Die Canterbury Erzählungen - Geoffrey Chaucer - E-Book

Die Canterbury Erzählungen E-Book

Geoffrey Chaucer

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Beschreibung

Im Tabard Inn in Southwark versammelt sich eine fröhliche Gruppe von dreißig Pilgern, darunter ein skrupelloser Ablasshändler, ein edelgesinnter Ritter, ein rüpelhafter Müller, die lüsterne Witwe von Bath und Chaucer selbst. Als sie sich auf den Weg zum Schrein von Thomas Becket in Canterbury machen, erklärt sich jeder bereit, eine Geschichte zu erzählen. Die folgenden vierundzwanzig Geschichten sind abwechselnd gelehrt, phantastisch, fromm, melancholisch und unzüchtig und bieten einen unvergleichlichen Einblick in den Geist und die Seele des mittelalterlichen Englands. In den Canterbury Erzählungen lässt Chaucer Menschen aus den verschiedensten Bereichen des Lebens zusammenkommen: Ritter, Priorin, Mönche, Kaufleute, Juristen, Freimaurer, gelehrte Schreiber, Müller, Vögte, Begnadigte und viele andere. Die Geschichten bieten komplexe Darstellungen der Pilger, während die Erzählungen gleichzeitig bemerkenswerte Beispiele für kurze Erzählungen in Versen darstellen. Diese Ausgabe in der Übersetzung von Wilhelm Hertzberg ist geschmückt mit zeitgenössischen Illustrationen.

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Seitenzahl: 939

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GEOFFREY CHAUCER

 

DIE CANTERBURY ERZÄHLUNGEN

 

 

 

Aus dem Englischen vonWilhelm Hertzberg

 

 

Illustrierte Ausgabe

 

 

DIE CANTERBURY ERZÄHLUNGEN wurden im englischen Original zuerst ca. 1400 veröffentlicht.

Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von

© apebook Verlag, Essen (Germany)

www.apebook.de

2024

 

V 1.0

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

ISBN 978-3-96130-615-2

Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Die Canterbury Erzählungen

Impressum

Vorwort.

Einleitung.

Chaucers »Canterbury-Geschichten«.

Einleitung.

Die Erzählung des Ritters.

Die Erzählung des Müllers.

Die Erzählung des Verwalters.

Die Erzählung des Kochs.

Die Erzählung des Rechtsgelehrten.

Die Erzählung des Weibes von Bath.

Die Erzählung des Ordensbruders.

Des Büttels Erzählung.

Die Erzählung des Studenten.

Die Erzählung des Kaufmanns.

Die Erzählung des Junkers.

Die Erzählung des Gutsherrn.

Die Erzählung des Doctors.

Die Erzählung des Ablaßkrämers.

Die Erzählung des Schiffers.

Die Erzählung der Priorin.

Das Reimgedicht vom Herrn Thopas und Die Erzählung des Meliböus.

Die Erzählung des Mönches.

Die Erzählung des Nonnenpriesters.

Die Erzählung der zweiten Nonne.

Die Erzählung des Dienstmannes des Stiftsherrn.

Die Erzählung des Konviktschaffners.

Die Erzählung des Pfarrers.

Anmerkungen.

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Zu guter Letzt

 

Vorwort.

Die nachstehende Übersetzung hat sich die Aufgabe gestellt, das weitaus bedeutendste Werk altenglischer Dichtkunst mit möglichst treuer Bewahrung des Geistes und der Form des Originals auch dem deutschen Leser zugänglich zu machen. Ein solches Unternehmen sollte keiner Entschuldigung bedürfen. Dennoch ist der Uebersetzer nicht ohne Scheu an die Veröffentlichung seiner Arbeit gegangen, nachdem er sie die vollen neun kanonischen Jahre in seinem Pult bewahrt hatte.

Den Grund der Scheu versteht Jeder, der Chaucer's komische Erzählungen kennt.

Aber die Erwägung siegte, daß ohne sein Dazwischentreten nicht nur unserm Volke die Freude an den urkräftigen Schöpfungen eines Originalgenies, sondern auch den Geschichtsfreunden eine der reichsten Fundgruben für das mittelalterliche Kulturleben wahrscheinlich noch lange versagt und verschlossen bleiben würde. Denn das Studium des Altenglischen kann nie auf weite Verbreitung rechnen, und unter den Forschern ist es nicht Jedem gegeben, solche Versmassen mit Lust und Ausdauer zu bewältigen.

Zwar bin ich auf den Vorwurf ernster und wohlmeinender Männer gefaßt, daß ich das Atys-Messer nicht oft und scharf genug eingesetzt habe. Aber wenn sie die in der Einleitung gegebene Charakteristik der Chaucer'schen Poesie als richtig anerkennen, so werden sie zugeben müssen, daß eine Ausgabe seiner Werke in usum Delphini eine Unmöglichkeit ist. Eine Verstümmelung in dieser Richtung wäre ein Mord.

Dennoch wird man an einigen wenigen Stellen Verslücken, an andern leise Abweichungen vom Original finden. Man zeihe mich deswegen nicht der Inkonsequenz. Ich habe die Grenzen des für uns Möglichen scharf ins Auge gefaßt und, wie ich glaube, ohne Abweichung inne gehalten.

Unser Hochdeutsch ist als Schriftsprache entstanden und daher von Anfang an decent gewesen. Nur allmählich hat es volksthümliche Elemente in sich aufgenommen und kann bis auf einen bestimmten Grad selbst naiv sein. Aber diese Elemente sind ihm immer durch Vermittelung der höheren und feineren Gesellschaftsschichten zugeflossen und durch diese filtrirt. Daher kennt es für gewisse Dinge und Handlungen nur den verblümten Ausdruck. Ein eigentlicher hat sich nur in der Terminologie derjenigen Wissenschaften herausgebildet, die ihn nicht entbehren konnten. Ihn von dort, aus dem pedantischen Ernst medicinischer Kompendien oder juristischer Akten für die Poesie zu entlehnen, wäre absurd, das heißt, lächerlich genug, aber nicht komisch. Die populären Bezeichnungen dagegen sind nur noch in den tief gesunkenen Volksmundarten lebendig. In unser decentes Hochdeutsch herübergezogen, erscheinen sie plump und unflätig, aber wiederum nicht naiv. Die Uebersetzung würde daher in keinem Fall einen dem Original analogen Eindruck gemacht haben. So habe ich denn gethan, was unter diesen Umständen geboten war: wo die Thatsache ein wesentliches Element der Fabel bildete, hab' ich sie umschrieben; wo nicht, den betreffenden Vers ausgelassen – und beides nur wo sexuelle Verhältnisse ins Spiel kamen, – so daß ich nicht den Vorwurf der Prüderie fürchte.

Die beiden prosaischen Stücke, die »Erzählung von Meliboeus« und den »Traktat des Pfarrers« in ganzer Ausdehnung wiederzugeben, lag nicht im Plan dieser Sammlung. Es würde auch damit keinem deutschen Leser gedient gewesen sein, wie aus dem Auszug des ersteren Stücks und aus den Anmerkungen zu beiden genugsam erhellen wird.

Die Einleitung wurde ihren Grundzügen nach schon früher in einem für andere Zwecke veranstalteten Auszuge veröffentlicht (in Prutz's Deutsch. Mus. 1856, Nr. 7 u. 8). Sie hat seitdem unter dem Fortschritt der Studien des Verfassers mannigfache Umarbeitungen und Erweiterungen erfahren. Ich hätte gewünscht, mich namentlich in der Biographie Chaucer's kürzer fassen zu können. Das war aber bei der Lage der Vorarbeiten unmöglich. Allerdings ist auf die phantastischen Romane, die, von Urry bis Godwin stets weiter ausgesponnen, sich unter dem Titel von Chaucer's Leben in alle Literaturgeschichten eingenistet haben, bereits eine ernüchternde Reaktion gefolgt. Sir H. Nicolas hat in seinem, der Pickering-Edition vorgedruckten Life of Chaucer eine überaus specielle, zuverlässige und dringend nothwendig gewordene Kompilation aller beglaubigten Dokumente, Chaucer betreffend, zusammengestellt, so viel deren sein unermüdlicher Sammelfleiß in den wunderbar reichen Archiven Englands ermitteln konnte. Auf diese fußt Pauli's anmuthige Skizze (Bilder aus Altengland, VII, S. 174). Aber Sir H. Nicolas' Skepsis ist so unerbittlich, daß er es nur mit verbrieften Thatsachen zu thun haben will, und jede, auch durchaus strikte und logische Folgerung aus den Thatsachen verdächtig ansieht oder ganz zur Seite schiebt. So hat seine Darstellung nichts Konstruktives; er liefert nur Bausteine, ohne selbst aufzubauen.

Dem Uebersetzer lag daher die Pflicht ob, die erste zugleich kritisch begründete und mit der schriftstellerischen Würdigung des Dichters in organische Verbindung gesetzte Biographie Chaucer's zu geben. Dabei konnten Digressionen nicht vermieden werden, theils um den Boden von alt aufgehäuftem Schutt zu reinigen, theils um die Thatsachen in dasjenige Licht zu stellen, durch welches ihre Bedeutung sowohl für Chaucer's eigenes Leben, wie für die Stellung, welche der Dichter in der Entwickelungsgeschichte seiner Nation einnimmt, klarer hervorträte.

Ueber die Ausgaben und sonstigen Hülfsmittel, welche bei dieser Arbeit benutzt sind, geben die Einleitung und die Anmerkungen vollständige Auskunft.

In den letzteren habe ich mich auf das zum Verständniß der besprochenen Stellen nothwendige Material zu beschränken gesucht, jede Polemik daher vermieden, wo sie nicht dazu diente, durch scharfe Erfassung des Streitpunktes das Ergebniß selber klarer und sicherer hinzustellen.

