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Vier befreundete Männer und eine Frau - allesamt Liebhaber spannender Krimis - beschließen an einem kalte verregneten Abend selbst einen Kriminalroman zu schreiben. Doch in diese Überlegungen platzt ein schlimmes Ereignis - aus dem Spiel wird blutiger Ernst. Der bekannte Detektiv Kaspar Brandeiser erleidet, trotz seines einwandfreien Gesundheitszustandes, nämlich plötzlich einen "Herzanfall". Und auch andere Umstände sprechen dafür, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. So bekommen die Freunde nun auch in der Praxis die Gelegenheit, ihren kriminalistischen Spürsinn zu entfalten.
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Seitenzahl: 280
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Vier befreundete Männer und eine Frau - allesamt Liebhaber spannender Krimis - beschließen an einem kalte verregneten Abend selbst einen Kriminalroman zu schreiben. Doch in diese Überlegungen platzt ein schlimmes Ereignis - aus dem Spiel wird blutiger Ernst. Der bekannte Detektiv Kaspar Brandeiser erleidet, trotz seines einwandfreien Gesundheitszustandes, nämlich plötzlich einen „Herzanfall“. Und auch andere Umstände sprechen dafür, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. So bekommen die Freunde nun auch in der Praxis die Gelegenheit, ihren kriminalistischen Spürsinn zu entfalten.
Christine Krendelgeboren 1958 in Linz, ist Hausfrau und Schriftstellerin von Kindergeschichten. 1998 entdeckte sie das Originalmanuskript ihres Großvaters Dr. Paul Wotta und seine gesammelten Zeitungsausschnitte. Der Roman ist 1949 als Fortsetzungskrimi in einer großen oberösterreichischen Tageszeitung erschienen. Nachdem Christine Krendel den Roman gelesen hatte, begann sie ihn zeitgemäß zu überarbeiten und veröffentlichte ihn schließlich als [email protected]
Die Detektiv-AG
von
Dr. Paul Wotta
überarbeitet von
Christine Krendel
(Enkelin)
Impressum:
Texte:© Copyright by Christine Krendel
Umschlaggestaltung: © Copyright by Christine Krendel
Grafik für Umschlag: iStock – alekleks
Verlag:
Christine Krendel
Oberhofen 46
A-4894 Oberhofen am Irrsee
Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Kapitel 1
„Na, mein Lieber, das hast du ja gründlich verhaut!“ Sepp Angerer lehnte sich zurück und steckte sich seine ausgegangene Pfeife wieder an. „Wir hätten das Spiel unbedingt verteidigen müssen, - jetzt ist es verloren und unsere Gegner bilden sich womöglich ein, dass sie diesen Sieg ihren eigenen geistigen Fähigkeiten zu verdanken haben!“
Robert Dumont, der ihm zur Rechten saß, meinte: „Aber Sepp, ich bitte dich -. Du musst zugeben, Hans und ich haben diesmal meisterhaft gespielt, - es war eben wieder mal ein Sieg des Geistes über ...“
„... die Materie, wolltest du wohl sagen?“ fiel ihm Angerers Partner Peter Tillendorf ins Wort, der bequem in seinen Sessel zurückgelehnt dasaß und genussvoll an seiner Zigarre zog. „Ich finde deine Anspielung auf meine körperlichen Rundungen direkt lieblos, umso mehr, als mein Lebendgewicht doch kaum 78 Kilo beträgt!“
„Das Spiel geht Null von Null auf“, verkündete da Hans Otten, der als der Vierte inzwischen die Abrechnung gemacht hatte.
„Und dafür mussten wir uns so lange plagen?“ meinte Angerer. „Na, jedenfalls sind wir ja doch die moralischen Sieger!“
„Sieger sind immer moralisch“, erklärte lächelnd die einzige Dame der Gesellschaft, die neben ihrem Bruder Peter Tillendorf gesessen und dem Spiel interessiert gefolgt war. Jetzt erhob sie sich und trat zum Fenster. „Nun hat der Herbst tatsächlich seinen Einzug gehalten! Von Ihren schönen Blumen da draußen wird wohl nicht viel übrig bleiben, lieber Hans, wenn das die ganze Nacht so weiter stürmt.“
Wie zur Bekräftigung ihrer Worte prasselte ein wilder Regenschauer gegen die Scheiben.
Auch der Hausherr war aufgestanden und neben sie getreten. „Ja, Fräulein Gerda, der Sommer scheint wirklich für heuer endgültig Abschied genommen zu haben. Ein Glück nur, dass auch nach den schlimmsten Winterstürmen wieder ein neuer Frühling kommen muss!“
Gerda blickte in den dunklen Garten hinaus, wo der Sturm immer neue Regenschauer über die nassen Hecken und triefenden Beete trieb. „Und wenn man einen Beruf hat, der einem Freude macht, das hilft auch, hässliche Zeiten zu überstehen. Peter findet zwar immer, es sei nicht notwendig, dass ich weiter als Lehrerin tätig bin. Doch ich hänge an meinem Beruf, wenn ich ihn auch aus materiellen Gründen vielleicht nicht mehr ausüben müsste.“
Sie war wieder an den Tisch getreten und ließ die darauf liegenden Karten spielerisch durch die Finger gleiten.
„Sehr richtig, Fräulein Gerda“, rief Angerer und blies eine dicke Rauchwolke aus seiner Pfeife zur Decke, „lassen Sie sich von diesem alten Materialisten, dem Peter, nicht vergraulen! Aber wie ist’s, meine Herrschaften, habt Ihr Lust, noch ein Spiel zu riskieren?“
„Selbstverständlich, sehr gerne!“ meinte Otten, der sich wieder auf seinen Platz gesetzt hatte und sah Dumont an, der zustimmend nickte.
