Die Canterbury-Erzählungen - Geoffrey Chaucer - E-Book
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Geoffrey Chaucer

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Beschreibung

Die Canterbury-Erzählungen sind in eine Rahmenhandlung eingebunden, die von einer Pilgergruppe auf ihrem Weg von Southwark, einem Vorort von London, nach Canterbury handelt, wo sie das Grabmal von Thomas Becket in der Kathedrale von Canterbury besichtigen wollen. Der Wirt des Tabard Inn schlägt den dreißig Pilgern vor, auf dem Hin- und Rückweg je zwei Geschichten zu erzählen, und verspricht dem besten Erzähler als Preis eine Gratismahlzeit. Die Themen der Erzählungen variieren, handeln von der höfischen Liebe, von Verrat und Habsucht. Die Genres variieren ebenso, es gibt Romanzen, bretonische Lai (kurze rhythmische Erzählungen), Predigten und Fabeln. Die im Prolog eingeführten Figuren erzählen Geschichten von höchster kultureller Relevanz. Geoffrey Chaucer (1343-1400) war ein englischer Schriftsteller und Dichter, der als Verfasser der Canterbury Tales berühmt geworden ist.

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Geoffrey Chaucer

Die Canterbury-Erzählungen

Berühmte mittelalterliche Geschichten von der höfischen Liebe, von Verrat und Habsucht

Books

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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-0827-2

Inhaltsverzeichnis

Erster Theil
Der Prolog
Die Erzählung des Ritters
Der Prolog des Müllers
Die Erzählung des Müllers
Der Prolog des Landverwalters
Die Erzählung des Landverwalters
Der Prolog des Kochs
Die Erzählung des Kochs
Der Prolog des Gechtsgelehrten
Die Erzählung des Gechtsgelehrten
Der Prolog des Schiffers
Die Erzählung des Schiffers
Der Prolog der Priorin
Die Erzählung der Priorin
Prolog zu Sire Thopas
Der Keim von Sire Thopas
Der Prolog zu Melibeus
Die Erzählung von Melibeus
Der Prolog des Mönches
Die Erzählung des Mönches
Der Prolog des Nonnenpriesters
Die Erzählung des Nonnenpriesters
Verbindungs-Prolog
Der Prolog des Weibes von Bath
Die Erzählung des Weibes von Bath
Der Prolog des Bettelmönches
Die Erzählung des Bettelmönches
Der Prolog des Büttels
Die Erzählung des Büttels
Zweiter Theil
Der Prolog des Klerk
Die Erzählung des Klerk
Der Prolog des Kaufmanns
Die Erzählung des Kaufmanns
Der Prolog des Junkers
Die Erzählung des Junkers
Der Prolog des Freisassen
Die Erzählung des Freisassen
Der Prolog des Doctors
Die Erzählung des Doctors
Der Prolog des Ablaßkrämers
Die Erzählung des Ablaßkrämers
Die Erzählung der zweiten Nonne
Der Prolog des Dienstmannes vom Kanonikus
Die Erzählung des Dienstmannes vom Kanonikus
Der Prolog des Tafelmeisters
Die Erzählung des Tafelmeisters
Der Prolog des Pfarrers
Die Erzählung des Pfarrers

Erster Theil

Inhaltsverzeichnis

Der Prolog.

Inhaltsverzeichnis

Vers 1–860.

Wenn milder Regen, den April uns schenkt, Des Märzes Dürre bis zur Wurzel tränkt, In alle Poren süßen Saft ergießt, Durch dessen Wunderkraft die Blume sprießt; Wenn, durch des Zephyrs süßen Hauch geweckt, Sich Wald und Feld mit zartem Grün bedeckt; Wenn in dem Widder halb den Lauf vollzogen, Die junge Sonne hat am Himmelsbogen; Wenn Melodieen kleine Vögel singen, Die offnen Augs die ganze Nacht verbringen, Weil sie Natur so übermüthig macht: – Dann ist auf Wallfahrt Jedermann bedacht, Und Pilger ziehn nach manchem fremden Strande Zu fernen Heil'gen, die berühmt im Lande; In England aber scheint von allen Enden Nach Canterbury sich ihr Zug zu wenden, Dem heil'gen Hülfespender aller Kranken, Dem segensvollen Märtyrer zu danken.

Zu dieser Zeit geschah's, als einen Tag Zu Southwark ich im Tabard rastend lag – Bereit mit andachtsvollem, frommem Sinn Zur Pilgerfahrt nach Canterbury hin – Daß Abends langte dort im Gasthof an Wohl eine Schaar von neunundzwanzig Mann Verschiednen Volkes, das durch Zufalls Spiel Zusammenwarf das gleiche Wallfahrtsziel; Nach Canterbury reiten wollten Alle.

Raum gab's genug im Hause wie im Stalle Und Jeder fand sein gutes Unterkommen.

Und kurz, als kaum die Sonne war verglommen, Hatt' ich gesprochen schon mit Jedermann Und zur Genossenschaft zählt' ich fortan. Früh galt es aufzustehn, um mit den Andern Des Weges zum besagten Ziel zu wandern.

Indessen, da mir Zeit und Raum nicht fehlt, Und eh' der weitere Verlauf erzählt, So denk' ich, daß es der Vernunft entspricht, Wenn ich zunächst beginne den Bericht, Wer sie und was sie waren und, soweit Ich solches sehen konnte, wie das Kleid Und was der Rang und Stand war eines Jeden. Und drum vom Ritter will zuerst ich reden.

Es war ein Ritter da, ein würd'ger Mann, Der, seit den ersten Kriegsritt er begann, Von Herzen liebte Ritterthum und Streit Und Freimuth, Ehre, Wahrheit, Höflichkeit, Und tapfer focht im Dienste seines Herrn. Geritten war wohl Keiner je so fern Wie er in Christenland und Heidenthum, Und überall gewann er Preis und Ruhm.

Bei der Erobrung Alexandrias War er zugegen. Oft bei Tafel saß Vor allem Volk er obenan in Preußen; Gereist, wie er, bei Letten und bei Reussen War kaum ein Christenmensch von seinem Stand. Er war in Granada, als man berannt Dort Algesir. Er ritt nach Belmarie Und focht vor Layas und vor Satalie, Als man sie einnahm; und im großen Meere Bestand er manche Waffenthat mit Ehre. In funfzehn blut'gen Schlachten focht der Ritter, Bei Tramissene für den Glauben stritt er In drei Turnieren und erschlug den Feind; Wie mit Palathias Herrscher auch vereint Der tapfre Ritter manchen Kampf bestand Mit andern Heiden aus dem Türkenland. Den höchsten Preis gewann er immerdar; Und ob so würdig er, wie weise, war, Betrug er sich doch sanft wie eine Maid. Er sagte nimmer eine Schlechtigkeit Zu irgend wem in seinem ganzen Leben. Er war ein durchaus edler Ritter eben.

Um auch von seinem Anzug zu berichten: Gut sah sein Pferd aus, doch er selbst mit Nichten. Sein Wappenrock war nur von Barchenttuch Und durch den Harnisch schmutzbedeckt genug; Denn eben von der Reise heimgekommen Hatt' er sofort die Wallfahrt unternommen.

Sein Junker Sohn zog mit ihm als Begleiter, Ein lust'ger Bursche, so verliebt, wie heiter. Von krausen Locken war sein Haupt umwallt, Und zwanzig Jahre war er – denk' ich – alt. Sein Körper war vom reinsten Ebenmaß. Viel Stärke, viel Gewandtheit er besaß. Auf Ritterfahrt zog mehrfach er schon früh Nach Artois, Flandern und der Picardie, Und hielt sich brav im kurzen Kampf. Sein Sinnen War seiner Dame Gunst sich zu gewinnen.

Wie eine Wiese, wo zur Frühlingszeit Sich roth und weiß an Blume Blume reiht, War er geschmückt, und, heiter wie der Mai, Sang er und pfiff den ganzen Tag dabei. Sein Rock war kurz, die Aermel weit und lang, Kein bessrer Reiter auf ein Roß sich schwang; Gewandt war er in schriftlichen Berichten, Im Zielen, Zeichnen, Tanzen, Liederdichten; Und liebesbrünstig hatte manche Nacht Er schlaflos wie die Nachtigall durchwacht. Dienstwillig war er, höflich und bescheiden; Am Herrentisch durft' er den Braten schneiden.

