Die Chroniken Aranadias I - Die Tochter des Drachen - Daniela Vogel - E-Book

Die Chroniken Aranadias I - Die Tochter des Drachen E-Book

Daniela Vogel

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Beschreibung

Wilde Horden, unter der Führung einer mächtigen Hexe und ihres Gespielen, fielen in das Land ein und brachten Tod und Zerstörung, Xorena, ihr Name. Das ganze Volk stöhnte und zitterte ob ihrer Machenschaften, die nur einem Zweck dienten, sich selbst und ihrem Gespielen ein immerwährendes Leben zu sichern. Doch ein Fluch, ausgesprochen in tiefster Verzweiflung, wurde ihr zum Verhängnis. Jedenfalls dem Anschein nach ... Jahrhunderte später: In Aranadia herrscht Frieden. Rilana, die Thronerbin des Landes, führt, nach dem frühen, gewaltsamen Tod ihres Vaters, ein wohlbehütetes und verhältnismäßig isoliertes Leben unter der Obhut ihrer Mutter, Roxane, und deren Großkanzler, Gregory de Beriot. Dies ändert sich schlagartig, als ein Fremder in ihre Gemächer eindringt und sie entführt. Raoul, wie er sich ihr Entführer nennt, schweigt beharrlich über seine Beweggründe. Selbst als die Männer ihrer Mutter, die beiden aufgreifen, Raoul gefangen nehmen, ihn dabei schwer verletzen und ihn mit Gewalt zum Reden zwingen wollen, schweigt er weiter. In Rilana keimt allmählich der Verdacht auf, dass der junge Mann nicht das ist, was er zu sein scheint. Sie beschließt, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Doch das, was sie dabei entdeckt, verschlägt ihr förmlich die Sprache.

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Die Chroniken Aranadias I

 

Die Tochter des Drachen

 

Von Daniela Vogel

Buchbeschreibung:

Wilde Horden, unter der Führung einer mächtigen Hexe und ihres Gespielen, fielen in das Land ein und brachten Tod und Zerstörung, Xorena, ihr Name. Das ganze Volk stöhnte und zitterte ob ihrer Machenschaften, die nur einem Zweck dienten, sich selbst und ihrem Gespielen ein immerwährendes Leben zu sichern. Doch ein Fluch, ausgesprochen in tiefster Verzweiflung, wurde ihr zum Verhängnis. Jedenfalls dem Anschein nach ...

 

Jahrhunderte später: In Aranadia herrscht Frieden.

Rilana, die Thronerbin des Landes, führt, nach dem frühen, gewaltsamen Tod ihres Vaters, ein wohlbehütetes und verhältnismäßig isoliertes Leben unter der Obhut ihrer Mutter, Roxane, und deren Großkanzler, Gregory de Beriot. Dies ändert sich schlagartig, als ein Fremder in ihre Gemächer eindringt und sie entführt. Raoul, wie er sich ihr Entführer nennt, schweigt beharrlich über seine Beweggründe. Selbst als die Männer ihrer Mutter, die beiden aufgreifen, Raoul gefangen nehmen, ihn dabei schwer verletzen und ihn mit Gewalt zum Reden zwingen wollen, schweigt er weiter. In Rilana keimt allmählich der Verdacht auf, dass der junge Mann nicht das ist, was er zu sein scheint. Sie beschließt, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Doch das, was sie dabei entdeckt, verschlägt ihr förmlich die Sprache.

Über den Autor:

Daniela Vogel, Jahrgang 1967, lebt im Ruhrgebiet, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Bereits seit ihrer Jugend schreibt sie Liedertexte, Kurzgeschichten und Gedichte. Schon früh entwickelte sie ein besonderes Interesse für Geschichte und die meist damit zusammenhängenden Sagen und Legenden. In ihren neuen Erzählungen verbindet sie diese beiden Dinge miteinander und paart sie mit einer Liebesgeschichte.

Sie studierte Mathematik und Informatik und war einige Jahre in einer Computerschule als Dozentin tätig. Erst als ihre Kinder, wie es so schön heißt, aus dem Gröbsten heraus waren, begann sie erneut mit dem Schreiben. Zunächst mit den Texten für ein Kindermusical, das lokal ein Mal aufgeführt wurde. Damals entstand auch ihre Idee für ihren ersten Fantasy Roman, den sie 2015 im Selbstverlag veröffentlicht.

Sie ist begeisterte Hobbyschneiderin für historische Gewandungen, musiziert in einem Gitarrenchor und trainierte jahrelang eine Tanzgruppe.

 

Bereits erschienen:

Die Kristallgrotte

Die Chroniken Aranadias II - Die Herrin der Seelen

Gleann Comhann - Gefangen im Tal der Tränen

 

Weitere Information über Daniela Vogel und ihre Bücher finden Sie unter:

www.fantasy-by-daniela-vogel.de

Hinweise zum Urheberrecht

Das gesamte Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion, Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder andere Verfahren) sowie die Einspeicherung, Vervielfältigung und Verarbeitung mit Hilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt und auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin untersagt.

 

 

Impressum

Texte : © Copyright by Daniela Vogel

Grafik: © Copyright by Jessica Mohring, ww.bookster-marketing.de

Verlag: Daniela Vogel

            Norstraße 52

            47169 Duisburg

            [email protected]

Die Chroniken Aranadias I

 

Die Tochter des Drachen

 

Von Daniela Vogel

 

 

 

 

 

Prolog

Heute bin ich ein alter Mann, dem man die Last seines, viel zu lang andauernden Lebens ansehen kann und der, so hoffe ich, bald seinem Schöpfer gegenübertreten wird. Deshalb schreibe ich diese Zeilen als Warnung für alle, die mir nachfolgen werden. Ich habe lange geschwiegen, aber, es war auch, Gott Lob, nicht von Nöten, über all die Dinge zu sprechen, die mir seit Jahren durch den Kopf gehen. Ich bin immer der Meinung gewesen, dass das, was ich mit meinem Freund Andreas in meiner Jugend erlebt habe, nur uns etwas anginge, und ich wollte, genau wie er, mein Geheimnis mit ins Grab nehmen. Doch nun ist mir klar geworden, dass die Geschehnisse, von denen ich nun zu berichten gedenke, viel zu wichtig sind, als dass sie in Vergessenheit geraten sollten. Es werden vielleicht Zeiten folgen, Gott gebe, dass es nicht so ist, in denen mein Wissen von Nutzen sein könnte. Ich hatte das unsagbare Glück, jemanden kennen zulernen, der mir in der schwersten Zeit meines Lebens beistehen konnte. Ich hoffe nur, dass, wenn es einmal so weit kommen sollte, auch meine Nachfahren jemanden finden, der ihnen in dieser schweren Zeit helfen kann. Andreas, ich habe die Hoffnung, dass wir uns bald wieder sehen, denn lange wird es nicht mehr dauern und ich folge dir dorthin, wo du jetzt bist.

Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden, so auch die meinen. Die Narben verblassen, aber sie verschwinden niemals vollkommen. Auch meine Narben sind verblasst, jedenfalls die Äußeren. Aber, die in meinem Innern ist, nach wie vor, trotz der endlosen Zeit, die seither vergangen ist, genauso schmerzhaft wie zu Anfang.

Ich möchte meinen geliebten Nachfahren dieses unsagbare Leid ersparen. Meine Kinder sollen diese Erfahrung nicht machen müssen. Es reicht, dass sie mich beherrschten. Deshalb bin ich auch, nach all den Jahren, endlich bereit, die Geschehnisse von damals zu Papier zu bringen. Möge Gott geben, dass meine Zeit noch ausreicht, um sie vollständig auf diesen Seiten niederzuschreiben, damit die Nachwelt, bis in alle Ewigkeit, vor der Macht gewarnt ist, die uns einst Verderben brachte und derer wir so schwer habhaft wurden.

Kapitel 1

Dunkelheit lag über den Bergen. Alles war in tiefes Schwarz getaucht. Selbst der Himmel, der sich in den Nächten durch seine Sternenvielfalt von der Schwärze abhob, war verhangen und lag, wie ein dunkles, schweres Tuch, über den Gipfeln des Gebirges.

Es war Frühling und normalerweise konnte man, selbst um diese Zeit, die Rufe der Eulen oder das Raunen der Baumkronen im Wind, hören. Doch nicht so heute. Es wehte kein Lüftchen und auch die Tiere hatten sich in ihren Höhlen verkrochen. Kein Wolf, kein Falke, nichts, aber auch gar nichts war zu erkennen. Es war totenstill.

Die Welt hatte anscheinend beschlossen, in Bewegungslosigkeit und Stille zu verharren, so als warte sie auf etwas.

Langsam, ganz langsam kam er zu sich. Er lag flach auf dem nackten Felsen und fror. Es war ungewöhnlich kalt für diese Jahreszeit, denn es roch nach Schnee. Er spürte die scharfen Kanten des Gesteins, die ihm in die Wange schnitten und jeden Knochen seines Körpers, dabei brannte seine rechte Seite, als hätte man ein Feuer darin entzündet. Vorsichtig öffnete er die Augen. Ein unerträglicher Schmerz durchzuckte ihn. Benommen ließ er die Lider wieder sinken. Sein Kopf dröhnte, während er mit geschlossenen Augen versuchte, sich zu bewegen.

