Ritterlichkeit neu. Der Ritter unter Chaucers Pilgern steht exemplarisch für militärische Erfahrungen, die bis nach Spanien, Flandern und ins östliche Europa reichten. Kriegsdienst, Beutezüge und Gefangenenrückkauf bildeten Einkommensquellen der Kriegerelite. Zugleich wuchsen Kriegsverdrossenheit und fiskalische Belastungen im Land. So spiegeln Erzählton und Figurenzeichnung den Zwiespalt zwischen ritterlichen Idealen, wirtschaftlicher Realität und dem wachsenden Abstand zwischen politischer Führung und Untertanen.

Die Innenpolitik war von Fraktionskämpfen, Parlamentskonflikten und Hofintrigen gekennzeichnet. Unter Richard II. verschoben sich Machtzentren zwischen König, Magnaten und Parlament, bis zur Absetzung Richards 1399. Chaucer, mit dem Hof verbunden und über Jahre im königlichen Dienst, erlebte die Abhängigkeit von Gunst und Patronage aus nächster Nähe; sein Patron John of Gaunt war eine der zentralen Figuren der Zeit. Dieses Umfeld aus nobilitärem Ehrbegriff, politischer Unsicherheit und juristischer Neuerung bildet den Resonanzraum, in dem die Erzählgemeinschaft Autorität, Ansehen und soziale Rollen performativ verhandelt.

Im Jahr 1381 erschütterte der Große Bauernaufstand England. Auslöser waren wiederholte Kopfsteuern, hohe Abgaben und die starre Bindung an feudale Pflichten. Die Bewegung erfasste Kent, Essex und London, artikulierte soziale und teils antiklerikale Forderungen und wurde gewaltsam niedergeschlagen. Die Furcht vor Umsturz und die neu geweckte Stimme der Unteren prägten weiterhin die politische Kultur. Chaucers Text greift die Spannungen zwischen Landbevölkerung, Herrschaftsträgern und städtischen Gruppen auf, nicht als direkter Bericht, sondern in komischen, ironischen und gelegentlich scharfzüngigen Konfrontationen zwischen Figuren unterschiedlicher Stände.

Die Kirche war geistiger Ordnungsrahmen und zugleich umstrittene Macht. Das Abendländische Schisma (ab 1378) mit konkurrierenden Päpsten in Rom und Avignon schwächte die Autorität, förderte Reformdiskurse und warf Fragen nach Legitimität auf. In England formierten sich lollardische Strömungen im Umfeld John Wyclifs, die Bibeln in der Volkssprache befürworteten und kirchliche Reichtümer kritisierten. Gleichzeitig blühte die Heiligenverehrung weiter. Chaucers satirische Zeichnung von Ablasshändlern und Gerichtsbeamten zeigt kirchliche Missstände, ohne das Pilgermotiv als fromme Praxis zu verwerfen. Diese Ambivalenz entspricht der komplexen religiösen Landschaft der Zeit.

Sprachlich vollzieht sich ein entscheidender Wandel. Seit der Normannischen Eroberung dominierten Französisch und Latein in Verwaltung und Gelehrsamkeit; doch das Statute of Pleading von 1362 förderte Englisch in den Gerichten. In London verdichtete sich eine Varietät des Mittelenglischen, die überregional verständlich wurde. Chaucer nutzt diese Sprache in kunstvollen Reimpaarversen und in Prosa, mischt gelehrte Referenzen mit Alltagssprache und verleiht dem Englischen literarisches Prestige. Sein Werk steht exemplarisch für den Aufstieg des Englischen als Medium anspruchsvoller Dichtung und spiegelt die mehrsprachige Realität der Metropole.

Literarisch knüpfen die Erzählungen an kontinentale Traditionen an. Französische Fabliaux, Heiligenlegenden und Exempelerzählungen liefern Muster für komische und moralische Formen. Italienische Autoren wie Boccaccio, Petrarca und Dante prägten Erzähltechniken, Themen und Quellen; Chaucers Bearbeitung der Griselda-Geschichte und sein ritterliches Material zeigen diese Verflechtungen. Gleichzeitig entsteht kein bloßes Kopieren: Die Übernahmen werden in die englische Gegenwart versetzt, sozial aufgeladen und mit der performativen Rahmensituation der Pilgerfahrt verschmolzen. So wird europäische Literaturtradition in ein Londoner Idiom und in englische Erfahrungswelt übersetzt.

Ökonomisch dominiert die Wollwirtschaft, deren Export dem König wichtige Zolleinnahmen bringt. London ist Knotenpunkt von Handel, Kredit und Produktion; Zünfte regeln Arbeit, Ausbildung und Qualität. Chaucer diente als Zollbeamter im Hafen und kannte Handelsroutinen, Rechnungsführung und die soziale Welt der Kaufleute. Entsprechend treten ein Kaufmann, städtische Amtsträger und Handwerker im Pilgerzug auf. Southwark, vor den Toren der City und außerhalb mancher städtischer Reglementierung, beherbergte Herbergen, Läger und Vergnügungsstätten. Diese Randlage, zugleich nah und fern zur offiziellen Ordnung, verleiht dem Aufbruchsort literarische und gesellschaftliche Spannkraft.

Bücher zirkulieren in handschriftlicher Kultur. Professionelle Schreiber fertigen Abschriften, oft sorgfältig illuminiert für wohlhabende Leser. Zugleich werden Texte in Hallen, Gildenhäusern und Wirtshäusern laut gelesen, wodurch die Mündlichkeit literarische Formen prägt. Ende des 15. Jahrhunderts verändert der Buchdruck die Verbreitung: William Caxton richtet 1476 in Westminster die erste englische Druckerei ein und publiziert in den späten 1470er Jahren auch Chaucer. Damit gewinnen die Erzählungen einen stabileren Textumfang und eine breitere Leserschaft. Chaucers Werk überbrückt so die Schwelle zwischen Manuskript- und Druckzeitalter.

Rechtliche und moralische Normen strukturieren das Alltagsleben. Kleiderordnungen des 14. Jahrhunderts wollten Standesunterschiede im Äußeren fixieren, Zünfte regulierten Verhalten und Märkte. Ehe war Sakrament und Rechtsvertrag, Zuständigkeiten lagen bei kirchlichen Gerichten. Zeitgenössische Debatten über weibliche Autorität, Sexualmoral und Haushaltsführung speisten sich aus kirchlichen Autoritäten und scholastischen Traditionen. In den Erzählungen wird diese Diskussionslage erkennbar, wenn Figuren gelehrte Autoritäten zitieren, widersprechen oder ironisieren. Der Text macht so die Kluft sichtbar zwischen normativer Ordnung und gelebter Praxis, ohne sie vollständig aufzuheben.

Die Topographie der Reise folgt etablierten Wegen zwischen London und Canterbury, vielfach entlang der alten römischen Straße (Watling Street) über Orte wie Rochester. Gasthäuser und Hospize boten Schutz, Nahrung und Austausch. Pilgern im Frühjahr war verbreitet: Bessere Wege, mildes Wetter und landwirtschaftliche Zyklen erleichterten das Reisen. Chaucers berühmter Prolog beginnt mit dem Erwachen der Natur – ein konventioneller Einstieg, der religiöse Sehnsucht, körperliche Bewegung und soziale Begegnung verknüpft. So verschränkt der Text Verkehrsrealität, Naturbeobachtung und Frömmigkeit in einem kulturell vertrauten Rahmen.