Nur einen Knappen nahm auf seinen Ritt Zur Zeit nach Neigung er an Dienern mit. Sein Rock und Hut bestand aus grünem Tuch, Und in dem Gurt er einen Köcher trug Voll Pfauenfeder-Pfeilen. Sicher nahm Er stets sein Ziel, so daß kein Bolzen kam Mit seinem Federend' voran geflogen. In Händen hielt er einen mächt'gen Bogen; Nußköpfig war er und sehr braun gebrannt, Und Eisenschienen schützten Arm und Hand. In jeder Jagdkunst war er wohl bewährt; Auf einer Seite trug er Schild und Schwert, Und auf der andern einen Dolch von Schliff Scharf wie ein Speer und wohlverziert am Griff. Ein Silber-Christoph schmückt' die Brust ihm vorn, An grüner Banderolle hing sein Horn. Ein Förster war er – trügt mich nicht mein Sinn.

Da war auch eine Nonnen-Priorin, Scheu lächelnd und von schüchterner Natur. »Bei St. Eligius!« war ihr stärkster Schwur, Und Madam Eglantine war ihr Name. Gar lieblich durch die Nase sang die Dame Beim Gottesdienst. Französisch sprach sie so Gewandt, wie immer Stratfort-atte-Bow Es lehren kann; jedoch sie wußte nicht, Wie in Paris man das Französisch spricht. Beim Essen war besonders sie beflissen Der größten Sauberkeit, und jeden Bissen Führte sie so zu Mund, daß ihren Lippen Kein Stück entfiel. Die Finger einzustippen In ihre Brühe, fiel ihr niemals ein. Die Oberlippe wischte sie so rein, Daß in dem Becher nie von Fett die Spur, Und zu verschütten einen Tropfen nur Von ihrem Trunke war sie zu manierlich; Und nach der Mahlzeit rülpste sie höchst zierlich; Gewiß, sie war von liebenswürd'ger Güte, Gefäll'gem Sinn und heiterem Gemüthe. Viel Mühe gab sie sich, zu imitiren Den Hofton, und durch stattliche Manieren Als würdevoll zu gelten und geachtet. Doch ihre Seele sei nunmehr betrachtet: Mitleid und Güte sie so sehr vereinte, Daß sie beim Anblick eines Mäuschens weinte, Lag's in der Falle blutend oder todt. Wenn von den Hündchen, die mit Semmelbrod Und Bratenfleisch und süßer Milch sie nährte, Eines verreckt war, oder mit der Gerte Geschlagen wurde, weinte sie vor Schmerz. So voller Zartgefühl war sie und Herz.

Stets steckte sie ihr Busentuch genau; Lang war die Nase; ihre Augen grau. Ihr Mund war schmal mit einem Lippenpaar Von sanftem Roth. Die schöne Stirne war Der Breite nach wohl eine Spanne lang, Und sicher, stattlich war ihr Wuchs und schlank.

Ihr Mantel – sah ich – stand ihr schmuck genug; Zwei Schnüre von Korallenperlen trug Sie an den Armen, grün mit Schmelz verziert Und goldnem Medaillon, auf dem gravirt Zu lesen stand: erst ein gekröntes A Und drunter: »Amor vincit omnia!«

Mit ihrem Priester reiste sie und mit Ihrer Caplanin-Nonne zu selbstdritt.

Ein Mönch war da, ein würdiger Kumpan, Ein großer Jäger und ein Reitersmann, Ein ganzer Kerl, gemacht, um Abt zu werden. Gar wohl versehen war sein Stall mit Pferden; Saß er zu Rosse, wenn es windig war, So klirrten seine Zügel hell und klar, Als läutete die Glocke zur Kapelle, Woselbst der Herr Bewohner einer Zelle.

Die Regeln von St. Maur und Benedict Hielt dieser Mönch für reichlich all und strict; Weßhalb er sich mit ihnen nicht befaßte, Und seinen Schritt der neuen Welt anpaßte.

Kein Hühnerbein gab er für die Maxime, Daß Jägerei der Geistlichkeit nicht zieme, Und was dem Fisch das nasse Element, Sei für den Mönch die Regel im Convent, Das heißt: in seinem Kloster sei sein Platz. Doch keine Auster gab er für den Satz. Und ich kann ihm die Ansicht nicht verübeln. Was? sollt' er etwa denn verrückt sich grübeln, In seinem Kloster über Büchern sitzen, Gar bei der Arbeit seiner Hände schwitzen, Wie Augustin befiehlt? – Die Welt muß treiben Und Augustin mag bei der Arbeit bleiben!

Darum gebraucht' er seine Sporen tüchtig; Windhunde hielt er, wie die Vögel flüchtig; Das Reiten war ihm und das Hasenhetzen Das nie zu theure, liebste Hochergötzen.

Die Aermel – sah ich – hatt' er an der Hand Verbrämt mit feinstem Pelzwerk aus dem Land, Seine Kapuze schloß er unterm Kinne Mit einer wunderlichen, goldnen Pinne, An der als Knopf ein Liebesknoten saß.

Rund war sein Schädel und so blank wie Glas, Und fettig glänzten seine Wangen auch; Ein feister Herr war er und stark von Bauch. Sein rollend Augenpaar lag tief im Hirne, Und wie ein Kessel dampfte sein Stirne.

Die Stiefel waren weich, und herrlich glänzte Sein Roß. Kein angstgequältes, bleich Gespenste Konnt nennen man den trefflichen Prälaten; Ein fetter Schwan war ihm der liebste Braten, Und brombeerfarben sah sein Leibroß aus.

Ein Bettelmönch, ein liederliches Haus, War gleichfalls da. Es stand der würd'ge Mann In den vier Orden Jedem weit voran, Was Scherz betraf und schöne Redensart.

Auf eigne Kosten war von ihm gepaart Wohl manches junge Weibsbild schon geworden, Und eine Zierde war er für den Orden.

Gar wohl beliebt und sehr genau bekannt War bei den Gutsbesitzern auf dem Land Und würd'gen Frauenzimmern in der Stadt er; Denn mehr Gewalt in seiner Beichte hatt' er – So sprach er selbst – als ein Vicarius hat. Von seinem Orden war er Licentiat. Gemüthlich war bei ihm die Confession, Und angenehm gab er Absolution. Leicht war die Buße, die er zudictirte, Vorausgesetzt, daß man ihn reichlich schmierte. Denn Geld zu geben einem armen Orden, Beweist, daß gründlich abgebeichtet worden. Drum, gab man ihm, so durft' er auch verkünden, Er wisse, man bereue seine Sünden. Denn mancher Mann ist also hart von Herzen, Daß er nicht weinen kann bei seinen Schmerzen. Drum laßt das Beten und die Heulerei, Und Silber gebt der armen Klerisei!

Messer und Nadeln trug er stets zum Putze Für schöne Frau'n im Zipfel der Kapuze; Und, wahrlich, lustig seine Stimme klang; Auch spielte schön die Leier er und sang; Im Liebeslied gewann er stets den Preis.

Sein Hals war wie die fleur de lis so weiß. Dazu war er ein starker Pokulante, Der in den Städten jedes Wirthshaus kannte; Mehr lag der Zapfer und die Kellnerin Als Kranke oder Bettler ihm im Sinn.

Für solchen würd'gen Mann schien's zu gemein Und gänzlich unter seinem Stand zu sein, Mit so aussätz'gem Volk sich zu beschmutzen; Denn das bringt wenig Ehre, wenig Nutzen. Statt mit Gesindel pflegt man angenehmern Verkehr mit reichen Leuten und mit Krämern.

Doch wenn es Vortheil brachte, so war keiner Je dienstbefliss'ner oder tugendreiner Und höflicher als er. In dem Convente War er der beste Bettler. Eine Rente Zahlt er dem Kloster für das Privileg, Daß ihm kein Bruder käm' in sein Geheg'; Und hörte seinem »In principio« zu Die ärmste Wittwe mit nur einem Schuh, So war gewiß ihr letzter Heller sein; Und mehr als seinen Pachtzins heimst' er ein.

Oft war er wie ein wildes Raubthier wüthig, Oftmals an Friedenstagen half er gütig; Nicht, wie beim Klausner und Scholasten, schäbig War seine Kleidung; ebenso behäbig Im Anzug war er, wie ein Papst und Meister; In doppelt-wollener Kapuze reist' er, Die wie die neugegossne Glocke rund; Und liebeslüstern lispelte sein Mund, Damit sein Englisch süß und zierlich klänge. Beim Harfenspiel am Schlusse der Gesänge Pflegten im Kopf die Augen ihm zu funkeln, Wie Sterne bei der Winterszeit im Dunkeln.

