Die Detektive vom Bhoot-Basar - Deepa Anappara - E-Book
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Die Detektive vom Bhoot-Basar E-Book

Deepa Anappara

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Beschreibung

Detektivarbeit ist kein Kinderspiel. Der neunjährige Jai schaut zu viele Polizei-Dokus, denkt, er sei klüger als seine Freundin Pari (obwohl sie immer die besten Noten bekommt) und hält sich für einen besseren Anführer als Faiz (obwohl Faiz derjenige mit zwei älteren Brüdern und einem echten Job ist). Als ein Junge aus ihrer Klasse verschwindet, beschließt Jai, sein Fernsehwissen zu nutzen, um ihn zu finden. Mit Pari und Faiz an seiner Seite wagt er sich in den verwinkelten Bhoot-Basar und dann weiter hinaus in die verbotenen Viertel der Stadt. Doch mehr und mehr Kinder verschwinden, und die Dinge in der Nachbarschaft werden kompliziert … «Die Detektive vom Bhoot-Basar» erzählt von den Farben und Widersprüchen des heutigen Indien, von sozialen und religiösen Spannungen, Korruption und Ungerechtigkeit, vor allem aber von der unbesiegbaren Vitalität dreier Kinder, von deren Wagemut, Unschuld und überbordender Phantasie. Ein literarisches Debüt von besonderer emotionaler Tiefe, schon vor dem Erscheinen viele Male ausgezeichnet und bislang in 16 Sprachen übersetzt. Deepa Anappara bringt einen wahren Kriminalfall und eine mitreißende Coming-of-Age-Story zusammen mit der Magie einer großen Erzählung. Ein seltenes Glück.

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Seitenzahl: 489

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Ähnliche


Deepa Anappara

Die Detektive vom Bhoot-Basar

Roman

 

 

Aus dem Englischen von pociao und Roberto de Hollanda

 

Über dieses Buch

Detektivarbeit ist kein Kinderspiel. Der neunjährige Jai schaut zu viele Polizei-Dokus, denkt, er sei klüger als seine Freundin Pari (obwohl sie immer die besten Noten bekommt) und hält sich für einen besseren Anführer als Faiz (obwohl Faiz derjenige mit einem echten Job ist). Als ein Junge aus ihrer Klasse verschwindet, beschließt Jai, sein Fernsehwissen zu nutzen, um ihn zu finden. Mit Pari und Faiz an seiner Seite wagt er sich in den verwinkelten Bhoot-Basar und dann weiter hinaus in die verbotenen Viertel der Stadt. Doch mehr und mehr Kinder verschwinden, und die Dinge in der Nachbarschaft werden kompliziert …

«Die Detektive vom Bhoot-Basar» erzählt von den Farben und Widersprüchen des heutigen Indien, von sozialen und religiösen Spannungen, Korruption und Ungerechtigkeit, vor allem aber von der unbesiegbaren Vitalität dreier Kinder, von deren Wagemut, Unschuld und überbordender Phantasie.

Ein literarisches Debüt von besonderer emotionaler Tiefe, schon vor dem Erscheinen viele Male ausgezeichnet und bislang in 16 Sprachen übersetzt. Deepa Anappara bringt einen wahren Kriminalfall und eine mitreißende Coming-of-Age-Story zusammen mit der Magie einer großen Erzählung. Ein seltenes Glück.

 

«Ein brillantes Debüt.» Ian McEwan

 

«Quasi die indischen drei Fragezeichen» Kölnische Rundschau

 

«Ein atmosphärisch dichter und mitreißender Roman über das heutige Indien.» 3Sat

 

«Der Roman erzielt seinen verstörenden Effekt mit ästhetischen Mitteln, indem er dem Leser diese brutale Welt so zeigt, wie ein Kind sie wahrnimmt. Das, was eigentlich geschieht, entsteht im Kopf des Lesers – und bleibt dort noch lange nach dem Ende dieser Geschichte.» Süddeutsche Zeitung

Vita

Deepa Anappara wuchs im südindischen Kerala auf und arbeitete in Delhi und Mumbai als Journalistin, bevor sie an der University of East Anglia Creative Writing studierte. Für ihre Arbeiten zu den Auswirkungen von Armut und religiöser Gewalt auf die kindliche Entwicklung erhielt sie mehrere Auszeichnungen. Deepa Anappara lebt in der englischen Grafschaft Essex.

 

pociao leitet seit den 90er Jahren ihren eigenen Verlag, Sans Soleil. Sie übersetzte u.a. Gore Vidal, Zelda Fitzgerald, Patti Smith und Evelyn Waugh. 2017 gewann sie den DeLillo-Übersetzungswettbewerb des Deutschen Übersetzerfonds und der FAZ.

 

Roberto de Hollanda dreht Dokumentarfilme, schreibt Features und übersetzt aus dem Portugiesischen, Spanischen und Englischen, u.a. Almudena Grandes, José Luis Sampedro und Tom Robbins.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel «Djinn Patrol on the Purple Line» bei Chatto & Windus, London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2020

Copyright © 2020 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Djinn Patrol on the Purple Line» Copyright © 2020 by Deepa Anappara

Covergestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt,

nach einem Entwurf von Anzinger und Rasp, München

Coverabbildung Intellistudies/iStock

ISBN 978-3-644-00359-0

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Für Divya Anappara und Param

EINS

Diese Geschichte wird euch das Leben retten

Als Mental noch lebte, war er der Chef einer Bande von achtzehn bis zwanzig Kindern, die für ihn arbeiteten, und nur selten erhob er gegen eins von ihnen die Hand. Jede Woche schenkte er ihnen Schokoriegel und Karamellbonbons, die sie unter sich verteilten, und außerdem machte er sie unsichtbar für die Polizei, die Evangelisten-Typen, die sie von der Straße holen wollten, und Männer, die sie mit gierigen Augen verfolgten, wenn sie über die Gleise flitzten und leere Plastikflaschen aufsammelten, bevor ein Zug sie überrollen konnte.

Mental machte kein Theater, wenn ihm seine kleinen Lumpensammler nur fünf statt fünfzig Bisleri-Flaschen brachten oder er sie während der Arbeitszeit in der Schlange vor dem Kino erwischte, wo sie in ihren Sonntagskleidern um Premierenkarten anstanden, die sie sich gar nicht leisten konnten. Aber wenn sie Bleichmittel geschnüffelt hatten und mit roten Nasen, mit vollmondgroß geschwollenen Augen ankamen und ihre Worte ineinanderflossen wie eine Mischung aus Blut und Wasser, knöpfte er sie sich vor. Dann drückte er seine Gold Flake Kings auf ihrem Handgelenk oder ihrer Schulter aus und nannte das die Verschwendung einer guten Zigarette.

Der penetrante Geruch nach verbranntem Fleisch folgte seinen Jungs auf Schritt und Tritt und vertrieb den süßen, kurzen Kick von Korrekturflüssigkeit oder Klebstoff. Mental hämmerte ihnen Vernunft in den Schädel, ja wirklich, das tat er.

Wir sind ihm nie begegnet, weil er lange vor unserer Zeit in diesem Viertel lebte. Aber die Leute, die ihn kannten, wie der Friseur, der seit Jahrzehnten stoppelige Bärte rasiert, oder der Spinner, der Asche auf seine Brust schmiert und sich für einen Heiligen hält, reden bis heute von ihm. Sie sagen, seine Jungs hätten nie darüber gestritten, wer als Erster auf einen fahrenden Zug aufspringen durfte oder wer ein in der Spalte hinter dem Sitz eingeklemmtes Stofftier oder Spielzeugauto behalten konnte. Mental brachte seinen Jungs bei, anders zu sein. Deshalb lebten sie länger als alle anderen, die in den Bahnhöfen des Landes arbeiteten.

Eines Tages aber starb Mental selbst. Seine Jungs wussten, dass er damit nicht gerechnet hatte. Er war jung und gesund gewesen und hatte ihnen versprochen, einen Lieferwagen zu mieten und sie zum Taj zu fahren, ehe der Monsun in die Stadt kam. Tagelang trauerten sie um ihn. Unkraut spross aus dem mit ihren Tränen getränkten kahlen Boden.

Danach mussten die Jungs für Männer arbeiten, die ganz anders waren als Mental. In ihrem neuen Leben gab es weder Schokoriegel noch Kinobesuche, nur versengte Hände von Gleisen, die im Sommer golden glänzten, wenn bereits morgens um elf fünfundvierzig Grad herrschten. Im Winter fielen die Temperaturen auf ein oder zwei Grad, und manchmal, wenn der Dunst weiß und körnig wie Staub war, schälte der messerscharfe Rand der vereisten Gleise den Jungs die Haut von den blasigen Fingern.

Jeden Tag nach ihren Beutezügen wuschen sich die Jungs das Gesicht mit dem Wasser, das aus einem leckenden Rohr am Bahnhof tröpfelte, und schickten ein kollektives Gebet zu Mental empor, damit er sie davor bewahrte, dass ihnen ein Zug die Arme und Beine zu Knochenmehl zermalmen oder ein Gürtel durch die Luft sausen würde, der ihnen das Rückgrat brach, sodass sie nie wieder laufen konnten.