Von sprachlicher Kritik, die natürlich der Uebersetzung vorausgegangen sein muß, habe ich mich, des nächsten Zweckes dieser Arbeit eingedenk, in den Anmerkungen principiell fern gehalten. Doch gestehe ich, ein paarmal diesem Princip untreu geworden zu sein, – wo nämlich stumpfsinniges Verkennen handgreiflicher Wahrheiten die Miene vornehmen Dünkels annahm. In solchen Fällen wird man es verzeihlich finden, wenn der Aerger einmal stärker war als der Vorsatz.

Die Varianten beziehen sich auf Tyrwhitts Text (Ausg. 1852), dem die Uebersetzung im Allgemeinen folgt. Wie viel die Anmerkungen diesem fleißigen und verständigen Erklärer verdanken, wird jedem Kenner ohne weiteres klar sein. Das Verdienst des Mannes, der vor hundert Jahren an das schwierige Werk der Textesläuterung ging, ohne sich auf eine nennenswerthe Vorarbeit stützen zu können, sollte ihm nicht in der Weise geschmälert werden, wie es von Wright ( Anecd. Liter. 5.23, und wiederholt in seiner Ausgabe, S. XXXIV) geschehen ist. Bei aller Anerkennung der großen Verdienste, welche der letztgenannte Gelehrte für die Förderung der angelsächsischen sowohl, wie der altenglischen Literatur sich erworben hat, läßt sich doch der Wunsch nicht unterdrücken, daß seine Ausgabe der Canterbury-Tales dieselben Fortschritte der Tyrwhittschen gegenüber gemacht haben möchte, wie Tyrwhitt gegen seinen nächsten Vorgänger Urry (1729). Aber wenn es wahr sein mag, daß man bei Tyrwhitt nur wenige Verse liest, wie Chaucer sie selbst geschrieben hat (Wright a. a. O.), so ist es sicher ebenso wahr, daß man bei Wright ein gutes Drittel der Verse überhaupt gar nicht lesen kann. Hätte Wright den Cod. Harlejanus nur genau und ohne alle Aenderung abdrucken lassen, so hätte man wenigstens in seiner Ausgabe eine sichere handschriftliche Basis. Aber leider sagt er (S. XXXVI), daß er da Aenderungen gemacht habe, wo sie »absolut nothwendig gewesen seien«. Aber ein Blick auf jede beliebige Seite des Buches lehrt, daß dies nicht wahr ist – und so verliert die Ausgabe selbst den bescheidenen Werth eines korrekten Textabdruckes.

Ueber meine Vorgänger auf dem Gebiet der Uebersetzung kommt mir nur ein bedingtes Urtheil zu. Kannegießer hat eine Auswahl aus den Canterbury-Geschichten in der Zwickauer Taschenbibliothek auswärtiger Klassiker veröffentlicht (2 Bdchen. 1827). Fiedler's Uebersetzung (Dessau 1844) bricht bei Vers 5560 ab. Uebertragungsproben von Fr. Jacob, die in einigen Lübecker Programmen erschienen sein sollen, sind mir nicht zu Gesicht gekommen. Wie Wright von Tyrwhitt, so behauptet Fiedler von Kannegießer, daß er sehr wenig vom Altenglischen verstanden habe. Fruchtbarer als solche allgemeinen Beschuldigungen wäre es immer noch bei dem jetzigen Stande dieser Studien, wenn Jeder von seinem Vorarbeiter so viel als möglich zu lernen suchte, sei es durch Aneignung seiner Resultate, oder durch Widerlegung seiner Irrthümer. In diesem Sinne habe ich sowohl Wright als Fiedler für Einleitung und Anmerkungen benutzt, natürlich mit steter Angabe meiner Quelle. Von den Uebersetzungen meiner Vorgänger ähnlichen Gebrauch zu machen, fühlte ich mich nicht versucht, wenn ich mich überhaupt dazu berechtigt gehalten hätte. Eine poetische Uebersetzung, wenn auch nur eine Kopie, soll doch ein Kunstwerk und somit aus einem Guß und Geist geschaffen sein. Fremde Federn, wenn auch noch so bunt, passen nicht zu den meinen.

Hertzberg.

Einleitung.

Geoffrey Chaucer's Zeitalter, Leben und schriftstellerischer Charakter.

Geoffrey Chaucer gehört mit seiner ganzen Lebenszeit demjenigen Jahrhundert an, in welchem auf den britischen Inseln die Verschmelzung des niederdeutschen (angelsächsischen) Volkselementes einerseits und des französisch-normannischen anderseits für immer vollzogen wurde; wodurch die Engländer als eine nach innen einige, nach außen geschlossene Nation in die europäische Völkerfamilie eintraten. Chaucer selbst hat bei diesem Vorgang von welthistorischer Bedeutung entscheidend mitgewirkt, ja er hat recht eigentlich durch seine literarische und dichterische Wirksamkeit demselben das Siegel der Vollendung aufgedrückt; er hat den nächsten Jahrhunderten einen Schatz von Dichtungen hinterlassen, deren Ausdrucksweise unbestritten als mustergültig betrachtet wurde; er hat einen Einigungspunkt in das Chaos schwankender Idiome gebracht, er hat die Sprache und mit der Sprache die Nationalität selbst fixirt. Die Umwandlungen, welche das Englische seit seiner Zeit und bis zu Shakespeare erlitten hat, sind zwar nicht unbedeutend gewesen, sie haben sich aber durchaus innerhalb der Demarkationspunkte bewegt, die wir bereits von Chaucer abgesteckt finden; sie sind nur eine Weiterbildung der sprachschöpferischen Principien, welche der große Dichter mit richtigem Instinkt und feinem Ohr dem dunkeln Stimmengewirr der werdenden Volksdialekte abgelauscht hatte. Darum darf noch nach zwei Jahrhunderten Spenser, der ältere Zeitgenoß des großen britischen Dramatikers, auf Chaucer als auf den » reinen Born des ungetrübten Englisch« hinweisen.

Schon vor der Normanneneroberung hatte das Angelsächsische allmählich jene vollen und wohlklingenden Formen eingebüßt, die allen deutschen Dialekten ursprünglich eigen sind. Die Abstumpfung und Abschwächung der Vokale in den Endungen, welche die Aussprache unseres jetzigen Deutsch dem Ausländer so unerquicklich erscheinen läßt, war in England noch um ein Jahrhundert früher eingetreten als bei uns. Die Sprache der sogenannten Sachsenchronik des 11. Jahrhunderts ist bereits ein Plattdeutsch, das sich im Klange wenig von dem unserer norddeutschen Niederungen unterschieden haben kann. Die Auslösung und Verschlechterung der Sprache wurde durch die Gewaltherrschaft der Dänen im 11. und 12. Jahrhundert noch beschleunigt. Denn mit ihr ging die Volksbildung wieder zu Grunde, die zwei Jahrhunderte früher durch des großen Königs Alfred Bemühungen einen so herrlichen Aufschwung genommen hatte. Von eigentlichen literarischen Erzeugnissen war um diese Zeit so gut wie gar nicht mehr die Rede. Sie verschwanden vollständig, seitdem die Schlacht bei Hastings die Herrschaft der französischen Normannen über England entschieden hatte.

Die französische Sprache ward jetzt die officielle Sprache der Reichsversammlung, der Gerichte, der Schulen. Sie wurde nicht nur am Königshof, sondern an allen jenen großen und kleinen Edelsitzen gesprochen und gesungen, die durch das Feudalsystem des Eroberers über das ganze Land ausgestreut waren. Die französischen Normannen hatten zudem eine im Aufblühen begriffene ritterliche Poesie auf die Insel mitgebracht, und gerade durch den kräftigen Anstoß, den jene große Waffenthat dem Geiste des erobernden Volkes gegeben, entfaltete sich diese Poesie rasch und in reicher Fülle. So sehen wir denn die wunderbare Erscheinung, die ohne Parallele in der Weltgeschichte dasteht: in einem Lande, dessen Bevölkerung wesentlich und ursprünglich deutsch ist, blüht und herrscht die französische Literatur zwei Jahrhunderte lang in einer Ausschließlichkeit, die fast keine andere literarische Lebensregung neben sich aufkommen läßt. Ja, was noch mehr und wunderbarer ist: es sind nicht etwa in Frankreich entstandene und gedichtete Lieder, die an den Höfen der nach England übergesiedelten Familien nachgesungen und nacherzählt werden: vielmehr ist gerade der Grund und Boden der deutschen Insel der Hauptsitz und Entstehungsort der bedeutendsten dichterischen Erzeugnisse der altfranzösischen Literatur.

Dieses Verhältniß wurde, je länger es dauerte, desto unnatürlicher, zumal der unterworfene deutsche Stamm eine so große innere Lebenskraft bewahrte und weiter entwickelte, daß er selbst die feudalen Institutionen des französischen Ritterthums überwand und den urdeutschen Rechtsverhältnissen sich anzupassen und unterzuordnen zwang.