Im Hintergrund steht das überlieferte Modell der drei Stände: jene, die beten, kämpfen und arbeiten. Die Generalprologe zeichnen jedoch ein breiteres Spektrum – von Prälaten und Bettelorden über Handwerkerzünfte bis zu fahrenden Akteuren der kirchlichen Jurisdiktion. Damit bewegt sich der Text in der Tradition der „Estates Satire“, die Tugenden und Laster sozialer Typen prüft. Zugleich sprengt die Vielfalt der Stimmen das starre Schema, indem aufstrebende städtische Schichten und marginale Figuren Redeanteile erhalten. Diese Pluralität entspricht den sozialen Verschiebungen im England nach Pest, Krieg und fiskalischem Druck.

Die Gattungsmischung ist kennzeichnend. Neben ritterlicher Erzählung treten derbe Fabliaux, moralische Exempla, Heiligenvita, Tierfabel und Predigt. Der Wettstreit um die „beste“ Geschichte verhandelt Kriterien von Nutzen, Vergnügen und Wahrhaftigkeit – Kategorien, die in scholastischer Rhetorik und Predigtlehre diskutiert wurden. Der Wirt als Spielleiter repräsentiert urbane Geselligkeit und marktwirtschaftliche Ordnung, während die Pilgerrollen Autorität beanspruchen, aushandeln oder verspielen. So entsteht ein literarisches Labor, in dem soziale Normen getestet, Diskurse durchgespielt und Grenzen des Erlaubten ausgelotet werden.

Nach Chaucers Tod im Jahr 1400 bleiben die Canterbury-Erzählungen unvollendet. Handschriften des frühen 15. Jahrhunderts überliefern unterschiedliche Anordnungen der Geschichten, was den offenen, modularen Charakter bestätigt. Bedeutende Handschriften wie das Hengwrt- und das reich illustrierte Ellesmere-Manuskript dokumentieren frühe Lektüren, in denen die Pilgerfiguren typologisch zugespitzt wurden. In der Reformationszeit verlor die Becket-Wallfahrt durch die Zerstörung des Schreins 1538 ihre Grundlage; dennoch bewahrte das Werk die Erinnerung an vormoderne Wallfahrtskultur. Seine weite Überlieferung zeigt, wie anpassungsfähig die Sammlung gegenüber wechselnden Konfessionen und Geschmäckern war.

Im Ergebnis kommentieren die Canterbury-Erzählungen ihre Zeit mit seltener Breite. Sie bündeln spätmittelalterliche Spannungen zwischen Frömmigkeit und Missbrauch, Ritterideal und Kriegsökonomie, Standesordnung und sozialer Durchlässigkeit, Gelehrsamkeit und Volksmund. Der plurale Stimmenchor erlaubt Kritik, ohne eine eindeutige Lehre zu verordnen. Indem Chaucer die englische Volkssprache zur Bühne macht, erhebt er lokale Rede zum Medium europäischer Literatur. So dienen Reise, Wettbewerb und Erzählgemeinschaft als Linse, durch die die gesellschaftlichen Kräfte des 14. Jahrhunderts erkennbar, verhandelbar und für nachfolgende Zeiten erinnerbar werden.

Autorenbiografie

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Geoffrey Chaucer, um 1343 in London geboren und am 25. Oktober 1400 gestorben, gilt als prägende Gestalt der englischen Literatur. Als Hofbeamter, Diplomat und Dichter verband er höfische Erfahrung mit literarischer Innovation. Sein unvollendetes Hauptwerk, The Canterbury Tales, schuf ein lebendiges Panorama spätmittelalterlicher Gesellschaft in der Volkssprache. Daneben verfasste er Troilus and Criseyde, The Book of the Duchess, The House of Fame, Parliament of Fowls, The Legend of Good Women sowie Prosaschriften wie Boece und A Treatise on the Astrolabe. Er trug maßgeblich dazu bei, Englisch als vollwertige Literatursprache zu etablieren und prägte Formen wie Reimpaar und Rhyme Royal.

Chaucer wirkte in einer von politischen Umbrüchen geprägten Epoche zwischen dem Hundertjährigen Krieg und den Regentschaften Eduards III. und Richards II. Seine Karriere am Hof bot ihm Zugang zu internationalen Netzwerken, Sprachen, Büchern und Ideen. Er verband französische und italienische Vorbilder mit englischem Alltagsidiom, wodurch er neue poetische Register erschloss. Sein Werk zeigt ausgeprägtes Interesse an sozialer Vielfalt, an Ethik, Autorität und Fortune. Als Schriftsteller, der im Spannungsfeld von Amt und Kunst stand, überführte er die gelehrte und die volkstümliche Tradition in eine vielstimmige, strukturierende Poetik, die spätere Epochen als klassisch anerkannten.

Bildung und literarische Einflüsse

Chaucer entstammte dem Londoner Bürgertum; sein Vater war ein Weinhändler, was ihn früh in eine urbane, mehrsprachige und kaufmännisch geprägte Kultur stellte. Formale Universitätsstudien sind nicht belegt, doch weist seine Bildung auf eine solide Schulausbildung mit Latein sowie auf intensive Lektüre in Französisch und Englisch. Als junger Mann diente er in einem aristokratischen Haushalt, was ihn mit höfischen Konventionen, Verwaltung und Ritualen vertraut machte. Diese frühe Sozialisation prägte sein Gespür für Registerwechsel, die Darstellung sozialer Rollen und die Fähigkeit, Stimmen verschiedener Stände literarisch überzeugend zu formen.

Dienstreisen führten Chaucer nach Frankreich, Flandern und nach Italien. 1359/60 wurde er im Krieg gefangen genommen und von der Krone ausgelöst, ein Ereignis, das seine Bindung an den Hof festigte. Besonders prägend waren diplomatische Missionen nach Genua und Florenz (1372–73) sowie nach Lombardei (1378), die ihn in Kontakt mit italienischer Stadtkultur, Buchhandel und Dichtung brachten. Die Rezeption Dantes, Petrarcas und Boccaccios ist in seinem Werk spürbar: Er übernimmt Erzähltechniken, Stoffe und Strophenbau, ohne die englische Eigenart aufzugeben, und verschränkt italienische Erzählkunst mit heimischen Traditionen.

Philosophisch wirkte Boethius’ De consolatione Philosophiae stark auf Chaucer; seine Übersetzung Boece zeugt von nachhaltiger Auseinandersetzung mit Themen wie Fortuna, Vorsehung und freiem Willen. Französische Lyrik, insbesondere Guillaume de Machaut, lieferte Modelle für Liebesdiskurs, Traumvision und musikalische Struktur. Aus dieser Synthese entstanden charakteristische Formen: der in England profilierte Rhyme Royal und der metrisch sichere, oft iambische Zehnsilbler. Chaucer entwickelte daraus eine flexible, dialogische Verskunst, die gleichermaßen moralische Reflexion, satirische Beobachtung und erzählerische Dynamik tragen konnte und die stilistische Grundlage seiner großen Dichtungen bildete.

Literarische Laufbahn

Chaucers frühe dichterische Phase ist von Traumvisionen geprägt. The Book of the Duchess (um 1369) gilt als elegisches Gedicht auf Blanche von Lancaster und vereint höfische Klage mit psychologischer Beobachtung. In The House of Fame und Parliament of Fowls experimentiert er mit Allegorie, Autoritätskritik und Literaturtheorie, wobei er die Unzuverlässigkeit des Ruhms und die Vielfalt der Begierden szenisch verhandelt. Diese Werke zeigen bereits seine Kunst der ironischen Selbstpositionierung und die Fähigkeit, gelehrte Traditionen in anschauliche Erzählbilder zu überführen. Zugleich etabliert er eine souveräne Beherrschung neuer metrischer und strophischer Muster im Englischen.