Ein paar Monate nach Mentals Tod starben zwei Jungs beim Aufspringen auf Züge. Milane kreisten über ihren zerquetschten Körpern, und Fliegen küssten ihre blauschwarzen Lippen. Die Männer, für die sie schufteten, hielten es für rausgeworfenes Geld, ihre Leichen zu bergen und einäschern zu lassen. Die Züge hielten nicht an, und die Loks heulten weiter bis spät in die Nacht.

Eines Abends kurz nach ihrem Tod überquerten drei von Mentals Jungs die Straße, die den Bahnhof von dem Labyrinth kleiner Geschäfte und Hotels trennte, auf deren Flachdächern sich rot-weiße Handymasten und schwarze Wassertanks drängten. Leuchtreklamen blinkten REIN VEGANE SNACKS, BAHNHOFSBLICK, UNGLAUBLICHES !NDIEN und FAMILIENFREUNDLICH. Die Jungs waren auf dem Weg zu einer Stelle nicht weit von hier: einer Backsteinmauer mit Eisengeländer, wo Mental seine Wäsche getrocknet und auch geschlafen hatte, einen Sack mit seinem gesamten Hab und Gut im Arm, als wäre er seine Frau.

Im gelb-rosa Schein der Lettern, die HOTEL ROYAL PINK buchstabierten, sahen sie die kleinen Lehmgötter, die Mental in einer Mauernische aufgestellt hatte – Ganesha mit seinem auf der Brust eingerollten Rüssel, Lord Hanuman mit dem Kräuterberg in der Hand, Krishna, der die Flöte spielt –, und in der Sonne getrocknete und mit Steinen beschwerte Ringelblumen zu ihren Füßen.

Die Jungs stießen die Stirn gegen die Mauer und fragten Mental, warum er hatte sterben müssen. Einer von ihnen flüsterte Mentals richtigen Namen in den Wind, ein Geheimnis, das nur sie kannten, und ein Schatten huschte durch die Gasse. Die Jungs hielten ihn für eine Katze oder einen Flughund, obwohl sich die Luft auflud, sie den metallischen Geschmack von Elektrizität auf der Zunge hatten und ein regenbogenfarbener Lichtblitz aufflackerte, der so schnell verschwand, dass sie ihn sich nur eingebildet haben konnten. Sie waren erschöpft von der Flaschensammelei und schwindelig vor Hunger. Aber als sie am nächsten Tag den Abfall in den Gängen eines Zuges durchwühlten, fand jeder von ihnen einen Fünfzig-Rupien-Schein unter den Schlafwagenbetten.

Sie wussten, dass es ein Geschenk von Mentals Geist war, denn die Luft um sie herum war von seinem warmen Atem erfüllt und roch nach seinen Gold Flake Kings. Er war gekommen, weil sie ihn bei seinem richtigen Namen gerufen hatten.

Die Jungs fingen an, Zigaretten für Mental auf seiner Mauer zu hinterlassen oder kleine Schalen aus Stanniolpapier mit würzigen Kichererbsen, die mit scharfem Limonensaft verfeinert und mit Korianderblättern und roten Zwiebelringen garniert waren. Sie rissen derbe Witze über die Gerüche und Geräusche, die Mental fabriziert hatte, nachdem er eines Nachmittags ein viertel Kilo Kichererbsen auf einmal verdrückt hatte. Seinem Geist gefiel das gar nicht, und anschließend fanden sie in ihren Hemden Brandlöcher von Zigaretten.

Inzwischen sind Mentals Jungs überall in der Stadt verstreut, und wir wissen, dass einige von ihnen geheiratet und eigene Kinder bekommen haben. Doch bis heute wird ein Junge, der mit leerem Magen und Mentals richtigem Namen auf den rissigen Lippen einschläft, am nächsten Morgen auf einen weißen Touristen stoßen, der ihm ein Eis spendiert, oder eine ältere Dame, die ihm ein Paratha in die Hand drückt. Es ist nicht viel, aber Mental war kein reicher Mann, und deshalb ist er auch kein reicher Geist.

Das Komische ist, dass seine Jungs ihm diesen Namen gaben. Als sie ihm das erste Mal begegneten, erkannten sie, dass er in vielerlei Hinsicht streng war, sein Blick aber sanft wurde, wenn sie ihm einen fehlenden Zeh oder eine Narbe zeigten, die wie ein toter Fisch hinten auf dem Oberschenkel prangte, wo man sie mit einer rot glühenden Eisenkette ausgepeitscht hatte. Sie kamen zu dem Schluss, dass nur ein Verrückter in dieser korrupten Welt halbwegs gut sein konnte. Zuerst nannten sie ihn Bruder, die Jüngsten Onkel, und erst viel später sagten sie: Mental, guck mal, wie viele Flaschen ich heute gefunden habe. Er störte sich nicht daran, weil er wusste, wie sie auf den Namen gekommen waren.

Monate nachdem er Mental geworden war und an einem Frühlingsabend schon mehrere Gläser Bhang geleert hatte, kaufte er seinen Jungs cremigen Milchreis in Tonschalen und raunte ihnen den Namen zu, den seine Eltern ihm gegeben hatten. Er erzählte, wie er mit sieben von zu Hause ausgerissen war. Seine Mutter hatte ihn geohrfeigt, weil er die Schule geschwänzt und sich mit den Möchtegern-Casanovas auf der Straße herumgetrieben hatte, die jedes Mal laut johlten, wenn ein Mädchen an ihnen vorbeikam.

Die ersten Wochen in der Stadt hatte Mental im Bahnhof verbracht, hatte die Reste halb geleerter Proviantpakete verschlungen, die die Fahrgäste aus den Zugfenstern geworfen hatten, und sich in den Alkoven unter den Überführungen vor der Polizei versteckt. Jeder dumpfe Schritt über ihm fühlte sich an wie ein Schlag auf den Kopf. Eine Zeitlang glaubte er, seine Eltern würden mit einem der Züge kommen, um ihn zu suchen, ihn ausschimpfen, weil er ihnen so einen Schreck versetzt hatte, und ihn wieder mit nach Hause nehmen. Nachts schlief er unruhig; er hörte die Mutter seinen Namen rufen, doch es war nur der Wind, das Rattern eines Zuges oder die schrille Stimme einer Frau, die verkündete, der North-East-Express aus Shillong habe vier Stunden Verspätung. Hin und wieder dachte Mental daran, nach Hause zurückzukehren, tat es aber nicht, weil er sich schämte und weil die Stadt aus Jungs richtige Männer machte. Er hatte es satt, ein Kind zu sein, und wollte ein Mann werden.

Jetzt, da Mental ein Geist ist, wünscht er sich, er wäre noch mal sieben. Wir glauben, dass er deshalb seinen alten Namen hören möchte. Er erinnert ihn an seine Eltern und an den kleinen Jungen, der er war, bevor er auf den Zug aufsprang.

Mentals richtiger Name ist ein Geheimnis. Seine Jungs würden ihn niemandem verraten. Wahrscheinlich ist er so gut, dass ein Filmstar ihn geklaut hätte, wenn Mental nach Mumbai gegangen wäre, statt hierherzukommen.

In dieser Stadt gibt es viele Mentals. Wir brauchen keine Angst vor ihnen zu haben. Unsere Götter sind zu beschäftigt, um unsere Gebete zu erhören, doch Geister … Geister haben nichts anderes zu tun, als zu warten und zu wandern, zu wandern und zu warten, und sie hören immer auf unsere Worte, weil ihnen die Zeit lang wird und das eine Möglichkeit ist, sie sich zu vertreiben.

Aber vergesst nicht, sie arbeiten nicht umsonst. Sie helfen uns nur, wenn wir uns revanchieren. Bei Mental ist es eine Stimme, die seinen richtigen Namen ruft, und bei anderen ein Glas Fusel, ein Zweig Jasmin oder ein Kebab aus Ustads Imbiss. Nicht viel anders als das, was Götter den Menschen abverlangen, wobei die meisten Geister nicht erwarten, dass wir fasten, Lampen anzünden oder immer wieder ihren Namen in ein Notizheft kritzeln.

Am schwierigsten ist es, den richtigen Geist zu finden. Mentals ist der für Jungs, denn er hat nie Mädchen angeheuert, aber es gibt auch Geister für Frauen, für Greisinnen und sogar Babygeister, die kleine Mädchen beschützen. Vielleicht brauchen wir Geister mehr als jeder andere, weil wir Bahnhofskinder sind, ohne Eltern und Zuhause. Wenn wir noch immer da sind, dann nur, weil wir wissen, wie man Geister gezielt beschwört.

Manche Leute meinen, wir würden an das Übernatürliche glauben, weil wir Klebstoff schnüffeln, Heroin schnupfen und Desi-daru trinken, der so stark ist, dass er einem Baby einen Schnurrbart ins Gesicht zaubern könnte. Aber diese Leute, Leute mit Marmorböden und Elektroheizungen, waren nicht dabei, als die Polizei in einer kalten Winternacht Mentals Jungs aus dem Bahnhof vertrieb.

In dieser Nacht blies ein eisiger Wind durch die Stadt, der selbst im Gestein seine Spuren hinterließ. Die Jungs hatten keine zwanzig Rupien, um für acht Stunden eine Decke zu mieten, und der Decken-Wallah schimpfte, als sie fragten, ob er ihnen nicht eine auf Pump geben könnte. Zitternd hockten sie unter einer dunklen Straßenlaterne mit kaputtem Glasgehäuse vor einer Nachtunterkunft, in der es keine freien Betten mehr gab. Räder aus Schmerz drehten sich in ihren Händen und Beinen. Als sie es nicht länger aushielten, riefen sie Mental.