Des Bettelmönches Name war Hubert. –

Ein gabelbärt'ger Kaufmann, hoch zu Pferd, War gleichfalls da. Er trug sich buntgescheckt, Den Kopf mit einem Biberhut bedeckt Aus Flandern; seine Stiefel paßten prächtig; Und, was er sprach, klang ernsthaft und bedächtig. Auf Geldverdienst war immerdar bedacht er Und wünschte nur, daß etwas unbewachter Die See von Middelburg bis Orewell sei. Mit wälschen Thalern trieb er Wechselei.

Der würd'ge Mann war klug und voll Verstand, Und Niemand wußte, wie sein Schuldbuch stand. Er paßte scharf in seinem Handel auf, Beim Abschluß von Verträgen, wie beim Kauf. Für einen Ehrenmann galt er bei Allen, Doch leider ist sein Name mir entfallen.

Es war noch ferner ein Gelehrter dort, Der Logik lang' studirt in Oxenford. Er ritt auf einer klapperdürren Mähre, Und auch er selbst war nicht sehr fett – auf Ehre! – Hohläugig war er, doch voll Nüchternheit, Und fadenscheinig war sein Oberkleid.

Nicht weltlich von Gesinnung, hatt' er drum Auch weder Amt noch Beneficium. Mehr liebt er zwanzig Bücher überm Bette, In schönem Einband auf dem Bücherbrette, Von Aristoteles Philosophei, Als Kleiderpracht, Musik und Fidelei. Jedoch ein so gelehrter Philosoph er, Hatt' er nur wenig Gold in seinem Koffer, Da Alles, was von Freunden ihm gespendet, Zum Studium er und Bücherkauf verwendet. Doch unermüdlich pflegt' er Gott zu bitten Für die, so sein Scholastenthum bestritten. In seinen Studien sorgsam und verständig, Sprach er kein Wort mehr, als durchaus nothwendig. Kurz und bestimmt, jedoch gewählt zugleich War seine Rede und gedankenreich, Und stets kam die Moral dabei zu Ehren. Er lernte gern, und gerne mocht' er lehren,

Ein weiser und gelehrter Justitiar, Der schon auf manchem Rechtsparkette war, Ritt gleichfalls mit. Bei aller Trefflichkeit War er voll Rücksicht und Bescheidenheit, Wie seine weisen Worte dies bewiesen. Oft war er schon zum Richter der Assisen Durch Vollmacht oder Commission ernannt. Bei seinem Wissen, seinem Ruf verstand Er auf den Gelderwerb sich unvergleichlich, Und Kleider, wie Gebühren hatt' er reichlich. Als simple Spesen strich er Alles ein, Von dem Verdacht der Käuflichkeit ganz rein.

Er hatte viel zu thun, und schien sogar Geschäftiger, als er beschäftigt war; Und alle Rechtsentscheidungen und Fälle Seit König Will citirt' er auf der Stelle. Im Actenschreiben war er so präcis, Daß sich nicht drehn daran noch deuteln ließ. Ein jegliches Statut war ihm bekannt. Ein schmalgestreifter Seidengurt umwand Sein Kleid, das bunt gescheckt war, doch höchst schlicht, Und mehr erzähl' ich von dem Anzug nicht.

Ein Gutsherr zählte ferner zu dem Kreis. Sein Bart war wie die Gänseblumen weiß, Von Ansehn war sanguinisch er und roth; Gern trank er Wein zu seinem Morgenbrod. Sein Leben zu genießen, dacht' er nur, Ganz wie ein ächter Sohn vom Epikur, Nach dessen Meinung eben im Vergnügen Des Lebens höchste Seligkeiten liegen. Groß war sein Haushalt, und an Gastlichkeit Galt als ein St. Julian er weit und breit. Nach ein Uhr nahm er Brod und Bier erst ein, Und Niemand war so wohlversehn mit Wein. Es ging an Fisch und Fleisch in seinem Haus Wie an Gebäck der Vorrath niemals aus. An Speise, Trank und allen Leckereien, Die zu erdenken, schien es nur zu schneien. Verschieden und der Jahrszeit angemessen War stets sein Braten und sein Abendessen. Manch fettes Rebhuhn hielt im Bauer er, An Hecht und Bars war nie sein Kasten leer, Weh' seinem Koche! wenn die Brühe nicht Scharf und pikant und schmackhaft das Gericht. Gedeckt vom Morgen bis zum Abend stand Stets sein Credenztisch an der Hallenwand. In den Sessionen war er Präsident, Grafschafts-Vertreter oft im Parlament. An seinem Gürtel, weiß wie Milch am Morgen, Hing Dolch und Seidenbörse wohl geborgen; Auch war, als würd'ger Freisaß rings bekannt, Zum Obmann er und Scherif oft ernannt.

Ein Weber, Tapezirer, Zimmermann, Ein Färber und ein Krämer kamen dann. Bei ihnen, wies die Gildetracht es klar, Daß hochansehnlich Aller Innung war. Der Spieße Spitzen waren blank polirt; Mit reinstem Silber waren rings verziert Die Gürtel sammt den Taschen, die dran hingen, Und auch von Blech nicht ihre Messerklingen. Behäb'ge Bürger schienen sie, und Alle Des Thrones werth in ihrer Gildehalle; Und dem Verstande nach war Jedermann Befähigt sicherlich zum Aldermann; Und ihre Weiber liebten es zu zeigen, Daß reichlich Gut und Renten Jedem eigen; Sonst müßte man sie ernstlich darob schelten; So schön es sein mag, als »Madam« zu gelten, Und wenn zu den Vigilien man voran Im reichen Mantel fürstlich gehen kann.

Sie ließen sich von einem Koch begleiten, Die Mark- und Hühnersuppen zu bereiten Nebst Poudremarchant, Galingale und Torten. Vom Bier in London kannt' er alle Sorten. Er schmorte, briet, sott, röstete höchst lecker, Er war Mortreusen- und Pastetenbäcker. Indeß entstellte – denk' ich – ihn fatal An seinem Kinn ein großes Muttermal. Auf Blancmanger verstand er sich am besten.

Auch war ein Schiffer da, ganz aus dem Westen; Soviel ich weiß, war er von Dertmouth her. Auf einem magern Klepper ritt er sehr Beschwerlich nur. Bis an die Kniee ging Sein Faltenrock, und unterm Arme hing Sein Dolch, gehalten durch ein Schulterband, Und von der Sonne war er braun gebrannt. Er war gewiß ein wackerer Kumpan, Der von Bordeaux-wärts manchen Schluck gethan, Sobald der Supercargo lag im Schlummer; Und sein Gewissen schuf ihm wenig Kummer. Wenn er im Streit den Gegner überwand, So sandt' er ihn durchs Wasser an das Land; Doch wußte zu berechnen er die Fluthen Und Mond- und Sonnenhöhe. Solchen guten Lotsen, wie ihn, bei Strömung und am Strand Man von Karthago bis nach Hull nicht fand. Er war – auf Ehre! – so beherzt, wie klug Und seinen Bart durchzauste Sturm genug. Von Gothland bis zum Finisterra Cap War ihm jedwede Bucht, die es nur gab, Im Spanier- und Bretagnerland bekannt, Und »Magdalene« ward sein Schiff genannt.

Ein Arzt war da, Doctor der Medicin; In aller Welt gab's Keinen je, wie ihn, Was die Arznei betrifft und Chirurgie. Er kannte gründlich die Astronomie, Und manche Lebensstunden konnten danken Seiner natürlichen Magie die Kranken. Auch konnte durch Constellation von Sternen Er der Patienten Ascendenten lernen. Er wußte, wo der Grund der Krankheit sitze, Ob sie durch Dürre, Nässe, Kälte, Hitze Entstanden sei und in das Blut gekommen; Als Praktiker war er durchaus vollkommen. Sobald der Krankheit Wurzel er erkannt, War er sofort mit Mitteln bei der Hand. Die Apotheker sandten für die Curen Ihm willig die Latwergen und Mixturen; Denn neu war nicht die Freundschaft zwischen ihnen; Der eine gab dem andern zu verdienen.

Er kannte gründlich Dioscorides, Den alten Aesculap, Hippokrates, Und Rufus, Hali, Rasis, Avicen, Galen, Serapion und Damascen, Den Averhoës und den Konstantin Nebst Bernhard, Gatisden und Gilbertin. In der Diät hielt er aufs rechte Maß, Den Ueberfluß vermied er, doch besaß Stets seine Nahrung Kraft und war verdaulich.

Das Bibelstudium schien ihm nicht erbaulich. Er ritt in einem roth und blauen Kleide, Mit Taffetas gefüttert und mit Seide. Doch war er kein Verschwender, und hielt fest, Was er gewonnen hatte bei der Pest. Herzstärkende Arznei ist Gold, und drum Liebte das Gold er als Specificum.