Es war nicht anzunehmen, daß der Deutsche jemals seine Sprache für die französische aufgeben würde. Der unumgängliche Ideenaustausch zwischen den beiden Völkern mußte daher zu einem eigenthümlichen Kompromiß führen, der anfangs auf eine ziemlich rohe und unbewußte, aber doch wirksame Weise vollzogen wurde. Die Nothwendigkeit, sich gegenseitig, wenigstens in den materiellsten und handgreiflichsten Beziehungen, zu verständigen, führte zur Verstümmelung sowohl der deutschen als französischen Wortformen. Es war genug, daß man sich die Wort stämme merkte. Die feineren Verhältnisse der Deklination und Konjugation, schon ohnehin durch tonlose Silben bezeichnet, waren dabei unnütz, ja sogar hinderlich. Sie wurden bis auf den nothdürftigsten Rest abgestoßen. Gewisse Eigenthümlichkeiten der französischen Aussprache, gegen die sich das niederdeutsche Organ sträubte, namentlich die Nasaltöne, ließ man theils fallen, theils suchte man ihnen durch andere Kombinationen so nahe zu kommen, als es eben ging. Man sprach sie, wie man sie zu hören glaubte.

Auf diese Weise bildete sich im Laufe des 13. Jahrhunderts in der That eine neue Sprache, die, wiewohl in den Resten der Wortbeugung und den Formwörtern ganz und im Wortvorrath vorherrschend deutsch, doch weder angelsächsisch noch französisch war – sondern englisch. An Festigkeit in Wortgebrauch, Aussprache und Formation war natürlich fürs erste nicht zu denken. Nicht nur jede Landschaft differirte von der andern in der Auswahl des Vocabularium und in dem Grade der Korruption, sondern jedes Individuum von dem andern, selbst ein und derselbe Schriftsteller gebrauchte nach Versbedürfniß und Laune bald eine kürzere, bald eine längere Form, bald eine alterthümlichere und schwerfälligere, bald eine abgeschliffenere und bequemere F1. Ich habe mich soeben des Ausdrucks Schriftsteller bedient; und in der That beginnt mit dem Ende des 13. Jahrhunderts eine Rührigkeit in den bürgerlichen Schichten der Gesellschaft, die in diesem allerdings noch sehr unvollkommenen und schwer zu handhabenden Idiom mit den Poesien des französisch redenden Ritter- und Herrenstandes zu wetteifern versucht. Diese Rührigkeit und mit ihr die Anzahl poetischer Produktionen nimmt in dem Grade zu, wie wir uns dem 14. Jahrhundert nähern, und zeigt im Beginn und namentlich um die Mitte dieses Jahrhunderts, daß eine große literarische wie kirchlich-politische und sociale Krisis zur Reife gediehen ist: eine siegreiche Reaktion zu Gunsten des deutschen Volkselementes in England gegen das französische.

Daß nämlich auch die französische Sprache der höheren Gesellschaftsklassen nicht unberührt bleiben konnte von den Einflüssen des neuen Bodens, auf dem es sich heimisch machte, liegt in der Natur der Sache. Schon Wilhelm der Eroberer sah sich genöthigt, in seine öffentlichen Erlasse angelsächsische Ausdrücke für Begriffe und Dinge aufzunehmen, für welche ihm kein genau deckendes französisches Wort zu Gebot stand. Die gerichtliche und officielle Sprache wird von diesen fremden Eindringlingen je länger je mehr entstellt. Ja auch die Aussprache fängt an sich zu modificiren. Der niedere Adel konnte nicht so wie die Barone seine Söhne auf den Kontinent schicken, um die Sitte und Sprache der Väter dort von Generation zu Generation aufzufrischen. Wurde der Schulunterricht auch in französischer Sprache ertheilt, so hatten doch die ersten Umgebungen der Wärterinnen und Dienstmannen bereits einen schwer zu vertilgenden Einfluß auf die Jugend geübt, und die Lehrer in der Schule befanden sich selbst in keiner besseren Lage. Die Schultradition, ohne Zusammenhang mit der französischen Volkssprache, entfernte sich von Jahr zu Jahr mehr von dem lebendigen Gebrauch der letzteren. Das Französische verlor in England den Boden unter den Füßen, es wurde ein Kunstgewächs, das sich nicht mehr lange halten ließ. Man begann einzusehen, daß das anglisirte Französisch kein »Französisch von Paris« mehr sei (s. Canterbury-Gesch., Vers 126) und daß der in England gebornen und französisch schreibenden Dichter der schlimme Makel provinzieller und pedantischer Lächerlichkeit anhafte, und mit dieser Einsicht mußte auch diese Art der Produktionen von selbst aufhören F2.

Es wurde aber diese durch drittehalb Jahrhunderte vorbereitete Krisis beschleunigt und zum Abschluß gebracht eben in der Zeit, da Chaucer auftrat und durch Ereignisse, die zwar den äußeren Glanz und Ruhm des englischen Namens für den Augenblick beeinträchtigten, aber für die Selbständigkeit des Landes und für die innere Entfaltung seines Staats- und Volkslebens von dauerndem und unberechenbarem Gewinn gewesen sind: durch die Reihe von Unfällen nämlich, welche in dem letzten Theile der Regierungszeit Eduards III. den Verlust der reichen Provinzen herbeiführte, die das englische Herrscherhaus in Frankreich besessen hatte. Allerdings hatten auch schon vorher die glorreichen Tage von Crecy und Poitiers, die jenen Besitz zu befestigen versprachen, dennoch in ähnlichem Sinne gewirkt. Ans diesen Schlachtfeldern, wo der Normannenadel an der Spitze seiner angelsächsischen Dienstmannen gegen die französischen Stammgenossen kämpfte, und dem Langbogen der bäurischen Scharfschützen vorzugsweise seine glänzenden Erfolge verdankte, hier wurde eine Waffenbrüderschaft geschlossen und mit Blut besiegelt, die inniger und von dauernderem Bestand war als selbst das Band gemeinsamer Abstammung und Sprache. Das gehobene Selbstgefühl und Volksbewußtsein der Yeomanry wurde von Ritterschaft und Adel getheilt. Beide fühlten sich als Söhne einer Mutter: Englands. Und als nun die Tage des Mißgeschicks kamen und die festländischen Besitzungen durch die Gewandtheit des französischen Fabius, Bertrand du Guesclin, den Engländern für immer entrissen wurden, da schien jede Brücke abgebrochen, die bisher die Verbindung mit Frankreich und die Erneuerung französischer Art und Sitte dem englischen Adel leicht und lockend gemacht hatte. Das Französische geht in England entschieden dem Erlöschen entgegen. Zuerst wird es als Unterrichtssprache aus den Schulen, dann aus den mündlichen Verhandlungen vor Gericht verdrängt. Ein Jahrhundert dauerte es zwar noch, ehe es als Umgangssprache, sowie aus den Parliamentsverhandlungen und der Gesetzgebung verschwand, und in den Akten der Gerichte hält es sich sogar in furchtbar korrumpirter Form noch bis tief in das 17. Jahrhundert hinein. Aber dieser Pedantismus ist für die englische Literatur fortan völlig bedeutungslos; höchstens als ein Beleg für das Festhalten des Engländers an ererbten, wenn auch überlebten Formen bemerkenswerth.

Das innere Zusammenfassen des englischen Volksgeistes und die Auferweckung des unverwüstlichen deutschen Elementes in der Nation offenbart sich aber auch gleichzeitig durch die Erhebung des dritten Standes in der Reichsversammlung. Das Unterhaus wird sich zum erstenmal der Kraft und Bedeutung bewußt, welche diesen politischen Körper im Laufe der Jahrhunderte zum Musterbild aller parlamentarischen Versammlungen hat werden lassen.

Es offenbart sich ferner derselbe Aufschwung auf kirchlichem Gebiete durch die reformatorischen Bewegungen, die, von Wiclif energisch und systematisch geleitet, ihre Schwingungen bis nach Deutschland fortsetzten und hier den ersten Impuls zu dem großen Meinungsumschwung gaben, der nach mannigfachen Hemmungen und Brechungen endlich doch zu der großen Kirchenverbesserung des 16. Jahrhunderts führte. Auch diese Bewegung war durchaus deutsch. Es läßt sich ihr Zusammenhang und ihre bewußte Anknüpfung an die freiere Auffassung der angelsächsischen Kirche und ihre unabhängigere Stellung der Kurie gegenüber historisch wie literarhistorisch nachweisen

So war denn vom französischen Wesen nichts in der Nation geblieben als der bildende Einfluß, den der innige Verkehr mit einem Tochterstamm des großen Römervolkes nothwendig auf die derbe und zur Plumpheit neigende Natur des Niederdeutschen üben mußte. Es war ein größerer Ideenreichthum mit einem entsprechenden Wörterschatz eingeführt, dessen völlige Aneignung die Elasticität und Beweglichkeit des Fassungsvermögens steigern mußte. Es war ein Sagenschatz in verhältnißmäßig gebildeter Form bereits Eigenthum des Landadels. Er mußte um so mehr zur Nachahmung reizen, als die Träger der poetischen Kunstfertigkeit, die Minstrels, allmählich beider Sprachen mächtig geworden waren. Der ritterliche Sinn, die äußere Eleganz und Zierlichkeit des nordfranzösischen Wesens schwand nicht, vielmehr, indem sie die rauheren und roheren Seiten des Volkes abschliff, vermählte sie sich mit den solideren Tugenden desselben, mit der Biederkeit und Gemüthstiefe des Deutschen. Die edle Frucht dieser Völkerehe war eine wahrhafte Civilisation, eine tief menschliche Bildung, deren von allen Nationen Europa's nächst Italien England zuerst theilhaftig geworden ist, und die es, glücklicher als Italien, durch alle folgenden Zeiten festgehalten und fortentwickelt hat.

In einer Zeit, wo Deutschland nach dem vorübergehenden Glanze seiner romantischen Kulturperiode durch die Greuel der kaiserlosen Zeit und des Faustrechtes in tiefe und langdauernde Barbarei versank, wo in Frankreich aus ähnlichen Ursachen eine ähnliche dunkle Kluft den Gang der literarischen Entwicklung unterbrach, in demselben Zeitabschnitte trat die oben geschilderte segensvolle Umwandlung für England ein.