Tut uns leid, dass wir dich schon wieder stören müssen, sagten sie. Aber wir haben Angst zu sterben.

Die kaputte Straßenlaterne knisterte und glühte auf. Die Jungs blickten empor. Warmes Licht ergoss sich wie gelber Honig über sie.

«Wartet», sagte Mentals Geist zu ihnen. «Vielleicht kann ich noch mehr für euch tun.»

Ich betrachte unser Haus

kopfüber und zähle fünf Löcher im Blechdach. Vielleicht sind es mehr, aber das kann ich nicht sehen, weil der schwarze Smog draußen die Sterne vom Himmel verschluckt hat. Ich stelle mir vor, dass ein Dschinn auf dem Dach hockt und die Augen wie einen Schlüssel im Schlüsselloch dreht, während er zu uns hineinlugt und wartet, dass Ma, Papa und Runu-Didi einschlafen, damit er mir die Seele aus dem Leib saugen kann. Dschinns gibt es ja in Wirklichkeit gar nicht, aber wenn es welche gäbe, würden sie nur Kinder stehlen, weil wir die zartesten Seelen haben.

Meine Ellbogen zittern auf dem Bett, deshalb stütze ich die Beine an der Wand ab. Runu-Didi hört auf, die Sekunden zu zählen, die ich schon auf dem Kopf stehe, und sagt: «Arrey, Jai, ich bin direkt neben dir, und du schummelst trotzdem. Schämst du dich nicht?» Ihre Stimme ist schrill und aufgeregt, so sehr freut sie sich, dass ich nicht so lange kopfstehen kann wie sie.

Didi und ich wetteifern darum, wer am längsten auf dem Kopf stehen kann, aber es ist kein fairer Wettkampf. In unserer Schule gibt es erst ab der sechsten Klasse Yoga-Unterricht, und Runu-Didi geht in die siebte, wird also von einem richtigen Yoga-Lehrer unterrichtet. Ich dagegen bin erst im vierten Schuljahr und muss mich auf Baba Devanand im Fernsehen verlassen, der behauptet, wenn Kinder wie ich Kopfstand machen, werden sie:

nie eine Brille tragen müssen;

nie weiße Haare oder schwarze Löcher in den Zähnen kriegen;

nie Gehirnerweichung, lahme Arme oder Beine haben;

in der Schule, im College und zu Hause immer die Nr. 1 sein.

Ich mag Kopfstand zehnmal lieber als die Schnaufübungen, die Baba Devanand im Lotussitz mit gekreuzten Beinen macht. Wenn ich aber jetzt noch länger auf dem Kopf stehe, breche ich mir das Genick, deshalb lasse ich mich wieder aufs Bett plumpsen, das nach Korianderpulver, rohen Zwiebeln, Ma, Ziegelsteinen, Zement und Papa riecht.

«Baba Jai hat sich als Schwindler entpuppt», schreit Runu-Didi wie die Reporter, die jeden Abend rot vor Zorn werden, wenn sie im Fernsehen die entsetzlichen Nachrichten vorlesen müssen. «Will unser Land nur zusehen und nichts tun?»

«Uff, Runu, ich kriege noch Kopfschmerzen von deinem Geschrei», sagt Ma aus der Küchenecke. Dasselbe Teigholz, mit dem sie mir den Hintern versohlt, wenn ich Kraftwörter in den Mund nehme, hilft ihr jetzt dabei, vollkommen runde Rotis zu formen, während Runu-Didi über Mas Handy mit Nana-Nani telefoniert.

«Gewonnen, gewonnen», singt Didi jetzt. Sie ist lauter als der Fernseher im Haus nebenan, das Geschrei des Babys im Haus neben dem von nebenan und die Nachbarn, die sich Tag für Tag darüber streiten, wer wem Wasser aus welchem Tank geklaut hat.

Ich stecke mir die Finger in die Ohren. Runu-Didis Lippen bewegen sich, aber es ist so, als würde sie die Blubbersprache der Fische in einem Aquarium sprechen. Ich kann kein Wort von ihrem Geplapper verstehen. Wenn ich in einem großen Haus wohnen würde, würde ich mit meinen verschlossenen Ohren – immer zwei Stufen auf einmal – die Treppe raufsprinten und mich oben in einen Schrank verdrücken. Aber wir wohnen in einem Basti, deshalb hat unser Haus bloß ein Zimmer. Papa sagt immer, dass es in diesem Zimmer alles gibt, was wir für unser Glück brauchen. Damit meint er Didi, mich und Ma und nicht den Fernseher, unseren wertvollsten Besitz.

Von meinem Platz auf dem Bett aus habe ich den gut im Blick. Er guckt von einem Regal voller Blechteller und -dosen auf mich herab. Runde Buchstaben auf dem Bildschirm sagen: Dilli – Vermisster Kater des Polizeipräsidenten gesichtet. Manchmal sehen bei den Nachrichten in Hindi die Buchstaben so aus, als würden sie Blut speien, vor allem, wenn uns die Sprecher schwierige Fragen stellen, die wir nicht beantworten können, wie:

Lebt ein Geist im Obersten Gerichtshof?

oder

Bildet Pakistan Tauben zu Terroristen aus?

oder

Ist ein Bulle der beste Kunde dieses Sari-Shops in Varanasi?

oder

Hat ein Rasgulla die Ehe der Schauspielerin Veena zerstört?

Ma mag solche Geschichten, weil Papa und sie stundenlang darüber streiten können.

Meine Lieblingssendungen sind die, für die ich nach Mas Meinung noch zu klein bin, wie Police Patrol und Live Crime. Manchmal schaltet Ma eine Sendung mitten im Mord aus, weil ihr davon schlecht wird, wie sie behauptet. Aber manchmal lässt sie sie auch laufen, weil sie gern rät, wer die Bösen sind, und mir erzählt, dass die Polizisten Tomaten auf den Augen haben, denn sie können die Übeltäter nie so schnell ausmachen wie sie.

Runu-Didi hat aufgehört zu plappern und macht jetzt mit ausgestreckten Armen hinter dem Rücken Dehnübungen. Sie hält sich für Usain Bolt, dabei ist sie bloß in der Schulstaffel. Staffellauf ist kein richtiger Sport. Deshalb lassen Ma und Papa sie daran teilnehmen, obwohl einige Chachas und Chachis in unserem Basti meinen, Laufen gehört sich nicht für Mädchen. Didi sagt, wenn ihre Mannschaft erst die Regional- und die Landesmeisterschaft gewonnen hat, werden die Leute im Basti schon die Klappe halten.

Die Finger in meinen Ohren werden langsam taub, deshalb nehme ich sie wieder raus und wische sie an meiner Cargohose ab, die schon voller Tinten-, Schlamm- und Fettflecken ist. All meine Klamotten sind so dreckig wie diese Hose, sogar meine Schuluniform.

Ich habe Ma angefleht, mich die neue Uniform tragen zu lassen, die ich diesen Winter umsonst von der Schule bekommen habe, aber Ma bewahrt sie ganz oben in einem Regal auf, wo ich nicht drankomme. Sie behauptet, nur reiche Leute würden Kleider wegwerfen, in denen noch Leben steckt. Wenn ich ihr zeige, dass mir die braune Hose nur noch bis zu den Knöcheln reicht, sagt Ma, selbst Filmstars würden heutzutage Hochwasser tragen, das wäre der letzte Schrei.

Sie erfindet noch immer Dinge, um mich auszutricksen, wie früher, als ich noch kleiner war als jetzt. Sie weiß nicht, dass Pari und Faiz mich jeden Morgen auslachen und mir sagen, ich sähe aus wie ein Räucherstäbchen, bloß eins, das nach Furz stinkt.

«Ma, hör mal, meine Uniform–», sage ich und verstumme, weil draußen jemand so laut schreit, dass ich fürchte, die Hauswand stürzt gleich ein. Runu-Didi schnappt nach Luft, Mas Hand streift versehentlich die heiße Pfanne, und ihr Gesicht wird scharf und runzlig wie die Schale einer Bittermelone.

Ich denke, es ist Papa, der versucht, uns einen Schrecken einzujagen. Ständig singt er alte Hindi-Lieder mit seiner dröhnenden Stimme, die wie eine leere Gasflasche durch die Gassen unseres Basti rollt und Straßenköter und Babys weckt, die dann losjaulen. Aber nun lässt ein weiterer Schrei die Wand erzittern, Ma stellt die Pfanne ab, und wir rennen aus dem Haus.

Die Kälte fährt mir in die nackten Füße. Auf der Gasse huschen Schatten und zischeln Stimmen. Der Smog kämmt mein Haar mit Fingern, die rauchig, aber zugleich feucht sind. Leute schreien. «Was ist los? Ist was passiert? Wer schreit da? Hat jemand geschrien?» Ziegen, denen ihre Besitzer alte Hemden und Pullover übergezogen haben, damit sie sich keine Erkältung einfangen, verkriechen sich unter den Charpais auf beiden Seiten der Gasse. Die Lichter in den HiFi-Gebäuden rings um unser Basti flackern kurz auf wie Glühwürmchen und erlöschen. Stromausfall.