Er wollte sich auf den Rücken drehen, um zu verhindern, dass das schroffe Gestein weiterhin sein Gesicht zerschnitt, aber, etwas Schweres, Hartes lag auf seinem Rücken, über dem sich seine Haut zum Zerreißen spannte. Es musste sich um einen Holzbalken oder etwas Ähnliches handeln. Seine Hände waren mit Lederriemen daran befestigt und auch seine Füße hatte man zusammengebunden.

In dieser Lage war er kaum fähig, seinen Kopf zu drehen, geschweige denn, seinen ganzen Körper. Er riss mit den Händen leicht an den Fesseln, doch bei jedem Versuch schnitten sie ihm nur noch tiefer ins Fleisch. Sinnlos dachte er.

Erst jetzt bemerkte er etwas Warmes, Feuchtes, das ihm, von der Stirn, über seine Nase und Mund, das Kinn hinunterlief. Behutsam fuhr er mit der Zunge über seine Lippen. Sie waren kalt, obwohl die Flüssigkeit, auf ihnen, warm war. Blut!, schoss es ihm durch den Kopf. Sein Blut! Er stöhnte leise.

Leichter Schneefall setzte ein und er zitterte. Nun vollkommen wach öffnete er abermals seine Augen. Er wollte auf keinen Fall noch einmal einschlafen, deshalb zwang er sich, gegen die Schmerzen anzukämpfen und seine Augen offen zuhalten.

Zunächst sah er verschwommen, dann allmählich konnte er seine Umgebung klarer erkennen. Ein Feuerschimmer erhellte, von irgendwoher, einen Teil seiner Umgebung und ließ dunkle Schatten, die wie gefräßige Dämonen wirkten, auf den nackten Felsen tanzen. Es mussten also Menschen in seiner Nähe sein. Er zog seine Beine vorsichtig an und schob sie unter seinen Körper. Ein stechender Schmerz in seiner rechten Seite durchzuckte ihn. Benommen schloss er die Augen, holte tief Luft und blieb in dieser Stellung liegen. Nachdem er wieder halbwegs klar denken konnte, fuhr er mit der Bewegung fort und rollte sich nun vollends auf die Seite.

Endlich konnte er nicht nur den nackten Felsen sehen. Seine Kleidung hing in Fetzen an seinem Körper und auf der rechten Seite, in der Höhe seines Nabels, verfärbte ein dunkler Fleck sein vormals weißes Hemd. Wahrscheinlich kam der Schmerz von einer Verletzung an dieser Stelle.

Aber, was war geschehen? Er versuchte, sich zu erinnern. Wer war er? Nichts! Sein Name wollte ihm einfach nicht mehr einfallen. Auch, der Zustand, in dem er sich befand, war ihm völlig unerklärlich. Was wusste er überhaupt noch?

Da war etwas! Etwas Seltsames! Ein Gesicht, das von kupferfarbenen Locken umrahmt wurde. Die Haut schimmerte wie Elfenbein in der Sonne. Ein dunkelgrünes Gewand, das den Ton der Haut nur noch mehr hervorhob. Wangen gerötet, wie die eines Pfirsichs. Aber, das Faszinierendste waren diese smaragdgrünen Augen, die er, wie hypnotisiert anstarrte. Sie versanken förmlich in seinem Blick, so als wollten sie in ihn hinein sehen. Nichts schien ihnen zu entgehen, weder seine Gedanken noch seine Seele. Das Merkwürdige daran war jedoch, dass er es geschehen ließ, scheinbar sogar genoss.

Wer war diese Frau? Und eine Frau war es mit Sicherheit. Selbst, wenn er es gewollt hätte, was allem Anschein nach nicht der Fall war, er hätte ihrem Blick nicht ausweichen können. Sie lächelte und öffnete den Mund, als wollte sie etwas zu ihm sagen. Doch stattdessen küsste sie ihn. Oder war er es, der sie küsste? Er meinte, ihre weichen Lippen und die Wärme ihrer Nähe noch immer auf seiner Haut zu spüren, als ein dumpfes Lachen aus der Ferne ertönte. Das Bild verschwamm vor seinen Augen und holte ihn zurück in die raue Wirklichkeit. Er sah nur noch die Dunkelheit und die tanzenden Schatten des Feuers.

Kam dieses Lachen aus seiner Erinnerung, oder war es Realität? Wenn er es wirklich gehört hatte, dann musste es, von den Leuten, die dort in seiner Nähe das Feuer entzündet hatten, zu ihm herüber geweht sein. Vielleicht waren sie ja diejenigen, denen er seine jetzige Lage verdankte. Aber, wieso saßen sie dann so weit abseits, und ließen ihn auf den nackten Felsen liegen? Wenn er ihr Gefangener war, warum wurde er dann nicht bewacht? Der Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen. Wie lange lag er eigentlich schon hier? Wieder versuchte er, sich zu erinnern.

Das Letzte, was ihm noch in seinem Gedächtnis geblieben war, war, seiner Meinung nach, die untergehende Sonne, die hinter den Gipfeln der Berge verschwand. Jetzt war es tiefste Nacht. Es waren demnach Stunden vergangen. Kein Wunder, dass man ihn so achtlos liegen ließ. Oder war es vielleicht Absicht? War es ihnen egal, was aus ihm wurde? Wollten sie ihn einfach seinem Schicksal überlassen? Wenn die Männer, oder, wer auch immer dort am Feuer saß, diejenigen waren, die ihn hierher gebracht hatten, dann wussten sie auch von seinen Verletzungen. Vielleicht sollte er ja hier in dieser unwirtlichen Umgebung erfrieren oder verbluten. Aber, warum? Was, in des Allmächtigen Namen, hatte er getan, um solch eine Strafe zu verdienen? In seinem Kopf hämmerte und pochte es.

Der Schnee tanzte nun in dicken Flocken zur Erde. Eine dünne Schneeschicht überzog bereits seinen Körper. Etwas schien unaufhörlich tiefer in sein Fleisch zu dringen, sodass ihm das Atmen immer schwererfiel. Auch das Brennen und Stechen in seiner Seite wurde heftiger. Erneut stöhnte er leise. Es hatte keinen Sinn, sich weiterhin das Gehirn zu zermartern. Er konnte sich sowieso an nichts Wichtiges erinnern. Alles um ihn herum drehte sich. Sein Magen verkrampfte sich, was seinen Zustand nur noch unerträglicher machte. Seine Lider wurden schwer wie Blei. Immer wieder fielen sie ihm zu. Zunächst versuchte er noch dagegen anzukämpfen, denn er wusste, dass er, wenn er in diesem Moment das Bewusstsein verlor, vermutlich erfrieren würde. Er wollte nicht sterben. Noch nicht! Nicht jetzt! Bitte, allmächtiger Gott, lass mich jetzt noch nicht sterben! Ich habe noch so viele Dinge zu klären!

Er hielt sich noch eine Zeit lang gewaltsam wach, doch die Kälte breitete sich unbarmherzig in seinem Körper aus. Seine Arme und Beine waren mittlerweile taub. Auch ließ der Schmerz langsam nach und machte einer unendlichen Müdigkeit Platz. Hatte es überhaupt Sinn, sich gegen sein Schicksal aufzulehnen? Wenn dies das Ende war, dann musste er es akzeptieren, ob er wollte oder nicht.

»Oh Mein Gott«, murmelte erleise vor sich hin. »Wenn es Dich gibt, dann mach, das es schnell vorüber ist. Hab Erbarmen mit mir. Ich begebe mich in deine Hände, denn, was auch immer ich getan habe, du wirst mir vergeben. Dein Wille geschehe.«

Dann schloss er erschöpft seine Augen, hieß die Dunkelheit willkommen und ließ sich erneut in die tiefe Bewusstlosigkeit zurückgleiten, aus der er nur kurz erwacht war, mit der Gewissheit, wohl möglich nie wieder aufzuwachen.

Kapitel 2

Rilana saß, in dicke, warme Decken gehüllt, am Feuer und starrte in die züngelnden Flammen. Sie hatten in einer Felsnische vor dem drohenden Unwetter Unterschlupf gesucht.

Hier in den Bergen war das Wetter zu dieser Jahreszeit noch höchst unberechenbar. In den Ebenen, über die sie geritten waren, hatte die Frühlingssonne schon die ersten Blütenknospen sprießen lassen und die Wiesen zeigten bereits ein zartes Grün. Doch hier, auf den schroffen Felsen des Gebirges, war der Frühling noch nicht eingezogen. Die Berggipfel wurden weiterhin von den Schneekronen des Winters bedeckt, und selbst die Tiere schienen in ihrem Winterschlaf zu verharren.

Gegen Abend hatten sie dieses Plateau erreicht. Hier gab es einen Unterschlupf für die Nacht und ein kleiner Gebirgsbach schlängelte sich durch die schroffen Felsen. Beinahe ein idyllisches Plätzchen. Doch war es wirklich so idyllisch? Es roch nach Schnee. Deshalb hatten ihre Begleiter beschlossen, die Nacht hier zu verbringen. Die vier Männer saßen etwas abseits und betranken sich nun schon seit Stunden. Sie feierten ausgelassen ihren Erfolg.