Dieser Zeit leuchtet auf dem Gebiete der Poesie Chaucer voran, den ein jüngerer Zeitgenoß mit treffender Metapher als den Angelstern der englischen Sprache begrüßt F3, wie ihn mit gleichem Recht seine dankbaren Landsleute noch heutigen Tages »den Morgenstern der englischen Dichtung« nennen F4.

Ueber seine Lebensumstände sind uns zwar erst von seinem Mannesalter an sichere Nachrichten bewahrt. Diese sind aber um so schätzbarer, als sie sich größtentheils aus amtliche Dokumente stützen und durch den Fleiß seines letzten Biographen, Sir Harris Nicolas F5, auf eine so ansehnliche Zahl gebracht sind, daß sie in Verbindung mit Chaucer's hinterlassenen Schriften uns in den Stand setzen, uns ein lebendiges Bild von dem Charakter des Mannes bis auf seine äußere Erscheinung zu entwerfen.

Als sein Geburtsjahr wird in den geläufigen Literaturgeschichten das Jahr 1328 angegeben. Die älteren Biographen, und nach ihnen Godwin F6 und Wilh. Müller F7, berufen sich dafür auf eine Inschrift seines Grabsteines, nach welcher er am 25.Oktober 1400 in einem Alter von 72 Jahren gestorben wäre. Aber schon Tyrwhitt F8 spricht zweifelhaft von diesem Dokument, und der zuverlässige Sir H. Nicolas F9, der das ganze Grabdenkmal genau beschreibt und sämmtliche Inschriften auf und neben demselben mittheilt, giebt keine, welche das Lebensalter des Dichters enthielte. Dagegen zeigt das Hauptepitaph im Hintergrund der Nische den Sterbetag wie oben angegeben. Ueberdies ist ja jenes berühmte Monument in Westminster-Abtey von verhältnißmäßig sehr spätem Ursprung, erst anderthalb Jahrhunderte nach dem obigen Datum (im Jahre 1556) von Nicolas Brigham aus Oxford dem Dichter gesetzt worden.

Nun spricht aber gegen das angeführte Jahr direkt die zuerst von Godwin F10 veröffentlichte Urkunde einer gerichtlichen Zeugenaussage Chaucer's vom Jahre 1386, in welcher der Dichter erklärt, daß er 40 Jahre und darüber ( XL ans et plus) alt sei. Allerdings ist diese Bestimmung ungenau und man mag für Altersangaben in jener Zeit eine Unsicherheit des Deponenten auf einige Jahre annehmen. Diese Ungenauigkeit aber so weit ausdehnen zu wollen, daß sie in Einklang mit der unverbürgten Jahreszahl der Grabschrift käme, ist platterdings unmöglich. Ein Mann von 56 Jahren, der bei gesunden Sinnen und obenein recht sehr gebildet ist, kann in einer ernsthaft gemeinten protokollarischen Aussage sein Alter nimmermehr dadurch bestimmen wollen, daß er sagt, er sei über vierzig. Das Aeußerste, was man in diesem Fall zugeben kann, ist, daß der Deponent schon ziemlich vorgerückt in den Vierzigern ist. Nehmen wir daher als eine Zahl, die die Mitte noch überschreitet: 46 Jahre an, so daß wir für Chaucer's Geburt das Jahr 1340 erhalten, so werden wir, weit entfernt, in Widersprüche mit Argumenten zu gerathen, die sich aus Chaucer's Leben entlehnen lassen, vielmehr eben dadurch erst manchen Zweifel gelöst sehen, der sich uns bei der traditionellen Jahreszahl aufdrängte. Zunächst sagt Chaucer in den Canterbury-Geschichten (V. 4477) von dem Klaggedicht auf den Tod der Herzogin Blanche, er habe es in seiner Jugend geschrieben. Nach der gemeinen Annahme wäre Chaucer damals, da Blanche 1369 starb, 41 Jahre alt gewesen. Dies Alter wird auch ein Greis nicht seine Jugendzeit nennen. Nach unsrer Annahme war er zur Abfassungszeit des Gedichtes 29 Jahre alt. – Ferner würde Chaucer, da er ebenfalls nach der oben angezogenen Zeugenaussage im Jahre 1386 27 Jahre in den Waffen gedient hatte, erst im 31. Jahre in das Heer eingetreten sein, eine unglaublich späte Zeit für einen angehenden Kriegsmann jener ritterlichen Tage, zumal wenn man die vielen glorreichen Heereszüge in Betracht zieht, welche den ersten Theil der Regierungszeit Eduards III. ausfüllen. Ja, das untergeordnete Amt eines Yeomans im königlichen Haushalt würde er erst im vierzigsten Jahr angetreten haben F11. Wenn man nach allen Analogien andrer Dichter voraussetzen muß, daß Chaucer in diesem Lebensalter den Höhenpunkt seiner poetischen Zeugungskraft sicher erreicht hatte, so wäre allerdings diese späte und dürftige Anerkennung seiner Verdienste beklagenswerth und die wehmüthige Betrachtung Tyrwhitts F12 über die seltne Vereinigung der Herrschertugenden mit dem Gefühl für poetische Größe durchaus an ihrem Ort.

Aber wir haben glücklicher Weise nicht nöthig, Eduard dieser barbarischen Gleichgültigkeit gegen das größte Dichtergenie seines Jahrhunderts anzuklagen. Chaucer war um die Zeit, da er das Hofamt antrat, erst 27 Jahre alt, als er seine militärische Laufbahn begann, erst 19. Er mochte durch die Bekanntschaften, die er unter seinen höher gestellten Waffengefährten angeknüpft, durch die Beschützer, welche ihm eine gelegentliche Uebung seiner Dichtergabe unter ihnen gewonnen hatte, dem König empfohlen sein, und dieser wollte einem aufblühenden Talente Ermunterung und in der Umgebung eines glänzenden Hofes ein passendes Terrain für seine Ausbildung bieten.

Endlich wird uns durch unsre Voraussetzung allein die Erscheinung erklärlich, daß Chaucer bei seinen mannigfaltigen Anspielungen auf Zeitverhältnisse niemals Ereignisse aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts in der Sprache eines Zeitgenossen erwähnt.

Es ist Fiedler's Verdienst, zuerst die Autorität der Grabinschrift angefochten und mit Entschiedenheit auf ihren Widerspruch mit dem unabweisbaren juridischen Dokument hingewiesen zu haben F13. Er geht aber ohne Zweifel nach der andern Seite zu weit, wenn er sich an den Ausdruck vierzig und mehr so genau hält, daß er das Geburtsjahr Chaucer's bis 1345 heraufschiebt. Der Dichter würde alsdann seinen Militärdienst mit dem 14. Jahre begonnen haben, was unter allen Umständen außerordentlich unwahrscheinlich, in Chaucer's Verhältnissen aber vollends unglaublich wäre. Denn was man auch von seinen gelehrten Kenntnissen urtheilen mag, sie sind für seine Zeit sehr schätzenswerth und zu beträchtlich, als daß sie entweder schon in so früher Jugend oder später in einem bewegten Kriegs- und Hofleben so nebenbei hätten erworben werden können. Sie können nur durch Universitätsstudien begründet sein F14. Zu welchen neuen Konjekturen müßte man aber seine Zuflucht nehmen, um diese Thatsache mit jener Annahme zu vereinigen!

Derjenige Beweisgrund endlich, auf welchen Fiedler sich am entschiedensten für ein so spätes Datum der Geburt Chaucer's stützt, daß nämlich die Hofcharge, die in dem Ernennungspatent durch » Valetus noster« bezeichnet wird, die Stellung eines Pagen gewesen, für die ein Alter von 22 Jahren eher noch zu hoch als zu niedrig wäre, beruht auf einer in zweifacher Beziehung irrthümlichen Worterklärung, wie weiter unten dargethan werden wird.

Chaucer ist aller Wahrscheinlichkeit nach in London geboren, wo im 13. und 14.Jahrhundert mehrere Bürger seines Namens und daher doch wohl derselben Familie ansässig waren F15. Die Sache würde durch sein eignes Zeugniß im »Testament der Liebe« F16 außer allem Zweifel sein, wenn es ebenso zweifellos wäre, daß diese unter seinem Namen gehende Schrift in der uns vorliegenden Form wirklich von Chaucer verfaßt – oder daß, wenn sie von ihm verfaßt war, unter dem in der ersten Person dort geführten Erzähler wirklich unser Dichter zu verstehen sei« F17.

London war schon damals der Centralpunkt des englischen Lebens, der Sitz eines wohlhäbigen, trotzigen Bürgerthums, das mit den Rittern und Herren auf gleichem Fuße zu verkehren gelernt hatte. Aus diesem Grunde ist die Stadt auch wichtig für die Mischung der beiderseitigen Sprachen, da ihr Beispiel als maßgebend für das ganze Königreich gelten mußte, zumal sie in der Mitte derjenigen Landschaften lag, deren Mundart schon in früheren Jahrhunderten als die reinste und gebildetste in den angelsächsischen Reichen gegolten hatte.

Der Dichter gehörte dem ritterlichen Stande an, wiewohl er niemals die eigentliche Ritterwürde erlangt zu haben scheint; denn diese immer kostspielige Ehre hatte längst angefangen als eine Last zu gelten. Die weniger bemittelten Glieder der Gentry entzogen sich derselben auch dann noch gern, wenn sie als Inhaber eines Ritterlehens die Pflicht hatten, sie nachzusuchen F18. Chaucer scheint nicht in die letzte Kategorie gehört zu haben. Man hat vergebens versucht, nachzuweisen, daß er im Besitz eines Landgutes gewesen. Seine Vermögensumstände waren vielmehr eher dürftig als das Gegentheil F19. Daß er jedoch aus einer ursprünglich normännischen Familie entsprossen war, bezeugt sein Name. Chaucer (Chaucier) hat im Altfranzösischen die wenig poetische Bedeutung Strumpfwirker.