Keine Ahnung, wo Ma und Runu-Didi sind. Frauen mit klirrenden Glas-Armreifen halten zur Beleuchtung ihre Handys oder Petroleumlampen in die Luft, aber das Licht ist zu schwach, um den dichten Smog zu durchdringen.

Alle um mich herum sind größer als ich und stoßen mir aufgeregt ihre Hüften und Ellbogen ins Gesicht, während sie sich fragen, was das Geschrei zu bedeuten hat. Mittlerweile ist uns klar, dass es aus dem Haus von Daru-Laloo kommt.

«Da ist was Übles in Gang», sagt ein Chacha, der in unserer Gasse wohnt. «Laloos Frau ist durchs ganze Basti gelaufen und hat jeden gefragt, ob er ihren Sohn gesehen hat. Sogar auf der Müllkippe war sie und hat seinen Namen gerufen.»

«Laloo auch, obwohl er seine Frau und die Kinder immer verprügelt», sagt eine Frau. «Wartet nur, eines Tages macht auch sie sich aus dem Staub. Und wie kommt dieser Taugenichts dann an Geld? Wo will er seinen Fusel herkriegen, haan?»

Ich frage mich, welcher von Daru-Laloos Söhnen abhandengekommen ist. Sein Ältester, Bahadur, der Stotterer, geht in meine Klasse.

Die Erde bebt, als irgendwo in der Nähe eine Metro unter uns vorbeirumpelt. Sie wird sich aus dem Tunnel schlängeln, an halbfertigen Gebäuden vorbeirasen und die Brücke zu einer überirdischen Station emporklettern, bevor sie in die Stadt zurückfährt, denn da endet die Purple Line. Die Metrostation ist neu, und Papa gehört zu denen, die ihre glänzenden Wände gebaut haben. Im Augenblick baut er an einem Turm, der so hoch ist, dass sie rote Blinklichter auf dem Dach anbringen müssen, als Warnung für die Piloten, nicht zu niedrig zu fliegen.

Das Geschrei ist verstummt. Mir ist kalt, und meine Zähne führen Selbstgespräche. Plötzlich schießt Runu-Didis Hand aus dem Dunkeln, packt mich und zerrt mich mit. Sie ist so schnell wie bei einem Staffellauf, und ich bin der Stab, den sie gleich weitergeben wird.

«Halt», sage ich und trete auf die Bremse. «Wo willst du hin?»

«Hast du nicht gehört, was die Leute über Bahadur gesagt haben?»

«Dass er verschwunden ist?»

«Willst du nicht mehr erfahren?»

Runu-Didi kann mein Gesicht im Smog nicht sehen, trotzdem nicke ich. Wir folgen einer Laterne, die jemand vor uns schwenkt, aber sie ist nicht stark genug, um die Pfützen zu erhellen, wo sich das Waschwasser gesammelt hat, deshalb tappen wir ständig rein. Das Wasser ist eklig, und ich sollte lieber umkehren, aber ich will auch wissen, was mit Bahadur ist. Im Unterricht nehmen ihn die Lehrer nie dran, weil er so stottert. Im zweiten Schuljahr habe ich mal versucht, sein ka-ka-ka nachzuäffen, aber es hat mir nur einen Schlag mit dem Holzlineal auf die Knöchel eingebracht. Schläge mit dem Holzlineal sind schlimmer als die mit dem Stock.

Fast wäre ich über Fatima-bens Wasserbüffel gestolpert, der mitten in der Gasse liegt wie ein riesiger schwarzer Klecks, im Smog kaum zu erkennen. Ma sagt, der Büffel ist wie ein weiser Mann, der seit Hunderten und Aberhunderten von Jahren bei Sonne, Regen und Schnee meditiert. Faiz und ich haben mal so getan, als wären wir Löwen, haben Büffel-Baba angebrüllt und mit Kieselsteinen beworfen, aber der hat weder mit seinen großen Büffelaugen gerollt noch uns mit seinen rückwärts gebogenen Hörnern gedroht.

Alle Laternen und Handy-Taschenlampen haben sich vor Bahadurs Haus versammelt. Die große Menschenmenge versperrt uns die Sicht. Ich sage Runu-Didi, dass sie warten soll, und drängle mich an Beinen in Hosen, Saris oder Dhotis vorbei und an nach Petroleum, Schweiß, Essen und Metall riechenden Händen. Bahadurs Ma sitzt im Hauseingang und weint, geknickt wie ein Blatt Papier, meine Ma auf einer Seite und unsere Nachbarin Shanti-Chachi auf der anderen. Daru-Laloo hockt neben ihnen, wackelt mit dem Kopf und schielt mit zusammengekniffenen, rot unterlaufenen Augen zu unseren Gesichtern rauf.

Keine Ahnung, wie Ma vor uns hier sein konnte. Shanti-Chachi streicht Bahadurs Ma über das Haar, massiert ihr den Rücken und sagt Dinge wie: «Er ist noch ein Kind, bestimmt ist er irgendwo in der Nähe. Weit kann er doch nicht gekommen sein.»

Bahadurs Ma hört nicht auf zu schluchzen, aber die Abstände zwischen den Schluchzern werden länger. Das liegt daran, dass Shanti-Chachi mit ihren Händen Wunder wirken kann. Ma sagt, Chachi ist die beste Hebamme der Welt. Wenn ein Baby nach der Geburt blau ist und nicht schreien will, kann Chachi das Rot in seine Wangen und die Stimme in seine Kehle zurückholen, bloß indem sie ihm die Füße massiert.

Ma sieht mich in der Menge und fragt: «War Bahadur heute in der Schule, Jai?»

«Nein», sage ich. Bahadurs Ma sieht so traurig aus, dass ich wünschte, ich könnte mich erinnern, wann ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Bahadur redet nicht viel, deshalb fällt niemandem auf, ob er im Klassenraum ist oder nicht. Plötzlich streckt Pari den Kopf aus dem Meer von Beinen und sagt: «Er war schon eine Weile nicht in der Schule. Das letzte Mal haben wir ihn am Donnerstag gesehen.»

Heute ist Dienstag, also ist Bahadur seit fünf Tagen verschwunden. Pari und Faiz murmeln zur Seite, zur Seite, als wären sie Kellner mit Drahtkörben voller dampfender Teegläser. Die Leute lassen sie durch. Dann stehen sie neben mir. Beide tragen noch ihre Schuluniform. Ma hat mir eingeschärft, mich umzuziehen, sobald ich von der Schule nach Hause komme, um die Uniform nicht noch mehr zu verschmutzen. Sie ist zu streng.

«Wo warst du?», fragt Pari. «Wir haben dich überall gesucht.»

«Bloß hier», sage ich.

Pari hat ihren Pony so hochgesteckt, dass er aussieht wie die halbe Zwiebelkuppel einer Moschee. Noch ehe ich fragen kann, wieso bis heute niemand Bahadurs Abwesenheit aufgefallen ist, erklären mir Pari und Faiz den Grund, denn sie sind meine Freunde und können meine Gedanken lesen.

«Seine Mutter war eine Woche oder so nicht da», flüstert Faiz. «Und sein Vater –»

«– ist der größte Saufkopf der Welt. Der würde es nicht mal mitkriegen, wenn ihm ein Beuteldachs die Ohren abknabbert, so beduselt ist er die ganze Zeit», sagt Pari laut, als würde sie es gradezu drauf anlegen, dass Daru-Laloo sie hört. «Die Chachis von nebenan müssten doch gemerkt haben, dass Bahadur verschwunden ist, findet ihr nicht?»

Pari ist immer schnell dabei, anderen die Schuld zu geben, weil sie glaubt, sie selbst wäre vollkommen.

«Die Chachis haben sich um Bahadurs Bruder und seine Schwester gekümmert», erklärt Faiz. «Sie dachten, Bahadur wäre bei einem Freund.»

Ich schubse Pari an und lenke den Blick auf Omvir, der sich hinter den Erwachsenen versteckt. Er dreht einen Ring an seinem Finger, der im Halbdunkel weiß blitzt. Omvir ist Bahadurs einziger Freund, obwohl er in die fünfte Klasse geht und sich in der Schule kaum blickenlässt, weil er seinem Papa helfen muss, einem Bügel-Wallah, der die Falten aus den Kleidern der HiFi-Leute plättet.

«Hör mal, Omvir, weißt du, wo Bahadur steckt?», fragt Pari.

Omvir vergräbt sich in seinem kastanienbraunen Pullover, aber die Ohren von Bahadurs Ma haben die Frage bereits aufgeschnappt. «Weiß er nicht», sagt sie. «Ihn habe ich zuallererst gefragt.»

Pari deutet mit ihrem Zwiebelturmpony auf Daru-Laloo. «Er muss an allem schuld sein.»

Jeden Tag sehen wir Daru-Laloo durchs Basti schlurfen. Der Sabber rinnt ihm aus dem Mund, dabei isst er nichts als Luft. Er sieht aus wie ein Penner, und manchmal fragt er sogar Pari und mich, ob wir nicht ein paar Münzen übrig hätten, damit er sich ein Glas starken Chai kaufen kann. Bahadurs Ma ist diejenige, die das Geld nach Hause bringt, sie arbeitet als Haus- und Kindermädchen für eine Familie in einem HiFi-Gebäude nicht weit von unserem Basti. Auch Ma und viele andere Chachis im Basti arbeiten für die HiFi-Leute, die da oben wohnen.