„Was mich betrifft“, erklärte Tillendorf, „so wisst ihr ja, dass ich für jede Revanchepartie - Donnerwetter“, unterbrach er sich, als ein besonders heftiger Windstoß die Fenster traf, so dass sie leise klirrten, „das wäre ja das richtige Wetter, um in einer abgelegenen Schlossruine auf Gespensterjagd zu gehen!“
„Oder um gemütlich im Bett zu liegen und einen gruseligen Kriminalroman zu lesen“, warf Dumont ein. Er steckte sich eine Zigarette an und blickte gedankenverloren einem Rauchring nach.
Otten hatte inzwischen die Gläser neu gefüllt und lehnte sich behaglich in seinen Sessel zurück. „Ihr wisst ja, dass Kriminalromane meine Leidenschaft sind, - freilich findet man manchmal welche, die einem das Vergnügen daran gründlich verleiden könnten. Da gibt’s oft Tote am laufenden Band. Und umgekehrt findet man unter der Bezeichnung ‚Kriminalroman‘ oft Bücher, die man ihrer Harmlosigkeit wegen selbst Urgroßmüttern als Abendlektüre zum Einschlafen empfehlen könnte.“
Er zündete sich eine Zigarre an und fuhr fort: „Schrecklich sind auch diese Geistesprodukte, wo der junge, hübsche, aber arme Detektiv auf 200 Seiten mit grenzenloser Kühnheit die Anschläge einer gewissenlosen Bande gegen ein noch ärmeres, aber unglaublich reizendes junges Mädchen, das sich meist als Sekretärin durchs Leben schlägt, vereitelt. Hat er dann diese Bande endlich zur Strecke gebracht, so entpuppt sich die Dame als die heimliche Erbin irgendeines sagenhaft reichen Mannes, die ihm – weil er selbst zu schüchtern ist – um den Hals fällt. Kuss – Großaufnahme – aus!“
Alle lachten. „Aber ich bitte Sie, Hans“, rief Gerda Tillendorf, „es gibt doch auch eine Menge spannende Kriminalromane, die nicht nach diesem Schema verlaufen! Wo man vor allem nicht gleich weiß, wer eigentlich der Täter ist.“
„Da haben Sie recht, Fräulein Gerda“, erwiderte Otten, „doch auch dabei wird des Guten oft zu viel getan. Es ist ja selbstverständlich, dass der Autor, um die Spannung zu erhöhen, die Fäden der Handlung so verwirrt, dass der Täter möglichst im Dunkel bleibt. Das darf aber nicht so weit führen, dass der Leser in diesem geistigen Zweikampf bewusst irregeführt wird, indem alle Indizien auf vollkommen schuldlose Personen gehäuft werden. In solchen Fällen ist fast immer jene Person der gesuchte Verbrecher, die als das größte Unschuldslamm dargestellt wird!“
„Und trotzdem“, bemerkte Tillendorf, „liest du auch weiterhin Kriminalromane! Wenn man dir so zuhört, sollte man glauben, dass es eigentlich ein Unsinn ist, dafür Zeit aufzuwenden, wenn man sich zum Schluss doch meist nur ärgert.“
Otten lächelte und streifte die Asche von seiner Zigarre. „Ja, weißt du, lieber Peter, ich lese diese Sachen sozusagen als Sammler, der sich über jedes wertvolle Stück freut, das er unter vielem Gerümpel findet. Freilich – etwas häufiger dürften die guten Kriminalromane schon sein!“
„Schreiben Sie doch selbst mal einen solchen Roman, der Ihren Idealen vollkommen entspricht!“ rief Gerda Tillendorf. „Haben Sie denn noch nie daran gedacht?“„Gedacht schon, aber von da bis zur Ausführung ist es ein recht weiter Weg.“
„Wissen Sie was, ich habe da eine Idee!“ Das Mädchen war ganz begeistert. „Wir alle, wie wir hier sitzen, entwerfen einen Kriminalroman, - jeder von Euch hat doch schon allerhand erlebt! Wenn ich nur unsern Sepp ansehe, er als Polizeikommissar könnte aus seiner Praxis sicherlich schon allein den Stoff für zehn solcher Romane beisteuern. Und einer von uns übernimmt den Vorsitz und ..."
„... das sind natürlich Sie, liebes Fräulein Gerda!“ fiel ihr Otten ins Wort. „Es ist ja Ihre Idee, die wir übrigens ruhig mal probieren können. Was meint denn ihr dazu?“ wandte er sich an seine drei Freunde, die amüsiert zugehört hatten.