Troilus and Criseyde, in den 1380er Jahren entstanden, wird häufig als sein erzählerisch geschlossenstes Meisterwerk angesehen. Das Gedicht entfaltet in Rhyme-Royal-Strophen eine vielschichtige Geschichte über Liebe, Verrat, Zufall und Erkenntnis im Troja-Stoff. Chaucer adaptiert Boccaccios Il Filostrato, erweitert jedoch psychologische Tiefe, rhetorische Komplexität und moralische Ambivalenz. Er reflektiert die Grenzen erzählerischer Autorität und die Rolle von Vermittlern, setzt zugleich Maßstäbe für die höfische Romantradition in englischer Sprache. Troilus zeigt, wie sicher Chaucer dramatische Szenen, Dialoge und narrative Ironie orchestriert, ohne die philosophische Dimension aus dem Blick zu verlieren.

The Canterbury Tales, ab den späten 1380er Jahren verfasst, rahmt eine Vielzahl von Erzählungen durch eine Pilgerfahrt nach Canterbury. Die Erzähler aus unterschiedlichen Ständen liefern Geschichten in Stilen von frommer Legende über fabliau und Romanze bis zu Predigt und Prosa. Das Werk blieb unvollendet; die Anordnung variiert in maßgeblichen Handschriften wie Hengwrt und Ellesmere. Formal dominieren gereimte Zehnsilbler, doch nutzt Chaucer auch Prosa und Strophen. Die Sammlung verbindet Unterhaltung und scharfe Sozialbeobachtung und zeigt, wie das Englische subtile Register, Humor und dramatische Charakterisierung aufnehmen kann.

Neben den Großwerken verfasste Chaucer The Legend of Good Women, die in ihren Prologen poetologische Selbstreflexion entfaltet, sowie kürzere Gedichte, die Rollenrede, Bitte und Klage erproben. Sein A Treatise on the Astrolabe (1391) vermittelt fachlich präzise astronomisches Wissen in englischer Prosa, wohl für einen jugendlichen Adressaten gedacht. Als Controller der Londoner Zölle (ab 1374), später als Clerk of the King’s Works (1389–1391) und als Parlamentsabgeordneter für Kent (1386) erreichte er berufliche Höhepunkte. Diese Ämter gewährten Einblick in Handel, Recht und Bauwesen, deren organisatorische Logik und menschliche Reibungen sich in seiner Dichtung indirekt spiegeln.

Überzeugungen und Engagement

Chaucer war kein programmatischer Reformer; seine Texte artikulieren Überzeugungen vor allem durch dramatisierte Perspektiven. Boethianische Vorstellungen von Fortuna und Providenz strukturieren Troilus and Criseyde und werden im Retraction am Ende der Canterbury Tales theologisch gerahmt. Gleichzeitig kritisiert er in satirischer Schärfe Missstände, insbesondere in Teilen des Klerus, ohne daraus eine eindeutige konfessionelle Agenda abzuleiten. Sein beharrlicher Einsatz der Volkssprache wirkt wie eine implizite Befürwortung kultureller Teilhabe: Er zeigt, dass Englisch komplexe Argumente und feine Affekte tragen kann. So verbindet er moralische Prüfung mit komischer Vielstimmigkeit und eröffnet literarische Räume für unterschiedliche soziale Stimmen.

Letzte Jahre und Vermächtnis

Politische Turbulenzen der 1380er Jahre berührten Chaucers Laufbahn; 1386 saß er für Kent im Parlament. 1389 übernahm er das Amt des Clerk of the King’s Works, was ihn in königliche Bauprojekte einband, bevor er es 1391 wieder niederlegte. Sein spätes Prosawerk A Treatise on the Astrolabe belegt fortdauerndes Interesse an Wissenschaft. Finanzielle Unsicherheiten sind dokumentiert; 1399 erhielt er unter Heinrich IV. eine neue Rente und Wohnrecht im Bezirk von Westminster. Chaucer starb am 25. Oktober 1400 und wurde in der Westminster Abbey bestattet. The Canterbury Tales blieben unvollendet, doch sein Spätgedicht Complaint to His Purse zeugt von anhaltender stilistischer Virtuosität.

Chaucers Nachruhm wurde durch frühe Drucke wesentlich gefestigt: William Caxton publizierte The Canterbury Tales bald nach Gründung seiner englischen Presse, wodurch das Werk breite Verbreitung fand. 1556 errichtete Nicholas Brigham ein Grabmal, das den später sogenannten Poets’ Corner prägen sollte. Chaucers Einfluss reicht von Spenser und Shakespeare bis zu Dryden und darüber hinaus; seine metrischen Innovationen und die dramatische Figurenrede prägten die englische Dichtung dauerhaft. Indem er die Londoner Varietät des Englischen literarisch adelte, trug er zur sprachlichen Standardisierung bei. Sein Werk bleibt ein Schlüsselzeugnis für Ästhetik, Gesellschaft und Denken des spätmittelalterlichen England.

Die Canterbury-Erzählungen (Canterbury Tales)

Hauptinhaltsverzeichnis
Einleitung.
Die Erzählung des Ritters
Die Erzählung des Müllers.
Die Erzählung des Verwalters.
Die Erzählung des Kochs.
Die Erzählung des Rechtsgelehrten.
Die Erzählung des Weibes von Bath.
Die Erzählung des Ordensbruders.
Des Büttels Erzählung.
Die Erzählung des Studenten.
Die Erzählung des Kaufmanns.
Die Erzählung des Junkers.
Die Erzählung des Gutsherrn.
Die Erzählung des Doctors.
Die Erzählung des Ablaßkrämers.
Die Erzählung des Schiffers.
Die Erzählung der Priorin.
Das Reimgedicht vom Herrn Thopas und Die Erzählung des Meliböus.
Die Erzählung des Mönches.
Die Erzählung des Nonnenpriesters.
Die Erzählung der zweiten Nonne.
Die Erzählung des Dienstmannes des Stiftsherrn.
Die Erzählung des Konviktschaffners.
Die Erzählung des Pfarrers.
Anmerkungen.

Einleitung.

Inhaltsverzeichnis

Wenn vom Aprillenregen mild durchdrungen[1q] Der Staub des März recht gründlich ist bezwungen Und so von Säften jede Ader schwillt, Daß aus dem Boden Blum' an Blume quillt, Wenn Zephyr[1] dann mit seinem süßen Hauch In Wald und Haide jeden zarten Strauch Durchwehet; wenn der Strahl der jungen Sonnen Zur Hälfte schon dem Widder ist entronnen, Wenn lust'ge Melodie das Vöglein macht, Das offnen Auges schläft die ganze Nacht – So stachelt die Natur es in der Brust –: Dann treibt die Menschen auch die Wanderlust; Wallfahrer ziehen hin zu fernem Strande Zu Heiligen, berühmt in manchem Lande. Besonders sieht man aus den Gauen allen Von England sie nach Canterbury wallen Dem segensreichen Märtyrer zum Dank, Der sie errettet, als sie siech und krank.

Da traf sich's um die Zeit an einem Tag, Als ich im »Heroldsrock« zu Southwark lag, Mit frohem Muth und Gottergebenheit Nach Canterbury hinzuziehn bereit, Daß Abends in dasselbe Nachtquartier Verschiedne Leute – neunundzwanzig schier – Einkehrten; Zufall hatte sie gesellt; Auf Pilgerfahrt war Aller Sinn gestellt. Zu ziehn gen Canterbury war ihr Wille. Zimmer und Ställe boten Raum die Fülle; Wir konnten beßre Pflege nicht verlangen. Kaum daß die Sonne war zu Rast gegangen, Hatt' ich gesprochen schon mit Jedermann: Ich schlösse gern an ihren Zug mich an, Und morgen früh wär' ich bei guter Zeit Zur Reise (die ihr gleich vernehmt) bereit.