Rilanas Blick wanderte von einem zum anderen. Einen kannte sie persönlich, die anderen nur vom Sehen. Dieser eine, Archibald von Arosa, war der Waffenmeister ihrer Mutter. Sein Aussehen verriet die Anzahl der Schlachten, in denen er in seinem Leben gekämpft hatte. Er besaß nur ein Auge, das bei jeder Gelegenheit kampfes- und mordlustig aufblitzte. Das Andere, Fehlende wurde von einer schwarzen Augenklappe verdeckt. Sein Gesicht wurde von einem wild wuchernden Bart, in dem sich bereits erste graue Strähnen zeigten, bedeckt, was seine ursprünglichen Züge kaum noch erkennbar machte und seine Haare standen, wie die Borsten eines Stachelschweins in alle Richtungen ab. Alles in allem wirkte er ziemlich wild. Dennoch besaß er jedoch das volle Vertrauen ihrer Mutter, der er, wie ein dunkler Schatten folgte. Rilana aber fand ihn eher unheimlich.

Die drei anderen Männer waren ihr, vom Namen her, unbekannt. Wahrscheinlich gehörten sie zu Arosas Garde. Einer ihrer Begleiter füllte die Becher der anderen erneut mit Wein.

»Wollt Ihr auch etwas von unserem Wein? Er wird Euch, nach all der Aufregung gut tun!«, die tiefe Stimme Archibalds riss sie aus ihren Gedanken.

»Nein, danke!«, mit einem kräftigen Seufzer wickelte sie sich fester in ihre Decken. Sie war einfach noch immer zu durcheinander.

»Ich hätte besser auf Euch aufpassen sollen! Aber, wer hätte auch damit rechnen können, dass man Euch entführt. Es wird ein Freudenfest geben, wenn unser Bote Eurer Mutter die Nachricht Eurer glücklichen Rettung überbringt. Noch dazu, da wir ihr den Urheber Eurer Entführung gleich nachliefern!?«, in Archibalds Stimme lag ehrliche Reue. Das verwunderte sie, denn sie hatte ihn immer für einen alten, gefühllosen Klotz gehalten. »Wir werden Euch in das Stadtschloss Eurer Mutter begleiten. Sie selbst ist bereits auf dem Weg dorthin. Nachdem Ihr verschwunden wart, meinte der Großkanzler, es wäre besser so. Eure Entführung hat das ganze Land in hellen Aufruhr versetzt. Wie Ihr wisst, seid Ihr sehr beliebt«, Archibald grinste sie vorsichtig an. »Wir müssen Euch jetzt nur noch gesund und munter nach Hause bringen, damit sich alles beruhigt.«, er sah ihr tief in die Augen. Als keine Reaktion von ihr kam, wurde er ernst. »Hat Euch der Kerl auch wirklich nichts angetan?« Als sie immer noch schwieg, erhellte ein Grinsen erneut sein verwildertes Gesicht. »Ist aber auch ein ganz schön zähes Bürschchen. Hätte nicht gedacht, dass er so lange durchhält!«

Rilanas seufzte leise, während ihre Gedanken abschweiften. Abermals holte Archibalds Stimme sie in die Wirklichkeit zurück. »Hat ganz schön Prügel bezogen. Wehrt sich, wie ein Tiger. War gar nicht so leicht, Euch zu schützen und ihn zu überwältigen ...! Aber, jetzt wird alles wieder gut. Ihr seid in Sicherheit, unter meinem Schutz. Ich werde Euch nach Hause bringen.«, seine Worte sollten sie beruhigen, doch Rilana war alles andere als ruhig. »Habt Ihr vielleicht eine Ahnung, wer der Kerl sein könnte? Ich, jedenfalls, habe ihn noch nie zuvor gesehen und glaubt mir, er wäre mir sicher aufgefallen.« Rilana schwieg. Was sollte sie ihm antworten? Ihr Blick wanderte von Archibald zu dem jungen Mann, der in einiger Entfernung auf dem Plateau vor ihrem Unterschlupf lag. Ihre Begleiter hatten ihn, im wahrsten Sinne des Wortes, dorthin geworfen und einfach liegen lassen. Da er zu diesem Zeitpunkt bewusstlos gewesen war, und bis jetzt anscheinend sein Bewusstsein noch nicht zurück erlangt hatte, lag er noch immer in derselben Haltung, in der sie ihn vor Stunden verlassen hatten, auf dem nackten, kalten Boden. Viel Bewegen konnte er sich sowieso nicht, selbst wenn er erwachte, denn er war an einen dicken Holzklotz, wie ein Ochse an ein Joch gebunden und auch seine Füße waren gefesselt. Es schneite leicht und sein Körper war bereits mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Trotz der Entfernung konnte sie erkennen, dass er am ganzen Leib zitterte. Kein Wunder! Selbst hier am Feuer spürte sie den eisigen Hauch der Luft. Vielleicht war er doch aufgewacht. »Hört Ihr nicht? Ich habe Euch soeben etwas gefragt!« Archibald schaute sie nachdenklich an. »Ihr seit heute Abend so schweigsam! Könnt Ihr mir schwören, dass er Euch nichts getan hat?«

»Er hat mir nichts getan! Das könnt Ihr mir beruhigt glauben!« Rilana schrie die Worte förmlich. »Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist«, fügte sie leiser hinzu. Aberich wüsste es nur zu gerne, vervollständigte sie in Gedanken den Satz und seufzte erneut.

»Ich kann Euch nicht erklären, wieso,« Archibald rückte ein Stück näher an sie heran, »aber das Ganze macht irgendwie keinen Sinn. Ich möchte wissen, woher er kommt und was er mit dieser Sache bezweckte! In unserer Nähe schweigt er ja, wie ein Stockfisch. Hat er wenigstens Euch gegenüber Andeutungen gemacht?«

»Ich habe keine Ahnung, wer er ist und warum er mich entführt hat. Wirklich nicht!«, sie antwortete völlig geistesabwesend, während sie ihren Blick weiterhin auf dem jungen Mann im Schnee richtete. »Aber, eins kann ich Euch mit Bestimmtheit sagen, spätestens morgen früh wird er mausetot sein, wenn wir ihn dort liegen lassen. Wir müssen ihn aus der Kälte ans Feuer holen. Ich glaube, meine Mutter würde es nicht gutheißen, wenn Ihr den Schuldigen als Leiche in das Schloss bringt.« Und ich auch nicht!, fügte sie in Gedanken hinzu.

»Ihr habt recht«, meldete sich nun auch einer der anderen Männer zu Wort. »Wenn wir ihn, wie bisher, dort liegen lassen, wird er mit Sicherheit die Nacht nicht überstehen. Das würde uns nur den ganzen Spaß verderben. Wo wir doch noch so viel mit ihm vorhaben!« Die Männer grinsten, dann brachen sie in schallendes Gelächter aus.

»Aber, es stimmt!«, meldete sich nun auch der dritte Mann zu Wort. »Selbst hier am Feuer ist es unerträglich kalt.« Archibald wurde ernst.

»Was macht Ihr Euch Gedanken über diesen Hund? Hunde sind zähe Tiere. Er wird es schon überstehen!« Rilana war sich da nicht so sicher. Sie beobachtete, wie das Häufchen Elend, denn mehr war von ihrem jungen Entführer nicht übrig, seine Beine bewegte und dann leise aufstöhnte. Das war zwar ein Zeichen dafür, dass er noch lebte, aber lange hielt er bestimmt nicht mehr durch. Es war schon schwierig genug solch eine Nacht überhaupt im Freien zu überleben, aber in seinem Zustand ... Nahezu unmöglich!, schoss es ihr durch den Kopf.

Die Gestalt am Boden sackte nun erneut in sich zusammen und blieb regungslos liegen. Auch die Bewegungen seines Brustkorbes wurden immer schwächer. Das war kein gutes Zeichen! Abrupt drehte sie sich zu Archibald um, während ihre Augen in die Flammen des Feuers starrten. Ihre Gedanken, aber, blieben bei dem bleichen, leblos wirkenden Mann im Schnee.

Etwas war mit ihm. Etwas, was sie sich nicht erklären konnte. Vom ersten Augenblick an. Etwas, was sie zunehmend verwirrte. Rilana dachte zurück an ihre erste Begegnung.

Es waren seine Augen. Diese strahlenden, dunkelbraunen, fast schwarzen Augen, in denen man unterzugehen schien, faszinierten sie vom ersten Augenblick an. Er hieß Raoul. Soviel wusste sie. Seine Stimme war genauso fesselnd, wie seine Augen. Nicht so tief, wie Archibalds, aber mit einem weichen Unterton. Das war im Großen und Ganzen auch schon alles, was sie über ihn in Erfahrung gebracht hatte.