„Einverstanden! Selbstverständlich!“ riefen Dumont und Angerer, während Tillendorf mit komischer Resignation seufzte: „Na, ihr werdet schon sehen, was das heißt, unter der Leitung meiner Schwester zu stehen! Aber sagt dann nicht, ich hätte euch nicht gewarnt!“
Dumont meldete sich feierlich zu Wort: „Mit Rücksicht darauf, dass erstens eine Fortsetzung unserer Bridgepartie jetzt wohl keinen Sinn mehr hat, zweitens es noch viel zu zeitig ist, um nach Hause zu gehen und drittens das Wetter gerade die richtige Stimmung für unsere gruseligen Absichten schafft, schlage ich vor, dass wir gleich mit dem ersten Entwurf zu unserem Kunstwerk beginnen. Die näheren Einzelheiten bitte ich, das Präsidium festlegen zu wollen!“
Sein Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. Gerda regte an, dass jeder irgendeinen interessanten Vorfall erzählen solle, doch Angerer machte einen Einwand. „Wie wär’s“, meinte er, „wenn wir vorerst noch nicht festlegen, was geschrieben werden soll, sondern uns zuerst darüber klar werden, was in unseren Roman nicht hineinkommen darf? Hans als Fachmann hat uns auf verschiedene Fehler aufmerksam gemacht, - ich meinerseits möchte daher anregen, dass reiche Erbinnen, die sich als Sekretärinnen mühselig ihr Brot verdienen, von vornherein auszuschließen sind.“
„Auch der unfehlbare Detektiv, der aus der Zigarettenasche des Mörders mühelos dessen Lieblingsspeisen und Kleidergröße feststellt, darf bei uns nicht vorkommen!“ erklärte Dumont.
„Ich für meinen Teil bin dagegen, dass das Opfer als dicker, unsympathischer Mann dargestellt wird, wie ich es oft gelesen habe“, meinte Tillendorf. „Es tut mir immer leid, wenn ein Dicker so schlecht behandelt wird, - das ist wahrscheinlich so eine Art von Solidaritätsgefühl!“
Otten überlegte: „Auf alle Fälle müssen wir den Fehler vermeiden, den ich vorhin erwähnt habe, nämlich den tatsächlichen Verbrecher dem Leser möglichst unschuldig hinzustellen. Wir müssen so schreiben, dass man bei aufmerksamem Lesen die Möglichkeit hat, auch selbst die Lösung zu finden, sonst ist es in gewissem Sinne unfair. Ja, und Sie, Fräulein Gerda, was möchten Sie vermieden wissen?“
„Das Happy-end!“ erklärte Gerda kategorisch. „Ja“, meinte sie, auf das Lachen der anderen verlegen werdend, „es ist doch zu dumm, wenn der ganze Kriminalroman nur darin zu gipfeln scheint, dass zwei sich kriegen. Wer so etwas lesen will, der soll sich eine Liebesgeschichte kaufen! Aber in einem Kriminalroman soll doch die Aufklärung des Verbrechens die Hauptsache sein - wenigstens inhaltlich. Der eigentliche Zweck bleibt ja immer, dass der Leser gespannt bleibt und darauf müssen wir natürlich auch in unserer Geschichte achten.“
„Und dazu gehört natürlich viel Schauerliches!“ rief Dumont. „Der Wind heult, das Gebälk ächzt, in einem verlassenen Haus ertönt plötzlich eine Klingel, ...“
Alle fuhren unwillkürlich zusammen – ertönte da nicht wirklich eine Klingel? In der entstandenen Stille, die nach dem fröhlichen Lärm doppelt fühlbar war, hörte man den Sturm, der ums Haus tobte und das Prasseln der Regenschauer an die Fensterscheiben. Da – wieder schlug die Klingel an – einmal, zweimal, dreimal.
Otten sprang auf. „Ich will doch mal nachsehen, was draußen los ist“, rief er. Doch bevor er die Tür erreichte, öffnete sie sich und seine Haushälterin trat ein. Otten warf einen Blick auf die Besucherkarte, die sie ihm überreichte und rief erstaunt: „Donnerwetter!“ Dann wandte er sich an seine Freunde: „Jetzt könnt ihr euch auf eine Überraschung gefasst machen!“ und eilte hinaus.
Kapitel 2
Schweigend warteten die Zurückgebliebenen auf die Wiederkehr des Hausherrn. Gerda Tillendorf war wieder ans Fenster getreten und blickte in den Regen hinaus. Ihr Bruder steckte sich eine neue Zigarre an, während Dumont Rauchringe zu blasen versuchte und Angerer sich gelegentlich über seinen schwarzen Haarschopf fuhr, um ihn zu bändigen, was ihm jedoch, wie immer, nicht gelang.
Endlich öffnete sich wieder die Tür und Otten schob einen mittelgroßen Herrn ins Zimmer, der einen etwas unbeholfenen Eindruck machte. Er trug einen leicht strapazierten Anzug und wirkte mit seinem dünnen, blonden Haar und einer dunkel gefassten Brille vor den hellen Augen wie ein Privatlehrer. Otten legte ihm die Hand auf die Schulter und wandte sich an
seine Freunde: „Hier seht ihr einen alten Schulfreund von mir und zugleich einen der von der Unterwelt meist
gefürchteten Männer – den bekannten Privatdetektiv Kaspar Brandeiser! Das heißt“, fügte er erklärend hinzu, „der Öffentlichkeit ist er eigentlich viel weniger bekannt, als seinen Leistungen entsprechen würde – er zieht es eben meist vor, im Verborgenen zu arbeiten.“
Der Detektiv war näher getreten und begrüßte die Anwesenden. „Mein Freund Hans übertreibt wieder einmal ganz gehörig!“ sagte er lächelnd. „Aber so war er schon, als wir noch gemeinsam die Schulbank drückten und allzu sehr scheint er sich seither nicht geändert zu haben.“
Otten schob ihm einen Stuhl hin und versorgte ihn mit einem Glas Wein. „Rauchst du, Kaspi? Zigarren, Zigaretten? Oder – natürlich Pfeife, wie euer Schutzpatron, der selige Sherlock Holmes?“
Brandeiser streckte abwehrend die Hände aus: „Danke, nein! Ich bin Nichtraucher. Übrigens trage ich auch keine karierte Reisemütze“, fügte er entschuldigend hinzu, „und entspreche wohl auch sonst kaum dem Idealbild eines Detektivs.“
„Das gilt aber höchstens für die äußere Aufmachung“ rief Otten. „Doch erzähl‘ nun, wie du nach so langer Zeit wieder mal hergefunden hast!“
Brandeiser lächelte: „Eigentlich ist ja nichts Erstaunliches dabei, wenn es einen gelegentlich an die Stätte zieht, wo man seine Jugend verbracht hat – ich hatte schon längst die Absicht, wieder einmal herzukommen. Dann aber“, fuhr er ernster werdend fort, „gaben berufliche Gründe den letzten Anstoß. Dass du dich nach Abschluss deiner Studien hier niedergelassen hast, wusste ich ja. Da nahm ich am Bahnhof einfach ein Taxi und fuhr zu dir heraus. Der Fahrer wusste übrigens sofort, wo du wohnst, man kann daraus schließen, was für eine stadtbekannte Persönlichkeit du geworden bist!“
„Hat sich was mit stadtbekannter Persönlichkeit!“ lachte Otten. „In dem kleinen Nest kennt natürlich jeder jeden. Aber woher kommst du?“
Brandeiser zögerte einen Augenblick mit der Antwort. „Aus Amerika“, sagte er dann.