Doch da mir's nicht an Zeit und Raum gebricht, Scheint es, eh' ich erstatte den Bericht, Ganz in der Ordnung, daß ich von der Lage Und Art und Weise euch getreulich sage, Wie jeder mir erschienen in der Schaar, Weß Ranges, Standes und Geschäfts er war, Auch welche Kleidung trug so Weib als Mann. Mit einem Ritter fang' ich billig an.

Der Ritter war ein Mann, gar hochgeehrt, Der seit der Zeit, da er zuerst das Schwert Im Kampf zog, stets geglüht für Ritterthum, Freiheit und Wahrheit, Höflichkeit und Ruhm. Höchst angesehn in seines Fürsten Heer Hatt' er gekriegt weit in der Welt umher, Im Christenland und in der Heidenschaft Und steten Ruhm erjagt durch Muth und Kraft. Er war beim Falle Alexandria's Und über allen Landsmannschaften saß Er auf dem Ehrenplatz bei Tisch in Preußen; Er war gereist in Litthauen und Reußen: So oft war dort kein Christ von seinem Stand. Er hatte Algestras mit berannt In Granada –, Belmaria bekriegt, Satalia und Layas mit besiegt Und hatte selbst zur See, im Großen Meere, Ruhmvoll gekämpft in manchem stolzen Heere. In blut'gen Schlachten, funfzehn an der Zahl, Zu Tramissene im Turnier dreimal Stritt er für's Christenthum und schlug den Feind. Derselbe werthe Ritter zog vereint Zuweilen mit dem Herrn von Palatei Gegen die andern Heiden der Türkei. Stets ward der höchste Preis ihm zum Gewinn; Trotz solchen Ruhms war er von weisem Sinn; Wie eine Jungfrau sanft war er von Sitten, Und nie war ihm ein plumpes Wort entglitten, Im Leben nicht; grob ließ er Niemand an: Ein ganz vollendet edler Rittersmann. Doch um zu sagen auch von seiner Tracht: Sein Roß war gut; er selbst war sonder Pracht. Er trug ein Waffenkleid von Fries, beschmutzt Vom Rost des Panzerhemds und abgenutzt. Denn von der Reise kam er nur soeben, Um gleich sich auf die Wallfahrt zu begeben.

Auch war mit ihm sein Sohn, ein Junker gut, Das war ein muntres und verliebtes Blut. Kraus, wie gebrannt, trug er sein lockig Haar; Vermuth' ich recht, so zählt' er zwanzig Jahr. Von Körperbau war er fein schlank und lang, Von großer Kraft und von behendem Gang; Gekämpft auch hatt' er bei der Caval'rie In Flandern, Artois und der Picardie, Und – noch so jung – erworben solchen Namen, Daß er auf Gunst schon hoffte bei den Damen. Er war geputzt gleich einem Wiesengrund Mit roth und weißen Blumen, frisch und bunt. Er pfiff und sang, wo er nur mochte gehn; Frisch Wie der Maimond war er anzusehn. Trug kurz den Rock, die Aermel lang und weit, Saß schön zu Roß und ritt mit Sicherheit, Verstand sich wohl auf Dichten, Deklamiren, Auf Schreiben, Malen, Tanzen und Turnieren; So heiß war seine Liebe, daß die Nacht Er trotz den Nachtigallen stets durchwacht; Doch dienstbereit und höflich und bescheiden Pflegt' er bei Tisch dem Vater vorzuschneiden.

Ein Lehnsmann war sein einziger Begleiter – Auf Reisen liebt' er kein Gefolge weiter – Mit grünem Wams und Hut; im Wehrbehang Führt' er ein Bündel Pfeile scharf und blank; Mit Pfauenfedern war geschmückt ihr Bart. Gut hielt er sein Geschoß nach Schützenart, Daß nicht den Pfeil die Federn niederzogen; Er trug in seiner Hand 'nen mächt'gen Bogen. Sein Haar war rund gestutzt, braun sein Gesicht; Von jedem Waidmannsbrauch wußt' er Bericht; Mit blanker Schiene war sein Arm bewehrt, Und an der Seite hing ihm Schild und Schwert; Ein Messer sah man an der andern blitzen Mit schönem Griff und scharf wie Speeresspitzen, Ein silberner St. Christoph schmückt' ihm vorn Die Brust; an grünem Gurt trug er ein Horn; Ein Förster war er nach dem Augenschein.

Auch eine Priorin fand hier sich ein, Die war von einfach keuscher Freundlichkeit. »Beim heil'gen Ludwig!« war ihr größter Eid. Frau Eglantine wurde sie genannt; Die wohl sich auf den Messedienst verstand Und stets höchst lieblich durch die Nase sang. Französisch sprach sie auch mit feinem Klang, Wie man in Stratford es auf Schulen spricht; Französisch von Paris verstand sie nicht. Sie war geübt in feinen Tafelsitten, Nie ist ein Bissen ihrem Mund entglitten; Nie taucht' in Brühe sie die Finger ein; Schön nahm den Bissen sie und hielt ihn fein, Daß nie ein Tropfen auf die Brust ihr fiel; Höfische Sitte war ihr höchstes Ziel. Die Oberlippe wischte sie so rein, Daß, wenn sie trank, nicht der geringste Schein Von Fett zu sehen war an dem Pokal. Höchst fein benahm sie sich beim ganzen Mahl, Und außerdem war sie von heitern Sitten, Voll Anstand, guter Laun' und wohl gelitten. Des Hofes Art nach Kräften zu entfalten, War sie bemüht und stattlich sich zu halten, So daß man Ehrfurcht stets vor ihr empfand. Fragt ihr, wie es um ihr Gewissen stand? Mitleidig war sie, mild und sanft durchaus. Sie konnte weinen, wenn sie eine Maus Wund in der Falle oder todt gefunden. Man sah sie oft, wie ihren kleinen Hunden Sie Braten gab und Milch und Krümchen Brod; Und bitter weinte sie, war einer todt, Ja, schuf man nur durch einen Hieb ihm Schmerz. Sie war ein gar empfindlich sanftes Herz. Höchst zierlich war ihr Schleier aufgesteckt, Hellgrau ihr Aug', ihr Naschen fein gestreckt, Ihr Mund sehr klein und sanft und roth dabei, Und ihre Stirn vor allem schön und frei; Sie mochte breit fast einer Spanne sein; Denn überhaupt war sie von Wuchs nicht klein. Ihr Mantel war höchst säuberlich fürwahr Und von Korallen trug am Arm ein Paar Betschnüre sie, mit munterm Grün garniert, Und blank mit einem goldnen Schloß geziert, Drauf stand zu oberst ein gekröntes A Und drunter: Amor vincit omnia[2]. Noch eine andre Nonne war dabei, Ein Priester auch, ihr Kapellan – die drei.