Ein gutes Weib aus Bath zog ferner mit; Doch schade war, daß am Gehör sie litt. Im Tücherweben man wohl keine Hand In Gent und Ypern je geschickter fand. Kein Weib im ganzen Kirchspiel durfte wagen Den Vortritt ihr beim Opfern zu versagen, Denn ihre Liebe war in diesem Falle Sofort dahin vor lauter Gift und Galle. Vom feinsten Stoff trug einen Schleierbund Sie Sonntags auf dem Kopfe, der ein Pfund Und selbst darüber wog, bei meiner Treu!

Die scharlachrothen Strümpfe waren neu, Und glänzten frisch und saßen eng und gut. Kühn von Gesicht und schön wie Milch und Blut, War sie ein wackres Weib, das ihrer Zeit Fünf Männer an der Kirchenthür gefreit, – Die Jugendfreunde dabei ungezählt, Die zu erwähnen der Beruf mir fehlt. – Hin nach Jerusalem zum heil'gen Land War dreimal sie gepilgert. Auch bekannt War ihr Santiago in Galizia, Rom, Boulogne, Köln und mancher fremde Strom; Und auf der Wandrung lernte sie nicht wenig. Doch, leider Gottes, war sie ziegenzähnig. Auf ihrem reichgeschirrten Zelter ruhte Sie höchst bequem, bedeckt mit einem Hute Wie eine Tartsche, wie ein Schild so groß, Und ihre weiten Hüften rings umschloß Ein Ueberwurf. Die Sporen waren spitzig, Und in Gesellschaft war sie scharf und witzig. Viel Liebesmittel waren ihr bekannt, Den alten Tanz sie kunstgerecht verstand.

Es kam ein Pfarrer aus der Stadt sodann, Ein gottesfürcht'ger und gelehrter Mann, Zwar arm nur, doch an heiligen Gedanken Und guten Werken reich; und ohne Wanken Hielt er an Christi Wort und bracht's zu Ehren In der Gemeinde durch sein treues Lehren.

Die Güte selbst war er und hülfsbereit Und voll Geduld in Widerwärtigkeit, Wie er gezeigt in manchen schweren Proben. Beim Zehntensammeln pflegt' er nicht zu toben. Er hätte lieber – ohne alle Frage – Vom Opfergeld und Naturalertrage Den Armen seines Kirchspiels abgegeben; Denn er bedurfte wenig nur zum Leben. Groß war sein Sprengel und weit abgelegen Die Häuser! aber Donner nicht noch Regen Hielt ihn zurück. Rief Krankheit oder Leid, So waren Haus und Hütte nie zu weit Für seine Füße und für seinen Stab. Das beste Beispiel er den Schafen gab, Da er sein Wort stets durch die That bewährte, Wie ihn sein heilig Evangelium lehrte. Er führte häufig auch das Gleichniß an: Will Gold schon rosten, was thut Eisen dann? Denn ist ein Priester, dem wir traun, nicht rein So ist's kein Wunder, daß voll Rost die Lai'n; Und Schmach den Priestern, die sich sagen müssen: Rein sind die Schafe, doch ihr Hirt beschissen! Ein Priester sollte für der Heerde Leben Durch eigne Reinheit stets das Beispiel geben.

Daß er die Pfarre Miethern überwies, Im Sumpfe seine Schafe stecken ließ, Damit in London etwa als ein fauler Chorherr im Dome lebe von St. Paul er, Und Mitglied einer Brüderschaft gar werde, Fiel ihm nicht ein. Er weidete die Heerde Mit eigner Hand, daß sie kein Wolf beirrte; Er war kein Miethling – nein, ein guter Hirte. Obschon ein tugendhaft'ger, heil'ger Mann, Nahm er sich freundlich doch der Sünder an, Er predigte nicht pomphaft, noch vulgär, Nein, liebereich und anstandsvoll vielmehr. Das Volk durch Güte himmelwärts zu ziehn Und eignes Beispiel war sein stetes Müh'n. Doch wenn sich Jemand sündlich widersetzte – War er im Rang der erste oder letzte – So kanzelt' er ihn ganz gehörig ab. Der beste Priester war er, den es gab, Der nicht nach Pomp und äußer'n Ehren geizte, Sich nie in süßem Selbstbewußtsein spreizte, Doch Christi und der Jünger Wort so ehrte, Daß er es erst befolgte und dann lehrte.

Ein Ackersmann war da, des Pfarrers Bruder, Von Dünger lud er manches liebe Fuder, Ein treuer Quäler, voller Herzensgüte, Mildthätigkeit und friedlichem Gemüthe. Er liebte Gott von seinem ganzen Herzen Und alle Zeit, in Freuden wie in Schmerzen, Und seinen Nächsten wie sich selbst. Bereit, Zu graben, pflügen, dreschen jeder Zeit, War er für jeden Armen, alle Schwache Ganz unentgeltlich, nur für Christi Sache. Er zahlte stets zur rechten Zeit die Heuer An Vieh und Korn und Früchten in der Scheuer. Auf einer Stute ritt er und im Kittel.

Ein Ablaßkrämer, Tafelmeister, Büttel, Ein Müller, ein Verwalter kamen dann; Zum Schluß ich selber, als der letzte Mann.

Der Müller war ein derber Kerl und stark An Muskeln und an Knochen voller Mark. Davon gab jeder Ringkampf den Beweis, Denn stets gewann den Hammel er als Preis. Mit seinem Kopf durchstieß er jedes Thor Und hob es aus den Angeln rasch empor. Stark in den Schultern war er, knorrig, knuppig; Breit wie ein Grabscheit, schweinemäßig struppig Und fuchsroth war sein Bart; und im Besitze Von einer Warze war die Nasenspitze; Ein Büschel Haare wuchs daraus empor, Wie gelbe Borsten aus dem Schweineohr. Groß war der schwarzen Nasenlöcher Weite; Ein Schwert nebst Schild trug er an seiner Seite; Von Umfang wie ein Ofen war sein Mund. Ein Goliarde war er, Prahlhans und Ein Zotenreißer, stahl vom Korn und maß Den Mahlsatz dreifach; aber er besaß Dabei – Pardi! – den goldnen Müllerfinger. In weißem Rock und blauer Mütze ging er. Schön pfiff er Dudelsack und blies darauf Uns aus der Stadt auf unsrer Reise Lauf.

Der Tafelmeister, der in einem Tempel Den Tisch versah, war Käufern ein Exempel, Wie beim Verproviantiren zu verfahren. Ob stückweis, ob im Ramsch er seine Waaren Erstehen mochte, er verstand die Sachen So einzurichten, rasch sein Glück zu machen. Nun, ist das nicht die schönste Gottesgabe, Daß solch' geringer Mann mehr Weisheit habe, Als wie ein Haufen hochgelehrter Geister? Wohl mehr als dreißig Herr'n am Tische speist er, Und im Gesetz erfahren waren alle. Ein Dutzend gab es sicher in der Halle, Die wohl befähigt waren, Gut und Land Von jedem Lord im ganzen Engeland Genau und ohne Schulden zu verwalten – Indessen selbstverständlich vorbehalten, Wenn er ein Filz war oder geistesschwach. – Woran es in der Grafschaft auch gebrach, An ihrem Rath gebrach's in keinem Falle; – Doch hielt zu Narr'n der Tafelmeister Alle.

Der glatt rasirte Landverwalter war Sehr mager und cholerisch, und sein Haar Trug wie ein Priester er ganz kurz geschoren Vorn an der Stirn und hinter beiden Ohren. Sehr lang und mager waren seine Beine, Gleich einem Stock, und Waden hatt' er keine. Ordnung hielt er in Scheunen und in Ställen; An seiner Rechnung etwas auszustellen Fand kein Revisor; und er schätzte leicht Den Saatertrag, ob's trocken oder feucht. Von Milchhaus, Fischteich und des Herren Heerden, Vorräthen, Schweinen, Federvieh und Pferden War dieser Mann ganz unumschränkt Verwalter, Seit sein Gebieter zwanzig Jahr an Alter. Er legte Rechnung an bestimmten Tagen, Und über Rückstand konnte Niemand klagen. Kein Vogt, kein Knecht, kein Hirt war ihm zu schlau; Denn ihre Schliche kannt' er so genau, Daß sie vor ihm mehr Furcht und Bangen hatten Als vor dem Tod. – In grüner Bäume Schatten Stand seine schöne Wohnung auf dem Felde. Er speculirte besser mit dem Gelde, Als sein Gebieter; denn in Heimlichkeit Gewann er viel. Doch war er schlau bereit, Davon auf Borg an seinen Herrn zu geben, Und hatte Dank und Rock und Hut daneben.