„Und das sagt der Mensch so einfach, als ob er aus einem der umliegenden Dörfer käme!“ rief Otten. „Direkt hierher?“
„Jawohl, direkt hierher!“
„Na, das muss ja eine nette Sache sein, die dich von drüben ausgerechnet in unsere stille Gegend führt! Nein bitte, ich frage natürlich nicht, um was es sich handelt – das ist doch selbstverständlich, dass du darüber nicht reden kannst. Übrigens – du wohnst doch natürlich bei mir?“
„Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich von deinem liebenswürdigen Angebot tatsächlich Gebrauch machen“, erwiderte der Detektiv. „Im Hotel ist man den Blicken doch mehr ausgesetzt und ich möchte nicht, dass mein Aufenthalt hier allzu sehr bekannt wird. Es dürfte sich nur um wenige Tage handeln. Sobald ich meine Aufgabe hier erledigt habe, muss ich wieder weiter.“
„Eigentlich“ mischte sich Gerda Tillendorf ins Gespräch, „bedeutet ihre Ankunft eine wunderbare Hilfe für unseren Roman. Nun haben wir sogar einen richtigen Meisterdetektiv! Sie müssen nämlich wissen, dass wir gerade beschlossen hatten, gemeinsam einen Kriminalroman zu verfassen. Wenn sie uns nun, wie man so schön sagt, den reichen Schatz Ihrer Erfahrungen zur Verfügung stellen wollen, so muss das ja ein richtiges Meisterwerk werden. Hätten Sie nicht Lust, mitzutun?“
Brandeiser lächelte vergnügt: „Es ist mir ein besonderes Vergnügen, liebes Fräulein, bei einem solchen Unternehmen, das anscheinend unter Ihrer Leitung steht, mitmachen zu dürfen! Ich hoffe auch, dass es mir mit der Zeit ausgehen wird – ich habe ja hier nur einige Erhebungen anzustellen.“
„Fein!“ rief das Mädchen begeistert, „nun könnten wir eigentlich den Sensationsfall konstruieren, wo man die Mörder heimlich durchs Haus schleichen hört, während draußen der Sturm heult und die alte Schlossuhr die Mitternachtsstunde schlägt.“
„Eine alte Schlossuhr kann ich Ihnen leider augenblicklich nicht zur Verfügung stellen, liebes Fräulein Gerda“, lachte Otten, „aber für einen erstklassigen Sturm ist bereits gesorgt. Hören Sie nur!“
Alle schwiegen und horchten auf den Wind, der jaulend um die freistehende Villa strich, es klang fast wie das Wimmern eines Kindes.
Tillendorf rappelte sich ein wenig aus seinem bequemen Stuhl heraus. „Herrschaften“, meinte er, „das wird bestimmt ein fabelhafter Schauerroman, bei dieser Geräuschkulisse! Wenn dabei den Autoren fast schon gruselt, was sollen dann erst die armen Leser sagen?“
Während alle lachten, wandte sich Angerer an den Hausherrn: „Ich glaube, Hans, dein Gast wird müde sein. Wir brechen jetzt lieber auf, die näheren Einzelheiten können wir immer noch morgen besprechen.“
Brandeiser erhob zwar dagegen Einspruch, dass er die Ursache des Aufbruches sein solle, aber auch die anderen erklärten, Angerer hätte vollkommen recht.