Ein Mönch auch war dabei, schön wie kein zweiter, Ein Waidmann von Passion und flotter Reiter; Männlich von Ansehn, eines Abtes werth. Er hatt' in seinem Stall manch nettes Pferd, Und wenn er ritt, so hörte man die Schellen An seinem Zügel hell im Winde gellen, Als wären es die Glöcklein der Kapelle, Wo dieser Herr Hausmeister war der Zelle. Die Regel des St. Maur und Benedikt Schien ihm schon etwas alt und gar zu strikt, Und alte Dinge ließ er gern in Ruh. Er steuerte dem neuen Zeitgeist zu, Gab um den Text nicht ein gerupftes Huhn, Der sagt, daß Waidwerk sei unheil'ges Thun, Und daß ein Mönch, der von der Regel weicht, Nur einem wasserlosen Fische gleicht – Das heißt ein Mönch, wenn außer dem Verschluß Er gab darum nicht eine taube Nuß. Und wie mir scheint, war diese Ansicht gut. Was? Sollt' er nur studiren und mit Wuth Stets in den alten Klosterschwarten wühlen? Sollt' er, wie Augustin befiehlt, sich Schwielen Arbeiten? Nun, was wird denn aus der Welt? Drum placke sich, wem Plackerei gefällt! So ward er denn ein rechter Sporenheld. Sein Windhund flog dem Vogel gleich durchs Feld Und galt es Rosse tummeln, Hasen hetzen, Schien nichts ihm theuer für dies Hauptergetzen. Mit feinstem Grauwerk, das im ganzen Land Zu finden, war verbrämt sein Aermelrand, Und unterm Kinne trug er die Kaputze Mit goldner Nadel zugesteckt zum Putze. Ein Liebesknoten saß an ihrem Knopf. Blank wie ein Spiegel war sein kahler Kopf, Glatt wie mit Oel gesalbt sein Antlitz auch: Feist war der Herr und wohlgenährt sein Bauch. Die Augen traten steif aus dem Gesicht; Das dampfte – ärger dampft ein Backhaus nicht. Die Stiefel fein, das Roß im höchsten Staat: Er war fürwahr ein stattlicher Prälat. Er sah nicht aus wie ein gequälter Geist; Gebratne Schwäne liebte er zumeist. Braun war sein Zelter wie die Beer' am Strauch.

Dann war ein Bettelmönch, ein muntrer Gauch, Noch da; man sah ihm nicht die Schalkheit an. In den vier Orden wüßt' ich keinen Mann, Der so geübt in schöner Redekunst. Bei jungen Weibern stand er sehr in Gunst; Viel Ehen sind durch ihn geschlossen worden, Ein starker Pfeiler war er seinem Orden. Bei den Freisassen rings im ganzen Land War er beliebt und meist genau bekannt Und in der Stadt bei manchen werthen Fraun. Denn in dem Beichtstuhl hat er mehr Vertraun Als (wie er selber sagte) der Vikar, Da er Licentiat im Orden war. Er hörte freundlich stets die Beichte an Und absolvirte höchst gefällig dann, Und wo er gute Spenden nur empfing, Da war auch seine Pönitenz gering. Denn wer der Armuth beizustehn beflissen, Hat sicherlich nicht viel auf dem Gewissen. So konnt' er denn zum voraus schon verkünden: Wenn Einer gab, ihn reuten seine Sünden: Denn mancher Mensch hat ein so hartes Herz, Daß er nicht weint, ist noch so groß sein Schmerz; Drum statt des Weinens und der frommen Lieder Genügt' ihm Silber für die armen Brüder.

Sein Kragen war stets voll von hübschen Dingen, Messern und Nadeln, schönen Fraun zu bringen. Auch seine Stimme war von gutem Klang; Er war geübt im Spiel und im Gesang. Und beim Erzählen trug er stets den Preis. Dann hatt' er einen Hals wie Lilien weiß Und war doch stark trotz einem Kriegeshelden. Die Schenken jeder Stadt könnt' er euch melden, Kellner und Küfer sind im ganzen Rund Mehr als die Bettler ihm und Krüppel kund. Auch ziemt sich's nicht für einen würd'gen Mann, Sich mehr, als er es nicht vermeiden kann, Mit solchem kranken Volke zu beschmutzen; 's ist nicht honnet und bringt auch keinen Nutzen. Viel besser ist als solches arme Pack, Wer was zu leben hat und Geld im Sack. Und überall, wo Vortheil er ersah, Stets höflich und bescheiden war er da. Er galt – denn Niemand war so tugendhaft – Als bester Bettler in der Brüderschaft. Ein Pachtgeld zahlt' er an sein Haus dafür: Kein andrer Bruder kam in sein Revier. Hatt' eine Wittwe keinen Schuh auch mehr, Sagt' er so süß sein: In principio her, Daß sie ihm noch den letzten Dreier gab; Mehr als sein Jahrgeld warf der Handel ab. Ereifert konnt' er bellen wie ein Spitz: Drum war er viel bei Schiedsgerichten nütz; Da sah ihm denn kein Mensch den Klostermann, Den armen Tropf mit schäb'ger Kutte an. Nein, wie ein Domherr, wie der Papst selbst trat Er auf in dickem wolligen Ornat. Steif wie 'ne Glocke stand um ihn das Kleid, Auch lispelt' er etwas aus Lüsternheit, So daß besonders süß sein Englisch klang. Wenn er die Harfe griff nach dem Gesang, So pflegt' er mit den Augen so zu zwinkern, Wie in der Winternacht die Sterne blinkern. Hubertus war der würd'ge Mönch genannt.

Ein Kaufherr dann in scheckigem Gewand Kam hoch zu Roß; er trug 'nen Zwickelbart Und einen Bieberhut nach fläm'scher Art; Die Stiefeln zugehakt, fein säuberlich; Er sprach voll Nachdruck und höchst feierlich. Stets blickte des Geschäfts Bedeutung durch. »Man müßte jedenfalls von Middelburg«, Meint' er, »bis Oriwell das Meer bewachen.« Viel Geld auch konnt' er an der Börse machen, Und seine Kunst betrieb er höchst gewandt. Man ahnte nicht, wie schief es mit ihm stand; So sicher wußt' er sein Geschäft zu führen Und Fordrung mit Kredit zu balanciren. Und in der That ein würd'ger Mann war dies. Doch weiß ich leider nicht mehr, wie er hieß.

Dann ferner kam von Oxford ein Scholar, Der Logik schon studirt manch liebes Jahr; Sein Klepper war so dürr wie eine Leiter Und traun, es war auch nicht sehr fett der Reiter; Hohläugig kam er mir und nüchtern vor, Und fadenscheinig war sein Rockelor. Noch ward ihm keine Pfründe zum Gewinn, Und für ein weltlich Amt fehlt' ihm der Sinn. Denn lieber sah er, wenn am Bett ihm stand Ein Bücherhauf in roth und schwarzem Band Von Aristoteles' Metaphysik, Als reiche Kleider, Kurzweil und Musik. Doch, mocht' er selbst der Weisheit Stein ergründen, In seinem Koffer war kein Gold zu finden. Was er etwa empfing von Freundes Hand, Ward auf gelehrte Bücher gleich verwandt, Und im Gebet pflegt' er für die zu flehn, Die zum Studiren ihn mit Geld versehn. Mit Sorg' und Eifer lernt' er fort und fort; Er sprach niemals ein überflüssig Wort, Und was er sprach, war würdig, gut gewandt Und kurz und scharf und immer voll Verstand. Er ließ sich stets in Sittensprüchen hören, Er lernte gern, doch mocht' er gern auch lehren.

Ein weiser Justitiarius war da, Den oft man an den Kirchenthüren sah. Besonnen war er, schlau und sehr gewandt, Höchst angesehn, mit Ehrfurcht stets genannt. So weise war sein Wort, so voll Gewicht, Daß er zum Vorsitz oft im Schwurgericht Durch ein Patent bestallt ward und ernannt Ob seiner Wissenschaft, die weltbekannt. Er hatte Geld und Roben ganze Haufen, Kein Mensch verstand sich so wie er auf's Kaufen; Denn ihm war Freigut jeglich Ding fürwahr, So daß kein Grund ihn zu verdächt'gen war. So eifrig war kein Zweiter noch wie er, Und war er eifrig, schien er's doch noch mehr. Er zählte jeden Spruch und Rechtsfall auf Bis zu des Königs Wilhelm Zeit hinauf; Dazu bracht' er ein Protokoll zu Stand, Daß man kein Pünktchen dran zu tadeln fand. Auswendig konnt' er jedes Rechtsstatut. Sein Rock war grau melirt, einfach, doch gut, Ein streif'ger Seidengurt darum geschlagen. Mehr will ich nicht von seinem Anzug sagen.