Er hat, wie schon angedeutet, die gewöhnliche Erziehung eines Mannes von Stande erhalten und eine der beiden Hochschulen des Landes, Oxford oder Cambridge, besucht. Für letztere spricht Chaucer's genaue Kenntniß der dortigen Lokalitäten und studentischen Institute, die er in der Erzählung des Verwalters (Cant.-Gesch., V. 3919ff.) an den Tag legt, und in Verbindung damit ist denn auch die Notiz im »Liebeshof« (V. 913) nicht ohne weiteres bei Seite zu schieben, wo er sich den »Studenten Philaret von Cambridge« nennt. Das augenfällige Pseudonym verdächtigt keineswegs ohne weiteres den daneben stehenden wirklichen Ortsnamen, wie allzu skeptische Kritiker meinen. Im Gegentheil, er scheint anzudeuten, daß der Dichter seine Maske nicht allzu undurchsichtig habe machen wollen. Daß er daselbst die zu seiner Zeit geläufigen Schriftsteller des klassischen Alterthums studirt hat, wäre, wenn es nicht aus der Einrichtung der englischen Universitäten von selbst erhellte, aus zahlreichen und häufigen Benutzungen antiker Autoren in seinen Schriften zu ersehen.

Es erhellt jedoch aus denselben nicht, welchem Fachstudium er sich etwa nach Erwerbung dieser allgemeinen Kenntnisse gewidmet. Einige seiner Biographen möchten ihn gern zum Juristen machen. Eher würde seine wirklich recht umfangreiche Belesenheit in der Patristik und der kirchlichen Literatur überhaupt für die Theologie sprechen, wenn nicht die Lektüre theologischer Schriften damals in allen gelehrten Kreisen verbreitet gewesen wäre.

Dagegen scheint Chaucer einer gelehrten Passion nachgehangen zu haben, die weder mit der später von ihm eingeschlagenen kriegerischen und bürgerlichen Laufbahn, noch mit seinem Beruf als Dichter im Zusammenhang, vielmehr mit beiden in sonderbarem Kontrast steht. Er hat sich offenbar viel und ernstlich mit Astronomie beschäftigt und als ein Ergebniß seiner Studien eine (unvollendet auf uns gekommene) Abhandlung über den Gebrauch des Astrolabiums für seinen Sohn Louis (Lowis) verfaßt (im Jahre 1391) F20. Er weiß übrigens sein lebhaftes Interesse für diese Wissenschaft so wenig zu zügeln, daß er mit ihren abstrusen Theorien und technischen Erörterungen zuweilen mitten in seine poetische Darstellung hineinbricht, in einer Weise, die wir einem Dichter der Gegenwart nicht verzeihen würden, die uns auch bei ihm ein Lächeln abnöthigt, die wir aber dennoch als zur Charakteristik dieser seltsam bunten und phantastischen Zeit gehörig nicht ohne Interesse verfolgen können. Anderseits haben die an den betreffenden Stellen gegebenen astronomischen Bestimmungen und Erörterungen vielfach Bedenken in Bezug auf ihre Richtigkeit erregt. Es wird aber aus den Anmerkungen des Uebersetzers sich ergeben, daß diese Bedenken in jedem einzelnen Fall unbegründet und theils aus Mißverständnissen der Erklärer, theils aus augenfälligen Korruptionen der Handschriften entsprungen sind F21. Er konnte natürlich auch die in jenen Zeiten mit der Astronomie eng verwachsene Astrologie nicht außer Acht lassen, und viele Stellen zeugen von seiner genauen Kenntniß dieser Afterwissenschaft, die ihm hin und wieder zur poetischen Ausschmückung seiner Erfindungen dient, oft aber auch Gelegenheit zu Spötteleien bietet. Sein Hang zur Romantik führte ihn selbst in die abstrusen Träumereien der Alchymie ein. Aber sein klarer Geist kehrte unbeschädigt aus diesen dunkeln Studien zurück und gewann dadurch nur einen Stoff mehr zur Satire auf den krankhaften Aberglauben seiner Zeitgenossen und auf die betrügerischen Künste der Adepten.

Im übrigen hat er sich nach Vollendung seiner Studien zunächst mehr im Gewühl des Lebens als in der Einsamkeit seines Studierzimmers gebildet. Im Jahre 1359 trat er in die Armee F22. Es war um dieselbe Zeit, als Eduard III. jenes Aufgebot zum Heereszug nach Frankreich erließ, das eine größere und stattlichere Schaar um seine Fahnen versammelte, als die Zeitgenossen je vorher gesehen hatten. Wahrscheinlich gerieth Chaucer damals in die Kriegsgefangenschaft, deren das öfter angezogene Dokument erwähnt. Aber der schon im nächsten Jahre geschlossene Friede von Chartres und Bretigny gab auch zugleich leichtere Gelegenheit zur Auslösung der Gefangenen, als die unmittelbar darauf folgende lange Reihe von Unglücksjahren. Nun aber sehen wir Chaucer im Jahre 1367 nicht blos auf freiem Fuß, sondern bei Hof in Gunst und in einer Ehrenstelle, wie sie seinem Alter und den mäßigen Ansprüchen, zu denen ihn seine Geburt berechtigte, angemessen war. Er trat zunächst in die Charge eines Valets (oder Yeoman) ein, die unter den niedern Hofämtern die zweite Stelle einnahm F23. Wenn damit Dienstleistungen der Art verknüpft waren, wie sie etwa denen eines Hoflakaien unsrer Zeit entsprechen, so erinnere man sich, daß das Feudalsystem sich eben auf ganz persönliche dienerschaftliche Leistungen stützte; daß solche aristokratischen Titel, auf welche die ersten Würdenträger und Fürsten des Reiches stolz waren und noch zum Theil sind, wie Truchseß, Mundschenk, Küchen- und Kellermeister, ursprünglich und in jener Zeit noch bitterlich ernst gemeint waren. Solche Dienste, wie: bei Tisch aufwarten, den Steigbügel halten, den Herrn ankleiden, der Dame die Schleppe tragen, Bote reiten, die Waffen und das Ritterpferd putzen und anschirren, wurden auch an den kleineren Herrenhöfen durch junge Leute von Adel versehen. Es lag darin nicht im mindesten etwas Entehrendes. Vielmehr lernten sie, indem sie zugleich in nützlicher Beschäftigung verwandt wurden, ritterliche Sitte und Anstand auch in solchen äußeren Verrichtungen entfalten, sie lernten den jugendlichen Trotz und Standesübermuth bezwingen, der in den handfesten Zeiten des Mittelalters nur zu geneigt war, sich nach allen Seiten hin thätlich und schädlich Bahn zu brechen. Galten nun solche Dienste, einem schlichten Ritter geleistet, nicht als unehrenhaft, so mußte eine derartige Stellung an dem Hofe des Monarchen, selbst für einen jungen Mann aus dem niedern Adel, als ein glänzendes und beneidenswerthes Ziel seines Ehrgeizes erscheinen. Es rückten auch die niedrigsten Stellen zu einer höheren Bedeutung hinauf.

In einem kleineren Haushalte wurde der Dienst eines Valet durch einen zwar freien, aber nicht ritterbürtigen Lehnsmann (Dienstmann, ministerialis) versehen. Daher auch der Name Valet-Vassalet, Afterlehnsmann, Hintersasse. Diesen, vom Kontinent herübergetragenen Begriff fand man in dem auf der Stufenleiter politischer Berechtigung ihm ungefähr gleichstehenden englischen Yeoman wieder. Auch diese sind zwar persönlich freie Leute ( liberi tenentes, freeholders), aber da sie bei geringerem Grundbesitz keine selbständige Stellung in der Gemeinde und Grafschaft gewinnen können, erscheinen sie nicht nur im feudalen Heerdienst ihren Lehnsherren untergeordnet, sondern haben sich auch niemals zu der höheren geselligen Stellung erhoben wie in Deutschland, wo gerade aus den Ministeriales sich der niedere Adel bildete. Vielmehr sehen wir sie in Haus und Hof zu minder ehrenvollen Leistungen verwandt – als Förster, Flurschützen, Rentvögte u. s. w. F24. Im allgemeinen aber decken sich die Wörter valet und yeoman und werden zu Chaucer's Zeit gleichbedeutend in den gewöhnlichen Verhältnissen für einen freien, aber nicht ritterlichen Dienstmann gebraucht F25.

Höhere Verrichtungen dagegen, wozu aber unbedingt das Aufwarten bei Tisch gehörte, werden auch an den kleineren Höfen edelgeborenen Dienern übertragen. Ein solcher hieß Squiere (franz. écuyer, ital. scudiere). Der Name weist auf den Waffendienst hin (Schildträger, scutifer). Da der Regel nach jeder junge Edelmann, eh' er sich die Sporen verdiente, diesen Dienst durchmachen mußte, so wird dann auch Squiere für jeden jungen Mann von Stande, der noch nicht Ritter ist, gebraucht. Endlich, da seit Eduard's I. Zeiten die Inhaber einfacher Ritterlehen sich der Ehre des Ritterschlages als einer Last zu entziehen anfingen, und sonach ihr Lebelang Squieres blieben, so ward das Wort die noch bis auf den heutigen Tag gültig gebliebene Bezeichnung für einen Gutsbesitzer von niederm Adel: Squire. Bereits zu Chaucer's Zeit finden wir das Wort in allen drei Bedeutungen F26. In allen dreien entspricht ihm vielleicht aus ähnlichen Gründen das deutsche Wort Junker.