Es war wieder einmal so ein Abend gewesen, den sie am liebsten aus ihrem Gedächtnis gestrichen hätte. Wie üblich hatte ihre Mutter zum Anlass ihrer bevorstehenden Reise nach Andrass ein großes Fest gegeben. Es war jedes Mal geradezu überwältigend. Zahllose Spielleute, Gaukler und Gäste versammelten sich an Tischen, die unter der Anzahl der gereichten Speisen fast brachen. Wein, solange bis keiner mehr stehen konnte und eine aufgesetzte Fröhlichkeit, die ihr auf den Magen schlug. Ihr war das alles derartig auf die Nerven gegangen, dass sie händeringend nach einem Vorwand gesucht hatte, schnellstmöglich zu verschwinden. Die Musik dröhnte nur noch in ihren Ohren. Die Gäste benahmen sich wie die Vandalen und zu allem Überfluss hatte sie auch noch das ungenierte öffentliche Geturtel ihrer Mutter mit deren Großkanzler, de Beriot, ertragen müssen. Schließlich hatte sie Müdigkeit und Kopfschmerzen vorgetäuscht und war dann regelrecht vor dem Treiben geflohen. Der obere Bereich des Schlosses lag ruhig im Lichtschein der wenigen Fackeln, fast so, als fände nicht gerade unter ihm ein derartiges Treiben statt. Nur das leise Klirren der Kettenpanzer und Schwerter einiger weniger Wachen, die hier oben postiert waren und langsam ihre Runden zogen, unterbrach die Stille. Instinktiv atmete sie erleichtert aus, dabei verlangsamte sie ihre Schritte. Ihre Räumlichkeiten lagen am hinteren Ende des langen Korridors und, wie sie verwundert feststellte, befanden sich weder Wachen vor der Tür, noch unmittelbar in ihrer Nähe. Eine Nachlässigkeit ihrer Mutter, die in derartiger Weise bisher so noch nicht vorgekommen war. Ein weiterer Grund auszuatmen, denn in letzter Zeit fühlte sie sich durch die ständige Präsenz des Wachpersonals noch eingeschränkter und gefangener, als bisher. Ihre Verwunderung wurde noch größer, als sie die Türe zu ihren Räumen öffnete. Nicht einmal die alte Arana, ihre ehemalige Kinderfrau war anwesend. Sie war vollkommen allein. Endlich! Nach, wer weiß wie vielen Wochen hatte sie es geschafft, all ihren Aufpassern, Dienstboten und Gott weiß wem noch zu entkommen und eine Weile für sich zu sein. Glücklich ließ sie sich auf das breite Bett fallen und schloss ihre Augen. Sie erfreute sich an der Ruhe und lauschte den Stimmen der Tiere, die im Schutze der Nacht aus ihren Höhlen gekrochen waren und die Abwesenheit der Menschen genossen. Alles war so friedlich und harmonisch.

Bis sie plötzlich etwas hörte, was nicht zu den anderen Lauten passte und was noch schlimmer war, sie spürte, dass sich etwas in ihrer Nähe bewegte. Doch, noch bevor sie schreien konnte, legten sich warme, weiche Lippen auf ihre und verschlossen sanft ihren Mund. Eine ziemlich dreiste Vorgehensweise, wenn man bedachte, wer sie war, doch in diesem Moment vergaß sie völlig, zu denken. Sie öffnete zaghaft ihre Augen und sah in das Gesicht eines jungen Mannes. Für einen kurzen Moment gab er sie frei, grinste sie an und küsste sie dann erneut. Dabei versank sein Blick in ihren Augen. Seine Augen waren die faszinierendsten, die sie je gesehen hatte. Dunkel und unergründlich wie Bergseen, in denen sich der Mond spiegelt. Mit goldenen Sprenkeln, die sie an polierten Bernstein erinnerten. Sie erwiderte seinen Kuss, ohne sich überhaupt im Klaren darüber zu sein, was sie gerade tat. Alles um sie herum schien vergessen. Nur noch der Rhythmus ihres immer lauter hämmernden Herzens war ihr einziger Bezug zur Wirklichkeit. Als er begriff, dass sie keinerlei Anstalten machte zu schreien, oder gar vor ihm zu fliehen, gab er sie frei. Er kniete neben ihrem Bett und spielte versonnen mit einer ihrer Locken, die sich aus ihren Zöpfen gelöst hatte, dabei vergrub sich sein Blick noch tiefer in ihren Augen.

»Wer seid Ihr?« Ihre Stimme klang rau. Er antwortete ihr nicht, sondern senkte stattdessen leicht seinen Blick und drehte sein Gesicht von ihr weg. »Wieso seid Ihr hier? Was wollt Ihr von mir und wie seid Ihr überhaupt hier hereingekommen?« Wieder antwortete er ihr nicht, doch es schien ihr, als hätte ihre Frage ihn irgendwie verletzt, denn die Art und Weise, wie er seine Schultern hängen ließ und die Trauer, die jetzt in seinen Augen lag, als er sich ihr erneut zuwandte, sprach Bände.

»Prinzessin, ich will euch nicht ängstigen, aber wir haben keine Zeit. Kommt!« Seine Stimme war tief, melodisch und unglaublich sanft. Sie war so von ihr gefangen, dass sie zunächst gar nicht begriff, was er eigentlich gesagt hatte. Erst als er mit seinem Finger auf den Balkon vor ihrem Fenster deutete, sie auf seine starken Arme nahm, langsam hochhob und dann zum Balkon trug, durchschaute sie, was er vorhatte. Unter heftigem Kopfschütteln und Zappeln versuchte sie ihm zu entkommen, doch er hielt sie auf seinen Armen gefangen, als wäre sie so leicht, wie eine Feder.

»Ihr seid wahnsinnig! Wie stellt Ihr Euch das vor? Ich kann nicht mit Euch kommen. Überall sind Wachen! Sie werden uns sofort entdecken. Lasst mich herunter! Sofort oder ich schreie, als sei der Leibhaftige hinter mir her!« Er grinste nur. »Wirklich, ich schreie hier alles zusammen, so lange, bis uns jeder im Schloss hören kann!«, wieder grinste er.

»Ihr meint, bei dem Lärm, der dort unten herrscht, würde Euch irgendjemand hören? Sogar die Wachen feiern und die wenigen, die hier oben postiert sind, werden mich nicht aufhalten. Sie haben mich vorhin nicht aufgehalten und sie werden es auch jetzt nicht tun. Wie glaubt Ihr, bin ich in Eure Räume gelangt? Vielleicht geflogen? Prinzessin, ich möchte Euch auf gar keinen Fall wehtun, nichts liegt mir ferner, aber, wenn Ihr Euch weiter wehrt, dann wird es wehtun. Macht mir also bitte keine Schwierigkeiten. Ich verspreche Euch, dass ich Euch alles erklären werde, wenn wir erst in Sicherheit sind.«

»In Sicherheit? Seid Ihr von Sinnen? Dies hier ist mein zu Hause. Wenn nicht hier, wo meint Ihr, wäre ich sonst in Sicherheit?«

»Ich möchte nicht mit Euch darüber streiten.«

»Ihr schuldet mir eine Antwort!« Doch anstatt auf ihre Frage zu reagieren, eilte er auch schon auf den Balkon zu. Rilana zappelte und wand sich in seinen Armen, wie ein Fisch am Haken, doch ihr Entführer schien von ihren Anstrengungen vollkommen unbeeindruckt. Je mehr sie zappelte, desto fester hielt er sie. Als sie ihr Ziel erreichten, sah sie, dass im Unterholz, das wild unter ihrem Fenster wucherte, ein gesatteltes Pferd stand. Ohne Vorwarnung sprang er, sie immer noch fest auf seinen Armen haltend, in die Tiefe. Mit einem Ruck landeten sie auf dem Rücken des Tieres. Wie er es fertiggebracht hatte, dabei weder sie noch das Pferd zu verletzten, war ihr auch jetzt noch ein Rätsel. Anschließend ließ er sie langsam vor sich in den Sattel gleiten und legte dabei seinen Arm fest um ihre Taille. Wieder hämmerte ihr Herz, als wollte es aus ihrer Brust springen, während er sein Pferd mit einem leisen Schnalzen in Bewegung setzte und im wilden Galopp davon stob. Sie hatte nicht die leiseste Chance zu entkommen. Aber wollte sie das überhaupt? Er machte sie neugierig und was noch viel schlimmer war, er faszinierte sie. Aus der Ferne hörte sie noch das Klirren von Rüstungen und die aufgeregten Schreie der Wachen, die ihre Entführung bemerkten, dann waren sie auch schon in der Dunkelheit verschwunden.

Von nun an konzentrierte sich ihr Entführer nur noch auf die Flucht. Bei Tagesanbruch hatten sie bereits eine weite Strecke zurückgelegt und sie die Hoffnung auf Rettung aufgegeben, denn, obwohl ihre Entführung offensichtlich bemerkt worden war, waren nirgends Reiter oder Wachen zu sehen. Am späten Vormittag war Rilana am Ende ihrer Kräfte. Sie war müde, hatte Durst und ihr Gesäß schmerzte von dem ungewöhnlich langen Ritt.

»Haltet das Pferd an oder ich springe einfach ab! Ich brauche dringend eine Rast!« Ihr Begleiter zügelte ohne zu zögern sein Pferd, sprang hinunter und half ihr aus dem Sattel.

»Was soll das alles? Was habt Ihr mit mir vor?« Sie war wütend, dabei sah sie ihn fragend an. Er erwiderte ihren Blick, machte aber keinerlei Anstalten ihr zu antworten. »Stellt Euch nicht taub! Ich habe ein Recht auf eine Antwort!« Erneutes Schweigen! Anscheinend wollte er nicht reden, denn er lächelte nur auf die Art und Weise, wie ihre Amme sie früher immer dann angelächelt hatte, wenn sie versuchte, ihren Willen durchzusetzen. Das machte Rilana noch wütender. Sie war kein bockiges Kind, dass man derartig behandeln konnte. Vollkommen außer sich, schrie sie ihn an und trommelte mit ihren Fäusten auf seine Brust. »Erst verschleppt Ihr mich! Dann ignoriert Ihr mich einfach! Ich weiß nicht, was ich davon halten soll! Aber wartet nur! Die Wachen werden uns eher finden, als es Euch lieb ist! Wenn sie Euch erst einmal in ihre Finger bekommen, dann ...!«, aus seinem Lächeln wurde ein breites Grinsen. Er zögerte einen Augenblick, dann jedoch ergriff er ihren Arm und zog sie enger zu sich heran. Während er mit seiner anderen Hand sanft über ihre roten Locken strich und versonnen mit einer Strähne spielte, legten sich erneut seine Lippen auf ihren Mund. Sein Kuss war leidenschaftlich, fordernd und er kam so unverhofft, dass Rilana keinem klaren Gedanken mehr fassen konnte. Solche Dreistigkeit hatte sie noch nie zuvor erlebt. Eigentlich hätte sie ihn hassen müssen, aber irgendwie war sie selbst dazu nicht in der Lage. Er ließ sie erst los, als er annahm, sie hätte sich etwas beruhigt. Doch da irrte er. Sie hatte sich ganz und gar nicht beruhigt. Sie holte aus, um ihm eine gehörige Ohrfeige zu verpassen, aber so weit war es nicht gekommen. Noch bevor ihre Hand seine Wange erreichen konnte, fing er sie mühelos ab, so als hätte er vorausgeahnt, was sie beabsichtigte. Eine Weile starrte er sie nur an, bevor er sie schließlich losließ.