Ein Gutsherr ferner war in diesem Kreis, Sein Bart war stattlich und wie Maßlieb weiß; Vollblütig war sein Angesicht und roth; Er liebt' ein Gläschen Wein beim Morgenbrod. Vergnügen war ihm andere Natur; Er war ein echter Sohn des Epikur, Der ihn gelehrt: Vergnügtsein jederzeit Sei in der That vollkommne Seligkeit. Er hielt daheim ein glänzend großes Haus, Er war der St. Julian des ganzen Gau's. Sein Bier und Brod war kräftig stets und fein: In keinem Keller fand man bessern Wein. An Braten fehlt' es nie in seinem Haus, Von Fleisch und Fisch ging nie der Vorrath aus. Es schneite nur bei ihm von Trank und Speise Und Leckerbissen jeder Art und Weise, Und mit den Jahreszeiten jedesmal Ward auch gewechselt seiner Speisen Wahl. Manch fettes Rebhuhn hielt er im Gehäge, Hecht und Karauschen in des Teiches Pflege, Und weh! dem Koch, war seine Sauce nicht Scharf und pikant und schmackhaft das Gericht. In seiner Halle stand zu jeder Zeit Gedeckt die Tafel und zum Mahl bereit. Als Herr und Fürst beherrscht' er die Session, Oft war er Grafschafts-Deputirter schon. Ein Dolch und eine seidne Börse hing, Wie Milch so weiß, in seinem Gürtelring. Sherif und Landvoigt war er vor der Zeit, Kein besserer Vasall war weit und breit.

Dann war ein Zimmermann, ein Krämer hier, Ein Weber, Färber und ein Tapezier. Die waren einer Brüderschaft geweiht; Drum trugen alle sie ein gleiches Kleid. Man sah, es war noch neu und ungetragen. Auch war mit Messing nicht ihr Dolch beschlagen, Nein, ganz mit reinem Silber, blank und zart; Gürtel und Taschen von derselben Art. Sie schienen Bürger, würdig allzumal Der Rathsherrnbank in einem Gildesaal. Denn, sah man sie nach ihrem Wissen an, So paßte jeder sich zum Alderman, Und Hab und Gut war ihnen auch beschieden Und ihre Frauen wären's wohl zufrieden; Wären sie's nicht, so thäten sie nicht recht: »Madame« zu heißen, klingt fürwahr nicht schlecht. Und dann, wie schön, stets auf der Kirchentreppe Voranzugehn mit königlicher Schleppe.

Sie führten einen eignen Koch auch mit, Der Hühner briet, das Fett vom Knochen schnitt, Für Salz und Pfeffer sorgt' und für Galgant Und trefflich sich auf Londner Ale verstand. Er konnte rösten, schmoren, sieden, hacken Und Suppe kochen und Pasteten backen. Doch dünkte das mich um den Mann recht schade: Er hatt' ein Krebsgeschwür an seiner Wade –; Denn – Blanc-Manger bereitet' er am besten.

Ein Seemann war auch da, fern aus dem Westen Von Dartmouth kam er, irr' ich mich nicht sehr, Er schleppte sich auf einem Miethsgaul her; Sein falt'ger Rock ging bis zum Knie ihm schier. Ein Dolch hing ihm herab vom Bandelier, Das sich vom Nacken unterm Arm her wand. Die Sommersonne hatt' ihn ganz verbrannt. Er schien ein lustiger Gesell zu sein; Auf der Bordeauxfahrt hat manch Schlückchen Wein Er sich gezapft, indeß der Kaufmann schlief. Mit seiner Tugend stand's ein wenig schief, * * * * * * * * * * Doch in der Kunst, die Flutzeit aufzufinden, Durch Strömungen und Küsten sich zu winden, Nach Sonn' und Mond das Fahrzeug recht zu leiten, Gab es gleich ihm zur See nicht einen zweiten. Klug, denk' ich, war er und von kecker Art, Ihm hatte mancher Sturm gezaust den Bart. Die Häfen kannt' er wohl in jedem Meere Von Gotland bis zum Kap von Finisterre, Den spanischen und den breton'schen Strand: »Die Magdalene« war sein Schiff genannt.

Auch hatt' ein Doktor sich zu uns gesellt, Ein Arzt. Gewiß sprach keiner auf der Welt So klug von Medicin und Chirurgie. Er war gelahrt auch in Astronomie Und stundenlang übt' er des Patienten Geduld mit magischen Experimenten. Er wußte wirklich mit geschickten Händen Des Kranken Horoskop zum Glück zu wenden. Der Krankheit Grund sah er mit Leichtigkeit, Ob Kälte, Hitze, Trockniß, Feuchtigkeit, An welchem Ort erzeugt, aus welchen Stoffen. Er war als Praktiker unübertroffen. Hatt' er des Uebels Wurzel erst erkannt, Ward gleich die Medicin auch angewandt. Ein Apotheker war ihm stets zu Händen, Um Droguen und Latwergen ihm zu senden; Sie hatten durch einander viel gewonnen; Die Freundschaft hatte nicht erst jüngst begonnen. Die Alten kannt' er: Aesculap[3] voran Und Dioscorides und Rufus dann, Hippokrates, Hali und Gallien, Serapion, Rasis und Avicen, Averrhois, Damascenus, Constantin, Bernard und Gatisden und Gilbertin. In der Diät liebt' er nicht Ueberfluß, Er gab nur solche Speise zum Genuß, Die nahrhaft war und leicht zu digeriren. Nicht pflegt' er viel die Bibel zu studiren. Blutroth und blau liebt er sich anzuziehn, Mit Tafft gefüttert und mit Levantin. Nicht ein Verschwender war darum der Mann, Er sparte, was er in der Pest gewann. Gold gilt dem Arzt als ein Specificum, Ausnehmend liebte er das Gold darum.

Ein gutes Weib war da; sie war nicht weit Von Bath; doch etwas taub, das that mir leid. Als Tuchfabrik war so berühmt ihr Haus, Sie stach am Markte Gent und Cypern aus. Kein Weib im Kirchspiel, die sich unterfing, Daß sie vor ihr zum Messehören ging. Und that es Eine, wurde sie so schlimm, Daß sie der Andacht ganz vergaß vor Grimm. Höchst prächtig saß ihr auf dem Kopf der Bund, Ich schwöre traun, er wog beinah zehn Pfund, Zum mindesten, wie sie ihn Sonntags trug. Die Strümpfe waren scharlach, fein genug Und saßen stramm, die Schuhe neu und dicht. Rothbäckig, frisch und keck war ihr Gesicht. Ein wackres Weib ihr Lebelang sie war. Sie führte schon fünf Männer zum Altar; Wie sie sich sonst ergetzt in jüngern Tagen, Davon will ich für jetzt nichts weiter sagen. Dreimal ist sie zum heil'gen Grab gezogen, Durchschiffte manches fremden Stromes Wogen, War in Bologna, war im heil'gen Rom, War in St. Jago und im Kölner Dom. Sie hatte viel erlebt auf Wanderschaft; Doch wahr zu reden, sie war leckerhaft. Sie ritt auf einem Zelter leicht und gut Mit hübschem Schleier. Auf dem Kopf ihr Hut War wie ein Schild, wie eine Tartsche breit; Um ihre Hüften lag der Mantel weit, 'nen scharfen Sporn trug sie an jedem Fuß. Sie lacht' und schwatzte nach dem ersten Gruß. Mit Liebestränken wußte sie Bescheid; Denn sie verstand den Spaß aus frührer Zeit.