„Ich hoffe, dass es euch allen passt“, meinte Tillendorf, „dass wir uns morgen Abend bei mir wieder zusammenfinden, um alles weitere zu besprechen. Und jetzt wünsche ich nur, dass der Sturm noch etwas von meinem Wagen übriggelassen hat, damit ich diese Herrschaften abtransportieren kann!“
Lachend verabschiedeten sie sich von dem Detektiv, während Otten seine Gäste hinaus brachte. Als er zurückkam, fand er seinen Freund nachdenklich in seinem Stuhl sitzend. Er schenkte ihm ein und setzte sich zu ihm. Brandeiser nahm einen Schluck und sagte: „Du scheinst ja hier einen sehr netten Freundeskreis gefunden zu haben.“
Otten blickte vor sich hin. „Ja“, erwiderte er, „das ist so ziemlich das Einzige, was einem eine solche Kleinstadt bieten kann. Ich bin tagsüber meist sehr beschäftigt und habe dann am Abend das Bedürfnis nach ein wenig Zerstreuung. So kommen wir ziemlich oft zusammen, wir spielen Bridge, gehen mal zusammen aus, debattieren und philosophieren.“ Er zuckte die Achseln, „Auf dich, der in der ganzen Welt herumkommt, wirkt dies bestimmt langweilig!“
Brandeiser unterbrach ihn: „Das darfst du nicht sagen, Hans! Ich kann dir versichern, dass ich oft – sehr oft Sehnsucht nach ein wenig Ruhe und Beschaulichkeit habe. Leider nimmt das Schicksal meist keine Rücksicht auf unsere Wünsche und wir müssen auf dem Posten ausharren, auf den es uns stellt. – Übrigens, wie kamt ihr auf die Idee, einen Kriminalfall zu konstruieren?“
„Ach, das entwickelte sich eigentlich von selbst. Ich hielt ihnen so eine Art Vortrag über den idealen Kriminalroman, mein altes Steckenpferd. Na und Gerda, deren Temperament du ja kennengelernt hast, meinte, ich solle doch selbst mal so einen Roman schreiben und nahm dann die Sache sofort energisch in die Hand. Und nun gehen vier ernste Männer und eine Frau mit Eifer an eine Sache heran, die dir wahrscheinlich nur ein Lächeln abnötigt. Halt auch so eine Folge des Kleinstadtlebens, dass man jede Anregung, die etwas Abwechslung verspricht, mit Freude begrüßt. Übrigens hat dich Gerda vorhin richtig überrumpelt – wenn du keine Lust hast mitzutun, musst du dies offen sagen!“
Der Detektiv legte lächelnd seine Hand auf den Arm seines Freundes. „Keine Sorge, mein Lieber, das hätte ich auch bestimmt getan. Es macht mir aber im Gegenteil wirklich Spaß, ein kriminalistisches Problem einmal nicht lösen zu müssen, sondern es selbst konstruieren zu helfen. – Sag übrigens, wer ist eigentlich dein Freund Tillendorf?“
Otten schnitt einer neuen Zigarre die Spitze ab und setzte sie behutsam in Brand. „Der Peter“, meinte er, „ja, der hat schon allerhand erlebt! Er stammt aus dem Hamburgischen, aus ziemlich kleinen Verhältnissen. Zu Hause hielt es ihn nicht, da brannte er einfach durch, war Schiffsjunge und Matrose und trieb sich dann in den Staaten herum. Dort lernte er die Schlosserei und kam zu einer Maschinenfabrik im amerikanischen Mittelwesten, wo er schließlich Abteilungsleiter wurde und recht schön verdiente. Als das Unternehmen eine Fabrik in Buenos Aires kaufte, wurde er hingeschickt, um den technischen Aufbau zu überwachen, aber dann packte ihn plötzlich das Heimweh nach dem alten Europa – er hielt es drüben nicht mehr aus und kam zurück über den großen Teich.“
„Und ausgerechnet hier ist er gelandet?“ fragte Brandeiser.
„Ja, das ist auch so ein Beispiel, wie manchmal ein Zufall das menschliche Schicksal bestimmt – oder soll man es Fügung nennen? Tillendorf hatte drüben in der Fabrik einen Arbeitskameraden, dessen Eltern hier lebten und der ihn bat, sie, wenn es ihm möglich wäre, gelegentlich zu besuchen. Peter tat dies auch bald nach seiner Rückkehr nach Europa, das war vor ungefähr acht Jahren. Nun erinnerst du dich wohl noch an die Maschinenfabrik des alten Brunnhuber, draußen am Stadtgraben. Der hatte sich um seinen Betrieb nicht mehr recht kümmern können und stand vor dem Konkurs. Peter hörte bei seinem Hiersein davon, sah sich die Sache an und kaufte rasch entschlossen die Fabrik, die er seither wieder sehr schön in die Höhe gebracht hat. Er ließ auch seine Schwester herkommen, die inzwischen Lehrerin geworden war und darauf bestand, ihren Beruf auch weiterhin auszuüben.“
„Da hat sie vollkommen recht“, meinte Brandeiser, „es ist immer gut, wenn man auf eigenen Füßen stehen kann. Jedenfalls aber ist dieser Tillendorf ein interessanter Mensch!“
„Mein Lieber, wir können auch noch mit anderen weitgereisten Männern aufwarten!“ lächelte Otten. „Zum Beispiel Dumont!“
„Den hätte ich nach seinem Aussehen eigentlich für einen Franzosen gehalten.“