Er fing als Jüngling mit dem Handwerk an, Und galt als guter, tücht'ger Zimmermann.

Der Hengst, auf dem er saß, war schön von Bau, Sein Name Scott, die Farbe apfelgrau. Sein blauer Rock weit über's Knie ihm ging, Ein rostig Schwert an seiner Seite hing. Er war aus Norfolk her und zwar vom Land Nah' einer Stadt, die Baldeswell genannt, Und aufgeschürzt ganz wie ein Klostermann, Ritt er stets auf der Reise hintenan.

Mit feuerrothem Cherubim-Gesicht, Schmaläugig, finnig und mit Pusteln dicht Besä't, war noch ein Büttel mit am Platz, Und geil und lüstern war er, wie ein Spatz. Mit grind'gem Bart und räud'gen Augenbrauen, War sein Gesicht der Kinder Furcht und Grauen.

Quecksilber, Schwefel, Borax schlugen fehl, Ihm half nicht Bleiweiß, Glätte, Weinsteinöl, Und mochten Salben noch so beißend sein, Ihn konnte von dem Grinde nichts befrein Und von den Knubben, die er im Gesicht. Knoblauch und Zwiebeln war sein Leibgericht, Sein Lieblingstrank blutrother, starker Wein; Und wie verrückt, zu schwätzen und zu schrein Begann er dann, und wollte, wenn beim Zechen Er sich betrunken, nur Lateinisch sprechen. Er lernte – und kein Wunder war's – auswendig Zwei bis drei Redensarten, die beständig Er in Decreten angewendet fand. – Denn schwatzen kann, wie männiglich bekannt, Die Elster wie der Papst. – Doch unterfing Sich Jemand, tiefer ihn zu prüfen, ging So rasch zu Ende die Philosophie, Daß er nur: »Questio quid juris?« schrie.

Wohl selten fand man auf der Erde Rund Solch güt'gen Kerl und lieben Lumpenhund; Den guten Burschen wollt' bei wilden Ehen Ein ganzes Jahr er durch die Finger sehen, Gab man ihm nur ein Viertel Wein zu trinken. In aller Stille pflückt' er seine Finken. Er lehrte Leuten, die in solchen Lagen, Nicht ängstlich vor dem Erzdekan zu zagen, Und seiner Androhung des Kirchenbannes. Doch wenn am Beutel hing das Herz des Mannes, Büßte der Beutel, was der Mann gethan. »Denn unter Hölle meint der Erzdekan Den Beutel nur,« sprach – oder log vielmehr – er. In Schrecken vor ihm standen alle Schwörer. – Die Beichte rettet, doch der Fluch bringt Tod! Wohl dem, dem kein »Significavit« droht! –

Die Dirnen in der Diöcese standen Kraft seines Amts in seiner Hut, und fanden Bei ihm stets Rath für ihres Herzens Sehnen. Es war mit einem Kranz, an Größe denen Auf Bierhausstangen gleich, sein Haupt umhüllt, Und ein gewalt'ger Kuchen war sein Schild.

Als Freund und als Gevatter von ihm ritt Aus Ronceval ein Ablaßkrämer mit, Der gradeswegs vom Hofe kam aus Rom. Laut sang er: »Komm, mein Herzensliebchen, komm!« Wozu der Büttel, wie Posaunenklang Gewaltig dröhnend, seinen Rundreim sang.

Des Ablaßkrämers Haar war gelb wie Wachs, Und hing so glatt wie eine Docke Flachs Auf seine Schultern, die es rings umgab, In dünnen Locken ihm vom Kopf herab. In kecker Laune trug er's unbedeckt; Denn die Kapuze hatt' er eingesteckt In seinem Mantelsack, der vor ihm hing. Daß er mit Flatterhaar und baarhaupt ging, War nach der neu'sten Mode, wie er glaubte; Drum trug er nur ein Käppchen auf dem Haupte. Glotzaugen hatt' er ganz wie ein Karnickel, Und angenäht am Käppchen ein Vernickel.

Mit Ablaßfracht kam er soeben heiß Aus Rom zurück. Wie's Meckern einer Gais Klang seine Stimme. Im Gesichte war, Ob unrasirt, doch keine Spur von Haar, Er mußte – dünkt mich – wohl ein Wallach sein.

Von Ware bis Berwick war gewißlich kein Ablaßverkäufer, der ihm's Wasser reichte. Als »Unsrer lieben Frauen Schleier« zeigte Er einen Kissenüberzug. Im Koffer Verwahrte von dem Segel etwas Stoff er, Das Petri Fahrzeug – wie er sagte – führte, Als mit dem Herrn er auf dem See spazierte; Ein steinbesetztes Kreuz hatt' er von Zinn Sowie ein Glas mit Schweineknochen drin. Und traf er einen armen Bauersmann, So schwatzt' er ihm von den Reliquien an, Und erntete an einem einz'gen Tage Die Früchte seiner wochenlangen Plage. So hielt mit Possen und mit Schmeichelworten Das Volk zu Narren er an allen Orten. Doch, um nicht von der Wahrheit abzuweichen, Als Kirchenredner war er ohnegleichen. Schön las den Bibeltext er und Historien; Jedoch am besten sang er Offertorien, Da hinterdrein er gleich den Anfang machte Mit seiner Predigt, die ihm Geld einbrachte. Zu diesem Zwecke spitzt' er seine Zunge Und sang vergnügt und laut aus voller Lunge.

So macht' ich kurz und nach der Reihe kund Rang, Anzug, Zahl und minder nicht den Grund, Weßhalb in Southwerk Jeder angekommen Und in dem Gasthof sein Quartier genommen, Der »Tabard bei der Glocke« ward genannt; Und an der Zeit ist's, daß ich Euch bekannt Auch weiter mache, wie wir unsre Nacht In dem besagten Wirthshaus zugebracht; Und hinterdrein gedenk' ich Euch zu sagen, Was auf der Reise sonst sich zugetragen.

Doch bitt' ich Euch zunächst aus Höflichkeit Legt es nicht aus als Herzensschlechtigkeit, Wenn ich getreu im Laufe der Geschichte Auch jedes Wort von Jedermann berichte; Sonst ziehe man mit Recht der Lüge mich. Denn das wißt sicher Ihr so gut wie ich: Wer melden will, was ihm gesagt ein Mann, Der wiederhole, so genau er kann, Ein jedes Wort, sei's noch so schlecht gewählt Und noch so gröblich, was ihm vorerzählt. Sonst müßt' er ja die Unwahrheit berichten, Den Sinn verfälschend, neue Worte dichten; Den eignen Bruder darf er schonen nicht, Ein jedes Wort zu sagen, ist ihm Pflicht. Sehr kräftig sprach selbst Christus in der Bibel, Und doch kein Wort – das wißt Ihr – ist von Uebel. Wer Plato las, dem ist der Spruch bekannt: Es sei das Wort der Sache nah' verwandt.

Und gleichfalls bitt' ich, daß Ihr mir verzeiht, Wenn ich Euch nicht nach Rang und Würdigkeit Die Leute vorgeführt, wie angemessen. Mein Witz ist kurz, das dürft ihr nicht vergessen.

Für Jeden freundlich, ließ der Wirth vom Haus Uns niedersitzen rasch zum Abendschmaus. Die Tafel er mit bester Speise deckte. Stark war der Wein, der uns vorzüglich schmeckte. So wohlanständig war des Wirthes Wesen, Als sei er zum Hofmarschall auserlesen. Sein Wuchs war stark, tief lag sein Augenpaar; In Chepe selbst kein bessrer Bürger war. Gewandt und klug und grad' heraus er sprach, In Nichts es ihm an Männlichkeit gebrach; Dazu war er ein aufgeweckter Mann. Gleich nach dem Abendessen hub er an In heitrer Laune dies und das zu sprechen; Und als berichtigt waren unsre Zechen, Begann er also: »Wahrlich, meine Herr'n, Willkommen heiß' ich Euch hier herzlich gern. Denn, meiner Treu, wenn ich nicht lügen soll, Sah meinen Gasthof ich noch nie so voll In diesem Jahr, wie heut' am Tag' er ist. Gern möcht' ich Euch erheitern. Darum wißt, Daß ich mir eben einen Scherz erdacht, Der vielen Spaß und keine Kosten macht.

Die Erzählung des Ritters.

Inhaltsverzeichnis

Vers 861–3110.