»Mein Name ist Raoul!«, sagte er schließlich so sanft, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief, dabei sah er ihr fragend in die Augen, als rechnete er mit irgendeiner Reaktion auf seinen Namen. Was erwartete er? Dass sie sagen würde, »schön Euch endlich kennen zulernen«? Sie war so wütend auf ihn, dass sie ihn schließlich nur noch anbrüllte.

»Ihr seid also Raoul! Und, Raoul, wollt Ihr mir nun sagen, was das Ganze hier soll und was Ihr mit mir vorhabt?« Wieder bekam sie keine Antwort. Stattdessen lief er zu seinem Pferd und holte eine Wasserflasche aus der Satteltasche. Sollte sie fliehen? Aber, wohin? Erst in diesem Moment betrachtete sie ihren Entführer genauer. Raoul war jung. Sehr jung. Vielleicht vier oder fünf Jahre älter als sie selbst. Sein Körperbau war anders, als sie es von den Männern hier kannte. Er wirkte nicht plump, sondern eher, wie eine große Katze, schlank, geschmeidig und kraftvoll. Er sah auch sonst nicht aus, wie irgendein Angehöriger ihres Volkes. Hier waren die Männer meist blond oder rothaarig, mit Ausnahme Arosas, der, allerdings, auch vor Jahren aus einem fernen Land gekommen war. Raoul besaß zwar dieselben schwarzen Haare, wie Archibald, doch seine fielen in dunklen Locken bis hin zu seinen Schultern und standen nicht struppig von seinem Kopf ab, wie es bei Arosa der Fall war. Seine Haut hatte die Farbe einer Haselnuss. Entweder, weil er seine Tage vorwiegend im Freien verbrachte, oder aber von Natur aus. Sein Gesicht zierte eine schmale Nase, hohe Wangenknochen und ein voller Mund und war nicht so kantig und grob, wie bei den meisten anderen Männern. Auch trug er keinen Bart, obwohl sich mittlerweile einige dunkle Stoppeln auf seinem Gesicht zeigten, die ihm ein verwegenes Aussehen verliehen. Der junge Mann kam mit der Wasserflasche auf sie zu und reichte sie ihr.

»Es tut mir leid, dass es so kommen musste! Ich wollte das nicht, das müsst Ihr mir wirklich glauben! Ich hatte gehofft ...! Aber, leider ...!«, er sah sie eindringlich an und schwieg erneut. Dann ließ er sich neben sie ins Gras sinken und schloss seine Augen. Was musste so kommen?Was wollte er nicht? Was hatte er gehofft? Sie verstand nicht, was er meinte. Es hatte auch keinen Sinn ihn danach zu fragen, denn er machte keinerlei Anstalten die Unterhaltung fortzusetzen.

Nachdem sie sich gestärkt und einige Zeit schweigend nebeneinandergesessen hatten, nahm er sie bei der Hand, hob sie auf den Rücken des Tieres, saß hinter ihr auf und sie setzten ihre Reise fort.

Das Knistern eines Holzscheites holte Rilana in die Wirklichkeit zurück. Ihr Blick wanderte zu dem Plateau vor ihrem Unterschlupf. Die Schneeflocken tanzten nun wild in die dunkle Nacht hinein. Ich muss etwas unternehmen, sonst ist er in spätestens einer Stunde erfroren, dachte sie, und so einfach kommst du mir nicht davon.

»Ich glaube, er hält nicht mehr lange durch. Man sieht ihn ja kaum noch, unter der dicken Schneedecke.« Abermals drehte sie sich den Männern am Feuer zu. »Meint Ihr nicht auch, dass es allmählich Zeit wird, ihn hier ans Feuer zu holen. Mag ja sein, dass er ein elender Schurke ist, aber, ihn dann einfach im Schnee verrecken zu lassen, ist auch keine Lösung!« Archibald zog eine ernste Miene. Er betrachtete nun ebenfalls die leblos wirkende Gestalt im Schnee.

»Ihr habt recht! Es ist zwar eine Lösung, aber, ich glaube auch, dass sie nicht die Beste ist. Wir sind es Eurer Mutter schuldig, den Kerl lebend abzuliefern. Werfried, Friedward! Holt ihn her!« Die beiden angesprochenen Männer erhoben sich widerwillig von ihren Plätzen und trotteten hinaus in die dunkle Nacht.

»Ich, an Eurer Stelle, würde ihn verrecken lassen, oder eigenhändig erwürgen!«, das kam von dem vierten Mann.

»Und den Schergen die Arbeit abnehmen?«, Archibald fiel ihm ins Wort. »Ich jedenfalls habe keine Lust, auf unserer gesamten weiteren Reise eine Leiche mitzuschleppen. Wir werden bestimmt noch Tage unterwegs sein, da sie,« er deutete auf Rilana, »jetzt bei uns ist. Ein Toter würde uns nur noch mehr aufhalten! Bis zur Stadt ist es noch ein langer Weg.« Rilana horchte auf. Archibald erwähnte es ja schon einmal, dass sie sich gar nicht auf dem Weg zurück zu ihrem Wintersitz befanden. Ihre Mutter war bereits nach Andrass aufgebrochen. Die Stadt lag aber einige Tagesritte nördlich von Barwall, ihrem Wintersitz, entfernt, und deshalb würde sie wahrscheinlich noch über eine Woche mit den Männern verbringen müssen.

»Ich freue mich schon auf das Spektakel! Es wird bestimmt eine öffentliche Hinrichtung geben. Die letzte Große ist ja schon einige Jahre her. Solch eine Gelegenheit ergibt sich bestimmt nicht noch einmal!« Das war zum wiederholten Mal der vierte Mann. »Hoffentlich lässt die Königin sich etwas Schönes einfallen! Vielleicht eine Vierteilung oder eine Ausweidung oder Ähnliches. Diesmal muss Blut fließen. Viel Blut! Das ist sie uns einfach schuldig. Sie wird eine öffentliche Aburteilung stattfinden lassen und sie auch ausführen müssen.« Rilana war über die Begeisterung, die in seinen Worten mitschwang, so erschrocken, dass sie angewidert ihr Gesicht verzog. Ihr war zwar bewusst, dass ihre Mutter in Hinblick auf ihre Tochter keinen Spaß verstand, dennoch hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht daran gedacht, dass ihr Entführer öffentlich hingerichtet werden könnte. Kerkerhaft oder Sklaverei? Vielleicht! Aber direkt Vierteilen oder Ausweiden? Diese Dinge geschahen hier nur ganz selten. Sie jedenfalls konnte sich nur an ein einziges dieser Schauspiele erinnern. Man musste auch schon ein außergewöhnlich schweres Verbrechen begangen haben, um eine derartige Strafe zu verdienen und ihre Entführung empfand sie, weiß Gott nicht, als so abscheulich. Denn, was hatte er ihr schon groß angetan? Rein gar nichts! Außer, dass er die Dreistigkeit besessen hatte, mitten in der Nacht, in ihre Räume einzudringen und sie zu verschleppen. Ansonsten war nichts, aber auch gar nichts vorgefallen, was derartige Maßnahmen rechtfertigen würde. War sie wirklich dermaßen naiv, oder einfach nur zu gutherzig?

Sie erinnerte sich noch gut an die einzige Verhandlung, bei der sie hatte anwesend sein müssen. Sie war gerade 13 Jahre alt geworden. Viele hochgestellte Adelige, unter anderem auch den Onkel ihres Vaters, hatte man tot aufgefunden. Alle hinterrücks auf die grausamste Weise ermordet. Einige Berater ihrer Mutter waren diesem Treiben ebenfalls zum Opfer gefallen. Der Schuldige, sie konnte sich beim besten Willen nicht an seinen Namen erinnern, wurde in den Gerichtssaal geführt. Er stand vor ihrer Mutter und dem Großkanzler, ohne den geringsten Anflug von Reue. Auch sonst machte er nicht den Eindruck, als bedauerte er die Vorfälle. Im Gegenteil! Die Schwere der Anklage ließ ihn völlig kalt. Er wirkte vollkommen teilnahmslos. Jetzt, im Nachhinein betrachtet, war sich Rilana sicher, dass irgendetwas mit diesem Mann nicht gestimmt hatte. Raoul hatte zwar genau wie er, zu allem geschwiegen, aber ihr Entführer hatte wenigstens auf seine Art irgendwie reagiert. Dieser Mörder hingegen war völlig unbeteiligt. Er spielte mit einer Kordel seines Hemdes, während sein Blick starr auf den Baldachin über dem Thron ihrer Mutter, gerichtet gewesen war. Wenn sie jetzt über sein Verhalten nachdachte, dann erschien es ihr, als wäre sein Körper zwar anwesend gewesen, aber sein Geist...! Je mehr sie über diese Sache grübelte, desto weniger konnte sie sich das alles erklären. Wäre sie diejenige gewesen, die man angeklagt hätte, sie hätte mit aller Macht versucht, sich herauszureden. Sie hätte vermutlich solange beteuert und bereut, bis man ihr geglaubt und von einer Verurteilung abgesehen hätte. Nicht so dieser Mann. Seine leeren Augen starrten unentwegt auf ihre Mutter. Dann lachte er. Es war das Lachen eines Wahnsinnigen, hysterisch und schrill.