Ich drehe mich um und werfe einen Blick auf die hohen Häuser mit den tollen Namen, Palm Springs, Mayfair, Golden Gate und Athena. Sie stehen ganz nah an unserem Basti, scheinen aber weit weg zu sein wegen der Müllkippe dazwischen und der hohen, mit Stacheldraht verstärkten Mauer, von der Ma meint, sie wäre nicht hoch genug, um den Gestank fernzuhalten. Hinter mir stehen viele Erwachsene, aber zwischen ihren Schirmmützen kann ich erkennen, dass in den HiFi-Häusern jetzt wieder Licht brennt. Wahrscheinlich haben sie Dieselgeneratoren. In unserem Basti ist es noch immer dunkel.

«Warum bin ich bloß mitgefahren?», fragt Bahadurs Ma. «Ich hätte sie nicht allein lassen dürfen.»

«Die HiFi-Familie ist nach Neemrana gefahren und hat Bahadurs Ma mitgenommen, damit sie auf die Kinder aufpasst», erzählt mir Pari.

«Was ist Neemrana?», frage ich.

«Eine Festung in Rajasthan», erklärt Pari. «Oben auf einem Berg.»

«Bahadur könnte bei den Großeltern sein», sagt jemand zu Bahadurs Ma. «Oder seinen Chacha-Chachis.»

«Ich habe sie angerufen», entgegnet Bahadurs Ma. «Er ist bei keinem von ihnen.»

Daru-Laloo versucht aufzustehen und drückt sich mit einer Hand vom Boden ab. Jemand hilft ihm hoch. Einen Moment steht er schwankend da, dann humpelt er auf uns zu. «Wo ist Bahadur?», fragt er. «Ihr spielt doch immer mit ihm, oder nicht?»

Wir weichen zurück und prallen gegen Leute hinter uns. Omvir und sein kastanienbrauner Pullover verschwinden in der Menschenmenge. Daru-Laloo kniet vor uns nieder und kippt dabei fast um. Trotzdem gelingt es ihm, seine Alter-Mann-Augen auf die gleiche Höhe wie meine Kinderaugen zu bringen. Dann packt er mich an den Schultern und schüttelt mich heftig, als wäre ich eine Limoflasche, die er zum Sprudeln kriegen will. Ich versuche, mich aus seinem Griff zu befreien. Statt mir beizustehen, machen sich auch Pari und Faiz aus dem Staub.

«Du weißt doch, wo mein Sohn ist, oder?», fragt Daru Laloo.

Vermutlich könnte ich ihm helfen, Bahadur zu finden, denn mit Detektivarbeit kenne ich mich aus, aber dann schlägt mir sein übler Mundgeruch entgegen, und ich will nur noch weg.

«Lass den Jungen in Ruhe», ruft jemand.

Ich glaube nicht, dass Daru-Laloo auf ihn hören wird, aber dann fährt er mir durchs Haar und murmelt: «Schon gut, schon gut», und lässt mich los.

Papa geht immer früh zur Arbeit, wenn ich noch schlafe, aber am nächsten Morgen beim Aufwachen steigt mir der Terpentingeruch von seinem Hemd in die Nase, als er mit seinen rauen Händen meine Wangen streichelt.

«Sei vorsichtig. Du gehst mit Runu in die Schule und kommst auch mit ihr zurück, verstanden?»

Ich rümpfe die Nase. Papa behandelt mich wie ein kleines Kind, dabei bin ich schon neun.

«Nach dem Unterricht kommt ihr sofort nach Hause», sagt er. «Du wanderst mir nicht allein durch den Bhoot-Basar.» Dann gibt er mir einen Kuss auf die Stirn und fragt erneut: «Wirst du auch vorsichtig sein?»

Ich frage mich, was seiner Meinung nach mit Bahadur passiert ist. Denkt er etwa, ein Dschinn hätte sich ihn geschnappt? Papa glaubt doch nicht an Dschinns.

Ich gehe mit raus, um ihm Okay-tata-bye zu sagen, danach putze ich mir die Zähne. Männer in Papas Alter waschen sich das Gesicht mit Seife und husten und spucken, als hofften sie, dass sich ihr ganzes Innenleben löst und auf dem Boden landet. Ich würde gern wissen, wie weit meine schaumig weiße Spucke kommt, und lasse meinen Mund explodieren, bumm-bumm.

«Hör sofort damit auf, Jai», höre ich Ma sagen. Runu-Didi und sie schleppen Töpfe und Kanister mit Wasser an. Sie haben es aus dem einzigen Hahn geholt, der in unserem Basti funktioniert, aber nur zwischen sechs und acht am Morgen und manchmal eine Stunde lang am Abend. Didi öffnet die Deckel der beiden Wasserfässer, die rechts und links vor unserer Tür stehen, und als Ma die Töpfe und Kanister reinleert, bespritzt sie sich in der Eile mit Wasser.

Ich bin fertig mit Zähneputzen. «Was machst du noch hier?», faucht Ma mich an. «Willst du wieder zu spät zur Schule kommen?»

In Wirklichkeit ist sie selbst zu spät dran, deshalb läuft sie los und versucht gleichzeitig, eine Haarsträhne zu befestigen, die sich aus dem Knoten am Hinterkopf gelöst hat. Die HiFi-Madam, bei der Ma putzt, ist eine niederträchtige Frau. Sie hat Ma schon zweimal verwarnt, weil sie sich verspätet hatte. Eines Nachts, als ich so tat, als würde ich schlafen, hat Ma Papa erzählt, dass die Madam damit gedroht hätte, sie in winzig kleine Stücke zu zerhacken und vom Balkon zu werfen, als Futter für die Milane, die um das Hochhaus kreisen.

Runu-Didi und ich gehen zu den Waschräumen in der Nähe der Müllkippe, mit Eimern, in denen wir Seife, Baumwollhandtücher und Plastikbecher transportieren. Über uns brütet noch immer der schwarze Smog. Er brennt mir dermaßen in den Augen, dass mir Tränen über die Wangen rollen. Didi zieht mich auf, indem sie sagt, ich würde wohl Bahadur vermissen.

«Weinst du um deinen Kumpel?», fragt sie, und am liebsten würde ich sagen, sie soll den Mund halten, aber vor den Waschräumen haben sich lange Schlangen gebildet, obwohl es dort zwei Rupien kostet, und ich muss mich darauf konzentrieren, das Gewicht von einem Bein auf das andere zu verlagern, damit mir nicht der Hintern platzt.

Der Toilettenmann sitzt an einem Tisch vor dem Eingang, von dem die Frauen- und Männertoiletten abgehen, und er braucht eine Ewigkeit, um das Geld zu kassieren und die Leute durchzulassen. Eigentlich ist seine Arbeitszeit von fünf Uhr morgens bis elf Uhr abends, trotzdem schließt er die Anlage, wann immer es ihm passt, und geht nach Hause. Dann müssen wir auf die Müllkippe. Die ist umsonst, aber da kann jeder unseren Hintern sehen: Mitschüler, Schweine, Hunde und Kühe, die so alt sind wie Nana und Nani und uns die Kleider vom Leib fressen würden, wenn sie könnten.

Runu-Didi steht in der Frauenschlange. Ich bei den Männern. Didi sagt, die Männer würden die ganze Zeit zu den Frauen rüberlinsen. Wahrscheinlich um zu sehen, ob die Toiletten und Waschräume dort sauberer sind.

Die Männer in meiner Schlange unterhalten sich über Bahadur. «Wahrscheinlich hält sich der Junge irgendwo versteckt und wartet, dass die Mutter seinen Vater vor die Tür setzt», sagt ein Chacha. Alle murmeln zustimmend. Sie glauben, dass Bahadur schon zurückkommen wird, wenn er es satthat, sich auf der Müllkippe mit den streunenden Hunden um ein altes Roti zu balgen.

Die Männer unterhalten sich darüber, wie laut Bahadurs Ma gestern Abend geschrien hat, laut genug, um die Geister im Bhoot-Basar aufzuscheuchen, und dann reißen sie Witze darüber, wie lange sie selbst brauchen würden, um zu merken, dass eins ihrer Kinder verschwunden ist. Stunden? Tage? Wochen? Monate?

Ein Chacha sagt, er würde es nicht mal zur Sprache bringen, wenn er es merkt. «Ich habe acht Kinder. Was macht es da für einen Unterschied, ob es eins mehr oder weniger ist?», sagt er, und alle lachen. Der Smog macht auch ihren Augen zu schaffen, also weinen sie gleichzeitig.

Endlich stehe ich an der Spitze der Schlange, zahle den Toilettenmann und erledige schnell mein Geschäft. Ich frage mich, ob Bahadur irgendwohin abgehauen ist, wo es saubere Klos und Waschräume gibt, die nach Jasmin duften. Wenn ich so ein Badezimmer hätte, würde ich mir jeden Tag eimerweise Wasser über den Kopf kippen.