Zur Vervollständigung dieser, für das Verständniß vieler Stellen unsers Dichters nothwendigen Auseinandersetzung diene noch Folgendes: Bei der im 14. Jahrhundert auch in den untern Schichten eingetretenen Lockerung des Lehnsverbandes war eine zahlreiche Klasse freier Leute niedrer Geburt ohne Grundbesitz entstanden, die ebenso gut wie die gemeinfreien Freeholders – Yeomen genannt wurden. Diese ließen sich ihre persönlichen, auf Kontrakt begründeten Dienste in Geld bezahlen und waren daher wirklich Diener (Bediente), ganz im jetzigen Sinne des Wortes F27.

War nun am königlichen Hofe das Amt eines Valet schon ehrenvoll, so war es das eines Squiere (Hofjunker) noch in höherem Maße. Wie der Rittersmann mit seinem Squiere als mit einem ebenbürtigen Familiengliede vertraulich verkehrte, so konnte der Hofjunker des Monarchen bereits zu Aufträgen verwandt werden, welche das höchste Vertrauen des Fürsten voraussetzten und die zu allen Zeiten als höchst ehrenvoll gelten würden.

Schon als Valet ward Chaucer im Jahr 1370 in königlichem Auftrage F29 und mit einem Geleitsbriefe jenseits des Meeres ( ad partes transmarinas) geschickt.

Am 12. November 1372 aber F30 erhielt er den Auftrag, mit den Bürgern von Genua, Jakob Pronam und Johannes de Mari, zu einer Kommission zusammenzutreten, um mit dem Dogen und der Republik wegen Wahl eines englischen Seehafens zu unterhandeln, in welchem die Genuesen eine Faktorei gründen möchten.

In dem betreffenden Patent erscheint Chaucer nun bereits als königlicher Squiere ( scutifer noster). Doch ist mit dieser ausgezeichneteren Stellung kein höherer Gehalt verknüpft. Vielmehr bezieht er die auf Lebenszeit ihm bewilligten 20 Mark nach wie vor und zwar in seiner Eigenschaft als Valet F31, die also durch den höheren Rang nicht erloschen ist. Dagegen scheinen seine Einnahmen durch nicht unerhebliche Reisegelder, die er theils im Vorschuß, theils nach Rechnunglage empfängt, bedeutend vermehrt F32.

Chaucer hatte sich wahrscheinlich kurz vor seiner Anstellung im Hofdienst mit einer Ehrendame F33 der Königin Philippa vermählt, die mit ihrem Vornamen ebenfalls Philippa hieß. Sie war die Tochter Pagans de Rouet ( Sir Payne Roet) aus dem Hennegau, Wappenkönigs für Guyenne F34, der wahrscheinlich im Gefolge der Königin Philippa im Jahre 1328 nach England übergesiedelt war, und eine Schwester der verwittweten Katharina Swynford, der Geliebten und nachmaligen Gemahlin des Herzogs Johann von Lancaster. Seine Gattin, die für ihre Hofdienste seit 1366 eine lebenslängliche Rente von 10 Mark jährlich bezog F35, erhielt dieselbe auch nach dem Tode ihrer Gebieterin für sich und ihren Mann zugesichert und auch nachmals durch Richard II. bestätigt F36.

Einen weiteren und, wie es scheint, sehr bedeutenden Zuwachs erhielten Chaucer's Einnahmen durch seine am 8. Juni 1374 erfolgte Ernennung zum Steuerkontroleur über die Abgaben von Wolle, Fellen und gegerbten Häuten, so wie über die kleineren Weinzölle im londoner Hafen F37. Allerdings wird einer fixirten Besoldung dafür nicht erwähnt. Denn nicht dahin zu rechnen ist die bereits am 23. April desselben Jahres durch königliche Ordonnanz verfügte Zusicherung eines Kruges Wein täglich auf Lebenszeit zu verabreichen durch den königlichen Kellermeister F38. Aber die Emolumente waren bei allen derartigen Stellen die Hauptsache und sie müssen bei dem regen Verkehr des londoner Handels, namentlich in den erwähnten Artikeln, recht bedeutend gewesen sein. Fälle, wie der durch ein Dokument uns aufbewahrte F39, wonach ihm konfiscirte Wolle im Werthe von 71 L. 4 S. 6 P. zugesprochen wurde, standen gewiß nicht vereinzelt da. Uebrigens war dieser Posten keineswegs eine Sinekure. In dem angezogenen Bestallungspatent wird ihm zur ausdrücklichen Bedingung gemacht: »daß der besagte Gottfried mit seiner eigenen Hand die Register schreibe, die zum besagten Dienst gehören, daß er sich daselbst dauernd aufhalte und Alles, was besagten Dienst betreffe, in eigener Person, nicht durch Stellvertreter thue und ausrichte.«

Das klingt allerdings sehr prosaisch. Aber man mache darum dem guten und glorreichen König nicht von neuem den Vorwurf, daß er nicht geahndet habe, was sich für einen Dichter, den größten Dichter seines Jahrhunderts, passe. Es bedarf nicht einmal der Entschuldigung, daß Eduard III., der sein lebelang nur französisch sprach, ebenso wenig Notiz von der werdenden Poesie Englands zu nehmen Veranlassung hatte, als Friedrich der Große seiner Zeit von der deutschen. Die Hauptsache dabei ist die, daß die Dichter jener Zeit noch keineswegs so überschwengliche Vorstellungen von dem idealen Beruf der Musenjünger hatten, um es sich nicht bei einem Aemtchen, das, wenn auch prosaisch, doch recht reellen Gewinn abwarf, behaglich sein zu lassen, und daß Chaucer selbst trotz seines Kontrolirens und eigenhändigen Registrirens noch Zeit und Laune für seine Verse in Hülle und Fülle erübrigte, da er deren an 50,000 und darüber uns hinterlassen hat.

Allerdings bedurfte es hierzu immerhin alles des Fleißes und der Entsagung, die das Erbtheil jedes Künstlers und Gelehrten ist, der Großes in seiner Art schaffen will. Und in dieser Beziehung ist es rührend zu lesen, wie der Weltmann mit dem offnen Blick für Natur und Menschenleben sich doch selten nur ein freies Stündchen für den Genuß des Frühlings in Flur und Wald gönnte, weil er es ja dem Studium seiner geliebten Bücher abbrechen mußte F40:

Zwar was ich kann, ist stets gering gewesen,Doch nichts ergötzt mich so wie Bücherlesen,Auf die ich stets mein ganz Vertrauen setzeUnd die ich ehrfurchtsvoll von Herzen schätze,So herzlich, daß kein Zeitvertreib der WeltMich lange fern von meinen Büchern hält.Ein Feiertag selbst läßt mich selten frei;Es wäre denn im schönen Monat Mai,Wenn ich die Vögel wieder höre singen,Und wenn die Blumen aus dem Boden dringen.Ade dann Buch! Ade, andächt'ger Fleiß!

Mit entschiedner Anspielung auf sein Amt als Kontroleur führt er im »Hause des Ruhms« Jupiters Adler ein, wie er zu ihm spricht F41:

»Wohl hat dies Jupiter bedachtNebst Anderm, schöner Herr; das heißt,Daß du im Grunde gar nicht weißt,Ob ein Verliebter weint, ob lacht;Auch sonst von nichts, was Gott gemacht.Und nicht bloß wird aus fremdem LandDir keine Neuigkeit bekannt:Von deinem nächsten Nachbarsmann,An deiner Thür hart nebenan,Hörst du kein Wort bei Tag und Nacht.Denn wenn dein Tagwerk du vollbrachtUnd jede Rechnung fertig hast,So suchst du nicht Gespräch noch Rast,Nein, gehst nach Haus und schließst dich ein Und sitzest stumm da wie ein SteinUnd nimmst ein Buch vor und studierstBis ganz verdutzten Blicks du stierst.So lebst du wie ein Eremit.«

Inzwischen waren dem Dichter seit 1375 noch verschiedene Vormundschaften übertragen, unter anderm über den Sohn und Erben eines Sir Edmund Staplegate, für welche letztere Mühwaltung er 104 L. empfing F42. Noch dreimal wurde er unter derselben Regierung zu Botschaften an auswärtige Höfe verwendet; gegen Ende 1376 als Attaché einer geheimen Mission, deren Ziel und Zweck uns nicht bekannt ist F43; dann im Februar 1377 als Begleiter des Sir Thomas Percy nach Flandern F44, endlich am 26. April mit Sir Guichard Angle zu einer Friedensverhandlung an den französischen Hof F45.

Aber auch nach dem Tode Eduards war er nicht nur noch mehrere Jahre in dem Genuß seiner Aemter und Revenuen, sondern er erfreute sich auch des Vertrauens bei dem neuen Herrscher Richard II. in dem Maße, daß dieser ihn aufs neue zu höchst wichtigen Sendungen ausersah; zuerst als Mitglied einer Gesandtschaft an den französischen Hof, um wegen der Verheirathung Richards mit einer Tochter des Königs von Frankreich zu unterhandeln F46; dann in gleicher Eigenschaft zu einer Mission an den mächtigen Bernard Visconti von Mailand in einer politischen Angelegenheit, deren Details aus den betreffenden Urkunden jedoch nicht erhellen F47.

In seinem Amt als Kontroleur der Wollsteuer wurde er im ersten Jahr Richards bestätigt, in dem, welches die Weinsteuer betraf, im Jahr 1382. Im Jahr 1386 (17. Februar) erhielt er sogar die Erlaubniß, sein Steueramt durch einen Bevollmächtigten verwalten zu lassen F48.