Wie aus Historienbüchern zu ersehn, War einst ein Herr und Herzog in Athen, Der Theseus hieß. Ihm glich zu seiner Zeit Kein Sieger und Eroberer, so weit Die Sonne scheint, an Größe und an Ruhm. Er unterwarf manch reiches Fürstenthum. Durch Tapferkeit und Klugheit überwand Er Scythia, das Amazonenland Und er erkor zur Gattin sich zugleich Hippolyta, die Königin vom Reich Und zog mit ihr und ihrem Schwesterlein Emilia in seine Heimath ein. In feierlichem Zug voll Glanz und Pracht, Umgeben von der ganzen Heeresmacht, Mit Siegesliedern, Jubelmelodien Mag nach Athen der würd'ge Herzog ziehn. Doch, wahrlich, wär' es kürzer einzurichten, Möcht' ich den ganzen Hergang Euch berichten, Wie Herzog Theseus' ritterliche Hand Das Reich der Weiber siegreich überwand, Wie die Athener in den Kämpfen siegten, Als sie die Amazonenschaar bekriegten, Und wie die Königin von Scythia, Die schöne, kräftige Hippolyta Belagert ward, wie ihrer Hochzeit Weise, Ihr Tempelgang und ihre Heimwärtsreise. Doch muß ich leider wohl darauf verzichten. Groß ist – weiß Gott – mein Feld, doch stark mit Nichten Sind meine Stiere, die ich vor dem Pflug; Und der Geschichte Rest ist lang genug. Ich möchte Keinem gern im Wege stehn; Laßt Jedermann erzählen und uns sehn, Wer sich den Abendschmaus gewinnen kann?

Drum, wo ich abbrach, heb' ich wieder an.

Als der erwähnte Herzog nun nicht weit Mehr von der Stadt, zu der in Herrlichkeit Und großer Pracht er auf der Reise rückte, Sah er die Straße, als er um sich blickte, Mit einer Schaar von Weibern angefüllt, Die niederknieten, ganz in Schwarz gehüllt, In einer langen Reihe, zwei bei zwei; Und so erbärmlich klang ihr Wehgeschrei, Daß wohl im Leben auf der Erde Flur Solch Jammern hörte keine Creatur; Nicht früher ließen sie ihr Schreien enden, Bis seines Rosses Zügel sie in Händen.

»Was Volk seid Ihr, hier vor mir zu erscheinen, Daß meiner Heimkehr Fest mit Eurem Weinen Ihr stört?« – sprach Theseus – »seid Ihr so voll Neid Ob meiner Ehre, daß ihr klagt und schreit? Doch seid gekränkt Ihr, hat man Euch mißhandelt, Daß Ihr in schwarzer Trauerkleidung wandelt, So sagt mir an, wie ich Euch helfen kann?«

Die älteste der Frauen sprach sodann, Der Ohnmacht nah', mit blassem Angesicht – Ein trüber Schauspiel gab es wahrlich nicht – Und sagte: »Herr! begünstigt durch das Glück, Kehrt siegreich als Erobrer Ihr zurück! Statt Eures Ruhmes Glorie zu beneiden, Flehn hülfesuchend wir in unsern Leiden. Laßt gnadenvoll aus Eurem edlen Herzen Nur einen Tropfen Mitleid auf die Schmerzen Der jammervollen Weiber niederfallen; Denn sicher, Herr, ist keine von uns allen, Die nicht von Königen und Fürsten stammt, Doch, wie Ihr seht, sind elend allesammt. Denn hoher Stand oft kurze Dauer hat, So lenkt's Fortuna und ihr falsches Rad! Wir haben, Herr, auf Eure Gegenwart In der Clementia Tempel schon geharrt Seit vierzehn Tagen, unser Flehn zu senden Empor zu Euch. – Ihr habt die Macht in Händen! Ich selbst, ein elend, klagend Weib, war sonst Des Kapaneus, des Königs, Eh'gesponst, Der seinen Tod vor Theben fand. – Dem Tage Sei ewig Fluch! – Und alle, deren Klage Aus Trauerhüllen dringt zu Euren Ohren, Haben die Gatten vor der Stadt verloren, Als unser Heer vor ihren Wällen lag. Der alte Kreon aber – Weh' und Ach! – Der dort regiert, beschloß aus Haß und Wuth Den schändlichen Tyrannenübermuth An den entseelten Körpern selbst zu kühlen Von unsern Männern, die im Kampfe fielen. Auf einen Haufen schleppt' er ihre Leichen Und ist auf keine Weise zu erweichen, Sie zu verbrennen oder zu bestatten, Und die Gebeine der erschlag'nen Gatten Dienen zum Futter jetzt für seine Hunde!«

Bei diesem Worte scholl aus Aller Munde Ein kläglich Schrei'n: »O, öffnet in Erbarmen Das Herz der Noth und Sorge von uns Armen!« So schrieen sie und warfen sich zur Erde.

Der edle Herzog sprang sogleich vom Pferde, Denn durch die Worte, die zu ihm gesprochen, War schier sein mitleidsvolles Herz gebrochen. Im Innersten bewegt durch die Beschwerden Von denen, die einst hochgestellt auf Erden, Hob er mit eigner Hand sie auf sofort, Und freundlich sprach er manches Trosteswort. Als treuer Ritter band durch einen Schwur Er sich, zu thun, was irgend möglich nur, Um des Tyrannen Kreons Macht zu brechen. Das ganze Volk der Griechen solle sprechen Davon noch lange, wie durch Theseus Hand Kreon den Tod, den er verdiente, fand. Und ohne länger sich dann aufzuhalten, Ließ fördersamst die Banner er entfalten Zum Vorwärtsmarsche für das ganze Heer. – Nicht nach Athen zog es ihn länger mehr. – Kaum einen halben Tag genoß er Ruh', Dann ritt zur Nachtzeit er auf Theben zu. Sein Weib, die Königin der Amazonen, Hippolyta ließ er inzwischen wohnen Mit ihrer jungen Schwester in Athen, Um – wie gesagt – gleich in den Kampf zu gehn. Im weißen Banner schien mit Speer und Schild Vom Kriegsgott Mars das blutigrothe Bild Und leuchtete mit hellem Glanz ins Weite. Aus reinem Gold gefertigt, ihm zur Seite Ragte die Fahne, die das Bildniß trug, Wie Theseus Kretas Minotaur erschlug.

So ritt der Herzog, so der kühne Sieger, Umgeben von der Blüthe seiner Krieger, Auf Theben zu, bis endlich Halt er machte Auf einem Feld, wo er zu kämpfen dachte.

Um nun ganz kurz den Thatbericht zu geben: Mit Kreon, welcher König war in Theben, Focht er, und ritterlich in offner Schlacht Erschlug er ihn und trieb die Heeresmacht Zu Paaren, nahm die Stadt darauf mit Sturm, Und gleich der Erde macht' er Wall und Thurm, Und an die Frau'n ließ er zurückerstatten Die todten Körper der erschlagnen Gatten, Sie beizusetzen nach des Landes Brauch.

Doch allzulange währt' es, spräch' ich auch Von allem Jammer und von allem Flennen Der armen Weiber während dem Verbrennen, Und wie, mit Ehren und mit vielen Gnaden Vom edlen Herzog Theseus überladen, Sie endlich schieden und von dannen gingen; – Denn kurz zu sein, ziemt mir vor allen Dingen. –

Der edle Herzog, der mit starker Hand Kreon erschlug und Theben überwand Und alles Land zu eigen sich gemacht, Nahm auf dem Schlachtfeld Ruhe für die Nacht. Nun machten sich die Plündrer viel zu schaffen, Um reiche Beute, Rüstungen und Waffen Erschlagner Feindesleichen heimzutragen Vom Kampfplatz, wo sie haufenweise lagen. Und so geschah's, daß hierbei aufgefunden Zwei junge Ritter wurden, die, durch Wunden Arg zugerichtet, scheinbar als erschlagen, Im reichen Waffenschmuck beisammen lagen, Von denen Palamon der eine hieß, Arcit der andre; wie sich bald erwies, Obwohl sie todt mehr als lebendig schienen, Aus ihren Rüstungen; sowie von ihnen Und ihrer Herkunft Herolden nicht minder Bekannt war, daß sie als Geschwisterkinder Entsprungen Thebens königlichem Haus.

Als aus dem Leichenhaufen sie heraus Die Plünderer gezogen, brachte man Sie in das Zelt des Theseus, der sodann Sie nach Athen zu ew'ger Haft verwies Und für kein Lösegeld daraus entließ.