Ein guter Mann aus heil'gem Stand war dort; Ein Pfarrer war's aus einem kleinen Ort; Arm, und doch reich an Werken und Gedanken. Er war gelehrt und wollte sonder Wanken Das Evangelium Christi treu erklären Und die Gemeinde frommen Sinns belehren. Wohlwollend war er, immer dienstbereit Und voll Geduld in Widerwärtigkeit. Das zeigt' er oft, wenn schwer er ward versucht. Um seinen Zehnten hat er nie geflucht. Nein, lieber schenkt' er selber voll Erbarmen Von den Gebühren noch den Kirchspielarmen, Ja selbst von seinem eignen Hab' und Gut. Bei Wen'gem lebt' er mit vergnügtem Muth. Weit war sein Kirchspiel und fernhin zersplittert Und doch, wie sehr es regnet und gewittert, Blieb er bei Siechthum und bei Mißgeschick Die Fernsten zu besuchen nicht zurück – Zu Fuß, in seiner Hand den Wanderstab. Das Beispiel, das er der Gemeinde gab, War, erst zu handeln und hernach zu lehren. So pflegt' er Gottes Worte zu erklären. Und dieses Gleichniß knüpft' er noch daran: »Wenn Gold verrostet, was thut Eisen dann? Denn, ist ein Priester schlecht, dem wir vertraun, Wie darf man erst auf simple Laien baun! Und schmählich, wenn es so befunden wird, Daß rein die Herde, doch voll Schmuz der Hirt. Der Priester sollte stets ein Beispiel geben Von Reinheit, daß die Schafe danach leben.«

Auch gab er seine Pfründe nicht auf Pacht, Verließ die Herde nicht in Sumpf und Nacht, Um selbst nach London und St. Pauls zu laufen Und einen Seelenmessedienst zu kaufen. Er zog auch nicht mit Brüderschaften aus, Er blieb daheim und nahm in Acht das Haus, Daß sich kein Wolf in seinen Stall verirrte; Er war kein Miethling: nein, ein guter Hirte. Und, war er gleich ein frommer, heil'ger Mann, So ließ er doch nicht hart den Sünder an, Nie war sein Wort voll Hochmuth, nie voll Wuth, Nein, schonend war er stets und sanft und gut; Die Reuigen dem Himmel zu gewinnen Durch gutes Beispiel, war sein ganzes Sinnen. Nur, wenn er einen ganz verstockten fand, – War er von niederm oder hohem Stand – Dem wollt' er die Leviten scharf verlesen: Ein beßrer Priester traun ist nicht gewesen. Er haschte nicht nach Pomp und Eitelkeit, That mit Gewissensskrupeln sich nicht breit, Was Christus sammt den zwölf Aposteln sprach, Das lehrt' er; doch zuerst that er danach. Ein Pflüger war mit ihm; das war sein Bruder. Der hatte Mist geladen manches Fuder, Und plackte redlich sich, war treu und gut Und lebte fromm und mit zufriednem Muth. Er liebte Gott zuerst von ganzem Herzen, Zu jeder Zeit, ja selbst in Noth und Schmerzen Und seinen Nächsten wie sich selbst alsdann. Er wollte gern für jeden armen Mann Um Christi willen, ohne Lohn zu haben, Wenn er's vermochte, dreschen oder graben. Den Zehnten zahlt' er pünktlich jederzeit Von seiner Hab' und seiner Handarbeit. Auf einer Stute ritt er, und im Kittel.

Noch war ein Müller und ein Kirchenbüttel, Ein Ablaßkrämer und Verwalter hier, Ein Stiftsfaktor und ich, das waren wir.

Der Müller war ein Kerl von tücht'gem Mark, Von Muskeln und von Knochen mächtig stark. Das zeigt' er wohl: In jedem Ringerkreis Trug er den Hammel stets davon als Preis; Ein dicker Knorr, kurz, in den Schultern breit, Hob jede Thür aus und mit Leichtigkeit, Ja rannte sie wohl mit dem Schädel ein. 'nen Bart hatt' er, ganz fuchsroth, wie ein Schwein, Breit wie ein Spaten unten abgeschnitten, Und recht auf seiner Nasenspitze Mitten Stand eine Warze, Haare drauf, genau Wie Borsten an den Ohren einer Sau. Die Nasenlöcher waren schwarz und wild Und an der Seite trug er Schwert und Schild. Weit wie ein Ofen that sich auf sein Mund, Und schwadroniren konnt' er aus dem Grund. An Schmuz und Zoten hatt' er sein Ergetzen; Er stahl das Korn und nahm dreimal die Metzen. Bei Gott, sein Daumen machte Gold und Grütze, Er ging in weißem Rock und blauer Mütze. Den Dudelsack verstand er gut zu blasen Und bracht' uns schier durch die Musik zum Rasen.

Ein art'ger Schaffner war auch da vom Tempel, Den nehme jeder Käufer zum Exempel, Der billig gern für gute Speise sorgte, Denn ob er baar bezahlte, ob er borgte, Er zeigte sich im Einkauf so gewandt, Daß er dabei sich immer reicher fand. Nun, ist das eine Gnade nicht von Gott, Daß solches schlichten Mannes Witz zu Spott Die Weisheit vieler Hochgelahrten macht? Er hatte mehr als dreißig Herr'n in Acht Zu nehmen, Rechtsgelehrte, höchst gescheidt, Davon ein gutes Dutzend jederzeit Geschickt verwaltet hätten Rent' und Land Für jeden großen Herrn in Engelland, Daß er vom eignen Erbgut ehrenvoll Und schuldenfrei – macht' er's nicht gar zu toll – Oder so sparsam lebte, wie er wollte Und, wenn das Unglück sich ereignen sollte, Aus Noth befreien einen ganzen Kreis – Die führte der Herr Schaffner all' auf's Eis.

Dann der Verwalter, hagerer Statur Und glatt rasirt, cholerisch von Natur. Sein Haar war um die Ohren weggeputzt Und vorn wie bei den Priestern kurz gestutzt. Höchst dürr und länglich war sein Lendenpaar Wie Hopfenstangen: Waden unsichtbar. Speicher und Böden hielt er so im Stand, Daß der Revisor nichts zu mäkeln fand. Wohl konnt' er nach der Trockniß und dem Regen Schon den Ertrag der Saat vorher erwägen. Des Herren Rosse, Rinder, Schäferei, Geflügel, Schweine, Kornhaus, Milcherei – Darüber mußte er Verwaltung pflegen Und laut Kontrakt alljährlich Rechnung legen, Seitdem sein Brodherr zwanzig Jahr alt war, Und immer stimmt' es ohne Rest auf's Haar. Nicht wagten Büttel, Hirt noch Knecht zu sagen, Was er mit List und Ränken unterschlagen; So lebten sie vor ihm in Angst und Graus. Er hatt' auf einer Haid' ein schönes Haus; Von Bäumen grün umschattet war der Ort. Er kaufte immer besser als sein Lord. Er war mit eignem Vorrath wohl versehn, Verstand dem Herrn fein um den Bart zu gehn Und lieh und gab ihm von dem eignen Gut, Nahm Dank dafür und doch noch Rock und Hut. Ein gut Geschäft lernt' er in jungen Jahren: Er war im Zimmerhandwerk wohl erfahren. Auf einem Apfelschimmel kam er an, Auf einem tücht'gen Gaul. Scott hieß der Mann. Er ritt in langem blauen Oberkleide Und trug ein altes Schwert mit rost'ger Schneide. Von Norfolk war er, wie mir wohl bekannt, Aus einer Stadt, die Baldeswell genannt. Er war geschürzt gleich einem Klostermann Und ritt im Zuge immer hintenan.