Zu Hause setzt Didi mir Tee und Zwieback zum Frühstück vor. Der Zwieback ist steinhart und schmeckt nach nichts, trotzdem esse ich ihn folgsam auf. Bis zum Nachmittag wird es nichts mehr geben. Danach ziehe ich meine Uniform an, und wir machen uns auf den Weg in die Schule.

Obwohl Papa es verboten hat, will ich Didi so schnell wie möglich abschütteln. Aber dann hat sich eine Menschenmenge um Büffel-Baba versammelt. Manche stehen auf Plastikstühlen oder Charpais und verrenken sich den Hals, damit sie besser sehen können. Sie versperren uns den Weg. Ich höre eine Stimme, die ich von gestern Abend wiedererkenne. «Finde meinen Sohn, Baba. Ich rühre mich nicht von der Stelle, bis mein Bahadur gefunden wird», jammert Daru-Laloo.

«Accha, jetzt kannst du nicht mehr ohne deinen Sohn leben, was?», sagt eine Frau. «Aber als du ihn verprügelt hast, war dir das egal!»

«Nur die Polizei kann uns helfen», ruft eine andere Frau. «Seit sechs Nächten ist er nicht nach Hause gekommen. Das ist zu lang.» Ich glaube, es ist Bahadurs Ma.

«Wir sind spät dran», sagt Runu-Didi. Sie hält die Schultasche vor sich und stößt sie den Leuten in den Rücken, damit sie Platz machen, und ich folge ihrem Beispiel. Als wir uns endlich durch die Menge gedrängt haben, sind unsere Haare zerzaust und unsere Uniformen zerknittert.

Runu-Didi streicht ihr Kamiz glatt. Bevor sie es verhindern kann, springe ich über einen Rinnstein und sprinte an Kühen, Hennen, Hunden und Ziegen vorbei, die bessere Pullover tragen als ich, vorbei an einer Frau, die die Gasse fegt und mit Kopfhörern laute Musik aus ihrem Handy hört, und einer weißhaarigen Großmutter, die Bohnen auffädelt. Meine Schultasche prallt gegen einen alten Mann auf einem Plastikstuhl. Das eine Stuhlbein ist kürzer als die anderen, und irgendwer hat den Höhenunterschied mit Ziegelsteinen ausgeglichen. Der Stuhl kippt um, und der Mann landet mit dem Hintern im Dreck. Ich reibe mir das linke Knie, es schmerzt ein wenig, dann laufe ich weiter. Die Flüche des Mannes verfolgen mich bis in die nächste Gasse, in der es nach Cholebhature duftet.

Hier warten, vor einem Laden mit Tau Jee, Chulbule und anderen mit Masala bestreuten Knabbereien, Pari und Faiz auf mich. Die hellroten, grünen und blauen Namkeen-Packungen wirken trist im heutigen Smog, und das Ehepaar, dem das Geschäft gehört, sitzt mit um die Gesichter gewickelten Schals hinter der Theke. Mir macht der Smog weniger zu schaffen, wahrscheinlich, weil ich so kräftig bin.

«Dieser Faiz ist wirklich ein Idiot», sagt Pari, sobald ich bei ihnen bin. Ihre Haarkuppel sieht aus, als würde sie jeden Augenblick einstürzen.

«Der Idiot bist du», entgegnet Faiz.

«Habt ihr gesehen?», frage ich sie. «Daru-Laloo betet zu Büffel-Baba, als wäre er ein Gott.»

«Bahadurs Ma sagt, sie geht zur Polizei», erklärt Pari.

«Die ist megabescheuert», sagt Faiz.

«Die Polizei vertreibt uns, wenn wir uns beschweren», sage ich. «Ständig drohen sie, Bulldozer zu schicken, um unser Basti plattzumachen.»

«Die können uns nichts anhaben. Wir haben unsere Lebensmittelkarten», erwidert Pari. «Außerdem zahlen wir ihnen Hafta. Von wem wollen sie denn Schmiergeld erpressen, wenn sie uns vertreiben?»

«Es gibt noch jede Menge andere Leute», sage ich. «Indien hat mehr Einwohner als jedes andere Land der Welt. Außer China.» Ein Zwiebackstückchen steckt zwischen meinen Zähnen, und ich pule es mit der Zunge raus.

«Faiz meint, Bahadur wäre tot», sagt Pari.

«Bahadur ist so alt wie wir. Und wir sind noch nicht alt genug zum Sterben.»

«Ich habe nicht gesagt, dass er gestorben ist», protestiert Faiz und fängt an zu husten. Dann spuckt er aus und wischt sich mit beiden Händen über den Mund.

«Vielleicht wurde sein Asthma schlimmer wegen dem Smog, und dann ist er in einen Graben gefallen und nicht mehr rausgekommen», sagt Pari. «Wisst ihr noch, wie er mal im zweiten Schuljahr keine Luft mehr bekam?»

«Du hast geheult», erkläre ich.

«Ich heule nie», entgegnet Pari. «Ma schon, aber ich nicht.»

«Wenn Bahadur in einen Graben gefallen wäre, hätte ihn jemand rausgeholt. Guckt doch, wie viele Menschen hier rumlaufen», sagt Faiz.

Ich schaue mir die Leute an, die an uns vorbeigehen, um rauszufinden, ob sie der Typ sind, der helfen würde. Aber ihre Gesichter sind halb verdeckt von Taschentüchern, die den Smog dran hindern sollen, dass er ihnen in Ohren, Nase und Mund dringt. Manche brüllen durch die improvisierten Masken in ihre Handys. Am Straßenrand steht ein Chole-bhature-Verkäufer; sein Gesicht ist nicht von einem Schal verdeckt, dafür aber von einer Rauchwolke aus dem Bottich mit zischend heißem Öl umhüllt, in dem er seine Bhaturas frittiert. Seine Kunden sind Arbeiter auf dem Weg zu den Fabriken und Baustellen, Straßenfeger und Schreiner, Mechaniker und Securityleute aus den Malls, die nach der Nachtschicht heimwärts laufen. Die Männer schieben sich mit Blechlöffeln die Kichererbsen in den Mund und mampfen. Sie haben die Halstücher bis zum Kinn runtergezogen; ihr Blick ist auf die Teller mit dem heißen Essen fixiert. Wenn jetzt ein Dämon auf sie zustampfte, würden sie es gar nicht merken.

«Hört mal», sage ich, «wieso suchen wir nicht auch nach Bahadur? Entweder liegt er verletzt in einem Krankenhaus oder …»

«Seine Mutter hat schon alle Krankenhäuser im Basti abgeklappert», erklärt Pari. «Die Frauen in den Waschräumen haben sich drüber unterhalten.»

«Wenn sie ihn gekidnappt haben, könnten wir sogar einen richtigen Entführungsfall aufklären», sage ich. «Bei Police Patrol kann man lernen, wie man einen Vermissten findet. Zuerst muss man –»

«Vielleicht hat ihn sich ja ein Dschinn geschnappt», sagt Faiz und berührt mit der Hand das goldene Tawiz, das er an einer ausgefransten schwarzen Schnur um den Hals trägt. Das Amulett schützt ihn vor dem bösen Blick und bösen Dschinns.

«Nicht mal Babys glauben an Dschinns», sagt Pari.

Faiz runzelt die Stirn, und die klaffende weiße Narbe über seiner linken Schläfe, die knapp am Auge vorbeiführt, wird tiefer, als würde von innen was an der Haut ziehen.

«Kommt, wir gehen», sage ich. Den beiden beim Streiten zuzusehen ist die langweiligste Sache der Welt. «Sonst kommen wir zu spät zum Appell.»

Faiz läuft sehr schnell voran, selbst in den Straßen des Bhoot-Basar, in denen es von viel zu vielen Menschen, Hunden, Fahrrad-, Auto- und E-Rikschas wimmelt. Da ich mit ihm Schritt halten muss, kann ich nicht wie sonst die blutigen Ziegenhufe zählen, die in Afsal-Chachas Laden zum Verkauf ausliegen, oder von einem Chaat-Verkäufer eine Melonenscheibe schnorren.

Niemand wird mir glauben, aber ich bin hundertpro sicher, dass meine Nase von den vielen Gerüchen nach Tee, rohem Fleisch, Brot, Kebab und Rotis im Basar jedes Mal länger wird. Auch meine Ohren werden größer, wegen den Geräuschen: Kellen kratzen in Töpfen, Metzgermesser schlagen auf Hackbretter, Rikschas und Motorroller hupen, und aus den Videospielhallen hinter schmuddligen Vorhängen dröhnen Schießereien und Flüche. Heute aber behalten meine Nase und die Ohren ihre normale Größe, weil Bahadur verschwunden ist, meine Freunde schmollen und der Smog wie ein Schleier über allem hängt.

Vor uns fallen Funken aus einem Vogelnest von Stromkabeln, die über die Straße hängen.

«Das ist eine Warnung», sagt Faiz. «Allah ermahnt uns zur Vorsicht.»

Pari sieht mich an und zieht die Brauen hoch.

Den ganzen restlichen Weg in die Schule spähe ich in alle Gräben, falls Bahadur doch in einen davon gefallen ist. Ich sehe aber nur leere Verpackungen, zerfetzte Plastiktüten, Eierschalen, tote Ratten, tote Katzen, Hühner und von hungrigen Mäulern ausgelutschte Schafsknochen. Keine Spur von einem Dschinn oder von Bahadur.