Und heimwärts zog, nachdem er dies vollbracht, Der würd'ge Herzog mit der Heeresmacht, Bekränzt als Sieger mit dem Lorbeerzweige. Geehrt und fröhlich bis zur Lebensneige Verblieb er dort. – Was braucht's der Worte mehr?

In einem Thurme lagen sorgenschwer Stets noch Arcit und Palamon gefangen, Da für kein Gold die Freiheit zu erlangen.

Tag rollt auf Tag und Jahr auf Jahr vorbei, Bis es geschah, daß einst im Monat Mai In früher Morgenstunde schon Emilie, Weit schöner als am grünen Schaft die Lilie Und frischer als des Maies Blüthenprangen – Denn ob die Rose oder ihre Wangen Von zarterm Roth, war schwerlich zu entscheiden – Vom Lager aufstand, um sich anzukleiden, Wie früh am Morgen sie gewohnt zu thun. Die Schläfer läßt der Mai nicht lange ruhn, Der so die Herzen prickelt und belebt, Daß rasch vom Lager jeder sich erhebt. »Steh' auf« – ruft Mai – »und huld'ge meiner Macht!« Drum war Emilie zeitig aufgewacht, Damit auch sie den Mai in Ehren halte. Frisch war ihr Kleid; in reichen Flechten wallte Ihr um die Schultern das goldgelbe Haar, Das ellenlang – nach meiner Schätzung – war. Als ihren Lauf die Sonne dann begann, Trat sie im Garten ihre Wandrung an, Wo sie sich weiß' und bunte Blumen pflückte, Zum Kranz sie wand, mit ihm die Stirne schmückte, Und dabei himmlisch wie ein Engel sang.

Der dicke, große Thurm, in dem schon lang Gefangen die besagten Ritter lagen – Von denen auch noch ferner viel zu sagen – Die stärkste von des Schlosses Kerkerwarten, Lag an dem Wall von eben jenem Garten, In dem ihr Spiel Emilie fröhlich trieb.

Bei Sonnenschein und Morgenfrische blieb Auch der gefangne Palamon nicht lang Im Bett, und den gewohnten Morgengang, Zu dem sein Wärter ihm Erlaubniß gab, Nahm er im höchsten Stock, von dem herab Zur Stadt er und zum Grün des Gartens sah, In dem das schöne Kind Emilia, Lustwandeln ging, sich tummelnd hin und her.

Und Palamon, gefangen, sorgenschwer, Ging seufzend auf und ab in seiner Kammer, Sich oft beklagend, daß zu solchem Jammer Geboren ihn das neidische Geschick. Und so geschah's – sei's Zufall oder Glück – Daß seine Augen durch die dicken Sparren Von seines Fensters mächt'gen Eisenbarren Grad' auf Emilie fielen. – Zitternd, bleich, Zusammenzuckend, schreit empor er gleich, Als ob er durch das Herz gestochen sei. –

Auf sprang Arcit sofort bei diesem Schrei Und sprach: »Was, theurer Vetter, ist geschehn, Daß todtenblaß Du plötzlich anzusehn, Was hat man Dir gethan, was soll die Klage? Um Gottes Willen mit Geduld ertrage, Was abzuändern unsrer Macht entgeht. Fortuna hat den Rücken uns gedreht! Wenn unheilvoll durch die Constellation Saturns uns die Aspecten einmal drohn, So bleibt vergebens das Geschick beschworen; Denn, wie der Himmel stand, als wir geboren, So müssen wir's ertragen – das ist klar!«

Des Palamons Erwiedrung aber war: »Bei Deiner Ansicht, die Du mitgetheilt, Hat Deine Phantasie sich übereilt. Nicht schrie ich, Vetter, weil wir hier gefangen; Ich ward verwundet, und die Schmerzen drangen Durchs Auge mir ins Herz. Auf immerfort Bannt mich die Schönheit einer Frau, die dort Lustwandelnd sich ergeht im Gartengrün. Das war der Grund, weßhalb ich aufgeschrien. War Weib sie, war vom Himmel sie geschickt? Mich dünkt, die Venus selbst hab' ich erblickt!« Und dabei sank er auf die Kniee hin Und sprach: »Venus, wenn ich gewürdigt bin, Daß Du mir Armen, welchen Kummer beugt, Dich hier in irdischer Gestalt gezeigt, So hilf uns zu entrinnen unsrer Haft! Doch ist's bestimmt, daß in Gefangenschaft Wir durchaus sterben sollen, dann gewähre Dein Mitleid unserm Stamme, dessen Ehre Durch Tyrannei zu tiefem Fall gebracht!«

Nach dieser Rede war Arcit bedacht, Auch seinerseits die Dame zu erspähen; Doch augenblicklich, als er sie gesehen, War – wenn schon Palamon verwundet schwer – Arcit es ebenmäßig oder mehr. Und jämmerlich fing er zu seufzen an: »Die holde Schönheit hat mir's angethan, Die ich erblickt auf jenem Gartenpfade. Erring' ich mir nicht ihre Gunst und Gnade Bleibt mir versagt, sie mindestens zu sehn, Ist es um mich – das fühl' ich – auch geschehn.«

Als kaum die Worte Palamon gehört, Frug er verächtlich blickend und verstört: Ob's Ernst, ob's Scherz ihm mit der Rede wäre? »Nein« – sprach Arcit – »vollkommen Ernst – auf Ehre! Zu Scherzen bin – weiß Gott – ich nicht gestimmt.«

Und Palamon versetzte drauf, ergrimmt Die Brauen faltend: »Nicht von Ehre sprich, Wenn falsch Du und Verräther gegen mich, Den Vetter und den Bruder Deiner Wahl! Wir schwuren uns bei der Verdammung Qual, Es solle gegenseitig von uns beiden Einer dem andern bis zum Todesscheiden In keiner Art und – lieber Bruder mein – Auch in der Liebe nicht im Wege sein. Daß Du zu meiner Hülfe stets bereit, Wie ich zu Deiner – dieses war Dein Eid, So sicherlich wie es der meine war. Du kannst nicht widersprechen. Offenbar Mußt Du, wie ich, in dieser Sache denken; Drum Falschheit ist's, Dein Lieben hinzulenken Zur Dame, die ich liebe, die ich auch Stets lieben werde bis zum letzten Hauch! Doch nie, Arcit, soll es Dein falsches Herz! Ich liebte sie zuerst, und meinen Schmerz Hab' ich als Bruder Dir und Freund geklagt, Mir hülfreich beizustehn; denn – wie gesagt – Dich bindet Eid, Dich bindet Ritterpflicht, Daß Du mir Hülfe leihst; und thust Du's nicht, Bist Du – frei sag' ich's – deines Eids vergessen.«

Ihm stolz erwiedernd, sprach Arcit indessen: »Wenn Du mich falsch nennst, ist es leider schade, Daß falsch Du selbst bist in weit höherm Grade, Denn – par amour! – wer liebte sie zuerst, Ich oder Du, daß Du Dich so beschwerst? Du wußtest nicht, ob Weib, ob Göttin sie; Dein Herz bewegte heil'ge Sympathie, Doch irdischer ist meiner Liebe Feuer; Und so geschah's, daß ich mein Abenteuer Als Vetter und als Bruder Dir enthüllte. Gesetzt, daß Liebe Dich zuerst erfüllte, So weißt Du's doch, daß Weise längst verkündet, Daß in der Liebe kein Gebot uns bindet; Und ob der klügste Mann Gesetze schriebe, Bei meinem Kopf! das höchste bleibt die Liebe, Und giebt uns positives Recht, Versprechen Um ihretwillen jederzeit zu brechen! Verstand verstummt, sobald die Liebe spricht! Ob uns der Tod droht, wir entfliehn ihr nicht – Mag sie nun Weib sein, Wittwe oder Maid. –

Für mich wie Dich gibt's keine Möglichkeit, Uns ihre Gunst im Leben zu erringen, Denn unsres – weißt Du – müssen wir verbringen In Kerkerhaft, aus der in Ewigkeit Nicht mich noch Dich ein Lösegeld befreit. Wir streiten, gleich zwei Hunden, um das Bein. Sie fochten, jeder wollte Sieger sein; Da kam ein Habicht, der sie ausgewittert, Und stahl den Knochen, der sie so erbittert. Und, Bruder, sieh' den Hof des Königs an! Da steht auch Jeder seinen eignen Mann. Lieb', wen Du willst; ich will das Gleiche thun, Und damit, Bruder, laß die Sache ruhn. So lang in Kerkermauern wir begraben, Mag jeder auch sein Abenteuer haben.«