„Er ist auch tatsächlich im Elsass geboren, hat aber ebenfalls seine Heimat schon in jungen Jahren verlassen. Er studierte Medizin, zog dann auf Abenteuer aus und landete in Südamerika, wo er sehr viel erlebt und gesehen hat. Als Zahnarzt war er dann einige Zeit in Argentinien tätig, wo es ihm recht gut gegangen sein dürfte, denn als er hierher kam, konnte er sich eine sehr schöne Praxis einrichten. Er ist freilich auch sehr tüchtig in seinem Fach und erfreut sich des besten Rufes.“
Brandeiser schmunzelte: „Und auch diese Kapazität hat sich gerade in so einer Kleinstadt niedergelassen?“
„Wie du siehst“, lachte Otten, „und ich war eigentlich die Ursache dafür!“
„Du?“ fragte der Detektiv erstaunt, „kanntest du ihn denn schon von früher?“
„Ich lernte ihn vor einigen Jahren bei Bekannten in Wien kennen, wo er sich nach seiner Rückkehr aus Südamerika aufhielt. Gelegentlich erwähnte ich einmal, dass hier in unserem Städtchen ein tüchtiger Zahnarzt sehr willkommen wäre, der alte Dr. Röder, an den du dich sicherlich noch erinnern wirst, war nämlich damals gerade gestorben. Und ich war auf das Angenehmste überrascht, als Dumont daraufhin erklärte, er würde die Idee, sich hier niederzulassen ernstlich erwägen. Er entschloss sich dann auch tatsächlich dazu und hat dies, wie ich glaube, auch noch nicht zu bereuen gehabt.“
„Wieder ein Zufall oder, wenn du willst, Bestimmung!“ bemerkte Brandeiser sinnend. „Doch der letzte von deinen Freunden, der Polizeikommissar, ist das auch so ein Weltenbummler?“
Otten lachte. „Nein, unser Sepp ist bodenständig! Gebürtiger Linzer, Jusstudium an der Wiener Universität, in dieser Stadt dann im Polizeidienst, bis er als Leiter des hiesigen Polizeikommissariats hierher versetzt wurde. Gilt als sehr tüchtig, guter Bridgespieler, besondere Kennzeichen keine. Sonst noch Angaben erwünscht, Herr Detektiv?“
Brandeiser stand auf und klopfte seinem Freund lächelnd auf die Schulter. „Nein danke – die Vernehmung ist damit beendet! Siehst du, Hans, so geht einem der Beruf in Fleisch und Blut über, man möchte immer gerne wissen, mit wem man es zu tun hat, damit man sich gleich ein richtiges Bild von den Menschen machen kann. – Aber nun wollen wir austrinken und schlafen gehen! Morgen – oder richtiger gesagt, heute – ist ja auch noch ein Tag!“
Kapitel 3
Ein kühler, klarer Herbstmorgen leuchtete über den Gärten des Villenviertels. Die Sonne schien gutmachen zu wollen, was Sturm und Regen an den Bäumen und Sträuchern gesündigt hatten und ließ die noch an allen Zweigen hängenden Wassertropfen aufblitzen wie farbensprühende Edelsteine.
Otten trat in die Tür, die vom Speisezimmer, wo der gedeckte Frühstückstisch stand, in den Garten führte. Tief atmete er die frische Morgenluft, immer schon hatte er die Natur an solchen Spätherbsttagen mit ihrer leisen Wehmut des Abschiednehmens vom Sommer, besonders geliebt.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter und Brandeiser trat neben ihn. Otten reichte dem Freund die Hand und fragte lächelnd: „Noch immer der alte Frühaufsteher, Kaspi?“
„Freilich“ erwiderte der Detektiv, „seine Gewohnheiten legt man ja nicht so leicht ab, wenn man älter wird. Doch du selbst warst ja früher einmal kein allzu begeisterter Anhänger eines so frühen Tagesbeginns!“
„Bin ich auch heute noch nicht!“ lachte der Anwalt. „Aber der Beruf nimmt darauf leider keine Rücksicht. Jetzt habe ich aber Hunger!“
Als die Haushälterin mit der dampfenden Kaffeekanne erschien, sagte Otten: „Das, lieber Kaspi, ist die Seele meines Haushaltes, Frau Zeidinger, die auch dich unter ihre Fittiche nehmen wird, solange du hier bist. Sehen Sie ihn sich gut an, Frau Zeidinger!“ wandte er sich an die Frau. „Er macht zwar einen harmlosen Eindruck, doch der Schein trügt, das ist nämlich der berühmte Detektiv Brandeiser, vor dem alle Verbrecher zittern.“
Frau Zeidinger nahm lächelnd die Hand, die der Detektiv ihr bot. „Was an mir liegt, soll geschehen, dass Sie sich hier wie zu Hause fühlen, Herr Brandeiser!“ sagte sie.
Otten hatte es eilig, nachdem er rasch gefrühstückt hatte, ließ er sich von seinem Freunde versprechen, pünktlich zum Mittagessen heimzukommen und eilte davon.
Der Detektiv blieb noch einige Zeit auf seinem Platz sitzen und blickte nachdenklich in den Sonnenschein hinaus. Dann zog er ein kleines, ledergebundenes Notizbuch aus der Tasche, schlug die letztbeschriebene Seite auf, die als Überschrift den unterstrichenen Vermerk ‚Dr.S.‘ trug, und machte einige Eintragungen. Selbst wenn er jedoch dabei einen unbefugten Zuschauer gehabt hätte, wäre dieser aus den Notizen des Detektivs nicht klug geworden. Brandeiser hatte sich nämlich eine nur für seinen persönlichen Gebrauch bestimmte Kurzschrift zurechtgelegt, die jedem Uneingeweihten nur als eine Reihe sinnloser Zeichen erscheinen musste. Sorgsam verwahrte er dann das Büchlein wieder in einer, im Futter seiner Jacke angebrachten Tasche, nahm Hut und Mantel und verließ ebenfalls das Haus.