Unsere Schule ist

hinter einer zwei Meter hohen Mauer eingesperrt und obendrauf noch mit Stacheldraht geschützt. Die Tür in dem Eisentor ist violett gestrichen. Von draußen sieht die Schule aus wie die Gefängnisse in Filmen. Wir haben sogar einen Wachmann, aber der steht nie am Tor, weil er die ganze Zeit Botengänge für den Schuldirektor erledigen muss: auf dem Bhoot-Basar Madam Schuldirektors Blusen vom Schneider abholen oder einen Henkelmann mit frischen Gulab-jamuns für sie und die Söhne Nr. 1 und 2 des Schuldirektors auffüllen.

Auch heute glänzt der Wachmann durch Abwesenheit. Stattdessen hat sich vor dem Eingangstor, das viel zu schmal ist, um uns alle gleichzeitig durchzulassen, eine Schlange gebildet. Der Direktor lässt das Tor nie ganz öffnen, weil er Angst hat, es könnten Fremde mit uns auf das Schulgelände kommen. Gern erzählt er uns, dass in Indien Tag für Tag hundertachtzig Kinder verschwinden. Stranger is Danger, sagt er. Den Spruch hat er aus einem indischen Filmsong geklaut. Aber wenn ihm die Fremden wirklich Sorgen machten, würde er den Wachmann nicht ständig für was anderes einsetzen.

Der Direktor muss uns hassen. Es gibt keinen anderen Grund, warum er uns an versmogten Wintermorgen wie dem heutigen, wenn die Kälte unseren Atem weiß färbt, vor dem Tor warten lässt. Selbst die Tauben, die mit ihrem aufgeplusterten Gefieder auf einem durchhängenden Stromkabel über uns hocken, haben die Augen noch zu.

«Warum können diese Kinder keine vernünftige Schlange bilden?», sagt Pari mit einem missbilligenden Blick auf die vielen kleineren Reihen, die von der Hauptschlange abgehen. «So werden wir noch ewig hier rumstehen.»

Das sagt sie jeden Tag.

Die kürzeste Reihe stolpert vorwärts, wie um sie Lügen zu strafen. Ich dränge mich vor und stelle mich hinter einen Jungen aus Runu-Didis Klasse. Ein milchteefarbener Kamm lugt aus seiner Gesäßtasche. Er zieht ihn raus, fährt sich damit durchs Haar, zupft ein paar Strähnen aus den eng beieinanderstehenden Zinken und steckt ihn wieder in die Tasche zurück. Sein Gesicht ist fleckig wie eine faule Banane.

Pari und Faiz drängen sich vor mich. «Was fällt euch ein!», sage ich, aber sie grinsen nur, weil sie wissen, dass ich es nicht ernst meine, und ich grinse zurück. Dann sehe ich mich um, für den Fall, dass Bahadur aufgetaucht ist. Vielleicht weiß er gar nicht, dass seine Ma im Basti gleich die Polizei ruft. Aber er ist nicht da, und ich will nicht über ihn reden, weil es Pari und Faiz das Grinsen verleiden könnte. Sie haben schon wieder vergessen, dass sie sich grade noch gestritten haben.

Dann sehe ich, wie Quarter auf das Schultor zukommt. Er ist in der neunten Klasse, hat sie aber schon zweimal wiederholen müssen. Sein Vater ist der Pradhan unseres Basti und Mitglied der Hindu Samaj, einer großmäuligen Partei, die Muslime hasst. Wir bekommen den Pradhan kaum noch zu Gesicht, er hat nämlich eine HiFi-Wohnung gekauft und gibt sich nur noch mit HiFi-Leuten ab. Keine Ahnung, ob es wahr ist oder nur was, das Ma sagt, wenn der Wasserhahn in unserem Basti tagelang trocken bleibt und alle Geld zusammenlegen müssen, um den Tanklaster zu bestellen.

Quarter steht nun am Tor und regelt wie ein Verkehrspolizist auf einer vielbefahrenen Straße die Schülerreihen. Mit erhobener Handfläche bringt er unsere Reihe zum Halten. Ich gehorche sofort, alle anderen auch.

Quarter ist Anführer einer Bande in unserer Schule, die Lehrer verprügelt, falsche Eltern an Schüler vermietet, wenn sie Ärger haben und der Direktor darauf besteht, ihre Ma-Papas zu sprechen. Quarter arbeitet nicht umsonst, und mir ist schleierhaft, wie andere Schüler an Geld kommen, um sich einen Papa oder eine Ma zu leisten. Faiz hat jede Menge seltsamer Jobs; das meiste Geld gibt er aber seiner Ammi, und ein bisschen legt er beiseite, um sich seine heißgeliebte Purple-Lotus- oder Lux-Cremeseife zu kaufen, oder eine Flasche Sunsilk-Stunning-Black-Shine-Shampoo. Faiz behauptet, Papa-Mas kosten mehr als ein Dutzend Seifen und Shampoos.

Ein paar Jungs halten die Schlange auf, um ein bisschen mit Quarter zu plaudern. Ständig müssen sie ihm erzählen, wie sie mal einen Lehrer oder einen Polizisten angepöbelt haben, um zu beweisen, dass auch sie harte Burschen sind. Aber so wie Quarter ist keiner, weil:

er erstens jeden Tag in eine Theka im Bhoot- Basar geht, um sich ein Quarter-Peg Daru zu genehmigen, daher auch sein Spitzname. Seine Augen sind immer gerötet und verquollen, und außerdem stinkt er nach Daru;

er zweitens nie eine Schuluniform anhat;

er drittens nur Schwarz trägt: schwarzes Hemd, schwarze Hose und einen schwarzen Schal, den er sich um die Schultern wickelt, wenn ihm kalt wird;

er viertens jeden Morgen direkt nach dem Appell vom Direktor rausgeschmissen wird, weil er keine Schuluniform trägt, auch die Lehrer drohen ständig, ihn von der Schule zu verweisen, weil er praktisch nie anwesend ist, haben es bislang aber nicht getan.

Statt am Unterricht teilzunehmen, treibt sich Quarter bis zur Mittagspause, wenn das Essen ausgeteilt wird, im Bhoot-Basar rum. Dann stolziert er zurück zur Schule und stellt sich unter einen Niembaum auf dem Schulhof, umgeben von Schülern, die seiner Bande angehören oder Eltern mieten wollen, und dämlichen älteren Mädchen, die sich gegenseitig mit Fingerpistolen bedrohen und sich Revolver-Ranis nennen. Die meisten Mädchen halten allerdings Abstand zu Quarter, weil er sie ständig anglotzt.

Quarter ist der einzige Verbrechertyp in meiner Umgebung. Die Polizei hat ihn aber noch nie verhaftet, vielleicht weil sie von seinem Pradhan-Papa geschmiert wird. Ich frage mich, ob jemand Quarter dafür bezahlt hat, Bahadur verschwinden zu lassen. Aber wer würde so was tun?

Jetzt setzt sich unsere Reihe in Bewegung.

Ich beschließe, Quarter zu meinem Hauptverdächtigen zu machen. Ihn und die Dschinns, aber Dschinns kann ich nicht befragen. Vielleicht gibt es sie ja gar nicht.

Als wir zum Tor kommen, fasse ich mir ein Herz und sage zu Quarter: «In unserem Basti ist ein Junge verschwunden.» Ich habe noch nie mit ihm gesprochen, und jetzt stehe ich so stramm, als würde ich beim Appell gleich die Nationalhymne anstimmen. Ich beobachte Quarters Gesicht, um seine Reaktion zu sehen. Gute Polizisten und Detektive erkennen nämlich daran, wie jemand blinzelt oder die Lippen aufeinanderpresst, ob er lügt.

Quarter schenkt einem älteren Mädchen hinter mir ein schmieriges Lächeln. Er streicht sich über den Flaum auf seiner Oberlippe und den Wangen, zu spärlich für einen Schnauzer oder gar Bart, obwohl er schon ziemlich alt sein muss, mindestens siebzehn oder so. Dann sagt er: «Chalo-chalo-chalo», und scheucht mich zur Tür.

«Der verschwundene Junge heißt Bahadur», sage ich.

Quarter schnippt so dicht an meinen Ohren mit den Fingern, dass mir die Ohrläppchen brennen. «Chal-hat», zischt er.

Ich renne auf den Schulhof.

«Hast du sie nicht alle, oder was?», fragt Faiz. «Wieso hast du mit dem geredet?»

«Quarter hätte dir den Arm abschlagen und ihn in einen Mülleimer werfen können», sagt Pari und zeigt auf einen Pinguin-Eimer neben uns.

Der Vogel reißt den Schnabel so weit auf, dass unsere Köpfe durchpassen würden. Sein weißer Fischbauch schreit NUTZ MICH NUTZ MICH. Der Boden drum herum ist mit Karamellbonbonpapierchen übersät, weil die Schüler den Müll aus großem Abstand in das Pinguin-Maul werfen und es ständig verfehlen.

«Das war Detektivarbeit», sage ich zu Pari.