Rilana konnte sich noch gut an das damalige Urteil erinnern, denn es war das letzte seiner Art seit nunmehr 4 Jahren. Ihre Mutter hatte ihn, zu einem schnellen Tod durch das Beil verurteilt. Als die Wachen den Verurteilten damals aus dem Saal führten, hallte sein krankes Lachen noch immer durch den Raum. Er leistete keinen Widerstand, denn er schien überhaupt nicht zu begreifen, was eigentlich vor sich ging. Selbst als man ihn auf das Schafott führte, zeigte er keinerlei Regung. Nicht einmal als sie ihn auf den Richtblock banden, zeigte er Angst. Es war geradezu unheimlich, mit welcher Gelassenheit dieser Mann seinem Tod ins Auge blickte. Rilana war bei der Hinrichtung nicht anwesend. Sie entzog sich solchen Schauspielen. Ihr war aber durchaus bewusst, dass sie, wenn sie einmal den Platz ihrer Mutter einnahm, sich nicht mehr weigern konnte, solchen Dingen beizuwohnen.

Wollte sie den Männern nun Glauben schenken, dann stand die Nächste unmittelbar bevor und dieser würde sie sich nicht so leicht entziehen können, denn immerhin betraf das Verbrechen sie selbst.

Damals nach der Hinrichtung war Rilana zu ihrer Mutter gelaufen. Sie hatte gehört, wie in anderen Ländern mit derartigen Verbrechern umgegangen wurde, und wollte nun wissen, warum es bei ihnen anders war. Ihre Mutter antwortete damals:

»Gib den Menschen die Möglichkeit, sich gegenseitig zu zerfleischen und sie werden es auf der Stelle tun. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Merk dir das gut, Kind. Du musst lernen, nicht ein Wolf unter ihnen zu werden, sondern ihr Rudelführer. Sie brauchen alle jemanden, der ihnen sagt, was zu tun ist, ohne Wenn und Aber. Wenn du sagst: Lauf, dann müssen sie laufen. Wenn du sagst: Spring, dann müssen sie springen. Wenn du aber sagst, töte, dann töten sie. So einfach ist das. Es gibt Länder, in denen die Herrscher vergessen haben, was es heißt, zu herrschen. In diesen braucht das Volk Abschreckung, Ablenkung und Erheiterung. Das wird durch diese Schauspiele erreicht. Bei uns ist solch ein Vorgehen nicht von Nöten.« Rilana verstand zu jener Zeit nicht genau, was ihre Mutter damit meinte, aber, heute hatte sie etwas erlebt, was sie an diese Worte erinnerte. Es stimmte schon, dass es Menschen gab, die Gefallen daran fanden, andere zu quälen und zu demütigen. Die Tatsache aber, dass sie jedoch auch in ihrem Land existierten, hatte ihr einen solchen Schock versetzt, das er ihr auch jetzt noch in den Knochen steckte.

Wie dem auch sei, bis zu Raouls Verurteilung oder Hinrichtung blieb ihr noch etwas Zeit. Irgendwie würde sie schon das Schlimmste verhindern. Oder hätte sie ihn besser im Schnee erfrieren lassen sollen? Um ihre trüben Gedanken fortzuwischen, fuhr sie sich mit der Hand durch ihre Haare. Sie musste einfach hoffen, dass ihr etwas einfiel, um wenigstens sein Leben zu retten.

Die beiden Männer erreichten jetzt die fahle Gestalt auf dem Plateau und zogen sie ruckartig in die Höhe. Werfried und Friedward schleiften den reglosen Körper durch den Schnee, hin zu ihrem Unterschlupf. Dort angekommen ließen sie ihn, wie einen Mehlsack auf den Boden fallen. Aufgrund seiner Lage, gefesselt und noch immer oder schon wider bewusstlos, prallte Raoul mit einem dumpfen Schlag auf den harten Steinboden. Nicht die geringste Bewegung ging von ihm aus. Sein gesamter Körper war mit einer blutigen Kruste überzogen, die von den Wunden herrührte, die Archibald und seine Männer ihm während des Kampfes am späten Nachmittag zugefügt hatten. Obwohl es kein fairer Kampf gewesen war, hatte Raoul sich tapfer geschlagen.

Als die Sonne bereits hoch im Zenit stand, hatten sie eine Lichtung am Rande eines kleinen Waldes erreicht. Raoul verlangsamte das Tempo und sah sich unruhig um.

»Stimmt etwas nicht?«, wollte sie deshalb von ihm wissen. Er zügelte nun endgültig sein Pferd und deutete auf einige immergrüne Sträucher in einiger Entfernung.

»Steigt ab und lauft!«

»Wieso?«

»Fragt nicht! Los versteckt Euch hinter den Büschen. Ich möchte nicht, dass Euch etwas zustößt.« Mit einem sanften Schubs, ließ er sie vom Rücken seines Tieres gleiten. Sie wollte protestieren.

»Aber …!«, er beugte sich zu ihr herunter.

»Es ist zu ruhig! Prinzessin, bitte, beeilt Euch! Vertraut mir!«, sie starrte ihn bewegungslos an. Sein Atem streifte ihren Hals, während er nach ihrer Hand griff. »Bitte, ich …!«, er drückte zärtlich einen Kuss auf ihren Handrücken. »Tut es mir zu liebe. Ich würde mir nie verzeihen, wenn … Lauft! So schnell Ihr könnt!«, sie nickte zögernd, entzog ihm ihre Hand und eilte dann mit gerafften Röcken auf die Büsche zu, dabei spürte sie seinen Blick, der ihr unentwegt folgte. Erst als sie im dichten Buschwerk verschwunden war und sich ins Gras fallen gelassen hatte, gab Raoul seinem Pferd die Sporen. Was sie dann sah, ließ ihr den Atem stocken. Aus dem dichten Unterholz des Waldes flogen Pfeile auf ihn zu, doch, anstatt sein Pferd zu wenden, ritt er geradewegs in den Pfeilhagel hinein. Wenn sie von vorn herein gewusst oder auch nur geahnt hätte, wer dort im Unterholz auf sie lauerte, sie wäre bei ihm geblieben und hätte ihn an diesem Wahnsinn gehindert.

Sie hatte den Atem angehalten und gesehen, wie er den Geschossen auswich und fast schon den Wald erreicht hatte, als ihn ein Pfeil traf und sich tief in seine rechte Seite bohrte. Rilana schrie auf, während Raoul nach vorne in den Sattel sackte. Die im Dickicht lauernden Männer stoben nun unter lautem Gebrüll auf ihn zu. Von ihrem Versteck aus konnte Rilana nicht genau erkennen, wie viele es waren, aber, sie schätzte, dass es sich um etwa zwanzig bis dreißig schwer bewaffnete Krieger handelte. Raoul versuchte unterdessen den Pfeil aus seiner Seite zuziehen. Doch er steckte wohl zu tief, als dass er ihn ohne große Schwierigkeiten einfach hätte herausziehen können, deshalb biss er die Zähne zusammen und brach ihn einfach ab. Dann richtete er sich mühsam wieder auf. Sie sah, wie er heftig nach Luft rang. Noch nicht ganz Herr seiner Sinne, riss er an den Zügeln seines Pferdes. Das Tier bäumte sich auf. Wieder und wieder stieg es in die Höhe. Die aus dem Unterholz kommenden Männer verteilten sich nun um seinen wild um sich schlagenden Gaul. Näher und näher rückten die Angreifer an ihn heran, während er sich verzweifelt an die Mähne seines Pferdes klammerte. Schließlich konnte er sich jedoch nicht mehr halten und fiel rückwärts auf den Boden. Das Tier, endlich von seiner Last befreit, galoppierte durch die Schar der Kämpfer hindurch und verschwand im Dickicht des Waldes.

Raoul rappelte sich auf, sprang auf die Füße und zog gleichzeitig ein Schwert aus der Scheide. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er es bei sich trug, aber, das war auch nicht weiter verwunderlich, denn anders, als es hier der Brauch war, trug er die Scheide nicht an einem Gürtel um die Hüften, sondern auf dem Rücken unter seinem Umhang. Gegen die Anzahl der Angreifer, die ihn jetzt vollständig einkreisten, bestand keine Chance. Er kämpfte zwar wie ein Wolf und konnte einige Angreifer niederstrecken, doch schließlich schlugen sie ihn von hinten mit einem dicken Knüppel nieder. Rilanas Entführer stürzte zu Boden und rührte sich nicht mehr.