Wie lang und scharf gewährt der Beiden Streit, Würd' ich berichten, hätt' ich nur die Zeit. Jedoch zur Sache! – Kurz, wie ich's vermag, Sei es erzählt. Es kam an einem Tag Ein würd'ger Fürst, Pirithous genannt, Zu Theseus nach Athen, wo er das Band Der alten Freundschaft mit dem Spielgenossen, Das sie in frühster Kinderzeit geschlossen, Erneuerte, und froh mit ihm verkehrte, Den auf der Welt er über Alles ehrte, Von dem geehrt er über Alles war. Der Beiden Liebe macht die Sage klar, Daß nach dem Tod des Einen in der Hölle Den Freund besucht der lebende Geselle. – Was ich Euch hier nicht lang berichten mag. –

Pirithous, der schon seit Jahr und Tag In Theben Neigung für Arcit empfand, Hatte bei Theseus sich für ihn verwandt Und durch sein Bitten ihm Pardon verschafft, Daß ohne Lösegeld aus seiner Haft Er unbeschränkt, wohin er wolle, ginge, Jedoch nur unter folgendem Bedinge: Mit dem Arcit kam Theseus überein, Es solle künftig so gehalten sein, Daß, wenn in seinem Leben je Arcit Betroffen würde wieder im Gebiet Des Herzog Theseus und zur Haft gebracht, Sei es am Tage, sei es in der Nacht, Sein Kopf sofort verfallen sei dem Schwerte.

Dagegen half kein Rath. – Entlassen, kehrte Darum Arcit zurück zum Heimathlande. – Er wahre sich! es steht sein Kopf zum Pfande! – Wie wird Arcit nunmehr gequält von Schmerzen Und welche Todesqual trägt er im Herzen?! Er weint und klagt und sinnt, mit eignen Händen Die Leiden seines Lebens zu beenden. »Unsel'ger Tag« – sprach er – »der mich gebar! Wenn Fegefeuer schon mein Kerker war, Ist gegenwärtig mein Geschick noch schlimmer, Denn in die Hölle bannt es mich für immer! Hätt' ich Pirithous doch nie gekannt; Dann hielte mich noch Herzog Theseus' Hand In ewiger Gefangenschaft zurück! Hier bin ich elend, dort war ich im Glück! Wenn ich nur sie, die hoch mein Herz verehrt – Wird ihre Gunst auch niemals mir bescheert – Erblicken könnte, wär' ich hoch zufrieden! Ach!« – rief er aus – »Dir ist der Sieg beschieden, Mein Vetter Palamon, in diesem Streit! Du bliebst im Kerker voller Seligkeit; Im Kerker? Nein! Fürwahr, ein Paradies Fortunas Würfel Dich gewinnen ließ! Du bist ihr nah', ich bin auf ewig weit, Dir bleibt ihr Anblick und die Möglichkeit, Daß – weil Du so gewandt wie tapfer bist, Und wandelbar Fortunas Wesen ist – Du mit der Zeit noch deinen Wunsch erlangst. Ich bin verbannt! In hoffnungsloser Angst Bleibt mir beständige Verzweiflung nur. Hienieden gibt es keine Creatur Im Feuer, Wasser, in der Luft, auf Erden, Ein Tröster und ein Helfer mir zu werden! O, wär' ich todt! Mir bleibt kein Hoffnungsschimmer, Lust, Leben, Freude lebet wohl für immer!

Warum beklagt der Mensch sich des Geschicks, Das Gottes Allmacht, oder Spiel des Glücks In weiserm Walten über ihn verhängte, Als wenn er selbst des Lebens Steuer lenkte? Der Eine strebt nach Reichthum, und verdorrt In langem Siechthum, oder stirbt durch Mord; Ein Anderer durchbricht des Kerkers Wände, Den Tod zu finden durch der Seinen Hände. Wir wissen nicht, wie oft in diesen Dingen Endlosen Harm die eignen Wünsche bringen. Wir taumeln, wie ein schwer betrunkner Mann, Der zwar sein Haus kennt, doch nicht finden kann Den Weg, der ihn zu seiner Wohnung leitet, Und auf dem Pfade sinnlos schwankt und gleitet. So fahren wir umher in unserm Leben! Die Seligkeit, nach der wir eifrig streben, Sich oftmals als das Gegentheil erweist; Das wissen Alle – und ich selbst zumeist, Der ich in hoffnungsvollem Wahn gestanden, Es werde, frei von meinen Kerkerbanden, Nur Lust und Wohlsein fürder mir zu Theil. Und jetzt bin ich verbannt von meinem Heil, Da, wenn ich Dich, Emilie, nicht mehr sehe, Allein der Tod nur enden kann mein Wehe!«

Ganz anders war des Palamons Gebahren, Als des Arcit Befreiung er erfahren. Sein Wehgeschrei und seine Klagen schallten, Daß laut des Thurmes Mauern widerhallten; Und auf die Fesseln, welche seine Glieder Umschlossen, fielen bittre Thränen nieder. »Arcit, mein Vetter!« – hub er an zu sprechen – »Nun kannst – weiß Gott – des Kampfes Frucht Du brechen! Du wanderst jetzt in Theben frei umher, Und kaum gedenkst Du meiner Leiden mehr; Du bist voll Weisheit und voll Männlichkeit, Und kannst des Hauses Mannen leicht zum Streit Jetzt um Dich schaaren, in dies Land zu dringen; Es kann durch Glück Dir, durch Vertrag gelingen, Zum Weibe die Geliebte zu erwerben; Ich aber muß vor Jammer um sie sterben.

Da Du aus der Gefangenschaft entlassen, Vermagst Du jeden Vortheil zu erfassen. Du bist Dein eigner Herr und darum stärker Als ich, der hier verschmachten muß im Kerker, Um lebenslänglich unter Jammerklagen Die Leiden der Gefangenschaft zu tragen; Und doppelt macht die Liebespein mein Herz Empfinden alle Qualen, jeden Schmerz.«

Empor flammt Eifersucht, wie Feuersgluth, In seiner Brust. Wie rasend schoß das Blut Ihm nach dem Herzen und ließ die Gestalt Wie Buchsbaum blaß, wie Asche todt und kalt. »Grausame Göttin, deren Wort die Welt« – So rief er aus – »in ew'gen Banden hält, Die Du auf Demanttafeln Dein Belieben Als ew'ge Richtschnur für die Welt geschrieben, In Deinen Augen gelten Menschen kaum Soviel wie Schafe in der Hürde Raum; Und wie ein Vieh auch wird der Mensch erschlagen, Muß Kerkerhaft und Sclavenfesseln tragen, Krankheit und Wiederwärtigkeit erdulden, Und oft – bei Gott! – ganz ohne sein Verschulden! Heißt das Regierung, wenn, vorauserwählt, Die fleckenlose Unschuld wird gequält?! Und nicht genug damit! zu größrer Qual Sind wir verpflichtet gar aus freier Wahl Den Sinn zu beugen unter Gottes Willen, Wenn frei die Lust ein jedes Thier mag stillen. Ein Vieh, das stirbt, ist ledig seiner Plagen, Ein todter Mensch muß heulen noch und klagen, Als ob nicht jammervoll genug die Welt! Doch ohne Zweifel, so ist es bestellt! Wer kann uns Antwort auf die Frage geben? Eins ist gewiß: das größte Leid ist Leben! Ach! Räuber und Reptile sehen wir, Die guten Menschen stets geschadet, hier Ganz frei und ungestört ihr Wesen treiben; Mich aber ließ in Kerkerbanden bleiben Saturnus, und mit eifersücht'ger Wuth Zerstörte Juno Thebens bestes Blut Und stürzte seine weiten Wälle nieder, Indeß mich Venus vor Arcit hinwieder Mit eifersüchtiger Befürchtung schlug!«

Nun sprachen wir von Palamon genug, Und wollen ihn in seinem Kerker lassen, Um mit Arcit uns wieder zu befassen.

Der Sommerfloh. – In langer Winternacht Ward doppelmächtig beider Schmerz entfacht. Ich weiß es nicht, wer litt vom Unglück stärker, Der Mann der Liebe oder der im Kerker? Denn – kurz – war's ewig Palamons Verhängniß, Daß, festgekettet, er in dem Gefängniß Verbleiben müßte bis zum Lebensziel, So war Arcit für immer im Exil, Beraubt, da Tod ihm jede Rückkehr war, Auch ihres Anblicks nun und immerdar. Ihr Liebenden, Euch stell' ich nun die Frage, Ob Palamon das schlimmere Loos ertrage, Der, zwar gefangen, dennoch Tag für Tag Die Dame seines Herzens sehen mag, Ob es Arcit, der, zwar ein freier Mann,