Der Büttel dann vom geistlichen Gericht Mit feuerrothem Cherubimsgesicht, Die Augen klein, die Haut unrein und grützig; Kein Sperling war so lüstern und so hitzig. Mit schäb'gem Bart und kahlen Augenbraun War sein Gesicht der Kinder Schreck und Graun. Nicht Schwefel, Bleiweis, Tartarustinktur, Nicht Borax und Latwerge noch Merkur, Noch all die Salben, die am schärfsten ätzen, Konnten die Mäler aus dem Antlitz wetzen Oder die dicken Beulen von den Backen. Er mochte gern sich Lauch und Zwiebeln hacken Zum Wein; er liebt' ihn stark und roth wie Blut; Dann schwadronirt' und schrie er wie in Wuth. Und war er erst recht voll von süßem Wein, Dann sprach kein andres Wort er als Latein. Zwei bis drei Phrasen hatt' er wo erwischt, Die wurden stets von neuem aufgetischt. Kein Wunder; hört' er's doch den ganzen Tag. Ihr wißt ja wohl, auch eine Elster mag Gelehrt parliren just wie ein Prälat. Doch wenn man ihm ein wenig näher trat, Dann war auch gleich zu Ende sein Latein; Dann konnt' er nur: Quaestio quid juris? schrein. Er war ein höflich, freundlich Stück Gesinde, Ich zweifle, daß man einen bessern finde. Er ließ auch gerne für ein Fläschchen Wein Bei lust'gen Burschen fünfe grade sein, Hielt Einer auch ein Jahr bei sich 'nen Schatz. Ganz insgeheim rupft' er auch einen Spatz: Er sagte wohl zu lustigen Gesellen: »Ihr müßt euch nicht gleich so gefährlich stellen, Wenn wirklich auch es Kirchenflüche blitzt – Wenn nicht die Seel' euch in der Börse sitzt. Die Börse freilich ist die Marterstelle, Die Börs' ist des Archidiakon's Hölle.« Doch das sind lügnerische Prahlerein: Vor Flüchen muß in Angst ein Sünder sein. Ein Fluch verdammt, wie Segnungen erlösen. Auch ein Significavit ist vom Bösen.

Auf seine eigne Trift nahm er die Schaar Der jungen Dirnen, droht' einmal Gefahr, Und gerne ward sein guter Rath benutzt. Mit einem Kranz hatt' er sein Haupt geputzt, So groß wie man sie sieht an Bierhausladen, Und statt des Schildes trug er einen Fladen.

Mit ihm kam auch der Ablaßkrämer an Von Ronceval, sein Freund und sein Kumpan. Er war aus Rom gekommen noch nicht lange Und sang: »Komm, Liebe, daß ich dich umfange!« Der Büttel ließ dazu den Grundbaß brummen, Dagegen jede Orgel muß verstummen. Des Krämers Haar – es war so gelb wie Wachs – Hing schlaff in Streifen wie gekämmter Flachs. Lothweise ließ er es von beiden Seiten Sich über seine Schultern hin verbreiten. Dünn lag es, hie und da ein kleiner Zopf; Aus Eitelkeit blieb unverhüllt sein Kopf. Die Schaube lag verpackt im Mantelsack. Er meint', er ritt' im neuesten Geschmack. Auf losem Haar saß nur die Mütze trotzig; Er hatte Hasenaugen, starr und glotzig. Ein heil'ges Schweißtuch hatt' er angesteckt. Sein Mantelsack lag vor ihm ausgestreckt Randvoll von röm'schem Ablaß, frisch und heiß. Ein feines Stimmchen hatt' er wie 'ne Geiß. Von seinem Barte wurd' er nicht genirt; Er war so glatt, als wär' er erst rasirt. Ein Wallach war er oder eine Stute. Doch sein Geschäft war auf der ganzen Route Von Berwick bis nach Ware weitaus das beste. Aus eines alten Bettbezuges Reste Macht' er den Schleier, den Maria trug. Ein Stück auch zeigt' er von dem Segeltuch, Womit St. Petrus auf dem Meere ging, Bis Christus ihn in seinem Arm empfing. Er hatt' ein Kreuz von Tomback voll von Steinen, In einem Glase Knochen auch von Schweinen. Mit den Reliquien, wenn fern im Land Er einen armen Pfarrer wohnen fand, Nahm er mehr Geld ab solchem armen Mann, Als jener in zwei Monaten gewann. So machten Trug und Faxen solches Laffen Den Pfarrer und das Volk zu seinem Affen. Er war gleichwohl, die Wahrheit zu gestehn, Als Prediger berühmt und angesehn. Er las geschickt Episteln und Historien Und sang am allerbesten Offertorien. Er wußte wohl, daß gleich nach dem Gesang Die Predigt folgt, und gierig nach dem Klang Des Silbers wetzt' er kräftig seine Zunge Und sang sein Lied in lautem kräft'gem Schwunge.

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So gab ich euch denn in der Kürze kund Den Stand, die Tracht, die Zahl und auch den Grund, Warum zu Southwark solcher Gäste Schaar Versammelt in der netten Schenke war, Die » Heroldsrock« man nennt; sie liegt ganz dicht Neben der Glocke. Jetzt geb' ich Bericht, Wie wir, nachdem wir eingekehrt, die Nacht Im Wirthshaus mit einander zugebracht. Hernach erzähl' ich dann von unsrer Reise Und unsrer ganzen Wallfahrt Art und Weise. Doch bitt' ich erst von eurer Höflichkeit, Daß ihr es nicht als Ungezogenheit Mir auslegt, muß ich euch ganz einfach sagen, Wie Jeder sprach und wie er sich betragen, Und halt' ich treu an ihre Worte mich; Denn selber wißt ihr ja so gut wie ich, Daß, wenn man einem Andern nacherzählt, Man pflichtgemäß dieselben Worte wählt Wie Jener und sich möglichst an ihn lehnt, Und spräch' er noch so roh und lang gedehnt. Sonst müßte man die Wahrheit ja verhehlen, Vieles erfinden oder neu erzählen. Auch nicht dem eignen Bruder zu gefallen Verschweige man ein einzig Wort von allen. Selbst Christus in der heil'gen Schrift sprach breit Und sicher nicht aus Unbeholfenheit. Auch Plato sagt (für die, so ihn verstehn): Verschwistert müssen Wort' und Thaten gehn. Und ferner bitt' ich, mir es zu vergeben, Hab' ich nicht Jedem seinen Platz gegeben, Der ihm gebührt nach Rang und Würdigkeit; Denn leider reicht mein armer Witz nicht weit.

Der Wirth hatt' es uns recht bequem gemacht Und uns alsbald das Abendbrod gebracht. Die Speisen waren sämmtlich von den besten; Der Wein war stark und schmeckte gut den Gästen, Und unser Wirth nahm stattlich gnug sich aus Für einen Marschall im vornehmsten Haus. Von breitem Wuchs, mit steifem Augenpaar; Kein schmuckrer Bürger ist in Chepe fürwahr. Keck war sein Wort und klug und wohl durchdacht; Nichts fehlt' ihm, was den Mann zum Manne macht.