Als Otten nach Hause kam, fand er seinen Freund bereits wieder im Wohnzimmer sitzend, wo er die neuesten Zeitungen durchsah. Sie setzten sich zum Mittagessen, das der Kochkunst von Frau Zeidinger alle Ehre machte und ihr seitens des Detektivs einige schmeichelhafte Komplimente eintrug. Sie war sichtlich stolz darauf, die Anerkennung eines so weitgereisten Mannes gefunden zu haben und Otten meinte scherzend: „Da hast du was Schönes angerichtet, alter Junge! Wenn ich in Zukunft einmal wagen sollte, am Essen etwas auszusetzen, dann wird sie mir sicherlich dein Lob unter die Nase reiben – so stürzen einen die besten Freunde ins Unglück!“
Als sie dann wieder im Wohnzimmer saßen und der Anwalt seine Verdauungszigarre rauchte, rief er plötzlich: „Da fällt mir eben ein: Tillendorf hat vormittags angerufen und sich entschuldigt – er muss in einer dringenden geschäftlichen Angelegenheit verreisen, so dass wir am Abend nicht bei ihm zusammenkommen können. Das muss dann für morgen bleiben. Nachdem wir nun heute Abend frei sind, könnten wir vielleicht ins Theater gehen, wenn du Lust hast. Eine Gastspieltruppe bringt ein neues Kriminalstück zur Aufführung, das recht spannend sein soll. Da bleiben wir wenigstens bei derselben Branche. Oder hast du etwas anderes vor?“
„Nicht das geringste“, meinte Brandeiser, „im Gegenteil, ich bin mit deinem Vorschlag sehr einverstanden.“
„Schön, und nachher trinken wir noch ein Glas Wein im Hubertuskeller! Erinnerst du dich noch, Kaspi, wie wir einmal – ich glaube es war in der siebten Gymnasialklasse – uns dort heimlicherweise einen kleinen Schwips zulegten und von unserem Griechisch Professor, dem alten Wurzler, erwischt wurden?“
Brandeiser lachte: „Diese Strafpredigt vergesse ich mein Leben lang nicht mehr! Und der Hubertuskeller existiert noch? Dann ist’s doch klar, dass wir hingehen müssen.“
„Hast du für den Nachmittag schon ein Programm? Ich selbst muss leider jetzt wieder ins Büro, so dass ich dich alleine lassen muss.“
„Aber ich bitte dich, Hans, das wäre ja noch schöner, wenn du dich durch mein Hiersein in deiner Arbeit stören lassen würdest! Ein festes Programm habe ich im Übrigen für den Nachmittag noch nicht. Ich möchte durch die Stadt bummeln und alte Erinnerungen wachrufen, nachdem ich das Berufliche für heute bereits erledigt habe. Übrigens, du erwähntest doch gestern, dass dein Freund Dumont ein so guter Zahnarzt sei?“ „Das ist er auch! Willst du dir eine neue Garnitur Zähne einsetzen lassen?“
„Nein, so weit gehen meine Wünsche zum Glück nicht“, meinte Brandeiser lächelnd. „Aber einer meiner noch vorhandenen Weisheitszähne machte sich während der Seereise unangenehm bemerkbar. Wenn er sich jetzt auch wieder beruhigt hat, so möchte ich doch nicht versäumen, ihn radikal kurieren zu lassen, damit er sich nicht wieder im unpassendsten Augenblick meldet.“
„Da wird Robert ja riesig stolz sein, wenn er einen so berühmten Patienten verarzten darf! Hoffentlich büßt du dabei nicht all deine Sünden ab, ich jedenfalls muss gestehen, dass ich kein Held bin, wenn ich auf einem zahnärztlichen Marterstuhl Platz nehmen muss. Und nun auf Wiedersehen, Kaspi – wir treffen uns um acht Uhr im Theater.“
Der Hubertuskeller war ein kleines gemütliches Lokal in einem der ältesten Häuser der Stadt. Die Eingangstür, über der ein uraltes schmiedeeisernes Wirtshausschild hing, führte von dem schmalen, mit Kopfsteinen gepflasterten Gässchen in einen langen Flur, der an einer steilen Treppe endete. Ihre Stufen waren von Generationen von Weintrinkern ganz ausgetreten. Unten kam man dann in ein Kellergewölbe, dessen dicke Mauern von zwei schweren Steinsäulen gestützt wurden. Der in einer Ecke stehende eichene Schanktisch, die blankpolierten Tische und Stühle passten vollkommen in diesen Rahmen. Hier saßen an jedem Abend die Weinkenner des Städtchens und leerten die Gläser, wie dies schon ihre Vorfahren getan hatten.