Ein großer, breitschultriger Kerl entfernte sich daraufhin von der Meute und kam auf die Büsche zu, die ihr als Zuflucht dienten. Ängstlich kroch sie tiefer in das Dickicht, doch beim Näherkommen erkannte Rilana in ihm, Archibald von Arosa, den Waffenmeister ihrer Mutter. Unterdessen verschwanden einige der Männer im nahe gelegenen Wald, während die anderen Raoul belagerten.

»Seit Ihr wohl auf? Wir haben Euch hoffentlich nicht erschreckt! Der Kerl wird Euch nichts mehr tun.« Archibald hatte Rilana erreicht und streckte ihr nun seine Hand entgegen. »Kommt! Wir haben noch einen langen Weg vor uns!«, sie starrte ihn an, unfähig sich zu bewegen. Zuerst zögerte sie, dann aber ergriff sie irritiert seine Hand.

»Wir sind sofort losgeritten, als wir von Eurer Entführung hörten. Kommt mit! Meine Männer erwarten Euch!«, erklärte er ihr, während sie auf die Horde Männer zuschritten, die sich noch immer um Raoul scharrte. Dort angekommen, wurden sie unter freudigem Gebrüll von ihnen begrüßt. Archibald verschwendete keine Zeit, sondern ging direkt auf Raoul zu.

»Weckt ihn auf!«, seine Stimme hallte donnernd über das Gebrüll hinweg. Wie auf Kommando verstummte die Meute sofort, wobei sich zwei Männer aus der Gruppe lösten, ihren Entführer ergriffen und ihn unsanft in die Höhe zogen. Während der Mann, von dem sie jetzt wusste, dass er Werfried hieß, eine Wasserflasche aus seiner Satteltasche zog, langsam auf seine Kameraden zuging und Raoul den Inhalt der Flasche mitten ins Gesicht goss. Raoul hustete, dann schlug er seine Augen auf.

Rilana konnte erkennen, wie sein Blick die Umgebung absuchte, über die Männer glitt, Archibald fixierte und schließlich auf ihr haften blieb. Sie wusste nicht wieso, aber etwas in seinem Blick, drang bis tief in ihre Seele. Sie wäre am liebsten zu ihm gelaufen, doch Archibalds Anwesenheit und ein unbestimmtes Gefühl, dass sie dadurch eventuell alles nur noch viel schlimmer machen würde, hielt sie davon ab. Zunächst erwiderte sie seinen Blick. Sie starrte ihn genauso unvermittelt an, wie er sie, dann jedoch senkte sie ihre Lider und seufzte. »Wer seid Ihr?«, Archibalds Stimme zerriss die Luft. Ihr Entführer reagierte jedoch nicht, sondern starrte sie auch weiterhin nur wie gebannt an. »Wer Ihr seid, will ich wissen! Zum Teufel noch mal!« Archibald kochte vor Wut. Er blitzte den jungen Mann aus seinem gesunden Auge an. Als dieser sich noch immer nicht rührte, schlug Arosa mit seiner Faust zu. Er traf Raouls Bauch dicht neben der Stelle, in der noch immer die Pfeilspitze steckte. Archibalds Leute grölten vor Begeisterung. »Sagt Ihr mir nun, wer Ihr seid?« Raoul schnappte nach Luft und sackte vorn über. Gleichzeitig ließen seine Häscher ihn los und er fiel zusammengerollt wie ein Wollknäuel in das Gras. Unterdessen ließ Archibald sich neben dem jungen Mann auf die Knie sinken, dabei zog er das Gesicht ihres Entführers an den Haaren in seine Richtung. Entsetzt starrte Raoul ihn an. Dann biss er sich auf seine Unterlippe und ignorierte ihn weiter. »Seid Ihr schwerhörig? Ich habe Euch etwas gefragt!« Raoul zuckte mit den Schultern und schloss die Augen. Das trieb Archibald nun vollkommen zur Weißglut. »Jetzt reicht es! Ihr habt es nicht anders gewollt! Dreißig Hiebe! Mal sehen, ob Ihr dann immer noch schweigt!« Unter dem lauten Gejohle ihrer Waffenbrüder packten Werfried und Friedward Raouls Arme, rissen ihn unsanft in die Höhe und zerrten ihn zu einer großen, alten Eiche, die etwas abseits der Lichtung stand. Der Baum ragte, mit seiner gewaltigen, kahlen Krone, wie ein knöcherner Riese, aus dem Wald heraus. Sein Stamm besaß einen Umfang, den gut und gerne drei Männer nicht hätten umfassen können. Während die beiden Schergen, Raoul zu dem Baum führten, drehte dieser sein Gesicht in Richtung Rilana. Zum wiederholten Male suchten seine Augen die Ihren. Sie erwiderte seinen Blick, obwohl sie lieber in eine andere Richtung gesehen hätte. Ein dritter Mann, derjenige, der jetzt mit ihnen am Feuer des Unterschlupfs saß, lief zu seinem Pferd. Er zog ein Seil und einen Lederriemen aus seiner Satteltasche. Dann schritt er auf seine Kumpanen zu, die gerade den Baum erreichten.

Rilanas Magen schlug Purzelbäume. Ihr Herz hämmerte bis zu ihren Schläfen. Sie wusste, was nun folgen sollte, obwohl sie bisher solch eine Prozedur noch nicht miterlebt, und somit auch nicht die geringste Vorstellung davon hatte, mit welcher Brutalität so etwas vonstattenging. Der Mann warf den Strick über den Ast, den er für den Stärksten hielt und zog, mit voller Kraft, an den herunterhängenden Enden des Seils. Das alte Holz knirschte und knackte, aber dennoch hielt es seinen Bewegungen stand. Schließlich grinste er selbstgefällig und trat zur Seite. Das war das Zeichen für Werfried und Friedward. Die beiden Henkersknechte zerrten, den sich immer heftiger sträubenden Raoul unter den massigen Zweig. Doch jegliches zur Wehr setzen half nichts. Ein Ende des Stricks band Friedward fest an seine Hände, während Werfried das andere noch einmal über den Ast warf und dann mit aller Macht daran zog. Die Arme ihres Entführers wurden mit aller Gewalt in die Höhe gezogen. Erst, als sich Raouls Körper wie die Sehne eines Bogens spannte, beendete der Scherge die Prozedur. Die übrigen Männer tobten vor Begeisterung.

Das Pochen in Rilanas Schläfen wurde unerträglich. Ihr Herz schlug, wie wild in ihrer Brust und ihr Magen rebellierte. Ihre Hände zitterten, sodass sie sie instinktiv hinter ihrem Rücken vor den Blicken der Männer verbarg. Denn eines war sicher, sollten die Männer auch nur erahnen, wie es gerade in ihr aussah, dann ... Ja was eigentlich? Schlimmer konnte es wohl kaum kommen.

Doch ihre Sorge war vollkommen unbegründet. Keiner der sie umringenden Männer achtete mehr auf sie. Alle starrten sie nur noch auf die Szene, die sich unter dem Baum abspielte. Unterdessen rissen seine Häscher Raoul den Umhang von den Schultern. Anschließend folgte sein Hemd. Seine bloße Haut, die ebenfalls diese haselnussbraune Färbung hatte, wurde sichtbar. Er war kräftiger gebaut, als sie zunächst angenommen hatte. Sein Rücken ließ deutlich erkennen, dass er es gewohnt war, ihn täglich zu trainieren. Fasziniert starrte sie ihn an. Derjenige, der den Lederriemen in den Händen hielt, drehte sich nun Rilana und den anderen Männern zu. Schlagartig wich ihre Faszination blankem Entsetzen.

»Hauptmann, wollt Ihr?« Er hob den Gurt in die Höhe, um ihn dann, wie eine Peitsche auf den Boden knallen zu lassen. Das Geräusch dröhnte in Rilanas Ohren. Unwillkürlich zuckte sie zusammen.

»Lass gut sein, Wilbur! Das kannst du viel besser als ich, aber lass ihn am Leben, wir brauchen ihn noch!« Archibald grinste, während seine Leute in schallendes Gelächter ausbrachen.

Nie würde sie vergessen, mit welcher Begeisterung Wilbur, jetzt erinnerte sie sich auch wieder an den Namen ihres blutrünstigen vierten Begleiters, erneut an die alte Eiche herantrat. Sichtlich erfreut, mit der Präzision eines Uhrwerks, begann er mit seiner Aufgabe. Er holte mit dem Lederriemen weit nach hinten aus. Dann ließ er ihn mit der Wucht eines Hammers auf Raouls bloßen Rücken knallen. Bereits beim ersten Aufprall zog sich eine blutige Strieme quer über die nackte Haut. Der junge Mann zuckte zusammen, sog laut Luft durch seine Zähne, vermied es jedoch, zu schreien. Der zweite Schlag verlief diagonal zum Ersten. Auch diesmal sah man nur ein leichtes Zucken, das durch den am Baum hängenden Körper fuhr. Wilbur hatte sichtlich Spaß, an dem, was er gerade tat. Wieder und wieder ließ er die Peitsche knallen. Die Striemen zogen sich bereits wie ein Gitternetz über Raouls Rücken. Sein Blut lief an ihm herunter und verfärbte die Reste seines vormals weißen Hemdes tiefrot. Doch immer noch spannte der junge Mann verzweifelt seine Muskeln an und versuchte trotz seiner Pfeilverletzung auch weiterhin standzuhalten. Was ihm jedoch sichtlich schwerfiel. Dennoch schrie er auch jetzt noch nicht. Wilbur, wütend über seinen mangelnden Erfolg, steigerte zunehmend die Wucht seiner Schläge. Obwohl die gesamte Szene verabscheuungswürdig war, zwang sich Rilana dennoch weiter zuzusehen.