Alle diese Umstände zeugen ebenso von Chaucer's geschäftlicher Gewandtheit als von seiner Beliebtheit und seinem Ansehen in den Regionen des Hofes. Daß er mit John von Gaunt, dem Herzog von Lancaster, der in verschiedenen Zeitpunkten dieser Periode einen mächtigen Antheil an der obersten Leitung des Staates hatte, verschwägert war, haben wir bereits gesehen. Daß er dadurch in engere Beziehungen zu dem fürstlichen Hause trat, würde sich von selbst schließen lassen, wenn das Wohlwollen des Herzogs für ihn nicht auch urkundlich bestätigt wäre. Am 13. Juni 1376 bewilligte derselbe unserm Dichter und seiner Frau eine jährliche Pension von 10 L. auf Lebenszeit für die guten Dienste, die beide der Herzogin, seiner Gemahlin, und der Königin Mutter geleistet hätten F49. Aber Chaucer war dem Prinzen schon in früherer Zeit in freundlicher Weise nahe getreten. Er hatte den Tod seiner ersten Gemahlin, der Herzogin Blanca (im Jahr 1369), in dem »Buch der Herzogin« auf zarte Weise betrauert F50.

Wir werden die Bedeutung dieses innigen Verhältnisses zu Johann von Gaunt um so höher anzuschlagen berechtigt sein, als damit fast zweifellos ein verhängnißvoller Umschwung in der äußeren Lage des Dichters in Verbindung zu setzen ist. Das Jahr 1386 hat für die innere wie die äußere Geschichte Englands eine traurige Berühmtheit erhalten. Am 9. Juli ging Johann von Gaunt zu einer abenteuerlichen Expedition nach Spanien ab, durch die er sich die kastilische Krone zu erwerben dachte. Der Feldzug schlug gänzlich fehl. Der Herzog, schwer erkrankt, ging nach Bordeaux und kehrte erst im Jahre 1389 nach England zurück. König Richard, der längst der vormundschaftlichen Ueberwachung müde geworden, hatte Johanns Entfernung gern gesehen und sie unter der Hand eifrig betrieben. Aber bald wurde er und das ganze Reich durch eine drohende Landung der Franzosen in Schrecken und Verwirrung gesetzt. Das Parliament wurde zur Bewilligung von Subsidien am 1. Oktober einberufen. Aber in ihm waren eine Menge unzufriedener und aufsätziger Elemente vereinigt, die in dem ehrgeizigen Oheim des Königs, Herzog von Gloster, einen bereitwilligen Führer fanden. Die außerordentlich stürmische Sitzung endete mit der Niederlage der Regierung und der König mußte seine Minister entlassen; der bisher allmächtige Liebling Richards, Graf de la Pole, zu Gefängnißstrafe und unerschwinglichen Geldbußen verurtheilt und dem König selbst ein Verwaltungsrath aufgenöthigt, der ein Jahr lang faktisch souveräne Gewalt im Lande übte.

Eine Reaktion, welche durch die entsetzten Minister in Gang gebracht wurde, scheiterte und hatte die vollständige Niederlage der Camarilla, die Absetzung, Verbannung und Hinrichtung mehrerer ihrer Mitglieder und Anhänger zur Folge. Das Parliament verfuhr dabei vielfach höchst ungerecht und ließ sich durch blinden Parteihaß zu den gesetzlosesten Verfolgungen hinreißen. Herzog Gloster führte nebst vier andern Baronen bis in das Jahr 1389 eine eiserne Herrschaft über den König.

Chaucer war als Deputirter der Grafschaft Kent Mitglied des Unterhauses in der Parliamentssitzung von 1386 gewesen F51 . Wir dürfen gewiß nicht annehmen, daß er in dieser Stellung gegen die Regierung gestimmt haben sollte, deren Interessen diesmal mit denen seines hohen Gönners und mit seinen eignen, als königlichen Finanzbeamtens, zusammenfielen.

Einer der ersten Schritte des neu ernannten Reichsrathes nach Auflösung des Parliaments war nun die Einsetzung einer Kommission zur Untersuchung der Mißbräuche in der vorigen Verwaltung, namentlich in den Steuer- und Zollerhebungen. Im November bereits prüften die Kommissarien die Rechnungen der Steuerbeamten. Es verlautet zwar durchaus nichts von irgend welchen entdeckten Unterschlagungen, Betrügereien oder Amtsvernachlässigungen. Aber Chaucer hatte seine Stellen als Kontroleur nicht ausdrücklich auf Lebenszeit, sondern during good behaviour, d. h. auf Kündigung inne – und wir sehen ihn im Laufe der nächsten Wochen seiner einträglichen Posten als Steuerbeamten entsetzt. Mit dem Hauptamte war bereits am 4. December 1386 ein Adam Yerdeley F52, mit dem Nebenamt, der Aufsicht über die kleineren Weingefälle, Henry Gisor F53 am 14. desselben Monats bekleidet.

Es kann nicht Wunder nehmen, wenn durch diesen großen Verlust Chaucer's Finanzen gründlich zerrüttet wurden, zumal, da in demselben Jahre auch seine Gattin starb und somit deren Jahrgeld ebenfalls für ihn erlosch F54. In der That sehen wir ihn von diesem Zeitpunkt an in fortdauernden pecuniären Verlegenheiten und Bedrängnissen bis nahe an sein Lebensende. Und hier können wir uns nun nicht länger der genaueren Betrachtung einer Schrift entziehen, auf die wir schon oben als auf eine sehr unsichere und leider nur zu arg mißbrauchte Quelle für die Lebensverhältnisse Chaucer's hingewiesen haben: das »Testament der Liebe«. Denn gerade an dieses Buch hat die Phantasie der Biographen den Roman angesponnen, welcher uns den Dichter im Kerker, auf der Flucht nach dem Hennegau und nach Seeland und in mehrjährigem Exil vorführt, der ihn bald in dem City-Aufstand des John von Northampton (1387), bald in die Wiclifitischen Unruhen oder wohl gar in die Rebellion der Bauern unter Wat Tyler und Jack Straw verwickelt darstellt, und seine in hundert Details ausgemalte Leidensgeschichte damit schließt, daß er ihm die jämmerliche Rolle eines Renegaten und Angebers seiner Mitschuldigen zuertheilt.

Von alledem ist nicht das Geringste nachweisbar, von den Hauptmomenten der Erfindung sogar die Unmöglichkeit darzuthun. Dennoch sind sie in alle Literaturgeschichten übergegangen. Selbst der besonnene Tyrwhitt, wenn er auch nicht auf die offenbaren Fiktionen leichtgläubig eingeht, beruft sich doch auf das » Testament of Love« als auf eine Autorität. Sir H. Nicolas ist der Erste, der das ganze Buch »als schwer verständlich« bei Seite schiebt.

Aber mit diesem gewaltsamen Verfahren ist es auch nicht gethan. Denn so lange das seltsame Schriftstück noch unter Chaucer's Werken genannt wird, ebenso lange werden die in ihm enthaltenen biographischen Elemente, als aus des Dichters eigner Feder stammend, stets Berücksichtigung erheischen und stets zu neuen Konjekturen und neuen Wirrsalen führen. Ich fürchte aber, daß das Buch von den meisten Gelehrten, die es citiren, nicht zu Ende gelesen ist. Und dies wiederum ist ihnen in Anbetracht der dornigen Form und des trostlosen Inhaltes nicht allzusehr zu verdenken. Wir haben es nämlich mit einer ascetischen Tendenzschrift zu thun, in welcher Allegorien, an sich höchst schwankend und dunkel, mit eben so dunkeln Anspielungen auf wirkliche Erlebnisse in krausem Wirrwarr durch einander laufen, wo jede noch so konkrete Thatsache in dem Augenblick, da man sie zu fassen meint, in eine luftige Metapher verschwimmt. Bei schärferem und wiederholtem Hinschauen gewöhnt sich jedoch der Blick an das Dunkel, und es heben sich einzelne Gestalten auf dem neblichten Hintergrunde ab, denen wir Realität nicht absprechen können. Das Buch ist anscheinend einer schönen Frau Margarita gewidmet, die mit einem, unserm Dichter nicht fremden metaphorischen Wortspiele bald als Perle, bald als Tausendschön gefaßt wird und sich endlich nach manchen andern Wandelungen als göttliche Liebe und Gnade, ja als die heilige Kirche selber entpuppt. Auch das Gefängniß und Exil, anfangs allem Anschein nach wörtlich gemeint und von den Biographen natürlich auch so verstanden und ausgebeutet, wird später (S. 502b und 503 Urry) zur Haft in der Hütte der Sterblichkeit und der weltlichen Lüste und zur Verbannung aus der Seligkeit des Himmels. Wenn der Verfasser aber anderseits erzählt, daß ihm betrügerische Freunde seine Reisediäten vorenthalten und das ihnen zur Bezahlung seiner Miethe anvertraute Geld während seiner Abwesenheit von London unterschlagen und für sich verbraucht haben, so ist denn dies doch eine so trockene und bittere Realität, daß an Allegorien nicht mehr dabei zu denken ist.

In der That lassen sich durch das Chaos von Phantasien und Reflexionen folgende Hauptzüge einer historischen Grundlage mit Deutlichkeit erkennen.