In den Nachrichten heißt es, dass der nächste indisch-pakistanische Krieg jeden Moment ausbrechen kann, aber in unserem Klassenzimmer tobt er bereits. Es geht darum, wer die Sa-Re-Ga-Ma-Pa-Li’l Champs-Meisterschaft gewinnt. Die indische Seite meint, Ankit wäre der beste Sänger im Wettbewerb, ein Pummelchen, das wegen seiner klebrig-süßen Stimme Jalebi genannt wird. Die pakistanische Seite will, dass Saira gewinnt, ein muslimisches Mädchen mit Hidschab, mindestens einen Kopf kleiner als ich. Morgens geht sie in die Schule, und nachmittags singt sie in den Straßen von Mumbai, um ihre Familie zu ernähren. Pari und ich versuchen, allen zu erklären, dass Bahadur vermisst wird. Fünfzig Prozent unserer Schulkameraden wissen es bereits, weil sie in unserem Basti wohnen. Aber Bahadur ist ihnen egal, jedenfalls jetzt, mitten im Krieg.

«Sairas Leute töten Kühe, und sie töten auch Hindus», sagt Gaurav. Seine Mutter malt ihm jeden Morgen mit dem Finger eine rote Tilaka auf die Stirn, als würde er in eine Schlacht ziehen.

Faiz würde mich niemals töten. Manchmal vergisst er sogar, dass er Muslim ist.

«Gaurav ist ein Esel», flüstere ich Faiz zu.

Außer Faiz gibt es in unserer Klasse neun oder zehn muslimische Kinder. Sie sitzen ganz still und halten sich die aufgeschlagenen Schulbücher vor die Nase.

Faiz und ich nehmen unsere Plätze in der dritten Reihe ein. Pari sitzt neben uns. Sie teilt sich ein Pult mit Tanvi, die einen Rucksack in Form einer Wassermelonenscheibe hat, rosa mit schwarzen Kernen.

«Und wenn Quarter Bahadur doch entführt hat?», frage ich Pari. «Vielleicht ist das sein neues Geschäftsmodell, ich meine, Kinder stehlen. Vielleicht versorgt er jetzt Eltern mit falschen Kindern, so wie er uns falsche Eltern vermietet.»

«Quarter weiß nicht mal, wer Bahadur ist, also warum sollte er», meint Pari.

«Ich habe gesehen, wie Quarter sich über Bahadur lustig macht», verkündet Tanvi und streichelt ihren Rucksack, als wäre er eine Katze. «Er nennt ihn Ba-Ba-Ba-Bahadur.»

Kirpal-Sir betritt unser Klassenzimmer. «Ruhe, Ruhe», ruft er, geht zur Tafel und klemmt sich ein Stück Kreide zwischen die Finger. Seine Hand zittert, weil sie vor einem Jahr gebrochen war und nicht richtig verheilt ist. Ganz oben auf die Tafel schreibt er LANDKARTEN und darunter INDIEN, dann macht er sich daran, eine schnörkelige Landkarte von Indien zu zeichnen.

«Hilfe, Hilfe», flüstere ich Pari zu. «Ich bin nur ein kleines Stück Kreide, und dieser Lehrer drückt mir grade die Luft ab.»

Alle anderen tuscheln auch miteinander, aber trotzdem wirft Pari mir einen bösen Blick zu und zischt: «Psst, psssst!»

Ich krümme die Hand zum Kopf einer Kobra und versenke meine Fangzähne in Paris linker Schulter.

«Sir, Teacher-Sir», ruft Pari.

Ich rutsche auf meinem Stuhl runter, bis fast mein ganzer Körper unter dem Pult verschwindet. Jetzt kann mich Kirpal-Sir nicht mehr sehen. Im Klassenzimmer ist es wegen dem Smog noch dunkler als sonst.

Pari steht mit erhobener Hand auf und ruft noch mal: «Sir».

«Was ist denn?», fragt er verstimmt, vielleicht, weil er Zeichnen nicht ausstehen kann.

«Finden Sie nicht, dass Sie zuerst überprüfen sollten, wer anwesend ist?», fragt Pari.

Einige Schüler kichern. Faiz niest, ohne von dem Schimpfwort aufzusehen, das er grade mit seinem Zirkel in unser Pult ritzt.

«Sir», sagt Pari, «wenn Sie die Liste mit unseren Namen durchgehen, wissen wir, wer da ist und wer nicht.»

Ich richte mich wieder auf. Natürlich würde mich Pari nie verpetzen.

Kirpal-Sir legt die Kreide auf sein Pult, und sie rollt auf das Klassenbuch zu, das er nie aufschlägt. Er rümpft die Nase, so wie immer, bevor er sein Holzlineal hervorholt, um es durch die Luft zu dreschen.

«Sir, Sie erinnern sich doch sicher an Bahadur, er saß dort drüben», sagt Pari, dreht sich um und schaut auf einen Platz in der letzten Reihe hinter sich. «Gestern haben wir erfahren, dass er seit fünf Tagen nicht zu Hause war.»

«Und was soll ich daran ändern? Willst du, dass ich auf dem Markt nach ihm suche? Seine Eltern sollen eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgeben.»

«Wenn sich ein Schüler zwei, drei Tage lang nicht blickenlässt, müsste die Schule doch der Familie Bescheid geben, oder?»

Pari hat ihre Augen so groß gemacht, wie sie nur kann, und spricht in einer Art Singsang, aber ihre Show lässt Kirpal-Sir kalt.

«Oje», murmelt Faiz, während sein Zirkel weiter Furchen gräbt. «Jetzt kriegt Pari Ärger. Großen Ärger.»

Wir wissen, warum Pari Kirpal-Sir diese Fragen stellt. Es sollte nicht fünf Tage dauern, bis sie merken, dass jemand fehlt. Aber Kirpal-Sirs Anwesenheitscheck kann Bahadur jetzt auch nicht mehr helfen. Dafür ist es zu spät.

Ich bin der Einzige, der da was tun kann. Ich kann Bahadur finden, weil ich schon Hunderte von Sendungen im Fernsehen gesehen habe und haargenau weiß, wie ein Detektiv wie Byomkesh Bakshi böse Menschen fängt, die Kinder, Gold, Frauen und Diamanten stehlen.

Mit gesenktem Kopf umkreist Kirpal-Sir sein Lehrerpult, als wäre es ein Tempel und er in stummem Gebet.

«Wenn ich jeden Morgen erst eure Anwesenheit überprüfe, wer soll euch dann unterrichten? Du etwa? Willst du den Unterricht übernehmen?» Kirpal-Sir zielt mit dem Finger auf jeden einzelnen Schüler in der ersten Reihe und reibt sich dann das rechte Handgelenk.

Pari hat die Unterlippe vorgeschoben, als würde sie jeden Augenblick losheulen. Faiz steckt seinen Zirkel wieder in das Mäppchen, obwohl er noch nicht damit fertig ist, ha-ra-mi in den Tisch zu ritzen, mit einem Pfeil daneben, der auf den Jungen links von ihm gerichtet ist.

«Wie viele seid ihr? Vierzig? Fünfzig?», fragt Kirpal-Sir. «Wisst ihr, wie lange es dauert, wenn ich all eure Namen aufrufe?»

Pari setzt sich wieder und stochert mit dem Bleistift in ihrer Haarkuppel herum. Einzelne Strähnen lösen sich. Sie versucht, die Tränen zu verbergen. Das hier ist neu für sie. Sie ist nicht wie wir daran gewöhnt, ausgeschimpft zu werden.

«Und ständig holen eure Eltern euch ungefragt aus der Schule, um euch mit in euer Heimatdorf zu nehmen», fährt Kirpal-Sir fort, obwohl Pari noch nie auch nur einen einzigen Schultag verpasst hat. «Wenn ich mich an die Regeln der Schulbehörde halten würde, hätte keiner von euch einen Platz hier.»

«Sir, wir würden Ihnen nichts tun, wenn Sie uns als abwesend eintragen», sage ich. «Wir sind noch klein.»

«Arrey, paagal», raunt Faiz leise. «Weißt du nicht, wann du besser die Klappe hältst?»

Die ganze Klasse verstummt, bis auf das übliche Schniefen und Husten. Ich höre, wie die Lehrer in den Klassenzimmern nebenan ihre Fragen stellen, und die Schüler antworten mit schrillen Stimmen im Chor. Kirpal-Sirs Brauen verziehen sich zu einem V. Dann nimmt er die bröckelige Kreide und wendet sich der Tafel zu.

«Jeder andere hätte dir eine Tracht Prügel verpasst», flüstert Faiz.

Das glaube ich nicht. Ich habe nichts Falsches gesagt.

Letztes Jahr hat Quarter den Sir mit einem Zauber belegt und in eine Maus verwandelt. Das war, nachdem Sir die Namen von drei älteren Schülern aus dem Klassenbuch gestrichen hatte, weil sie monatelang nicht zum Unterricht erschienen waren. Eine Woche später, als Kirpal-Sir auf seinem alten Bajaj Chetak nach Hause fuhr, sind ihm Quarters Jungs gefolgt, und als er an einer roten Ampel hielt, haben sie mit Eisenstangen auf seinen Schädel eingeschlagen. Er trug einen Helm, deshalb glaube ich nicht, dass sie ihn umbringen wollten. Es war eher eine Warnung, wie wenn Ma mich extralang anstarrt, um zu sehen, ob ich mit dem, was ich grade mache und was sie zur Weißglut bringt, aufhöre, bevor sie mich anschreien muss.