»Fünfzehn, sechzehn.« Die Männer neben ihr begannen, unter Gebrüll jeden einzelnen Hieb mitzuzählen.

»Siebzehn, achtzehn.« Der Gurt traf Raoul mit solch einer Wucht, dass sein Körper nachgab und sein Kopf in den Nacken fiel. Schrei endlich, dachte sie, dann lassen sie dich in Ruhe. Du musst schreien, damit er aufhört. Doch der Gefangene machte keinerlei Anstalten, auch nur einen Ton von sich zu geben.

»Neunzehn, zwanzig.« Rilana konnte sich das Spektakel nicht länger mit ansehen.

»Einundzwanzig.«, Raoul stöhnte leise. Das war endgültig zu viel. Sie musste würgen, während sie angewidert dem Geschehen den Rücken zuwandte. Dann rannte sie, als wäre der Teufel hinter ihr her, zurück zu den Büschen, die ihr vor nicht allzu langer Zeit als Unterschlupf gedient hatten.

»Zweiundzwanzig.« Völlig außer Atem ließ sie sich auf den Boden hinter die Sträucher fallen.

»Dreiundzwanzig.« Im hohen Bogen entleerte sich der Inhalt ihres Magens. Sie würgte sich beinahe die Seele aus dem Leib. Tränen liefen über ihre Wangen. Sie wollte nur noch alleine sein, alles um sich herum vergessen. Von Ferne ertönten noch immer die Stimmen der Männer, während Rilanas Herz noch wilder in ihrer Brust hämmerte und ihr Pulsschlag so laut in ihren Ohren dröhnte, dass sie kaum noch etwas hören konnte.

»Und dreißig.« Ein lauter Schrei zerriss die Luft. Ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus, dann wurde es plötzlich still. Fast schon bedrückend, gespenstisch still. Sie lauschte gespannt, doch es blieb ruhig. Gott sei Dank, es war vorbei.

Selbst hier im Gebirge wurde ihr bei der Erinnerung an diese Szene ein weiteres Mal speiübel. Warum hatte er nicht einfach geredet? Es hätte gar nicht erst so weit kommen müssen.

»Wollt Ihr etwas trinken? Hier ist Wasser!« Archibald war ihr in der Zwischenzeit zu den Büschen gefolgt. Mit Tränen verschmiertem Gesicht schaute sie auf den großen, bärtigen Mann, der vor ihr stand und ihr einen Trinkschlauch unter die Nase hielt.

»Das war Eure erste Auspeitschung, nicht wahr?«, sie nickte. »Mir ging es auch nicht viel besser, als ich das zweifelhafte Vergnügen meiner Ersten hatte. Aber, man gewöhnt sich an alles!« Er hob ihr Gesicht in die Höhe, dabei trocknete er behutsam ihre Tränen, während er sanft auf sie einredete. »Es gibt Männer, wie Wilbur, die Gefallen an so einem Spektakel finden. Ich, hingegen, hätte es dem Knaben lieber erspart. Es ist nicht einfach, eine Meute, wie meine Männer zu befehligen. Widerstand ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Ich muss ihnen zeigen, wer hier das Sagen hat! Wenn dann so ein Bürschchen all meine Bemühungen ignoriert, trägt er allein die Verantwortung, für das, was danach mit ihm geschieht. Deshalb musste ich so reagieren, allein schon wegen meiner Männer. Es tut mir leid, dass ich Euch das zugemutet habe! Aber es ging wirklich nicht anders! Versteht Ihr das?« In Rilanas Augen schossen zum wiederholten Mal Tränen.

»Ihr seid mir keine Erklärung schuldig«, entgegnete sie ihm schroff.

»Das weiß ich. Dennoch ...« Sie war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Eine Zeit lang starrten sie sich nur schweigend an, dann schließlich sagte Archibald: »Kommt jetzt! Es wird Zeit. Ich möchte noch vor Einbruch der Dunkelheit das Gebirge erreichen. Der Weg ist noch weit und mit dem Gefangenen und Euch werden wir nur langsam vorankommen.« Daraufhin war sie ihm gefolgt. Ihr blieb keine andere Wahl.

Auf die Lichtung befanden sich nur noch vier Pferde, Wilbur, Friedward, Werfried und der gefesselte Raoul, den sie mit einem Seil hinter sein Pferd gebunden hatten. Er kauerte, kniend, mit nach vorne gebeugtem Oberkörper, auf dem Boden. Dabei zitterte er wie Espenlaub. Sein Hemd, von dem nicht mehr als Fetzen übrig waren, hing blutdurchtränkt an seinem Körper. Dunkelrote Striemen blitzten zwischen den Stoffstücken hervor und sie würgte erneut. Rilana konnte seinen Anblick kaum noch ertragen, denn, was ihn auch zu der Entführung getrieben hatte, das hier hatte er nicht verdient. Nein, dachte sie, an diesen Anblick werde ich mich wohl niemals gewöhnen.

»Hier«, Archibald hielt ihr abermals die Wasserflasche entgegen.

»Habt Ihr nichts Stärkeres?« Die Männer grinsten. Daraufhin nahm Werfried, der neben seinem Pferd stand, einen Lederschlauch aus seiner Satteltasche.

»Trinkt langsam! Er ist sehr stark«, bemerkte er amüsiert, dann warf er den Schlauch in ihre Richtung. Archibald fing ihn mit einer Hand auf und reichte ihn ihr. Zunächst zögerte sie, schließlich aber nahm sie gierig einen kräftigen Schluck. Würziger, schwerer Wein, rann durch ihre Kehle. Als ein wohliges Gefühl in ihr aufstieg, trank sie erneut. Ihre Übelkeit legte sich etwas und sie atmete langsam aus. Erneut wanderte ihr Blick zu Raoul. Wie mochte es ihm wohl gehen? Seltsam, dachte sie, frage ich mich allen Ernstes, wie es ihm geht? Das war doch wohl offensichtlich! Er war ja nicht einmal in der Lage aufzustehen. Sollte sie ihm vielleicht helfen? Aber, wie? Ihm die Flucht zu ermöglichen, war ihr unmöglich. Flucht? War sie dabei den Verstand zu verlieren? Sie kannte ihn doch kaum und ihr lag auch nichts an ihm. Oder vielleicht doch? Warum dachte sie überhaupt über derartige Dinge nach? Was scherte er sie überhaupt? Er war doch für seine Situation selbst verantwortlich.Hätte er auf Archibalds Fragen geantwortet, wäre es gar nicht erst so weit gekommen.

Während sie ihren Gedanken nachhing, war sie unbewusst immer näher an den jungen Mann herangerückt. Seine Augen waren noch immer geschlossen. Sie mich an!, schoss es ihr durch den Kopf. Du sollst mich ansehen. Ohne es eigentlich zu wollen, berührte sie vorsichtig die Schulter ihres Entführers. Die zaghafte Berührung ließ ihn ängstlich zusammenzucken. Er versuchte mit seinen gefesselten Händen seinen Kopf zu schützen, so als erwarte er, dass seine Peiniger ihn erneut traktierten. Erschrocken zog sie ihre Hand zurück und erstarrte. Als er merkte, dass es keiner der Schergen gewesen sein konnte, ließ er seine Arme langsam sinken, hob vorsichtig seinen Kopf und öffnete seine Augen. In ihnen lagen nicht nur Angst und Verzweiflung, sondern auch eine Trauer, die ihr beinahe das Herz zerriss.

»Habt keine Angst!«, hörte sie sich selbst leise flüstern. »Ich bin es nur! Ich will Euch nicht wehtun! Ich bin nur gekommen ...! Habt Ihr Durst? Hier, ich habe etwas zu trinken für Euch!« Es war das Einzige, was ihr in diesem Moment einfiel. Sie wusste ja selbst nicht so genau, warum sie ihn ansprach. Seine Augen wanderten nun fragend zu ihren. Er durchdrang sie geradezu mit seinem Blick. Abermals war Rilana nicht fähig, sich von ihm abzuwenden. Völlig verdreckt und mit einer blutigen Unterlippe wirkte er, wie ein kleiner Junge, der gerade seine erste Tracht Prügel bezogen hat. Wieso konnte er sie so in seinen Bann ziehen?

In der Zwischenzeit belud Archibald mit seinen Männern die Pferde. Rilana kniete sich neben ihren Entführer und setzte ihm den Trinkschlauch an die Lippen. Während er durstig trank, hob er zögernd seine gefesselten Hände und versuchte zaghaft ihre Wange zu streifen aber es gelang ihm nicht. Ein Zittern fuhr durch seinen Körper und er stöhnte leise. In Rilanas Augen sammelten sich Tränen. Sie war wie elektrisiert von seiner Bemühung. Wie in Trance rutschte eine ihrer Hände von dem Trinkschlauch und suchte verzweifelt seine Nähe. Zärtlich umschlossen ihre Finger die Seinen. Gleichzeitig erwiderte Raoul, seiner Lage zum Trotz, ihre Geste.

»Prinzessin, ich ...« Seine Finger erhöhten leicht den Druck. »Ich wollte nicht ...«, wieder schloss er die Augen.

»Ich werde Euch helfen! Irgendwie! Ihr müsst mir nur vertrauen!«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Wieso? Wieso lag ihr so viel daran, dass er ihr vertraute? Wieso wollte sie ihm überhaupt helfen?