Otten und Brandeiser fanden einen kleinen Tisch in einer Ecke und der Wirt brachte ihnen persönlich die bestellte Flasche Wein. Nachdem er sich wieder zurückgezogen hatte, steckte sich der Anwalt eine seiner geliebten schwarzen Brasilzigarren an, nahm genießerisch einen Schluck und blickte schmunzelnd auf seinen Freund. „Nun, Kaspi“, meinte er, „da hast du im Theater heute endlich Gelegenheit gehabt, zu lernen, wie sich ein Meisterdetektiv eigentlich zu benehmen hat!“
Brandeiser beobachtete nachdenklich die Lichtreflexe in seinem Glas. „Schön wäre es ja“, erwiderte er, „wenn man auch im wirklichen Leben von der glücklichen Lösung eines Kriminalfalles immer schon im Voraus überzeugt sein könnte, wie dies im Theater, im Kino oder in Romanen der Fall ist! Leider ist aber dort das Happy End nicht immer so sicher. Auch dafür, dass der Detektiv regelmäßig im letzten Moment mit heiler Haut davonkommt, gibt es in der Wirklichkeit keine Garantie. Na, dieses Risiko gehört halt eben zum Geschäft! Prost, lieber Hans!“
„Prosit, Kaspi! – Du, weißt du übrigens, dass es höchste Zeit wäre, auch ein wenig von dir zu erzählen? Natürlich nur, soweit du darüber reden kannst und willst!“
„Nun, gar so geheimnisvoll ist meine Existenz ja gerade nicht, wie du zu glauben scheinst! Meine ständige Wohnung habe ich schon seit einer Reihe von Jahren in Zürich, Limmatkai 56, - freilich bringen es oft die Umstände mit sich, dass ich manchmal wochen- und monatelang nicht nach Hause komme. Finanziell bin ich glücklicherweise ziemlich unabhängig, so dass ich nicht gezwungen bin, mich mit jeder Sache zu befassen, die an mich herangetragen wird, sondern mir die Fälle aussuchen kann, die mich besonders interessieren. Dadurch kann ich mich auch einer einmal übernommenen Angelegenheit viel intensiver widmen, und habe so natürlich auch mehr Chancen, sie erfolgreich zu Ende zu führen. Familie habe ich nicht, so dass ich auf niemanden Rücksicht zu nehmen brauche. Das ist gerade bei meinem Beruf ein großer Vorteil. Aber wie kommt es eigentlich, dass du auch noch einschichtig durchs Leben wandelst, du würdest doch meiner Ansicht nach einen geradezu idealen Ehegatten abgeben?“
Otten streifte gedankenvoll die Asche von seiner Zigarre. „Ja, vielleicht hast du nicht unrecht, aber ich glaube, zum Heiraten gehört doch noch etwas mehr als nur kühle Überlegung. Und wenn man einmal die Mitte der Dreißig erreicht hat, wie ich, bedarf es offenbar eines noch kräftigeren Anstoßes, um diesen Entschluss zu fassen. Sollte dieser Anstoß noch mal kommen – jedenfalls, ein prinzipieller Ehegegner bin ich ja nicht! Bis dahin bin ich schließlich von meiner Frau Zeidinger auf das Beste versorgt, wie du dich selbst überzeugen konntest.“
„Zu diesem Juwel kann man dir auch wirklich gratulieren! – Ich soll dir übrigens schöne Grüße ausrichten.“
„Von wem denn?“
„Von deinem Freund Dumont. Er hat sehr bedauert, dass aus unserem für heute Abend geplanten Beisammensein nichts geworden ist.“
„Donnerwetter, jetzt hatte ich ganz vergessen, mich nach dem Befinden deines verehrten Weisheitszahnes zu erkundigen! Also wie war denn die Sitzung?“
„Danke der Nachfrage, viel schmerzloser, als ich ursprünglich befürchtet hatte! Der Schaden ist bereits repariert. Dumont arbeitet wirklich sehr gut und gab sich recht viel Mühe. Aber ich glaube, dass es Zeit ist aufzubrechen. Ich sehe, dass das Lokal sich schon fast ganz geleert hat.“
„Du hast recht“, meinte Otten, sich umblickend. „Wie du siehst, sind die Leute hier sehr solid und für ein sogenanntes Nachtleben kaum zu haben.“ Er zahlte und sie verabschiedeten sich von dem Wirt, dem sie versprachen, bald wiederzukommen.
Die beiden Freunde schlugen den Weg zu Ottens Villa ein, laut hallten ihre Schritte in den engen Gassen des schlafenden Städtchens. Am Himmel trieb der Wind, der sich wieder erhoben hatte, Wolkenfetzen dahin, durch die nur von Zeit zu Zeit der Mond seinen Schein auf die alten Häuser warf.
Schweigend schritten die beiden dahin, jeder in seine Gedanken versunken. Als sie in das Villenviertel kamen, raschelten die von den Bäumen gefallenen Blätter unter ihren Tritten und immer neue wirbelte der Wind von oben herab. Otten fühlte ein leises Frösteln – ‚Herbst‘ dachte er, ‚wieder ist ein Sommer vorbei und wieder ist ein Jahr des Lebens dahingegangen!‘ – Sie waren vor seinem Hause angelangt und er schüttelte gewaltsam die trübe Stimmung ab.
Im Hausflur drehte der Anwalt das Licht an und fragte seinen Freund: „Willst du noch ein wenig sitzen bleiben, Kaspi, oder bist du müde?“
Brandeiser reichte ihm die Hand. „Ich glaube, es ist genügend spät geworden“, meinte er, „und es wird dir wohl auch recht sein, ins Bett zu kommen. Schlaf gut, Hans!“
„Danke, gleichfalls, Kaspi!“ – Und bald lag das Haus wieder schweigend und dunkel da.
Weder sie noch sonst jemand hatte gesehen, dass bei ihrem Näherkommen eine dunkle Gestalt an dem starken Holzspalier, das auf der Rückseite des Hauses einen alten Efeustamm stützte, gelenkig herabgeglitten war. Sie trug einen weiten Regenmantel mit aufgeschlagener Kapuze, der sie vollkommen einhüllte. Während die beiden Freunde ins Haus traten, blieb die Gestalt an die Mauer gedrückt stehen und sah zum oberen Stockwerk empor, wo die offenen Fenster der Schlafzimmer auf den Garten hinausgingen. In diesem Augenblick trat der Mond wieder hinter den Wolken hervor und beleuchtete ein merkwürdiges, leeres, ausdrucksloses Antlitz, blass, wie das Gesicht eines Toten. Im nächsten Augenblick war jedoch die Gestalt lautlos unter den Bäumen des Gartens verschwunden und nur der Wind trieb noch die raschelnden Blätter über die leeren Wege.
Kapitel 4
Als Otten am nächsten Morgen zum Frühstück herunterkam, fand er den Detektiv noch nicht vor. ‚Recht hat er, sich mal gründlich auszuschlafen!‘ dachte er. Doch er selbst musste ins Büro und konnte nicht länger warten.