Der Verfasser hat sich in seiner Jugend, durch einen falschen Idealismus verführt, einer in ihren Resultaten siegreichen Volksbewegung der City gegen die bestehenden städtischen Gewalten angeschlossen. In seinem späteren Alter wird dies zum Vorwand genommen, ihn seines Amtes zu entsetzen. Er geräth aus früherem Wohlstand in Dürftigkeit, ist der Betheiligung an tiefer gehenden politischen Verschwörungen verdächtig, wird flüchtig, verfolgt, von seinen Freunden verlassen und betrogen, endlich gefangen und bedrängt, die Führer und Theilnehmer an dem Komplot zu verrathen. Als Anfangs- und Endpunkte des betreffenden Zeitabschnittes ließen sich vielleicht das Jahr 1362, wo die Zünfte der Citykorporation die Theilnahme an den Wahlen und der städtischen Verwaltung abtrotzten und das ereignißschwere Jahr 1388 fixiren, wo die nach Wiederherstellung der alten Gemeindeordnung (1382) erneuten städtischen Unruhen sich eng mit den politischen Umwälzungen berührten und durchkreuzten. Für Jemanden, dem die Details der Verfassungsgeschichte Londons zugänglich wären, würde es nicht unbelohnend sein, sie mit manchen Einzelheiten des vorliegenden Berichtes, die sich deutlich als Fakta geben, zu vergleichen, um beide sich gegenseitig erläutern zu lassen. Es würde besonders für unsern Zweck lohnen, zu prüfen, ob und wie die so gewonnenen Resultate sich mit den sonst bekannten Thatsachen aus Chaucer's Leben vertrügen, um so ein vollständigeres Charakterbild des Dichters zu gewinnen: wenn es überhaupt fest stände, daß das »Testament der Liebe« wirklich Chaucer's Werk sei.

Dafür sprechen die Handschriften, aus denen es in die Ausgaben bis Urry übergegangen ist, und die angebliche Anführung in der oft citirten Stelle aus Gower's Confessio Amantis F55. Hier sagt Venus zum Dichter:

»Grüß Chaucer mir, wenn ihr euch seht.Er ist mein Jünger und Poet,Der schon in seiner Jugend Mai,Geschickt in Weisen mancherlei,Gar manches Lied von munterm Klang,Das er zu meiner Ehre sang,Rings ließ durch unser Land erschallen.Drum bin ich von den Dichtern allenAm meisten ihm zum Dank verbunden.Nun, da die Jugend ihm entschwunden,Sollst du ihm diese Botschaft sagen,Er mög' in seinen alten TagenAll seinen Werken zum BeschlußJetzt als mein SecretariusSein Liebestestament verfassen,Damit mein Hof es registrire.«

Es ergiebt sich daraus nun aber keineswegs, daß schon damals Chaucer ein »Testament der Liebe« geschrieben habe; denn Venus läßt ihm erst den Auftrag geben. Ebenso wenig, daß Chaucer nothwendig diesen Befehl ausgeführt haben müsse; höchstens, daß er ein solches Buch zu schreiben projektirt, vielleicht auch es begonnen, und Gower von diesem Vorsatz Kunde gehabt habe. Aber ebenso gut wäre es möglich, daß Gower nur den Gedanken als einen Vorschlag und Plan für seinen Freund hinwirft, den dieser niemals ausführte.

Denn gegen seine Autorschaft spricht:

1) das beredte Schweigen des gutunterrichteten und genauen Lydgate, der in dem oben schon citirten Prolog zu seiner Uebersetzung von Boccaccio's Fall der Fürsten sämmtliche Werke Chaucer's, auch seine prosaischen Aufsätze, dem Titel und dem Inhalt nach durchgeht und kein Testament der Liebe erwähnt;

2) der Verfasser eben dieses Liebestestamentes, der von sich selbst in Beziehung zu jenen Erlebnissen immer in der ersten Person spricht und sich dadurch ausdrücklich von Chaucer, den er kennt und nennt und von dem er in der dritten Person redet, unterscheidet;

3) wenn dies noch nicht genug wäre: das warme und sogar begeisterte Lob, das er diesem Chaucer, dem Verfasser von Troilus und Cressida, spendet, ein Lob, das, wenn es aus Chaucer's eigner Feder geflossen wäre, eine beispiellose Selbstzufriedenheit bekunden würde, im direktesten Widerspruch mit der großen Bescheidenheit, die aus allen sonstigen Urtheilen des Dichters über seine eignen Produktionen hervorleuchtet F56, besonders aber im Widerspruch mit der mehr als demüthigen, ja zerknirschten Haltung gerade dieser Schrift. In der That ist mir unter allen Beispielen naiver Ruhmredigkeit von Nävius bis zum Grafen Platen und Mirza Schaffy herab keines vorgekommen, das die Konkurrenz mit dem folgenden aushalten würde, – wären es nämlich Chaucer's eigne Worte, die der Verfasser a. a. O. der Liebe in den Mund legt: »Mein eigener treuer Diener, der edle philosophische Dichter, welcher stets beschäftigt ist und sich eifrig müht, meinen Namen im Englischen zu verherrlichen; weßhalb Alle, die mir wohlwollen, ihm beides, Ehrfurcht und Verehrung ( worship and reverence), schuldig sind. Denn wahrlich, einen bessern als ihn oder auch nur seines Gleichen könnte ich nimmermehr in der Schule meiner Gesetze finden. Er hat in einer Abhandlung ( tretise), die er von meinem Diener Troilus gemacht hat, diesen Gegenstand berührt und vollständig ausgeführt. Gewiß seine edeln ( noble) Worte kann ich nicht besser sagen. In Trefflichkeit und männlicher Sprache ohne alle Art von Ziererei ( nicitie of starieres [?]), in Einbildungskraft, Witz und verständigen Gedanken übertrifft er alle andern Schriftsteller. Im Buch von Troilus kannst du die Antwort auf diese Frage finden.« –

Es ist klar, der Verfasser ist ein Zeitgenoß und großer Verehrer Chaucer's. Er hat sich auch die Lektüre des Dichters zu Nutzen gemacht, das allegorische Wortspiel mit der Margarita aus ihm geschöpft und sein Werk nach dem Plan der von Chaucer übersetzten Consolatio Philosophiae des Boethius angelegt. Wie man dazu gekommen, es Chaucer unterzuschieben, darüber lassen sich verschiedene Vermuthungen aufstellen. Genug, es ist nicht von ihm verfaßt.

Wir hoffen, daß damit die fernere Berufung auf dieses Buch als eine Quelle für Chaucer's Biographie abgethan sein wird.

Ueber die Gründe seiner Amtsentsetzung kann nach den obigen Darlegungen für Denjenigen, welcher jähe politische Wechsel selbst erlebt hat, kein Zweifel sein. Ueber die Vorwände dürfen wir uns den Kopf nicht zerbrechen. In einer so gewaltsamen Zeit bedurfte es deren kaum. Auf keinen Fall sind sie in Chaucer's religiöser Parteistellung zu suchen. Man hat den Dichter zu einem entschiedenen Anhänger Wiclif's machen wollen, ist aber den Beweis dafür schuldig geblieben.

Er erkannte allerdings die groben Mißbräuche der Hierarchie und eiferte warm und freimüthig dagegen. Er verabscheute den Ablaßkram, er verabscheute die schleichenden Umtriebe und die unverschämte Herrschsucht der Bettelmönche. Er neigte sich daher wie die meisten unabhängigen und gebildeten Männer seiner Zeit zu den Lehren Wiclif's, insofern diese das Kirchenregiment betrafen. Dies ist um so natürlicher, da beide, Reformator und Dichter, in den persönlich engsten Beziehungen zu dem Hause des Herzogs von Lancaster, ihres gemeinsamen Patrons, standen und somit in derselben geistigen Atmosphäre athmeten. Aber Chaucer kann anderseits auch nicht umhin, den puritanisch eifernden, ascetisch-nüchternen Lollharden einige Spitzen hinzuwerfen, wenn er auch nicht, wie bald nach des Reformators Tod es allgemein geschah, Lollharde und Wiclifiten als identisch konfundirt wissen will F57. Die schlichte Einfalt des redlichen Landpfarrers, der das Evangelium Christi nicht nur rein lehrt, sondern auch durch ein evangelisches Leben bethätigt, sie allerdings preist er mit ungeheuchelter und rührender Verehrung. Sonst hat er alle Achtung auch für die höheren Würdenträger der Kirche. Selbst ihre Verweltlichung giebt ihm, dem Weltmann, keinen erheblichen Anstoß. Er scherzt darüber, aber keineswegs in beißender Weise, so daß man ihm ansieht, wie er doch den lebenslustigen, feisten Herren im mindesten nicht gram ist. Der Kultus der Heiligen liegt ihm so am Herzen, daß er einige Legenden mit Liebe und Fleiß zu Gedichten umarbeitet und in seine Canterbury-Geschichten verwebt hat.

Schwerer ist es zu sagen, wie er sich zur Auffassung der strengeren katholischen Dogmen gestellt hat. Er hat sich zwar viel und eingehend mit theologischen Fragen beschäftigt; das lag in der Zeit. Aber er scheint, wie es bei einem Dichter und Weltmann ohnehin sehr erklärlich, über die subtilsten Probleme zu keiner Entscheidung bei sich gekommen zu sein. Dies erhellt theils aus der Sorgfalt, mit der er in der ascetischen Diatribe des Pfarrers alle Kontroverspunkte zwischen der orthodoxen Kirche und der Doktrin des Reformators vermeidet F58, am entschiedensten aber aus der Art und Weise, wie er den häkligen Streitpunkt über die Prädestinationslehre zwar aufnimmt F59, aber doch zuletzt als unentschieden bei Seite schiebt. Sonach erscheint Chaucer zwar als ein denkender und freisinniger Kopf, aber doch zugleich als ein guter und gläubiger Katholik, die Extreme meidend und von jedem Fanatismus frei.